Interview in der STZ Schweizerische Technische Zeitschrift, Ausgabe Nr. 10, Oktober 2008 www.swissengineering-stz.ch



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Transkript:

Matthias Haller / Matthias Holenstein "Reden, wie darüber geredet wird" "Es braucht den Dialog" Interview in der STZ Schweizerische Technische Zeitschrift, Ausgabe Nr. 10, Oktober 2008 www.swissengineering-stz.ch (2008-05) Prof. Dr. em. Matthias Haller Präsident der Stiftung Risiko-Dialog Hirtenweg 7 CH-9010 St. Gallen P: +41 71 245 53 42 F: +41 244 88 34 matthias.haller@unisg.ch

Risiko «Reden, wie darüber geredet wird» Risiken sind ihr Beruf. Matthias Haller und Matthias Holenstein von der Stiftung Risiko-Dialog erklären, wieso bei gesellschaftlich umstrittenen Technologien oft nicht vom selben gesprochen wird und was die Wahrnehmung dazu beiträgt. Rolando Cocco Matthias Haller (links) und Matthias Hollenstein befassen sich intensiv mit dem Risiko-Dialog. modellieren und berechnen. Aber auch hier gibt es Unsicherheiten. Wie wirken sich zum Beispiel Nanopartikel aus, wenn sie in den menschlichen Körper gelangen? Hier sind längst nicht alle Fragen geklärt. Eine zweite Ebene ist die soziale, die schwieriger in Formeln zu fassen ist: Welches sind die Auswirkungen auf die Gesellschaft, wenn wir diese oder jene Technologie anwenden? Technologien, deren Risiken umstritten sind, führen in der Gesellschaft zu Konflikten... Haller: vor allem Risiken, die sich durch kleinstwahrscheinliche Grösstauswirkungen charakterisieren. Sie bewirken die intensivsten Auseinandersetzungen von der Kernenergiedebatte bis zur Finanzkrise. Die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens ist zwar gering. Aber wenn sie eintreten, kann es zum Super-Gau kommen. Da gibt es eine Parallele zwischen der Technik und anderen Bereichen. Wovor fürchten sich Risikoforscher? Haller: Ich glaube, dass sich Risikoforscher bei Ängsten zum persönlichen Leben nicht unterscheiden von anderen Leuten. Wenn beispielsweise Menschen in der Nachbarschaft schwer erkranken, überlegt man sich, was die Gesundheit für eine Rolle spielt. Gesellschaftlich betrachtet sind es eher die weit gefassten sozialen Probleme. Was unbedachte «Freiheit» in der Wirtschaft mit sich brachte, erleben wir in der aktuellen Finanzkrise. Holenstein: Und daneben gibt es auch Themen wie das Klima, Pandemien und Energiefragen, die beschäftigen, wenn man sich mit Risiken auseinandersetzt. Überraschte Sie das fast unvorstellbare Ausmass der Finanzkrise? Haller: Ja und nein. Ich war nicht überrascht, weil ich mich seit längerem intensiv mit der Riskanz des Riskmanagement befasste auch mit der «Wendung zum Schlimmstmöglichen». Ich dachte vor drei Monaten, dass wir eine gewisse Schadenslimite nicht mehr überschreiten würden. Aber was jetzt geschah, überschritt alle Grenzen das hat mich überrascht. Aufgrund des Notfallplans hoffe ich, dass jetzt die Limite definitiv erreicht ist. Aber auch dazu gibt es verschiedene Meinungen. Warum versagte das Risikomanagement fast in der gesamten Finanzbranche? Haller: Es ist nicht richtig, von einem Fehlverhalten der ganzen Finanzbranche zu reden. Ausgelöst wurde sie eindeutig vom Investment Banking, ursprünglich eine durchaus vernünftige Kernfunktion von Banken, um Unternehmen bei bestimmten Finanztransaktionen zu helfen. Mit dem One-Bank-Prinzip wurde einerseits der Transfer von Geschäften (und Risken) vom einen in den andern Bereich ermöglicht, und andererseits entwickelte sich im Zeichen völlig verfehlter incentives Systeme im Investment Banking ein derart übertriebenes Eingehen von Risiken, dass es dann die ganzen Banken in Mitleidenschaft zog. So wäre beispielsweise die UBS als Wealth Management Bank immer noch Spitze wenn nicht auf der Investment-Banking-Seite das ganze Kapital eingesetzt worden wäre um zur grössten Investment Bank zu werden. Welche Risiken gehen generell von der Technik aus? Holenstein: Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen die Technik Risiken bringt. Beispielsweise die direkten Wirkungen auf die Gesundheit der Menschen oder die Umwelt. Viele diese Wirkungen lassen sich Mit Eintretenswahrscheinlichkeiten und dem Ausmass des Schadens operiert die Wissenschaft. Wie geht die Gesellschaft mit Risiken um? Holenstein: Wesentlich ist, wie Menschen Risiken wahrnehmen. Es gibt Unterschiede von Mensch zu Mensch, aber auch von Gruppe zu Gruppe und da können Widersprüchlichkeiten entstehen. Beispielsweise wenn eine Gruppe findet, die Kernenergie birgt die Chance, klimafreundlich die Energieversorgung der Schweiz zu sichern, und die andere Gruppe fokussiert auf die Risiken der Endlagerung und der Möglichkeit von Unfällen. Bei solchen Widersprüchlichkeiten in der Risikobewertung, die eben auch aufgrund der Risikowahrnehmung zustande kommen, können Konflikte entstehen. Haller: Die naturwissenschaftliche Debatte orientiert sich am Prinzip «Wahrscheinlichkeit mal Auswirkung». Aber aus der Sicht der Kommunikation ist diese nur der Kern der Risikobetrachtung. Mit Blick auf das Verhalten ist ebenso wichtig, wie Menschen im Durchschnitt das Risiko sehen. Ein Beispiel: Wenn Sie etwas gerne tun oder selbst tun, dann empfinden Sie dieses Risiko als weniger gross. Darum die «Kontrollillusion» beim Autofahren, aber bei vielen die Angst vor dem Fliegen obwohl man statistisch gesehen eher Angst vor dem Autofahren haben müsste. Das sind Gesetzmässigkeiten der 8 SWISS ENGINEERING STZ OKTOBER 2008

Psychologie also die emotionale Debatte. Schliesslich die gesellschaftliche Debatte: Je nachdem welche Werte wie zum Beispiel Nachhaltigkeit bei verschiedenen Gruppierungen in einer Gesellschaft vorherrschen, entsteht automatisch eine differenzierte Sicht des Risikos. Die drei Ebenen werden in Risiko-Debatten oft vermischt! Was passiert, wenn sich die Argumentationen dieser Systeme vermischen? Haller: Es kommt zu einer Konflikteskalation, weil alle meinen, sie hätten Recht. Die Stiftung Risiko-Dialog hatte zum Beispiel die Aufgabe im Auftrag der deutschen Vereinigung Chemischer Industrie VCI Nano-Forschende dafür zu sensibilisieren, dass auch in dieser Debatte Aussenstehende nicht bloss aus Gründen der «Irrationalität» Befürchtungen hegen, sondern weil aufgrund von Erfahrungen in andern Bereichen Ängste und Sorgen auf der psychischen und sozialen Ebene existieren. Hier gibt es jetzt Debatten bis auf EU-Ebene; und da wird ganz ruhig diskutiert und auch wahrgenommen, wie darüber diskutiert wird. Sind die Risiko-Dialoge von Nanotechnolgie und Gentechnologie vergleichbar? Holenstein: Gewisse Elemente sind vergleichbar, zum Beispiel gab und gibt es Unsicherheiten bezüglich der Auswirkungen. Zudem sind beide neu und mit grossen Hoffnungen verbunden. Es gibt aber auch Unterschiede: Gentechnik ist ob bei der Medizin (rote Gentechnik) oder in der Nahrung (grüne Gentechnik) nahe beim Menschen. Hingegen lösen Nanopartikel, wenn sie in Farben für die Hausfassade oder in Lacken fürs Auto verwendet werden, weniger Besorgnis aus, weil sie nicht in direktem Kontakt mit dem Individuum sind. Haller: Es ist auch interessant, dass innerhalb der Gentechnologie die so genannte «Grüne Gentechnologie» von der Bevölkerung in Europa abgelehnt wird, weil der Nutzen nicht gut sichtbar ist. Aber die «Rote Gentechnologie» wird durchaus begrüsst, wegen ihrem offensichtlichen medizinischen Nutzen. Das zeigt, dass nicht bloss die Technologie per negativ oder positiv empfunden wird praktische Anwendung und Nutzenwahrnehmung sind ebenso wichtig. Hat sich die Wahrnehmung von technischen Risiken in den letzten Jahren verändert? Holenstein: Nehmen wir das Beispiel von Energierisiken, die wir untersucht haben: Noch vor einigen Jahren gab viele Stimmen mit tiefer grundsätzlicher Skepsis gegenüber dem Einsatz von Technologie. Heute gibt es durchwegs einen Konsens, dass Technologie grundsätzlich ein Teil der Lösung in der Energiethematik sein kann. Die Technologieskepsis mit radikalen Forderungen wie «Zurück zur Natur» ist aber einer differenzierten Betrachtung der meisten Technologien gewichen. Welche Rolle spielen die Versicherungen bei neuen Technologien? Haller: Die Industrie muss gemäss ihrem Selbstverständnis innovationsfreudig sein, und die Industrieversicherung versteht sich heute in erster Linie als ein Begleiter dieser Innovationen. Betont die Versicherung in gewissen Fällen vor allem die Gefahren, so stellt sie die Industrie zunächst vor schwierige Probleme. Wenn eine neuartige Technik bis zum heutigen Zeitpunkt keine Schäden verursacht hat, ist dies einerseits nicht der Beweis, dass sie es nicht später tun könnte, wie bei der Asbestproblematik. Daher sind die Versicherer zunächst eher vorsichtig, analysieren das Risiko und warten die Entwicklung ab. Was ihnen dann andererseits natürlich wieder vorgeworfen wird, weil sie gegen die «Licence to innovate» der Industrie «verstossen». Da beide Perspektiven berechtigt und auch «rational» sind, hat die Stiftung Risiko-Dialog in den letzten Jahren eine Reihe von Dialogen zwischen Versicherung und Industrie moderiert. Dabei wurden nicht bloss die gegenseitigen Standpunkte aus einer reinen Konfliktsituation herausgelöst, sondern in Teilbereichen auch vermittelnde Lösungen erzielt. Was erleichtert den Dialog über Risikothemen? Holenstein: Es gibt nicht nur naturwissenschaftlich-sachliche Aspekte in Risikodebatten, sondern auch die damit verbundene Emotionen. Diese in den Dialog einzubeziehen, ist zentral, denn sie bestimmen mit, wie ich als Mensch oder wir als Gesellschaft die Risiken und Chancen einer Technologie beurteile, sie verwende oder auch über sie in Abstimmungen urteile. Haller: Wichtig ist auch, dass im Zeichen des Dialogs die beteiligten Parteien reflektieren, was passiert. Das heisst, man spricht darüber, wie darüber gesprochen wird. Ohne die eigenen Standpunkte aufzugeben, kann man sich dadurch näher kommen, indem man die Sichtweise des anderen erkennt. Eine wichtige Voraussetzung für die Einigung in Teilaspekten. Welches sind unverzeihliche Fehler, die in einer Risiko-Debatte begangen werden? Haller: Allem voran: Dialoge ohne Moderation als ein Kräftemessen veranstalten. Der Dialog selbst ist eine Kunst, die auf klaren Einsichten in Prozeduren und die organisationalen Anforderungen besteht, ähnlich den Verfahren, wie man sie in der Mediation entwickelt hat. Als immer wichtiger erweist sich auch die Diskussion auf einer Beobachterebene. Holenstein: Auch die Empathie spielt in der Auseinandersetzung eine wichtige Rolle: Es ist nicht sinnvoll, wenn man bei einer Risikodebatte immer nur seine Position darlegt, ohne ernsthaftes Interesse an den Argumenten des anderen zu zeigen. Das ist zentral, um von einer einseitigen Information zu einem Dialog zu kommen. Wie sieht das Risiko der Zukunft aus? Ist eine Prognose möglich? Haller: Diese Frage wird aktuell auch in der Presse heiss diskutiert. Nach Zeiten völlig unreflektierter Deregulierung, kann man jetzt wieder einen längerfristigen Ausgleich erwarten. Ab er es ist paradox: Um Schlimmeres zu verhüten «darf» nun der Staat eingreifen und zwar weltweit, um aus dem Rahmen geratene Risikopositionen wieder in Ordnung zu bringen. Paradox, weil staatliche Hilfe, ja Verstaatlichung ausgerechnet eingesetzt werden, um (ungebändigte) Marktwirtschaft zu reparieren. Allerdings auch positiv, weil uns dies alles zu platonischen Grundfragen zurückführt: Welche Rolle spielt Privates, welche der Staat, welche das Geld und dann natürlich auch die Technik im entsprechenden Einsatz? Risiko-Dialoge darüber wären allerdings problematisch, wenn sie nur als Alibi- Übung, als «Befriedigung» der Gemüter verwirklicht würden. Risiko-Dialog macht nur dann Sinn, wenn das Diskutierte auch Auswirkungen hat ganz konkret. Interview: Manuel Martin Redaktor SWISS ENGINEERING STZ zu den Personen Matthias Haller gründete 1989 die Stiftung Risiko-Dialog. Als Professor an der Universität St.Gallen betreute er bis 2004 den Lehrstuhl für Risiko-Management und Versicherung. Aktuell widmet er sich vor allem der Entwicklung von Grossrisiken und der Entwicklung eines integrierten Konzepts der Risikobewältigung. Er ist Mitglied verschiedener Beiräte in öffentlichen und privaten Institutionen. Matthias Holenstein studierte Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich mit Schwerpunkt Risiko. Anschliessend arbeitete er beratend im Versicherungsbereich und zu technischen und sicherheitspolitischen Risiken. Seit 2005 beschäftigt er sich in der Stiftung Risiko-Dialog mit den Risiken im Zusammenhang mit Energie und Netzwerken sowie mit den methodischen Aspekten von Risikowahrnehmung, -bewertung und -kommunikation. SWISS ENGINEERING STZ OKTOBER 2008 9

Welches Risiko geht von Elektrosmog aus? Haben die Strahlungen von Antennen Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden? Fragen, über die sich selbst Experten uneinig sind. Im Bild eine Antenne für digitales Fernsehen in St. Anton, Oberegg. Boris Adolf

Boris Adolf Risiko Es braucht den Dialog Risiken werfen grundlegende gesellschaftliche Fragen auf, die sich nicht von einzelnen Organisationen, Gruppen oder Experten klären lassen sondern im öffentlichen Rampenlicht diskutiert werden. Vermummt in gelbe Schutzanzüge und schwer atmend durch Gasmasken, schaufeln Feuerwehrmänner die mit Chemikalien durchtränkte Erde zusammen. Im rot verfärbten Rhein schwimmen die Fische sichtbar an der Wasseroberfläche, leblos mit dem Bauch nach oben. Solche Bilder gingen nach dem Brand des Sandoz-Werk 1986 um die ganze Welt. Die Bevölkerung war verunsichert, weil sie schlecht informiert die ganze Katastrophennacht im stinkenden Rauch von verbrannten Chemikalien ausharren musste. Zudem tauchte der da malige Sandoz-Firmenchef für einige Tage ab. Und die für Aufräumarbeiten eingesetzten Schutzanzüge, welche eigentlich der Bevölkerung Sicherheit vermitteln sollten, bewirkten genau das Gegenteil sie signalisierten: Achtung, Gefahr! Obwohl niemand verletzt wurde leidtragend war ausschliesslich das Ökosystem des Rheins, veränderte sich die Risikowahrnehmung der Bevölkerung nachhaltig. Schweizerhalle zerstörte zusammen mit Tschernobyl den Machbarkeitstraum einer technisch orientierten Gesellschaft. Die Atomenergie genauso wie die bis dahin kaum angefochtene Chemieindustrie wurden in Frage gestellt. Da deutlich wurde, dass die traditionell technisch-naturwissenschaftlichen Risikoanalysen allein nicht ausreichen, um bei neuen Techno logien gesellschaftlich akzeptierte Wege zu beschreiten, wurde beispielsweise 1989 die Stiftung Risiko-Dialog gegründet. Der Wurm drin? Neben globalen Umweltthemen wie dem Klimawandel stehen heute Themen wie die Gentechnologie-Debatte und die aktuelle Finanzmarktkrise im Vordergrund. Gemäss dem Risikoforscher Matthias Haller von der Stiftung Risiko-Dialog haben sich die Themen im Rampenlicht der öffentlichen Arena seit Schweizerhalle tendenziell verschoben von Unfallrisiken zu Systemrisiken. Fast der gesamte Finanzmarkt kollabierte durch die viel zu billigen und nicht mit Risikoprämien versehenen Kredite des Investment Ban kings. Nicht Einzelfälle von Schlamperei, Leichtsinn oder kriminellen Machenschaften seien verantwortlich für das jetzige Ausmass des Schadens, sondern die typischen Strukturen des Finanzmarktsystems, so Haller. «Allgemein übertrieben die Investment Banker derart im Eingehen von Risiken, dass nun das ganze System in Frage gestellt wird.» Auch bei der Gentechnik werden nicht pri mär mögliche Unfallereignisse befürchtet, sondern mögliche Schäden in Nahrungsmittel oder Saatgut, etwa durch Resistenzen oder Allergien, die auftreten, obwohl keine Fehler in der Produktion oder Anwendung passieren. Typisch für Systemrisiken ist, dass die Haftungsfrage ungeklärt ist. Wer kommt für den Schaden auf? Das Einkaufszentrum, der Bauer, der Schweizerhalle zerstörte zusammen mit Tschernobyl den Machbarkeitstraum einer technisch orientierten Gesellschaft. Gentechnologe oder gar der Steuerzahler? Lässt sich ein Produkt nicht versichern, so gilt es in der öffentlichen Wahrnehmung als gefährlich. Zu sehr ist die Asbestproblematik in den Hinterköpfen verankert. Die Risikobeherrschung ist bei Systemrisiken ist also nicht mehr nur eine Frage des technischen Risiko-Managements, also der konkreten Unfallverhinderung. Es geht um Grundsatzfragen: Wie wollen wir in Zukunft damit leben? Diese Frage richtet sich nicht an einzelne Experten aus Technik und Wissenschaft, sondern an die gesamte Bevölkerung. Sie lässt sich nur dialogisch klären in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Kurs bestimmend Mit einem einmaligen Rettungspaket des amerikanischen Steuerzahlers sei die Finanzkrise nicht abgewendet, so Haller. «Die Probleme liegen tiefer und betreffen gesellschaftliche Fragen über grundlegende Werte wie Welche Rolle spielt Privates, welche der Staat und welche das Geld?» Die Debatte um das Finanzwesen ist lanciert und die Banken stehen mittendrin. Gerade sie spüren nun schmerzlich, was ein Diskurs über gesellschaftlich umstrittene Risiken bedeutet der Aktienkurs oder gar Konkurse sprechen eine klare Sprache. Damit Risikokommunikation für die Beteiligten nicht zum Risiko wird, haben weitsichtige Unternehmen seit der geplanten Versenkung der Ölplattform «Brent Spar» von Shell gelernt, rechtzeitig in Dialoge zu investieren und zwar bevor das Management an den gesellschaftlichen Befindlichkeiten vorbei operiert. Dies ist nicht nur ethisch sinnvoll, sondern auch unternehmerisch. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass beispielsweise die UBS über ein ausgezeichnetes Issues Management verfügt, das zusammen mit dem Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft Foeg der Universität Zürich entwickelt wurde. Studenten und Fachleute der UBS werten täglich unzählige Zeitungsartikel aus, erfassen dabei reputationsrelevante Kriterien und speisen diese in den Computer zur statistischen Auswertung. Damit lässt sich die Brisanz und der mögliche Verlauf eines Ereignisses abschätzen bis hin zu Auswirkungen auf den Aktienkurs des Unternehmens. Über Risiken debattieren Mit Überschriften wie «Machen Antennen Bienen wirr?» oder «Handy in der Hosentasche macht Spermien schlapp» war das Strahlungsrisiko von Mobilfunk lange in den Medien präsent. Die Stiftung Risiko-Dialog entwickelte ausgehend von dieser spezifischen Risiko-Debatte ein Simulationstool, dass die Debatten über gesellschaftlich umstrittene Risiken zwischen den Akteuren wie Industrie, Behörden oder NGO abbildet. Gemäss Projektleiter Matthias Holenstein lassen sich damit unterschiedliche Kommunikationsstrategien für die einzelnen Akteure testen. Wie wirkt sich beispielsweise ein proaktives Thematisieren des Strahlenrisikos gegenüber einer eher zurückhaltenden Kommunikation aus? «Das Simulationstool zeigt, welche Veränderungen bezüglich der Schlüsselgrössen einer Debatte wie Risikowahrnehmung, Vertrauen und Medienaufmerksamkeit zu erwarten sind», erläutert Holenstein. In den letzten Jahren hat sich die Geschwindigkeit des Wandels drastisch gesteigert. Die Gesellschaft ist von diesen schnelleren Entwicklungsprozessen immer intensiver be troffen. Die Abhängigkeit von der Technik und den damit verbundenen Risiken steigt. Deshalb ist wichtig, dass Sicherheit nicht an eine Organisation oder einzelne Forschende delegiert wird, sondern im Rahmen einer öffentlichen Debatte diskutiert wird. Erst die verschiedenen Perspektiven zusammen machen die Dimensionen des Risikos in seiner gesellschaftlichen Relevanz deutlich. (mm) SWISS ENGINEERING STZ OKTOBER 2008 7