Manuel Schöbel ALLES AU AN ANG LULATSCH WILL ABER Zwei Stücke für Theater an der Schule 1
henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2001 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße 28 10405 Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2
ALLES AUF ANFANG 3
DARSTELLER Sabine Von schwer bestimmbarem Alter, eine ungewöhnliche, merkwürdig schillernde Frau. Andreas Lehrer, ganz im Gegensatz, völlig unauffällig von seinem äußeren Erscheinen her, korrekt, genau gekleidet. VORBEMERKUNGEN Das Stück kann in einer Schulklasse gespielt werden. Die Textfassung nimmt keinen Bezug auf die dann notwendigen zusätzlichen Interaktionen mit den Zuschauern. Die Zitate von Schülern können sowohl, wie in der Dresdner Uraufführung erfunden und so in dieser Fassung notiert, über ein Tonband eingebracht werden als auch von den Schülern der jeweiligen Schulklasse, im Sinne der direkten Einbeziehung ins Spiel, gelesen werden. 4
I. Der Auftrag Ich habe einen Auftrag. Keiner will so was machen. Da muß es jemand wie ich tun. Gesucht wird eine ungewöhnliche Person, so hieß es in der Stellenanzeige. Na, das paßt ja nun auf mich. Ungewöhnlich. Da habe ich mich beworben. Und die haben mich genommen. Jetzt werde ich einen Lehrer prüfen. Er hat etwas falsch gemacht. Und es geht darum, ob er trotzdem weiter Lehrer sein darf. Ob er wieder Lehrer sein darf. Der Mann heißt, Andreas. Er kennt mich nicht. Er weiß nicht, wer ich bin. Doch er hofft, daß ihm dieser Test hier hilft. Er hat einen Brief bekommen vom psychologischen Dienst. (Sie zieht einen Brief aus der Tasche.) Sehr geehrter Herr, schön, daß Sie am Test zur Wiedereingliederung in den Schuldienst teilnehmen wollen. Bitte erscheinen Sie pünktlich um 8.00 Uhr im Zimmer 110 in der 2. Etage der 35. Grundschule Löbtau. Der Test findet statt in Anwesenheit der Klasse x der 35. Grundschule. Die Klassenlehrerin, Frau x, ist anwesend. Testleiterin ist Frau Sabine. Mit freundlichen Grüßen usw. Ja, so heiße ich.. Jetzt müßte man Schritte auf dem Gang hören. Er müßte genau vor dieser Tür stehenbleiben. Wundert euch nicht, wenn ich mich manchmal komisch benehme, sobald Herr da ist, das gehört zu dem Test. II. Interview steht noch vor der Tür. Sind Sie das, Herr? Ja. Guten Tag. Bleiben Sie bitte noch einen Moment vor der Tür. Gern. 5
Ich heiße. Sabine. Sie haben sich verspätet. Ja. Warum? Die Straßenbahn. Aha. Die Straßenbahn. Was würden Sie einem Schüler auf diese Ausrede erwidern? Nun? Weiß nicht. Ach, Sie waren da sehr variantenreich. Am 17. 12. zu Kathrin S.: Wer fett ist, sollte sowieso besser laufen. Am 13. 03. zu Robert N.: Dumm lügt schlecht. Und besonders treffend am 16. 04. zu Yüksel P.: Wozu kommst du eigentlich überhaupt noch? Alles so weit korrekt? Kann sein. Binden Sie sich bitte ein Tuch um die Augen. Was? Ein Tuch. T U C H Tuch. Kann ein Taschentuch sein. Oder ein Schal. Wenn Begriffsstutzigkeit ansteckend wäre, müßtest du in Quarantäne. Ist auch von Ihnen. 4. September zu Manja B. Kommen Sie rein. ( kommt mit verbundenen Augen herein.) Kinder stinken. Waschen hilft da nicht wirklich. Kinder stinken. Am 06. 10. In der x der 35. Grundschule. Das war ein Zitat aus einem Buch. Wenn Kinder stinken, müßten Sie sie riechen. Wie viele Kinder sind in diesem Raum? Das weiß ich nicht. Wenn Sie Kinder nicht riechen können, warum sind Sie dann Lehrer geworden?! 6
Danke, das reicht. (Er nimmt sich das Tuch von den Augen und will zur Tür hinaus.) Entschuldigen Sie bitte. Verzeihung. Warum entschuldigen Sie sich? III. Das Preisspiel Tut mir leid, daß ich Ihnen das nicht vorher sagen durfte, aber wir haben das jetzt für Radio 100,3 LBC mitgezeichnet. Warum machen Sie so etwas? Radio 100,3 LBC finanziert diese neuartigen Tests. Die Schulbehörden hätten sonst gar nicht mehr den finanziellen Spielraum für diesen Aufwand zur Wiedereingliederung von Lehrern. Sehr merkwürdig. Immerhin gehört dazu auch ein Gewinnspiel, Herr. Drei Fragen. Ich vergebe für jede Ihrer Antworten Punktzahlen von 1 bis 10. Blödsinn. Ich erkläre Ihnen das jetzt ein für allemal. Wenn Sie nicht wollen, sagen Sie es nur. Das steht ganz in Ihrem Belieben. Brechen Sie den Test ab, und werden Sie Gärtner oder Klofrau. Am 14. 12. Dialog zwischen Ihnen und Peggy L. während eines Diktats. Petra: Kann ich mal kurz aufs Klo, mir ist schlecht. Herr : Du kannst gleich dort bleiben. Aus dir wird sowieso eine Klofrau. Bitte. 1. Frage: Wie viele Schüler sollten am besten in einer 1. Klasse unterrichtet werden? Das ist egal. Da trennt sich erstmal die Spreu vom Weizen. 7
Danke für die provozierende Antwort, null Punkte. 2. Frage: Wie wichtig ist eine Wandzeitung, an der die Schüler ihre Fragen und Probleme anschreiben dürfen, ohne ihren Namen zu nennen? Unnütz wie ein Kropf. Wer einen Arsch in der Hose hat, steht zu dem, was er sagt. Null Punkte. 3. Frage: Welche Eigenschaften schätzen Sie am Klassensprecher? Ehrlichkeit, Mut, Kritikfähigkeit gegenüber dem Klassenlehrer. Drei Punkte. Für drei richtige Begriffe. Sie können sich Mühe geben, soviel Sie wollen. Sie werden bei mir nie mehr als drei Punkte bekommen. Das habe ich zu Wolfgang B. gesagt. Am 12. 02. Aber ich habe es nicht so gemeint. Man sagt viel, ohne es so zu meinen. Man versucht einfach, faule und schlecht vorbereitete Schüler zum Lernen zu bewegen. Mit allen Mitteln. Mit allen Mitteln. Herr. Das ist unser Thema. Eins. IV. Das Kreuzverhör Sie haben immer mit allen Mitteln unterrichtet. Und ich habe ein paar Beweise dafür eingesammelt. (Sie holt einen Packen Zettel aus einem Hefter oder Aktenordner.) Das hier ist gut, lesen Sie doch einmal vor. > Als alle schon ins Gebäude des Lehrschwimmbeckens gingen, holte ich mir einen Kieselstein. Als ich zur Tür kam, bekam ich erst eine Ohrfeige, dann fragte der Lehrer: Was guckst du so blöd, willst du noch eine? Ich grinste und bekam noch eine. Ich weiß bis heute nicht warum Astrid C. < Können Sie sich daran erinnern? Nein. 8
Stimmt. Das waren Sie auch nicht. Das war ein Kollege in Hamm, Nordrhein-Westfalen. Ich gebe Ihnen einen Zusatzpunkt für schönes Vorlesen. Versuchen Sie es doch gleich nochmal. > In einer Deutschstunde behandelten wir die Komma-Regeln. Der Lehrer schrieb als Beispiele folgendes an die Tafel: 1. Tina wird sitzenbleiben, weil sie zu faul ist. 2. Ein Mädchen aus unserer Klasse, ihr Name ist Tina, wird wahrscheinlich sitzenbleiben. Da Tina mein Name ist, war klar, wen er meinte. < Können Sie sich daran erinnern? Nein. Stimmt. Das war ein Kollege in Sachsen-Anhalt. Wieder ein Fehler von mir und ein Minuspunkt für mich. > Die Hofpause war zu Ende. Drei Jungs aus der sechsten ließen mich nicht von der Bank an der Tischtennisplatte aufstehen. Sie grabschten mir ins Gesicht und an die Brust. Zum Glück kam unser Musiklehrer auf seinem Rundgang vorbei. Er blieb stehen, aber dann sagte er nur: Das kommt davon Sabine, wenn man Röcke trägt, die kürzer sind als ein Pferdeschwanz. Das habe ich nicht verstanden, und die Jungs haben einfach weitergemacht. < Ich habe mit all dem nichts zu tun. Stimmt. Kommen wir doch mal zu dem, womit Sie nun wirklich zu tun haben. V. Anklage Sie müssen sich jetzt vorstellen, ich wäre ein Junge, von 11 Jahren. Ich bin ungefähr 1,50 m groß. Wenn Sie direkt vor mir stehen, dann sehen Sie komisch aus. Ihre Nasenlöcher wirken sehr groß. Man sieht die Haare daraus hervorwuchern, und von hier aus fällt ihr Adamsapfel noch mehr auf. Sie sehen auch komisch aus, aus dieser Perspektive, das sollten Sie berücksichtigen. Angst einflößend und komisch zugleich. Ein Mädchen hat mir das genau beschrieben. Sie kann überhaupt gut beschreiben. Sie hat in einem Aufsatz eine Situation sehr gut beschrieben, wie ich finde. 9