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PANORAMA Nr. 698 vom 05.06.2008 Verzweifelte Grundschüler Brutale Auslese im Kindesalter Anmoderation Anja Reschke: Hauptschule allein das Wort löst bei vielen inzwischen Schaudern aus. So sehr hat sich in den Gehirnen festgesetzt: mit der Hauptschule wird man nichts, auf die Hauptschule will keiner. Trotzdem hält man in einigen Bundesländern wacker daran fest. Klar, wer an ein dreigliedriges Schulsystem glaubt, braucht auch eine unterste Stufe. Aber da wollen Bildungspolitiker mal gnädig sein, wer nicht auf die Hauptschule möchte, obwohl er dafür eine Empfehlung hat, kriegt noch eine Chance aufzusteigen. Prognoseunterricht heißt diese Chance in Nordrheinwestfalen. Prognoseunterricht bedeutet, man hat als 10-jähriger 3 Tage Zeit, vor fremden Lehrern sein Können zu beweisen. Soviel zum Thema unbeschwerte Kindheit. Stefan Buchen und Iris Ockenfels haben 3 Jungs in ihrer Testphase begleitet. Normaler Schulunterricht, so sieht es aus. Aber es ist ein knallharter Test. Die 10-jährigen im westfälischen Minden wissen: An diesem Montagmorgen entscheidet sich ihre Zukunft. Sie nehmen teil am so genannten Prognoseunterricht. In wenigen Stunden steht fest: Wer darf aufs Gymnasium, die Realschule, wer muss auf die Hauptschule. Für Schüler und Eltern purer Stress. Ich habe mir öfters auch die Frage gestellt, ob das der richtige Weg ist, den wir einschlagen, ob das zu viel Zumutung für meinen Sohn ist. Da hat man dann schon die Anspannung gemerkt. Die Hände waren ganz feucht. Dass dann unter diesem Druck alles schief läuft oder nicht so läuft, wie man sich das wünscht, ist eigentlich vorprogrammiert. Wir haben drei Grundschüler auf dem Weg zu dieser Prüfung begleitet. Yannik, Justin und Chris. Nur noch vier Tage bis zur Prüfung. Chris hasst Mathe, doch jetzt muss er büffeln. Seine Mutter kontrolliert jeden Schritt. Die Angst vor dem Test ist groß. Trotz der guten Vorbereitung.

Ich habe mir aus dem Internet halt die Prüfungen aus dem letzten Jahr rausgezogen. Laut diesem Zettel versuchen wir auch zu üben. Natürlich, richtig vorbereiten geht nicht, weil man weiß ja nicht, was in der Prüfung vorkommt. Warum nimmst Du denn teil an dem Unterricht? Weil ich nicht auf ne Hauptschule kommen will. Seit Chris kürzlich eine Hauptschulempfehlung bekommen hat, ist die Stimmung gedrückt. Jetzt rückt die Stunde der Wahrheit unaufhaltsam näher: Nur wenn er die Prüfung besteht, kann er doch noch auf die Realschule. Normalerweise ist er ein sehr aufgewecktes lustiges Kind, und in den letzten Tagen ist er doch nachdenklich geworden, ruhig geworden und abends sagt er mir schon, er hat Angst vor der Prüfung, er hat Angst zu versagen. Einfach ausgelassen spielen und toben wie sonst das macht Chris in letzter Zeit selten. Richtig abschalten kann er dabei sowieso nicht. Dafür ist er viel zu aufgeregt. Ich kann jetzt nicht mehr einschlafen. Früher war es eigentlich viel besser. Da konnte ich immer ruhig einschlafen. Und jetzt mache ich mir einen Kopf immer darüber. Auch für den stillen Yannik wird der Druck von Stunde zu Stunde größer. Er muss in wenigen Tagen beweisen, dass er das Zeug zur Realschule hat. Seine Mutter hat ihn zum Test angemeldet. Yannik weiß genau, warum er nicht auf die Hauptschule will. Yannik, Grunschüler: Ich möchte auch ne vernünftige Arbeit finden, und ich möchte mit den vernünftigsten Kindern in meiner Klasse zusammenkommen. Ich meine, er ist eigentlich zu jung, aber ich denke, man muss auch in die Zukunft denken, und ein Hauptschüler hat es schwer, in den Beruf zu kommen und dann auch den richtigen Beruf. Justin versucht sich abzulenken, noch dreimal schlafen, dann ist Prüfung.

Warum musst du diesen Test machen? Justin, Weil wir ja wollten, dass ich auf die Realschule komme, aber die Schule hat das ja anders eingeschätzt hat, dass ich auf Gesamt- oder Hauptschule komme. Justin, der Handballfan, würde am liebsten Profisportler werden. Seine Eltern wollen vor allem eine gute Schulbildung für ihn. Jetzt tickt die Uhr bis zum gefürchteten Test. Und aus den Zukunftsträumen ist Angst geworden auch wenn Justin das nicht zeigt seine Mutter merkt es. Jedes Kind will innerlich auch seinen Eltern gerecht werden, auch wenn die Eltern sagen, es ist nicht schlimm, es macht nichts, aber trotzdem dieser Druck ist schon da, ich möchte nicht Mama enttäuschen, nicht Papa enttäuschen, ich will doch auch gut sein. Bei Justin kommt noch hinzu, er hat zwei Schwestern, die sind auf dem Gymnasium. Und da sagt er, ich kann das auch, baut natürlich immer mehr Druck auf. Heute ist es soweit: Tag der Prüfung. Seine Mutter bringt Chris zum Test. Die Prüferin spricht Eltern und Kindern Mut zu. Doris Dockhorn, Prüferin: Das ist etwas ganz Besonderes, was Ihre Kinder hier machen, dass die den Mut haben, in eine ganz fremde Schule zu ganz fremden Lehrern zu gehen. Seien Sie stolz auf diese Kinder, und auch wenn die heute nach Hause kommen und erzählen, da war ich unsicher und da war ich unsicher, bestärken Sie sie einfach. Denn das ist wirklich was Besonderes, wenn man sich in dem Alter so einer Situation stellt. Und dann geht s los. Fremde Lehrerinnen als Tester. Sie kennen ihre Prüflinge vorher nicht, fällen in wenigen Unterrichtsstunden ihr Urteil über die Schüler. Dieser Prognoseunterricht läuft zeitgleich in ganz Nordrheinwestfalen. Wenn Justin, Chris und Yannik sich hier nicht gut präsentieren, müssen sie zur Hauptschule. Die soziale Auslese des deutschen Schulsystems hier wird sie auf die Spitze getrieben. Aus Sicht der Lehrer eine sinnvolle Sache? Begeisterung klingt anders. Doris Dockhorn, Prüferin: Es ist eine gesetzliche Vorschrift, die wir zunächst jetzt im Augenblick einfach durchführen müssen. Wir hätten sicher eine viel fundiertere Aussage für die Schulentwicklung von Kindern, wenn wir wenigstens eine sechsjährige Grundschulzeit hätten. Das ist ganz klar, und das bestreitet eigentlich auch niemand. Zwei Tage nach der Prüfung: Wir besuchen Yannik noch einmal. Der hat inzwischen Post bekommen.

Das Herz pochte bis zum Hals. Mein Sohn war gerade oben in seinem Zimmer. Dann hab ich ihm gesagt, dass das Ergebnis halt negativ ist, dass er ihn nicht bestanden hat, den Prognoseunterricht. Und dann hab ich ihn nach seinem Gefühl gefragt, warum er jetzt meint, dass er es nicht geschafft hat. Und Yannik? Yannik, Ich war sehr traurig, und dann bin ich auch gleich auf mein Zimmer gegangen. Und war da erst mal für kurze Zeit. Das ist auf jeden Fall ein Versagenserlebnis für meinen Sohn, weil er sich auch gleich zurückgezogen hat, ohne dann großartig weiter mit mir darüber zu sprechen, wie er sich jetzt fühlt. Hallo. Grundschüler : Hallo. Wir wollen mal reinkommen, Chris. Wie geht s? Gut. Warum geht s gut? Grunschüler: Weil ich bestanden hab.

Und da ist auch mal eine Freudesträne geflossen, weil für uns war es doch ein wichtiger Schritt für seine Zukunft. Chris hat seine Chance bekommen, darf jetzt auf die Realschule. Aber der Druck war enorm. Das frühe Selektieren - aus Sicht der Mutter nicht kindgerecht. Man sollte eine bessere Alternative finden. Ein anderes Schulsystem. Von der 1. bis zur 6. oder 7. Klasse. Und dann letztendlich sind die Kinder auch reifer, um zu wissen, dass das wirklich für die Zukunft ist. Bei der Familie von Justin: Große Enttäuschung. Er muss trotz aller Mühen zur Hauptschule. Weißt Du noch, was Du gedacht hast, als Du das Ergebnis bekommen hast? Justin, Dass ich es einfach ignoriert hab. Ich hab s nicht geschafft, also habe ich es nicht geschafft. Es wäre zwar schöner, wenn ich es geschafft hätte, aber es hat halt nicht geklappt, und dann kann man auch nichts mehr machen. Wenn Justin irgendwie studieren möchte oder so, dann ist natürlich der ganze Weg versperrt. Also das geht schon mal gar nicht. Und in der heutigen Zeit ist Hauptschule sowieso gleichzusetzen mit fast nichts. Natürlich - rein theoretisch kann auch Justin Abschlüsse nachholen, irgendwann noch studieren. Nur praktisch passiert das in Deutschland fast nie. Bericht: Kamera: Schnitt: Stefan Buchen, Iris Ockenfels Peter Linsken Rouven Schröder