Über den Tellerrand. Probenahmestrategie und Ergebnisbewertung bei Luftmessungen im Innenraum

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1 Über den Tellerrand Probenahmestrategie und Ergebnisbewertung bei Luftmessungen im Innenraum Michael Ball, Rellingen

2 ? Weshalb ist es ein Blick über den Tellerrand, haben doch Luftmessungen im Innenraum und am Arbeitsplatz vieles gemeinsam. Probenahmemethoden und Analytik sind tatsächlich häufig gleich, bei ihnen liegt der Unterschied nur im Arbeitsbereich. Aufgabenstellung und die daraus resultierende Probenahmestrategie sowie die Ergebnisbewertung unterscheiden sich deutlich

3 Innenraum - Definition Wohnungen mit Wohn-, Schlaf-, Bastel-, Sport- und Kellerräumen, Küchen und Badezimmern, Arbeitsplätze, wie Büros und Verkaufsräume, sofern sie nicht im Hinblick auf Luftschadstoffe arbeitsschutzrechtlichen Kontrollen unterliegen, Räume mit Publikumsverkehr, wie öffentliche Gebäude, d.h. Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Sporthallen, Bibliotheken, Gaststätten, Hotels, Theater, Kinos und andere Veranstaltungsräume sowie die Innenräume von Kraftfahrzeugen und anderen Verkehrsmitteln

4 Aufgabenstellungen Fragen zu Befindlichkeitsstörungen und Geruchsbelästigungen Überprüfung von Grenz- bzw. Richtwerten von Schadstoffen Kontrolle des Erfolges von Sanierungsmaßnahmen Identifizierung von Schadstoffbelastungen

5 Zu Befindlichkeitsstörungen Gehören auch: Angst vor theoretisch möglichen Schadstoffen (Beispiel Verlagshaus) Ärger mit Kollegen oder Vorgesetzten, der auf vermeintliche Schadstoffe geschoben wird Gefühlt zu hohe Mietzahlungen (Beispiel Bankhaus)

6 RICHTLINIE DES RATES vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (89/106/EWG) ANHANG I Wesentliche Anforderung Nr. 3 (= ER 3) Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz Das Bauwerk muss derart entworfen und ausgeführt sein, dass die Hygiene und die Gesundheit der Bewohner und der Anwohner insbesondere durch folgende Einwirkungen nicht gefährdet werden: Freisetzung giftiger Gase Vorhandensein gefährlicher Teilchen oder Gase in der Luft Emission gefährlicher Strahlen Wasser- oder Bodenverunreinigung oder -vergiftung unsachgemäße Beseitigung von Abwasser, Rauch und festem oder flüssigem Abfall Feuchtigkeitsansammlung in Bauteilen und auf Oberflächen von Bauteilen in Innenräumen

7 Ursachen von Raumluftbelastungen: Bauprodukte (z.b. Asbest, PCB, Holzschutzmittel, VOC) Mobiliar (z.b. Formaldehyd) Nutzungsbedingte Belastungen (z.b. VOC aus Reinigungsmitteln und Druckerzeugnissen) Baumängel (z.b. bei Schimmelpilzbildungen) Eintrag aus der Umgebung (z.b. Straßenverkehr)

8 Wichtige Aspekte im Rahmen der Messplanung Zeitpunkt und Randbedingungen der Messung Dauer der Probenahme und Häufigkeit der Messung Ort der Messung Auswahl des richtigen Analysenverfahrens Messunsicherheit und Angabe des Ergebnisses Qualitätssicherung

9 Gesetzmäßigkeiten des Innenraumes c i = Innenraumluft-Konzentration (mg/m³) Q = Quellstärke (mg/h) V = Raumvolumen (m³) c a = Außenluft-Konzentration (mg/m³) n = Luftwechsel (h -1 ) A = Abbaufaktor (h -1 ) t = Zeit (h)

10 Zeitverhalten von Emissionen

11 Handlungsempfehlungen Empfehlungen und mögliche Vorgehensweisen bei Innenraumuntersuchungen sind in den Richtlinienreihen der aufgeführt. VDI 4300, VDI 4301 und DIN (EN) ISO Für alle Innenraumuntersuchungen wird die Kenntnis der vorausgesetzt! DIN ISO Blatt

12 Probenahmeverfahren 1. Aktive Probenahme z.b. Sammelröhrchen (z.b. Aktivkohle, Florisil, Silicagel) Probenahmekartuschen (PU-Schaum, XAD) Filter (z.b. Goldbedampfte Filter für Fasermessungen) Tenax 2. Passive Probenahme z.b. Aktivkohle Tenax

13 Messverfahren Die meisten Analyseverfahren sind in VDI-Richtlinien oder auch in den Sammlungen der DFG beschrieben. Es ist allerdings unbedingt auf den Arbeitsbereich zu achten. Weiter zur Ergebnisbewertung

14 Ergebnisbewertung - Begriffe Grenzwert Richtwert II (RW II, gefahrenbezogen) Auffälligkeitswert, Besorgniswert, Handlungswert, Normalwert, Orientierungswert, Zielwert Richtwert I (RW I) Vorsorgewert Referenzwert

15 Bewertungshierarchie Richtwertkonzept (toxikologisch!) TVOC-Konzept ( hygienisch ) Referenzwertkonzept (statistisch!)

16 Richtwert I (RW I) ist die Konzentration eines Stoffes in der Innenraumluft, bei der im Rahmen einer Einzelstoffbetrachtung nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auch bei lebenslanger Exposition keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Eine Überschreitung des RW I ist mit einer über das übliche Maß hinausgehenden hygienisch unerwünschten Belastung verbunden. Aus Vorsorgegründen besteht auch im Konzentrationsbereich zwischen RW I und RW II Handlungsbedarf. Der RW I wird vom RW II durch Einführen eines zusätzlichen Faktors ( in der Regel 10 ) abgeleitet. Dieser Faktor ist eine Konvention. Der Richtwert I ( RW I ) kann als Sanierungszielwert dienen. Er soll nicht ausgeschöpft sondern nach Möglichkeit unterschritten werden

17 Richtwert II (RW II) ist ein wirkungsbezogener, begründeter Wert, der sich auf die gegenwärtigen toxikologischen und epidemiologischen Kenntnisse zur Wirkungsschwelle eines Stoffes unter Einführung von Sicherheitsfaktoren stützt. Er stellt die Konzentration eines Stoffes dar, bei deren Erreichen bzw. Überschreiten ein unverzüglicher Handlungsbedarf besteht, da diese Konzentration geeignet ist, insbesondere für empfindliche Personen bei Daueraufenthalt in den Räumen eine gesundheitliche Gefährdung darzustellen. Je nach Wirkungsweise des betrachteten Stoffes kann der Richtwert als Kurzzeitwert ( RW II K ) oder Langzeitwert ( RW II L ) definiert sein. Das Unterschreiten des RW II ist die Voraussetzung für die Nutzbarkeit eines Raumes als Aufenthaltsraum und damit auch für die Bewohnbarkeit

18 TVOC Bewertung Hygienische Bewertung < 0,3 - hygienisch unbedenklich noch unbedenklich (Lüften) > auffällig (12 Monate) > bedenklich (1 Monat) > 10 - inakzeptabel (zeitl. befristet) Angaben in mg/m³

19 TVOC Indoor air goals (Seifert) Alkane 100 Aromaten 50 Terpene 30 vvoc CKW 30 Ester 20 Aldehyde, Ketone 20 Sonstige 50 TVOC 300 Angaben in µg/m³

20 Referenzwertkonzept ist rein statistisch basiert auf dem Umwelt-Survey des UBA (WaBoLu) Erhebungszeiträume sind 1985/86 Formaldehyd, VOC, Hausstaub 1991/92 Formaldehyd, VOC, Hausstaub 1997/99 Hausstaub 2003/06 Formaldehyd, BTEX, VOC, Hausstaub Kinder-Umwelt-Survey (KUS) Die Daten wurden statistisch aufbereitet und können zum Vergleich herangezogen werden haben aber keinen Bezug zu einer möglichen Wirkung

21 AgBB-Schema Bauprodukte können eine bedeutsame Quelle für die Belastung der Innenraumluft durch flüchtige organische Verbindungen (VOC) darstellen. Um die Grundlage für eine einheitliche und nachvollziehbare gesundheitliche Bewertung von Bauprodukten in Deutschland bereitzustellen, hat der "Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten" (AgBB) Prüfkriterien erarbeitet und daraus ein Bewertungsschema für VOC-Emissionen aus innenraumrelevanten Bauprodukten entwickelt

22 NIK-Werte Die Bewertung der Konzentration flüchtiger Organische Verbindungen (VOC) in der Luft von Prüfkammern erfolgt anhand der so genannten NIK-Werte (Niedrigste interessierende Konzentration). Bei der Herleitung von NIK-Werten orientiert sich eine Arbeitsgruppe des AgBB erweitert um Fachleute der Herstellerseite an existierenden AGW-Werten

23 NIK-Wert Ableitung für Toluol EU-OEL = - TRGS = µg/m³ Klassifikation: = EU reprotox Kat. 3* SF (Sicherheitsfaktor) = 100 NIK = µg/m³ *nicht verwendet

24 2-Ethoxyethanol EU-OEL = - TRGS = - Klassifikation: EU reprotox Kat. 2 MAK = µg/m³ SF (Sicherheitsfaktor) = 1000 NIK = 19 µg/m³

25 NIK-Werte Obwohl die NIK-Werte nicht zur Bewertung von Ergebnissen aus Raumluftmessungen entwickelt wurden und anfangs ihre Verwendung unstatthaft war, ist seit zwei Jahren eine vorsichtige Öffnung zu bemerken. Mit aller Vorsicht und nur bei Fehlen anderer Bewertungsmaßstäbe ist die Heranziehung der NIK-Werte heute erlaubt. Allerdings darf man sie auf keinen Fall als Richtwert I missbrauchen

26 Toluol: NIK-Wert im Vergleich Innenraumrichtwerte [µg/m³] AQG WHO 1 = 260 MRL ATSDR 2 = 300 TCA RIVM 3 = 400 RW I (UBA) = 300 RW II (UBA) = 3000 NIK (AgBB) = Air Quality Guideline World Health Organisation 2 Minimal Risk Levels - Agency for Toxic Substances and Disease Registry 3 tolerable concentration in air - RIVM National Institute for Public Health and the Environment

27 Fazit Durch die NIK-Werte kommen die MAK-Werte mittelbar auch für den Innenraum zur Anwendung. Damit kann die große Zahl bestehender wissenschaftlich begründeter Bewertungen endlich natürlich mit der gebotenen Vorsicht - für die Bewertung von Ergebnissen aus Innraumluft- Messungen herangezogen werden Es bleibt aber fest zu halten, dass eine Erweiterung der Liste der Substanzen, für die Richtwerte aufgestellt wurden dennoch erforderlich ist