Contents Die Hinrichtung Dantons der Untergang der Politik? Literaturverweis

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Transkript:

Contents Die Hinrichtung Dantons der Untergang der Politik?... 2 Historischer Kontext... 2 Historische Realität vs. Literarische Realisierung... 2 Die Verhandlung von Tod und Sterben Passive Hinwendung zum Tod... 3 Die aktive Hinwendung zum Tod... 4 Todbezogene Rhetorik... 4 Schlussbetrachtung... 6 Literaturverweis... 6

Die Hinrichtung Dantons der Untergang der Politik? Georg Büchners Drama bezieht sich inhaltlich auf das historische Ereignis der Französischen Revolution und deren Folgen.[1] Der Zeitbezug lässt sich deswegen auf den Rahmen zwischen den Jahren 1789 und 1799 eingrenzen. Büchner bewegt sich in einer späteren Zeitspanne und veröffentlicht das Drama erst im Jahr 1835. Schon früh wird er selbst als Revolutionär bezeichnet.[2] Doch wieso wird so viele Jahre nach der Revolution ein Drama geschrieben, das die vergangenen politischen Ereignisse fiktiv widerspiegelt? Hierfür gibt es einige Annahmen. Auch zur Zeit Büchners ist die politische Thematik (man denke an die bevorstehende Märzrevolution im Jahr 1848) ein aktuelles und allgegenwärtiges Thema. Der thematische Wiederaufgriff der Revolution könnte so als Verarbeitung oder Erinnerung an nicht erfüllte Hoffnungen und Wünsche gelesen werden, die die damalige politische Situation verursacht hat. Ebenso ließen sich die gesellschaftlichen Umstände und sozialen Forderungen auf die zeitgenössische Entwicklung Anfang des 19. Jahrhunderts übertragen. Historischer Kontext Das Drama spielt zur Zeit der Tagung des Nationalkonvents der verfassunggebenden Versammlung der Volksvertretung während der französischen Revolution. Es herrscht der Grande Terreur, der auch als Schreckensherrschaft benannt ist.[3] In der sozialen Gesellschaft führen Meinungsverschiedenheiten gegenüber der Revolution und den herrschenden Verhältnissen zu zahlreichen Hinrichtungen. Die gesellschaftliche Situation ist dementsprechend geschwächt und aufgespalten. Dies geschieht vor allem vor allem im Werk durch die politischen Positionen Georges Dantons und dessen Gegenspieler Maximilien Robespierre. Die bestehende Gewaltsituation wird nicht von jedem positiv angenommen oder akzeptiert. Es folgen Konfrontationen und Konflikte zwischen den Revolutionären. Die Oberhäupter sind dabei weiterhin Danton und Robespierre. In der Anhängerschaft Dantons Dantonisten genannt sind jedoch ebenfalls Differenzen und Meinungsverschiedenheiten vernehmbar. Während die meisten Deputierten des Nationalkonvents aktiv gegen die gewaltsamen Entwicklungen durch Robespierre vorgehen wollen, erkennt Danton die Aussichtslosigkeit der Situation und zeigt sich politisch resigniert. Dantons Haltung die sich auch in der Version des Dramas finden lässt drückt kaum optimistische Erwartung aus. Vielmehr werden grundsätzliche Zweifel thematisiert. Diese beziehen sich auf die fehlende Möglichkeit, auf die Gesellschaft einwirken zu können. Innerhalb des Dramas wird der politischen Resignation zudem das Vorkommen einer Lebensüberdrüssigkeit beigefügt.[4] Historische Realität vs. Literarische Realisierung Die Überdrüssigkeit die sich nahezu in einer Hinwendung zum Tod äußert steht im Gegensatz zur historischen Korrektheit. Büchner verbindet in seinem Drama historisch korrekte Ereignisse, erstellt fiktive Versionen politischer Figuren und übernimmt einen Großteil historisch aufgezeichneter Textpassagen.[5] Diese werden mit Fiktionalität versehen und etablieren sich so zum Kunstgegenstand. Obwohl sprachliche Kongruenz vernehmbar ist, ergibt sich eine (hybride) Spaltung zwischen Historie und fiktiver Nacherzählung. Zur ergänzenden Fiktionalität gehören kleine Anteile fiktiver Reden. Erkenntlich zeigen sich diese besonders durch eine auffällige Rhetorik.[6] Wenn es eine Trennlinie zwischen historischer Korrektheit und dramatischem Werk gibt, so stellt sich die Frage, wie das Werk wohl ohne das historische Vorwissen funktionieren würde. Um dies weiter zu beleuchten, wird zunächst auf die schlussendliche Handlung des Werks eingegangen. Mit Blick auf die Realität ist dem Leser bereits zu Beginn klar, dass das Geschehen auf die Hinrichtung Dantons hinausläuft. Ebenso spricht der Titel Dantons Tod dafür. Aber geht es wirklich um den eigentlichen Tod der Figur? Geht es wirklich um die Hinrichtung am Ende des Stücks? Der Tod Dantons ist mehrfach determiniert. Dies zeigt sich nicht nur mit dem historischen

Kontext, sondern auch in entsprechenden Textpassagen im Werk. Dazu gehören vor allem die soeben benannten fiktiven Äußerungen. Gleichzeitig unterstreicht die Haltung der Resignation den bereits symbolisch eingetretenen (politischen) Tod den Untergang des Dantonismus. Nicht der Tod des einzelnen ist relevant, sondern die Konsequenzen der Gesamtsituation. Die Verhandlung von Tod und Sterben Passive Hinwendung zum Tod Auseinandersetzungen mit dem Todesthema durchziehen das Drama an vielen Stellen. Dabei muss es sich nicht auf konkrete Todesfälle beziehen, sondern kann auch mit einem entsprechend semantischen Wortfeld auf die Thematik hinweisen: Nein, Julie, ich liebe dich wie das Grab [ ]. Du süßes Grab, deine Lippen sind Totenglocken, deine Stimme ist mein Grabgeläute, deine Brust mein Grabhügel und dein Herz mein Sarg. (D, S. 5/6) Das Zitat entspricht einer Liebeserklärung an Dantons Frau Julie. Die Todesthematik ist in dieser Passage eigentlich recht positiv konnotiert und zielt auf eine ästhetische Wirkung ab. Der Ort des Grabs wird mit einem Ort der Stille, der Ruhe und der Sicherheit verglichen. Damit wird die starke und relevante Position Julies gekennzeichnet. Gleichzeitig kann die Textstelle als Hinweis auf die bevorstehende Hinrichtung Dantons gesehen werden. Julie wird gleichsam des Grabs Dantons beschrieben. Dessen Position nimmt sie somit ein stückweit ein. Im Werk begeht Julie einen Tag vor der Hinrichtung Suizid und kann somit als Vorreiter interpretiert werden. Stirbt Julie, stirbt Danton so der Text. Spannend ist, dass die Realität anders aussieht. Nach historischer Korrektheit überlebt Dantons Frau und trägt sogar einen anderen Namen.[7] Dementsprechend ist besonders die fiktive Todesszene zu beachten: Die Sonne ist hinunter; der Erde Züge waren so scharf in ihrem Licht, doch jetzt ist ihr Gesicht so still und ernst wie einer Sterbenden. Wie schön das Abendlicht ihr um Stirn und Wangen spielt. Stets bleicher und bleicher wird sie, wie eine Leiche treibt sie abwärts in der Flut des Äthers. Will denn kein Arm sie bei den goldnen Locken fassen und aus dem Strom sie zeihen und sie begraben? Ich gehe leise. [ ] Schlafe, schlafe! (D, 74) Auch diese Textstelle ästhetisiert die Vorstellung des Todes stark. Sterben und das Erscheinungsbild der Leiche zeigen sich in Schönheit und werden mit dem Bild des Einschlafens gleichgesetzt. Die Position Julies wirkt ähnlich der ersten Passage friedlich und vertraut. Die Figur übernimmt die Rolle der geliebten Frau, markiert aber eigentlich eine gänzlich andere Person als die Historie. Im Drama lassen sich eher Parallelen zu Shakespeares Ophelia ziehen, die den Kunstgriff nochmals unterstreichen.[8] Es entwickelt sich ein neuer Blick auf den politischen Umstand der französischen Revolution. Das Werk stellt keine korrekte Variante der historischen Dokumentation mehr dar, sondern eine daran anknüpfende Neuauflage. Trotzdem ist es als Kunstgegenstand deutlich politisch aufgeladen und kann sich deswegen als sozialgeschichtliches Drama bezeichnen lassen. Der Kunstaspekt tritt vorwiegend in den Passagen der semantischen Ästhetisierung hervor. Die Differenz zwischen historischer Realität und Werk zeigt sich also besonders durch den zusätzlichen suizidalen Tod Julies, den darauf bezogenen Umgang und die Neubetitelung einzelner Figuren. Der Verweis auf das Sterben Dantons ist an dieser Stelle nicht historisch begründet, sondern textueller und werkimmanenter Herkunft.

Die aktive Hinwendung zum Tod Textpassagen, die das düstere Wort- und Themenfeld des Todes mit historischer Inkorrektheit vereinen, zeigen sich auch abseits akuter Todesfälle. Zentral steht dabei vor allem die Vorstellung des eigenen Sterbens: Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. [ ] mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Es tötet mein Gedächtnis. Dort aber lebt mein Gedächtnis und tötet mich [ ]. Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm [ ]. (D, S. 37) In dieser Textstelle werden Schuldgefühle seitens Dantons deutlich, die auf den politisch bedingt vergangenen Morden vieler Menschen beruhen.[9] Die Figur zeigt sich weniger politisch resigniert, als vielmehr politisch reflektierend. Der Bezug gilt den historischen Septembermorden / dem Septembermassaker, an denen / dem Danton als Justizminister sowohl im Werk und in der Realität beteiligt gewesen ist. Nur im Werk jedoch, tritt der Aspekt von Schuldgefühlen und Verantwortung in den Vordergrund. Zudem lässt sich die geistige Hinwendung zum eigenen Tod deutlicher erkennen als zuvor. Auch hier tritt das Grab als Ort der Sicherheit auf. Die Beschreibung versetzt die vorherige Liebeserklärung an Julie rückwirkend in ein konkretes Blickfeld als zunächst angenommen. Die Benennung des Todes dient hier vor allem als Zeichen und Instrument für die bestehende Schreckensherrschaft des Grande Terreur. Er wird zudem als vergleichbar mit einer Krankheit beschrieben. Nimmt man den Tod nun pathologisch wahr, so wird er als möglicherweise vorübergehende Phase deutlich. Da aber vor allem irreversible Erinnerungen die Faktoren für das Kokettieren mit dem Tod sind, ist diese Annahme eher unwahrscheinlich. Es handelt sich hier nicht mehr nur um den expliziten Tod der Figur, sondern um den Tod als dominierender Gesamtkomplex. Zentral steht die Wahrnehmung des durchweg präsenten Todes, die implizit das allmähliche (noch symbolische) Sterben der Figur heranführt. Der Tod / das Sterben bezieht sich an dieser Stelle gleichzeitig auf den Untergang der Revolution. Ebenso wird die soziale Situation angesprochen, die auf das Sterben der Gesellschaft während der und durch die Revolution hinweist. Ergänzend ließe sich das wohl bekannteste Zitat aus dem Drama anbringen: Ich weiß wohl die Revolution ist wie Saturn, sie frißt ihre eigenen Kinder. (D, S. 22) Dieses Zitat entspricht einer wiederaufgenommenen Textstelle aus den historischen Aufzeichnungen der Zeit. Die Äußerung stammt ursprünglich von dem Revolutionär Pierre Vergniaud, der sie 1793 kurz vor seiner Hinrichtung zu Wort gebracht hat.[10] Im Werk ist der Satz Danton zugeordnet und vermittelt somit nicht nur historische Kongruenz, sondern ebenso eine fiktive Auslage der historischen Realität in Übertragung auf eine andere Figur. Auch hier gelten Sterben und Tod innerhalb der Französischen Revolution als allgegenwärtig. Das Sterben wird nicht nur einzelnen Personen, sondern der gesamten Beteiligung / sozialen Gesellschaft zugeschrieben. Es lässt sich Prozesshaftigkeit erkennen. Der Aspekt des Todes sollte dementsprechend eher als ein prozesshaftes Sterben bezeichnet werden. Das Sterben ist fortschreitend und aktuell, indem es mit der Revolution einhergeht. Todbezogene Rhetorik Wie bereits mit Blick auf die Ästhetisierung festgestellt, äußert sich die Wahrnehmung des Todes besonders durch den auffälligen Schreibstil. Dieser kann sich in negativer und positiver Variante

zeigen und entweder todesaffin oder kritisch betrachtend sein. Der Tod wird dabei nicht nur als schönes oder schuldbringendes Gedankenkonstrukt deutlich, sondern erscheint metaphorisch in die bestehende Situation integriert: Wir sind alle lebendig begraben und wie Könige in drei oder vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in unsern Röcken und Hemden [ ]. (D, S. 61) Das Zitat beschreibt die inhaltliche Situation der Figuren als begraben. Ein konkreter Tod oder eine konkrete Hinrichtung sind dabei noch nicht eingetreten (siehe: lebendig begraben). Der Prozess des gedanklichen Sterbens erscheint jedoch im Gange. Die Textpassage kann als weiteres Indiz dafür verstanden werden, dass inhaltlich vor allem dem Sterbe- beziehungsweise Untergangsprozess des politischen Regimes Relevanz zukommt. Abgesehen davon wirkt das Zitat merkwürdig skurril. Die Zustände von Leben und Tod werden vermischt und zeigen sich ähnlich einer Einheit. Ebenso skurril ist die Schreibweise der fiktiven Reden, die nicht notwendig historisch orientiert sind. So zeigt es sich zum Beispiel kurz vor der Hinrichtung: Sie müssen mir jeden Lebenstropfen aus den Gliedern reißen. (D, S. 61/62). Der Schreibstil erscheint nicht nur organisch, sondern vor allem intensiv. Die Äußerungsweise wirkt radikal und körperlich deformierend. Ähnlich zeigt es sich anhand Textstelle zu Beginn: Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecke aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. (D, S. 5). Körperliche Deformierung und Radikalität zeigen sich auch hier. Aggressivität wird vermittelt. Diese wiederum steht im komplementären Gegensatz zur beschriebenen politischen Resignation. Die Parallelität politisch inaktiver Haltung und politisch aktiver Steuerung gegenüber Robespierre spiegeln sich darin wider. Beide Einstellungen sind im selben politischen Rahmen zu verorten nämlich im Dantonismus unter der Figur Dantons. Obwohl Danton selbst weniger aktiv ist als die übrigen Deputierten, vertritt sich eine deckende politische Meinung. Das Zusammenkommen unterschiedlicher Verhaltensweisen bei ähnlichen politischen Interessen zeigt sich im Werk vor allem durch den radikalen Schreibstil und der damit einhergehenden Abwehrhaltung. Unterstützt wird dies durch den dramatischen Modus des Textes. Es lassen sich zwei Zitate vergleichend gegenüberstellen. Zum einen: Wie lange sollen wir noch schmutzig und blutig sein wie neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen spielen? (D, S. 7) Vorliegend ist eine Aussage Camille Desmoulins, der ebenfalls bei den Dantonisten zu verorten ist. Dies gilt sowohl für den historischen sowie den fiktiven Kontext. Die Figur handelt weniger politisch resigniert, sondern fordert aktive Teilhabe an der politischen Situation und bezieht sich konkret auf die gesellschaftliche Schieflage. Obwohl diese (aktive) Einstellung bei Danton selbst konträr zu vernehmen ist, zeigen sich Übereinstimmungen auf Basis des Textes: Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber sein? Ihr wollt Brot, und sie werfen euch Köpfe hin! (D, S. 63) Vorliegend sind nun zwei Textstellen aus gänzlich unterschiedlichen Bereichen des Werks. Sie weisen jedoch in mehrfacher Hinsicht Ähnlichkeiten auf. Bei erster Betrachtung dominiert zunächst die linguistische Perspektive. Der grammatikalische Aufbau der Syntax ist nahezu identisch. Der Parallelismus führt sich auf inhaltlicher Ebene fort. Die Äußerungen stellen ähnliche Wortfelder

bereit. So nehmen sie zum Beispiel beide Bezüge zum besonders auffälligen Merkmal der Köpfe. Der abgetrennte Kopf gilt vor allem in Verbindung zu den allein in Paris 2.000 durch die Guillotine getöteten Menschen als typisch repräsentatives Element für die Französische Revolution.[11] Nun weiter zur inhaltlich-rhetorischen Ebene. Das Paradoxon zwischen Freiheit und Grab markiert den bereits eingetretenen und fortschreitenden Untergangsprozess der Revolution und der politischen Situation der Gesellschaft erneut. Die Wahrnehmung des allgegenwärtigen Todes dominiert den Willen nach Freiheit und den französischen Grundätzen von Freiheit / Gleichheit / Brüderlichkeit generell. Zentrale Effekte der Revolution sind dementsprechend das tatsächlich konkrete Sterben der Bevölkerung sowie der symbolische politischer Untergang. Der Dramentext dient dabei nicht nur der Repräsentation der gesamtgesellschaftlichen Aussichtslosigkeit. Ebenso lassen sich durch ihn die unterschiedlichen Positionen der Revolutionäre deutlich erkennen und miteinander in Bezug setzen. Das Personal des Dramas wird durch spezielle Themenbereiche wie den Tod und spezielle Erzählstile wie der Radikalität zusammengeführt. Die Konstellationen orientieren sich dabei an der historischen Grundlage und Strukturierung. Die Figuren werden jedoch stellenweise zusätzlich charakterisiert. Gleichzeitig spiegelt sich der Aspekt der Prozesshaftigkeit wider. Die wiederkehrenden Strukturen und stilistische Elemente vermitteln erneut die dominante Stellung eines voranschreitenden Todesprozess und verweisen dabei auf die politische (negativ bewertete) Aktivität der gesellschaftlichen Revolution. Schlussbetrachtung Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass der werktypische Sprachduktus sehr prägnant ist. Die Prägnanz markiert aber nicht nur die Unterscheidung zwischen historischer Grundlage und fiktiv produziertem Werk. Ebenso wenig dient sie der ausdrücklichen Anspielung auf die Hinrichtung Dantons. Vielmehr eröffnet der Text und somit die Eigenschaft, ein literarisches Werk zu sein den Bezug zum symbolisch übergreifenden Tod / Untergang der gesamten Revolution. Die sprachlichen Mittel des Dramentexts führen aufgrund von Ähnlichkeiten thematisch-struktureller Ebene Positionen zusammen, die politisch unterschiedlich funktionieren. Auch diese Übereinstimmungen münden letztlich im doppelten Sterbeprozess. Generell ist die historisch politische Situation sehr intensiv im Drama vertreten. Das Konfliktpotenzial liegt darin, dass die geforderte gesellschaftliche Veränderung die eigentlich friedlich enden müsste durch Gewalt erzeugt werden soll. Letztlich siegt dabei keiner. Das Drama wird als Kunstgegenstand hergenommen und politisiert. Die Figuren sind als Ideenträger politischer Positionen konzipiert und entsprechen größtenteils der Funktion ihrer historischen Vorgänger. Aufgeschaukelt wird der Konflikt durch die zentralen Gegenspielerpositionen zwischen Danton und Robespierre. Diese Struktur revolutionären Vorgehens wird kritisch bewertet. Dantons Tod (in Hinsicht auf Inhalt und Titel) zielt nicht nur auf die Hinrichtung der historischen Figur ab, sondern steht vor allem allegorisch für den Prozess des gesellschaftlich-politischen Niedergangs. Das Drama dient als Erinnerung an die vergangene Revolution, dessen soziale Strukturen und gesellschaftlichen Wünsche noch immer nicht erfüllt und aktuell sind. Es funktioniert demnach ähnlich einer Aufarbeitung. Die damalige gesellschaftliche Situation ist so in unmittelbaren Zusammenhang mit der akut bestehenden (politischen) Gesellschaftslage gestellt und verweist auf deren Risiken und mögliche Konsequenzen. Literaturverweis [1] Büchner, Georg: Dantons Tod. Stuttgart: Reclam 1988. Im Folgenden mit der Sigle D angegeben. [2] Bsp.: Pinthus, Kurt: Georg Büchner der Revolutionär (1919). In: Dietmar Goltschnigg (Hrsg.): Georg Büchner und die Moderne. Texte, Analysen, Kommentar; Band 1: 1875-1945. Berlin: Erich Schmidt 2001, S. 288-291, hier: S. 288.

[3] Vgl. Woyke, Wicherd: Weltpolitik im Wandel. Revolutionen, Kriege, Ereignisse und was man daraus lernen kann. Wiesbaden: Springer 2016, S. 28. [4] Vgl. Dissel, Sabine: Das Prinzip des Gegenentwurfs bei Georg Büchner. Von der Quellenmontage zur poetologischen Reflexion. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2005, S. 40. [5] Vgl. Morawe, Bodo: Die Revolution ist eine und dieselbe Geschichtsschreibung der Gegenwart und hybride Poetik in Dantons Tod. In: Hans Richard Brittnacher / Irmela von der Lühe (Hrsg.): Enttäuschung und Engagement. Zur ästhetischen Radikalität Georg Büchners. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2014, S. 65-82, hier: S. 74f. [6] Vgl. ebd., S. 78f. [7] Vgl. Schütte, Uwe: Die Poetik des Extremen. Ausschreitungen einer Sprache des Radikalen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, S. 195. [8] Vgl. Dissel, Sabine: Das Prinzip des Gegenentwurfs bei Georg Büchner (2005), S. 65. [9] Vgl. Dissel, Sabine: Das Prinzip des Gegenentwurfs bei Georg Büchner (2005), S. 47. [10] Vgl. Karla, Anna: Revolution als Zeitgeschichte. Memoiren der Französischen Revolution in der Res-taurationszeit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, S. 261. [11] Vgl. Woyke, Wicherd: Weltpolitik im Wandel. Revolutionen, Kriege, Ereignisse und was man daraus lernen kann. Wiesbaden: Springer 2016, S. 28.