S3 Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer Lese- und/ oder Rechtschreibstörung



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Transkript:

CAMPUS INNENSTADT KLINIK UND POLIKLINIK FÜR KINDER- UND JUGENDPSYCHIATRIE, PSYCHOSOMATIK UND PSYCHOTHERAPIE Klinikum der Universität München Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie - Direktion Nußbaumstr. 5a 80336 München Prof. Dr. med. Gerd Schulte-Körne Direktion Nußbaumstr. 5a D-80336 München Telefon +49 (0)89 4400-55901 Telefax +49 (0)89 4400-55902 kjp@med.uni-muenchen.de www.kjp.med.uni-muenchen.de www.klinikum.uni-muenchen.de Ihr Zeichen: Unser Zeichen: München, 22.05.2015 S3 Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer Lese- und/ oder Rechtschreibstörung Die Lese-Rechtschreibstörung (LRS), die Lesestörung und die Rechtschreibstörung gehören zu den schulischen Entwicklungsstörungen, die mit neurobiologischen Veränderungen im Gehirn auftreten und für die Betroffenen mit erheblichen psychosozialen Beeinträchtigungen (Schulangst und -abbruch, Stigmatisierung in der Klasse) verbunden sind. Die medizinische und psychologische Fachwelt kennt diese Störungen seit über hundert Jahren, die Diagnostik wird von den Krankenkassen als ärztliche Leistung finanziert. Aktuelle nationale und internationale Studien gehen von einer Häufigkeit dieser Störungen von jeweils 4-5% aus. Bei ca. 30-40% der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen liegen zusätzlich psychische Belastungen oder Störungen in Form von Ängsten, Depression, Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität vor. Die Förderung und Therapie wird überwiegend außerschulisch angeboten, durch eine Initiative des Bundesverbandes Legasthenie und Dyskalkulie e. V. liegt eine Zertifizierung von Ausbildungseinrichtungen (Dyslexie-Therapeut nach BVL) vor, die die Qualitätssicherung dieser therapeutischen Leistung deutlich verbessert hat. Direktor: Prof. Dr. med. Gerd Schulte-Körne *Direktion, Privatambulanz, Stationen: Nußbaumstr. 5a 80336 München Tel. (089) 4400-55901 Fax. (089) 4400-55902 *Forschung: Pettenkoferstr. 8a 80336 München Tel. (089) 4400-55991 Fax. (089) 4400-55992 **Forschung: Waltherstr. 23 80337 München Tel. (089) 4522 9030 Fax. (089) 4400-55942 Das Klinikum der Universität München ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts öffentl. Verkehr: U1, U2, U3, U6, 16,17,18, 27 *bis Haltestelle Sendlinger Tor oder U3, U6, 58 **bis Haltestelle Goetheplatz

KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 2 VON 7 Die Diagnostik dieser Entwicklungsstörungen ist bisher sehr uneinheitlich, es lagen keine klaren Empfehlungen bzgl. der diagnostischen Verfahren und der Anwendung der diagnostischen Kriterien vor. Obwohl durch das national und international verwendete Klassifikationsschema ICD-10 diagnostische Kategorien klar beschrieben wurden, ist deren Umsetzung in Deutschland nur in einzelnen Bereichen gelungen. Insbesondere in Bereichen der Pädagogik ist die Anerkennung und Umsetzung des ICD-10-Konzeptes nicht gewollt, was zu einer fehlenden Anerkennung der Betroffenen mit einer schulischen Entwicklungsstörung und all den damit verbundenen Konsequenzen führt. Hierzu gehören zum Beispiel die ausbleibende, nachhaltige und spezifische Lese- und Rechtschreib-Förderung und ganzheitliche Therapie (unter Einschluss der emotionalen Förderung, der Motivation und Stärkung der Selbstwirksamkeit), die deutlich niedrigen Bildungschancen durch Schulabbruch und einem deutlich niedrigerem Schulabschlussniveau, trotz guter bis sehr guter Begabung. Die angebotenen Förderungen für Kinder und Jugendliche mit einer LRS in Deutschland sind methodisch wie auch inhaltlich sehr unterschiedlich, die Wirksamkeit wurde meist nicht untersucht oder wenn Untersuchungsergebnisse vorlagen, werden deren Konsequenzen nicht selten ignoriert. Dies führte zu einer unüberschaubaren Menge von nicht wirksamen Therapiemethoden. Das Spektrum reicht von einem Training der Tondiskrimination und der Blickbewegung, dem Einsatz von farbigen Folien, der medikamentösen Behandlung bis zu Bewegungstrainings. Durch eine intensive Therapieforschung, meist jedoch nicht in Deutschland, wurden Methoden entwickelt, die auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen der pädagogischen, psychologischen und medizinischen Forschung basieren. Diese Methoden setzen an den verschiedenen Entwicklungsschritten des Schriftspracherwerbs an und fördern somit im Sinne eines ganzheitlichen Konzeptes auch die psychische Entwicklung des Kindes in der Schule und der Familie. Die aktuell veröffentlichte S3-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer Lese- und/ oder Rechtschreibstörung schafft in Deutschland eine wissenschaftlich begründete Basis für die Entscheidungen, welche diagnostische Verfahren und welche Therapiemethoden angewandt werden sollen. Ziel dieser Leitlinie ist, die diagnostische Einschätzung und Klassifikation deutlich zu verbessern

KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 3 VON 7 und in der Therapie nur die Methoden einzusetzen, deren Wirksamkeit nachgewiesen sind und somit die Methoden, die untersucht wurden, für die aber kein Wirksamkeitsnachweis vorliegt, nicht mehr anzuwenden. Um dieses Ziel zu erreichen wurde die verfügbare wissenschaftliche Literatur nach einem standardisierten Prozess systematisch ausgewertet und alle verfügbaren Studien bewertet. Diese Ergebnisse sind auf der Homepage der AWMF und kürzlich in einem Übersichtartikel in der Zeitschrift PlOsONE veröffentlicht. Auf der Basis dieser empirischen Untersuchung haben die an der Leitlinienerstellung beteiligten 23 Verbände die Ergebnisse diskutiert und gemeinsam Empfehlungen zur Diagnostik und Behandlung abgestimmt. In der Leitlinie sind alle Empfehlungen und die Abstimmungen dazu dargestellt. Insgesamt 29 Empfehlungen sind zu den Bereichen Diagnostik und Behandlung entstanden. Sie richten sich zwar primär an Kinder mit einer Lese-, Rechtschreib-, und Lese- und Rechtschreibstörung, können jedoch auch für alle Kinder und Jugendliche mit Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und Rechtschreibens angewandt werden, wenn es um die Entscheidung geht, mit welcher Methode ein Kind mit Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten sinnvoll gefördert werden soll.

KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 4 VON 7 Die zentralen Aussagen der Leitlinie sind: 1. Die Diagnostik soll differenziert mit standardisierten und normierten Verfahren durchgeführt werden, welche die Lesegeschwindigkeit, Lesefehler und Leseverständnis sowie die Fehler in der Rechtschreibung beim Wort und/ oder Textschreiben messen. Die Betrachtung der Textproduktion kann weitere wichtige Hinweise auf die Folgen der Rechtschreibstörung geben. 2. Außerdem soll die Diagnostik, neben der Anwendung psychometrischer Leistungstests, auch die klinische Unter-suchung, also die ganzheitliche Betrachtung des Entwicklungsverlaufs, der Familien- und Schulsituation sowie die Auswirkungen der Leistungsdefizite auf die psychische und soziale Entwicklung, die schulische Integration, die gesellschaftliche Eingliederung und die Familie, einbeziehen. 3. Die Diagnostik muss daher interdisziplinär von Fachleuten durchgeführt werden, die Fachkenntnisse im Bereich der Lese- und/ oder Rechtschreibstörungen und der psychometrischen/ klinischen Diagnostik von Kindern und Jugendlichen besitzen. 4. Zusätzlich sollte bei Vorliegen von Hör- und Sehstörung sowie psychischen Belastungen oder Erkrankungen eine fachärztliche Untersuchung durchgeführt werden. Folgende diagnostische Verfahren werden zur Diagnostik einer Lesestörung empfohlen: Ein Leseverständnistest für Erst- bis Sechstklässler (ELFE 1-6) Lesegeschwindigkeits- und verständnistest für die Klassen 6-12 (LGVT-R 5-13) Lesetestbatterie für die Klassenstufen 6-7 (Lesen 6-7) Lesetestbatterie für die Klassenstufen 8-9 (Lesen 8-9) Würzburger Leise Leseprobe Revision (WLLP-R) Deutscher Rechtschreibtest für das erste und zweite Schuljahr (DERET 1-2+) Deutscher Rechtschreibtest für das dritte und vierte Schuljahr (DERET 3-4+) Hamburger Schreib-Probe 1-10 (HSP 1-10) Salzburger Lese- und Rechtschreibtest (SLRT II) - Lesetest für die 2. 3. und 4. Klasse Folgende diagnostische Verfahren werden zur Diagnostik einer Rechtschreibstörung empfohlen: Salzburger Lese- und Rechtschreibtest (SLRT II) Rechtschreibtest Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für 1. und 2. Klassen (WRT 1+) Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für 2. und 3. Klassen (WRT 2+) Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für dritte und vierte Klassen (WRT 3+) Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test für vierte und fünfte Klassen der Grund- und Hauptschule (WRT 4+) Aus Ermangelung an Alternativen sollte für die Altersgruppe der Jugendlichen ab der 11. Klasse der RST-ARR angewendet werden (KKP).

KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 5 VON 7 Zur Behandlung wurden u. a. folgende Empfehlungen abgestimmt: Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Lese- und/ oder Rechtschreibstörung soll an den Symptomen der Lese- und/ oder Rechtschreibstörung ansetzen. Kinder mit Schwierigkeiten im Erwerb des Lesens und Rechtschreibens sollen bereits im ersten Schuljahr Fördermaßnahmen erhalten. Fördermaßnahmen für Kinder- und Jugendliche mit Lese- und/ oder Rechtschreibstörung sollen in Einzelsitzungen oder in Kleingruppen ( 5 Personen) durchgeführt werden. Die Förderung soll von Behandelnden durchgeführt werden, die über eine ausgeprägte Expertise im Bereich der Schriftsprachentwicklung und ihrer Förderung sowie im Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit umschriebenen Entwicklungsstörungen verfügen. Interventionsmaßnahmen, die zur Verbesserung der Lese- und Rechtschreibleistungen eingesetzt werden, sollen Übungen zur Graphem-Phonem und Phonem-Graphem- Korrespondenz, zum Segmentieren einzelner Wörter in ihre Phoneme, Morpheme, Silben oder Onset und Silbenreim sowie zum Verbinden von Phonemen zu einem Wort enthalten, sofern die Kinder und Jugendliche Schwierigkeiten in diesem Bereich haben. Ergänzend sollen systematische Übungen zu Sätzen und Texten durchgeführt werden. Rechtschreibtrainings, die zur Verbesserung der Lese- und/ oder Rechtschreibleistung eingesetzt werden, sollen Instruktionen zum Aufbau orthographischen Regelwissens enthalten. Kinder und Jugendliche mit Lesestörung können durch das Lesen von Texten mit vergrößerter Schrift und breiteren Buchstaben-, Wort- und Zeilenabständen eine Verbesserung der Leseleistungen erzielen. Für Kinder und Jugendliche mit Lesestörung sollen entsprechende Lesematerialien ausgewählt werden. Zusätzlich können weitere graphische, schriftsystematische Segmentierungen zur Unterstützung des Lesens hilfreich sein Eine Reihe von Förderkonzepten und methoden werden nicht empfohlen: Interventionen zur auditiven Wahrnehmung und Verarbeitung, zur visuellen Wahrnehmung und Verarbeitung und zur audiovisuellen Wahrnehmung und Verarbeitung Medikamentöse Behandlung mit Nootropika wie z.b. Piracetam, Irlen Linsen oder Farbfolien, Prismenbrillen, neuropsychologische Hemisphärenstimulation, Alternativmedizinische Methoden (Homöopathie, Akupressur, Osteopathie und Kinesiologie) Nahrungsergänzungsmittel, motorische Übungen zur Beseitigung eines persistierenden asymmetrisch tonischen Nackenreflexes (ATNR), visuelle Biofeedbacks, monokulare Okklusion Folgende Methoden sollten nicht isoliert zur Verbesserung der Lese- und Rechtschreibfähigkeiten eingesetzt werden: Ganzwortlesemethode, Förderung der phonologischen Bewusstheit, des Textverständnisses, der Aufmerksamkeit,

KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 6 VON 7 Zur Dauer der Förderung und Behandlung empfiehlt die Leitlinie: Die Förderung sollte unter Berücksichtigung interdisziplinärer Zusammenarbeit so lange andauern, bis eine Lese- und Rechtschreibfähigkeit erreicht wurde, die eine altersgerechte Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglicht, soweit noch eine hinreichende Aussicht auf eine bedeutsame Veränderung besteht. Dies bedeutet meist eine mehrjährige, intensive Förderung, da die altersbedingten Anforderungen an die Lese- und Rechtschreibfähigkeit zunehmen und einen wichtigen Indikator für den beruflichen Erfolg darstellen. Es sollten mindestens jährliche Verlaufsuntersuchungen zur Indikationsüberprüfung erfolgen. Gegebenenfalls sollte ein sonderpädagogischer Förderbedarf geprüft werden. Zu den häufigen, komorbiden Störungen listet die Leitlinie: Hyperkinetische Störung bzw. Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung Angststörung Depression Rechenstörung Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung Expressive und rezeptive Sprachstörung Liegt ein Verdacht für eine dieser komorbiden Störungen vor, soll eine fachärztliche Abklärung erfolgen und bei Vorliegen einer dieser Störungen die Behandlung dieser Störung in den Gesamtbehandlungsplan integriert werden. Diese Leitlinie basiert auf den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und nutzt diese für Empfehlungen, die im medizinischen, psychologischen und pädagogischen Handeln täglich angewandt werden sollten. Die Leitlinie wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert und ggf. angepasst und überarbeitet.

KLINIKUM DER UNIVERSITÄT MÜNCHEN SEITE 7 VON 7 Die Verantwortung der Schule und der Bildungsinstitution für den erfolgreichen Schriftspracherwerb aller Kinder in Deutschland ist mit der Leitlinie allerdings nicht berührt. Die in der Leitlinie ausführlich dargestellten und zusammengefassten Ergebnisse können eine sehr wichtige Grundlage für pädagogisches Handeln und für die Konzeption der Unterrichtsdidaktik im Fach Deutsch sein, wenn man sie dafür nutzen will. So könnten sie Einfluss haben auf Handreichungen für die schulische Diagnostik und Förderung, für die Konzeption und Durchführung von schulischem Förderunterricht, für die Planung und Umsetzung von schulischer Inklusion. Zum Wohle der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit einer Lese- und/ oder Rechtschreibstörung ist es dringend notwendig, durch spezifische fachliche Diagnostik zu einer frühen Förderung und Anerkennung des Kindes mit seiner Störung zu kommen. Denn nur so kann es gelingen, einer in Deutschland immer noch sehr verbreiteten Stigmatisierung von Kindern mit einer LRS als dumm oder faul entgegen zu wirken. Hierbei ist es vor allem sehr hinderlich, wenn auf der Ebene der Fachlichkeit einzelne pädagogische Fachverbände und Vereine gegen gut begründete medizinisch-psychologische Konzepte zulasten der betroffenen Kinder und Jugendlichen polemisieren und Eltern, Kinder und Jugendliche damit belasten. Literatur: Remschmidt H, Schmidt MH, Poustka F (2012): Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO: Huber; Bern. http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/028-044.html Galuschka K, Ise E, Krick K, Schulte-Körne G (2014) Effectiveness of Treatment Approaches for Children and Adolescents with Reading Disabilities: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. PLoS ONE 9(2): e89900. doi: 10.1371/ http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0089900 Prof. Dr. med. Gerd Schulte-Körne