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1 Ein Mensch ist kein Mensch! Ein Mensch ich ganz persönlich bin ohne andere Menschen nicht denkbar. Ich bin verwiesen auf andere, ob ich es will oder nicht. Die Tatsache meiner Existenz geht auf die Tatsache zweier Menschen zurück. Ich bin nicht ohne andere! Diese Erfahrung, dass der Mensch sich nicht allein genügt, haben wir am vergangenen Sonntag betrachtet. Adam erkennt seine Einsamkeit. Er spürt, dass ihm jemand fehlt. Durch das Geschenk der Eva die eine Hilfe Gottes [Achtung: nichts anderes] ist wandelt sich seine Einsamkeit in Zweisamkeit, in Gemeinschaft, sozusagen in eine gegenseitige Verwiesenheit aufeinander. Heute möchte ich mit Ihnen auf diese Gemeinschaft, auf die Einheit von Mann und Frau, wie sie uns in Adam und Eva begegnen, schauen. 2 Liebe Schwestern und Brüder in Christus, den Schöpfungsbericht mit der Brille des Glaubens weiter verfolgend, wird uns davon berichtet, dass Adam, nachdem er Eva sah und das erste Liebeslied der Geschichte anstimmte: Wow! Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch (Gen 2, 23), sich an seine Frau bindet und mit ihr ein Fleisch wird (vgl. Gen 2, 24). Zwei wichtige Elemente werden 1
hier genannt: das Sich-Binden an seine Frau und das ein Fleisch Werden. Interessant ist die Reihenfolge. Bevor Adam und Eva ein Fleisch werden, bindet sich Adam an seine Frau, d. h. er entscheidet sich für sie 1, er sagt ganz Ja zu ihr. Ihr will er gehören, und zwar mit Leib und Seele, also ganz. Darin kommt ein entscheidendes Moment der Liebe zwischen Menschen zum Tragen, das im Bereich des Wollens liegt. Und zwar geht es bei der Liebe darum, dass Gemeinsame dem Eigenen und nicht das Eigene dem Gemeinsamen vorzuziehen. 2 Oder anderes gesagt, die Liebe drängt danach, ganz beim anderen zu sein, ganz ihm anzugehören, nicht bei sich selbst stehen zu bleiben. 3 Dieses innere Wollen ist der Ausdruck der Seele, die sich nach dem anderen sehnt. Erst auf das innere Wollen hin, auf die Entscheidung, erfolgt der Ausdruck des Leibes, der bestätig, was der Mensch im tiefsten will. Auf das Sich-Binden, das Sich- Entscheiden für eine Person, ihr ganz anhängen zu wollen, folgt der Ausdruck des Leibes, nämlich das ein Fleisch Werden. Beides gehört zusammen, der Ausdruck 1 Vgl. hierzu die Ausführungen von JOHANNES PAUL II.: Katechese vom 21.11.1979, Nr. 3. 2 Vgl. AUGUSTINUS: Epistula 211, 12. 3 Vgl. DIONYSIUS AREAOPAGITA: De divinis nominibus IV, 13. 2
der Seele, also das Sich-Binden, und der Ausdruck des Leibes in der sexuellen Vereinigung. Würde man beides voneinander trennen, so könnte man von einer Lüge der Seele oder des Leibes reden, weil der Mensch ja eine Einheit von Seele und Leib ist. 3 Die Bedeutung des hebräischen ein Fleisch Werden, bringt es auf den Punkt. Man könnte es übersetzen mit: sie kleben aneinander. So wie man zwei Blätter aufeinander klebt und die zueinander gehören, so auch Mann und Frau, die sich füreinander entschieden und diese Entscheidung durch die Sexualität besiegelt haben. In Klammern sei bemerkt, dass es bei der Eheschließung zwei Teile gibt, damit die Ehe nach katholischem Verständnis gültig zustande kommt. Zum einen das Ja-Wort vor dem Traualtar. Der andere Teil erfolgt in der sog. Hochzeitsnacht, in der das Ja-Wort besiegelt wird. Manche sprechen sogar vom Ehebett als den zweiten Altar neben dem Traualtar. Heute hat man leider oft den Eindruck, dass das Ja zur anderen Person als Ganzer zunehmend auf das Ja zum Sex des anderen reduziert wird. [ ] Die andere Person wird um ihrer sexuellen Werte willen gewollt und nicht um ihrer selbst 3 uns sucht nicht täglich nackt am See nach Margarine. 10 Wie viele sogenannte Aufklärungsmagazine gibt es, die in den Kinderzimmern und bei Jugendlichen kursieren und die unter dem Deckmantel der Aufklärung die sexuelle Promiskuität gerade zu fördern? Aber wo lernen sie wirklich wahrhaftig zu lieben? 6 Damit aus der sexuellen Begegnung zwischen Mann und Frau kein sexueller Judaskuss 11 wird, sondern wirklich eine Begegnung aus wahrhaftiger Liebe zueinander, bedarf es meiner Ansicht nach einer neuen Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Geschlechtlichkeit und somit über die tiefere Bedeutung unseres Leibes. Hierüber wollen wir mit Gottes Beistand und Hilfe am kommenden Sonntag nachdenken. Gebe Gott, dass wir erfassen, was er für uns gedacht und gewollt hat. Denn nur in der Erkenntnis seines Willens für uns, liegt die Erlangung des größtmöglichen Glücks. 10 MÜLLER, Michael: Plädoyer für Prüderie. Brutale Sexualisierung: kinderfeindlich und frauenverachtend, in: Komma 76/77 (2010) 68-71, hier 68. 11 LAUN, Andreas: Liebe, Ehe und Partnerschaft aus der Sicht der katholischen Kirche, in: Müller, Michael (Hg.): Kirche und Sex. Mein Körper gehört mir, Aachen 1994, 323-365, hier 332. 8
ganz zu schenken, sondern nur einen Teil, und zwar den Körper. Und damit tut der Mensch etwas, was er eigentlich nicht wollen kann, er zerreißt sich selbst. Er teilt sich in zwei Hälften, in die Seele und in den Leib, als ob beide nicht zusammengehören würden. Was der Mensch als wertvoll und erhaben schätzt, dass behandelt er mit Vorsicht, mit Hochachtung und Respekt. Doch wie sieht es mit dem Umgang des Menschen mit sich selbst aus? Was mit der großen sexuellen Befreiung in den sechziger und siebziger Jahren begonnen hat, brachte nicht die versprochene Emanzipierung als vielmehr die Banalisierung der Sexualität! 9 Und das in den meisten Fällen auf Kosten der Frauen. Wie viele Witze werden auf Kosten der Sexualität und der Frau gemacht? Wie viel Werbung gibt es, die mit intimen Anspielungen beginnen, die besonders an die Männer gerichtet sind? Anstatt, das schöne Gesicht zeigt man den Po! Eine nackte Frau steigt aus einem See. Sie sucht die Margarine, für die sie wirbt. Wer von willen. 4 Ganzheitlich lieben heißt aber, zu lieben mit Seele und Leib! Also als ganzer Mensch! Wo diese Ganzheitlichkeit auseinanderbricht, da entstehen Wunden, Verletzungen und Enttäuschungen, die nur schwer heilbar sind. Da die Sexualität ein hohes Gut ist, Ausdruck der Liebe, bedarf sie eines hohen Schutzes und vor allem der Wahrhaftigkeit. So sieht die Kirche nicht umsonst den sexuellen Akt in der Ehe, also der vorangegangenen Entscheidung für die jeweils andere Person, begründet. Nicht um zu reglementieren, sondern um zu schützen und zur vollen und wahrhaftigen Freude aneinander zu führen! 4 Denn im Akt der Sexualität vollzieht sich nicht nur das ein Fleisch werden, sondern zugleich ein Akt des Erkennens des jeweils anderen! Ein Blick in die Bibel und den hebräischen Sprachgebrauch zeigt, dass für den Akt der körperlichen Vereinigung nicht wie heute üblich von Sex gesprochen wird, sondern von erkennen. So heißt es beispielsweise: Adam erkannte Eva, seine Frau (Gen 4, 1) oder Kain erkannte seine Frau (Gen 4, 17) oder Elkana erkannte sein Frau Hanna (1Sam 1, 19). 9 Vgl. SCHWADERLAPP, Dominik: Für immer Ja. Ein Kurs in Sachen Liebe, München 2007, 69. 7 4 SCHWADERLAPP, Dominik: Für immer Ja. Ein Kurs in Sachen Liebe, München 2007, 58f. 4
Wer jemanden oder etwas erkennt, der weiß um dessen Identität und weiß, um was oder wen es sich handelt. Erkenntnis bleibt nicht an der Oberfläche, sondern dringt in das Wesen einer Sache oder Person ein. Wenn ich mich einer Person zu erkennen gebe, dann lasse ich in gewissem Maße zu, dass sie an meiner Person teilnimmt. Das ist ein Akt des Vertrauens, es bedeutet die Öffnung des Herzens. 5 Und dies gilt einmal mehr, wenn ich mich mit meiner ganzen Person leiblich an eine andere verschenke. Hier öffne ich mein Innerstes, gebe mich zu erkennen und lasse mich erkennen! Das lateinische Wort für Innerstes lautet intimus, daher auch unsere Wort Intimität. Der biblische Begriff des Erkennens drückt so für die sexuelle Begegnung von Mann und Frau ein uneingeschränktes Vertrauen und ein gegenseitiges Sich-Ausliefern aus. 6 Der Akt des Erkennens zeigt sich nun auch darin im Unterschied zu allen anderen Lebewesen, dass sich Mann und Frau dabei ansehen! Ich sehe und erkenne nicht etwas, sondern die Person, die ich liebe! 5 Im Akt des Erkennens, im ein Fleisch werden, vollzieht sich die Einheit von Mann und Frau. Sie sind zwar weiterhin zwei eigenständige Personen, doch werden sie durch die Sexualität, durch ihre Intimität, ganz eins, und zwar mit ihrem Wollen, ihrer Seele und ihrem Körper, ihrem Leib. Es geht um den ganzen Menschen! Und da, wo es um den ganzen Menschen geht, ist auch der ganze Mensch zu schützen. Denken Sie bitte noch einmal an die Übersetzungsmöglichkeit sie kleben aneinander. Menschen, die nur Sex miteinander haben möchten, vereinigen sich zu einer körpersprachlichen Lüge: Sie benutzen das Zeichen des Sich-Verschenkens 7, um den anderen für den eigenen Lustgewinn zu gebrauchen. Sie kleben aneinander, bleiben aber nicht beieinander! Sie reißen auseinander und dadurch entstehen wie gesagt Verwundungen und Verletzungen. Geschehenes lässt sich nicht ungeschehen machen. Und Erinnerungen kann man nicht auslöschen. 8 Mit dem Körper wird etwas ausgedrückt, was die Seele nicht bejaht, nämlich sich 5 Ebd., 67. 6 Vgl. ebd. 5 7 Ebd., 68. 8 DEMMER, Klaus: Voreheliche Enthaltsamkeit. Erwägungen zu einem pastoralen Notstand, in: Theologie der Gegenwart 31 (1988) 237-246, hier 240. 6