Michaelerfreunde: seid Magier, Mystiker!

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1 Michaelerfreunde: seid Magier, Mystiker! Predigt an Erscheinung des Herrn (Drei Königs-Fest) Volksfrömmigkeit ist kreativ Die Volksfrömmigkeit wurde durch das eben gehörte Evangelium (Mt 2, 1-12) beflügelt! Die Menschen haben die christliche Legende immer weiter erzählt, weiter ausgeschmückt, weiter konkretisiert, mit allen positiven und negativen Folgen. Positiv in dem Sinn, dass jede Generation sich konkrete Gedanken über die Botschaft gemacht hat. Negativ in dem Sinn, dass der ursprüngliche Sinn der Botschaft, so wie ihn der Evangelist Matthäus und seine Gemeinde verstanden hat, durch das Ausschmücken immer mehr ins Dunkel geraten ist. Ich gebe einige Beispiele. Das liturgische Fest Erscheinung des Herrn wurde im Volksmund zum Drei Königs-Fest. Aus den ursprünglichen Sterndeutern sind Könige geworden. Aus der allgemeinen Angabe hat man die Zahl drei gemacht. Man hat diesen Königen sogar Namen gegeben: Kaspar, Melchior und Balthasar. Die drei Namen hat man auf Lateinisch als C+M+B abgekürzt. Man hat diese Kürzung neu gedeutet als: Christus (Christus) Benedicat (möge segnen) Mansionem (die Wohnung). Und das klingt auch noch fromm. Man hat später am Drei Königs-Fest begonnen, diese Inschrift mit Kreide auf den Türpfosten zu schreiben. Sie ist wie eine Schutzformel, ein Schutzgebet für das neue Jahr. In den letzten Jahrzehnten ziehen als Könige verkleidete Kinder durch Städte und Landschaften und singen und bitten um Unterstützung der Projekte der Dritten Welt. Auch die Geschenke, die die Sterndeuter für das neugeborene Kind Jesus mit sich brachten (Gold, Weihrauch und Myrrhe), haben in der Tradition mehrere Bedeutungen erhalten. Ist heutige Spiritualität auch kreativ? Kann der moderne, kritische und nach Tiefgang suchende Stadtmensch die ursprüngliche christliche Legende, so wie der Evangelist Matthäus sie verstanden und verschriftlicht hat, auch neu verstehen und sich mit ihr identifizieren? Das ist die Frage der heutigen Predigt. Versuchen wir eine Antwort! Sterndeuter sind fragende und suchende Menschen Das ursprüngliche griechische Wort für Sterndeuter heißt magoi, als Magier übersetzt. Es hatte beim Evangelisten Matthäus einen durchaus positive Klang: Es sind suchende und fragende Menschen. Sie sind sehr interessiert an Wissenschaften, Kosmologie, Philosophie 1

2 und nicht zuletzt an Theologie. Es sind durchaus aufgeschlossene und weise Menschen. Sie kommen aus dem Osten und suchen das neu geborene Kind Jesus. Sie wollen es anbeten. Ihre erste Station ist die Hauptstadt Jerusalem. Dort suchen sie als Gesprächspartner die Politiker. An den Politiker Herodes richten sie die Frage, ob er weiß, wo das neu geborene Kind, der König der Juden, geboren ist. Aber Herodes, der Oberpolitiker, der Obergescheite, der Obermächtige hat in diesen und ähnlichen Fragen keine Ahnung. So ist es auch in unserer Zeit: Politiker haben oft keine Ahnung von den echten Fragen der Menschen, der ehrlich suchendenden und fragenden Menschen. Auch politische Parteien wissen gar nicht mehr, wie sie mit lebensbeschaulichen, mit religiösen und pastoralen Fragen umgehen sollen. Sie haben es verlernt. Religion ist eine fremde Wissenschaft für sie geworden. Sie sind buchstäblich religiöse Analphabeten. Sie können sich sehr gut von den allgemeinen Anliegen der Menschen abschirmen. Sie brauchen und können nicht Farbe bekennen. - Wehe, wenn sie sich als praktizierende Katholiken profilieren! Das ist vielleicht nicht gut für eine Wiederwahl! Das ist nicht in. Wenn dann religiöse Fragen auftauchen, zum Beispiel, wie können in unserem Land Christen und Moslime friedlich und segensreich für die Gesellschaft arbeiten, haben sie keine Antwort. Dann suchen sie selber nach Antworten. Sie befragen die Autoritäten: die Kirche, die Bischöfe, die Priester. Die sind doch die Ausgebildeten! Wie Herodes: auch er hat keine Antwort auf die Frage, wo das neu geborene Kind, der König der Juden, geboren ist. Er bildet eine Kommission: die Theologen müssen her! Und immer wieder die Angst! Aber eigentlich hat Herodes sehr viel Angst! Wer ist dieser neu geborene König der Juden? Dieser Messias? Wird er an die Macht kommen und meine Macht außer Macht setzten, so fragt Herodes. Er ist eigentlich ein armer Politiker, weil er Angst hat. Viel Angst um den Erhalt seiner Macht. Die Kommission aller Hohepriester und Schriftgelehrten hat die Antwort direkt: das neu geborene Kind soll in Bethlehem in Judäa geboren werden, so wie es in den Schriften steht (Mich 5,1.3). Sogar das hat der Politiker Herodes nicht gewusst. Religiöse Unkenntnis rächt sich immer irgendwie. Auch heutzutage! Deshalb können sich nicht mehr religiös denkende und fühlende Politiker keine menschliche Meinung über - zum Beispiel - die Migranten, die Euthanasie, bilden. 2

3 Schlaue Politiker, die verbrämt die Unwahrheit sagen Es ist so offensichtlich, dass Herodes lügt und betrügt: Er sagt zu den Sterndeutern: Wenn ihr das Kind gefunden habt, bitte, sagt es mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige (Mt 2,8)! Können ängstliche und machtbesessene Politiker wirklich anbeten und huldigen? Ich glaube nicht! Sie gebrauchen eine religiöse Sprache, aber haben mörderische Absichten, wie es sich aus dem zweiten Kapitel des Matthäusevangeliums deutlich wird (Mt, 2, 13ff: Kindermord in Bethlehem). Der Stern: ein Leitstern Sobald die Sterndeuter diese Antwort des Herodes gehört haben, begeben sie sich auf den Weg. Sie sind ehrlich suchende Menschen. Sie sind gewiss: Ein Stern begleitet uns! Es fällt auf, dass erst in diesem Moment der Stern auftaucht (Mt 2,9)! Menschen, auch Politiker und Wissenschaftler und gewöhnlich ehrlich suchende Menschen können sicher sein: sie werden von einem guten Stern zum Endziel begleitet. Wir machen uns in der Kirche viel zu viel Sorgen um die Menschen, die der Kirche den Rücken gekehrt haben. Warum kommen wir nicht viel mehr mit unseren Schätzen in den Alltag? Wo ist dann unser Kerngeschäft (core business)? Es kann nicht woanders als in der Verkündigung und in der Mystik liegen, so wie wir das in der letzten Nummer der Michaeler Blätter (November 2010, Nr. 17) ausgearbeitet haben! Jeder Mensch wird geleitet durch einen guten Stern, der ihn dort hinführt, wo er hin gehört! Mit übergroßer Freude Der Gegensatz zu Herodes könnte nicht grösser sein: Er lügt und macht bella figura, und ist sehr um seine Machterhaltung besorgt, besessen von der Angst. Die Sterndeuter sind suchende Menschen und sie werden vom Stern geleitet. Sie finden am Ende ihrer Wegstrecke das gesuchte Kind! Der Stern blieb über der Wohnung stehen, wo das Kind war. Jetzt wussten sie: hier ist das Kind. Wir sind am Ziel. Sie wurden mit sehr großer Freude erfüllt schreibt Matthäus (Mt 2, 10). Die Sterndeuter finden eine Person, ein Kind mit seinen Eltern Maria und Josef. Jetzt fallen sie auf die Knie (Mt 2,11). Die Magier werden Mystiker Die Magier werden Mystiker Wenn Menschen suchen und ihren Weg weitergehen, begleitet vom Stern, dann werden sie eines Tages etwas Lebendiges, etwas Ansprechendes, etwas Erfüllendes finden. Nicht eine Idee, nicht ein Prinzip, nicht eine Lehre, sondern eine Person, eine lebendige Person. Mehr als 3

4 nur eine Person: sie werden Gott selber finden, sie werden Jesus als den Sohn Gottes erkennen und dann auf die Knie fallen, ihn anbeten. Die Magier werden zu Mystikern. Nicht viel reden, sondern viel schweigen und staunen: das ist die Sprache der Mystiker, im Gegensatz zu vielen Politikern, die viel reden, wenig sagen und nicht auf die Knie fallen können. Und jeder hat eine kleines Geschenk mit: es braucht nicht Gold, Weihrauch oder Myrrhe zu sein. Einfach mal ein Danke-Schön-Sagen, ein Bittgebet sprechen, eine offene Kirche besuchen, einen Gottesdienst besuchen, ein Sakrament empfangen. Es sind so viele Geschenke unter den Menschen wie es Menschen gibt. Das Neue Jahr 2011: Lasst uns Zukunft gestalten statt Vergangenheit verwalten! Gestern las ich in einer Tageszeitung, dass Österreich ein Land ohne Realitätssinn ist, dass es wenig Gespür hat um etwas Neues zu denken und zu gestalten. Alles muss beim Alten bleiben. Wie es war im Anfang, so wie es jetzt ist und wie es bleiben soll bis in Ewigkeit, könnte ich beten! Es wird immer mehr verwaltet als gestaltet! Wenn etwas sich ändert, muss es eine Veränderung zum Schlechten sein, findet man. Gut ist, was man kennt. Was man nicht kennt, sorgt bestenfalls für Unsicherheit. Deswegen muss man abwehren, verhindern, verwalten. Zu diesem Ergebnis sind drei unabhängig voneinander durchgeführte Umfragen (zu Fragen des Nationalstolzes, zum Thema Mobilität und zum Thema Technologie) gekommen. Zwei unter den Umfragen waren Eurobarometer-Umfragen, also die Ergebnisse sind im Vergleich mit vielen anderen europäischen Ländern zu lesen. Die Schlußfolgerung des Artikels ist: wenn wir etwas Neues versuchen, kommt manchmal sogar was Besseres nach (Die Presse, , Seite 27). Zum Abschluss: Michaelerfreunde: seid Magier und Mystiker! Liebe Gottesdienstbesucher! Liebe Freunde der Michaelerkirche! Vielleicht stehen die im Evangelium skizzierten Sterndeuter näher in unserem Leben als die Abkürzung C+M+ B an unseren Türen! Ich bin der Meinung, dass wir in unserer Michaelerkirche auf dem guten Weg sind, ein Ambiente für die modernen Sterndeuter, die city hoppers, die spirituellen Nomaden zu gestalten. Die besten Manager sind die besten Mystiker! Die besten Mystiker sind die besten Manager. Die besten Freunde der Michaelerkirche sind die Mystiker, denn sie gestalten mit! Alle Menschen können immer in unsere Wohnung kommen. Unsere Hauptaufgabe, unser Hauptgeschäft wird auch im kommenden Jahr sein, dass sie dort etwas Lebendiges finden, etwas Ansprechendes, etwas Unter-die-Haut-Gehendes. Nicht nur die Atmosphäre einer uralten Kirche, die wir Mystik genannt haben, sondern etwas was der Kern 4

5 jeder Mystik ist: die Begegnung mit dem lebendigen Herrn, geboren als Kind und als Auferstandener immer bei uns anwesend und wirkend. Amen. 5