Zu wenig Richter, zu wenig Zeit, zu viel Arbeit

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Transkript:

Zu wenig Richter, zu wenig Zeit, zu viel Arbeit Rede von Wolfgang Neskovic, 28. Mai 2009 Die deutsche Strafjustiz gilt im Weltmaßstab als vorbildlich. Doch die Richterinnen und Richter arbeiten seit Jahren hart am Limit. Zu wenig Richter haben zu wenig Zeit, zu viele Fälle zu bearbeiten. Justitia braucht mehr Geld für mehr Personal und eine bessere Ausstattung. Die Koalition aber hatte andere Einfälle: mit der Kronzeugenregelung und der Legalisierung des gerichtlichen Deals will sie den Arbeitsaufwand senken, den die Gerichte bei der Wahrheitsfindung haben. Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden heute in insgesamt 90 Minuten über 11 Vorlagen beraten. In 90 Minuten kann man eine solche Fülle von parlamentarischen Initiativen - die zudem auch noch fundamentale Veränderungen in unserem Strafsystem vornehmen - nicht verantwortungsvoll beraten. Das ist keine parlamentarische Debatte. Das ist eine Show- und Alibiveranstaltung für die

Öffentlichkeit und das Protokoll. Die Menschen in diesem Land haben einen Anspruch darauf, dass sich die Abgeordneten ausreichend Zeit nehmen, um schwierige Probleme in angemessener Zeit öffentlich im Parlament zu debattieren. Ich werde mich daher in meinen Ausführungen auf die Kronzeugenregelung und den Deal im Strafverfahren beschränken müssen. Diese Entwürfe sind falsche Antworten auf eine wichtige Frage. Die wichtige Frage lautet: Wie kann es endlich gelingen, die deutsche Strafjustiz von ihrer Überlastung zu befreien? Die LINKE gibt Ihnen darauf eine Antwort, die von den allermeisten Sachverständigen und auch von den Richterinnen und Richtern im Land geteilt wird: Einer überlasteten Justiz müssen Sie die personellen und sachlichen Mittel an die Hand geben, die es ihr ermöglichen, ihre verantwortungsvollen Aufgaben mit ausreichender Zeit zu erfüllen. In unserem Land haben zu wenig Richter zu wenig Zeit, um zu viel Arbeit zu erledigen. Doch ist gilt weiterhin: Die Mutter der Wahrheit und der Gerechtigkeit ist die Zeit. Richter brauchen ausreichend Zeit für ihre Arbeit. Das ist die Antwort, die wir für richtig halten. Die Entwürfe zur Kronzeugenregelung und zum Deal geben eine andere Antwort. Sie lautet: Wir geben der klammen Justiz keinen zusätzlichen Cent für ihre verantwortungsvolle Arbeit. Sondern wir "entlasten" die Justiz, in dem wir richtige und wichtige Kernprinzipien des Strafrechts preisgeben, weil ihre Beibehaltung zu viel Zeit kosten würde.

Dieser falschen Antwort werden Sie nachher Ihre Stimme geben. Sie werden am Ende dieser Nichtdebatte "ja" sagen zur neuen Kronzeugenregelung. Nach der Kronzeugenregelung kann einem Straftäter die Strafe erlassen oder gemildert werden, nur weil er Aufklärungshilfe zu einer ganz anderen Straftat leistet. In der Konsequenz kann das dazu führen, dass ein Vergewaltiger künftig deswegen straffrei ausgehen kann oder eine wesentlich mildere Strafe erhält - nur weil er dazu beträgt, dass Straftaten wie z.b. Geldfälschung, Geldwäsche oder Computerbetrug aufgeklärt werden. Damit werden Täter bevorzugt, die im kriminellen Milieu tief verstrickt sind und daher Kenntnisse über andere Straftaten anzubieten haben. Opfer von Straftaten werden entsetzt feststellen, dass man die Täter laufen lies oder milder bestrafte, nur weil sie sich für das Gericht in anderer Sache nützlich machten. Solche Belohnungen für kriminelle Verstrickungen werden Sie den Wählerinnen und Wählern nicht erklären können. Sie werden diesen unwürdigen Handel mit der Gerechtigkeit dennoch in wenigen Minuten beschließen. Sie werden auch ohne Zweifel "ja" sagen - zum Deal im Strafverfahren. Sie werden damit die Zweiklassenjustiz legalisieren. Deals kommen überproportional häufig in komplizierten Wirtschaftsfällen vor. Hier wird die Überlastung der klammen Strafjustiz offenbar. Den Gerichten fehlen die Mittel und das Personal, trickreich verschleierte Vermögenslagen aufzuklären und komplizierte Geldflüsse nachzuvollziehen.

Sie sehen sich dabei Angeklagten gegenüber, die über bestens bezahlte und bestens ausgebildete Anwälte verfügen, die dem Gericht mit langwieriger und anstrengender Konfliktverteidigung drohen. Anstatt nun aber den Gerichten finanziell unter die Arme zu greifen, verführen Sie die Richterinnen und Richter, mit den Angeklagten Handel zu treiben. Der Angeklagte gesteht, so dass sich die Richter die Mühseeligkeit einer langen, konfliktreichen Verhandlung ersparen können. Als Gegenleistung einigt man sich mit dem Angeklagten auf eine Strafe, die dieser für angemessen hält. Ich wiederhole: Das Strafgesetzbuch ist kein Handelsgesetzbuch. Wer Banken mit einer Feuerwaffe ausraubt - und dabei ohne großen Aufwand überführt werden kann - den trifft weiterhin die volle Härte des Gesetzes. Wenn der Chef derselben Bank aber mit dem Computer trickreich und damit kompliziert seine Kunden betrügt - dann wird das Gericht künftig mit dem Herrn beraten, welche Strafe ihm genehm wäre. Wohin der Weg führt, den Sie jetzt beschließen wollen, können Sie der Onlinedarstellung eines bekannten Strafverteidigers aus Essen entnehmen, der so für sich um neue Mandanten wirbt. Ich zitiere: "Sie haben einen Prozess vor dem Amtsgericht, Schöffengericht oder Landgericht. Dann werden Sie erleben, dass ich schon vor der Hauptverhandlung einen Deal mit der Staatsanwaltschaft und dem Gericht abstimmen kann. Dieser Deal dient einem optimalen Ergebnis für Ihr Verfahren.

Bedenken Sie, dass Richter und Verteidiger die gleiche Sprache sprechen und sich häufig aus anderen Verfahren kennen. Dieses Vertrauensverhältnis führt dazu, dass eine gute Gesprächsbasis für Ihren Prozess geschaffen wird [...] Strafprozesse werden heute oft außerhalb vom Gerichtsaal geklärt. Absprachen gehören zum Alltag. Der Grund hierfür ist recht simpel zu erklären. Die Staatsanwaltschaften sind dermaßen überlastet, dass Sie froh sind, wenn Ihnen ein Verteidiger ein vernünftiges Angebot macht. Sie können somit diese Akte schließen und sich der nächsten widmen. So einfach kann das sein. Der Strafprozess wird zum Geben und Nehmen. Das Gleiche gilt für die Hauptverhandlung: Richter wollen ein schnelles Verfahren. Ein geständiger Angeklagter ist die Voraussetzung für eine schnelle Verfahrensbeendigung Im Gegenzug muss das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft auch etwas in die Waagschale legen. Dies erfolgt meist in der Form, dass ein mildes Urteil in Aussicht gestellt wird. Manchmal kann der Angeklagte ein Schnäppchen machen." Ich danke Ihnen.