Praxisbeispiel Straßenbeleuchtung der Gemeinde Isernhagen

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1 Praxisbeispiel Straßenbeleuchtung der Gemeinde Isernhagen Jede Straßenbeleuchtung ist verwerflich aus philosophisch moralischen Gründen; die Sittlichkeit wird durch die Gassenbeleuchtung verschlimmert: Die künstliche Helle verscheucht in den Gemüthern das Grauen vor der Finsternis, das die Schwachen von mancher Sünde abhält. Diese Helle macht den Trinker sicher; dass er in Zechstuben bis in die Nacht hinein schwelgt, und sie verkuppelt Paare. aus theologischen Gründen; weil sie als Eingriff in die Ordnung Gottes erscheint. aus polizeilichen Gründen; sie macht die Pferde scheu und die Diebe kühn. (Kölnische Zeitung aus dem Jahr 1819 Museum für Energiegeschichte Hannover 1 Ausgangssituation Gemeinde Isernhagen Die Gemeinde Isernhagen liegt am nordöstlichen Stadtrand der Landeshauptstadt Hannover. Mit rund Einwohnern, die sich auf sieben Ortschaften verteilen, gehört sie zu den kleineren Gemeinden der Region Hannover. Im Zuge der Gebietsreform 1974 wurden die sieben selbstständigen Gemeinden Altwarmbüchen, Neuwarmbüchen, Kirchhorst sowie die Farster-, Kircher-Niederhägener- und Horster Bauerschaften auf einer Fläche von rund 60 km2 zu einer Gemeinde zusammengefasst. Hintergrund Wie in vielen anderen Städten und Gemeinden wurde Anfang der 90er Jahre auch in der Gemeinde Isernhagen ein Energieversorgungskonzept in Auftrag gegeben. Die Studie sollte ein Gesamtkonzept für die Reduzierung des Energiebedarfs bis zum Jahr 2010 liefern. Schwerpunkt der Studie waren u.a. Kraftwärmekopplung Nahwärmekonzepte und die Möglichkeiten der Energieeinsparung in öffentlichen Gebäuden. Die Straßenbeleuchtung war damals nicht Bestandteil der Untersuchung. Seite 152

2 Praxisbeispiel Straßenbeleuchtung der Gemeinde Isernhagen 8 Allerdings entschied die Gemeinde Isernhagen, einen Ingenieur als Energiebeauftragten einzustellen, der sich aufgrund der vielen Energieeinsparmöglichkeiten von selbst rechnen würde. Im April 1993 wurde ich für die Planung und Unterhaltung der Gebäudetechnik im damaligen Bauamt der Gemeinde Isernhagen eingestellt. Für einen Teil meiner Arbeitszeit sollte ich die Aufgaben eines Energiebeauftragten wahrnehmen. Nach einer Grobanalyse und der Auswertung der Energieverbräuche für alle gemeindlichen Verbraucher fertigte ich noch im selben Jahr den ersten Energiebericht für die Gemeinde Isernhagen an. Hierbei muss erwähnt werden, dass die Energiebewirtschaftung 1993 völlig dezentral organisiert war. Über 250 einzelne Energieabrechnungen des Energieversorgers wurden an unterschiedlichen Stellen in der Gemeindeverwaltung bearbeitet. Allein für die Straßenbeleuchtung gab es über 100 Einzelrechnungen mit monatlichen Abschlagszahlungen. Niemand sah einen Sinn darin, alle Jahresrechnungen und Energieverbräuche zusammenzustellen. Jeder Sachbearbeiter bearbeitete seine Einzelrechnung, ohne dass die Größenordnung der Gesamtkosten und des Gesamtenergieverbrauchs erkannt und bewertet wurde. Heute wird eine Jahresgesamtenergierechnung für alle gemeindlichen Energieverbraucher für Strom und Wärme erstellt, die dem Bürgermeister und dem Fachausschuss jährlich vorgelegt wird. Aufgrund der Datenzusammenstellung und der Visualisierung im Energiebericht wurde schnell ersichtlich, dass die Straßenbeleuchtung der größte Stromverbraucher der Gemeinde Isernhagen war. Die Straßenbeleuchtung verursachte 1993 ca. 55 % der jährlichen Gesamtstromkosten und rund 20 % der jährlichen CO2-Emissionen. Eine vom Stromversorger auf Basis von Planunterlagen erstellte Bestandsaufnahme ergab ca Lichtpunkte und 90 Schaltstellen. Durch die vorgelegten Zahlen konnte eine erste Energiekennzahl (Energieverbrauch je Lichtpunkt) ermittelt werden, die bei rund 600 kwh/a lag. Viele der Leuchtentypen wurden in den vorangegangenen Jahrzehnten nicht nach Effizienz, sondern nach Aussehen und ohne Beachtung der Unterhaltungskosten geordert. So kamen, wie in vielen anderen Kommunen, auch die sog. Puderdosen und Pilzleuchten ohne Spiegeloptik zum Einsatz. Das Licht schien überall hin, nur nicht auf den Fußweg, Lichtverschmutzung war noch kein Thema. Seite 153

3 Abb. 1: Puderdose, aus den 70er- und 80er-Jahren Abb. 2: Pilz, aus den 70er- und 80er-Jahren Seite 154

4 Praxisbeispiel Straßenbeleuchtung der Gemeinde Isernhagen 8 Abb. 3: Eichel, aus den 70er- und 80er-Jahren Durchgangsstraßen wurden verkehrsberuhigt und Tempo 30 km/h eingeführt. Die Straßenbeleuchtung änderte sich aber nicht, sodass z.b. die Kofferleuchte mit Watt Quecksilberhochdruckdampflampen (HQL) die Wohnstraßen in taghelles Licht tauchte. Diese unbefriedigende Praxis wurde 1996 mit einer Ratsvorlage beendet. Für die Zukunft sollte eine effizientere Straßenbeleuchtung in Isernhagen zu einer Kosteneinsparung bei Verbrauch, Unterhaltung und Verwaltung führen und CO2-Emissionen langfristig reduzieren helfen. Eckpunkte der Vorlage waren z.b.: Erstellung eines Leuchtenkatasters mehr Fußwegbeleuchtung statt Straßenbeleuchtung in Wohngebieten kein Einsatz zweiflammiger Leuchten Standardisierung der Straßenbeleuchtung auf drei Leuchtentypen bzw. zwei Lampentypen für verschiedene Bereiche Verwendung von Reduzierschaltungen, statt der Halbnachtschaltung (jede zweite Leuchte aus) Optimierung des Brennzeitenkalenders Einsatz neuester Technik sukzessiver Ersatz veralteter Leuchten Einspar-Contracting Seite 155

5 Die Gemeinde stand hierbei vor einem Entscheidungsproblem. Auf der einen Seite war die gemeindliche Verkehrssicherungspflicht zu beachten, auf der anderen Seite standen der Wunsch und das rechtliche Erfordernis, sparsam und wirtschaftlich mit öffentlichen Haushaltsmitteln und mit Energie umzugehen. Eine Einsparung mit Beachtung der Verkehrssicherungspflicht kann also nicht nur durch minimale Brennzeiten und durch das Abschalten von Leuchten erreicht werden, sondern insbesondere durch eine effiziente bedarfsgerechte Beleuchtung, die nur das Licht erzeugt, das für den benötigten Straßentyp erforderlich ist. Gespräche mit dem örtlichen Energieversorgungsunternehmen (EVU) und anderen Fachplanern ließen in den 90er-Jahren ein Fehlen von innovativen Projekten erkennen. Effiziente Lichtsysteme waren noch nicht marktfähig. Es gab außerdem keine brauchbaren Betriebskostenvergleiche, Kennzahlen und Erfahrungswerte anderer Kommunen für den Neubau und den Bestand. Die Grundlage für weitere Einsparungen in Isernhagen konnte nur durch die Erstellung eines Leuchtenkatasters mit der Aufnahme der Daten aller Lichtpunkte erfolgen. Hierfür wurden vom Rat aber leider keine finanziellen Mittel bewilligt. Auch das EVU hatte kein Interesse, Zahlen zumindest für eine auf Excel basierende Datenbank zu liefern. Um zumindest weitere Erfahrungen mit verschiedenen Sanierungsmaßnahmen der Straßenbeleuchtung zu sammeln, wurden hilfsweise viele technische Möglichkeiten anhand von kleineren straßenbezogenen Projekten in Zusammenarbeit mit dem EVU ausprobiert. Dies betraf insbesondere den Einsatz von Leuchtenumrüstungssätzen von HQL- auf Natriumdampfhochdrucklampen (NAV), den Einbau von Zusatzimpedanzen zur Umrüstung von HQL- auf NAV-Leuchten, den Einsatz von speziellen Lampen zur Leistungsreduzierung oder zur Verbesserung der Lebensdauer und den Einsatz von Timern zur Begrenzung der Beleuchtungsdauer. Auch ein Contracting-Projekt mit dem Energieversorgungsunternehmen, bei dem 30 Jahre alte Leuchten gegen neue ausgetauscht wurden, war Bestandteil dieser ersten Optimierungsphase. Es wurde schnell ersichtlich, dass nur wenige Maßnahmen wirtschaftlich und technisch sinnvoll waren. Insbesondere spezielle Umrüstlampen mit geringerer Leistung und höherer Lichtausbeute, die eine Umrüstung von HQL- auf NAVLeuchten ohne Änderung des Vorschaltgeräts ermöglichten, hielten in Bezug Seite 156

6 Praxisbeispiel Straßenbeleuchtung der Gemeinde Isernhagen 8 auf die Lebensdauer nicht das, was die Hersteller versprachen. Geringe Strompreise taten ihr Übriges. Die Auswahl neuer Leuchtensysteme erfolgte in Isernhagen ab 1996 nach den verkehrstechnischen Anforderungen. Dabei hatte der zuständige Planer allerdings nur zwei technische Leuchtentypen für den Bestand und Neubau zur Auswahl. In Isernhagen unterschieden wir zwischen Leuchten im Bestand in Wohngebieten mit geringer Verkehrsdichte und einer Lichtpunkthöhe (LPH) bis 4 m und Leuchten bei mittlerer bis hoher Verkehrsdichte ab einer LPH von 6 m. Die Bestückung der Leuchtensysteme erfolgte mit NAV-Lampen, die eine Spiegeloptik besitzen. Eine Reduzierschaltung, die ab ca. 22 Uhr die Leistung um ca. 30 % reduziert, löste die sog. Halbnachtschaltung ab. Dies führte zu einer positiven Resonanz bei den Bürgern. Um zumindest etwas Innovation bei der Straßenbeleuchtung voranzutreiben, wurde für den Neubaubereich ab 1998 in neuen Straßenleuchten Induktionslampen (QL) eingesetzt. Diese damals neue Technik hatte für die Gemeinde Isernhagen trotz der höheren Anschaffungskosten viele Vorteile, die sich bis heute im Echtbetrieb bestätigt haben. Die Lampen haben eine sehr hohe Lebensdauer, bisher gab es kaum Ausfälle (und das seit mehr als 15 Betriebsjahren), einen minimalen Wartungsaufwand und einen relativ konstanten Lichtstrom über die Lebensdauer. Effizientere LED-Leuchten haben die QL-Lampen aber seit einigen Jahren abgelöst. Eine Optimierung des Brennzeitenkalenders mit angepassten Beleuchtungszeiten sparte Geld ein. Ebenso günstig verhielt es sich mit der Umstellung vorhandener zweiflammiger auf einflammige Leuchten in reinen Wohngebieten. In Isernhagen wurden über 320 Leuchten mit einer Anschlussleistung von 40 kw durch die Entfernung der Sicherung im Anschlusskasten kostengünstig reduziert. Durch die dargestellten Maßnahmen konnte der Stromverbrauch zwischen 1993 und 1999 von 1,46 Mio. kwh auf 1,19 Mio. kwh reduziert werden, obwohl die Anzahl der Lichtpunkte um ca. 500 Stück stieg. Die Kosten verringerten sich im gleichen Zeitraum um rund Euro pro Jahr. Für mich stellte sich nach diesen Maßnahmen die Frage, wie gut oder schlecht der Energieverbrauch der Straßenbeleuchtung in Isernhagen war. Im Rahmen eines Energiekennzahlenvergleichs des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebunds (NSGB) und der Umweltaktion Niedersachsen (U.A.N.) ermittelten 19 Kommunen des damaligen Großraums Hannover im Jahr 1998 Kennzahlen Seite 157

7 für die Straßenbeleuchtung. Die Energiekennzahl lag im Mittel bei 450 kwh/a je Lichtpunkt. Die Gemeinde Isernhagen meldete damals einen Wert von 467 kwh/a je Lichtpunkt. Die Werte der einzelnen Kommunen unterschieden sich allerdings dermaßen, dass bei einigen Kommunen die Datenbasis infrage gestellt werden musste. Einige Kommunen hatten Energiekennzahlen von unter 200 kwh/a je Lichtpunkt, andere von über 700 kwh/a je Lichtpunkt angegeben. Die regelmäßigen Energieaufzeichnungen, die ab 1993 durchgeführt wurden, dokumentierten die Entwicklungen für die Straßenbeleuchtung ebenso wie die Aufzeichnungen der Tiefbauabteilung über neue Leuchtenstandorte im Gemeindegebiet. Die Energiekennzahl der Isernhagener Straßenbeleuchtung betrug im Jahr 2000 rund 400 kwh/a je Lichtpunkt, 200 kwh/a je Lichtpunkt weniger als Anfang der 90er-Jahre. Abb. 4: Energieverbrauch und Leuchtenentwicklung von 1993 bis 2012 Seite 158