Eisenwerkstoffe - Stahl und Gusseisen. 4. bearbeitete Auflage
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- Maike Kästner
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1 Eisenwerkstoffe - Stahl und Gusseisen 4. bearbeitete Auflage
2 Hans Berns Werner Theisen Eisenwerkstoffe - Stahl und Gusseisen 4. bearbeitete Auflage 123
3 Professor Dr.-Ing. Hans Berns Professor Dr.-Ing. Werner Theisen Ruhr-Universität Bochum Lehrstuhl Werkstofftechnik Bochum Deutschland ISBN (ebook) DOI / Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. c 2008, 2006, 1993, 1991 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Die Autoren übernehmen keine Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen. Haftungsansprüche gegen den Autor, welche sich auf Schäden materieller oder ideeller Art beziehen, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen bzw. durch die Nutzung fehlerhafter oder unvollständiger Informationen verursacht wurden, sind grundsätzlich ausgeschlossen, sofern seitens der Autoren kein nachweislich vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten vorliegt. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Satz: Digitale Druckvorlage der Autoren Herstellung: le-tex publishing services ohg Einbandgestaltung: estudiocalamar S.L., F. Steinen-Broo, Girona, Spain Gedruckt auf säurefreiem Papier springer.com
4 Vorwort Die Weltjahresproduktion von Eisenwerkstoffen ist in den letzten zehn Jahren um mehr als 60 % auf rund 1.3 Milliarden Tonnen angestiegen. Sie übertrifft die Summe der Erzeugung aller anderen metallischen Werkstoffe um mehr als eine Größenordnung. Die Bedeutung der Eisenwerkstoffe beruht unter anderem auf der Vielzahl unterschiedlicher Eigenschaften, die sich durch Legieren und Verarbeiten einstellen lassen. Diese Zusammenhänge sollen im vorliegenden Buch dargestellt werden, und zwar für Stahl und Gusseisen gemeinsam. Im Teil A werden die Grundlagen durch die Kapitel Konstitution, Gefüge, Wärmebehandlung und Eigenschaften vorgestellt. Der umfangreichere Teil B befasst sich mit der Verarbeitung und Anwendung von Normwerkstoffen und neueren Entwicklungen. Es geht um unlegierte und hochfeste Werkstoffe, um Werkstoffe für die Randschichtbehandlung und für Werkzeuge,sowie um chemisch beständige, warmfeste und Funktionswerkstoffe. Das Buch richtet sich an Ingenieurinnen und Ingenieure, die mit Eisenwerkstoffen zu tun haben, ihre Kenntnisse vertiefen möchten oder einen Rat suchen. Die Autoren schaffen aufgrund ihrer langjährigen Industrietätigkeit die nötige Praxisnähe. Aber auch Studierende greifen zu diesem Buch, wie die vorangehenden Auflagen gezeigt haben. Die Redaktion bis zur druckfähigen L A TEX-Version wurde im Lehrstuhl Werkstofftechnik von Herrn Dr.-Ing. Markus Karlsohn geleitet. Ihm und weiteren Mitwirkenden wie Dipl-Ing. Stephan Huth, Dipl.-Ing. Tanja Macher und cand.-ing. Marius Weber danken wir von Herzen. Bochum, Frühjahr 2008 Hans Berns Werner Theisen
5 VI Vorwort Hinweis: Soweit nicht anders angegeben, stehen die Legierungsgehalte in % für Masseprozent.
6 Inhaltsverzeichnis A Grundlagen der Eisenwerkstoffe 3 H. Berns A.1 Konstitution A.1.1 Reines Eisen A.1.2 Eisen-Kohlenstoff A System Eisen-Zementit A System Eisen-Graphit A.1.3 Legiertes Eisen A.2 Gefüge A.2.1 Gleichgewichtsnahes Gefüge A Stahl A Gusseisen A.2.2 Gleichgewichtsfernes Gefüge A Formgebung A Austenitumwandlung A Morphologie nach Abschrecken A Wiedererwärmen von Abschreckgefügen A.2.3 Morphologie von Zementit und Graphit A.3 Wärmebehandlung A.3.1 Glühverfahren A Wasserstoffarmglühen A Spannungsarmglühen A Weichglühen von Stahl A Weichglühen von Gusseisen A Normalglühen A Temperglühen von Gusseisen A Lösungsglühen A Diffusionsglühen A.3.2 Härten und abgeleitete Verfahren A Härten A Anlassen A Vergüten A Umwandeln in der Bainitstufe A.3.3 Randschichtbehandlung/Beschichtung
7 VIII Inhaltsverzeichnis A.3.4 Nebenwirkungen A Thermische Nebenwirkungen A Thermochemische Nebenwirkungen A.4 Eigenschaften A.4.1 Mechanische Eigenschaften A Beanspruchung A Verhalten von Stahl A Verhalten von grauem Gusseisen A Verhalten von weißem Gusseisen A.4.2 Tribologische Eigenschaften A Reibung A Verschleiß A.4.3 Chemische Eigenschaften A Nasskorrosion A Hochtemperaturkorrosion A.4.4 Besondere physikalische Eigenschaften A Magnetische Eigenschaften A Wärmeausdehnung A Leitfähigkeit B Eisenwerkstoffe und ihre Anwendung 125 B.1 Werkstoffe für allgemeine Verwendung B.1.1 Unlegierte Baustähle H. Berns B Eigenschaften B Sorten und Anwendungen B.1.2 Gusseisen W. Theisen B Zusammensetzung von grauem Gusseisen B Gusseisen mit Lamellengraphit B Gusseisen mit Kugelgraphit B Gusseisen mit Vermiculargraphit B Temperguss B Verarbeitung und Anwendung von Gusseisen. 157 B.2 Höherfeste Werkstoffe B.2.1 Schweißgeeignete Walzstähle H. Berns B Feinkornstähle B Mehrphasenstähle B Anwendung der schweißgeeigneten Stähle B Leichte Stähle B Perlitische Walzstähle B.2.2 Stähle wärmebehandelt aus der Schmiedehitze B Martensitische Stähle B Ferritisch-perlitische Stähle
8 Inhaltsverzeichnis IX B.2.3 Baustähle für durchgreifende Wärmebehandlung B Vergütungsstähle B Höchstfeste Stähle B Harte Stähle B.2.4 Gusseisen für durchgreifende Wärmebehandlung W. Theisen B Vergüten B Umwandlung in der Bainitstufe / ADI B.3 Werkstoffe für die Randschichtbehandlung H. Berns B.3.1 Werkstoffe für das Randschichthärten B Verfahrensaspekte des Randschichthärtens B Werkstoff und Randschicht B Anwendungen B.3.2 Nitrierstähle B Verfahrensaspekte des Nitrierens B Werkstoff und Randschicht B Anwendungen B.3.3 Einsatzstähle B Verfahrensaspekte des Einsatzhärtens B Werkstoff und Randschicht B Anwendungen B.4 Werkzeuge für die Mineralverarbeitung W. Theisen B.4.1 Beanspruchung und Werkstoffkonzepte B Hartphasen B Metallmatrix B.4.2 Werkzeuge aus warmgeformtem Stahl B.4.3 Gegossene Werkzeuge B Perlitischer Hartguss B Ledeburitisch-martensitische Gusseisen B Martensitische Chromgusseisen B.4.4 Beschichtete Werkzeuge B Auftragschweißen B PM-Beschichten B Verbundgießen B.5 Werkzeuge für die Werkstoffverarbeitung W. Theisen B.5.1 Kaltarbeitswerkzeuge B Eigenschaften B Beschichtete Werkzeuge B Anwendungen von Kaltarbeitswerkzeugen B.5.2 Werkzeuge für die Kunststoffverarbeitung B.5.3 Warmarbeitswerkzeuge B Eigenschaften
9 X Inhaltsverzeichnis B Anwendungen B.5.4 Werkzeuge für die spanende Bearbeitung B Eigenschaften B Anwendungen B.6 Chemisch beständige Werkstoffe H. Berns B.6.1 Allgemeine Hinweise B Legierungskonzept B Matrixeigenschaften B.6.2 Nichtrostende Stähle B Eigenschaften B Anwendung B.6.3 Hitzebeständige Stähle B Eigenschaften B Anwendung B.6.4 Gusseisen B Ferritische Gusseisen B Austenitische Gusseisen B Weiße Gusseisen / karbidreiche Stähle B.7 Warmfeste Werkstoffe H. Berns B.7.1 Eigenschaften B Normalgeglühte und vergütete Stähle B Austenitische Stähle B Gusseisen B.7.2 Anwendungen B Dampfkraftwerk B Gasturbine B Lebensdauerabschätzung B Petrochemie B Ventile B.8 Funktionswerkstoffe H. Berns B.8.1 Weichmagnetische Werkstoffe B.8.2 Hartmagnetische Werkstoffe B.8.3 Nichtmagnetisierbare Werkstoffe B.8.4 Werkstoffe mit besonderer Wärmeausdehnung B.8.5 Werkstoffe mit Formgedächtnis B.8.6 Heizleiterlegierungen C Anhang 383 C.1 Bezeichnung von Stahl und Gusseisen W. Theisen C.1.1 Regelwerke C.1.2 Bezeichnung für Stahl und Stahlguss
10 Inhaltsverzeichnis XI Unlegierte Stähle Legierte Stähle Hochlegierte Stähle Schnellarbeitsstähle C.1.3 Bezeichnung von Gusseisen C.2 Zur Geschichte des Eisens H. Berns C.2.1 Vom Renn- zum Schachtofen C.2.2 Die Ausbreitung der Eisengewinnung C.2.3 Gusseisen und Frischfeuer C.2.4 Flussstahl C.2.5 Eisenwerkstoffe C.3 Schriftumsangaben zu Bildern und Tabellen Schlagwortverzeichnis 403 Liste der Legierungs- und Begleitelemente 415
11
12 Handlauf aus nichtrostendem austenitischem Stahl
13 A Grundlagen der Eisenwerkstoffe A.1 Konstitution Dieses Kapitel beschreibt, in welcher Verfassung bzw. in welchem Zustand sich Eisenwerkstoffe befinden können. Gemeint ist der Ordnungszustand der Atome. Oberhalb der Siedetemperatur schwirren sie im gasförmigen Zustand ungeordnet und weit voneinander entfernt durch den Raum. Zwischen Siedeund Erstarrungstemperatur bewegen sie sich im flüssigen Zustand ungeordnet aber eng beieinander. Unterhalb der Erstarrungstemperatur liegen sie im festen Zustand kristallin geordnet vor und ihre Bewegung ist auf Schwingungen um Fixpunkte im Kristallgitter begrenzt. Es gibt mehr als nur eine kristalline Anordnung der Atome. Bereiche mit einem einheitlichen Ordnungszustand werden als Phase bezeichnet. In Eisenwerkstoffen können gleichzeitig mehrere Phasen auftreten z. B. im Übergang flüssig/fest oder in Form unterschiedlich geordneter Kristallarten. Der Zustand gilt als homogen, wenn nur eine Phase vorliegt und als heterogen, wenn es mehr sind. Welche Phasen sich bilden, hängt von drei Zustandsgrößen ab: Temperatur, Druck und Konzentration. Im Vergleich zur bereits genannten Auswirkung der Temperatur kommt dem Druck auf den ersten Blick weniger Bedeutung zu, da inkompressible flüssige und feste Phasen nur bei hohem Druck mit einer Zustandsänderung antworten, die meisten Fertigungsschritte und Anwendungen jedoch bei rund 1 bar Normaldruck ablaufen. Auf den zweiten Blick sind aber Phasenumwandlungen häufig mit einer Volumenänderung verbunden, die örtlich zu hoher Druckänderung führen kann. Durch steigenden Druck wird die dichtere Phase begünstigt, also stabilisiert. Die kompressible Gasphase reagiert bereits auf eine geringe Druckerhöhung, so z. B. mit einem Anstieg der Siedetemperatur, d. h. mit einer Stabilisierung der dichteren Flüssigphase. In der Umkehrung wird Unterdruck bei der Bedampfung von Oberflächen oder zur Entgasung von Schmelzen genutzt. Trotz dieser Beispiele für einen Einfluss des Druckes auf den Zustand von Eisenwerkstoffen, ist die Annahme eines konstanten Normaldrucks in der Praxis meist gerechtfertigt. Dagegen ist die Konzentration eine ebenso variable H. Berns, W. Theisen, Eisenwerkstoffe - Stahl und Gusseisen, DOI / _1, 2008 Springer-Verlag Berlin Heidelberg
14 4 A.1 Konstitution Zustandsgröße wie die Temperatur und vor allem für die Vielfalt fester Phasen verantwortlich. Gemeint ist die Konzentration an Begleit- und Legierungselementen. Die unbeabsichtigten Begleitelemente stammen aus der Erzeugung. Die Legierungselemente werden in der Absicht zugegeben, durch die Einstellung bestimmter Ordnungszustände die Voraussetzungen für gewünschte Eigenschaften zu schaffen. Sieht man von geringfügigen Verunreinigungen wie z. B. Oxiden und Sulfiden ab, so beginnt die Erzeugung mit einer homogenen Schmelze, bestehend aus Eisen und gelösten anderen Elementen, die durch Gießen von Blöcken, Strängen und Formstücken oder durch Zerstäuben zu Pulver und Halbzeug in den festen Zustand überführt wird. Bei gegebener Legierungskonzentration und konstantem Druck hängt die Zustandsänderung während der Erstarrung und der weiteren Abkühlung oder Wiedererwärmung allein von der Temperatur ab. Voraussetzung für die Ausführungen zur Konstitution der Eisenwerkstoffe ist eine äußerst langsame zeitliche Temperaturänderung, die die Einstellung eines thermodynamischen Gleichgewichts zwischen unterschiedlichen Phasen erlaubt. Es gibt den Atomen Zeit, sich durch Diffusion zu Phasen zusammenzufinden und hält die Waage zwischen Bildung und Rückbildung von Phasen, die zu einer gegebenen Temperatur gehören. Zeit wird auch für die Zu- oder Abführung latenter Wärme benötigt, die mit einem Phasenübergang verbunden ist. Wegen der größeren Bewegungsenergie gasförmiger Atome ist z. B. die Kondensationswärme größer als die Erstarrungswärme. Aber auch 2750 Gasphase Temperatur [ C] Schmelze -Eisen(krz) -Eisen(kfz) Eisen(krz) Druck [kbar] (b) Ruthenium [Atom%] (c) (a) Bild A.1.1 Konstitution des Eisens: (a) Ordnungszustand in Abhängigkeit von der Temperatur bei Normaldruck, (b) Einfluss von Druck und Temperatur nach F.P. Bundy, (c) Einfluss von Binnendruck nach H. Schumann, hervorgerufen durch die größeren Atome des zum Eisen homologen, d. h. in der äußeren Elektronenschale vergleichbaren Rutheniums (Atomdurchmesser Ru = 0.268, Fe = nm). Durch Außen- und Binnendruck werden die dichter gepackten Eisenphasen kfz-γ und hd-ε stabilisiert.
15 A.1.1 Reines Eisen 5 die Umwandlung von festen in andere feste Phasen ist in der Regel von einer Wärmetönung begleitet. Zustands- bzw. Phasengleichgewichte werden in Fertigungsabläufen meist nur angenähert erreicht, z. B. beim Abkühlen eines dickwandigen Gussstücks in der wärmeisolierenden Sandform oder beim Erwärmen eines schweren Schmiedeblocks im gasbefeuerten Ofen. Im Gegensatz zu diesen gleichgewichtsnahen Fertigungsschritten verlaufen das Zerstäuben oder das Schweißen mit ihrer raschen Temperaturänderung gleichgewichtsfern. Die dabei erreichten Ungleichgewichtszustände werden durch Wärmebehandlung, wie z. B. Härten, bewusst eingestellt, aber erst in nachfolgenden Kapiteln besprochen. Welcher Gleichgewichtszustand in Abhängigkeit von den drei Zustandsgrößen erreicht wird, ist in Zustandsschaubildern festgehalten. Sie bilden die Grundlage der nachfolgenden Erörterung. A.1.1 Reines Eisen Die Konstitution von Reineisen ist in Bild A.1.1 dargestellt. Bei Normaldruck beschränkt sich das Zustandsschaubild auf die Temperaturachse (Bild A.1.1a). Den ungeordneten Zuständen in der gasförmigen und der flüssigen Phase folgen bei langsamer Abkühlung zwei kristallin geordnete feste Phasen, die beide eine kubische Einheitszelle als kleinstes Strukturelement aufweisen. Im kubisch flächenzentrierten (kfz) Kristallgitter sind die durch acht Eckatome gebildeten sechs Würfelflächen mittig mit je einem Atom besetzt, im kubisch raumzentrierten befindet sich dagegen ein Atom in der Würfelmitte (Bild A.1.2). Die kfz Anordnung der Atome wird als γ-eisen bezeichnet. Die krz Struktur kommt in zwei Temperaturbereichen vor, die als δ- und α-eisen unterschieden werden. Aus dem kfz bzw. krz Ordnungszustand der Eisenatome lassen sich Unterschiede im Kristallaufbau ableiten, die in Tab. A.1.1 zusammengefasst sind. Da Eckatome mit 1 8 und Flächenatome mit 1 2 zu einer Einheitszelle gehören, enthält die kfz Zelle doppelt so viele Eisenatome wie die krz Zelle. Entsprechend ist ihre Kantenlänge, der Gitterparameter a, größer, wie sich aus dem Zusammenhang zwischen a und dem Atomdurchmesser d nach Bild A.1.2 ergibt. Wird das Volumen der Einheitszelle a 3 auf die Anzahl der darin enthaltenen Atome bezogen, so zeigt sich für γ-eisen, bezogen auf α-eisen und Raumtemperatur, ein um 8 % geringeres Atomvolumen. Als Folge dieser dichteren Atompackung ist die Wärmeausdehnung im γ-eisen größer, so dass der Übergang vom α-zumγ-eisen bei 911 nur einen Volumenschwund von 1 % verursacht. Die höhere Packungsdichte der Atome im γ-eisen kommt auch in der höheren Koordinationszahl (Zahl der berührenden Nachbarn eines Atoms) zum Ausdruck. Zwischen den Eisenatomen bleiben Gitterlücken, die in Oktaeder- und Tetraederlücken unterschieden werden (Bild A.1.3). Das γ-eisen besitzt die größeren Lücken, worauf z. B. seine höhere Löslichkeit für kleine Atome wie Kohlenstoff, Stickstoff und Wasserstoff beruht. Das α-eisen verfügt dagegen über mehr Lücken, was zu seiner lockereren Atompackung passt und z. B. die Diffusion erleichtert. Wie schon in Bild A.1.2 zu erkennen, gibt es im kubischen Kristall dicht
16 6 A.1 Konstitution gepackte Richtungen, in denen sich die Atome berühren. Richtungen werden durch Miller sche Indizes in spitzen Klammern, Ebenen durch geschweifte, markiert (Bild A.1.4). In der {100} krz Würfelfläche sind die Atome locker gepackt, weshalb sie als Spaltfläche für spröden Bruch gilt. Dagegen liegen in der {111} kfz Ebene die Atome dicht auf Lücke gepackt vor und fördern die duktile Gleitung. Durch steigenden Druck wird die dichtere Phase stabilisiert. Schmelz- und Siedetemperatur steigen daher an und im Temperatur/Druck-Zustandsschaubild weitet sich das Phasenfeld des γ-eisens zu Lasten des α-eisens aus (Bild A.1.1 b). Oberhalb von 100 kbar kommt eine hexagonal dicht (hd) geordnete, kristalline Eisenphase hinzu. Dieses ε-eisen ist aber technisch nur insoweit von Interesse, als Legierungselemente durch Binnendruck (s. Bild A.1.1 c) oder Veränderung der Konzentration an freien Elektronen das (a) -Eisen (b) -Eisen (c) -Eisen a c A B A krz kfz hd a a (d) A C d 3=2 a d d a d 2=2 B A Bild A.1.2 Kristallaufbau des Eisens: (a)α-eisen mit kubisch-raumzentrierer (krz) Anordnung der als Kugeln dargestellten Fe-Atome. In der Einheitszelle (gestrichelt) berühren sich die Atome mit Durchmesser d in Richtung der Raumdiagonale, woraus sich die Kantenlänge a α (Gitterparameter) des Einheitswürfels ergibt. (b) γ Eisen mit kubisch-flächenzentrierter (kfz) Anordnung und Atomberührung in der Flächendiagonalen. (c) Einheitszelle des hexagonal dicht (hd) gepackten ε-eisens, bestehend aus hexagonalen Atomebenen, die in der Stapelfolge ABAB... auf Lücke übereinander gelegt sind, wodurch sich die Gitterparameter a und c ergeben. (d) Durch die Stapelfolge ABCA... entsteht dagegen ein kfz Kristall (dunkle Atommittelpunkte).
17 A.1.1 Reines Eisen 7 Tabelle A.1.1 Eisen, Eigenschaften und Gitteraufbau: Die Angaben beziehen sich auf Raumtemperatur und Normaldruck. Das Atomvolumen des γ-eisens wurde unter der Annahme konstanter Wärmeausdehnung aus Messwerten im Existenzbereich des γ-eisens > 911 berechnet. Zum Vergleich steigt die Wärmeausdehnung des α-eisens bis 911 auf K 1 an und liegt im Mittel bei K 1 α-eisen γ-eisen Ordnungszahl 26 rel. Atomgewicht [g] g Dichte [ ] cm E-Modul [GPa] therm. Ausdehnungsk. α [ 1 ] K Atomdurchmesser 1) d [nm] Gittertyp krz kfz Gitterparameter a d ( 2 3 ) d 2 8 Atome je Einheitszelle EZ Atomvolumen [10 3 nm 3 ] a 3 = a 3 = Koordinationszahl Oktaederlücken je EZ = Tetraederlücken je EZ 2 8 Größe der Lücke 2) [nm] oktaedrisch Diagonale (0.156) - Höhe tetraedrisch ) Geringster Abstand nächster Atommitten 2) Durchmesser einer lückenfüllenden Kugel hexagonale Gitter begünstigen können (vergl. ε-martensit). Der Vollständigkeit halber scheint die hd Struktur in Bild A.1.2 c auf. Werden Atomkugeln in einer Ebene auf Lücke dicht gepackt, so ist eine sechseckige Anordnung zu erkennen. Stapelt man solch hexagonale Ebenen so auf Lücke übereinander, dass jeweils die dritte über der ersten liegt (ABAB...), so kommt eine hd Anordnung heraus. Die andere mögliche Stapelfolge bringt die vierte über die erste Ebene (ABCA...) und führt auf eine kfz Anordnung, die ebenso dicht gepackt ist (Bild A.1.2 d).
18 8 A.1 Konstitution kfz krz OL TL OL TL Bild A.1.3 Gitterlücken im Eisen: Eine Lücke wird von Eisenatomen umgeben, die entweder ein Oktaeder oder Tetraeder bilden. Ihre Größe wird als Durchmesser einer gerade hineinpassenden Kugel angegeben. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind nur die Mitten der Eisenatome (Kreise) und Lücken (Punkte) dargestellt (OL, TL = Oktaeder-, Tetraederlücken). (a) krz kfz (b) <100> {110} <111> {112} {111} <112> {100} G Z S {110} krz <111> {112} {100} und <111> <100> Spaltsystem {112} <111> {111} {111} {111} kfz <110> <112> Gleitsystem <110> Würfelfläche = ^ {100} ; Würfelkante = ^ <100> ; Flächendiagonale = ^ <110> ; Raumdiagonale = ^ <111> Bild A.1.4 Wichtige Ebenen und Richtungen im Eisenkristall: (a) Bestimmte Verformungs- und Bruchvorgänge sind an Vorzugsrichtungen und -ebenen gebunden. Ihre Bezeichnung erfolgt durch Miller sche Indices (vergl. metallkundliche Handbücher) und zwar bei Ebenen durch geschweifte und bei Richtungen durch spitze Klammern. Darin sind gleichwertige Ebenen und Richtungen zusammengefasst, also z. B. alle Würfelflächen oder -kanten. (b) Spaltung S läuft in dünn besetzten Würfelflächen in Kantenrichtung ab, Gleitung G in dicht besetzten Ebenen in Richtung berührender Atome. Zwillingsbildung Z ermöglicht bleibende Verformung vor allem bei niedriger Temperatur, wo Gleitung durch Versetzungsbewegung erschwert ist.
19 A.1.2 Eisen-Kohlenstoff 9 A.1.2 Eisen-Kohlenstoff Durch die Reduktion des Eisenerzes mit Kohlenstoff ist dieses Element seit jeher Eisenbegleiter und bis zu ungefähr 4 % in Eisenwerkstoffen enthalten. In der Schmelze liegt Kohlenstoff gelöst vor. Bei der Erstarrung entsteht eine feste Lösung von Kohlenstoffatomen in den Gitterlücken des Eisens. Sie sind nach Bild A.1.5 nicht groß genug, um die im Vergleich zu Eisen kleineren C-Atome ohne Gitterverspannung aufzunehmen, so dass die Löslichkeit begrenzt bleibt. Wegen seiner größeren Oktaederlücken übertrifft die maximale Löslichkeit des γ-eisens die des α-eisens um zwei Größenordnungen. Durch die Einlagerung bzw. Interstition von Kohlenstoffatomen in die Gitterlücken des Eisens entstehen Eisenmischkristalle, für die sich folgende Bezeichnungen eingebürgert haben. α-mischkristall = Ferrit (ferrum = Eisen) γ-mischkristall = Austenit (nach W.C. Roberts-Austen) δ-mischkristall = δ-ferrit Der Ordnungszustand der Eisenatome wird durch das Einzwängen von C-Atomen nur lokal leicht verzerrt, bleibt aber insgesamt erhalten, so dass z. B. α-eisen und Ferrit zur gleichen Phase gehören. Neue Phasen entstehen, wenn der Werkstoff mehr Kohlenstoff enthält, als im Mischkristall gelöst werden kann. Der Überschuss wird dann als Graphit oder als Eisenkarbid der Zusammensetzung Fe 3 C (Zementit) mit 6.7 % C ausgeschieden. Graphit weist ein hexagonales Schichtgitter auf und Zementit besitzt eine orthorhombische Struktur. Graphit gilt im System Fe-C als die stabilere Gleichgewichtsphase. Da aber dort, wo sich C-Atome zu einer Ausscheidung versammeln wollen, Fe- Atome durch Diffusion Platz machen müssen, bildet sich bei beschleunigter Erstarrung eher der metastabile Zementit. Hinzu kommt, dass die graphitische Erstarrung mit einer Volumenzunahme verbunden ist und daher der Zementit durch erhöhten Druck stabilisiert wird. Er kann z. B. dadurch entstehen, dass die schon erstarrte äußere Schale auf den noch flüssigen Kern schrumpft. Wie Bild A.1.5 Mischkristall: Größenvergleich von Gitterlücke und Kohlenstoffatom in Fe-C Mischkristallen Ferrit und Austenit.
20 10 A.1 Konstitution später noch gezeigt, wird in der Praxis die Erstarrung durch Legierungselemente beeinflusst: Si, Ni... zur Unterstützung der Graphitbildung, Mn, Cr... zur Stabilisierung des Zementits. Im festen Zustand lässt sich Zementit bei entsprechendem Si-Gehalt durch Langzeitglühen oberhalb 900 in den stabilen Graphit umwandeln. Bei Temperaturen darunter friert diese Reaktion allmählich ein. Die Stabilitätsbereiche der Phasen sind im Zustandsschaubild Fe-C (Bild A.1.6) als Phasenfelder wiedergegeben. Aufgetragen sind die Temperatur [ C] Kohlenstoffgehalt [Atom%] H A D` I 1500 B F I S S+G 1400 N a b Z 1300 A + S D II 1200 E` C` S+Z F` A 1100 E C F G A+F III 800 M O F S` P` 700 P S 600 A + Z oder G F + Z oder G K` K 500 Q L 7 Kohlenstoffgehalt [Masse%] Zementitgehalt [Masse%] bei 20 C Bild A.1.6 Das Zustandsschaubild Eisen-Kohlenstoff für Normaldruck (s. Tab. A.1.2): metastabiles System Eisen Zementit - - stabiles System Eisen-Graphit magnetische Umwandlung I Peritektikum, II Eutektikum, III Eutektoid a,b Hebelarme des Hebelgesetzes für 1.5 Masse% C bei 1350 (Beispiel) Phasen: Schmelze (S), δ-ferrit (δ-f), Austenit (A), Ferrit (F), Zementit (Z), Graphit (G)
Inhaltsverzeichnis VIII
A Grundlagen der Eisenwerkstoffe 3 A.1 Konstitution............................. 3 A.1.1 Reines Eisen........................ 5 A.1.2 Eisen-Kohlenstoff...................... 9 A.1.2.1 System Eisen-Zementit.............
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