Grand Tour. Als Reisen eine Kunst war. von Manuel Wiese

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Transkript:

Grand Tour Als Reisen eine Kunst war von Manuel Wiese für die Exkursion Auf den Spuren des Aeneas: Von Campania felix nach Latium" im Sommersemester 2017

Was ist die Grand Tour? Grand Tour = eine Bildungsreise für Sprösslinge bürgerlicher und gehobener Schichten (in Deutschland eher bürgerlich, in England nur adelig) vorwiegend im 17. und 18. Jahrhundert hauptsächlich Reisen nach Italien, aber auch nach Frankreich, in die Schweiz und nach Deutschland

Warum Italien? Klima antike Kunstwerke Höfe / Vatikan Regierungsformen Universitäten

Das Vorbild der Grand Tour Homer stellt uns Odysseus als den weisesten aller Griechen vor, denn er war viel gereist und hatte die Städte und Sitten vieler Völker gesehen ( ). Auch der junge Mensch von heute sollte nach Italien reisen und seinen Geist durch die Größe und die Grundsätze eines Landes bereichern, das die ganze Welt zivilisiert hat und die Menschheit lehrte, was es bedeutet, Mensch zu sein. Richard Lassels, in An Italian Voyage (1635)

Erste Reisende im 17. Jahrhundert John Locke ( Vater des Liberalismus, Empirist, beeinflusst indirekt die Verfassung der USA) Thomas Hobbes (Werk: Leviathan, Begründer des aufgeklärten Absolutismus) John Milton (Aufklärer, Kampf für Freiheit und Selbstbestimmung, Gedicht: Paradise Lost ) Die englischen Adeligen begründen die Grand Tour im 17. Jahrhundert.

Die Triebfedern Neugier und Erfahrung für die Grand Tour Begriff der Neugier: sinnlich Wahrnehmbares, Sammeln und Katalogisieren von Kunstwerken und seltenen Naturalien, Studium der Sitten und Gebräuche, Analyse von Regierung und Recht, Erforschung von ganzen Völkern Begriff der Erfahrung: geistiger Prozess, in dem die Phänomene der Neugier begriffen und geordnet werden

Zweck der großen Rundreise Erziehung Bildung Lehre in Diplomatie und Staatswesen Befreiung von nationalen Vorurteilen zur Abrundung eines Universitätsstudiums generell: Der junge Mann soll vom Jugendlichen zum Erwachsenen reifen und sich erneuern! Der Kontrast von Bekannten und Unbekanntem, Vertrautem und Fremdem soll erfahren werden. auch: sexuelle Reife

Die Kunst des Lebens erlernt man nicht im Studierzimmer Reisende oft zwischen 16 und 22 Jahren alt sollen die Herausforderungen der Zeit meistern lernen Vollendung der Bildung aber: Viele junge Männer sind nach einer langen Reise unfähiger, sich einer Arbeit oder dem Studium zu widmen. auch: Vertrautheit mit dem Laster, um an Unterhaltungen mit den Alten teilnehmen zu können Problem: Heimkehrer verachten zusehends die Ehe und versuchen sogar, andere davon zu überzeugen. In Reiseführern wird daher später vor Kupplern und Prostituierten gewarnt. Die englischen Touristen in Paris trinken bis um zwei ( ) Uhr morgens, dann gehen sie nach Hause, es sei denn sie enden in irgendeinem Bordell, über das sie unterwegs gestolpert sind. (englische Zeitung von 1725)

Das 18. Jahrhundert als die Blütezeit der Grand Tour Die Grand Tour hinterlässt tiefe Spuren in der Literatur, vor allem in der Gattung des Romans. Voltaire will z.b. durch die auf Reisen gesammelten empirischen Daten das Wissen über den Menschen als Naturwesen vertiefen. Alles, was eng mit der menschlichen Natur zusammenhängt, ist sich von einem zum anderen Ende der Welt ähnlich; alles, was von den Sitten abhängen kann, ist unterschiedlich, und es ist reiner Zufall, wenn es sich ähnelt. ( ) Die Natur hingegen verbreitet Einheit; überall errichtet sie eine kleine Anzahl unveränderlicher Gesetze: So ist der Boden überall derselbe, und die Kultur bringt unterschiedliche Früchte hervor. (Voltaire) Man reist, um andere Sitten und Gebräuche zu beobachten, nicht um sie zu kritisieren. (Montesquieu während seiner Italien- Rundreise) Auch Goethe reist im 18. Jahrhundert durch Italien.

Die Reisebücher Addison (engl. Dichter) und Defoe (engl. Schriftsteller) legen im 17. Jhdt. die Regeln für das travel book fest. Die Formel miscere utile dulci von Horaz steht im Vordergrund: Ein Reisebuch, dessen Gegenstände von allgemeiner Bedeutung sind und angemessen behandelt werden, stellt eines der fesselndsten und lehrreichsten literarischen Erzeugnisse dar. In einem solchen Buch bemerkt man eine gelungene Mischung des utile und des dulce; es unterhält und regt die Phantasie an, ohne Zuflucht zur romanhaften Fiktion nehmen zu müssen; es liefert uns eine große Menge an nützlichen und erbaulichen Informationen, ohne die Langeweile einer systematischen Behandlung. Es fördert und erleichtert die Beziehung zwischen weit voneinander entfernten Städten; es reinigt unseren Geist von unvernünftigen, trüben Vorurteilen gegenüber Gebräuchen, Sitten, Religions- und Regierungsformen, in denen wir nicht erzogen worden sind; [ ] (Critical Review, 1170) Das bedeutendste Reisebuch in deutscher Sprache ist Italienische Reise von Johann Wolfgang von Goethe, in der er seine Italien-Reise zwischen September 1786 und Mai 1788 aufschreibt.

Der empfindsame Reisende Die Sentimental Journey (1768) von Sterne führt den empfindsamen Reisenden in die Reiseliteratur ein. Der subjektive und egozentrische Erzähler wurde bisher immer ausgeblendet. Die Hinfälligkeit des man of feeling soll im Kontrast zur Großartigkeit der Natur dargestellt werden. So werden z.b. Ruinen verherrlicht und die Gefühle beschrieben, die diese hervorrufen Auf diese Weise soll ein Vergleich zwischen Heute und Damals hergestellt werden. Dieses Gefühl des Erhabenen (nach Schiller) ist eine Mischung aus Entzücken und Wehsein. Es ruft Lust und auch Enttäuschung hervor.

Reiserouten der Grand Tour nach und in Italien Zugang zu Italien hauptsächlich über den Brenner (Österreich), Sankt Gotthard (Schweiz) oder über das Meer (Genua) erste Stationen: Venedig, Mailand, Turin, Genua weiter über: Parma, Piacenza, Bologna, Florenz Ziel: Rom oft weitere Stationen: Neapel, Pompeji / Herculaneum, Paestum, Sizilien selten: Cilento, Kalabrien, restliches Mezzogiorno

Goethes Italienische Reise Hinreise: Karlsbad/Karlovy Vary (CZ) München Bozen Verona Venedig Florenz Rom Neapel Vesuv/Pompeji/ Herculaneum/Paestum Sizilien Rückreise: Sizilien Neapel Rom Florenz Bologna Parma Piacenza Mailand ( Deutschland)

Et in Arcadia ego! Goethe betrachtet Italien als das reale Arkadien (griechischer Ort der Idylle), in dem er sich selbst wieder finden will. Er hadert mit seiner Doppelbelastung als Amtsmensch in Weimar und seiner eigentlichen Berufung als Dichter und Schriftsteller. Die ersten 10 Jahre in Weimar waren sehr unproduktiv. Goethe stört sich zusehends an den höfischen Pflichten. Am 3.9.1786 bricht er ohne Abschied und unerwartet von einer Kur in Karlsbad nach Italien auf. Er benutzt den Decknamen Johann Philipp Möller, um in Italien nicht erkannt zu werden und sich frei bewegen zu können.

Die erste große Station: der Brenner Goethe öffnet seinen Blick von vorneherein von der Studierstube weg hin auf Kulturen, Menschen, Pflanzen und generell Formen. Ihm geht es um ein Erfahrung des Gesamten, aus der er Profit für sich ziehen will. Vom Äußern des Menschengeschlechts habe ich so viel aufgefaßt. Die Nation ist wacker und gerade vor sich hin. Die Gestalten bleiben sich ziemlich gleich, braune, wohlgeöffnete Augen und sehr gut gezeichnete schwarze Augenbraunen bei den Weibern; dagegen blonde und breite Augenbraunen bei den Männern. Diesen geben die grünen Hüte zwischen den grauen Felsen ein fröhliches Ansehn. Gleichzeitig sammelt er auch Blätter und ordnet diese. Später werden diese Erfahrungen in Goethes Idee der Urpflanze münden.

Verona der erste Kontakt mit der Antike Das Amphitheater ist also das erste bedeutende Monument der alten Zeit, das ich sehe, und so gut erhalten! [ ] [Der Architekt] bereitet einen solchen Krater durch Kunst, so einfach als nur möglich, damit dessen zierat das Volk selbst werde. Wenn es sich so beisammen sah, mußte es über sich selbst erstaunen; denn da es sonst nur gewohnt, sich durcheinander laufen zu sehen, sich einem Gewühle ohne Ordnung und sonderliche Zucht zu finden, so sieht das vielköpfige, vielsinnige, schwankende, hin und her irrende Tier sich zu einem edlen Körper vereinigt, zu einer Einheit bestimmt, in eine Masse verbunden und befestigt, als eine Gestalt, von einem Geiste belebt. Es liegt in meiner Natur, das Große und Schöne willig und mit Freuden zu verehren, und diese Anlage an so herrlichen Gegenständen [Büsten, Gemälde, Ruinen] Tag für Tag, Stunde für Stunde auszubilden, das ist das seligste aller Gefühle.

Die Arena von Verona

Goethes erste Begegnung mit Rom In Rom freundet sich Goethe mit dem deutschen Maler Tischbein an, der das Gemälde Goethe in der Campagna anfertigt. Er wird sein Reisebegleiter, mit dem er später nach Neapel aufbricht. Reisebegleiter waren auf einer Grand Tour eher die Regel als die Ausnahme.

Goethes Wiedergeburt in Rom Gestehen wir jedoch, es ist ein saures und trauriges Geschäft, das alte Rom aus dem neuen herauszuklauben [ ]. Man trifft Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung, die beide über unsere Begriffe gehen. Was die Barbaren stehenließen, haben die Baumeister des neuen Roms verwüstet. [ ] Und dieses Ungeheure wirkt ganz ruhig auf uns ein, wenn wir in Rom hin und her eilen, um zu den höchsten Gegenständen zu gelangen. [ ] Wie man geht und steht, zeigt sich ein landschaftliches Bild aller Art und Weise, Paläste und Ruinen, Gärten und Wildnis, Fernen und Engen, Häuschen, Ställe, Triumphbögen und Säulen, oft alles zusammen so nah, daß es auf ein Blatt gebracht werden könnte. Man müßte mit tausend Griffeln schreiben, was soll hier eine Feder! [ ] Goethe zeigt sich total überwältigt von Rom und seiner Geschichte, ignoriert aber das Volk und seine Gepflogenheiten (im Gegensatz zu Neapel). Auch die römischen Altertümer fangen an mich zu freuen. Geschichte, Inschriften, Münzen, von denen ich sonst nichts zu wissen mochte, alles drängt sich heran. Wie mir s in der Naturgeschichte erging, geht es auch hier, denn an diesen Ort knüpft sich die ganze Geschichte der Welt an, und ich zähle einen zweiten Geburtstag, eine wahre Wiedergeburt, von dem Tage, da ich Rom betrat.

Kapitol: Goethes Zeichnungen in Rom (Beispiele) Villa Medici:

Goethe später über seine Tätigkeit als Bildkünstler In Italien suchte Goethe "den entscheidenden qualitativen Schritt vom bloßen Liebhaber zum bildenden Künstler zu tun" und unterzog sich während des zweiten Romaufenthaltes einem selbst auferlegten Curriculum, um Ideal und Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Jedoch mußte Goethe die Grenzen seines bildkünstlerischen Schaffens erkennen: Ich bin fleißig und vergnügt und erwarte so die Zukunft. Täglich wird mir's deutlicher, daß ich eigentlich zur Dichtkunst geboren bin und daß ich die nächsten zehn Jahre, die ich höchstens noch arbeiten darf, dieses Talent exkolieren und noch etwas Gutes machen sollte, da mir das Feuer der Jugend manches ohne großes Studium gelingen ließ. Von meinem längern Aufenthalt in Rom werde ich den Vorteil haben, daß ich auf das Ausüben der bildenden Kunst Verzicht tue.

Goethes Lobeshymne auf Neapel Daß kein Neapolitaner von seiner Stadt weichen will, daß ihre Dichter von der Glückseligkeit der hiesigen Lage in gewaltigen Hyperbeln singen, ist ihnen nicht zu verdenken, und wenn auch noch ein paar Vesuve in der Nachbarschaft stünden. Man mag sich hier an Rom gar nicht zurückerinnern; gegen die hiesige freie Lage kommt einem die Hauptstadt der Welt im Tibergrunde wie ein altes, übelplaciertes Kloster vor. Und so gibt es noch manche originale Unterhaltung, wenn man mit dem Volke lebt; es ist so natürlich, daß man mit ihm natürlich werden könnte. In Neapel beginnt Goethe, sich immer mehr für die Menschen und die Kulturen zu interessieren und die ihm aus Deutschland angewohnte Sitte, immer nur Bauwerke und Gemälde zu betrachten, abzulegen. Hier findet er seine Natürlichkeit wieder, die seine Reise nach Italien zu einem Wendepunkt in seiner Biografie macht. Er gelangt zu neuer Jugend, wie er einmal sagt. allgemein zu seinen Aufenthalten in Rom und Neapel: Im Schutze des Inkognitos [ ] konnte er sich in einfachen Gesellschaftsschichten bewegen, seiner Freude an Spielen und Späßen freien Lauf lassen und erotische Erfahrungen machen. Roberto Zapperi, in Das Inkognito. Goethes ganz andere Existenz in Rom.

Goethe über Pompeji und Herculaneum Sonntag waren wir in Pompeji. [ ] Die Häuser sind klein und eng, aber alle inwendig aufs zierlichste gemalt. Das Stadttor merkwürdig, mit den Gräbern gleich daran. Das Grab einer Priesterin als Bank im Halbzirkel mit steinerner Lehne, daran die die Inschrift mit großen Buchstaben eingegraben. Über die Lehne hinaus sieht man das Meer und die untergehende Sonne. Ein herrlicher Platz, des schönen Gedankens wert. Über Herculaneum: Jene alte Stadt, am Fuße des Vesuvs liegend, war vollkommen mit Lava bedeckt, die sich durch nachfolgende Ausbrüche erhöhte, so daß die Gebäude jetzt sechzig Fuß unter der Erde liegen. [ ] Jammerschade, daß die Ausgrabung nicht durch deutsche Bergleute recht planmäßig geschehen; denn gewiß ist bei einem zufällig räuberischen Nachwühlen manches edle Altertum vergeudet worden.

Goethes Gedanken in Paestum In einem beiliegenden Blatte sag' ich etwas über den Weg nach Salerno und über Pästum selbst; es ist die letzte und, fast möcht' ich sagen, herrlichste Idee, die ich nun nordwärts vollständig mitnehme. Auch ist der mittlere Tempel nach meiner Meinung allem vorzuziehen, was man noch in Sizilien sieht. Was den Homer betrifft, ist mir wie eine Decke von den Augen gefallen. Die Beschreibungen, die Gleichnisse etc. kommen uns poetisch vor und sind doch unsäglich natürlich, aber freilich mit einer Reinheit und Innigkeit gezeichnet, vor der man erschrickt. Selbst die sonderbarsten erlogenen Begebenheiten haben eine Natürlichkeit, die ich nie so gefühlt habe als in der Nähe der beschriebenen Gegenstände. Laß mich meinen Gedanken kurz so ausdrücken: sie stellten die Existenz dar, wir gewöhnlich den Effekt; sie schilderten das Fürchterliche, wir schildern fürchterlich; sie das Angenehme, wir angenehm u.s.w. Daher kommt alles Übertriebene, alles Manierierte, alle falsche Grazie, aller Schwulst. Denn wenn man den Effekt und auf den Effekt arbeitet, so glaubt man ihn nicht fühlbar genug machen zu können. Wenn, was ich sage, nicht neu ist, so hab' ich es doch bei neuem Anlaß recht lebhaft gefühlt. Nun ich alle diese Küsten und Vorgebirge, Golfe und Buchten, Inseln und Erdzungen, Felsen und Sandstreifen, buschige Hügel, sanfte Weiden, fruchtbare Felder, geschmückte Gärten, gepflegte Bäume, hängende Reben, Wolkenberge und immer heitere Ebnen, Klippen und Bänke und das alles umgebende Meer mit so vielen Abwechselungen und Mannigfaltigkeiten im Geiste gegenwärtig habe, nun ist mir erst die Odyssee ein lebendiges Wort.

Goethes zweiter Rom-Aufenthalt Nachdem Goethe nun noch in Sizilien gewesen ist, fühlt er sich aufgrund seiner Erlebnisse frei und ungebunden. Ich werde oft schreiben [ ]. Tasso kommt nach dem neuen Jahre. Faust soll auf seinem Mantel als Kurier meine Ankunft melden. [ ] Ich lebe in Reichtum und Überfluß alles dessen, was mir eigens lieb und wert ist [ ]. Denn es legt sich nun auseinander, und die Kunst wird mir wie eine zweite Natur, die gleich der Minerva aus dem Haupte Jupiters, so aus dem Haupte der größten Menschen geboren worden. [ ]

Goethes Resümee (I) Nachdem ich den langen Korso, wohl zum letztenmal, durchwandert hatte, bestieg ich das Kapitol, das wie ein Feenpalast in der Wüste dastand. Die Statue Mark Aurels rief den Kommandeur in»don Juan«zur Erinnerung und gab dem Wanderer zu verstehen, daß er etwas Ungewöhnliches unternehme. Dessen ungeachtet ging ich die hintere Treppe hinab. Ganz finster, finstern Schatten werfend, stand mir der Triumphbogen des Septimius Severus entgegen; in der Einsamkeit der Via Sacra erschienen die sonst so bekannten Gegenstände fremdartig und geisterhaft. Als ich aber den erhabenen Resten des Koliseums mich näherte und in dessen verschlossenes Innere durchs Gitter hineinsah, darf ich nicht leugnen, daß mich ein Schauer überfiel und meine Rückkehr beschleunigte. Alles Massenhafte macht einen eignen Eindruck zugleich als erhaben und faßlich, und in solchen Umgängen zog ich gleichsam ein unübersehbares Summa Summarum meines ganzen Aufenthaltes. Dieses, in aufgeregter Seele tief und groß empfunden, erregte eine Stimmung, die ich heroisch-elegisch nennen darf, woraus sich in poetischer Form eine Elegie zusammenbilden wollte. Und wie sollte mir gerade in solchen Augenblicken Ovids Elegie nicht ins Gedächtnis zurückkehren, der, auch verbannt, in einer Mondnacht Rom verlassen sollte.»cum repeto noctem!«seine Rückerinnerung, weit hinten am Schwarzen Meere, im trauer- und jammervollen Zustande, kam mir nicht aus dem Sinn, ich wiederholte das Gedicht, das mir teilweise genau im Gedächtnis hervorstieg, aber mich wirklich an eigner Produktion irre werden ließ und hinderte; die auch, später unternommen, niemals zustande kommen konnte.

Goethes Resümee (II) Wandelt von jener Nacht mir das traurige Bild vor die Seele, Welche die letzte für mich ward in der römischen Stadt, Wiederhol' ich die Nacht, wo des Teuren soviel mir zurückblieb, Gleitet vom Auge mir noch jetzt eine Träne herab. Und schon ruhten bereits die Stimmen der Menschen und Hunde, Luna, sie lenkt' in der Höh' nächtliches Rossegespann. Zu ihr schaut' ich hinan, sah dann kapitolische Tempel, Welchen umsonst so nah unsere Laren gegrenzt. Cum subit illius tristissima noctis imago, Quae mihi supremum tempus in Urbe fuit; Cum repeto noctem, qua tot mihi cara reliqui; Labitur ex oculis nunc quoque gutta meis. Iamque quiescebant voces hominumque canumque: Lunaque nocturnos alta regebat equos. Hanc ego suspiciens, et ab hac Capitolia cernens, Quae nostro frustra iuncta fuere Lari.

Literatur: Brilli, Attilio: Als Reisen eine Kunst war. Vom Beginn des modernen Tourismus: Die <Grand Tour>, Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2012 Goethe, Johann Wolfgang: Italienische Reise, Insel Verlag Berlin 1976 Gray, Ezio Maria: Auf Goethes Spuren in Italien, Ente Nazionale Industrie Turistiche Mailand 1932 Imorde, Joseph: Die Grand Tour in Moderne und Nachmoderne, Max Niemeyer Verlag Tübingen 2008 Knoll, Gabriele: Kulturgeschichte des Reisens. Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub, Primus Verlag Darmstadt 2006 Miller, Norbert: Der Wanderer. Goethe in Italien, Carl Hanser Verlag München 2002