Von Ulrike Purrer Guardado / Offene Kinder und Jugendarbeit in Tumaco, Kolumbien / Ein Personaleinsatz der Bethlehem Mission Immensee

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1 Rundbrief Nr. 6 / März 2014 Von Ulrike Purrer Guardado / Offene Kinder und Jugendarbeit in Tumaco, Kolumbien / Ein Personaleinsatz der Bethlehem Mission Immensee Ihr Lieben! Es ist Anfang März, aber hier in Tumaco sprechen die Menschen immer noch davon, dass das Jahr 2014 ja gerade erst losgehen würde. Erst seit zwei Wochen gehen die Kinder wieder zur Schule, wur den aber auch gleich wieder tageweise nach Hau se geschickt, da erst einmal organisatorische Sit zungen der Lehrerschaft stattfinden mussten. In ei ner 10. Klasse sind am ersten Tag über 60 Schüler aufgetaucht, was selbst die hiesige Klassenstärke übersteigt, so dass in Ruhe neu geordnet werden musste. Zudem begann gleichzeitig auch noch die Regenzeit, was ja in Tumaco mit sintflutartigen Güssen verbunden ist, so dass ohnehin nie alle Schüler zum Unterricht erscheinen und sich das Problem des überfüllten Klassenzimmers nach und nach sicher von selbst lösen wird. Ach ja, und dann feiern wir ja auch gerade noch den Karneval, also noch ein paar Tage im Ausnahmezustand, bevor das Jahr 2014 dann richtig losgehen kann. Ihr seht, wir sind entspannt und doch aktiv. Renovierung mit Botschaft Die ersten Januartage war unser Centro Afro für die Öffentlichkeit geschlossen, doch drinnen wurde eif rig gearbeitet. Im November 2013 hatten wir einen Preis gewonnen, den die Vereinigung der Bot schafterfrauen in Kolumbien einmal jährlich landes weit an eine Initiative vergibt, die sich kreativ und nachhaltig für besonders benachteiligte Bevölke rungsgruppen engagiert. So konnten wir also stolz auf die Auszeichnung sein und uns außerdem über ein Preisgeld freuen, das unsere Renovierungsar beiten im Centro Afro ermöglichten. Einerseits wur de der in den letzten Monaten immer bröckelndere Zementboden durch robuste und schöne Fliesen erneuert. Andererseits erhielten die Wände einen neuen Anstrich, der dringend nötig war. Tagelang haben die Jugendlichen die Wände abgeschliffen, gespachtelt und eine Grundfarbe aufgetragen. Ihr eigentliches Herzensanliegen war es jedoch, die Kontaktadresse: Ulrike Purrer, Diócesis de Tumaco, Pastoral Juvenil, Apartado Postal 307, Tumaco/Colombia. Wer meine Rundbriefe neu oder nicht mehr erhalten möchte, melde sich bitte bei: ulipg@gmx.de 1

2 Zitat von Nelson Mandela an den neuen Wänden des Centro Afro: "Frei zu sein, bedeutet nicht nur, sich von seinen eigenen Ketten zu befreien, sondern auf eine Weise zu leben, die auch die Freiheit der anderen respektiert und verbessert." Wände auch sprechen zu lassen. So debattierten wir immer wieder neu, bis sich alle einig waren, dass einer der ganz großen Afros weltweit hier einen Platz bekommen soll: Nelson Mandela. Im Internet haben wir über sein Leben recherchiert, Texte von ihm gelesen und miteinander Dokumen tarfilme angesehen. Eine Rassentrennung wie zur Zeit der südafrikanischen Apartheid können sich die Jugendlichen heute hier nicht mehr vorstellen, und doch ergreift sie das Thema sehr, denn auch im pluriethnischen Kolumbien des 21. Jahrhunderts gibt es einen verdeckten Rassismus, der es der afrokolumbianischen Bevölkerung allein aufgrund ihrer Hautfarbe deutlich schwerer macht als ande ren, in der Hauptstadt Bogotá eine Wohnung mie ten oder eine Arbeit finden zu können. Außerdem ist es sicher kein Zufall, dass die Lebensbedingun gen der afrokolumbianischen Bevölkerung im na tionalen Vergleich in jeglicher Hinsicht besonders schlecht sind. In diesem Kontext rüttelt das Lebenszeugnis eines Nelson Mandela auf. "Am meisten beeindruckt mich sein konsequentes Handeln", sagte der 16 jährige Edwin in einer Jugendgruppe. "Nach 20 Jahren im Gefängnis lehnte Mandela eine Freilas sung ab, weil man im Gegenzug von ihm verlangte, sich zukünftig aus dem Kampf um die Rechte der Schwarzen in Südafrika zurückzuziehen. Das hat er nicht akzeptiert, sondern ist im Gefängnis ge blieben. Ich weiß nicht, ob einer von uns so stark gewesen wäre." "Es scheint immer unmöglich, bis man es tut." (Nelson Mandela) 2

3 Fremde Nachbarn Doch in der Diözese Tumaco leben nicht nur Afro kolumbianer. Verlässt man die Stadt landeinwärts, erreicht man nach einer guten Stunde das Gebiet des indigenen Volkes der Awá. Geographisch so nah beieinander, gibt es allerdings nur wenig Be rührungen zwischen beiden Ethnien. Aus diesem Grund haben wir kürzlich mit den Jugendlichen aus dem Centro Afro einen Tag lang eine Gruppe junger Awás besucht. Doch dann erinnerten sich die Jugendlichen an ihre eigenen Vorfahren, die Aufstände gegen die Spa nier organisiert hatten und aus der Sklaverei in die Wälder und Flüsse hier an der Pazifikküste geflo hen waren. Die vielen, mit Perfektion geflochtenen Zöpfe der Frauen dienten ihnen dabei als geheime Landkarten, um die Orientierung in diesem voll kommen unerschlossenen, unwegsamen Gelände nicht zu verlieren. Zur Flucht dienten die Haare der Frauen auch als Versteck für Münzen oder andere kleine Schätze. So manches Goldstückchen verließ auf diese Weise die Sklaverei auf den Köpfen der Frauen, und bis heute gehört es zur Tradition und aktuellen Mode der Afrokolumbianerinnen jeden Al ters, ihre Haare in aufwendigen Mustern zu flech ten. Kinder des indigenen Volkes Awá bestaunen die jugendlichen Besucher aus Tumaco In der Ortschaft El Diviso gibt es eine eigene Schu le für Kinder aus Awá Familien, an der zweispra chig (Spanisch und Awá pit) unterrichtet und be sonderer Wert auf die eigene Geschichte und Iden tität gelegt wird. Etliche Schüler aus abgelegeneren Dörfern wohnen hier von Montag bis Freitag und kehren nur am Wochenende zu ihren Familien in die Berge zurück, um in der Landwirtschaft zu hel fen. Für uns war die Schule ein sehr gastfreundli cher Ort, um den Tag miteinander zu verbringen, denn als Fremde direkt in die kleinen Weiler der In dígenas zu fahren, wäre zu riskant gewesen, da auch diese Gebiete stark von der Präsenz bewaff neter Gruppen betroffen sind. De facto musste un ser Bus bereits auf dem Weg nach El Diviso seine Fahrt für zwei Stunden unterbrechen, weil das Mili tär die Straße gesperrt hatte mit der Begründung, weiter vorn eine Bombe entschärfen zu müssen. Die Jugendlichen nutzten die Zeit, um noch einmal wilde Vermutungen darüber anzustellen, was die Indígenas uns wohl zum Essen anbieten, wie sie wohl gekleidet sein und ob wir uns gegenseitig überhaupt verstehen würden. 3

4 Doch endlich angekommen, lösten sich alle Be fürchtungen in Luft auf, und der gemeinsame Tag verging wie im Fluge. Ich möchte hier nicht den Eindruck vermitteln, alte und möglicherweise falsche ethnische Klischees reproduzieren zu wollen. Dennoch war das Verhal ten der beiden Gruppen gleich zu Beginn des Tref fens einfach so herrlich "typisch". Sie hatten die Aufgabe, sich in einer Reihe dem Alter nach aufzu stellen auf der einen Seite die Afros und auf der anderen Seite die Indígenas, um auf diese Weise gemischte Paare bilden zu können, die miteinander ins Gespräch kommen. Nach gefühlten zehn Se kunden standen die Indígenas mucksmäuschenstill korrekt geordnet in einer Reihe, während die Ju gendlichen des Centro Afro auch nach fünf Minuten noch wild durcheinanderrannten und riefen und nur mit Moderation von außen die Reihe entstand, die das anschließende paarweise Gespräch er möglichte. Da war es also, das sprudelnde, laute Temperament auf der einen Seite und die höfliche, respektvolle Organisation auf der anderen. Die Jugendlichen des Centro Afro präsentieren den traditionellen Tanz "Los negritos" Begegnung verbindet Doch wir haben es ja mit Jugendlichen zu tun, und diese begegnen einander trotz aller Unterschiede letztlich mit einer wunderbar erfrischenden Offen heit. Die jungen Awás stellten sich mit Mythen, Jahreszahlen und der Beschreibung ihrer Traditio nen vor. Die Jugendlichen des Centro Afro hinge gen präsentierten sich mit einem feurigen, dynami schen Tanz, den bereits ihre Vorfahren während der Sklaverei tanzten, um die Freude am Leben nicht zu verlieren. Als sich die jungen Indígenas anschließend darauf einließen, den Tanz zusammen mit den Afros noch einmal in gemischten Paaren aufzuführen, war das Eis endgültig gebrochen. Afros und Awás tanzen miteinander Nun kam es zu tollen Gesprächen, in denen die Jugendlichen viel mehr Gemeinsamkeiten als Un terschiede aneinander feststellten. "Wir sind ja in einer ganz ähnlichen Situation. Genauso wie wir Afros in Kolumbien bis heute um unsere Rechte, Territorien und Identität ringen, genauso geht es Euch Awás auch", stellte Yajaira fest. "Gemeinsam hätten wir sicher größere Chancen, die Dinge zu verändern, die uns stören." Diese Begegnung zweier Kulturen hallt noch immer in den Gesprächen der Jugendlichen nach. Auf Fa cebook sind sie längst Freunde geworden, chatten übers Handy miteinander und wünschen sich ein weiteres Treffen, dann bei uns in Tumaco. Und auch mir wurde einmal mehr deutlich, wie wichtig es für uns Menschen und unsere Sicht auf die Din ge ist, dem Fremden zu begegnen. So glauben wir nicht länger, dass nur unsere Art zu denken und zu argumentieren, zu feiern und trauern, zu arbeiten und ruhen, dem Leben und dem Tod zu begegnen, die einzig richtige ist. Für die Jugendlichen des Centro Afro war diese Begegnung umso wichtiger, da sie ja sonst kaum ihre kleine Welt in Tumaco verlassen können. Ihnen/Euch allen von Herzen Dank, dass Sie/Ihr nicht zuletzt auch durch meinen Einsatz die Be gegnung verschiedener Welten möglich machen/t. 4

5 Gemeinsam für eine bessere Welt Die Bethlehem Mission Immensee (BMI) und ihre Allianzpartner E CHANGER und Inter Agire enga gieren sich weltweit für Benachteiligte sowie eine ganzheitliche und nachhaltige Entwicklung. Im ge meinsamen Programm COMUNDO entsenden die drei Organisationen Fachpersonen, die in Projek ten von Partnerorganisationen in den Einsatzlän dern mitarbeiten. Partnerschaftlich arbeiten sie mit den Men schen in den Einsatzgebieten zusam men, sie leben an ihrer Seite und pflegen den in terkulturellen Austausch im Alltag. So werden diese Menschen gestärkt, um einzeln und in Gruppen auf globaler und lokaler Ebene zu mehr Gerechtigkeit, Frieden und zur Bewahrung der Schöpfung beizutragen. So kann das Jahr 2014 nun wirklich losgehen! Möge es voller fruchtbarer Begegnungen auch für Sie/Euch sein! Beste Grüße, Ihre/Eure Ulrike Rund 120 freiwillige Fachpersonen sind derzeit im Rahmen des gemeinsamen Programms COMUN DO in 13 Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asi ens in der Entwicklungsarbeit tätig: in Bolivien, Brasilien, Burkina Faso, Ecuador, El Salvador, Ke nia, Kolumbien, Nicaragua, Peru, in den Philippi nen, in Sambia, Simbabwe und Taiwan. Durch Bildungs, Sensibilisierungs und Informati onsarbeit fördern die Bethlehem Mission Immen see in der Deutschschweiz, ihre Allianzpartner in der französischen bzw. italienischen Schweiz, soli darisches Denken und Handeln. Die BMI ist Trä gerin des Bildungszentrums RomeroHaus in Lu zern und Herausgeberin der Zeitschrift «WENDE KREIS». Inter Agire gibt die Zeitschrift «CARTABIANCA» heraus und E CHANGER die Publikation «COMUNDO». Spenden aus der Schweiz: Postfinance, PC IBAN CH Zwei Jugendliche unterschiedlicher Ethnien schenken sich gegenseitig Vertrauen Spenden aus Deutschland: Postbank Stuttgart Konto Nr IBAN DE Bethlehem Mission Immensee im RomeroHaus Kreuzbuchstrasse 44 CH 6006 Luzern Tel info@bethlehem mission.ch Jede Spende zählt! Die Bethlehem Mission Immensee deckt alle Kosten meines Einsatzes. Deshalb sind wir auf Spenden angewiesen! Ihre Spende kommt dem von Ihnen bestimmten Projekt zugute. Sollte ein Projekt mehr Spenden erhalten als benötigt, wird der Überschuss einem anderen Projekt im gleichen Land/Kontinent zugewiesen. Spendenvermerk: Ulrike Purrer/Kolumbien 5