Rund ums Saatgut: Detektiv-Arbeit

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1 Rund ums Saatgut: Detektiv-Arbeit Noch vor wenigen Jahren war der Anbau von Johanniskraut kein Thema. Mit dem steigenden Interesse an Medikamenten aus Johanniskraut wuchs der Bedarf aber so stark, dass in Frankreich, Italien und vor allem Deutschland hunderte Hektar Ackerland mit Johanniskraut bepflanzt wurden und das, obwohl die Kultivierung der empfindlichen Pflanze nicht einfach ist. Als die Bioforce beschloss, eine Frischpflanzenarznei aus Hypericum perforatum, wie das Johanniskraut in der Fachsprache heisst, herzustellen, machte man sich auf die Suche nach dem bestgeeigneten Samen, um im kontrolliert biologischen Anbau eine hervorragende Qualität des Arzneimittels von Anfang an sicherzustellen. Seit jeher wächst das Johanniskraut in Europa und Asien, im 19. Jahrhundert wurde Hypericum von europäischen Siedlern im Nordosten von Amerika eingeführt. In der Natur finden sich ausserordentlich viele Varietäten von Johanniskraut. Es gedeiht wild auf trockenen Wiesen, Weiden, Feldern, in lichten Wäldern und an Bahndämmen. Die aufrechtstehenden, harten, zweikantigen Stängel erreichen eine Höhe zwischen 30 und 100 Zentimetern und tragen kleine länglich-ovale Blätter, auf denen kleine Punktierungen, die Öldrüsen, mit blossem Auge erkennbar sind. Zwischen Juni und September erscheinen in Blütenständen vereint goldgelbe Blüten. Die verschiedenen Wildbestände weisen allerdings sehr starke Schwankungen bezüglich der Qualität (Inhaltsstoffe, Entwicklung, Verunreinigung, Krankheiten) auf. Aus diesem Grund und weil die Ernte aus Wildsammlungen den Bedarf längst nicht mehr zu decken vermag, ist man dazu übergegangen, Johanniskraut zu kultivieren. Obwohl, wie gesagt, die Anbauflächen in Europa ständig erweitert werden, wird der grösste Teil des Pflanzenbedarfs noch aus Russland, der Ukraine, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien importiert. Für den Transport muss Johanniskraut sofort nach der Ernte bei etwa 50 C getrocknet werden. Seite 1

2 Komplizierter Anbau Der Johanniskrautanbau ist eine schwierige Angelegenheit, denn über die idealen Bedingungen und Standorte herrscht noch wenig Klarheit. Häufig tritt die sogenannte Johanniskrautwelke auf, die normalerweise mit Fungiziden und Herbiziden bekämpft wird, denn sie kann eine ganze Ernte zunichte machen. Auch ist die Jungpflanzenanzucht problematisch, da die jungen Triebe sehr empfindlich sind. Das Haupthindernis beim Johanniskrautanbau ist, dass die Pflanzen vielfach nach dem ersten oder zweiten Erntejahr absterben, was im Allgemeinen die Zerstörung der gesamten Kultur nach sich zieht. Dieses «Dahinwelken» ist weder im Verlauf noch im zeitlichen Abstand vorhersehbar. (Nach heutiger Kenntnis ist für die Johanniskrautwelke wahrscheinlich ein bestimmter Bodenpilz (Colletrichum gloeosporioides) verantwortlich.) Forschung mit viel Aufwand Da es das erklärte Ziel der Bioforce ist, wo immer möglich Frischpflanzen zur Arzneimittelherstellung zu verwenden und zwar solche aus kontrolliert biologischem Anbau, kamen Ankäufe oder gar Importe von getrocknetem Johanniskraut nicht infrage. Angesichts des steigenden Bedarfs gab es also nur den Ausweg, die Pflanzen selbst zu kultivieren (oder von Vertragsbauern kultivieren zu lassen), und man begann, nach der besten, produktivsten und am wenigstens anfälligen Johanniskrautsorte zu fahnden. Die gewünschte Sorte sollte folgende Ansprüche erfüllen: Möglichst grosse Unempfindlichkeit gegen die Johanniskrautwelke, eine möglichst breite und reichhaltige Palette an Inhaltsstoffen (da der Stoff, der die eigentliche antidepressive Wirkung ausmacht, noch nicht hundertprozentig identifiziert ist), frühe Blüte, damit auch die Schweizer Vertragsbauern, deren Felder in grösseren Höhen liegen, rentabel arbeiten können, reiche Blütenstände und möglichst einfache Ernte. Seite 2

3 Zwei spannende Jahre In zwei Versuchsjahren (1997 und 1998) wurden 24 Johanniskraut-Varietäten miteinander verglichen. Drei im Handel befindliche Sorten sollten mit diversen Wildsamen und Samen aus Botanischen Gärten in der Schweiz, Deutschland, Italien, Australien und Kanada in «Wettbewerb» treten. An drei verschiedenen Standorten begann man damit, diese 24 verschiedenen Johanniskrautsorten zu säen. Dabei achtete man auf das Klima (Rhoneebene 480 m ü. M./Wallis 1060 m ü. M.), auf verschiedene Böden (reich an Bodenlebewesen und Nährstoffen, aber eher schlammig, sandig oder steinig und alkalisch oder ph-neutral), auf die Pflanzdichte und später auf die Blütezeit, den gleichmässigen Blühhorizont (Erleichterung bei der Ernte), die Ergiebigkeit und natürlich auf die Analyse der Inhaltsstoffe. Die Versuchsfelder wurden regelmässig bewässert, auf den Einsatz chemischer Mittel wurde strikt verzichtet, die Unkrautvernichtung geschah von Hand. 24 Nominationen für eine eigene Auslese des Saatguts Die 24 Sorten, bezeichnet mit P 1 bis P 24 (drei handelsübliche Johanniskrautsorten, darunter die am weitesten verbreitete Sorte Topas, sowie 21 Wildsorten) wurden auf allen Feldern angebaut und miteinander verglichen. Auf den beiden Feldern in der Rhoneebene waren nach zwei Jahren 94 bzw. 89% der Pflanzen krank oder abgestorben. Nur drei Sorten, darunter «Topas» und «P7», schnitten in dieser Beziehung einigermassen gut ab. Ein verblüffendes Ergebnis der Versuchsreihe war, dass in der Ebene alle Sorten wesentlich stärker von der Welkekrankheit befallen waren als in den Berggebieten. Auf den höher gelegenen Feldern waren bei der Ernte im zweiten Jahr noch 49% der Pflanzen gesund. Von den 24 Sorten blieben allerdings nur sechs vollkommen von der Krankheit verschont, darunter wieder «Topas» und «P7». Auch stellte sich heraus, dass die Pflanzen auf ganz verschiedene Art wuchsen: hatten die einen aufrechte Stängel, die sich erst spät verzweigten, besassen andere unregelmässige, schon von der Basis her stark verzweigte Stängel, wieder andere glichen Kletterpflanzen. Seite 3

4 Enorme Unterschiede stellten sich auch bei der Blütezeit heraus. Im ersten Kulturjahr konnten bei dem in der Ebene angepflanzten Johanniskraut die Blüten der frühblühenden Sorten schon Anfang Juli geerntet werden, die der spätblühenden erst 43 Tage später. Im zweiten Jahr des Anbaus blühten alle Pflanzen insgesamt einen Monat früher, doch die Differenz bei den Erntezeiten blieb nahezu gleich. Im Berggebiet verschob sich die Erntezeit um einen Monat nach hinten, doch auch hier blühte die zweijährige Pflanze wesentlich früher als die frisch angepflanzte. Die Varietät «Topas» kam in den höher gelegenen Anbaugebieten im ersten Anbaujahr gar nicht richtig zum Blühen, so dass eine Ernte nicht möglich war und erwies sich auch im zweiten Kulturjahr als «Spätzünder». Bereits einen Monat früher steht «P7» in voller Blüte und gehört damit zu den frühblühenden Sorten, die auch in den Bergen rechtzeitig eine reiche Blütenpracht entwickeln. and the winner is Sie merken schon worauf es hinausläuft. Ohne Sie mit noch mehr Details zu konfrontieren, stellte sich rund vier Jahre nach Beginn der Forschungsarbeiten heraus..the winner is: besagte Sorte P7, denn was das Wachstum, die Blüte, die Krankheitsanfälligkeit und die Arbeit der Bioforce-Vertragsbauern betrifft, so ist «P7» sicher die geeignetste Pflanze. Was aber ist mit ihr in medizinischer Hinsicht los? Kann sie auch da alle Tests bravourös bestehen? Die obersten Triebspitzen mit den voll erblühten Blüten sämtlicher Pflanzensorten wurden auf ihren Gehalt an zehn verschiedenen Flavonoiden, zwei Hypericinen (Hypericin und Pseudohypericin) und Hyperforin hin untersucht. (Wobei gravierende Unterschiede gefunden wurden, besonders hinsichtlich des Gehalts an Hypericin.) Das kurz zusammengefasste Resultat der Forschungskommission: «P7 verfügt über die gleiche Palette an Inhaltsstoffen wie die Sorte Topas und enthält darüberhinaus mehr Flavonoide und Hypericine.» Dies verspricht, dass die natürliche Johanniskrautsorte mit dem Decknamen «P7» sich nicht nur für die biologische Kultivierung hervorragend eignet, sondern auch grossen pharmazeutischen Wert hat. IZR/ARy Seite 4

5 Quelle: A. Vogel s Gesundheits-Nachrichten, Teufen AR (Copyright 2003) Verlag A. Vogel AG Postfach 63 CH-9053 Teufen AR Telefon 071/ Fax 071/ info@verlag-avogel.ch Website: Seite 5