Susanne Kaul Einführung in das Werk Franz Kafkas

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Transkript:

Susanne Kaul Einführung in das Werk Franz Kafkas

Einführungen Germanistik Herausgegeben von Gunter E. Grimm und Klaus-Michael Bogdal

Susanne Kaul Einführung in das Werk Franz Kafkas Wissenschaftliche Buchgesellschaft

Einbandgestaltung: Peter Lohse, Büttelborn Abbildung: Symbolische Darstellung der Durchbrechung des mittelalterlichen Weltbildes, 1888. Aus: Camille Flammarion: L atmosph re, et la møtøorologie populaire, Paris 1888. i akg-images. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. i 2010 by WGB (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandgestaltung: schreibervis, Seeheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-21645-1

Inhalt I. Der rätselhafte Kafka........................ 7 II. Die Kafka-Forschung........................ 9 III. Kafka zwischen Leben und Schreiben............... 13 1. Prag, Judentum, Kindheit und Beruf.............. 13 2. Die Vaterfiktion......................... 19 3. Heirate oder heirate nicht................. 24 4. Schreiben als Existenzaufgabe................. 31 5. Werkentwicklung und Nachlass................ 36 IV. Themen, Gattungen und Stil.................... 42 1. Zentrale Motive......................... 42 2. Tagebücher und Briefe als Literaturformen........... 57 3.,Kafkaeskes Schreiben..................... 65 V. Einzelanalysen........................... 77 1. Der Verschollene... 77 2. Der Proceß... 93 3. Die Verwandlung... 109 4. In der Strafkolonie... 116 VI. Rezeptionsgeschichte....................... 121 Zeittafel................................. 129 Kommentierte Bibliografie....................... 131 Verzeichnis der erwähnten Kafka-Texte................ 141 Personenregister............................. 143

I. Der rätselhafte Kafka Kafka ist heute weltberühmt. Unter seinen Zeitgenossen gab es jedoch nur wenige, die ihn kannten und schätzten. Dies waren vor allem Schriftsteller. Die breite Öffentlichkeit erreichte er nicht. Einer der Gründe dafür mag die Rätselhaftigkeit seiner Texte sein. So schreibt ein an Kafka verzweifelnder Bankdirektor ihm am 10. April 1917 folgenden Brief aus Charlottenburg: Sehr geehrter Herr, Sie haben mich unglücklich gemacht. Ich habe Ihre Verwandlung gekauft und meiner Kusine geschenkt. Die weiß sich die Geschichte aber nicht zu erklären. Meine Kusine hats ihrer Mutter gegeben, die weiß auch keine Erklärung. Die Mutter hat das Buch meiner anderen Kusine gegeben und die hat auch keine Erklärung. Nun haben sie an mich geschrieben. Ich soll ihnen die Geschichte erklären. Weil ich der Doctor der Familie wäre. Aber ich bin ratlos. Herr! Ich habe Monate hindurch im Schützengraben mich mit dem Russen herumgehauen und nicht mit der Wimper gezuckt. Wenn aber mein Renommee bei meinen Kusinen zum Teufel ginge, das ertrüg ich nicht. Nur Sie können mir helfen. Sie müssen es; denn Sie haben mir die Suppe eingebrockt. Also bitte sagen Sie mir, was meine Kusine sich bei der Verwandlung zu denken hat. Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Dr Siegfried Wolff (Br II, 744) Ob Kafka das Renommee dieses Briefschreibers gerettet hat oder zum Teufel gehen ließ, ist nicht bekannt (vgl. Stach 2008, 637). Die Ratlosigkeit im Umgang mit Kafka ist jedenfalls nicht nur bei Laien ein Phänomen, das bis heute existiert und durch die Vielzahl von Interpretationen im wissenschaftlichen Diskurs nicht auszuräumen ist. Rätselhaft muten nicht nur die Geschehnisse in Kafkas Texten an, also die Verwandlung Gregor Samsas in ein Ungeziefer oder die absurden Verhaftungen in Der Proceß und in Der Schlag ans Hoftor. Das Rätselhafte an Kafkas Texten ist vor allem die Art, wie sie erzählt sind. So beginnt die Erzählung Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse damit, dass von Josefine behauptet wird, sie sei die Sängerin des Mäusevolks und könne großartig singen. Im Folgenden wird die Gesangskunst scheinbar bestätigt, in Wahrheit jedoch dementiert. Mehrmals stellt der Erzähler in Frage, ob denn überhaupt von Gesang die Rede sein könne, da Josefine genauso pfeife, wie alle Mäuse pfeifen. Ihr angeblicher Gesang auf der Bühne sei nicht zu unterscheiden von dem einfachen Gepfeife eines Mausekindes im Publikum. Er sei sogar schwächer und schüchterner. Der Erzähler stellt also eine Behauptung auf, die er sodann in Zweifel zieht, um sie schließlich ins Gegenteil zu verkehren. Kafkas Stil ist rätselhaft, weil er durch fortlaufende Paradoxien gekennzeichnet ist.