Damit es mit der Verständigung besser klappt auch wenn Amtssprache Deutsch ist Interkulturelle Trainings für die Jobcenter Wenn ich Ihnen helfen - behilflich sein - soll, brauche - benötige - ich Ihre Geburtsurkunde. Sonst kann ich nicht - bin ich nicht fähig - den Antrag fertig zu stellen - zu beenden. Die Aufgabenstellung des Trainers ist so eindeutig wie schwierig: In der Sprachübung sollen alle Verben durch ein bedeutungsgleiches Wort verdoppelt werden. Susanne Woller, Mitarbeiterin des Jobcenters Bremen, beschreibt die Wirkung: Das setzt einen gehörig unter Stress. Und genau das ist beabsichtigt. Neben Susanne Woller nehmen 13 weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters an der Fortbildungsveranstaltung der Wirtschafts- und Sozialakademie (wisoak) teil. Sie sollen am eigenen Leib erfahren, was es heißt, ein Anliegen unter sprachlichem Stress vorzutragen. Das ist die typische Situation von Kunden, die die deutsche Sprache kaum oder nur wenig beherrschen, erläutert Trainer Martin Schmidt. Man ringt um Worte, umschreibt, fühlt sich unsicher, manchmal auch ohnmächtig, bangt darum, dass die Verständigung irgendwie klappt, kann sich gar nicht mehr richtig auf den Inhalt konzentrieren. Interkulturelle Öffnung der Bremer Verwaltung - kurz ikö, so lautet der offizielle Name eines längerfristig angelegten Projektes, in dessen Rahmen die Fortbildung stattfindet. Seit eineinhalb Jahren heißt die Zielgruppe: MitarbeiterInnen des Jobcenters, aus den Eingangszonen und Leistungsabteilungen. Das Projekt speist sich aus Bundesmitteln, ist eingebunden in die bundesweite Initiative Integration durch Qualifizierung (IQ). Die interkulturellen Trainer, Ercan Arslan und Martin Schmidt, arbeiten mit unterschiedlichen Methoden. Im Mittelpunkt steht der Perspektivwechsel, betont Arslan. Es werden zum einen theoretische Kenntnisse vermittelt etwa über Kulturdimensionen wie Kollektivismus und Individualismus: Hierzulande wird erwartet, so gibt Arslan ein Beispiel, dass man Ämtergänge alleine erledigt und sein Anliegen gegenüber der Behörde individuell vertritt. Daher wirkt es auf Behördenmitarbeiter häufig befremdlich, manchmal auch einschüchternd, wenn Antragsteller kollektiv, also mit mehreren Familienangehörigen oder Freunden auf dem Amt erscheinen. Es ist dann hilfreich zu wissen, warum, nämlich in der Regel, um Verständigungsprobleme besser zu bewältigen oder einfach nur, um die betreffende Person zu begleiten und ihr beizustehen und nicht etwa, um den Behördenmitarbeiter unter Druck zu setzen. Zum anderen ist es den Trainern wichtig, dass sich die Teilnehmenden durch eine Reihe von Sensibilisierungsübungen in die Situation ihrer Kundschaft hinein versetzen können: Die Teilnehmer sollen sich durchaus ihrer eigenen Privilegien bewusst werden und nachvollziehen können, was die Ursache für viele Konflikte oder Missverständnisse ist: nämlich das Gefühl, ausgeliefert und ohnmächtig zu sein oder schlichtweg existentielle Angst zu haben, erklärt Schmidt. Kundenbetreuerin Susanne Woller arbeitet seit vielen Jahren als Fachassistentin im Jobcenter-Ost, in Bremen-Osterholz. Bereits 1991 hatte sie bei der Bundesagentur für Arbeit begonnen, Menschen bei der Arbeitsuche zu unterstützen. Ihr Arbeitsplatz heute ist das Back Office, in dem sie sich um das Clearing für Neukunden kümmert.
Foto: IQ Netzwerk Bremen / Linda Hoff Jobcenter-KundInnen werden zunächst zu einem der beiden Empfangstresen gelotst. Im Front Office wird eine Vorprüfung vorgenommen. Denn je nach Nationalität und Aufenthaltstitel sind womöglich andere Ämter zuständig. Ist die Zuständigkeit des Jobcenters formal geklärt, kommen die Kunden dann zu Susanne Woller. Sie gibt die Datensätze ein und bespricht mit ihnen die Antragsformulare. Die KundInnen haben ihr gegenüber - das hat mit den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches zu tun - viele Details ihrer persönlichen Situation darzulegen. Das ist besonders dann heikel, wenn Familienangehörige als Übersetzer fungieren und auf diese Weise auch schambesetzte oder belastende Einzelheiten erfahren - und übersetzen sollen. In den Bremer Jobcentern gibt es auch MitarbeiterInnen, die Polnisch, Russisch oder Türkisch sprechen können. Mehrsprachige Kolleginnen und Kollegen werden in einigen Jobcenter-Filialen auch mal als Übersetzer hinzugezogen, wenn es im Kunden-Gespräch mit dem Deutschen hapert. Im Kern aber, vor allem im Schriftverkehr, gilt das Prinzip: Amtssprache ist Deutsch. Foto: IQ Netzwerk Bremen / Linda Hoff
Die Teilnahme an den ikö-fortbildungen ist verpflichtend. Die Jobcenter-Leitung möchte mittelfristig alle MitarbeiterInnen interkulturell schulen. Es kommt durchaus vor, dass Teilnehmende - vor allem zu Beginn des Trainings - skeptisch sind. Insgesamt aber werden die interkulturellen Trainings sehr positiv aufgenommen, so Woller. Die KollegInnen würden dort auch Anerkennung für ihre häufig sehr schwierige Arbeit erfahren. Mit Blick auf den Kundenkontakt resümiert sie: Ich bin viel sensibler geworden, gehe jetzt anders auf meine Kunden zu. Das sollte man eigentlich schon in jungen Jahren lernen. Das ikö-training umfasst drei Tage. Die beiden ersten Tage finden im Block statt. Danach vergehen einige Wochen, um den TeilnehmerInnen die Möglichkeit zu geben, das Gelernte in der Praxis auszuprobieren. Die Erfahrungen werden am dritten Seminartag aufgegriffen und reflektiert. Außerdem steht dann auch das Thema Diskriminierung auf der Tagesordnung. Susanne Woller: Früher hat man gesagt: Der Antragsteller will doch etwas von uns. Heute heißt es: Ich muss auch auf den Kunden zugehen, muss ihn abholen, z.b. indem ich auch mal langsamer spreche, weniger Fach- und Fremdwörter benutze und mich einfach verständlicher ausdrücke. Das muss man richtig lernen. Amtssprache Deutsch als Herausforderung Im Jahre 2008 förderte eine repräsentative Umfrage des Instituts für Demografie Allensbach zutage: Die große Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland (86% der Befragten) hat Schwierigkeiten, die Schreiben von Ämtern, Behörden, Gerichten oder Anwaltskanzleien zu verstehen. Die Probleme sind keineswegs nur auf Personen mit einfacher Schulbildung beschränkt. Letztere sind aber - wie Menschen, die Deutsch nicht als Erstsprache haben oder mit den Verwaltungsverfahren in Deutschland nicht vertraut sind - in besonderem Maße von den Barrieren betroffen, die die Amtssprache auftürmt. Visualisierungshilfen und ein Wörterbuch SBG II Leichte Sprache für das Personal in Arbeitsverwaltungen sind zu beziehen über: basis und woge e.v. in Hamburg Übersetzungshilfen und Dolmetscherdienste In der Handlungsempfehlung / Geschäftsanweisung (HEGA ) Inanspruchnahme von Dolmetscher- und Übersetzungsdiensten der Bundesagentur für Arbeit heißt es: Die Amtssprache ist deutsch ( ). Kunden/Kundinnen mit unzureichenden Deutsch- Kenntnissen sollen zur Vermeidung von Verständnisschwierigkeiten in erster Linie eine Person mit entsprechenden Sprachkenntnissen mitbringen. Ist dies nicht möglich, sind für Übersetzungen und Dolmetscherdienste Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit entsprechenden Sprachkenntnissen zu betrauen. Sofern dies ebenfalls ausscheidet, sollen soziale Verbände bzw. ehrenamtliche Einrichtungen u. ä. soweit die Übersetzungs- und Dolmetscherdienste im Zusammenhang mit ihren
Aufgaben stehen hierfür gewonnen werden. Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit darf die Bundesagentur für Arbeit bzw. das jeweilige Jobcenter diese Kunden/ Kundinnen nicht benachteiligen. Selbst wenn die eben genannten Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen, besteht dennoch eine Pflicht Übersetzungen vorzunehmen und Dolmetscherdienste anzubieten ( ) Bei Erstkontakten (schriftlich und mündlich) sind notwendige Übersetzungen bzw. Dolmetscherdienste in jedem Fall von der BA bzw. dem jeweiligen Jobcenter zu veranlassen und zu erstatten. Die Kosten für Übersetzungen von Schriftstücken ( ) sowie die Kosten für entsprechende Dolmetscherdienste werden in allen Fällen (also auch bei weiteren Kontakten) von Amts wegen übernommen. Diese Bestimmungen sind vielen Betroffenen und vielen MitarbeiterInnen der Jobcenter offenkundig nicht bekannt. Jüngst, im Juni 2014, antwortete der Bremer Senat auf entsprechende Anfrage: Im JC Bremen wird auf den Einsatz von professionellen Dolmetscher(n)/-innen und Übersetzer(n)/-innen vollständig, im JC Bremerhaven nahezu verzichtet. Das Bremer Projekt ikö Jobcenter/Agentur für Arbeit ist Teilprojekt des bundesweiten Projektes IQ - Integration durch Qualifizierung (www.prozesskettebremen.de/iq-teilprojekte ). Projektträger ist die Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer Bremen, Info und Kontakt: Dr. Asmus Nitschke, a.nitschke@wisoak.de Thomas Gebel, Asmus Nitschke Foto: IQ Netzwerk Bremen / Linda Hoff
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