Begrüßungsrede anlässlich des Fachtages Bildungsgerechtigkeit/keine Zukunft ohne Bildung am 15. November 2010 im Freischütz, Schwerte - Bodo Champignon - Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der AWO NRW Es gilt das gesprochene Wort Schwerte 15.11.2010 Seite 1 von 5
Sehr geehrte Frau Ministerin Schäfer, liebe Ute, sehr geehrte Vertreter der Ministerien, sehr geehrte Gesprächspartner unserer Themeninseln, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde der Arbeiterwohlfahrt, im Namen der Landesarbeitsgemeinschaft der Arbeiterwohlfahrt in NRW darf ich Sie herzlich zu unserer heutigen landesweiten Fachtagung Bildungsgerechtigkeit/Keine Zukunft ohne Bildung begrüßen. Besonders begrüße ich unsere Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW Ute Schäfer. Liebe Ute, ich freue mich über deine Anwesenheit bei unserer heutigen Fachtagung und dein Referat, das du uns gleich halten wirst. Der Kurzfilm ging wohl jedem im Saal unter die Haut: Der kleine Max soll in der Schule von seinem schönsten Tag in der letzten Woche erzählen. Doch außer einem Besuch mit seiner Mutter beim Arbeitsamt, einer Mittagspause bei der sozialen Essensausgabe und einem Nachmittag im Waschsalon hat er nichts erlebt. Ein trister Tag, der in seiner kindlichen Fantasie zu einem aufregenden Familienausflug wird. Der Film Armut kennt viele Geschichten wurde übrigens von Isabel Prahl von der Kunsthochschule für Medien in Köln geschaffen. Wir wünschen uns, dass dieser Film nur Fiktion ist, die uns provoziert und inspiriert Mit der heutigen Veranstaltung führt die Arbeiterwohlfahrt den in Düsseldorf mit der Fachveranstaltung Armut bedroht unsere Gesellschaft des letzten Jahres begonnenen Dialog fort und fordert dazu auf, sich mit Ursachen und Folgen von Kinderarmut weiterhin auseinanderzusetzen und für mehr Bildungsgerechtigkeit einzutreten. Der 9. Kinder- und Jugendbericht der Landesregierung NRW zeigt, dass das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen zunehmend von der wirtschaftlichen Armut ihrer Eltern geprägt ist. Von 3,17 Mio. Kindern und Jugendlichen in NRW sind 24,3 % unter 18 Jahren davon betroffen. 17,8 % der unter 15jährigen erhalten SGB II- Leistungen. Mangelnde finanzielle Sicherheiten und fehlende Perspektiven auf eine Besserung der Lebensverhältnisse werden belastend erlebt und schränken die sozialen Teilhabemöglichkeiten ein. Schwerte 15.11.2010 Seite 2 von 5
Die Bildungsstruktur der einkommensarmen Bevölkerung weist deutliche Unterschiede zur übrigen Bevölkerung auf. Auch wissen wir heute, dass die Bildungsabschlüsse der Eltern prägend für die der eigenen Kinder sind. Der sozio-ökonomische Status hat wiederum Einfluss auf das Gesundheitsempfinden und -verhalten, auf Ernährungsgewohnheiten sowie auf Erkrankungen und Lebensdauer. Die Daten der Schuleingangsuntersuchungen weisen einen Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand der Eltern und der Sprach- und Sprechauffälligkeiten der Kinder auf. Die frühe Förderung der Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten hat daher einen besonderen Stellenwert und muss als gesamtgesellschaftliche Herausforderung betrachtet werden. Es sind geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Entwicklungschancen der Kinder und Jugendlichen unabhängig von den wirtschaftlichen Gegebenheiten des Elternhauses befördern. Geeignete Angebote der individuellen Förderung können die Einrichtungen der Kinderund Jugendhilfe leisten. Kindertageseinrichtungen, die auch schon die Kinder unter 3 Jahren betreuen, und der Offene Ganztag in den Schulen tragen zu mehr Bildungsgerechtigkeit bei. Die Verbesserung der Früherkennung und der Ausbau der sozialen Frühwarnsysteme, die vernetzten Hilfsangebote in den Familienzentren sind weitere Bausteine, die familiären Ressourcen zu stärken. Der Schulalltag ist noch sehr darauf ausgelegt, dass Eltern ihre Kinder privat fördern. Ganztagsschulen, die passgenau den Lernstoff vermitteln, Kinder individuell fördern und Freizeitangebote zum Sport und Spiel im Programm haben, geben Kindern die Entwicklungschancen, die sie brauchen, ihre Fähigkeiten zu entfalten. Damit einher geht auch der Erwerb sozialer Kompetenzen. Lernmittelfreiheit müsste für alle Kinder gelten, besonders wenn eine Gesellschaft ihre Kinder als Zukunft betrachtet. Im Übergang von Schule und Beruf zeigt sich, dass nicht alle jungen Menschen einen Schulabschluss erreichen, der den Anforderungen des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes entspricht. Sozial benachteiligte Jugendliche weisen zahlreiche Integrationshemmnisse auf. Zu dieser durch eine hohe Problemdichte gekennzeichneten Zielgruppe zählen: lernbehinderte Förderschüler Hauptschüler ohne Abschluss oder mit schlechtem Abschluss schulverweigernde Jugendliche und junge Menschen mit Migrationshintergrund. Schwerte 15.11.2010 Seite 3 von 5
Alle Erfahrungen zeigen, dass diese jungen Menschen ohne eine zusätzliche Förderung chancenlos sind und bleiben. Somit wird für sie der nachträgliche Bildungserwerb alternativlos. Bildungsprogramme von der Stange sind dabei untauglich, da dieses genau die Angebote sind, von denen sich diese Zielgruppen bereits während ihrer Schulzeit verabschiedet haben. Es hat sich in den vergangenen Jahren deutlich gezeigt, dass gezielte Maßnahmen der werkpädagogischen Bildungs- und Erziehungsarbeit, verbunden mit dem zielgerichteten Nachholen von schulischen Bildungsinhalten, zu einer nachhaltigen Verbesserung der Integrationschancen beitragen. Sehr geehrte Ministerin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse zusammen: Fast jedes 4. Kind in NRW ist arm und in der Folge sozial benachteiligt. Dieses gilt vor allem auch für die Bildung. Diese Tatsache wird von Politik und Gesellschaft oftmals nur resignierend zur Kenntnis genommen. Wir dürfen uns mit diesem Zustand aber nicht abfinden. Sehr geehrte Frau Ministerin Schäfer, liebe Ute, wir haben Ihre politischen Schwerpunkte der Familien-, Kinder- und Jugendpolitik in der 15. Wahlperiode im Rahmen der Sitzung des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend des Landtages NRW am 07. Oktober mit Respekt zur Kenntnis genommen. Sie wollen die familiären Ressourcen stärken, was Kindern und Jugendlichen besonders zu Gute kommt. Wir hoffen und wünschen, dass Sie die sehr engagierten Ziele in der Jugendsozialarbeit und Jugendpolitik sowie die grundlegenden Aspekte der besseren frühkindlichen Bildung umsetzen können. Die Arbeiterwohlfahrt hat mit ihren Bündnispartnern DGB, GEW, Deutscher Kinderschutzbund, Der Paritätische ein Memorandum Kinderarmut verfasst. Die politischen Forderungen sind nach wie vor aktuell. Auch eine von der Bundesregierung ins Auge gefasste Bildungschipkarte ändert nichts daran, dass wir eine Kindergrundsicherung fordern. Es muss unser aller Anliegen sein, Kinder von Geringverdienern und Hartz IV-Empfängern bildungsmäßig nicht zu diskriminieren und zu stigmatisieren. Am 25. Oktober stellte unser o. g. Bündnis gegen Kinderarmut im Rahmen einer Landespressekonferenz im Düsseldorfer Landtag die Forderung eines Sofortprogramms NRW zur Bekämpfung der Kinderarmut vor, die sich an die Landesregierung und die Kommunen unseres Landes richtet. Schwerte 15.11.2010 Seite 4 von 5
Kurz zusammengefasst brauchen wir ein Sofortprogramm für: 1.) eine verlässliche Betreuung durch Familienhebammen 2.) ein Recht auf Eltern- und Familienbildung von Anfang an 3.) Angebote in Kindertageseinrichtungen für Kinder aus einkommensschwachen Familien ab dem 4. Monat 4.) eine angemessene Finanzierung der Familienzentren, um dem Anspruch gerecht werden zu können 5.) eine offene Ganztagsschule als Instrument der Armutsbekämpfung 6.) eine Kooperation von Kinder- und Jugendhilfe mit der Gesundheitsfürsorge Heute werden wir Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe und gute Beispiele aus der Praxis präsentieren und mit kompetenten Gesprächspartnern analysieren. Ich begrüße des Weiteren Stefanie Klein von der Faktor-Familie GmbH aus Bochum, die sich mit lokaler Familienforschung und Familienpolitik beschäftigt. Er wird uns ebenfalls noch am heutigen Morgen einen Vortrag mit dem Thema Familienarmut in NRW- Kommunen halten. Die TeilnehmerInnen unserer Themeninseln am Nachmittag werden Ihnen dann später vorgestellt, allerdings möchte ich Sie an dieser Stelle auch schon einmal herzlich begrüßen. Willkommen heiße ich aber jetzt noch Martina Kreimann, die der eine oder andere von uns schon auf einer AWO-Veranstaltung der Vergangenheit als kompetente Moderatorin erleben durfte. Sie wird uns durch die heutige Tagung führen und die Veranstaltung moderieren. Natürlich begrüße ich auch - die Mitglieder des AWO-LAG-Vorstandes, stellvertretend für alle den Vorsitzenden des AWO Bezirksverbandes Niederrhein Gunder Heimlich - die Funktionäre unserer Gliederungen - die Bezirks-, Kreisverbands- und Unterbezirksgeschäftsführer - Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der AWO aber auch anderer Verbände - sowie Vertreter von Kommunen und Kreisen - sowie Vertreter der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe Es haben sich hier heute viele Fachleute versammelt, die die Diskussion ergebnisorientiert voran bringen werden. Ich wünsche uns anregende Gespräche und der Veranstaltung einen guten Verlauf. Glück auf! Schwerte 15.11.2010 Seite 5 von 5