Bessere Vorbereitung auf den Arztberuf Ein Gespräch mit Kai Schnabel



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Transkript:

Bessere Vorbereitung auf den Arztberuf Ein Gespräch mit Kai Schnabel Anne Wolf Kai Schnabel geb. 1964, ist Arzt und Leiter des Reformstudiengangs Medizin an der Charité Berlin. kai.schnabel@charite.de Langfassung des Gesprächs aus Dr. med. Mabuse Nr. 173, Mai/Juni 2008 Der Reformstudiengang Medizin an der Berliner Charité entstammt einer studentischen Initiative. Seit dem Wintersemester 1999/2000 wird er dort parallel zum Regelstudiengang als Modellstudiengang angeboten. Ein Ziel ist es, die Selbstverantwortlichkeit der Studierenden zu fördern. Anne Wolf sprach mit Kai Schnabel über die bisherigen Erfahrungen im Reformstudiengang und die Zukunft der Medizinerausbildung. Seit 1999 gibt es bei Ihnen an der Charité den Reformstudiengang Medizin. Was ist das Besondere daran im Vergleich zum regulären Medizinstudium? Besonders ist daran, dass es ein grundständig reformierter Studiengang ist, bei dem die erste Staatsprüfung durch die Modellstudiengangsklausel wegfällt. Statt dessen haben wir Semesterabschlussprüfungen. Das Studium teilt sich bei uns in zwei Studienabschnitte. Diese Abschnitte sind aber nicht auf herkömmliche Weise in Vorklinik und Klinik aufgeteilt, sondern alle Fächer sind komplett in das Studium integriert. Die Grundfächer wie Anatomie, Physiologie, Biochemie oder Pharmakologie sind bei uns vom ersten bis zum zehnten Semester an Themen orientiert, die in dem jeweiligen Studienabschnitt dran sind. Welche Themen sind das? Im ersten Studienabschnitt haben wir Themenblöcke, die sich an Organsystemen orientieren, zum Beispiel Bewegung, Flüssigkeitshaushalt/Herz-Kreislauf, Elektrolyte-Niere, Ernährung- Stoffwechsel-Verdauung oder Sinnessysteme. Dazu kommen dann die Grundlagenfächer. Im zweiten Studienabschnitt haben wir neben Blockpraktika in großen Fächern wie der Inneren Medizin, Chirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Kinderheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und Geriatrie Themenblöcke, die dem Lebenszyklus folgen. Wir beginnen mit Schwangerschaft und Geburt, dann geht es vom Neugeborenen über den Säugling, die Kleinund Schulkindphase bis zur Adoleszenz und dann zur Lebensmitte bis hin zum Alter. Um diese Lebenszyklen gruppieren sich alle kleinen Fächer herum. Wir haben also keine Einzelsemester, in denen es einen Kurs Augenheilkunde oder Physiologie gibt es ist ein komplett integriertes Studium. Ein weiterer Schwerpunkt im Reformstudiengang liegt auf der Eigenverantwortlichkeit der Studierenden. Wir führen von Beginn an problemorientiertes Lernen als eine Lernmethode mit Praktika und Übungen ein, damit die Studierenden von Anfang an Verantwortung für ihr Lernen übernehmen. Wir haben auch einen Block zu wissenschaftlichem Arbeiten, in dem die Studierenden schon im Grundstudium selbstständig eine wissenschaftliche Arbeit anfertigen. Was verändert sich durch diese Herangehensweise für die Studierenden? Die Studierenden entwickeln sich im Reformstudiengang verantwortungsvoller als im Regelstudiengang, wo der Fahrplan eher von den Lehrenden vorgeben wird. Wir versuchen eine stimulierende Lernumgebung zu schaffen, in der die Studierenden möglichst viele Lerninhalte eigenverantwortlich erarbeiten. Wir haben auch eine Veranstaltung zu Kommunikation und Interaktion, in dem Gesprächsführung die ist in letzter Zeit ja stark im

Fokus der Öffentlichkeit ein großes Gewicht haben. Die findet die gesamten zehn Semester begleitend statt, wie beispielsweise die Überbringung schlechter Nachrichten oder Aufklärungsgespräche, wie man Risiken an Patienten vermittelt, sodass diese mitverantwortlich Entscheidungen treffen können. Aber die neuen Abschlussprüfungen (M2-Prüfungen) sind für Ihre Studierenden dieselben wie für alle anderen MedizinabsolventInnen auch? Ja, die sind dieselben. Das zweite Staatsexamen war ja bis vor kurzem noch getrennt in zweites und drittes Staatsexamen und ist nun in eine Prüfung nach dem praktischen Jahr zusammengelegt worden. Den ersten Teil, das Physikum, halte ich für schlecht, weil es die Trennung zwischen Vorklinik und Klinik zementiert. Diese Prüfung macht einen Praxisbezug ab dem ersten Semester für die Studierenden unattraktiv, weil sie ja nur in Anatomie, Physiologie, Biochemie etc. geprüft werden. Es gibt zwar im Regelgrundstudium eine grobe Einführung in die klinische Medizin. Aber aus meiner Sicht ist das Makulatur, wenn man das nicht verantwortlich prüft. Wie sind denn Ihre Erfahrungen mit den Abschlüssen Ihrer Studierenden im Vergleich zu herkömmlichen Medizinstudierenden? Sie sind tendenziell besser als die der anderen Studierenden gerade im M2-Staatsexamen haben wir da sehr ermutigende Ergebnisse. Fühlen sich die Studierenden bei Ihnen dann auch besser vorbereitet auf das praktische Jahr? Sie fühlen sich insgesamt besser auf den Beruf vorbereitet. Da haben wir signifikante Unterschiede zwischen dem Regelstudiengang und unserem Reformstudiengang. Sie fühlen sich insgesamt wohler dazu gab es eine große Untersuchung an der Humboldt-Universität, bei der unser Studiengang sehr positiv abgeschnitten hat. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Modellstudiengängen in Deutschland. Sehen Sie die Möglichkeit, dass die Erfahrungen daraus dauerhaft in die medizinische Regelausbildung einfließen? Da habe ich große Hoffnungen es gibt ja allein zahlenmäßig immer mehr Modellstudiengänge. Der Reformansatz der einzelnen Modellstudiengänge ist sehr unterschiedlich, da ist sehr viel im Fluss. Es gibt Modelle, die einzelne Teile des Studiums blockweise für alle reformiert haben. Und es gibt andere, wie wir, die Parallelstudiengänge mit einer kleinen Anzahl von Studierenden haben, um dort mehr Erfahrungen zu sammeln. Ich denke, insgesamt gibt es einen bundesweiten Trend zum fachübergreifenden, integrierten Studium und zur Abschaffung der Trennung zwischen Vorklinik und Klinik. Wir möchten an der Charité auch einen Modellstudiengang schaffen für alle Medizinstudierenden der Charité, in dem sich die Vorteile von Regel- und Reformstudiengang vereinigen. Wir haben vor, 2009 damit zu beginnen. Aber an diesem Punkt ist uns die Qualität wichtiger als der Startzeitpunkt wir möchten einen an den notwendigen Kompetenzen zukünftiger Ärzte ausgerichteten Modellstudiengang machen. Wie sehen Sie die Perspektiven einer Umsetzung des Bologna-Prozesses in der medizinischen Ausbildung, sprich die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen? Ich kann da für die Charité nicht in die Zukunft sehen, aber wir wollen den Modellstudiengang so gestalten, dass es ein integrativer Studiengang mit zwei Abschnitten ist, der sich dann leicht auch Bologna-konform gestalten lässt. Möglich wäre ein Bachelor of Basic Medicine, auf den man aufbauend einen Master of Medicine machen kann, unter

Umständen auch einen Master of Public Health. Ich persönlich bin der Bologna-Entwicklung gegenüber sehr positiv eingestellt, weil ich finde, dass es zu einer Flexibilisierung der Ausrichtung der einzelnen Teilabschnitte der Gesundheitsberufe führt. Zum Beispiel dass man einen Bachelor machen und dann auch schon berufstätig sein kann, sei es im Medizinjournalismus oder in der Pharmaindustrie. Dann kann man später noch einen Master machen, den man auch nicht unbedingt in Deutschland machen muss und sich nach bestimmten Neigungen aussuchen kann. Die grobe Richtung ist aber, dass Bachelor und Master in Verbindung mit Praktischem Jahr und Staatsexamen zum weiterbildungsfähigen Arzt führen. Wir wollen keinen Arzt light schaffen. Die Zielrichtung ist, schon im ersten Studienabschnitt viele klinische Elemente so zu verankern, dass man nach drei Jahren auch etwas Praktisches in der Hand hat. Im zweiten Abschnitt wird die restliche ärztliche Ausbildung, die dann auch sehr an der Klinik orientiert sein soll, darauf gesetzt und spezialisiert. Zur Zeit wird die Übernahme ärztlicher Tätigkeiten durch andere Gesundheitsberufe diskutiert. Sehen Sie eine Notwendigkeit für die Medizinerausbildung, darauf zu reagieren? Ich denke, da muss man sich einen Gestaltungsspielraum bewahren. Wir haben im Reformstudiengang beispielsweise auch einen Block zur Pflege in der Medizin, da man als Arzt sehr viel mit den Pflegeberufen zu tun hat. Ich könnte mir auch vorstellen, einige Module aus dem Bachelor wiederum gemeinsam mit Studierenden der Pflegewissenschaft oder der Physiotherapie zu machen in der Schweiz oder den USA sind die Gesundheitsberufe ja schon ganz anders miteinander organisiert. Aber nach wie vor sollte am Ende der ärztlichen Ausbildung auch der voll approbierte Arzt stehen. Die Übernahme von einzelnen ärztlichen Tätigkeiten durch andere Gesundheitsberufe muss man sich im Detail sehr genau anschauen. Man muss beispielsweise schauen, ob da mehr Kompetenz im Hinterkopf notwendig ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Eine Spritze zu geben, ist ein mechanisch relativ einfacher Vorgang, aber zu wissen, ob das Medikament allergische Reaktionen auslösen kann, wie schnell man das Medikament gibt, welche Nebenwirkungen das Medikament auf den Patienten haben kann, die man mit klinischem Blick eventuell schon erkennen kann, das ist eben eine ganz andere Sache. Blut abnehmen ist beispielsweise eine Tätigkeit, die man meiner Meinung nach auch delegieren könnte. Wie beurteilen Sie die Entwicklungen des E-Learnings, die vermehrt in der ärztlichen Ausund Weiterbildung eingeführt werden? Ich sehe in diesem viele Chancen, der Handlungsspielraum ist längst nicht ausgeschöpft. Wir haben durch das E-Learning Möglichkeiten, die wir früher einfach nicht hatten: Beispielsweise können seltene Krankheitsbilder, die man nicht allen Studierenden praktisch zeigen kann, didaktisch gut aufbereitet in ein Lernszenario eingebunden werden. Man kann danach überprüfen, ob die Studierenden die Krankheitsbilder auf Videobildern erkennen. Die Lernmodule kann man auch in der U-Bahn oder auf dem Weg zur Arbeit benutzen das ist unter Umständen flexibler und auch aktueller als ein Lehrbuch. E-Learning soll aber kein Ersatz für Bücher sein ich bin auch nach wie vor ein Fan von Büchern. Nichts desto trotz kann es eine Ergänzung sein, denn bestimmte Inhalte wie Bewegungsmuster, Hautzeichnungen oder Geräuschphänomene, zum Beispiel Herzgeräusche, kann man nicht so gut aus Büchern lernen. Doch das E-Learning gehört wie jede andere Unterrichtsmethode in ein abgestimmtes Curriculum integriert. Es hat da seinen Platz, wo es sinnvoll ist und sicher nicht zum Erwerb praktischer Fertigkeiten. Dazu gehören aus meiner Sicht praktische Übungen in Trainingszentren für praktische Fähigkeiten und auch praktische Prüfungen dieser Fertigkeiten. Am Ende stehen dann strukturierte klinische Examen das haben wir im

Reformstudiengang am Ende jedes Semesters, im Regelstudiengang punktuell. Man muss ein Curriculum schaffen, das verschiedene Unterrichtsformen und Prüfungsmethoden der jeweiligen Ansätze beinhaltet: kognitiv, als auch psychomotorisch oder emotional. Halten Sie die Zusammenlegung der Prüfungen (M2), das so genannte Hammerexamen, für sinnvoll? Eine Prüfung am Schluss, die alles überprüfen soll und dann feststellen soll, ob jemand jetzt ein guter Arzt ist oder nicht, ist vom Ansatz her schon problematisch. Ich denke, wir sollten die Studierenden mit anspruchsvollen Prüfungen im Studium begleiten, aber die Entscheidung, ob jemand Arzt werden kann oder nicht, die sollte schon relativ am Anfang fallen. Die Prüfungen am Anfang sollten vielleicht noch selektiv sein, aber ich würde den Studierenden eher auf dem Weg formative Rückmeldung geben, wo sie noch aufholen müssen. In wenigen Tagen schriftlicher und mündlicher Prüfung beurteilen zu wollen, ob jemand sechs Jahre lang verantwortlich Medizin studiert hat und dann auf die Menschheit losgelassen werden kann, ist für mich vom Prüfungskonstrukt her nicht sinnvoll. Dann sehen Sie auch die erste Prüfung im Medizinstudium, das Physikum, kritisch? Das Physikum hat meiner Ansicht nach keinen Platz in einer modernen Curriculumsstruktur, weil es lernsteuernd in das Lernverhalten der Studierenden eingreift und die ersten zwei Jahre komplett auf die Grundlagenfächer fokussiert. Das Medizinstudium sollte aber eigentlich von Anfang an die klinischen Bezüge schaffen. In der letzten Zeit ist immer wieder die Rede von der Verweiblichung der Medizin nehmen Sie eine Veränderung des Anteils der Frauen in der Medizin wahr? Hier an der Charité sehe ich keine Zunahme, wir haben seit Jahrzehnten einen hohen Frauenanteil. Wenn überhaupt dann gibt es einen Unterschied zu den 1960er Jahren. Sehen Sie denn einen Unterschied in der Chancengleichheit während des Studiums bzw. in der Berufstätigkeit zwischen Frauen und Männern? Ich glaube im Studium ist das noch kein großes Problem. Es gibt Zahlen, die zeigen, dass die meisten Frauen ihr Medizinstudium zu Ende bringen. Probleme, vor allem mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, tauchen erst im Berufsleben auf. Es gibt auch im Studium noch Optimierungsbedarf: Wir haben beispielsweise an der Charité gerade das Zertifikat Familienfreundliche Universität bekommen, da wir unter anderem Kinderbetreuung für Studierende anbieten. Aber ich glaube, das ist nicht die Ursache des Problems die liegt eher darin, dass die berufliche Tätigkeit zunehmend auf eine Vollzeitbeschäftigung ausgerichtet ist. Familie hat darin wenig Raum und auch Akzeptanz, das gilt auch für Väter es ist insgesamt ein sehr familienfeindlicher Bereich. Beim letzten Tarifvertrag zum Beispiel wurde die Zeit, die der Vater bei der Geburt eines Kindes abwesend sein darf vom Arbeitsplatz, von zwei Tagen auf einen Tag reduziert. Als Kassenpatient darf man für ein krankes Kind fünf Tage im Jahr zu Hause bleiben, doch im Kindergartenalter haben Kinder in der Regel jährlich fünf bis zehn Infekte das ist einfach an der Realität vorbei geplant. Das zerreisst einen natürlich als Eltern, und einer muss dann meist zurückstecken in der Regel ist das dann die Frau. Die biologische Ungleichheit, dass die Frau das Kind bekommt und in der Regel auch sechs bis neun Monate stillt, wird nicht gut aufgefangen durch die Berufswelt. Es müsste bessere Einstiegsregelungen geben für Mütter nach einer Kinderzeit, beispielsweise Qualifizierungsmaßnahmen oder auch Förderung für Arbeitgeber, die Frauen nach einer Elternzeit wieder einstellen. Das gibt es in anderen Ländern bereits.

Wie sieht es mit der Familienfreundlichkeit in der Hochschulmedizin aus? In der Universitätsmedizin ist das noch schlimmer als in anderen medizinischen Arbeitsbereichen, weil man veröffentlichen und am Puls der Wissenschaft sein muss, um in der Karriere weiter zu kommen. Da ist man nach wenigen Jahren Auszeit schon außen vor. Insgesamt ist die Medizinausbildung sehr lang sechs Jahre Studium, fünf Jahre Weiterbildung zum Facharzt, und in diesen elf Jahren, die man erst nach dem Abitur beginnen kann, ist ein Kind sicherlich karrierehinderlich. Es wird in der letzten Zeit viel über das schlechte Arzt-Patientenverhältnis, vor allem über fehlende Kommunikation und Interaktion, diskutiert. Glauben Sie, dass dieser gesellschaftlich-politische Druck dazu führen kann, die Ärzteausbildung enger an der praktischen Tätigkeit auszurichten? Wenn Begriffe wie praktische Tätigkeiten und mit Patienten sprechen kommen, führt das an den Hochschulen, insbesondere bei den Grundlagenwissenschaftlern, zu Abwehrverhalten: Wir bilden hier Wissenschaftler aus! Wir sind selbst alle Wissenschaftler! Die reine Gesprächsführung ist etwas, das an den Universitäten häufig nicht genug wertgeschätzt wird. In der Gesellschaft sieht das sicher anders aus. Aber dass Wissenschaftler gute Kommunikatoren sein müssen, wird an den Hochschulen oft nicht gesehen. Da gibt es meiner Meinung nach den größten Nachholbedarf. Wir haben in unserem Reformstudiengang zwei Stunden pro Woche über zehn Semester zu Interaktion und Kommunikation. Wir haben dazu ein Längsschnitt-Curriculum entwickelt, das mit einfachem Lernverhalten und der Kommunikation untereinander beginnt. Im zweiten und dritten Semester beginnen wir dann mit Simulations-Patienten, an denen kontinuierlich Gesprächsführung mit Patienten geübt wird. Wir haben auch einen Simulationskollegen-Fall, in dem es um den interprofessionellen Umgang im Team geht. Kommunikationsfehler finden ja nicht nur zwischen Ärzten und Patienten statt, sondern auch zwischen Ärzten untereinander, die zum Teil desaströs sein können, sowie zwischen Ärzten und Pflegekräften, Physiotherapeuten und anderen Gesundheitsberufen. Auch das muss gelernt und geübt werden. Es muss erst einmal ein Bewusstsein geschaffen werden, dass das etwas wichtiges ist. An den meisten Fakultäten fehlt es in dieser Hinsicht noch an Problembewusstsein. Es herrscht die Meinung, dass man erst einmal die Wissenschaft lernen muss das Reden kann man später noch lernen. Aber das Reden verlernt man, wenn man es nicht übt. Da ändern auch gesellschaftliche und politische Debatten nichts das kommt nicht an? Es kann nicht schaden, wenn das öfter in der Presse steht. Aber die meisten Kunstfehler- Prozesse beispielsweise beruhen auf schlechter Kommunikation in den USA sieht man das sehr deutlich. Der nicht-aufgeklärte Patient verklagt den Arzt, weil er nicht wusste, dass das passieren kann. Die Kommunikationsfähigkeit des klinisch tätigen Arztes ist sehr gefragt, damit die Patienten über ihre Krankheit Bescheid wissen. Im Grunde sind Ärzte auch Ausbilder für ihre Patienten: Sie müssen den Patienten in die Lage versetzen, eigenverantwortlich über ihren Körper zu entscheiden beziehungsweise überhaupt entscheiden zu können. Die Zeit der großen Visite, wo Ärzte in weißen Kitteln in großen Gruppen durch die Säle gegangen sind, auf Latein gesprochen haben, wovon die Patienten nichts verstanden haben, und die Ärzte für die Patienten die Entscheidungen getroffen haben, ist vorbei. Wir leben in einer Informationsgesellschaft: Die Patienten haben sich übers Internet über ihre Krankheit informiert und haben sehr bestimmte Fragen, auf einem ganz anderen Niveau als früher. Ärzte müssen heute mit dem Patienten gemeinsam Entscheidungen treffen. In mancher Situation kommt den Ärzten sicher eine höhere Entscheidungsverantwortung zu beispielsweise in der Notfallmedizin, wenn der Patient unter Umständen sogar bewusstlos ist, muss der Arzt im Namen des Patienten entscheiden. Aber chronisch kranke Patienten wissen oft sehr viel über ihre Krankheit und können

Entscheidungen mittragen. Der Arzt hat die Aufgabe, den Patienten über den neuesten Stand der Wissenschaft so zu informieren, dass dieser es versteht das ist die Kunst. Hindert also das Wissenschaftsverständnis der Mediziner, sich auf diese Aspekte einzulassen? Wo sehen Sie da Ansatzpunkte zur Veränderung? Ein großer Schritt ist in der Schweiz mit der Einführung des Master of Medical Education getan worden das wurdein Deutschland durch den medizinischen Fakultätentag nun auch eingeführt, die Charité hat auch ein Modul dafür entwickelt, welches hier durchgeführt wird und ist an einem weiteren in Heidelberg beteiligt. In diesem Bereich ist eine Professionalisierung im Gange, das heißt, dass der Arzt zunehmend auch als Lehrender wahrgenommen wird und die Lehre mehr an Profil gewinnt. Zum Beispiel schreiben jetzt immer mehr Habilitationsordnungen verbindliche Lehrtrainings vor, was früher überhaupt nicht der Fall war. Die Berufungspraxis ist allerdings noch ein Problem Hochschullehrer werden immer noch ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien (Publikationsleistung etc.) ausgewählt. Wie gut sie in der Lehre sind oder wie sie mit ihren Mitarbeitern umgehen, spielt noch eine sehr untergeordnete Rolle. Aber ich sehe da einen langsamen Wechsel in der Ausrichtung das Interesse an Lehrtrainings hier an der Charité wird spürbar größer. Damit ändert sich auch langsam die Lehrkultur an einer Fakultät. Wir planen an der Charité eine Professur für Ausbildungsforschung in der Medizin. In Witten-Herdecke ist gerade eine solche Professur eingerichtet worden, und ich denke, dass andere Fakultäten wie München, Heidelberg oder die Charité folgen werden. Was würde Ihrer Ansicht nach durch eine solche Professionalisierung verändert? Es ist schon zukunftsweisend, dass die Ausbildung an den Fakultäten von der Methodik her auf eine wissenschaftliche Basis gestellt wird beispielsweise die Frage, was bringe ich Erstsemesterstudierenden auf welche Weise bei, sodass sie Freude am Lernen haben und lebenslange Lerner werden. Das Ziel ist ja auch, Lernstrategien und Freude am Lernen zu vermitteln, damit die ausgebildeten Ärzte sich in den Jahrzehnten ihrer Berufstätigkeit gern in der Fort- und Weiterbildung mit neuen Dingen auseinandersetzen. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Medizinerausbildung? Für mich ist das eine klinisch und an den Grundlagenwissenschaften integrierende Ausbildung von Anfang an, die auf die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden setzt, und in der ein Prüfungssystem geschaffen wird, das einen optimalen Lernprozess abbildet und steuert. Zur Zeit werden die Prüfungen aus ökonomischen Gründen meist kognitiv abgehalten, denn es ist billiger Multiple-Choice-Prüfungen und einzelne mündliche Prüfungen zu machen. In Zukunft wünsche ich mir, und dafür arbeite ich auch in den Gremien, dass das Curriculum und das Prüfungssystem mehr an den erforderlichen Kompetenzen zukünftiger Ärzte orientiert und ausgerichtet werden. Vielen Dank für das Gespräch!