Krämer Diagnose Epilepsie



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Transkript:

Krämer Diagnose Epilepsie

Der Autor Dr. med. Günter Krämer ist Facharzt für Neurologie und seit 1994 Medizinischer Direktor des Schweizerischen Epilepsie- Zentrums in Zürich. Neben wissenschaftlichen Aktivitäten und Mitgliedschaften in vielen nationalen und internationalen Fachgesellschaften (seit 2001 Präsident der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie) hat er sich seit vielen Jahren besonders für die Patienteninformationen bei Epilepsien und anderen chronischen neurologischen Krankheiten (Multiple Sklerose, Schlaganfall und Alzheimer-Krankheit) engagiert.

Dr. med. Günter Krämer Diagnose Epilepsie Kurz & bündig: Wie Sie die Krankheit verstehen, die besten Therapien für sich nutzen und Ihren Alltag optimal gestalten

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar Leserservice Wenn Sie Fragen oder Anregungen zu diesem Buch haben, schreiben Sie uns: TRIAS-Verlag Postfach 30 05 04 70445 Stuttgart Oder besuchen Sie uns im Internet unter www.trias-gesundheit.de Umschlaggestaltung: Cyclus Visuelle Kommunikation Stuttgart Programmplanung: Uta Spieldiener Lektorat: Con:text, Thomas Kopal Bildnachweis: Umschlagsvorderseite: ZEFA, Innen: photodisc, Inc, 67, 87, 91 MEV- Verlag, Augsburg; 103 Jan Tomaschoff Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen, Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben, Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und unter Umständen nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Anwendung erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen. 2003 TRIAS Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG. Oswald-Hesse-Str. 50 70469 Stuttgart Printed in Germany Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier Satz: Cyclus Media Produktion Druck: Westermann Druck GmbH, Zwickau ISBN 3-8304-3077-9 Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Normalerweise handelt es sich um deutsche Warenzeichen bzw. Warennamen, österreichische sind mit (Ö) gekennzeichnet. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.

Inhalt Vorwort 8 Was Sie wissen sollten Warum gerade ich? 10 Die wichtigsten Begriffe 13 Häufigkeit und Alter beim Beginn 16 Der erste Anfall 18 Ursachen und Auslöser Die häufigsten Ursachen von Anfällen und Epilepsien 22 Gelegenheitsanfälle 23 Epileptische Fieberanfälle ( Fieberkrämpfe ) 25 Ist Epilepsie eine Erbkrankheit? 29 Kopfverletzungen und Epilepsie 31 Hirntumore und Epilepsie 33 Durchblutungsstörungen des Gehirns und Epilepsie 35 Häufige Anfallsformen Absencen 38 Fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung 41 Fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung 44 Generalisierte tonisch-klonische ( Grand-mal -) Anfälle 47 Status epilepticus 51 5

Inhalt Wichtige Epilepsieformen West-Syndrom 56 Lennox-Gastaut-Syndrom 60 Rolando-Epilepsie 64 Absencenepilepsien 67 Juvenile myoklonische Epilepsie 72 Temporallappenepilepsie 75 Untersuchungen Die Vorgeschichte 80 Das Elektroenzephalogramm (EEG) 84 Bildgebende Untersuchungen 87 Blutspiegelbestimmung 89 Die neuropsychologische Untersuchung 91 Die Untersuchung psychischer Störungen 92 Behandlung Grundlagen der medikamentösen Behandlung 96 Die wichtigsten Medikamente gegen Anfälle 101 Nichtmedikamentöse und komplementäre Behandlungsmethoden 104 Möglichkeiten der Epilepsiechirurgie 108 6

Inhalt Leben mit Epilepsie Sexualität 112 Kinderwunsch und Epilepsie 116 Schule 119 Beruf 123 Urlaubsreisen 126 Alkohol und Epilepsie 130 Fernsehen und Videospiele 133 Sport 137 Kraftfahrtauglichkeit 141 Anhang Wichtige Adressen 142 Stichwortverzeichnis 143 7

Vorwort Vorwort Dieses Buch ist aus dem Bedürfnis entstanden, eine kurzgefasste Darstellung der wichtigsten Aspekte von Epilepsien zur Verfügung zu stellen. Mein in zweiter Auflage vorliegendes Buch Epilepsie: Antworten auf die häufigsten Fragen (TRIAS-Verlag 2000; dritte Auflage für 2004 geplant) ist im Vergleich zu dem vorliegenden Titel mehr als doppelt so umfangreich. Viele Leserinnen und Leser haben auf mein Nachfragen zwar verneint, dass dieses Buch für den an schnell verfügbaren Fakten interessierten Durchschnittsleser zu umfassend und mit zu viel Hintergrundwissen vollgepackt sei. Ich vermute jedoch, dass diese Einschätzung in erster Linie darauf beruhte, dass die von mir Befragten meist überdurchschnittlich interessierte Mitglieder von Epilepsie-Selbsthilfegruppen waren. So passten ein bei mir selbst gewachsenes Bedürfnis und eine Anregung des Verlages zueinander, ein ergänzendes, sowohl kompakteres als auch vermehrt grafisch aufbereitetes Epilepsiebuch vorzulegen. Beide Titel werden durch ein Wörterbuch (Epilepsie von A Z, dritte Auflage, TRIAS-Verlag 2001) ergänzt. Die Absicht dieses Buches besteht nicht in einem Lehrbuch für Laien. Es soll unter Verzicht auf Selteneres eine knappe Orientierung zu den wichtigsten Fragen ermöglichen. Bei den häufigsten Anfalls- und Epilepsieformen erfolgt jeweils eine Besprechung aller wichtigen Aspekte ohne Notwendigkeit, beispielsweise zu den Ursachen, erforderlichen Untersuchungen und zur Behandlung an drei verschiedenen Stellen des Buches nachschlagen zu müssen. Beim Schreiben habe ich der Einfachheit halber in der Regel von dem Arzt gesprochen. Damit soll natürlich keinerlei Geschlechtsbevorzugung zum Ausdruck gebracht werden. Mein Dank geht zunächst an Frau Uta Spieldiener vom Verlag und Herrn Thomas Kopal vom gleichnamigen Verlagsbüro für die wohlwollend konstruktive Betreuung (insbesondere bei dem mühevollen Kürzungsprozess des Manuskriptes), daneben wie immer an meine Frau Doris und unsere beiden inzwischen erwachsenen Kinder Judith und Dirk. Ohne sie hätte vieles in meinem Leben keinen Sinn. Zürich, im Juni 2003 Günter Krämer 8

Was Sie wissen sollten Wird die Diagnose Epilepsie gestellt, tauchen auch die ersten Fragen auf. Dabei ist die Kenntnis einiger Grundlagen unentbehrlich und hilft, sich mit der Krankheit zurechtzufinden.

Was Sie wissen sollten Der erste Anfall ist für Betroffene und Angehörige meist ein Schock. Warum trifft es gerade einen selbst oder den nächsten Angehörigen oder gar ein Kind? Was bedeutet dieser Anfall für die Zukunft? Folgt in jedem Fall eine Epilepsie?. In diesem Kapitel erhalten Sie in Kürze alle wirklich wichtigen Informationen, die Sie zum Verständnis von Anfällen und Epilepsie brauchen. Dabei werden auch die Häufigkeit und das Alter beim Beginn einer Epilepsie sowie Besonderheiten des ersten Anfalls eingehend besprochen. Warum gerade ich? Auch mit der derzeit empfindlichsten Untersuchungsmethode zur Abklärung der Ursache einer Epilepsie, der so genannten Magnetresonanztomographie, lässt sich nur bei etwa 20-30% der Menschen, bei denen eine Epilepsie festgestellt wird, die Ursache finden. Warum gerade ich?, Warum unser Angehöriger, Warum gerade mein/unser Kind? Solche Fragen nach der Ursache drängen sich auf, wenn die Diagnose Epilepsie gestellt wird. Allerdings ist der Grund für die meisten Epilepsien noch weitgehend oder sogar völlig unbekannt, und trotz allen Fortschritts mit immer genauer werdenden Untersuchungsmöglichkeiten ist es nach wie vor eher die Regel als die Ausnahme, dass der Arzt am Ende der Untersuchungen keine eigentliche Ursache gefunden hat. Selbst wenn diese Auskunft zunächst frustrierend sein kann, so bedeutet sie doch auch, dass am Gehirn keine Schäden zu erkennen sind, die für seine zeitweisen Aussetzer verantwortlich sind. Hingegen finden sich häufiger einige Hinweise, wie etwa Zeichen einer erhöhten zerebralen Erregbarkeit oder sogar epilepsietypische Potenziale im Elektroenzephalogramm (EEG; siehe S. 84), die zumindest im Erwachsenenalter meist auch eine Antwort auf die Frage nach der zugrundeliegenden Ursache geben können. Ursachen können Hirntumoren oder die Folgen von Schlaganfällen oder Kopfverletzungen sein. Daneben kommen auch entzündliche Krankheiten des Gehirns oder Folgezustände von schon von Geburt an vorhandenen Fehlbildungen in Frage (siehe folgende Abbildung). 10

Warum gerade ich? Genetik/ Vererbung Schädel-Hirn- Trauma/ Kopfverletzung Toxische Faktoren/ Vergiftung Mögliche Ursachen von Epilepsien Tumore des Gehirns Epileptische Anfälle/ Epilepsien Entzündliche Erkrankungen frühkindliche Hirnschädigung (um die Geburt herum) Fehlbildungen des Gehirns epileptische Fieberanfälle/ Fieberkrämpfe Geht man einmal von einem durchschnittlichen Risiko an Epilepsie zu erkranken von einem angenommenen Wert 1 aus, so zeigt sich in einer Übersicht, dass bestimmte Faktoren wie etwa eine Kopfverletzung oder Hirnhautentzündung das Erkrankungsrisiko deutlich steigern. Am auffälligsten ist dies mit einer Steigerung fast um den Faktor 600 für Schussverletzungen des Gehirns der Fall. Merksatz In jedem Fall sollten Betroffene sich so früh wie irgend möglich von dem Gedanken befreien, dass sie selbst für ihre Epilepsie, für die Ihres Angehörigen oder für die Ihres Kindes verantwortlich sind. Derartige Schuldgefühle sind bis auf ganz seltene Ausnahmen wenn jemand sich z. B. im Rahmen eines Alkoholrausches eine schwere Kopfverletzung zugezogen hat völlig unbegründet und stellen eine überflüssige Belastung dar. Besonders bei Kindern und Jugendlichen lassen bestimmte EEG- Veränderungen häufiger an eine erbliche Komponente denken. Dies muss aber keineswegs bedeuten, dass die Eltern eine Epilepsie haben oder gehabt haben müssen, obwohl sich bei sorgfältiger Nachforschung in der weiteren Familie häufiger andere Betroffene finden. Erfreulicherweise sind diese erblichen Epi- 11

Was Sie wissen sollten Risikofaktoren für das Auftreten einer Epilepsie positive Familienanamnese schwere Kopfverletzung (Krieg) schwere sonstige Kopfverletzung mittelschwere Kopfverletzung leichte Kopfverletzung Schlaganfall Alzheimer- Krankheit Virus- Enzephalitis bakterielle Hirnhautentzündung virale Hirnhautentzündung Multiple Sklerose Alkoholmissbrauch Heroinmissbrauch Kontrolle 2,5 4,0 1,5 4,2 2,3 3,6 2,6 1,0 10,0 10,1 16,2 22,0 25,0 580,0 lepsien fast ausnahmslos medikamentös leicht behandelbar und haben darüber hinaus eine starke Tendenz, spätestens bis zum Erreichen des Erwachsenenalters von alleine auszuheilen ( sich auszuwachsen ). Eine häufige Ursache von epileptischen Anfällen ist bei Kindern bis zum fünften Lebensjahr hohes Fieber. Diese Fieberkrämpfe sind jedoch in aller Regel nur auf das Kleinkindesalter beschränkte so genannte Gelegenheitsanfälle (siehe S. 23), und nur bei etwa zwei bis drei Prozent dieser Kinder kommt es später auch zu einer Epilepsie. Bei Jugendlichen und Erwachsenen gilt Ähnliches für die im Zusammenhang mit Schlafentzug und Alkoholmissbrauch auftretenden Anfälle. 12

Die wichtigsten Begriffe Darüber hinaus hängt die Frage nach der (wahrscheinlichsten) Ursache einer Epilepsie sehr von individuellen Faktoren ab, in erster Linie vom Lebensalter, der Anfallsart und dem Land, in dem man lebt: Alter bei Beginn Neugeborene: oft Sauerstoffmangel des Gehirns unter der Geburt oder Stoffwechselstörungen Klein- und Schulkinder: am ehesten erblich (mit-) bedingt Erwachsene: zahlreiche Ursachen möglich höheres Lebensalter: Durchblutungsstörungen des Gehirns Anfallsart Wohnort/Land: generalisierte, von Anfang an beide Seiten des Gehirns beteiligende Anfälle: eher keine umschriebene Hirnschädigung fokale, nur einen umschriebenen Teil des Gehirns beteiligende Anfälle: wahrscheinlich umschriebene Hirnschädigung Während dies in Mitteleuropa eine absolute Rarität ist, stellt die häufigste Ursache von Epilepsien in manchen afrikanischen Ländern eine Malaria mit Beteiligung des Gehirns dar, und in manchen südamerikanischen Ländern gilt dies aufgrund schlechter hygienischer Verhältnisse für einen Befall des Gehirns mit Larven des Schweinebandwurms! Die wichtigsten Begriffe Epileptische Anfälle sind Ausdruck kurz dauernder, verstärkter und sich gegenseitig aufschaukelnder Entladungen von Nervenzellen im Gehirn. Von einer Epilepsie spricht man bei einer Neigung zu wiederholten epileptischen Anfällen (mindestens zwei im Abstand von mehr als 24 Stunden) ohne erkennbare Erklärung für den Zeitpunkt ihres Auftretens. Es gibt mehr als zehn Formen epileptischer Anfälle und noch weitaus mehr Formen von Epilepsien, auch weil diese mit einer Kombination mehrerer verschiedener Anfallsformen einhergehen können. Jeder betroffene Mensch hat in der Regel nur eine Epilepsieform mit einer bis drei Anfallsformen. Die Abstände 13

Was Sie wissen sollten zwischen den einzelnen Anfällen können zwischen Sekunden und Jahren oder sogar Jahrzehnten schwanken. Unterschiedliche Anfallsformen Epileptische Anfälle können ganz verschieden aussehen und auch ablaufen, ohne dass der Betroffene oder seine Umgebung etwas davon merken. Epileptische Anfälle können sehr unterschiedlich aussehen. Sie können ohne Schrei und Bewusstlosigkeit einhergehen, ohne Steifwerden, Zungenbiss und Umfallen, ohne Blauwerden und Krampfen. Sie können so harmlos sein, dass weder die Betroffenen selbst irgendetwas davon mitbekommen noch Nichtfachleuten etwas auffällt, wenn sie einen Anfall direkt beobachten. Einziges Zeichen eines epileptischen Anfalls kann beispielsweise eine eigenartige Geschmacksempfindung, eine Unaufmerksamkeit von wenigen Sekunden Dauer oder ein kurzes Kribbeln in einem Arm sein. Einfach gesagt sind epileptische Anfälle Ausdruck einer vorübergehenden Funktionsstörung von Nervenzellen, wobei die Auswirkungen des Anfalls davon abhängen, welche Aufgaben die beteiligten Nervenzellen normalerweise haben. Zeichen epileptischer Anfälle Jede Nervenzelle und jeder Nervenzellverband im Gehirn kann epileptisch werden, was dazu führt, dass sie in ihrer normalen Tätigkeit gestört oder unterbrochen werden. Wenn etwa die Zellen für Wahrnehmungen aus dem Bauch zuständig sind, kann es zu einem eigenartigen Gefühl in der Magengrube kommen, das sich typischerweise von dort nach oben bis zum Mund ausbreitet. Sind die Nervenzellen für die Geruchsempfindung verantwortlich, kommt es zu einer Riechstörung; sind sie normalerweise für das Sehen verantwortlich, kann es beispielsweise zu Wahrnehmungen von Blitzen oder anderen Lichtreizen kommen. Sind die Nervenzellen am Gedächtnis beteiligt, drückt sich dies in einer Störung des Lernens und gegebenenfalls auch in einer Unterbrechung des Bewusstseins mit hinterher bestehender Erinnerungslücke aus. 14

Die wichtigsten Begriffe Wie ein epileptischer Anfall abläuft Was genau im Gehirn zu Beginn eines epileptischen Anfalls passiert bzw. was als unmittelbare Ursache des Anfalls angesehen werden kann, ist größtenteils noch unbekannt. Die meisten Nervenzellen entladen oder feuern normalerweise relativ langsam oder auch längere Zeit überhaupt nicht. Eine epileptisch gewordene Nervenzelle feuert entweder andauernd schnell hintereinander oder in Salven beziehungsweise Impulsserien. Eine Störung einer einzelnen Nervenzelle würde jedoch niemals ausreichen, um bei einem Menschen einen Anfall auszulösen. Dazu kommt es erst, wenn sehr viele, normalerweise in ihrer Tätigkeit aufeinander abgestimmte, Zellen gleichzeitig diese Störung haben und sich gegenseitig hochschaukeln. Erst dann lässt sich ein beginnender Anfall in Veränderungen im Elektroenzephalogramm (EEG) an der Kopfoberfläche erkennen. Bei epileptischen Anfällen kommt es also zu einem Zusammenwirken eines ganzen Netzwerkes vorübergehend übermäßig aktiver Nervenzellen, die gewissermaßen außer Kontrolle geraten. Der Ort und das Ausmaß der epileptischen Entladungen bestimmen die Anfallsform. Bei so genannten primär generalisierten Anfällen wie beispielsweise Absencen sind von Beginn an beide Großhirnhälften beteiligt, was auch erklärt, warum die Betroffenen nichts vom Beginn der Anfälle wissen. Im Gegensatz dazu sind die epileptischen Entladungen bei fokalen Anfällen zunächst auf einen Teil des Gehirns beschränkt, können sich von dort aber weiter ausbreiten und unter Umständen schließlich ebenfalls das ganze Gehirn beteiligen. Das Großhirn besteht aus zwei Hälften, die sich wie die beiden Hälften einer Walnuss spiegelbildlich entsprechen. Sie stehen durch in der Mitte liegende Verbindungsabschnitte und über den Hirnstamm miteinander in Kontakt. Die Tätigkeit der Nervenzellen ist für das Denken, Fühlen und Handeln verantwortlich. Kommt es zu einer Störung, kann eine der möglichen Folgen das Auftreten epileptischer Anfälle sein. Die Folgen eines epileptischen Anfalls Die abnormen Erregungen von Nervenzellen führen dazu, dass die vom Gehirn über das Rückenmark und die Nerven in die verschiedenen Körperabschnitte bzw. von dort zurück zum Gehirn laufenden elektrischen Impulse gestört oder unterbrochen werden, weshalb es zu vielfältigen unwillkürlichen und oft nicht bewusst erlebten Abläufen kommen kann. Während beispielsweise im normalen Wachzustand laufend die u.a. mit den Augen und Ohren aufgenommene Information über 15

Was Sie wissen sollten die Umwelt vom Gehirn verarbeitet wird, um bei Bedarf darauf reagieren zu können, kann es bei einem Anfall zur Unterbrechung dieser Bahnen kommen. Das führt dann dazu, dass die Betroffenen zwar mit offenen Augen schauen, aber gleichzeitig abwesend wirken und nicht reagieren. Ein anderes Beispiel ist das Nachlassen der Muskelspannung in den Beinen, was zu Störungen des Gleichgewichts und Hinstürzen führen kann. Auch eine Erinnerungslosigkeit beruht auf derartigen Störungen. Das Gehirn bzw. Teile des Gehirns sind nur in der kurzen Zeit eines Anfalls gestört; zwischen Anfällen funktioniert es normal. Häufigkeit und Alter beim Beginn Epilepsien sind häufiger als die meisten Menschen glauben. Knapp ein Prozent aller Menschen leidet an einer Epilepsie; weltweit wird mit mindestens 50 Millionen Betroffenen gerechnet. Epilepsien treten bei Kindern und älteren Menschen häufiger auf. Epileptische Anfälle können im Prinzip bei jedem Menschen auftreten, dessen Gehirn plötzlich geschädigt oder durch eine akute Erkrankung in Mitleidenschaft gezogen wird. Im Verlauf 16

Häufigkeit und Alter beim Beginn des Lebens kommt es bei etwa drei bis vier Prozent der Bevölkerung ohne jeweils erkennbaren Grund oder Anlass zu wiederholt auftretenden epileptischen Anfällen und damit zu einer Epilepsie, von denen ein Teil aber nur vorübergehend aktiv ist. In Deutschland wird geschätzt, dass mindestens sechs bis sieben Betroffene pro 1000 Einwohner, also insgesamt etwa 500000 Personen mindestens einen Anfall in den letzten fünf Jahren hatten oder medikamentös behandelt werden. Die Zahl von Neuerkrankungen an Epilepsien pro Jahr wird auf 30 bis 50 pro 100000 Menschen geschätzt. Dies bedeutet in Deutschland rund 30000 neu erkrankte Menschen pro Jahr. So wie die allgemeine Häufigkeit ist auch die Häufigkeit an Neuerkrankungen altersabhängig. Sie zeigt bezogen auf das Lebensalter einen U-förmigen Verlauf mit den höchsten Werten in den ersten beiden Lebensjahren und jenseits des 60. bis 70. Lebensjahres. Häufigkeit/100 000 Menschen 100 80 60 40 20 generalisiert fokal So häufig treten Epilepsien mit fokalen und generalisierten Anfällen in Abhängigkeit vom Lebensalter auf. 0 0 20 40 60 80 Lebensalter (Jahre) Etwa ein Drittel der Epilepsien tritt in den ersten beiden Lebensjahrzehnten auf. Zwischen dem 20. und 60. Lebensjahr beginnen dann vergleichsweise weniger Epilepsien, während es danach wieder zu einem deutlichen Anstieg kommt. Epilepsien entwickeln sich also immer mehr von einer Kinderkrankheit zu einer Krankheit des höheren Lebensalters! 17

Was Sie wissen sollten Der erste Anfall Der erste bewusst erlebte oder beobachtete epileptische Anfall bleibt vielen Menschen mit Epilepsie und auch den Angehörigen oder Augenzeugen oft besonders dramatisch in Erinnerung. Wenn es sich um einen großen (generalisierten tonisch-klonischen oder Grand-mal- Anfall, siehe S. 47) gehandelt hat, wissen die Betroffenen von diesem Anfall manchmal nur das, was ihnen hinterher erzählt wurde. Sie selbst können sich nur daran erinnern, dass irgendetwas Komisches passiert ist und dass sie später irgendwo (z.b. auf dem Boden liegend, in einem Krankenwagen oder auch erst im Krankenhaus) wieder zu sich gekommen sind und nicht wussten, wie sie dorthin gekommen waren. Umstehende Menschen hatten oft ebenfalls erschrocken gewirkt und z.b. gefragt, ob es denn jetzt besser gehe. Eine wirklich wichtige Unterscheidung: Nicht jeder Mensch mit einem oder mehreren Anfällen hat auch eine Epilepsie. Wenn der erste Schreck vorbei ist, folgt eine ärztliche Untersuchung und in vielen Fällen auch die Feststellung oder zumindest Verdachtsdiagnose, dass es sich mit mehr oder weniger großer Sicherheit um einen epileptischen Anfall gehandelt hat. Bei vielen Betroffenen stellen sich dann Angst, Furcht, Zorn, oder auch Hilflosigkeit und Schuldgefühle ein. Einige fragen sich, warum ausgerechnet ihnen das passiert ist und fühlen sich niedergeschlagen und unzufrieden. Der erste Anfall ist nicht unbedingt der Beginn einer Epilepsie Ein erster epileptischer Anfall ist nicht mit einer Epilepsie gleichbedeutend und berechtigt meist auch nicht zur Stellung der Diagnose einer Epilepsie. Auch mehrere epileptische Anfälle sind noch keine Epilepsie, wenn ihre Ursachen oder Auslöser akut aufgetreten und erkennbar sind. Fast jeder zehnte Mensch hat irgendwann im Verlauf seines Lebens zumindest einen epileptischen Anfall. Am häufigsten sind akute symptomatische Anfälle mit erkennbaren Ursachen oder Auslösern, die durch besondere Umstände begünstigt oder 18

Der erste Anfall provoziert wurden. Bekanntestes Beispiel solcher provozierter Anfälle sind in der frühen Kindheit die so genannten Fieberkrämpfe sowie bei Jugendlichen und Erwachsenen Anfälle etwa bei Alkohol- oder Schlafentzug. Auch in den ersten Stunden und Tagen nach schweren Kopfverletzungen oder Durchblutungsstörungen des Gehirns auftretende Anfälle gehören dazu. Das Wiederholungsrisiko für solche Anfälle ist gering, sofern die auslösenden Bedingungen nicht wieder auftreten, gemieden werden oder folgenlos ausheilen oder behoben werden können (siehe S. 23). Nach einem nicht provozierten ersten großen Anfall kann man davon ausgehen, dass etwa die Hälfte aller Betroffenen ohne medikamentöse Behandlung innerhalb von ein bis zwei Jahren einen weiteren Anfall ohne erkennbare aktuelle Ursache oder Auslöser und damit eine Epilepsie entwickelt. Zumindest bei Erwachsenen ist das Wiederholungsrisiko bei fokalen Anfällen höher als bei generalisierten Anfällen, und im höheren Lebensalter ist es höher als bei jüngeren Erwachsenen. Erster Anfall oder erster beobachteter Anfall? Oft ist ein vermeintlich erster Anfall nicht der wirklich erste, sondern nur der erste beobachtete, der erste tagsüber aufgetretene oder der erste dramatischere. Gerade wenige eindrucksvolle und beängstigende Anfallsformen wie beispielsweise Absencen (siehe S. 38) oder Myoklonien (siehe S.72) führen fast nie schon nach dem ersten Anfall zum Arztbesuch. Die verschiedenen Begriffe sind in der folgenden Tabelle auf Seite 20 nochmals übersichtlich zusammengestellt und erläutert. Beim Arzt Meist erbringt die erste körperliche Untersuchung durch den Arzt keinen Befund. Manchmal finden sich noch Hinweise auf den Anfall wie etwa eine geschwollene und schmerzhafte Zunge nach einem Zungenbiss. Das Elektroenzephalogramm (EEG) gehört zwar zur Grunduntersuchung, ist aber oft ebenfalls normal. Das kann auch daran liegen, dass es erst Tage oder Wochen nach dem Anfall abgeleitet wurde. Bei idiopathischen, familiär 19

Was Sie wissen sollten gehäuft auftretenden Epilepsieformen finden sich allerdings auch dann noch häufiger für eine Epilepsie typische Veränderungen. Behandlung beginnen oder abwarten Ob man schon nach einem ersten epileptischen Anfall mit einer medikamentösen Behandlung beginnt oder zunächst den weiteren Verlauf abwartet, hängt bei jedem einzelnen Betroffenen von der Art des Anfalls sowie den Umständen ab und kann nicht allgemeingültig festgelegt werden. Am wichtigsten für diese Entscheidung ist die Höhe des Risikos, dass sich der Anfall wiederholt. Neben den Untersuchungsergebnissen spielen dabei das Alter des Betroffenen, die Familienanamnese sowie mögliche Ursachen und Auslöser des ersten Anfalles eine Rolle. Der Beginn einer medikamentösen Dauerbehandlung nach einem ersten unprovozierten generalisierten tonisch-klonischen Anfall kann zwar das Risiko eines weiteren Anfalls in den nächsten Jahren in etwa halbieren, dennoch besteht langfristig kein sicherer Vorteil gegenüber dem Abwarten eines zweiten Anfalls, wenn es beispielsweise darum geht, eine dauerhafte Anfallsfreiheit zu erreichen. Man muss also nicht befürchten, dass sich die Behandlungsaussichten durch Zuwarten nach einem ersten Anfall verschlechtern. Wichtige Begriffe Begriff epileptischer Anfall Gelegenheitsanfall akuter symptomatischer Anfall Oligo-Epilepsie Epilepsie Beschreibung, Anfallshäufigkeit ein Anfall (erster, wiederholter oder bei bekannter Epilepsie) ein durch provozierende Bedingungen ausgelöster Anfall (bei Kleinkindern z.b. Fieber, bei Erwachsenen z.b. Alkohol- und Schlafentzug) ohne Hinweise auf eine (beginnende) Epilepsie ein Anfall infolge einer akuten ursächlichen Störung oder Schädigung des Gehirns (z.b. Kopfverletzung, Hirntumor) seltene Anfälle ohne jeweils erkennbare Ursache oder Auslöser im Abstand von Jahren (problematischer Begriff) mindestens zwei Anfälle im Abstand von mindestens 24 Stunden ohne jeweils erkennbaren Anlass; Anfallshäufigkeit hängt von der Epilepsieform und -schwere ab 20

Ursachen und Auslöser Auch wenn sich bei beginnender Epilepsie häufig weder Ursachen noch Auslöser finden lassen, so bedeutet diese Nachricht doch auch, dass keine schwerwiegende Erkrankung des Gehirns, wie zum Beispiel ein Tumor, vorliegt.

Ursachen und Auslöser Zunächst wird in diesem Kapitel den Auslösern und Ursachen für Anfälle und Epilepsien nachgegangen, wie etwa Fieber, Kopfverletzungen, Hirntumore oder Durchblutungsstörungen. Auch wird auf die Frage einer Vererbung von Epilepsien eingegangen. Die häufigsten Ursachen von Anfällen und Epilepsien Die Ursachen von epileptischen Anfällen und Epilepsien hängen in erster Linie vom Lebensalter der Betroffenen sowie der Art Anfälle ab. Daneben gibt es anfallsauslösende Einflüsse, die keine eigentliche Ursache sind, sondern sowohl bei Menschen ohne Epilepsie zu so genannten Gelegenheitsanfällen als auch bei Menschen mit Epilepsie zu einer Häufung von Anfällen führen können. Bei etwa der Hälfte bis zwei Drittel aller Personen mit einer beginnenden Epilepsie lässt sich derzeit noch keine für die Entstehung oder Auslösung der Anfälle verantwortliche Ursache oder Störung nachweisen. Dies kann zwar für Betroffene als auch für Ärzte enttäuschend sein, bedeutet aber auch, dass die Furcht vor einem Tumor oder anderen schwerwiegenden Erkrankungen des Gehirns erfreulicherweise nur bei weniger als jedem zehnten Patienten begründet ist. Idiopathische Anfälle und Epilepsien Idiopathische Anfälle und Epilepsien haben mehr oder weniger eine erbliche Komponente mit überzufällig häufigen Epilepsien bei den Eltern oder sonstigen Angehörigen. Sie treten ohne sonstige erkennbare Ursache auf und entwickeln sich nicht aus anderen Anfallsformen oder Epilepsien. Außerdem treten diese Anfälle und Epilepsien bevorzugt in der Kindheit und Jugend auf und zeigen typische EEG-Veränderungen. Die meisten idiopathischen Epilepsien gehen mit generalisierten Anfällen einher (siehe S. 38); besonders in der Kindheit und Jugend gibt es aber auch idiopathische fokale Epilepsien. Bei- 22

Gelegenheitsanfälle spiele für idiopathische generalisierte Epilepsien sind die Absencenepilepsien bei Kindern und Jugendlichen (siehe S. 67 und 69) und die juvenile myoklonische Epilepsie (siehe S. 72). Ein Beispiel für idiopathische fokale Epilepsien ist die so genannte Rolando-Epilepsie (siehe S. 64). Symptomatische und vermutlich symptomatische ( kryptogene ) Epilepsien Ursache symptomatischer Anfälle und Epilepsien sind nachweisbare krankhafte Veränderungen im Gehirn wie etwa schwere Kopfverletzungen, Hirntumore, Schlaganfälle oder Blutungen. Auch längere Zeit zurückliegende Hirnschäden wie Geburtskomplikationen mit darauf zurückzuführenden geistigen oder körperlichen Behinderungen können eine Rolle spielen. Gelegenheitsanfälle Gelegenheitsanfälle sind epileptische Anfälle, die nur bei bestimmten Gelegenheiten auftreten und deswegen nicht mit einer Epilepsie gleichzusetzen sind. Sie werden durch besondere Bedingungen ausgelöst oder haben einen erkennbaren Anlass, weshalb sie auch provozierte oder akut symptomatische Anfällen genannt werden. Die häufigsten Formen von Gelegenheitsanfällen sind im Kleinkindesalter epileptische Fieberanfälle ( Fieberkrämpfe siehe S. 25), bei älteren Kindern und Jugendlichen Anfälle durch Schlafentzug, bei Erwachsenen durch Alkoholentzug und unabhängig vom Lebensalter Anfälle, die bei akuten vorübergehenden Schädigungen des Gehirns auftreten. Akute symptomatische Gelegenheitsanfälle werden durch eine in unmittelbarem Zusammenhang mit den Anfällen aufgetretene Schädigung des Gehirns ausgelöst. Symptomatische Gelegenheitsanfälle können bei einem Menschen auch wiederholt auftreten, wobei die auslösenden Bedingungen jeweils dieselben sind und vorübergehen. 23

Ursachen und Auslöser Gelegenheitsanfälle treten meist als generalisierte tonisch-klonische ( Grand mal- ) Anfälle auf, es können aber auch fokale Anfälle mit und ohne Bewusstseinsstörung sowie vereinzelt tonische Anfälle vorkommen. Was einen Gelegenheitsanfall auslöst Bei ausreichend starken Reizen kann jeder Mensch epileptische Anfälle bekommen. Käme es in einem Flugzeug in großer Höhe zu einem Druckabfall und würden die für solche Notfälle vorgesehenen Sauerstoffmasken nicht funktionieren, hätten innerhalb weniger Minuten unweigerlich alle Passagiere epileptische Anfälle. Allerdings würden sie bei manchen Menschen früher und bei anderen später einsetzen und auch die Schwere und Dauer der Anfälle wären wahrscheinlich unterschiedlich. Menschen mit einer bekannten Epilepsie oder erniedrigten Krampfschwelle hätten als erste und eher schwere sowie lang dauernde Anfälle, während die Anfälle bei den anderen Menschen etwas später auftreten würden. Auch starke elektrische Reize oder so genannte Krampfgifte können bei jedem Menschen einen epileptischen Anfall auslösen. Demgegenüber wirken sich andere Einflüsse, wie etwa Fieber, nur bei Kindern in den ersten fünf Lebensjahren und bei einer erblich bedingten erhöhten Anfallsbereitschaft beziehungsweise einer erniedrigten Krampfschwelle aus. Die häufigsten erkennbaren Ursachen akuter symptomatischer Gelegenheitsanfälle sind in der folgenden Tabelle für die verschiedenen Altersklassen zusammengestellt. Die auslösenden Umgebungsreize spielen nur bei wenigen Menschen mit besonderer Empfindlichkeit eine Rolle. 24

Epileptische Fieberanfälle ( Fieberkrämpfe ) Häufige Auslöser von Gelegenheitsanfällen Krankheiten Verhalten Umgebung Fieber (bis 5. Lebensjahr) Vergessen von Medikamenten Nur bei manchen, dafür Kopfverletzungen Flüssigkeitsmangel besonders empfindlichen Hirntumore (besonders Säuglinge) Menschen: Hirnhaut- und Gehirn- Schlafmangel Lichtreize, z.b. entzündungen Alkohol- und Drogenentzug Diskotheken Schlaganfälle Medikamentenentzug Fernsehen und Videospiele Gehirnblutungen Übermäßiger Stress sowie Musik etc. Stoffwechselstörungen nachfolgende Entspannung Körperliche Erschöpfung Epileptische Fieberanfälle ( Fieberkrämpfe ) Epileptische Fieberanfälle ( Fieberkrämpfe ) sind Gelegenheitsanfälle, die bei Kleinkindern mit rasch ansteigendem Fieber vorkommen. Fieberanfälle zählen wie alle nur bei bestimmten auslösenden Bedingungen auftretenden Gelegenheitsanfälle nicht zu den Epilepsien. Etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung oder jeder 30. bis 50. Mensch hat im Verlauf der ersten fünf Lebensjahre mindestens einen Fieberanfall. Diese Kinder haben zwar rein rechnerisch gesehen ein deutlich erhöhtes Risiko, später eine richtige Epilepsie zu bekommen, dieses Risiko ist aber mit zwei bis drei Prozent immer noch sehr gering. 97 bis 98% aller Kinder mit Fieberanfällen werden später keine Epilepsie haben. Epileptische Fieberanfälle sind meist so genannte generalisierte tonisch-klonische (oder Grand-mal- ) Anfälle. Bei solch einem Fieberanfall kommt es zu einem Bewusstseinsverlust, Atemanhalten und Blauwerden, zunächst Versteifen und dann rhythmischen Zucken von Armen und Beinen sowie anderen Zeichen wie Verdrehen der Augen, Zungenbiss oder Urinabgang. Nach wenigen Minuten erholen sich die Kinder von 25

Ursachen und Auslöser alleine. Die Diagnose stützt sich meist mehr oder weniger ausschließlich auf die Beobachtungen der Eltern oder Bezugspersonen. Beim Fieber kommt es offensichtlich mehr auf das rasche Ansteigen als auf die absolute Höhe an. Das kritische Alter mit einem Häufigkeitsgipfel bei 18 Monaten spricht dafür, dass das kindliche Gehirn in dieser Zeit eine erhöhte Anfallsbereitschaft zeigt und gegenüber Fieber besonders empfindlich ist. Das Ausmaß der erblichen Komponente ist noch nicht völlig klar. Komplizierte Fieberanfälle Von diesen relativ harmlosen, auch als einfach oder unkompliziert bezeichneten Fieberanfällen mit guter Prognose müssen andere Formen abgegrenzt werden, die als kompliziert, atypisch oder prolongiert bezeichnet werden und sich durch eines oder mehrere der folgenden Merkmale auszeichnen: Sie treten vor dem dritten Lebensmonat oder nach dem fünften Lebensjahr auf, dauern über 15 Minuten, zwei oder mehr Anfälle treten innerhalb von 24 Stunden auf, die Anfallsmerkmale sind herdförmig (fokal), nach einem Anfall treten Lähmungen oder epilepsietypische Potenziale im EEG auf. So untersucht der Arzt Epileptische Fieberanfälle führen bei den Eltern zumindest beim ersten Auftreten verständlicherweise zu großer Aufregung. Viele befürchten, dass ihr Kind stirbt. Meist wird notfallmäßig ein Arzt hinzugerufen und eine Krankenhauseinweisung veranlasst. Weil gerade bei Säuglingen mit Fieber stets an eine Hirnhautentzündung gedacht werden muss und andere Krankheitszeichen fehlen können, schlagen viele Kinderärzte zum sicheren Ausschluss eine Lumbalpunktion (Untersuchung des Nervenwassers) vor. Nach dem ersten Lebensjahr ist der Ausschluss einer Hirnhautentzündung bei fehlender Nackensteifigkeit meist auch ohne Lumbalpunktion mit ausreichender Sicherheit möglich. 26

Epileptische Fieberanfälle ( Fieberkrämpfe ) Unkomplizierte Fieberanfälle sollten nicht behandelt werden. Es reicht, die Kinder auf die Seite zu legen und sie dann zu beruhigen. Auch fast alle weiteren Untersuchungen wie Blutentnahmen, Röntgenuntersuchungen und Magnetresonanztomographie des Gehirns sind bei unkomplizierten Fieberanfällen fast immer völlig regelrecht oder zeigen nur leichte und unspezifische Veränderungen. Dies gilt selbst für das EEG in den Tagen bis Wochen nach einem Anfall. Bei bis zur Hälfte der Kinder können zwar bei EEG-Verlaufskontrollen besonders bei starker Müdigkeit epilepsietypische Veränderungen (siehe S. 85) nachgewiesen werden, meist ist dies aber erst ab dem dritten Lebensjahr und damit lange Zeit nach dem erstmaligen Auftreten der Anfälle der Fall. Selbst das Auftreten dieses EEG-Musters ist nicht mit einer nennenswert erhöhten Wahrscheinlichkeit verknüpft, später an einer Epilepsie zu erkranken. Behandlung und Vorsorgemaßnahmen Unkomplizierte Fieberanfälle nicht behandeln. Sie sind auch viel zu kurz, um eine Behandlung überhaupt durchführen zu können, und alle Behandlungsmaßnahmen kommen ohnehin erst ab dem zweiten Anfall in Frage. So früh wie möglich sollten die Kinder zur Erleichterung der Atmung 27

Ursachen und Auslöser Die meisten aller epileptischen Fieberanfälle bei Kindern lassen sich durch die Eltern mit einfachen Mitteln unterbrechen. auf die Seite gelegt werden. Nach einem Anfall können sie einige Zeit durcheinander sein, weshalb man bei ihnen bleiben und sie beruhigen sollte. Bei länger dauernden Anfällen ist eine Gabe von Diazepam zu empfehlen. Sofern ein Arzt nicht rasch genug für eine Spritze verfügbar ist, können Eltern Diazepam auch als kleine Einlaufspritzen (z.b. Stesolid- Rectal Tube) selbst in den Enddarm des Kindes einführen. Mehr als 80% aller noch ablaufenden epileptischen Fieberanfälle lassen sich damit unterbrechen. Weitere Maßnahmen wie etwa ein kühles Bad sind nicht zu empfehlen, und auch fiebersenkende Medikamente haben keine anfallsunterdrückende Wirkung. Vorsorgliche Dauerbehandlung selten erforderlich Eine vorsorgliche Langzeitgabe von Medikamenten zur Verhütung von unkomplizierten Fieberanfällen auch bei normaler Körpertemperatur ist wegen ihrer guten Prognose und den Nebenwirkungen der Medikamente nur sehr selten gerechtfertigt. Die meisten Ärzte raten inzwischen auch nach mehreren unkomplizierten Anfällen nicht mehr dazu. Eine gute Alternative zur Dauereinnahme von Medikamenten besteht in einer vorübergehenden vorsorglichen Gabe von Diazepam (z.b. als Zäpfchen) beim Auftreten von Fieber. Außerdem kann versucht werden, rasche Fieberanstiege durch kühle Wadenwickel oder einen auf das Kind gerichteten Ventilator zu verhüten. Bei komplizierten Fieberanfällen empfehlen viele Ärzte allerdings eine dauerhafte Behandlung. Der Verlauf Die Kinder zeigen fast immer eine völlig normale Entwicklung. Dies konnte unter anderem bei Geschwistern gezeigt werden, von denen eines Fieberanfälle hatte und das andere nicht. Wenn keine weiteren Auffälligkeiten vorlagen, zeigten die betroffenen Kinder später im Vergleich zu ihren Geschwistern keinerlei Besonderheiten. Bei 30-40% der Kinder mit einem ersten Fieberanfall tritt ein zweiter auf, und bei wiederum 30-40% der Kinder mit zwei Anfällen kommt es zu einem dritten Ereignis. Komplizierte Fieberanfälle gehen im weiteren Verlauf des Lebens mit einem deutlich erhöhten Epilepsierisiko einher. 28

Ist Epilepsie eine Erbkrankheit? Dabei spielt zusätzlich eine Rolle, ob gleichzeitig neurologische Störungen oder Entwicklungsverzögerungen bestehen. Jeder Risikofaktor verdoppelt das Epilepsierisiko von 2 bis 3% auf 4 bis 6%, bei zwei oder drei Risikofaktoren steigt es auf über 10% an. Außerdem gibt es Hinweise, dass komplizierte Fieberanfälle später möglicherweise das Auftreten von medikamentös schwer zu kontrollierenden fokalen Anfällen begünstigen. Ist Epilepsie eine Erbkrankheit? In ihrer weit überwiegenden Mehrheit sind Epilepsien keine eigentlichen Erbkrankheiten. Allerdings nimmt man nicht nur bei mehr oder wenigen allen so genannten idiopathischen Epilepsien eine erbliche Komponente an, sondern es gibt auch Hinweise darauf, dass Erbanlagen beispielsweise auch beim Auftreten von epileptischen Anfällen nach Kopfverletzungen oder bei Hirntumoren eine zusätzliche Rolle spielen. Eltern müssen also nicht aufgrund einer bei einem Familienmitglied bestehenden Epilepsie mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass ein Kind von ihnen an Epilepsie erkranken wird. Es gibt zwar rund 200 meist mehr oder weniger seltene Krankheiten mit bekannter Vererbung, die u.a. mit epileptischen Anfällen oder einer Epilepsie einhergehen können und bei denen das entsprechende Risiko für Nachkommen betroffener Eltern bei 50% (dominante Vererbung) oder 25% (rezessive Vererbung) liegt. Insgesamt sind diese Krankheiten aber für weniger als 1% aller Epilepsien verantwortlich. Eine Reihe an Erkrankungen kann mit epileptischen Anfällen oder einer Epilepsie einhergehen, sie sind aber selten und für nur wenige Epilepsien verantwortlich. Epileptische Anfälle und Epilepsien sind auch ohne Vererbung recht häufig. Aufgrund der allgemein großen Häufigkeit von epileptischen Anfällen und Epilepsien ist es gar nicht so selten, dass erwachsene Menschen eines Verwandten ersten Grades (also Eltern, Geschwister oder Kinder) irgendwann einmal einen epileptischen Anfall hatten. Berücksichtigt man auch Verwandte zweiten Grades (Großeltern, Onkel, Tanten sowie Neffen, Nichten 29

Ursachen und Auslöser und Enkelkinder), steigt diese Wahrscheinlichkeit nochmals an. Dies macht auch deutlich, dass oft vorschnell von einer familiären Epilepsiebelastung gesprochen wird, auch wenn diese Annahme falsch ist. Für manche so genannte idiopathische generalisierte Epilepsien und auch einige andere Epilepsieformen konnten inzwischen Orte auf verschiedenen Chromosomen als Träger der Erbinformation eingegrenzt werden und bei einigen davon kennt man nicht nur die verantwortlichen Gene, sondern auch die von ihnen produzierten Eiweißstoffe. Darüber hinaus können offenbar verschiedene Genorte auf verschiedenen Chromosomen mit sehr ähnlichen, klinisch kaum unterscheidbaren Krankheitsbildern einhergehen. Wie hoch ist das Epilepsierisiko für Kinder von Eltern mit Epilepsie? Wenn ein Elternteil Epilepsie hat, ist das Risiko für das Kind ebenfalls zu erkranken im Durchschnitt um sechs Prozent erhöht. Das Erkrankungsrisiko für Kinder von Eltern mit einer bekannten Epilepsie ist gegenüber dem normalen Risiko von etwa 1% für alle 20-Jährigen insgesamt im Durchschnitt auf etwa 6% erhöht. Es hängt unter anderem davon ab, ob die Mutter oder der Vater erkrankt sind und welche Anfallsform sie haben. So ist das Risiko bei einer mütterlichen Epilepsie mit fast 9% höher als bei einer Epilepsie des Vaters mit nur rund 2,5%. Zusätzlich spielt die Art der Epilepsie der Eltern eine Rolle: Bei einer Absencenepilepsie ist das Vererbungsrisiko z.b. deutlich höher als bei einer Epilepsie mit fokalen Anfällen. Wie hoch ist Epilepsierisiko für die Geschwister? Das Erkrankungsrisiko für Geschwister von Kindern mit einer bekannten Epilepsie ist gegenüber dem normalen Risiko von etwa 1% für alle 20-Jährigen im Durchschnitt auf etwa 3-5% erhöht, wenn die Epilepsie vor dem 15. Lebensjahr auftrat, und sinkt auf 2-3% bei einem Beginn der Epilepsie nach dem 25. Lebensjahr. Es hängt u. a. davon ab, ob zusätzlich auch ein Elternteil erkrankt ist und welche Anfallsformen sowie EEG-Veränderungen vorliegen. Insgesamt ist das Vererbungsrisiko einer Epilepsie jedoch weit niedriger als oft vermutet wird. Es besteht daher in aller Re- 30

Kopfverletzungen und Epilepsie Da epileptische Anfälle und Epilepsien insgesamt gar nicht selten sind, sollte nicht vorschnell von einer familiären Belastung mit der Erkrankung gesprochen werden. gel auch kein Grund, Menschen mit einer Epilepsie von Kindern abzuraten (siehe S. 116). Meist wird auch nicht eine spezielle Anfallsform, sondern allenfalls eine Neigung zu Anfällen vererbt. Kopfverletzungen und Epilepsie Kopfverletzungen werden in der medizinischen Fachsprache als Schädel-Hirn-Traumen (SHT) bezeichnet. Nicht alle Kopfverletzungen führen zu einer Schädigung des Gehirns, und nicht alle Verletzungen mit Beteiligung des Gehirns sind so stark, dass sie zu epileptischen Anfällen führen. So gehen so genannte Schädelprellungen meist nur mit weitgehend harmlosen Weichteilverletzungen einher; beispielsweise ist das berühmte Loch im Kopf in der Regel nur eine Platz- oder Quetschwunde ohne Beteiligung des Gehirns. Das Risiko einer Epilepsie nach einer Kopfverletzung Leichte Traumen mit einer Bewusstlosigkeit von weniger als einer halben Stunde (entsprechen meist einer Gehirnerschütterung) machen etwa 80% aller Kopfverletzungen aus, ohne dass danach das Risiko für epileptische Anfälle erkennbar erhöht ist. 31

Ursachen und Auslöser Ausserdem muss zwischen Frühanfällen in den ersten ein bis zwei Wochen und Spätanfällen unterschieden werden. Frühanfälle sind Gelegenheitsanfälle (siehe S. 23)und gehen meist nicht in eine posttraumatische Epilepsie über. Bei länger dauernder Bewusstlosigkeit, bei einer Erinnerungslücke über 24 Stunden, bei einer Einblutung in das Gehirn oder einer Gehirnprellung mit Übergang zur Gehirnquetschung beträgt das Risiko für epileptische Anfälle im ersten Jahr sogar etwa 7% und innerhalb von fünf Jahren knapp 12%. Das durchschnittliche Risiko epileptischer Anfälle nach neurochirurgischen Operationen am Gehirn liegt im Bereich von 5%. Risikofaktoren für posttraumatische Anfälle Je nach Grad der Schwere einer Kopfverletzung steigt das Risiko für so genannte posttraumatische Anfälle deutlich an. Je nachdem wie umfangreich die Schädigung des Gehirns war und/oder ob Hirngewebe verloren ging, steigt direkt das Risiko einer so genannten posttraumatischen Epilepsie (PTE). Ein langer Bewusstseinsverlust oder eine lange Erinnerungslücke allein ist nur mit einem sehr geringen Risiko (unter 2%) für eine posttraumatische Epilepsie verknüpft. Verletzungen am Übergang zwischen Stirn- und Scheitellappen sind am risikoreichsten, gefolgt von denjenigen an Schläfen- und Stirnlappen sowie schließlich solche am Hinterhauptlappen. Die Behandlung mit Medikamenten Bei Patienten mit einem hohen Anfallsrisiko kann eine vorsorgliche Behandlung ( Prophylaxe ) mit Antiepileptika über eine oder einige Wochen mit anschließendem Ausschleichen erfolgen. Ansonsten kann nach Frühanfällen eine vorübergehende Behandlung (1 Woche bis maximal 3 Monate) eingeleitet werden. Schon nach einem ersten Spätanfall sollte eine Behandlung für die Dauer von zunächst einem Jahr erfolgen. Bei der Frage einer medikamentösen Behandlung müssen auch die möglichen Nebenwirkungen bedacht werden, die gerade bei Patienten mit Kopfverletzungen auch in so genannten kognitiven Störungen wie einer zusätzlichen Verlangsamung oder vermehrter Vergesslichkeit bestehen können. 32

Hirntumore und Epilepsie Hirntumore und Epilepsie Ein Tumor ist eine Geschwulst oder Raumforderung, also ein abnormes Gewebewachstum. Ein Tumor kann gutartig (benigne) oder bösartig (maligne) sein. Gutartig bedeutet unter anderem, dass der Tumor in der Regel sehr langsam (innerhalb von vielen Jahren oder sogar Jahrzehnten) wächst und sich nicht über das Blut an andere Stellen im Körper verteilt (keine so genannten Metastasen bildet). Dies ist bei bösartigen Tumoren der Fall, die außerdem mit einer deutlichen Verkürzung der Lebenserwartung einhergehen. Hirntumore als Ursache von epileptischen Anfällen und Epilepsien Hirntumore sind seltener Ursache von epileptischen Anfällen und Epilepsien als meist angenommen oder befürchtet wird. Insgesamt liegt die Häufigkeit von tumorbedingten Epilepsien bei unter 5% und wird selbst bei den erst im Verlauf des Lebens erworbenen Formen nur auf gut 10% geschätzt. Obwohl es häufig befürchtet wird: Hirntumore sind nur selten Ursache einer Epilepsie. Die Rolle des Lebensalters In den verschiedenen Altersstufen sind Hirntumore unterschiedlich häufig Ursache von erstmals auftretenden epileptischen Anfällen. Während sie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen weniger oft beteiligt sind, sind sie im mittleren Erwachsenenalter die häufigste Ursache. Auch im höheren Lebensalter sind Tumore mit etwa 10% immerhin noch die dritthäufigste fassbare Ursache. Absolut gesehen steigt die Zahl von Hirntumoren ab dem 20. Lebensjahr bis zum 70. Lebensjahr immer stärker an; danach bleibt sie auf gleicher Höhe. Verschiedene Tumorarten Überwiegend handelt es sich bei den epileptogenen (zu epileptischen Anfällen führenden) Hirntumoren um bösartige so genannte Gliome, um gutartige so genannte Astrozytome, um von der harten Hirnhaut ausgehende und besonders im Stirn- und Schläfenlappen gelegene so genannte Meningeome sowie um so genannte Oligodendrogliome und primäre ZNS-Lymphome. 33

Ursachen und Auslöser Metastasen im Gehirn (Tochtergeschwülste) von Krebserkrankungen, die von der Lunge, der Brust, dem Magen sowie von der Niere und den Geschlechtsorganen ausgehen, sind deutlich seltener. Bei tumorbedingten epileptischen Anfällen handelt es sich meist um fokale Anfälle, häufiger mit Übergang in sekundär generalisierte tonisch-klonische Anfälle. In Abhängigkeit von der Art, Lage im Gehirn und Größe des Tumors können epileptische Anfälle lange Zeit das einzige Krankheitszeichen sein. Behandlung und Verlauf In der Regel sollte ein Tumor operativ entfernt werden. Manchmal muss dies rasch erfolgen, bei anderen Tumoren hat man mehr Zeit. Die möglichen Nebenwirkungen und Erfolgsaussichten einer Operation hängen in erster Linie von der Art des Tumors (gut- oder bösartig) und seinem Sitz im Gehirn bzw. im Kopf ab. Selbst große Hirntumore können gegebenenfalls erfolgreich und ohne bleibende Folgen entfernt werden. Tumoren sollten meist möglichst rasch operativ entfernt werden. Nebenwirkungen und Erfolgsaussichten hängen von der Art des Tumors und seiner Lage im Gehirn ab. Die Auswahl des Medikaments hängt unter anderem davon ab, ob eine baldige Operation ansteht (dann wird man eher zu solchen Mitteln greifen, die vorübergehend auch intravenös oder intramuskulär gegeben werden können) oder diese schon erfolgt ist. Da es sich meist um fokale oder sekundär generalisierte tonisch-klonische Anfälle handelt, werden die dafür bewährten Medikamente eingesetzt. Neben der Gabe von Antiepileptika sind zusätzlich oft weitere Medikamente erforderlich. Bei manchen Tumoren erfolgt auch anstelle oder zusätzlich zur Operation eine Chemotherapie. Der weitere Krankheitsverlauf hängt in erster Linie von der Art des Tumors ab. Bei manchen Menschen ist die weitere Lebenserwartung deutlich verkürzt, bei anderen ist der Tumor diesbezüglich ohne nachteilige Auswirkungen. 34