Elfriede Muska Lebenspraktische Fertigkeiten und Orientierung und Mobilität kurz: LPF und O&M Im Februar 2008 startete die Johann Wilhelm Klein-Akademie Würzburg in Zusammenarbeit mit dem Odilien-Institut Graz den Akademielehrgang zum/zur diplomierten Rehabilitationslehrer/in für Lebenspraktische Fertigkeiten und für Orientierung und Mobilität. Allgemeines Ziel des Akademielehrganges ist der Erwerb der praktischen und theoretischen Voraussetzungen für den Unterricht in den Bereichen Lebenspraktische Fertigkeiten und Orientierung und Mobilität bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Sehbehinderung oder Blindheit und die damit verbundene Beratung von Personen, die mit den Betroffenen leben oder arbeiten. Wichtiger Bestandteil ist dabei die Selbsterfahrung im Einzelunterricht nach spezifischen Methoden, d.h. das Erlernen der Fertigkeiten unter der Augenbinde bzw. Simulationsbrille, um für die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Sehbehinderung oder Blindheit sensibilisiert zu werden. Spezielle Hilfsmittel und Geräte werden praktisch erprobt, Hospitationen und Praktika vervollständigen die Inhalte des Akademielehrganges. Acht Personen aus Österreich und der Schweiz nehmen an diesem 2 ½ -jährigen Lehrgang (sämtliche Lehrveranstaltungen finden geblockt statt) teil, um sehbehinderten und blinden Menschen Techniken zu vermitteln, die diese befähigen, den Alltag selbstständig zu bewältigen und sich sicher fortzubewegen. Im neuen Lehrplan der Sonderschule für blinde Kinder (wirksam ab dem Schuljahr 2008/09) werden im Rahmen der Verbindlichen Übungen einzelne Blindenspezifische Übungen angeführt, die dem/r Schüler/in in einem individuellen Ausmaß vermittelt werden müssen. Ausgehend vom Entwicklungsstand, dem Schweregrad der Sehbeeinträchtigung und den speziellen Bedürfnissen soll eine umfassende Förderung der einzelnen Schüler und Schülerinnen erzielt werden. Blindenspezifische verbindliche Übungen sind: Orientierung und Mobilität Lebenspraktische Fertigkeiten Blindenspezifische Schriftsysteme Anwendung elektronischer Hilfsmittel Low Vision Tasterziehung Hörerziehung Orientierung und Mobilität Blindheit und starke Sehbehinderung schränken die Bewegungsfreiheit und Orientierungsfähigkeit des Menschen ein. Der O&M Unterricht verbessert die Fähigkeiten von blinden und sehbehinderten Menschen, sich in der Umwelt 60
selbstständig, zielgerichtet und sicher zu bewegen. Die Inhalte richten sich nach den Wünschen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der betroffenen Personen. O&M wird vom Vorschulalter bis ins hohe Alter im Einzelunterricht durchgeführt. Inhalte des O&M Unterrichts: Gehörschulung (Richtungshören Ausrichten an Schallquellen) Tastschulung Systematische Suchtechniken Körperschutztechniken Langstocktechniken Sehende Begleitung Orientierung: Räumliche Konzepte, Richtungen einhalten und ändern, Drehungen, markante Punkte erkennen, Routen gehen,... Erarbeitung von Umweltmustern: Verkehrsregeln, Verhalten im Verkehr, Überqueren in der Blockmitte, Ampel, Rolltreppen, Lifte, Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel,... Soziale Interaktion: Kontaktaufnahme mit fremden Personen, Informationen erfragen, Hilfe gezielt annehmen bzw. ablehnen,... Einsatz von taktilen, akustischen, optischen und elektronischen Medien: mit taktilen Plänen arbeiten, Skizzen, Kompasse, optische Hilfsmittel,... 61
Lebenspraktische Fertigkeiten umfassen Alltagstätigkeiten, die es einem Menschen ermöglichen, sein Leben selbstbestimmt und unabhängig zu gestalten. Der Unterricht in LPF wird vom Rehalehrer im Einzelunterricht oder auch integriert in der Klasse durchgeführt. Die Unterrichtsinhalte werden auf die spezifischen Bedürfnisse des Kindes, seine Vorkenntnisse, Fähigkeiten und motorischen Erfahrungen abgestimmt. 62
Beispiele für lebenspraktische Fertigkeiten: Erarbeitung von Ordnungsstrukturen zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Schultasche,... Richtiges An- und Ausziehen, Begriffsbildung, Handhabung verschiedener Verschlüsse,... Essensfertigkeiten: Orientierung am Teller, richtige Handhabung des Bestecks, Eingießen von Flüssigkeiten,... Körperpflege Kleiderpflege Kochen: verschiedene Speisen zubereiten können, Messen, Wägen, Schälen, Schneiden,... Werken: Umgang mit verschiedenen Werkzeugen und Hilfsmitteln, wie Schere, Hammer, Nadel, Zwirn, Klebstoff,... 63
Kommunikationsfertigkeiten: Geld erkennen, Telefonieren, Handy, Umgang mit elektronischen Hilfsmitteln, Punktschrift (Voll -bzw. Kurzschrift), Kennen lernen der Schwarzschriftbuchstaben, Unterschrift Alltägliche Tätigkeiten zu beherrschen und zu verrichten sind für sehende Menschen eine Selbstverständlichkeit, nicht aber für blinde und sehbehinderte Menschen. Setzen Sie einmal eine Augenbinde oder eine Simulationsbrille auf und probieren Sie z.b: Spaghetti zu essen, ein Getränk einzugießen, einkaufen zu gehen, und Bankgeschäfte zu erledigen. Sie werden schnell an Ihre persönlichen Grenzen stoßen und ganz gut einige Tipps gebrauchen können. Diese Tipps bzw. Trainings und Unterrichtseinheiten sollten ab September 2009 alle blinden und sehbehinderten Schüler/innen innerhalb ihrer Unterrichtszeit erhalten. So erlernen sie in vertrauter Atmosphäre durch den/die Rehabilitationslehrer/in alltägliche Handlungen selbstständig zu verrichten und sich grundlegende Orientierungsfertigkeiten anzueignen. Nur so entsteht bei den Kindern und Jugendlichen ein gesundes Selbstbewusstsein, das Gefühl von Unabhängigkeit und Integration in unserer Gesellschaft. 64
Zur Autorin: Dipl.Päd. VObLn Elfriede Muska ist Lehrerin an der Volks- und Hauptschule für sehbehinderte Kinder in Wien 15., Zinckgasse 12-14 Nach 15-jähriger Tätigkeit in der Volksschule 14., Diesterweggasse 30 wechselte ich nach meiner Ausbildung zur Sonderschullehrerin für blinde und sehbehinderte Kinder in das SPZ für sehbehinderte Kinder, Zinckgasse 12-14, 1150 Wien und unterrichte dort seit dem Schuljahr 2000/01. Seit Februar 2008 absolviere ich den Akademielehrgang zur diplomierten Rehabilitationslehrerin für Lebenspraktische Fertigkeiten (LPF) und für Orientierung & Mobilität (O&M). 65