Strandfußball in Brasilien Erich sitzt am Strand und gräbt seine nackten Füße in den warmen Sand. Vor ihm flitzen braunhäutige Gestalten hin und her. Er beobachtet wieder zwei der vielen Mannschaften, die am Strand unermüdlich Fußball spielen. Ein Spiel fi ndet neben dem anderen statt, so weit man schauen kann. Immer wird barfuß gespielt und meist auf kleine Tore, die aussehen wie vom Eishockey geliehen. Oder die einfach aus zwei Holzpflöcken bestehen. Torauslinien gibt es nicht. Auf der einen Seite werden die Spielfelder durch das Meer begrenzt. Auf den anderen durch die nebenan spielenden Mannschaften und durch die Leute, die ein Sonnenbad nehmen. Manchmal landet ein Ball im Wasser oder auf dem Bauch eines Touristen. Erich schaut über den Atlantik. Irgendwo hinter dem Horizont muss Afrika 44
liegen, denkt er. Darüber ist Europa, mit Deutschland mittendrin. Viele tausend Kilometer entfernt. Und doch in nur zehn Stunden zu erreichen. In diesem Moment scheint ihm seine Heimat näher als die Jungen, die nur ein paar Meter entfernt Fußball spielen. Denn zu Hause bedarf es keiner Frage, ob er mitspielen kann. Natürlich spielt er mit. Immer. Ob in der großen Pause auf dem Schulhof, mit Gustav, Eckhard und Olaf und den anderen aus seiner Klasse, oder am Dienstagnachmittag beim Training seiner D-Jugend. Erich wirft über die Schulter einen Blick zurück. Dahinten liegen seine Eltern und sonnen sich. Wie immer in den letzten zehn Tagen. Darüber sieht Erich wie immer die Schirme der Palmen. Über die grünen Wedel ragen die Hochhäuser. In einem davon befi ndet sich das Appartement, in dem Familie Schäfer ihren Brasilien-Urlaub verbringt. 46
Mensch, zwei Wochen Urlaub in Brasilien! Im Traumland des Fußballs. Großartig klingt das. Erich seufzt. Die letzten zehn Tage waren ganz ähnlich wie die im letzten Jahr auf Mallorca: Strand, Hotel und Restaurant, Restaurant, Strand und Hotel. Klar, trotzdem ist vieles anders hier in Recife. Die Speisekarten zum Beispiel, die sind nicht auf Deutsch geschrieben. Hamburger und Pommes frites gibt s zum Glück aber auch. Auf Mallorca kommen auch keine bettelnden Kinder vorbei, die etwas abhaben wollen. Sie werden von den Kellnern weggejagt. 47
Die armen Kinder, hat Erichs Mutter gesagt und ihnen ein paar Cruzeiros zugesteckt. So heißen die brasilianischen Cents. Obrigado, haben sie geantwortet. Das heißt danke. Du kannst nicht jedem etwas geben, meinte Erichs Vater. Es gibt hier auch Kinder, die eine Holzkiste umgehängt haben mit Schuhputzzeug drin. Ein Kind erkennt Erich nun wieder. Der Schuhputzjunge nimmt an dem Spiel teil, dem Erich zuschaut. Mannomann, der kann prima mit dem Ball umgehen. Sein bester Trick besteht darin, sich die Kugel blitzschnell mit der Ferse von einem Fuß auf den anderen zu legen. Keine Frage, die meisten, die hier spielen, sind echt gut. Sogar der schmächtige Junge mit den beiden Holzkrücken, der das Tor hütet. In einem normal großen Gehäuse hätte er sicher 48
keine Chance, doch in dem kleinen Strandtor hält er klasse. Manchmal, wenn er seine Krücken wie Hockey schläger benutzt, scheint es sogar, als seien sie ein Vorteil! Gelegentlich verspringt auch den brasilianischen Strandfußballern der Ball. Und vor dem Tor kochen sie auch nur mit Wasser. So würde es Erichs Trainer ausdrücken. Erich traut sich das Mitspielen zu. 49
Doch schon in vier Tagen startet das Flugzeug nach Hause. Es wird allmählich höchste Zeit zu fragen, ob er mitmachen kann. Sonst muss Erich sich was einfallen lassen, wenn er zu Hause gefragt wird, ob er in Brasilien Fußball gespielt hat. So nah wie heute saß er noch nie bei den Spielern. Fast hockt er auf dem Spielfeld. Wenn er doch nur etwas mehr Mut hätte! Jetzt landet ein abgefälschter Schuss in seiner Nähe. Erich springt auf, stoppt den Ball elegant und spielt ihn zentimetergenau dem Schuhputzjungen zu. Der hält anerkennend den Daumen hoch und ballt die restlichen Finger am Handballen zusammen. Eine beliebte Geste in Brasilien. Erich macht dasselbe Zeichen. Der Torwart winkt mit einer seiner Krücken. Quer jogar?, ruft er. Vem! Vem! 50
Erich versteht kein Portugiesisch. Aber er weiß genau, worum es geht. Klinsmann?!, rufen die brasilianischen Kicker. Beckenbauer? Möller! Erich hört Kliesma?! Beekebaua? Mola! Aber er versteht sie genau. Pelé!, ruft Erich zurück. Zico! Ronaldo! Isso!, lacht der Torwart und spielt ihm den Ball zu. Das Spiel geht weiter. Erich ist dabei.
Martin Klein Illustriert von Heribert Schulmeyer Unverkäufl iche Leseprobe ISBN 978-3-7855-7967-1 für diese Ausgabe 2014 Loewe Verlag GmbH, Bindlach Umschlagillustrationen: Heribert Schulmeyer Reihenlogo: Cornelia Funke Umschlaggestaltung: Franziska Trotzer www.loewe-verlag.de