Avantgarde der Nachkriegszeit Kunst der 1960er Jahre Stuttgart, Kleiner Schlossplatz Galerie Schlichtenmaier GS
Georg Karl Pfahler (1926 2002) Jump, 1961 Öl auf Leinwand, 120 100 cm Ausgestellte Künstler Horst Antes; Gerlinde Beck, Peter Brüning, Rolf-Gunter Dienst, Christoph Freimann, Winfred Gaul, Rupprecht Geiger, Otto Herbert Hajek, Erich Hauser, Gerhard Hoehme, Paul Jenkins, Horst Kuhnert, Thomas Lenk, Wilhelm Loth, Heinz Mack, Almur Mavignier, Georg Karl Pfahler, Lothar Quinte, Heinz Schanz, Walter Stöhrer, Mark Tobey, Ben Willikens, Lambert Maria Wintersberger
Zur Eröffnung der Ausstellung Avantgarde der Nachkriegszeit Kunst der 1960er Jahre am Donnerstag, dem 8. März 2018, um 19.30 Uhr laden wir Sie und Ihre Freunde sehr herzlich in die Stuttgarter Galerie ein. Es spricht Dr. Günter Baumann. Die Galerie ist am 8. März bis 21.30 Uhr geöffnet. SALON Am Freitag, dem 6. April, präsentieren wir um 19 Uhr Texte von Max Bense und zur Stuttgarter Schule. Die Werke der Ausstellung finden Sie ab 1. März als OnlineAUSSTELLUNG auf www.schlichtenmaier.de Titelbild: Heinz Mack (geb. 1931) Aus: Kombinationsspiel 1972, 1972 Farbserigraphie, 35 35 cm
Winfred Gaul (1928 2003) Four little roses, 1962 Lack auf Halbkarton, 65 65 cm Zahl und Aufruhr»Eine Zeitung ist aufgeschlagen und man liest zufällig einen Satz, sieht dazu ein Bild und denkt, dass der Weltraum sich auch jetzt gerade wieder ausdehnt.«(rolf Dieter Brinkmann, Die Piloten, 1968) Die klassische Moderne, die sich in Europa bis in die 1950er Jahre hielt, war in Deutschland durch das Trauma des Dritten Reichs und des Weltkriegs arg beschädigt, aber 1945 keineswegs auf einen Nullpunkt zurückgeworfen: Mit dem Tod Willi Baumeisters und Karl Hofers Antipoden im Positionsstreit zwischen Abstraktion und Figuration im Jahr 1955 wird allerdings ein Ende markiert, das Raum für Neuanfänge bot, die oft genug noch etwas Improvisiertes hatten und sich an den Gegebenheiten insbesondere Frankreichs orientierten. Sie kulminierten im Informel, flankiert von verschiedensten figurativen Tendenzen, die sich an
Otto Herbert Hajek (1927 2005) Farbwege 65/2, 1965 Holz, Stahl, bemalt, 62 52 27 cm dessen gestischer Befreiung entlang ein neues Menschenbild erfanden. Mit den 1960ern kam auf, was man später als Post-Moderne bezeichnete, eine neue Unübersichtlichkeit, die nicht zuletzt durch die Selbstvergewisserung der Kunst innerhalb gesellschaftlicher Prozesse einerseits und durch das Bekenntnis zur schöpferischen Intelligenz andrerseits geprägt ist. Man spricht nun von Kunstszenen, die»art world«ersetzt die»artist s world«, immer mehr Künstler suchen und stoßen auf immer mehr Händler und Galeristen, Kritiker und Kuratoren, Sammler und engagierte Betrachter. Die Welt verstrickt sich kulturell und politisch, in jeder Hinsicht des Wortes: Die zwei Documenten 1964 und 1968 werden spürbar internationaler. Die Positionen der Pop Art und der Hyperrealisten strömen nach Europa, fassen dort endgültig auf der Documenta 1972 Fuß. Politisch fiel die Konkurrenz brisanter aus. Der Wettlauf der Machtblöcke zeigte sich bereits in der Wissenschaft 1961 mit dem ersten bemannten Raumflug durch die Russen, 1969 mit dem ersten bemannten
Horst Kuhnert (geb. 1939) Wandrelief, 1965 Polyester, schwarz, weiß, 120 120 cm Flug zum Mond durch die Amerikaner. Zeichnete sich hier die symbolische Dimension einer verschärften Weltpolitik ab, steuerte diese selbst auf neue Katastrophen zu: Berliner Mauerbau (1961), Kuba-Krise (1962), Vietnam-Konflikt und -Krieg (1964 ff.). Dies alles drang in die Gesellschaften ein, sichtbar in den außerparlamentarischen Oppositionen und Studentenunruhen (1968). In der Kunst spürt man die Tragweite besonders in den neuen Gattungen des Happenings oder der Performance, die den Betrachter offensiv einbeziehen. Doch bleiben auch die herkömmlichen Gattungen nicht unberührt: Die Maler und Bildhauer verwerfen den Irrationalismus der Vergangenheit, nicht ohne der Gegenwart mit einem Ungehorsam der Ideen (so ein Werktitel von Max Bense) entgegenzutreten, überzeugt von der Machbarkeit der Kunst als Alternative zur Realität. Das Verhältnis zur Realität wird in der Nachkriegsavantgarde differenzierter, diffuser, die Einflüsse von Außen offensichtlicher: Die Kunst schrieb sich auf die Fahnen, anders zu sein. Das Unbekannte in der Kunst wollte erforscht sein, die
Rupprecht Geiger (1908 2009) Ohne Titel, 1966 Farbserigrafie auf Bristolitkarton, 62 62 cm gestische Willkür des Informel blieb keineswegs unreflektiert, und Altvordere wie HAP Grieshaber stachelten die ehemaligen Schüler auf, den»vater zu schlachten«, was etwa Walter Stöhrer in einer spektakulären (Über-)Malaktion 1968 in Stuttgart tat. Zusammen mit Horst Antes und Heinz Schanz dachte er die Figur neu wer letztlich von ihnen den Kopffüßler erfand, ist irrelevant. Antes machte jedenfalls ein Markenzeichen daraus, das die metamorphotischen Potenziale in der ästhetischen Realität deutlich machte. Der Hang zur Veränderung erfasste die Phantasie, die mit Gegenentwürfen tradierte Gewohnheiten über Bord warf. Parallel zu antiautoritären Gesellschaftsformen machten sich die Künstler frei vom Diktat der Sehgewohnheiten und ablesbarer Inhalte der Kreativität war keine Grenze gesetzt, was etwa Thomas Lenk dazu brachte, die Kunst auf die lakonische Form des Bierdeckels zu reduzieren, um daraus mal monumentale, mal spielerische Schichtungen zu erschaffen. Der Grieshaber-Schüler Lothar Quinte zergliederte die Leinwände mit einer prismatischen Schärfe, die nicht weniger als
Erich Hauser (1930 2004) Säulenwand 2/68, 1969 Norosta, 60 64 30 cm Provenienz: Sammlung Eduard Trier, Köln die beschädigten Figurenbilder etwa von Horst Antes oder Lambert Maria Wintersberger signalisierten: eine neue Zeit bricht an, in der Schrecken und Schönheit, Sinnlichkeit und Verletzlichkeit nahe beieinander, doch stets auf Distanz gehalten werden.»diese muster möglicher welten sind«, so schrieb Ludwig Harig im Hinblick auf den Philosophen und Mathematiker Max Bense,»sind muster möglicher ästhetischer welten. Max Bense, der ästhetische realität als zweiten aspekt der kosmologischen wirklichkeit neben physikalischer realität erscheinen sieht, betont die möglichkeit des machens dieser zweiten realität, ihre herstellbarkeit durch eingriffe in physikalische zustände. diese betonung des fabrizierens als materiale produktion lässt an ein wort oscar wildes denken, daran, dass die kunst wirklich, das leben aber erfunden sei.«so wurde die gegenstandslose, sprich abstrakte Kunst konsequent als Beitrag zur konkreten Wirklichkeit propagiert. Farbe und Form, Linie und Fläche
Paul Jenkins (1923 2012) Phenomena Subl field, 1969 Öl auf Leinwand, 157 127,5 cm blieben, was sie sind. Die zunehmend etablierte Konkrete Poesie gab den Autonomieanspruch des Worts konzentriert, spar- und schweigsam an das Bild weiter und schuf so manchen Brückenschlag zwischen den Künsten. Stuttgart erwies sich mit der Ulmer Hochschule für Gestaltung einmal mehr als Zentrum der Avantgarde: Bense, Döhl, Heißenbüttel, Stankowski hier, der Brasilianer Almir da Silva Mavignier dort. Die Materialität seiner Arbeiten,»gemalte Zeitstrukturen, Punkt-Ereignis-Folgen, anschwellend, abschwellend, ausklingend, anhebend, voller Rhythmik, voller Metrik, voller Zäsuren«, hat Max Bense hervorgehoben und gegen den Verdacht einer gedanken- und mühelosen Oberflächlichkeit verteidigt. Der»ästhetische Sinn eines Kunstwerks«gewährte»Einblick in die artistischen Bedingungen seiner Schönheit«(Bense), die nicht um ihrer selbst Willen da ist, sondern den Geist der 1960er Jahre verkörpert. Die künstlerische Produktion ist oftmals experimentell, das Atelier verlagert sich in die Öffentlichkeit oder wird zum Versuchslabor.
Thomas Lenk (1933 2014) Ohne Titel (Relief), um 1970 Holzspanplatte, weiß/orange, 120 140 cm Peter Brüning, Winfred Gaul, Otto Herbert Hajek und Georg Karl Pfahler suchten noch in den 1950er Jahren den Kontakt zu Willi Baumeister und als Jungkünstler Anschluss an das Informel. Doch nahezu schlagartig, alle in den frühen 1960ern, kehrten sie diesem den Rücken, inspiriert vom frischen Wind aus den USA, und von der Aufbruchstimmung in Deutschland, in der die Künstler auch ihrer demokratisch-gesellschaftlichen Verantwortung bewusst wurden am deutlichsten ist dies bei Hajek erkennbar, dessen»farbwege«öffentliche Signale setzten. Doch auch Gauls und Pfahlers kompromisslose Bekenntnisse zum Hard- Edge, Lenks raumbildende Inn-Skulpturen, Brünings informationsästhetische Städte- und Verkehrsbilder, die skripturalen und ornamentalen Interventionen Rolf-Gunter Diensts oder Gerlinde Becks Fanale aus Technik, Bewegung und Wissenschaft suchten nicht nur einen neu definierten fiktiven, sondern geradezu den öffentlichen Raum, die Öffentlichkeit: Künstler und Betrachter wurden zu Dialog-
Lothar Quinte (1923 2000) Corona Gelb Gelb, 1972 Acryl auf Leinwand, 110 110 cm partnern einer visuellen Kommunikation. Lenk, Pfahler und Heinz Mack, der bereits 1958 die Gruppe Zero mitbegründet hatte, vertraten 1970 gemeinsam ihr Land auf der Biennale in Venedig. Nebenbei bemerkt finden sich auf den Künstlerlisten der dritten und vierten Documenta u.a. die Namen Antes, Brüning, Geiger, Hauser, Jenkins, Lenk und Mavignier, um nur die hier relevanten zu nennen. Der demonstrative Einsatz von Signalfarben sowie neue Materialien wie Kunststoff sei es in den teilweise monumentalen Plastiken von Horst Kuhnert oder als Bestandteil in den Schlauchobjekten Gerhard Hoehmes beförderten ein neues haptisches und optisches Empfinden und unterstrichen die massentaugliche Dimension der Kunst, während Beck und gewissermaßen auch Hauser die Plastik als Klangraum erweiterten. Kurzum: die 1960er Jahre übten in disparaten, krisengeschüttelten Zeiten ein, was nach der Moderne als rationaler, technisch und intellektuell kompatibler Beitrag der Künste möglich war. Günter Baumann
Peter Brüning (1929 1970) Rhein, Nr. 22/66, 1966 Öl auf Leinwand, 140 200 cm Galerie Schlichtenmaier ohg Kleiner Schlossplatz 11 70173 Stuttgart Telefon 0711 / 120 41 51 Telefax 120 42 80 www.schlichtenmaier.de Avantgarde der Nachkriegszeit Kunst der 1960er Jahre Ausstellungsdauer: 8. März bis 7. April 2018 Öffnungszeiten Dienstag bis Freitag 11 19 Uhr Samstag 11 17 Uhr und nach Vereinbarung. Sonn- und Feiertag geschlossen. Die Galerie befindet sich im Zentrum von Stuttgart hinter dem Kunstmuseum am Schlossplatz.