Der alte jüdische Friedhof

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Linus Schäfer
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1 Der alte jüdische Friedhof Autor(en): Objekttyp: [s.n.] Article Zeitschrift: Du : die Zeitschrift der Kultur Band (Jahr): 45 (1985) Heft 12: Die unvergleichliche Schönheit Prags PDF erstellt am: Persistenter Link: Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur erfügung. Einzelne Dateien oder Ausdrucke aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das eröffentlichen von Bildern in Print- und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. Die systematische Speicherung von Teilen des elektronischen Angebots auf anderen Servern bedarf ebenfalls des schriftlichen Einverständnisses der Rechteinhaber. Haftungsausschluss Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr für ollständigkeit oder Richtigkeit. Es wird keine Haftung übernommen für Schäden durch die erwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oder durch das Fehlen von Informationen. Dies gilt auch für Inhalte Dritter, die über dieses Angebot zugänglich sind. Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz,

2 ,;,., Der alte jüdische Friedhof à&êë0% Prag wird zu Recht als «gotische Weltstadt» bezeichnet. In keiner ande ren europäischen Gross stadt hat sich der mittelalter liche Kern mit seinen öffent lichen und privaten Bauten bis auf den heutigen Tag so unangetastet erhalten. Die vorangehende Doppel seite zeigt links die Lauben gänge am Altstädter Ring und rechts das Innere der um 1270 erbauten Alt neusynagoge Oben: Die Altneusynagoge von aussen 44!*JM -..u Inmitten der Prager Altstadt, am Rand des ehemaligen Ghettos, breitet sich die unregelmässige Fläche eines Friedhofs aus. Auf engem Raum zusammengedrängt, finden wir eine Unzahl vom Alter gezeichneter, verwitterter Grabsteine aller Formen und Grössen, und wie ein Dach breiten uralte Bäume und Sträucher ihre Zweige schützend darüber. Wenn man diesen weltabge schiedenen Winkel betritt, glaubt man sich plötzlich in den Orient versetzt. Wir befinden uns auf dem jüngsten der mittel alterlichen jüdischen Friedhöfe Prags, der dank seiner gün stigen Lage im Herzen der ehemaligen Judenstadt und abseits des Grossstadtverkehrs die Jahrhunderte überdauert hat. Als sich unter Kaiser Joseph II. den Juden die bisher verschlos senen Tore zu den christlichen Nachbarvierteln öffneten, blieben im alten Ghetto nur die Armen zurück. Unter dem stei nernen Wald der Grabmäler jedoch liegen bis zum heutigen Tag Arme und Reiche friedlich nebeneinander, alle, die einst in der von Mauern umschlossenen Judenstadt wohnten und den so heiss ersehnten Tag der Befreiung aus dem Ghetto nicht mehr erlebten. Die Angaben über die Zahl der Grabsteine schwanken zwischen und Das ist aber neben sächlich, denn dadurch ändert sich nichts an dem seltsamen Gemisch von Mystik und Melancholie, das diesem malerischen Winkel eigen ist und jeden Besucher in seinen Bann schlägt. Das älteste Grabmal stammt aus der ersten Hälfte des 15.Jahrhunderts. Später wurde der Totenacker durch Ankäufe von Boden mehrmals vergrössert, zum letztenmal im Jahre Die Fläche war aber immer zu klein. Da nach den reli giösen orschriften des jüdischen Glaubens die Exhumierung untersagt ist, wurde auf die alten Gräber eine Sandschicht geschüttet, in der dann weitere Tote bestattet wurden. Es türmte sich eine Schicht über die andere, so dass an manchen Stellen zwölf Gräberreihen übereinanderliegen. Die Grabsteine der verschütteten Gräber wurden selbstverständlich jedesmal auf das Niveau der neuen Reihe gehoben, wodurch jenes selt same Gewirr entstand. Die ältesten sind einfache, viereckige Sandsteinplatten in gotischem Stil, die im 16.Jahrhundert von gegliederten Renaissance-Grabmälem und noch später von Grabmälern der Barockzeit abgelöst werden, die schon aus Sliwenetzer Marmor sind. Es gibt hier auch prunkvolle Tumben und Sarkophage im Stil der Renaissance mit barocken erzie rungen, zweifellos Werke jüdischer Steinmetzen aus dem Ghetto. Auf den Grabsteinen finden wir - in Symbolen oder

Worten ausgedrückt - die Geschicke der vor Jahrhunderten verstorbenen Ghettobewohner verzeichnet und brauchen sie nur abzulesen: den Namen und die Stammeszugehörigkeit, den Beruf, manchmal auch ganze

3 Worten ausgedrückt - die Geschicke der vor Jahrhunderten verstorbenen Ghettobewohner verzeichnet und brauchen sie nur abzulesen: den Namen und die Stammeszugehörigkeit, den Beruf, manchmal auch ganze Szenen aus dem Leben des Toten im Relief oder in Stein gemeisselt; Inschriften, die die guten Werke des erstorbenen aufzählen und berichten, wie fromm er war, wie ehrlich, gottesfürchtig, edel und gut. Die Steinmetzen haben ein beinah unzerstörbares Archiv in Stein gehauen, das uns noch nach Jahrhunderten in Inschriften und Gedichten unbekannter Autoren berühmte Persönlichkeiten der ergangenheit in Erinnerung bringt. Der Rabbiner und berühmte Gelehrte Abigdor Karo, von dem einige Schriften bis heute erhalten geblieben sind, wurde als erster am 25 April 1439 hier begraben. Neben der alten Pinkas-Synagoge finden wir ein kleines Grabmal mit dem Davidstern und einer Gans, unter dem David Gans ruht, ein berühmter Chronist, Geograph, Mathematiker und Astronom seiner Zeit, der mit Tycho Brahe befreundet war und mit Johannes Kepler in erbindung stand. Dann stehen wir vor dem Renaissance-Sarkophag Mordechai Maiseis, des berühmtesten Bürgermeisters der Judenstadt, die nach seinen Plänen umgestaltet und verschönert wurde. Maisei war auch Hofjude Maximilians II. und Rudolfs II. Ein Stück weiter befindet sich die Tumba des Arztes, Philosophen und Mathematikers Josef Salomon del Madiga, eines Schülers Galileis; dann zieht der barocke Sarkophag des Oberrabbiners von Böhmen, David Oppenheim, die Blicke an. Er hinterliess eine Bibliothek von 6000 Bänden und 1000 Handschriften, die sich heute in Oxford befindet. Das grösste Interesse aller Besucher gilt dem Renaissance-Grabmal des sagenhaften Schöpfers des Golems. Hier ruht der grosse Rabbi Jehuda Low Ben Bezalel. Hunderte nach jüdischem Brauch auf sein Grab gelegte Steinchen zeigen, dass auch heute noch viele Men schen hierherkommen, um dem Wunderrabbi hoffnungsvoll ihre Wünsche vorzutragen und um deren Erfüllung zu bitten. Der alte jüdische Friedhof in Prag erzählt die Geschichte der ehemaligen Judenstadt, berichtet über die Schicksale ihrer Bewohner aus vergangenen Jahrhunderten, über die Freuden, Leiden und Nöte all derer, die unter den zahllosen Steinen begraben sind. Abgesehen von der Poesie und dem Zauber des Ortes, ist der alte jüdische Friedhof in Prag eine Chronik aus Stein, deren historischer und künstlerischer Wert in Europa nicht seinesgleichen hat. * *.> Eine Thorakrone aus dem «Silberschatz böhmischer Synagogen», der in der Pra ger Maisel-Synagoge aus gestellt ist Dabei handelt es sich um eine Unikat sammlung von Kultgegen ständen aus 153 jüdischen Gemeinden und Hunderten jüdischer Haushalte, die während des Zweiten Welt krieges Opfer der Nazi- Okkupation wurden. 45

4 Ä :li ' 9a / i^^h. '^ y * 'i $m»** J^^-vS "J0^ Der alte jüdische Friedhof mit über12000 Grabsteinen auf engstem Raum. Der älteste Stein trägt das Datum vom 25. April 1439: die letzte Beisetzung fand im Jahre 1787 statt. 46 t /

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