Kobra am Kopf: Die Giftschlange sollte den Pharao Tutanchamun beschützen.

Transkript

1 Kobra am Kopf: Die Giftschlange sollte den Pharao Tutanchamun beschützen.

2 Na t u r + T e c h n i k UNTER VERDACHT: DER ENTDECKER DES TUTANCHAMUN Im Jahr 1922 fand der Archäologe Howard Carter das Grab des Kinder-Pharao Tutanchamun. Gold und Juwelen lagen darin, aber auch Gänsekeulen und Spielzeug. Carter galt als Held. Doch nun kommt heraus: Der berühmte Ausgräber hat offenbar einen Teil der Schätze gestohlen. Howard Carter Howard Carter wurde in London geboren. Er trug einen Schnauzbart, rauchte Zigarren und kleidete sich wie ein Gentleman. Aber er konnte auch ein Rüpel sein. Wenn ihm was nicht passte, brüllte er los. Vor allem aber war der Mann schlau fast so schlau wie der Meisterdetektiv Sherlock Holmes. Nur dass er nicht Mördern und Verbrechern nachspürte, sondern verschollenen Mumien und verborgenen Grüften. Schon mit 17 Jahren reiste er nach Ägypten, ins Land der Pyramiden. Forscher Carter (l.), Helfer kurz vor der Graböffnung. Auf Schule hatte er keine Lust. Carter wollte ein Schatzjäger werden und das Grab Tutanchamuns finden. Nur wo lag die Mumie des Pharao? Carter las alte Dokumente, studierte Landkarten, und schließlich hatte er ein dreieckiges Stück Land im Tal der Könige abgesteckt: Hier irgendwo, meinte er, müsse das Grab liegen. Carter wühlte und buddelte, er suchte wie besessen, fast zehn Jahre lang. Seine Helfer schaufelten für ihn Berge an Geröll weg. Endlich, am 26. November 1922, war es so weit. Der Archäologe stand im alten Königs- WELTBILD / INTERFOTO (L.); AKG (O.); HULTON-DEUTSCH COLLECTION / CORBIS (U.) 33

3 DER FLUCH DES PHARAO Viele der Entdecker Tutanchamuns starben unter ungeklärten Umständen. Bis heute hält sich der Irrglaube, der Pharao habe Grabräuber mit einem Fluch belegt. Doch gibt es so etwas wirklich? Der Erste war Lord Carnarvon. Der englische Adlige hatte das Geld für die Arbeiten am Grab Tutanchamuns gegeben, und natürlich war er auch dabei, als im Februar 1923 die Grabkammer geöffnet wurde. Als der Lord das Grab verließ, stach ihn eine Mücke. Beim Rasieren schnitt er sich später in den Stich, der Lord bekam eine Blutvergiftung und starb. Wenig später starben auch andere Teilnehmer der Ausgrabung, und bald hieß es, ein Fluch liege über dem Grab. Der Tod soll den mit seinen Schwingen erschlagen, der die Ruhe des Pharao stört dieser Satz soll auf einer Tontafel gestanden haben, die Howard Carter, der Entdecker der Gruft, am Grab des Pharao angeblich gefunden hatte starb ein Mitarbeiter eines Pariser Museums, kurz nachdem er das Grab verlassen hatte. Ein Arzt, der die Mumie röntgen wollte, starb an einem geheimnisvollen Fieber. Mehr als 20 Menschen kamen ums Leben, die irgendwie mit dem Pharao zu tun hatten. War es möglich, dass die Entdecker ein rätselhaftes Gift in der Grabkammer eingeatmet hatten? Die Zeitungen schrieben über den Fluch des Pharao, und plötzlich schickten viele reiche Engländer, die Kunstgegenstände aus dem alten Ägypten besaßen, ihre Sachen ans Museum in London. Sie wollten so etwas lieber nicht im Wohnzimmer stehen haben. Aber gibt es so einen Fluch wirklich? Wissenschaftler halten das für Quatsch. Die Tontafel, auf der die bösen Worte gestanden haben sollen, ist nie gefunden worden. Möglicherweise gab es in der Grabkammer tatsächlich so etwas wie Gift in der Luft. Manche Wissenschaftler glauben, dass winzige Teile von einem Schimmelpilz Krankheiten ausgelöst haben könnten. Neuere Forschungen besagen, dass die angeblich verfluchten Personen schon ziemlich alt waren, als sie starben, nämlich im Durchschnitt 73 Jahre alt. Die normale Lebenserwartung lag damals bei 70. Wenn es also wirklich einen Fluch gab, dann hat er das Leben der Opfer nicht verkürzt, sondern verlängert. Das könnte Diebe anlocken: Das Grab des Pharao war einst voller Kostbarkeiten. Doch dann kamen der Archäologe Howard Carter und sein Team. Vorsichtig trugen die Helfer des Forschers eine goldene Truhe aus der Schatzkammer. V.L.N.R.: MARGARETE BÜSING/BPK (2);FRANÇOIS GUENET/AKG (2); BRIDGEMANART.COM; THE STAPLETON COLLECTION/BRIDGEMANART (U.R.); STAPLETON HISTORICAL COLLECTION/ULLSTEIN BILD (U.L.) 34

4 Auch nach seinem Tod sollte es dem Pharao an nichts fehlen. Deshalb gaben ihm seine Untertanen Schätze mit ins Grab: Figuren aus Elfenbein, Schmuck aus edlen Steinen, ein Segelschiff aus Holz, einen Prunkdolch und einen goldverzierten Thron. Und damit sich der Pharao nicht langweilen musste, bekam er auch noch Brettspiele. Durch diesen Eingang geht es zum Grab des Pharao. THE METROPOLITAN MUSEUM OF ART (O.); ANDREA JEMOLO/AKG (M.); GETTY IMAGES (R.) friedhof von Theben in einem unterirdischen Felsgang. Vor ihm lag eine vermauerte und versiegelte Tür. Der Gang war eng und düster, es roch modrig. Auf den Türsiegeln war ein Schakal zu sehen. Gebt mir die Brechstange, rief der Forscher aufgeregt. Dann schlug er zu und leuchtete mit einer Kerze in den Mauerspalt. Später gab er zu, er habe Angst gehabt, dass aus dem finsteren Gewölbe giftige Gase entweichen könnten. Doch es kam nur uralte Luft raus. Dann stockte dem Entdecker der Atem, er wurde stumm vor Bewunderung. Er sah vergoldete Betten und Throne, feinste Möbel und herrliche Statuen. Alles war übereinandergestapelt wie in einer Rumpelkammer. Im Schein der Kerze blinkten juwelenbesetzte Dolche, Krummschwerter. Carter sah kleine Segelschiffe aus Holz und sogar ein Brettspiel, ähnlich dem Mensch ägere dich nicht. Der Sarg, in dem der tote Pharao lag, war aus purem Gold und wog über 110 Kilogramm. Was für eine Sensation! Nie zuvor hatten Forscher ein so prachtvolles Grab aufgespürt. Immer waren ihnen Diebe zuvorgekommen. Bereits im Altertum bohrten Räuber heimlich Tunnel in die Pyramiden und räumten sie leer. Und nun dieser tolle Fund, mehr als 3000 Jahre alt. Man musste Seilwinden holen, um den tonnenschweren Steinsarg Tutanchamuns zu bergen. Der Körper des Toten war mit Salböl übergossen. Sein Kopf war geschoren. Das Gehirn fehlte. Die Balsamierer hatten es mit einem langen Haken durch die Nase gezogen. Auch die Eingeweide hatten sie entfernt erst den Magen und die Leber, dann Lunge und Darm. Damit er im Jenseits keinen Hunger kriegt, gab man dem König sogar 35

5 DER SOHN DER SONNE Vor mehr als 3300 Jahren bestieg ein kleiner Junge den Thron von Ägypten: Pharao Tutanchamun betete die Sonne an, er starb früh und rätselhaft. Ohne sein prachtvolles Grab wäre er heute längst vergessen. Trompeten erklangen am Krönungstag von Tutanchamun. Im Tempel von Karnak brannte Weihrauch. Das Kind war etwa sieben Jahre alt. Es hatte braune Augen und Pausbacken. Als der Hohepriester herantrat, bekam der Junge Angst. In der goldenen Königskrone war eine Kobra abgebildet. Der Kopf der Schlange stand aufrecht, als wollte sie gleich mit den Giftzähnen zubeißen. Doch der kleine Prinz ließ die feierliche Zeremonie ruhig über sich ergehen. Die Priester murmelten Formeln, Musik ertönte. Tutanchamun war nun Chef des mächtigsten Landes der Welt. Man konnte damals, im Jahr 1332 vor Christus, 1000 Kilometer am Nil entlanggehen, ohne die Landesgrenze zu erreichen. Am Rand zur Wüste standen riesige Pyramiden, und jedes Sandkorn in diesem Staat gehörte dem König. Sogar die Menschen waren sein Besitz. Tutanchamun brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, schon eilten Diener herbei. Trotzdem war der Junge vermutlich oft traurig. Seine Mutter starb kurz nach seiner Geburt. Der Vater Echnaton war ein eigenwilliger Mann mit einem langgezogenen Eierkopf. Er ließ alle Götter im Land verbieten. 8 ANDERSEN, LOTHRINGER / STERN / PICTURE PRESS Als Kind hatte der Pharao volle Lippen und abstehende Ohren. Um ein noch besseres Bild von ihm zu bekommen, haben Forscher seinen Kopf mit Röntgenstrahlen durchleuchtet. ACHT HÜLLEN Die Mumie Tutanchamuns lag in einem Sarg aus purem Gold (1). Dieser steckte in zwei menschenähnlich geformten Särgen (2 und 3), die sich in einem Sarkophag aus Stein befanden (4). Dieser wiederum war verborgen in vier ineinandergestapelten vergoldeten Holzschreinen (5 bis 8) Nahrung mit auf den Weg. In der Gruft lagen gebratene Entenbrüste, Gänsekeulen und Fruchtkuchen, zwei Honigtöpfe und jede Menge Brot und Zwiebeln. Die meisten Speisen sahen allerdings ziemlich schrumpelig aus. Die ganze Welt staunte damals. Vor lauter Bewunderung verfielen die Leute in Europa und Amerika in ein Ägypten-Fieber. Die Frauen trugen Kleider wie früher die Prinzessinnen in Luxor. Kinder spielten mit kleinen Gummi- Pharaonen. In Hollywood wurden sogar gruselige Filme gedreht, in denen Mumien aus knarrenden Särgen stiegen. Howard Carter war nun berühmt. Er war ein Held wie später der erste Mann auf dem Mond. Sogar der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika lud ihn zum Tee ein. Aber es gab auch Ärger. Im Grab Tutanchamuns lagen etwa 6000 kostbare Dinge. Nur: Wem gehörten sie? Wer war der rechtmäßige Besitzer der Schätze? Das war die Frage. Und die war nicht leicht zu beantworten. Einerseits hatte Howard Carter die Reichtümer ganz allein gesucht und gefunden. Andererseits lagen sie in der Erde Ägyptens. Und was man auf dem Grundstück des Nachbarn findet, gehört einem ja auch nicht. Kein Wunder also, dass bald Streit entstand. Die Engländer und die ägyptische Regierung stritten. Jeder wollte die Beute für sich. Am Ende war Howard Carter so wütend über die Sache, dass er einfach zugriff: Er klaute. Immer wieder ging er durch die prächtige Grabkammer und steckte sich heimlich was in die Tasche. Mal nahm er eine kleine Glasvase mit, mal ein Bronzepferdchen oder einen goldenen Ring. Später verschenkte er die teuren Sachen an Freunde und Verwandte. Die ROBERT HARDING/MAURITIUS IMAGES (L.); NATIONAL GEOGRAPHIC/GETTY IMAGES (R.) 36

6 Nur noch Aton war erlaubt. Das war der Sonnengott. Tut wuchs abgeschieden in der Stadt Achetaton auf. Dort gab es Heiligtümer, wo die Leute den ganzen Tag die Sonne anbeteten. Der kleine Prinz lebte in einem Palast und vertrieb sich die Zeit mit Murmeln, Puppen und Brettspielen. Dann starb auch der Vater. Tut war nun Waise. So blieb dem Jungen nur noch seine geliebte Großmutter Teje. Später bewahrte er immer eine Haarlocke von ihr in einem Kästchen auf. Weil er noch zu klein zum Regieren war, übernahm erst einmal der Großonkel die Staatsgeschäfte. Mit etwa acht Jahren heiratete der junge König seine ältere Schwester. Sie wurde zweimal schwanger. Beide Babys starben schon im Mutterleib. Man beerdigte sie in prachtvollen Minisärgen. All das klingt ziemlich merkwürdig. Heutzutage ist es verboten, dass Geschwister untereinander heiraten. Doch die Pharaonen wollten ein auserwähltes Geschlecht sein und unter sich bleiben. Der König ist ein unsterblicher Gottessohn. Nach seinem Tod reitet er mit der Sonne über den Himmel so lautete damals der Glaube. Die Priester behaupteten sogar: Wer einen Pharao versehentlich berührt, fällt sofort tot um. Doch in Wahrheit war Tut auch nur ein Mensch. Am liebsten raste er mit seinem zweirädrigen Pferdewagen durch die Wüste und jagte Strauße. Oder pirschte mit seinem Hund durch die Nilsümpfe. Schon mit etwa 18 Jahren starb der junge Mann, manche glauben, es war Mord. Vielleicht fiel er auch nur mit Karacho aus dem Jagdwagen. Eine neue Untersuchung der Mumie zeigt, dass der Herrscher an einem schweren Kniebruch litt. Ob Tutanchamun ein guter Pharao war, weiß man nicht. Die meiste Zeit haben Erwachsene für ihn regiert, er war einfach noch zu jung. Wenn er nicht so ein prachtvolles Grab gehabt hätte, würde heute wahrscheinlich keiner mehr über ihn reden. FERRARI PRESS AGENCY/ACTION PRESS (L.); KENNETH GARRETT/NATIONAL GEOGRAPHIC/GETTY IMAGES (R.) verkauften sie an Museen weiter. Dort sind sie jetzt aufgetaucht. Doch es gibt noch ein anderes Problem. Carter hatte hoch und heilig versprochen: Wenn ich das Tut-Grab finde, warte ich, bis ein offizieller Wächter kommt. Erst dann öffnen wir gemeinsam die Gruft. Aber auch daran hielt er sich nicht. Statt zu warten, brach er sofort bei Nacht in das düstere Verlies ein. Er durchstöberte alles, rückte Truhen herum und erbrach heilige Siegel. Später behauptete er, es seien schon vor geraumer Zeit Räuber in dem Grab gewesen und hätten dort allerlei verwüstet und gestohlen. Aber stimmt das? Einige Experten glauben, dass Howard Carter log. In Wahrheit habe er von Anfang an einen gerissenen Plan verfolgt: Er wollte die gewaltige goldene Beute nach Amerika und Die Ausstellung Tutanchamun Sein Grab und seine Schätze wurde in Hamburg bis zum 18. April verlängert. Weitere Ausstellungsorte sind geplant. in seine Heimat England bringen und für viel Geld verkaufen. Mit den Ägyptern hatte Carter nämlich eine Abmachung: Wenn das Grab noch völlig unversehrt wäre, dann sollte der Inhalt komplett den Ägyptern gehören. Wenn aber schon Räuber dort gewesen sind, dann sollte Carter die Hälfte von alldem bekommen, was die Räuber übrig gelassen hatten. Also sagte Carter, er habe Spuren von alten Einbrüchen gefunden. Bis heute weiß man nicht, ob es diese Spuren wirklich gab oder ob Carter da mächtig übertrieben hat. Vielleicht waren es sogar seine eigenen Spuren. Am Ende allerdings misslang sein Plan. Tutanchamuns Schätze blieben am Nil. Man kann sie heute in Kairo bewundern, der Hauptstadt Ägyptens. Es ist der atemberaubendste Antikenfund der Welt. Matthias Schulz WEM GEHÖRT NOFRETETE? Vor drei Monaten erst ist sie umgezogen. In das gerade renovierte Neue Museum in Berlin. Hier steht sie ganz allein in einem prächtigen Kuppelsaal: die Büste der Nofretete, der Frau des Pharao Echnaton, Vater des Tutanchamun. Über 3400 Jahre alt ist die Büste, seit fast hundert Jahren steht sie in Berlin und soll nun zurück in ihre Heimat, schließlich sei Nofretete dort gefunden worden. Aber das Berliner Museum will die Büste nicht einmal ausleihen, aus Angst, dass sie beim Transport beschädigt werden könnte. Bereits zu Lebzeiten, im 14. Jahrhundert vor Christus, galt Nofretete als eine der schönsten Herrscherinnen überhaupt. Der Streit um ihre Büste dauert schon lange: 1912 hatten deutsche Archäologen Nofretete in Ägypten entdeckt und ein Jahr später nach Deutschland gebracht. Damals hatten die Ägypter nichts dagegen. Wenige Jahre später aber wollten sie die Büste dann doch wieder zurückhaben. 37