Reichen die Ressourcen? Fachtagung, KV Nordrhein, Düsseldorf, 17.10.2017 Wie entwickelt sich der Patientenbedarf in Zukunft? Implikationen des Wandels Dr. Dominik von Stillfried Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland
Fragen 1. Welche Implikationen ergeben sich aus der demografischen Entwicklung für den Versorgungsbedarf in Nordrhein? 2. Welche Implikationen ergeben sich aus der Entwicklung der Medizin und welche Bedeutung haben Besonderheiten der Versorgungsstruktur? 3. Welche Implikationen ergeben sich für die Verantwortungsträger in der Region Nordrhein? 2
Altersprofil der Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen 3 Quelle: Riens B et al. Arztkontakte im Jahr 2007. Versorgungsatlas-Bericht Nr. 12/02. DOI: 10.20364/VA-12.02 www.versorgungsatlas.de
Demografische Entwicklung Veränderung der Bevölkerungsstruktur Alterung: Weniger Geburten, längere Lebenserwartung = höheres Durchschnittsalter Veränderung der Bevölkerungsanzahl: Gesamtzahl: Verhältnis von Geburten zu Sterbefällen, Migration Anzahl je Altersgruppe: Altersspezifische Lebenserwartung Anzahl je Region: Binnenmigration ( Landflucht ) 4
Bevölkerungsprognose des BBSR 5 5 Inanspruchnahme und Bedarfsplanung, Berlin, 20.04.2016
Räumliche Bevölkerungsprognose des BBSR - + Entwicklung in Nordrhein AG 0-19: -11% AG 20-64: -15% AG 65+ : +40% 6 *Quelle: Raumordnungsprognose 2035 des BBSR
Relativer Beanspruchungsindex (rbix) quantifiziert die Veränderung der Beanspruchung von Vertragsärzten im Zuge des demografischen Wandels relativ zum Basisjahr (2012) Annahme: Altersspezifische Inanspruchnahme bleibt unverändert besteht aus den Komponenten Anzahl und Struktur der Bevölkerung Komponente 1: Was ist aufgrund der reinen Bevölkerungsentwicklung (Anzahl der Köpfe) zu erwarten? Komponente 2: Was ist aufgrund der veränderten Zusammensetzung der Bevölkerung zu erwarten? beide Komponenten ergeben in der Summe rbix 6 5 Prozentuale Veränderung 4 3 2 1 0-1 -2 Komponente 1 Komponente 2 rbix 7
Relativer Beanspruchungsindex (rbix) 8
Relativer Beanspruchungsindex (rbix) 9
Relativer Beanspruchungsindex (rbix) 10
Relativer Beanspruchungsindex (rbix) 11
Relativer Beanspruchungsindex (rbix) Versorgungsbedarf steigt insgesamt an Besonders betroffen sind Fachgruppen, die hohen Anteil an der Versorgung Älterer haben Deutschland wird im Hinblick auf Versorgungsbedarf insgesamt heterogener 12
Nordrhein: Hausärztlicher Versorgungsbedarf 2035 vs 2012, nach Kreisen Kreise aus Bayern Kreise aus Nordrhein Kreise aus Sachsen-Anhalt Quelle: Schulz M et al. Zukünftige relative Beanspruchung von Vertragsärzten Eine Projektion nach Fachgruppen für den Zeitraum 2020 bis 2035. Versorgungsatlas-Bericht Nr. 16/02. DOI: 10.20364/VA-16.02 www.versorgungsatlas.de 13
Nordrhein: Hausärztlicher Versorgungsbedarf 2035 vs. 2012 nach Kreisen Quelle: Schulz M et al. Zukünftige relative Beanspruchung von Vertragsärzten Eine Projektion nach Fachgruppen für den Zeitraum 2020 bis 2035. Versorgungsatlas-Bericht Nr. 16/02. DOI: 10.20364/VA-16.02 www.versorgungsatlas.de 14 Kreisregion Typ rbix Rhein-Sieg-Kreis Verdichtetes Umland 1,21 Kleve Verdichtetes Umland 1,18 Heinsberg Verdichtetes Umland 1,17 Rhein-Erft-Kreis Verdichtetes Umland 1,17 Düren Verdichtetes Umland 1,15 Euskirchen Verdichtetes Umland 1,15 Bonn Kernstädte 1,14 Viersen Verdichtetes Umland 1,11 Städteregion Aachen Verdichtetes Umland 1,11 Rhein-Kreis Neuss Verdichtetes Umland 1,10 Oberbergischer Kreis Verdichtetes Umland 1,09 Bund 1,09 Köln Kernstädte 1,09 Rheinisch-Bergischer KVerdichtetes Umland 1,08 Düsseldorf Kernstädte 1,08 Wesel Verdichtetes Umland 1,07 Mettmann Verdichtetes Umland 1,05 Leverkusen Kernstädte 1,04 Krefeld Kernstädte 1,03 Mönchengladbach Kernstädte 1,03 Oberhausen Kernstädte 1,02 Solingen Kernstädte 1,02 Wuppertal Kernstädte 0,99 Mülheim Kernstädte 0,99 Essen Kernstädte 0,99 Duisburg Kernstädte 0,98 Remscheid Kernstädte 0,94
Nordrhein: rbix-unterschiede nach Fachgruppen und Kreisen rbix 2035 + - 15
Nordrhein: rbix 2035 kartographisch Hausärzte (Mittelbereiche) andere Fachgruppen (Kreise) 16
Implikationen aus der Entwicklung der Medizin den Besonderheiten der Versorgungsstruktur Die medizinische Versorgung je Altersgruppe bleibt nicht unverändert! 17
Die Medizin wird ambulanter zwei wesentliche Faktoren 1. medizinisch-technischer Fortschritt risikomindernde und stationsersetzende Technologien Spezialisierung in der Medizin Niederlassung nach langjähriger Tätigkeit im Krankenhaus 2. Bedeutung chronischer Krankheiten statt akuter Interventionen langfristige Begleitung chronisch behandlungsbedürftiger Patienten Ambulantisierung* = kontinuierlicher Strukturwandel von früher vorwiegend stationärer Behandlung zu stetig wachsendem Anteil ambulanter Behandlung * erstmalige Begriffsbildung: Busse/Wörz KrankenhausReport 2008 18
SVR: Ambulantisierung der Medizin bietet die Chance einer Fortschrittsdividende Der medizinisch-technische Fortschritt (z.b. in den Bereichen Anästhesie, minimalinvasive Chirurgie, Medizintechnik oder auch bei der pharmakologischen Therapie) ermöglicht eine Verlagerung ehemals stationär erbrachter Leistungen in die ambulante Versorgung. In Kombination mit der absehbaren demografischen Entwicklung gewinnt die ambulante Behandlung an Bedeutung: Ein wachsender Anteil bislang stationär behandlungsbedürftiger Patienten benötigt diese Form der Versorgung teilweise nur noch wenige Tage oder zukünftig gar nicht mehr. Die Verlagerung medizinischer Leistungen in den ambulanten Bereich vermag außerdem das Spannungsfeld einer steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen bei weiterhin begrenzten Ressourcen zumindest teilweise zu mindern. (SVR Gesundheit 2012) 19
Ambulantes Potential gemäß SVR 2012 Anteil der Kurzlieger (bis 3 Tage): binnen 10 Jahren von 35% auf 45% gestiegen. 20 Quelle: eigene Berechnungen (Zi) auf Basis der DRG-Statistik des Stat. Bundeamtes
Deutscher ASK-Katalog 22 Kernindikationen Table 2 Sundmacher L et al December 2015 MoCD = management of chronic diseases; OPP EtaD ICT = other primary prevention; = effective treatment of acute disease. = improvement of continuous treatment. 21 19 Inanspruchnahme und Bedarfsplanung, Berlin, 20.04.2016
Deutscher ASK-Katalog 22 Kernindikationen Table 2 Sundmacher L et al December 2015 5 Mio. Aufnahmen (von 18,6 Mio., 2012) wurden als ASK eingestuft (27%) 3,7 Mio. ambulant-sensitive Aufnahmen (75%) wurden als grds. vermeidbar eingestuft MoCD = management of chronic diseases; OPP EtaD ICT = other primary prevention; = effective treatment of acute disease. = improvement of continuous treatment. 22 20
Höchste ASK-(Notfall-)Häufigkeiten: Ruhrgebiet und ländliche Regionen (2013) Regions-/Kreistyp ASK insg. ASK-Notfall Anteil je 100.000 Einwohner (ab 5 Jahre) werktags (tagsüber) Großstadtzentrum 1.927 798 41% nahes Nebenzentrum 1.999 702 35% nahe Umgebung einer Großstadt weitere Umgebung einer Großstadt außerhalb Großstadt-Umgebung 2.038 753 37% 2.421 840 35% 2.535 891 35% Ruhrgebiet 3.160 1.050 33% Quelle: IGES auf Basis von FDZ-Daten 1.S.002 Ambulantes Potenzial in der stationären Notfallversorgung Seite 23
Regionale Unterschiede in der Bedeutung von Aufnahmen über die Notfallambulanzen (2014) Einweisung Notfall Gesamt SH 0,93 0,91 0,93 HH 0,83 0,99 0,93 HB 0,88 0,93 0,91 NI 0,97 1,00 0,98 WL 1,22 1,09 1,15 NO 1,01 1,09 1,05 HE 1,00 0,95 0,98 RLP 1,05 1,09 1,06 BW 0,86 0,84 0,85 BY 0,99 1,01 0,99 BE 0,75 1,05 0,91 SL 1,16 1,03 1,10 MV 1,07 0,96 1,04 BB 1,05 1,06 1,07 SA 1,24 0,99 1,11 TH 1,09 1,06 1,10 S 0,99 0,96 0,97 demografieadjustierte Relationen (Bund = 1), Abrechnungsdaten nach 301 SGB V 24
Steigende Krankenhausfallzahlen aufgrund der Aufnahmen über die Notfallambulanzen Ohne Aufnahmeanstieg aus Notfallambulanzen wären Fallzahlen rückläufig 25 Abrechnungsdaten nach 301 SGB V
Unterschiede in der Versorgungsstruktur wo ist das ambulante Potenzial am meisten ausgeschöpft? Quelle: Czihal T et al. Arbeitsteilung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung (2011/2012). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 14/05. Berlin 2014 DOI: 10.20364/VA-14.05, www.versorgungsatlas.de 26
Fortschrittsdividende : rechnerische Gesamtkosten der demografischen Entwicklung ohne und mit Ausschöpfung des ambulanten Potenzials Quelle: Czihal T et al. Arbeitsteilung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung (2011/2012). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 14/05. Berlin 2014 DOI: 10.20364/VA-14.05, www.versorgungsatlas.de 27
Einsparpotenzial in Nordrhein im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands durch Strukturwandel 28 Kreisregion Nordrhein IST- Versorgungsrelation Einsparpotenzial Fälle (Best-Practice) Finanzvolumen zum Landesbasisfallwert 2015 Duisburg 1,20 38.183 125.171.686 Essen 1,13 36.348 119.154.750 Wesel 1,17 34.077 111.709.701 Köln 0,96 24.415 80.036.238 Kleve 1,19 23.046 75.550.492 Mettmann 1,04 21.243 69.638.890 Städteregion Aachen 1,01 18.515 60.694.123 Düren 1,15 17.421 57.109.231 Viersen 1,10 16.410 53.794.947 Düsseldorf 0,97 16.317 53.489.721 Oberhausen 1,19 16.223 53.180.950 Rhein-Erft-Kreis 0,99 14.627 47.949.762 Wuppertal 1,03 14.400 47.204.519 Mönchengladbach 1,09 13.823 45.314.047 Rhein-Kreis Neuss 0,99 13.640 44.713.950 Rhein-Sieg-Kreis 0,95 12.814 42.005.699 Heinsberg 1,07 12.261 40.195.444 Euskirchen 1,09 9.969 32.678.816 Krefeld 1,04 9.448 30.972.482 Oberbergischer Kreis 1,00 9.335 30.601.110 Remscheid 1,22 9.298 30.479.832 Solingen 1,08 8.179 26.811.495 Mülheim an der Ruhr 1,05 7.813 25.613.238 Bonn 0,94 6.146 20.148.441 Rheinisch-Bergischer Kreis 0,94 5.820 19.078.009 Leverkusen 1,00 5.463 17.907.207 Einsparpotenzial - Fälle (ggü. Best-Practice) 415.231 Finanzvolumen zum Landesbasisfallwert 2015 1.361.204.780 IST-Versorgungsrelation: tatsächliche stationäre Fallzahl / erwarteter Fallzahl aufgrund Alters- und Geschlechtsstruktur des Kreises Versorgungsrelation (Best-Practice): mittlere Versorgungsrelation der 20 Kreise mit mindestens durchschnittl. ambulanter und niedrigster stationärer Inanspruchnahme (0,853) - Datenbasis 2015 - Landesbasisfallwert 2015: 3.278,19
Einsparpotenzial in Nordrhein im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands durch Strukturwandel 29 Kreisregion Nordrhein IST- Versorgungsrelation Einsparpotenzial Fälle (Best-Practice) Finanzvolumen zum Landesbasisfallwert 2015 Duisburg 1,20 38.183 125.171.686 Essen 1,13 36.348 119.154.750 Wesel 1,17 34.077 111.709.701 Köln 0,96 24.415 80.036.238 Kleve 1,19 23.046 75.550.492 Mettmann 1,04 21.243 69.638.890 Städteregion Aachen 1,01 18.515 60.694.123 Düren 1,15 17.421 57.109.231 Viersen 1,10 16.410 53.794.947 Düsseldorf 0,97 16.317 53.489.721 Oberhausen 1,19 16.223 53.180.950 Rhein-Erft-Kreis 0,99 14.627 47.949.762 Wuppertal 1,03 14.400 47.204.519 Mönchengladbach 1,09 13.823 45.314.047 Rhein-Kreis Neuss 0,99 13.640 44.713.950 Rhein-Sieg-Kreis 0,95 12.814 42.005.699 Heinsberg 1,07 12.261 40.195.444 Euskirchen 1,09 9.969 32.678.816 Krefeld 1,04 9.448 30.972.482 Oberbergischer Kreis 1,00 9.335 30.601.110 Remscheid 1,22 9.298 30.479.832 Solingen 1,08 8.179 26.811.495 Mülheim an der Ruhr 1,05 7.813 25.613.238 Bonn 0,94 6.146 20.148.441 Rheinisch-Bergischer Kreis 0,94 5.820 19.078.009 Leverkusen 1,00 5.463 17.907.207 Einsparpotenzial - Fälle (ggü. Best-Practice) 415.231 Finanzvolumen zum Landesbasisfallwert 2015 1.361.204.780 IST-Versorgungsrelation: tatsächliche stationäre Fallzahl / erwarteter Fallzahl aufgrund Alters- und Geschlechtsstruktur des Kreises Versorgungsrelation (Best-Practice): mittlere Versorgungsrelation der 20 Kreise mit mindestens durchschnittl. ambulanter und niedrigster stationärer Inanspruchnahme (0,853) - Datenbasis 2015 - Landesbasisfallwert 2015: 3.278,19
Welche Implikationen ergeben sich für die Verantwortungsträger in der Region Nordrhein? 1. Ambulanter Versorgungsbedarf steigt, regional unterschiedlich; müsste aber noch mehr steigen, wenn Ambulantisierungspotenziale genutzt werden. 2. Ambulantisierung fördern und ambulantes Potenzial ausschöpfen! 3. Klare Ziele benennen: In welche Versorgungsstrukturen soll wo in Nordrhein in den kommenden Jahren investiert werden? 4. Was muss getan werden, um die ambulante Versorgung zu fördern? Bedarfsplanung ambulant und stationär konsequent ausrichten! 5. In den Strukturwandel der ambulanten und stationären Versorgung investieren! Gute Versorgung einer alternden Gesellschaft ist finanzierbar! 6. An Best-Practice-Beispielen orientieren, aber auf regionale Lösungen setzen! 30
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