Religionsfreiheit unter Druck: die indische Erfahrung



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Transkript:

Religionsfreiheit unter Druck: die indische Erfahrung Indien gilt vielleicht nicht nur als das Land der Religionen schlechthin, sondern stellt für viele geprägt durch das Bild, das Mahatma Gandhi von Indien gegeben hat auch ein großartiges Beispiel religiöser Toleranz dar. Indien mit seiner multireligiösen und multikulturellen Tradition könnte Vorbild für viele westliche Gesellschaften sein, die erst in das Zeitalter eines religiösen Pluralismus eintreten. Was für einen Sinn macht die Rede von Religionsfreiheit unter Druck angesichts einer so toleranten Kultur? Säkularer Staat oder Hindu-Staat? In der Tat hat Indien eine Verfassung, in der Religionsfreiheit als unveräußerliches Grundrecht festgeschrieben ist. In Artikel 25 der Verfassung heißt es: Unter Berücksichtigung (subject to) öffentlicher Ordnung, Moral und Gesundheit und anderer Verordnungen dieses Teils (sc. der Verfassung, die sich mit Grundrechtsartikeln beschäftigt) haben alle Personen gleichermaßen Anspruch auf die Freiheit des Gewissens und das Recht, (ihre) Religion frei zu bekennen, zu praktizieren und zu propagieren. Indem Indien sich in der Präamble der im Jahre 1950 in Kraft getretenen Verfassung als säkularer Staat definiert, ist zudem deutlich gemacht, dass es so etwas wie eine Staatsreligion in Indien nicht gibt. Mit dem Prinzip der Säkularität ist so sehen es jedenfalls die meisten Inder nicht nur die Neutralität des Staates den verschiedenen Religionen gegenüber zum Ausdruck gebracht, sondern eine positive Würdigung und ein Respekt den Religionen gegenüber. Verschiedene andere Verfassungsartikel halten daneben fest, dass den religiösen Minderheiten besonderer Schutz gewährt wird; dass Indien eine Kommission für die Minoritäten (Minority Commission) hat, in der die verschiedenen Religionen vertreten sind und in der Probleme der religiösen Minderheiten behandelt werden können, und dass Indien bis heute verschiedene Zivilgesetzbestimmungen (civil codes) für Hindus, Muslime und Christen kennt, ist Ausdruck dieser in der Verfassung festgehaltenen Prinzipien, die die Multikulturalität und Multireligiosität schützen will. Auf der anderen Seite sind aber diese Verfassungsprinzipien, mit denen die indische Nation sich als säkularer Staat mit Respekt vor allem Religionen definiert hat, in Indien nie vollkommen unumstritten gewesen. In der religiösen und kulturellen Renaissance, die Indien

seit Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte und die das religiös-kulturelle Ferment der indischen Unabhängigkeitsbewegung gegen die britische Kolonialherrschaft bildete, standen schon früh verschiedene Modelle einer Definition der indischen Nation neben- und auch gegeneinander. Neben dem Konzept Indiens als säkulares Staatswesens mit Respekt vor allem Religionen, das in etwas unterschiedlicher Weise von Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru vertreten worden war und in die indische Verfassung eingegangen ist, stand die Vorstellung, dass die indische Nation auf einem mehrheitlich von Hindus bewohnten Territorium stark die hinduistische Kultur und die Vorrangstellung der Hindu-Bevölkerung reflektieren müsse. Die in diesen hindu-nationalistischen Kreisen vertretene Ideologie der Hindutva, die eine Gestaltung der indischen Nation nach Prinzipien des brahmanischen Hinduismus anstrebte, konnte sich in der Zeit der Unabhängigkeitsbewegung nicht durchsetzen und diskreditierte sich schwer durch die Ermordung Mahatma Gandhis, hat aber in den letzten 20 Jahren in Indien aus einer Reihe von Gründen einen unerhörten Aufschwung genommen. Radikale und militante hindu-nationalistische Gruppen um die Barathiya Janata Party (BJP), die seit 1998 in Indien die indische Bundesregierung stellt und in verschiedenen Bundesstaaten regiert, verfolgen in mehr oder weniger aggressiver Politik bis hin zur Gewalt gegen religiöse Minderheiten, vor allem Muslime und Christen eine Hinduisierung der indischen Nation. Der Begriff Inder wird hier mit dem Begriff Hindu gleichgesetzt; eingeschlossen in den kulturell geprägten Begriff des Hindutums oder der Hindus sind dann zwar alle Angehörigen einer Religion, die in Indien entstanden ist also auch die Buddhisten und Sikhs werden, sehr zu ihrem Ärger, unter den Begriff Hindus subsummiert -, aber Religionen, die ihren Ursprungsort außerhalb Indiens haben vor allem der Islam und das Christentum sind hier im Blick haben nach dieser Ideologie in Indien kein wirkliches Heimatrecht oder müssen doch zumindest die Vorherrschaft der Hindus anerkennen und können die Privilegien, die ihnen früher auf Grund der Verfassung zugestanden worden sind, in Zukunft nicht mehr für sich in Anspruch nehmen. Auch diese hindu-nationalistischen Gruppen sprechen von Religionsfreiheit, meinen damit aber weniger die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte artikulierte individuelle Freiheit zur Wahl und auch zum Wechsel einer Religion, sondern den Schutz der indischen Bürger vor (vermeintlich) ungebührlicher und unlauterer Beeinflussung von Seiten der Repräsentanten anderer missionarischer Religionen, die von außerhalb Indiens kommen. Dass dieser angebliche Schutz der Bürger bzw. der einheimischen indischen Religion also des Hinduismus tatsächlich allerdings eine massive religiöse Diskriminierung bedeutet und

damit einen fundamentalen Eingriff in die Religionsfreiheit darstellt, zeigt sich im indischen Kontext im wesentlich in drei Bereichen, auf die hier kurz eingegangen werden muss. Antikonversionsgesetze Zum einen sind in den 1960er und 1970er Jahren in drei indischen Bundesstaaten Orissa, Madhya Pradesh und Arunachal Pradesh Gesetze erlassen worden, die offiziell als Gesetze zum Schutze der Religionsfreiheit in Orissa etwa trägt das Gesetz den Titel: Orissa Freedom of Religion Act eingeführt sind, aus der Sicht der indischen Kirchen aber nichts anderes als Antikonversionsgesetze darstellen, die den Wechsel von einer Religion zur anderen außerordentlich schwierig machen wollen. Unter Strafe gestellt wird hier zwar nicht die Konversion selbst also die freie Entscheidung eines Menschen, eine andere Religion anzunehmen und auch nicht eine missionarische Tätigkeit, die zum Religionswechsel führen mag, sondern nur eine unlautere Bekehrungstätigkeit, die mit Zwang (force), Verlockungen (allurement) oder betrügerische Mittel (fraudulent means) arbeitet. Ein in der Substanz ganz ähnliches Gesetz ist im Oktober 2002 vom Regionalparlament im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu verabschiedet und mit sofortiger Wirkung in Kraft gesetzt worden. Unter dem Namen Tamil Nadu-Gesetz über den Verbot gewaltsamen Wechsels der Religion (Tamil Nadu Prohibition of Forcible Conversion of Religion Act) verbietet dieses Gesetz einen zwangsweise (forcible) herbeigeführten Wechsel von Religion ( conversion of religion ), ist aber in seinen Definitionen dessen, was unter Zwang, Verlockung oder betrügerische Mitteln zu verstehen ist, außerordentlich wage; auch der Hinweis auf ein göttliches Missfallen im Falle, dass eine Person sich nicht bekehrt, gehört zu solchen Zwangsmaßnahmen, wie ausdrücklich gesagt wird. Eine Bekehrungstätigkeit, die solche Mittel einsetzt, wird mit einer Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren und einer zusätzlichen Geldstrafe bedroht; bei Zuwiderhandlungen im Blick auf Minderjährige (Personen unter 18 Jahre), Frauen oder einer Person, die zu den Scheduled Castes oder Scheduled Tribes gehören also marginalisierte Bevölkerungsgruppen, die sich heute selbst Dalits und Adivasi nennen -, kann eine Gefängnisstrafe bis zu vier Jahren verhängt werden. Jeder Übertritt einer Person von einer Religion zu einer anderen muss vor der offiziellen Übertrittszeremonie also etwa der christlichen Taufe dem Distriktmagistrat gemeldet werden. Die Problematik dieser Gesetze ein ähnliches ist am 12. März 2003 von der Regierung im indischen Bundesstaat Gujarat unter dem Titel: The Gujarat Freedom of Religion Bill, 2003

veröffentlicht worden, und die BJP möchte ein solches Gesetz gern für ganz Indien einführen liegt nicht so sehr darin, dass hier einem Missbrauch gewehrt werden soll eine Bekehrungstätigkeit, wie sie hier angegriffen wird, ist in der Tat verwerflich -, sondern dass der willkürlichen Auslegung durch staatliche Behörden Tür und Tor geöffnet wird. Auffällig ist, dass die Gewissensentscheidung der Einzelnen überhaupt nicht in den Blick kommt und die Menschen insgesamt wie Unmündige behandelt werden der Hinweis auf Minderjähre, Frauen, Dalits/Adivasi ist dabei außerordentlich erhellend. Die Kritik an diesem Gesetz, die nicht nur von Christen und Muslimen kommt, hebt zu Recht hervor, dass ein solches Gesetz nicht nur eine massive Einschränkung der Religionsfreiheit bedeutet, sondern auch einen Versuch darstellt, kritische soziale Bewegungen einzudämmen, deren sozialer Protest gegen das mit dem Hinduismus verbundene Stigma der Unberührbarkeit und die gesamte brahmanisch geprägte Kastenordnung sich nicht selten in Konversionsbewegungen äußert. Auf juristischem Wege allerdings wird man das neue Antikonversionsgesetz von Tamil Nadu, wie es die religiösen Minderheiten nennen, nicht aufheben können. Schon in den 1970er Jahren hatte das indische Bundesverfassungsgesetz das Gesetz zum Schutze der Religionsfreiheit aus Orissa für verfassungskonform erklärt, indem es darauf hinwies, dass die Anerkennung der Propagierung der Religion nicht das Recht einschließe, andere mit unlauteren Mitteln zu bekehren. Religiöse Diskriminierung indischer Dalits Religiöse Diskriminierung zeigt sich auch im Blick auf die Behandlung der vormals unberührbar genannten, bis heute stark marginalisierten indischen Bevölkerungsschicht der Kastenlosen, die sich heute selbst Dalits die Zerbrochenen, die Zertretenen, die Unterdrückten nennen. Die indische Verfassung hat in Artikel 17 die Aufhebung der Unberührbarkeit erklärt. Verbunden mit dieser Erklärung der Aufhebung der Unberührbarkeit ist in Artikel 15-17 einerseits ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aus Gründen von Religion, Rasse, Kaste, Geschlecht oder Geburtsort ausgesprochen (Art. 15), andererseits aber in Artikel 15,3 festgehalten, dass der Staat besondere Vorkehrungen für die Förderung der sozial und bildungsmäßig rückständigen Klassen der Bürger und der Scheduled Castes (d. h. Dalits) und Scheduled Tribes (d. h. Stammesvölker) vornehmen kann. Dieser Gedanke einer positiven Diskriminierung in anderen Kontexten als affirmative action zur Förderung benachteiligter Bevölkerungsgruppen bekannt ist von der indischen

Regierung dann in der Tat aufgenommen worden, indem diesen benachteiligten Gruppen bestimmte Quoten von Arbeitsplätzen in staatlichen Einrichtungen, Ausbildungsplätze, finanzielle Förderung in Form von Stipendien usw. gewährt werden. Allerdings galten diese Fördermaßnahmen zunächst ausschließlich für Hindus; im Jahre 1956 wurden sie auf Sikhs und im Jahre 1990 auch auf Buddhisten ausgedehnt. Christen und Muslime, die in sozialer Hinsicht genauso benachteiligt sind wie Dalits aus der Hindu-Religion, sind von solchen Förderungsmaßnahmen ausgenommen; und ein Dalit, der Christ oder Muslim wird, verliert die Förderung, auf die sein Hindu-Nachbar Anspruch hat. Christen und Muslime betrachten diese Haltung zu Recht als eine Form religiös motivierter Diskriminierung. Alle juristischen Bemühungen und politischen Proteste haben allerdings bis heute nicht dazu geführt, dass diese religiös begründete Benachteiligung aufgehoben wird. Religiöse Diskriminierung in der indischen Zivilgesetzgebung Ein dritter Bereich, indem religiöse Diskriminierung durch Gesetzgebung in massiver Weise wirksam ist, betrifft die indische Zivilgesetzgebung. In den 1950er Jahren verabschiedete die indische Regierung eine Reihe von Zivilgesetzen, die zu einer nachhaltigen Reform der für Hindus gelten persönlichen Gesetze (personal laws) führten. Dabei ist allgemein anerkannt, dass diese neuen Gesetze eine wirkliche Modernisierung und Demokratisierung der bürgerlichen Gesetzgebung zum Beispiel im Blick auf die Rolle der Frau bedeuteten. Auf der anderen Seite hatten zahlreiche dieser Gesetze aber negative Konsequenzen im Blick auf die Religionsfreiheit. Im Gesetz über die Eheschließung der Hindus (Hindu Marriage Act) von 1955 wird zum Beispiel gesagt, dass ein Partner, der die Hindu-Gemeinschaft durch Übertritt zu einer anderen Religion verlässt, dadurch einen Grund für die Legitimität einer Ehescheidung bietet; im Erbschaftsgesetz des Hindu Civil Code dem Hindu Succession Act von 1956 - wird festgeschrieben, dass eine Person, die zu einer anderen Religion übertritt, zwar das Recht auf die Erbschaft behält, dass aber die Kinder, die dieser Person nach seiner oder ihrer Bekehrung geboren werden sowie deren Nachkommen davon ausgeschlossen sind, etwas von ihren Hindu-Verwandten zu erben es sei denn, dass die Kinder Hindus bleiben oder wieder Hindus werden; das hinduistische Elternrecht (The Hindu Minority and Guardianship Act) von 1956 disqualifiziert einen Konvertiten, Vormund seines eigenen Kindes oder auch der Vormund seiner Frau zu sein, wenn sie noch minderjährig ist; und das Adoptionsrecht (The Hindu Adoptions and Maintenance Act) von 1956 sieht vor, dass ein Konvertit nichts dazu sagen kann, wenn sein oder ihr Partner ein Kind adoptieren

möchte, und dass ein Elternteil sein/ihr Kind zur Adoption freigeben kann ohne dass der andere Elternteil, der zu einer anderen Religion übergetreten ist, dem zustimmen muss. Es dürfte deutlich sein, dass diese Gesetze nichts weniger beinhalten als dass eine Person, die sich aus der Hindu-Gemeinschaft löst, ihre Identität in der Hindu-Gesellschaft verliert. Konversionen haben den Verlust vitaler Ehe-, Eltern- und Erbschaftsrechte zur Folge oder können dies doch haben. Streit um die Religionsfreiheit In allen drei genannten Bereichen lässt sich als gemeinsames Muster feststellen, dass es hier um den Schutz und die Verteidigung der Hindu-Gemeinschaft geht. Nicht alle Gesetze sind vom Geist oder Ungeist der Hindutva-Ideologie geprägt, doch spiegeln sie alle ein tiefes Ressentiment gegenüber dem Gedanken eines Rechtes auf freie Wahl einer Religion. Bei der Mehrheit der Hindus dürfte die Mentalität vorherrschen, die davon ausgeht, dass ein Mensch bei der Religion bleiben solle, in der er geboren worden ist. Und bei den Repräsentanten der heute so einflussreichen Hindutva-Ideologie dürfte hinzukommen, dass Menschen, die in Indien geboren sind, eigentlich Hindus sein müssten wobei Hindu als ein religiös weiter Begriff zu fassen ist, der auch die Glaubensrichtung des Sikhismus und Buddhismus einschließt -, und deshalb Vorkehrungen getroffen werden müssen, dass andere Religionen nicht in den Bereich des Hinduismus einfallen und die zu Indien gehörige Religion zerstören. Religionsfreiheit, so wird hier deutlich, ist in Indien ein sehr komplexe Angelegenheit, in der sich unterschiedliche Religionsanschauungen gegenüberstehen ein territoriales Religionsverständnis, das Indien als Land der Hindus sieht und eine universale Religion, die die Freiheit der Religion betont - und in der über das Wesen der Religionsfreiheit neu gestritten werden muss. In einer Situation, in der die Frage nach der nationalen Identität Indiens zudem neu in Bewegung gekommen ist und in der man sich darüber streitet, ob Indien weiterhin ein säkularer Staat oder ein hinduistisch geprägtes Gemeinwesen ist, haben religiöse Minderheiten es schwer, ihre Anliegen zur Gehör zu bringen, ihren Glauben zu leben und in der Öffentlichkeit für ihn ein zustehen. Dass Christen und Muslime aber nicht mehr als indische Bürger angesehen werden, sondern als Fremdkörper im hinduistischen Gemeinwesen, kann nicht hingenommen werden.

Klaus Schäfer -.-.-.- Pfarrer Dr. Klaus Schäfer, Leiter der Abteilung Studien und Öffentlichkeitsarbeit im Evangelischen Missionswerk in Deutschland (EMW), Hamburg