Kommentar zu Oṁkāra Pradhāna, ein Abhaṅga von Tukārām Mahārāj
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- Jesko Geisler
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1 Kommentar zu Oṁkāra Pradhāna, ein Abhaṅga von Tukārām Mahārāj von Swami Shantananda Die religiösen Lieder des Heiligen Tukārām Mahārāj aus dem 17. Jahrhundert rufen im Herzen der Suchenden unverändert so viel Liebe hervor wie zu der Zeit, als sie verfasst wurden. Dieses Gedicht bringt Tukārāms eigenen Zustand der Versunkenheit in göttliche Seligkeit und seine unmittelbare Erkenntnis der von ihm verehrten Höchsten Wahrheit zum Ausdruck. Tukārām lebte im Ort Dehu in Mahārāṣṭra, demselben indischen Bundesstaat, in dem sich auch der Siddha Yoga Ashram Gurudev Siddha Peeth befindet. Er schrieb tausende von abhaṅgas auf Marathi, der Umgangssprache dieser Region, damit jeder Asketen wie auch Laien sie erlernen und verstehen konnten. Zu Tukārāms Zeit konnten die meisten Dorfbewohner und Bauern nicht lesen. Nur Brahmanen, die Mitglieder der Priesterkaste, durften Sanskrit, die Sprache der heiligen Schriften, erlernen. Tukārām legte mit seinen Liedern den Menschen die höchste Lehre in die Hand und ins Herz, in den Verstand und in die Stimme. Der abhaṅga, den wir hier betrachten, ist Oṁkāra Pradhāna, Der Ursprung von Oṁ. In ihm lehrt Tukārām etwas über das Wesen der Höchsten Realität das, was jenseits der Form liegt indem er ihre Beziehung zu einer Form beschreibt, die jedem Menschen seiner Zeit vertraut war.
2 Im Refrain von Oṁkāra Pradhāna heißt es, dass der Ursprung und die Quelle, der pradhāna, des uranfänglichen Klanges Oṁ der weithin verehrte Gott Gaṇeśa ist. Gemäß der Philosophie des Vedānta ist Oṁ der erste Ausdruck des Höchsten Bewusstseins. Mit der Aussage, dass Gaṇeśa der Ursprung von Oṁ sei, weist Tukārām darauf hin, dass Gaṇeśa Höchstes Bewusstsein ist. Mit anderen Worten: Der Heilige gibt uns die Gestalt Gaṇeśas als Hilfsmittel, um das Formlose anzurufen, zu ehren und zu verehren. Diese spezielle Gottheit und gleichermaßen alle Gottheiten sind Formen des einen Höchsten Bewusstseins, das die Schöpfung durchdringt. In diesem abhaṅga führt uns Tukārām vom sichtbaren Erscheinungsbild dieser geliebten Gottheit sie wird immer mit dem Körper eines Jungen und dem Kopf eines Elefanten dargestellt zu dem, was über Raum und Zeit hinausgeht, dem ewigen uranfänglichen Klang. Gaṇeśa, so lehrt uns Tukārām, ist oṁkāra, die heilige Silbe, die als Oṁ ertönt. Vom Aussehen her deuten der rundliche Körper Gaṇeśas und sein geschwungener Rüssel den Umriss von Oṁ an, so wie es in devanagari, der für Sanskrit verwendeten Schrift, dargestellt wird: Vielleicht lautet deshalb einer der Namen Gaṇeśas Oṁkāra Svarūpa, was die Verkörperung von Oṁ bedeutet. i Ein weiterer Name für Gaṇeśa ist Gajānana, der Elefantenköpfige ; und Tukārām ruft diesen Namen in seinem abhaṅga an. Der Name hat eine bedeutsame Etymologie: Die Silbe ga bedeutet Klang und ja bedeutet geboren sein. Damit verweist Gajānana darauf, dass alle Dinge aus der feinen Schwingung am Urgrund des Universums geboren werden. ii Auf diese Weise sieht Tukārām Gaṇeśa als Ursprung dessen, was er die drei Götter nennt. Diese Gottheiten stellen die Kräfte dar, durch die das Höchste Bewusstsein das Universum offenbart, erhält und wieder
3 zurücknimmt. Tukārām bringt diese Funktionen mit jedem der drei Klänge, die Oṁ bilden, in Verbindung: A, U, M. Brahmā, der Schöpfer, der auch Akṣara, der Unvergänglich, genannt wird, wird durch A, den ersten Buchstaben des Sanskritalphabets, vertreten. Das erinnert uns daran, dass Brahmā das erste Wesen ist, das aus dem Höchsten hervorgeht. Viṣṇu, der Erhalter, wird durch das U vertreten. Dieser Vokal entspricht klanglich dem Sanskrit-Halbkonsonanten V, der hier Viṣṇu zugehörig ist. Und Maheśa oder Śiva, der Auflösende, wird durch den Buchstaben M vertreten. iii In den Namen indischer Gottheiten sind oft viele Bedeutungsebenen verschlüsselt enthalten. Das ist auch der Fall bei dem Namen Gaṇeśa selbst, der sich aus den zwei Wörtern gaṇa, Gruppe, und īśa, Herr oder Meister, herleitet. Die Geschichten der Purāṇas schreiben Gaṇeśa die Rolle als Anführer von Śivas Diener-Armee, den gaṇas, zu. In einem tieferen Sinn wird Gaṇeśa als Herr aller Lebewesen verstanden und als Meister der unterschiedlichen Gruppen von śaktis, den Kräften, die aus Oṁ hervorgehen und von denen es heißt, dass sie dieses Universum erschaffen. iv Daraus können wir ersehen, warum Tukārām Gaṇeśa als Mutter und Vater" von allem Existierenden bezeichnet. Tukārām macht seinen Zuhörern klar, dass die Lehren, die er in diesem Lied zum Ausdruck bringt, nicht nur seine eigenen Ideen sind. Sie entstammen, so sagt er, den Veden und den Purāṇas anerkannten Schriftquellen.
4 Die Maṇḍūkya Upaniṣad, ein Teil des Atharva-veda, beginnt mit einer Aussage über die Bedeutung des uranfänglichen Klanges: Oṁ diese ganze Welt ist diese Silbe! Hier kommt eine weitere Erklärung dazu. Die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft all das ist einfach nur Oṁ. Und was jenseits dieser drei Zeiten liegt, auch das ist einfach nur Oṁ. v In dieser Upaniṣade kommt eine wesentliche Lehre des Siddha Yoga Weges zum Ausdruck. Es ist die Vorstellung, dass das gesamte Universum aus dem uranfänglichen Klang aufsteigt, von diesem Klang erhalten wird und wieder in seinem Ursprung aufgeht. Von weiten Galaxien bis hin zur Erde, vom majestätischen Gebirge bis zur winzigsten Blume, von den Geschöpfen des Meeres bis zu den Menschen jede dieser unterschiedlichen Formen der Schöpfung ist im Wesentlichen eins mit der formlosen Höchsten Wahrheit. In diesem abhaṅga mit seinen prägnanten Lehren fordert Tukaram uns auf, das Wesen des höchsten Gottes dadurch zu verstehen, dass wir die Gestalt von Gaṇeśa anrufen und verehren. Das können wir tun, indem wir den abhaṅga singen und über seine Lehren nachdenken. Religiöse Lieder wie dieses rufen unsere Liebe zu Gott hervor und zeigen uns, dass Wissen und Hingabe Hand in Hand gehen. Wenn wir solche abhaṅgas studieren, singen oder einfach nur anhören, kann das in unserem Herzen das Gewahrsein wecken, dass die Höchste Wahrheit, die wir ehren, in Gestalt unseres eigenen Selbst in unserem Inneren lebt.
5 i John A. Grimes, Gaṇapati: Song of the Self, (Albany, NY: SUNY Press, 1995), S. 77 f. ii Grimes, Gaṇapati, S. 45 f. iii Interpretation der Symbole von AUM durch Dr. Borayin Larios, Universität Heidelberg, Deutschland, persönlicher Schriftwechsel August iv Grimes, Gaṇapati, S. 41 f.; und Larios, Schriftwechsel. v Māṇḍūkya Upaniṣad, 1 2; Patrick Olivelle, Upaniṣads (Oxford, UK: Oxford University Press, 1996),S. 289.
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