Rohstoffbasis im Wandel
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- Hertha Schmidt
- vor 5 Jahren
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1 Rohstoffbasis im Wandel Gemeinsame Pressekonferenz der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie (DECHEMA), der Deutschen Wissenschaftlichen Gesellschaft für Erdöl, Erdgas und Kohle (DGMK) und des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) Ausführungen von Herrn Professor Dr. Michael Röper, BASF SE am 11. Januar 2010 (Es gilt das gesprochene Wort) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Chemieprodukte sind in den entwickelten Ländern allgegenwärtig. Sie sind Schrittmacher für Innovationen in nahezu allen Industriebranchen. Und sie sind allgegenwärtig beim Verbraucher, beispielsweise als Verpackungen von Lebensmitteln, als Arzneimittel oder Kosmetika, als Pflanzenschutzmittel, Waschmittel, in Textilien, Gegenständen im Haushalt (von Möbeln bis zu Kunstwerken) oder innovativen Baustoffen, beispielsweise um Heizenergie zu sparen. Basis für diese Vielfalt ist das Erdöl, dessen Potenzial Chemiker seit Beginn des vorigen Jahrhunderts zunehmend zu nutzen wissen. Als Gemisch von Kohlenwasserstoffen ist es der industriellen Stoffumwandlung leichter zugänglich als die Kohle und die Biomasse, die heute hauptsächlich als Rohstoff für Waschmittel, einige Feinchemikalien und Wirkstoffe dient. In all den erwähnten Rohstoffen und ferner noch im Erdgas ist der Kohlenstoff das entscheidende chemische Element für die Wertschöpfungsketten der chemischen Industrie. Es ist also die Kohlenstoffchemie, die organische Chemie, deren Produkte in unserem Alltag allgegenwärtig sind und mit einem Anteil von 80% ist das Erdöl hierfür der entscheidende Rohstoff. S ei t e 1 v o n 6 Mainzer Landstraße Frankfurt Postfach Frankfurt Telefon Telefax
2 - 2 - Doch auch die anorganischen Materialien prägen unseren Lebensstil entscheidend. Denn die atemberaubenden Fortschritte bei High-Tech-Produkten wie Flachbildschirmen, Solarzellen, Mobiltelefonen, Computer oder Hochleistungsbatterien gäbe es ohne die ständige Weiterentwicklung dieser Materialien nicht. Für all unsere Produkte brauchen wir Bodenschätze, und die sind endlich. Im Fall des Erdöls diskutiert dies die Öffentlichkeit bereits seit längerem, meist im Zusammenhang mit der Energiefrage. Für die chemische Industrie ist die Endlichkeit des Erdöls schon lange ein Thema, das immer konkreter wird. Jetzt ist es an der Zeit, die Weichen zu stellen. Und um das nachhaltig, also ökonomisch und ökologisch sinnvoll zu tun, müssen Industrie und Wissenschaft gemeinsam mit Politik und Gesellschaft nach Lösungen suchen. Es geht bei der Lösung der Rohstofffrage für die Chemie und für den Verbraucher immerhin, grob geschätzt, um etwa kommerzielle Produkte, von polymeren Werkstoffen bis zu Vitaminen, die auf etwa 200 Grund- und Zwischenprodukten basieren. Diese so genannten unsterblichen Produkte, zu denen beispielsweise Olefine, Aromaten, funktionelle Verbindungen oder monomere Synthesebausteine zählen, sind die Schlüsselglieder der Wertschöpfungsketten der chemischen Industrie. Alternative Rohstoffe als Ersatz für das Erdöl können nur dann wirtschaftlich in die komplexe Struktur der chemischen Industrie integriert werden, wenn sie den Zugang zu diesen etwa 200 unsterblichen Grund- und Zwischenprodukten erlauben. Der Anteil der Rohstoffkosten an der Bruttowertschöpfung der chemischen Industrie in Deutschland beträgt bereits heute über 30 Prozent. Zu spüren bekommt die Industrie den wachsenden Energie- und Rohstoffbedarf der Schwellenländer, die Konkurrenz durch Vorwärtsintegration von Rohstoffbesitzern in der Golfregion auf Basis von Erdöl und Erdgas oder in China auf Basis von Seltenen Erden sowie die Bildung von Rohstoffkartellen bei Erdöl, Edelmetallen, uam. Die Verfügbarkeit von Rohstoffen zu konkurrenzfähigen Bedingungen wird zunehmend schwierig. Daher gilt es jetzt zu handeln! Als Basis soll dazu das Positionspapier Rohstoffbasis im Wandel dienen. Dessen vorrangiges Ziel ist: die Identifizierung lohnender und essentieller Forschungsgebiete zur Sicherung unserer Rohstoffbasis. Das Positionspapier befasst sich mit: Fossilen Rohstoffen Erdöl, Erdgas, Kohle Regenerativen Rohstoffen Öle und Fette, Zucker und Stärke, Non-Food Biomasse, Kohlendioxid
3 - 3 - Anorganischen Rohstoffen Edelmetalle, Indium, Lithium-Salze, Düngemittel Wasserstoff aus CO 2 -freier Erzeugung Es fasst jeweils die Ausgangssituation und den Stand der Technik, die Defizite und Entwicklungsziele sowie die technisch-wissenschaftlichen Herausforderungen zusammen. Daraus leitet es Lösungsansätze ab und zeigt den Forschungsbedarf auf. Lassen Sie mich die Ausgangssituation kurz zusammenfassen: Naphtha und Erdölderivate bilden zu 80 Prozent die Rohstoffbasis der organisch-chemischen Industrie, dies sind über 18 Millionen Tonnen. Nachwachsende Rohstoffe tragen mit zehn Prozent bei, Erdgas mit acht Prozent und Kohle mit zwei Prozent. Bei den Nachwachsenden Rohstoffen nutzt die chemische Industrie vor allem Fette und Öle, und zwar jährlich etwa 1,15 Millionen Tonnen. Ferner werden industriell Tonnen Cellulose, Tonnen Stärke, Tonnen Zucker, Tonnen Fasern und Tonnen sonstige nachwachsende Rohstoffe verarbeitet (Quelle für alle Zahlenangaben: VCI). Erdöl ist zwar der wichtigste Rohstoff für die chemische Industrie, wird aber mit 85% fast ausschließlich in der Energiewirtschaft genutzt. Da als Reichweite (Reserven) für Erdöl bei heutigem Verbrauch von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 41 Jahre angegeben werden, fordert die chemische Industrie: Erdöl ist viel zu schade, um es zu verbrennen! Es muss vorrangig stofflich genutzt werden! Und auch die Lösungsansätze dafür bietet die Industrie: Der Verbrauch im Energie- und Kraftstoffbereich lässt sich durch Elektromobilität, bessere Wärmedämmung und Leichtbau senken. Ferner muss Energie verstärkt aus regenerativen Quellen gewonnen und müssen die Öl- und Gasreserven durch verbesserte Gewinnungsverfahren gesteigert werden. Dies haben die deutschen Chemieorganisationen in Positionspapieren zur Energieversorgung der Zukunft detailliert ausgeführt. Wir haben diese Positionspapiere ebenfalls für Sie ausgelegt. Zu den Reichweiten möchte ich noch ergänzen, dass diese für Erdgas und Kohle größer sind als für Erdöl. Bei Erdgas veranschlagt die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe 60 Jahre, bei Kohle 146 Jahre. Über Reichweiten muss man sich bei Nachwachsenden Rohstoffen keine Gedanken machen, aber: Die stoffliche Nutzung von Biomasse muss entsprechend ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitskriterien erfolgen und die Versorgungssicherheit sollte durch Einsatz heimischer Pflanzen gewährleistet sein. Die Forschungsziele richten sich vor allem auf die kombinierte energetische und stoffliche Nutzung von Lignocellulose, so genannter Non-
4 - 4 - Food Biomasse, in Bioraffinerien und auf den Aufbau neuer Wertschöpfungsketten, beispielsweise über neue Plattformchemikalien oder die Zwischenstufen Synthesegas und Methanol. Lassen Sie mich bitte auch kurz Kohlendioxid und Wasserstoff als Rohstoffe für die chemische Industrie ansprechen. Kohlendioxid ist als Rohstoffquelle für Kohlenstoff nahezu unbegrenzt verfügbar. Heute wird es als Rohstoff hauptsächlich für die Harnstoffsynthese genutzt. In der Forschung wird die Suche nach weiteren Einsatzmöglichkeiten intensiv betrieben. In Frage kommen beispielsweise die Reduktion von CO 2 zu Methanol bzw. Synthesegas, um an bestehende Wertschöpfungsketten anzuknüpfen oder auch die direkte Synthese von Wertprodukten wie Polymere aus CO 2. Jedoch führt kein Weg daran vorbei: Die Nutzung von Kohlendioxid durch Reduktion ist sehr energieaufwändig und nur sinnvoll, wenn regenerative oder nukleare Energiequellen eingesetzt werden. Sonst droht nämlich eine negative Kohlendioxidbilanz im Sinne des Klimaschutzes. Es ist daher in jedem Einzelfall eine Systemanalyse erforderlich. Wasserstoff wird heute in der Düngemittelherstellung, der Erdölverarbeitung und in zahlreichen Synthesen der chemischen Industrie genutzt. Zukünftig wird Wasserstoff aber auch in großen Mengen zur Veredlung von Biomasse, Kohle oder CO 2 sowie alternativ zur Energiespeicherung oder in der Brennstoffzelle benötigt. Er wird derzeit auf Basis fossiler Rohstoffe erzeugt, was CO 2 -Emissionen verursacht. Das Forschungsziel liegt hier also auf der Hand: die effiziente Herstellung von Wasserstoff auf Basis regenerativer Energie. Bei den anorganischen Rohstoffen zeigen sich mögliche Engpässe vor allem bei den Metallen. Deutschland muss praktisch die gesamte Nachfrage nach metallischen Rohstoffen durch Importe decken. Besondere Bedeutung haben Edelmetalle für Katalysatoren für die Düngemittelherstellung, für Raffinerie- und Chemieverfahren, für die Abgasreinigung und für Brennstoffzellen. Edelmetalle verfügen über Reichweiten von 150 bis 200 Jahren. Es existieren aber nur wenige Anbieter, vor allem Russland und Südafrika. Lithium wird große Bedeutung für die Herstellung von leistungsstarken Li-Ionen-Batterien für die Elektromobilität erlangen. Die Lagerstätten verfügen über hohe Reichweiten, aber auch hier gibt es nur wenige Anbieter. Forschungsziele sind bei den Edelmetallen die bessere Ausnutzung der Lagerstätten, verbesserte Recyclingverfahren und Ersatz durch Nichtedelmetalle in Katalysatoren sowie bei Lithium die Verbesserung der Verfahren zur Aufarbeitung und die Entwicklung von Recyclingverfahren. Meine Damen und Herren, Lassen Sie mich die Kernaussagen und -forderungen des Positionspapiers zusammenfassen:
5 - 5 - Erdöl wird auf absehbare Zeit der dominierende Rohstoff für die chemische Industrie bleiben. Dabei gilt: Stofflich verwerten statt verbrennen! Voranzutreiben sind: Einsatz von Chemikalien zur besseren Ausnutzung von Erdöllagerstätten Bessere Verfahren zur Umwandlung von Erdöl und Erdgas in Chemieprodukte Neue Produkte zur Energieeinsparung wie Leichtbau, Wärmedämmung oder Energiegewinnung aus Wind und Sonne Zur Diversifizierung der Rohstoffbasis sind neue Wertschöpfungsketten auf Basis von Erdgas, Kohle oder regenerativen Rohstoffen aufzubauen! Voranzutreiben sind: Verarbeitung von Lignocellulose in Bioraffinerien Verfahren zur Herstellung von Plattformchemikalien zur Anknüpfung an bestehende und zur Entwicklung von neuen Wertschöpfungsketten Verfahren zur Gewinnung von Wasserstoff mit Hilfe regenerativer Energien, beispielsweise für die stoffliche Nutzung von CO 2 Und bei anorganischen Rohstoffen muss künftig gesucht werden nach: effizienteren Verfahren zur Ausbeutung von Lagerstätten effizienteren Verfahren zur Aufarbeitung alternativen Materialien, beispielsweise für Katalysatoren effizienteren Verfahren zum Recycling Meine Damen und Herren, meine Ausführungen finden Sie auch zusammengefasst in der Presseinformation. Lassen Sie mich schließen mit dem Satz, mit dem diese beginnt: Die chemische Industrie wird ihre Rohstoffversorgung in Zukunft auf eine breitere Basis stellen und dadurch vor allem auch die Abhängigkeit von Erdöl reduzieren. Das ist eine Kernaussage
6 - 6 - des Positionspapiers Rohstoffbasis im Wandel der Chemieorganisationen GDCh, DECHEMA, DGMK und VCI, das heute in Frankfurt am Main vorgestellt wird. Vielen Dank! Kontakt: VCI-Pressestelle Telefon: presse@vci.de
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