Entfremdung. Die Özil-Affäre und das Problem mit der Integration. Schluss mit dem Reisefrust? Wie sich die Deutsche Bahn neu erfinden will

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1 Nr. 31 / Deutschland 5,10 BeNeLux 5,80 Finnland 8, Griechenland 7, Norwegen NOK 82, Polen (ISSN ) ZL 32, Slowakei 6,60 Spanien 6,50 Tschechien Kc 185,- Printed in Dänemark dkr 53, Frankreich 6,50 Italien 6,50 Österreich 5,80 Portugal (cont) 6,50, Slowenien 6,30 Spanien/Kanaren 6,70 Ungarn Ft 2350,- Germany Entfremdung Die Özil-Affäre und das Problem mit der Integration Schluss mit dem Reisefrust? Wie sich die Deutsche Bahn neu erfinden will Langsamer altern Der Kampf der Forscher gegen die Zombie-Zellen Sensationsbestseller»WarriorCats«Warum die Kriegskatzen so erfolgreich sind

2 *Teils optionale Ausstattung.

3 ÜBERLASSEN SIE DAS ALTE STATUSDENKEN DENEN HINTER IHNEN. Wer vorausdenkt, kann als Erster die Zukunft genießen: zum Beispiel im neuen Audi A6. Er gleitet der Zukunft mit effizientem Mild-Hybrid-Antrieb entgegen. Sobald es die Fahrsituation erlaubt, schaltet der Audi A6 den Motor vorü bergehend automatisch ab und bewegt sich im Freilauf weiter. Zukunftsweisend ist auch das digitale Bedienkonzept fü r die Komfort- und Entertainment-Funktionen*: mit Touchdisplays und natü rlichsprachlicher Interaktion. Einfacher lässt sich altes Statusdenken nicht ü berholen. DER LUXUS, NEU ZU DENKEN. DER NEUE AUDI A6. audi.de/nextlevel

4 GENERVT VON BENZIN- PREISVERGLEICHEN? GELBE KARTE ZEIGEN! Bei uns tanken Sie immer günstig mit der Shell Preisgarantie * 1. Shell FuelSave Super 95, E10 oder Diesel tanken 2. Registrierte Shell ClubSmart Karte an der Kasse vorzeigen 3. Wir vergleichen die aktuellen Preise der umliegenden Markentankstellen 4. Sollte eine dieser Tankstellen deutlich günstiger sein, erhalten Sie einen Rabatt* Wir freuen uns auf Ihren Besuch! * Höchstens 0,02 /Liter über dem niedrigsten Zapfsäulenpreis des entsprechenden Produkts an den nach Luftlinie nächsten zehn Markentankstellen (etwa JET, Esso, star) innerhalb Deutschlands im Umkreis Ihrer Shell Station. An Bundesautobahntankstellen gelten die in Fahrtrichtung nächsten zwei vor- und nachgelagerten Bundesautobahntankstellen auf derselben Autobahn innerhalb Deutschlands. Genauere Details zu den Markentankstellen finden Sie unter shellsmart.com/preisgarantie. Gültig für die Shell Standardkraftstoffe Shell Super FuelSave und Shell Diesel FuelSave. Teilnahme nur für in Deutschland registrierte Shell ClubSmart Mitglieder möglich. Die Nutzung von euroshell Flottenkarten oder sonstigen Tank- und Servicekarten ist im Rahmen der Teilnahme an der Shell Preisgarantie ausgeschlossen. Gültig an allen teilnehmenden Shell Stationen in Deutschland. Eine Barauszahlung ist nicht möglich. Keine Kumulierung mit anderen Rabatten möglich.

5 Nach der Kanzlerin ist Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth die größte Hassfigur der AfD und ihrer Anhänger. Hauptstadtkorrespondentin Ann-Katrin Müller wollte daher mit der Grünenpolitikerin darüber sprechen, wie sie es schaffen will, sich nicht von den Rechtspopulisten provozieren zu lassen, obwohl die AfD-Abgeordneten genau dies permanent tun. Keine Zeit, sagte Roths Büro. Keine Lust, der AfD so viel Müller Raum zu geben, erklärte Roth selbst. Am Ende wurden es doch fünf Treffen.»Roth spricht einfach leidenschaftlich gern über Demokratie«, sagt Müller,»sie macht sich viele Gedanken darüber, wie sich der Bundestag verändern muss, um wehrhaft zu bleiben.«seite 32 MAURICE WEISS / OSTKREUZ Das deutsche Nachrichten-Magazin Hausmitteilung Betr.: Claudia Roth, Mathematik, Sibirien, Augstein/Dutschke ALZHEIMER HEILEN. DEN KREBS BESIEGEN. JAHRZEHNTE LÄNGER LEBEN. Der junge Bonner Mathematiker Peter Scholze, 30, wird weltweit gefeiert für seine oft verblüffenden Ideen. Er könnte längst auf hoch dotierter Stelle in Paris oder Bos - ton forschen, aber er zieht die rheinische Provinz vor wo wenig ablenkt, lässt sich umso tiefer grübeln. Verschlafenheit ist für Scholze ein Standortfaktor. Wissenschaftsredakteur Manfred Dworschak traf sich in Bonn mit Kollegen und Wegbegleitern des Zahlenzauberers, der als Jahrhunderttalent gilt. Sie bestätigten ihm, dass der Meister seine Theorien komplett im Kopf entwerfe; er mache sich nicht einmal Notizen.»Schon allein das Aufschreiben stört ihn offenbar beim Denken«, sagt Dworschak, der wiederum bei Interviews nie ohne Block und Stift unterwegs ist. Seite 94 Was passiert mit einem gewöhnlichen Bürger, der in Putins Russland aufbegehrt? Igor Wostrikow, 31, ein Schuhhändler aus dem sibirischen Kemerowo, hat das versucht. Sein Antrieb: die Wut. Beim Brand eines Einkaufszentrums Ende März verlor Wostrikow seine Familie. Erst gab er Präsident Putin die Schuld, dann»dem System«, dann ging er in die Lokalpolitik ausgerechnet auf der Liste der Regierungspartei. SPIEGEL-Redakteur Timofey Neshitov hat Wostrikow in Kemerowo und im Urlaub auf der annektierten Krim begleitet.»er ist unheimlich stark in seinem Umgang mit Schmerz«, sagt Neshitov.»Aber auch Neshitov verunsichert, von Selbstzweifeln geplagt und misstrauisch.«bei einem gemeinsamen Badeausflug fragte Wostrikow den Reporter:»Warum hat mich der SPIEGEL kontaktiert? Haben mich auch deutsche Geheimdienste auf dem Radar?«Seite 52 Manchmal liefern Recherchen Antworten auf Fragen, die man gar nicht gestellt hat. SPIEGEL-Mitarbeiter Michael Sontheimer wollte beim Berliner Landesarchiv die Akten des Berliner Verfassungsschutzes über sich selbst und andere Gründer der»taz«einsehen. Die Akten waren offenbar vernichtet, aber das Landesarchiv bot ihm Teile der Verfassungsschutzakte über Rudi Dutschke an, den Kopf der Studenten - bewegung von Sontheimer fand Beweise dafür, dass SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein nach dem Attentat auf Dutschke diesen drei Jahre lang finanziell unterstützt hat. Hauke Janssen, Leiter der SPIEGEL-Dokumentation, steuerte aus den Tiefen des Hausarchivs den bislang unbekannten Briefwechsel zwischen Augstein und Dutschke bei.»der Austausch zeigt: Die beiden hatten nicht nur den Vornamen Rudolf gemeinsam, sondern waren sich trotz klarer politischer Unterschiede in Sympathie zugetan«, sagt Sontheimer. Seite 48 JECZAWITZ / DER SPIEGEL 288 Seiten Gebunden mit SU C 20,00 (D) Auch als E-Book erhältlich Lange Zeit konnten wir von solchen Durchbrüchen in der Medizin nur träumen. Doch bereits in den nächsten Jahren werden viele dieser Träume Wirklichkeit werden, denn im Silicon Valley wird gerade die Medizin neu erfunden. Thomas Schulz, langjähriger Silicon-Valley-Korrespondent des SPIEGEL, hat Einblicke in die geheimen Forschungslabore erhalten. In seinem Buch zeigt er, worauf Patienten hoffen dürfen, und erklärt, welche Chancen und Risiken die Zukunftsmedizin für jeden von uns birgt. DER SPIEGEL Nr. 31 /

6 Inhalt 72. Jahrgang Heft Juli 2018 Titel Integration Seit Langem prägen Scharfmacher hierzulande den politischen Diskurs zwei Drittel der Bürger bemerken eine Verrohung der Debatte, wie eine SPIEGEL-Umfrage jetzt zeigt Debatten Deutsche mit aus - ländischen Wurzeln aus Politik und Kultur über das fremdenfeindliche Klima Fußball Löw-Berater Harun Arslan über Fehler im Fall Mesut Özil Deutschland Leitartikel Die EuGH-Entscheidung zur grünen Gentechnik ist fortschritts - feindlich Meinung Der gesunde Menschenverstand / So gesehen: Melania mag CNN ZDF und WDR von russischen Hackern angegriffen / Italien ermittelt gegen deutsche Flüchtlingsretter / SPD-Widerstand gegen Masterplan Europa Die Einigung im Handelsstreit stärkt Kom - missionschef Juncker Die neue USA-Strategie der Bundesregierung EU Dem Pensionsfonds des Europaparlaments droht die Pleite Bundestag Wie Parlaments - vize Claudia Roth die Aus - einandersetzung mit der AfD erlebt Parteien In der Union verschärft sich der Flügelstreit 36 Analyse Was bringt der soziale Arbeitsmarkt? Abfahrt Richtung Zukunft Jahrelang verordnete die Politik der Deutschen Bahn einen radikalen Sparkurs mit fatalen Folgen: unpünktliche Züge, verschlissene Infrastruktur. Jetzt soll der Konzern digitaler, moderner und attraktiver werden, kurz: zum zentralen Akteur einer Mobilitätsrevolution. Das wird Milliarden kosten. Seite 62 China sucht die Liebe Es gibt Millionen mehr junge Männer als Frauen und die Ansprüche an Ehepartner sind durch den neuen Wohlstand gestiegen. Viele Singles und ihre Familien verzweifeln an der Partnersuche, dafür boomt die chinesische Datingindustrie. Seite 86 GILLES SABRIÉ / DER SPIEGEL HARRY WEBER Verteidigung SPIEGEL- Gespräch mit Ministerin von der Leyen über die Krise der Nato und den Rüstungsetat 40 Innenpolitik Mit seinem polternden Stil bringt Horst Seehofer die Amts - kollegen in den Ländern gegen sich auf Bildung Warum viele Bundesländer das»turbo-abi«g 8 schon wieder abräumen Intellektuelle Wie Rudolf Augstein dem Studentenführer Rudi Dutschke aus der Geldnot half Gesellschaft Früher war alles schlechter: Nie wieder taub / Ist Ehe ein Mittel zur Altersvorsorge? Eine Meldung und ihre Geschichte Ein Elefant bringt den Circus Krone in Not Aufstände Ein russischer Schuhhändler wird zum Anführer einer Revolte gegen Wladimir Putin Homestory Wie Martin Sonneborn dafür sorgte, dass Politiker ernst genommen werden Wirtschaft Wirtschaftsweiser fordert stärkere Senkung der Sozial - beiträge / Siemens-Stadt soll deutsches Silicon Valley werden / ZDF plant»wetten, dass..?«mit Gottschalk Reisen Mit digitaler Technik und einem besseren Angebot will sich die Deutsche Bahn neu erfinden Verbraucher Wie Telefon - kunden neue Verträge auf - geschwatzt werden DER SPIEGEL Nr. 31 /

7 Lebensträume Mit dem Hauskauf fängt die Geld - verschwendung erst an Das Drama der Eigentümer - versammlung Analyse Donald Trump riskiert mit seiner Politik einen inter - nationalen Währungskrieg 71 Konzerne Ursula Gather, Vorsitzende der Krupp-Stiftung, muss das Führungschaos bei Thyssenkrupp beenden 72 Medien Presse Wie die»zeit«ihre Leser verstört Ausland Absage an das Projekt einer rechtspopulistischen Revolte in Europa / Wie gefährlich ist die Benalla-Affäre für Frankreichs Präsident Macron? USA Die Demokratische Partei streitet über die richtige Strategie gegen Trump Mali Fünf Jahre nach der französischen Intervention gibt es Wahlen, aber noch lange keine Stabilität China Wie die Datingindustrie das Liebesleid von 200 Millionen Singles nutzt Analyse Was der Wahlsieg des Ex-Kricket-Stars Imran Khan für Pakistan bedeutet Wissenschaft Gab es früher einmal Leben auf dem Mond? / GPS-Ortung für Almkühe / Einwurf: Eine Verneigung vor dem Sonnen- Sommer Denker Der Jahrhundertrechner ein junger deutscher Zahlentheoretiker gilt als einer der besten Mathematiker der Welt Zeitgeschichte Wie es den Nazis gelang, an kriegswichtige Metalle zu gelangen Der Mathematiker Peter Scholze gilt als Jahrhundert - talent jetzt winkt ihm der höchste Preis seiner Zunft. Seite 94 Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagt im SPIEGEL-Gespräch: Der hitzige Gipfel in Brüssel war eine»sternstunde der Nato«. Seite 40 Die Fantasyserie»WarriorCats«ist ein weltweiter Jugendbucherfolg. Hört ihr es fauchen, Untergangsfreunde? Seite 114 SVEN DÖRING / DER SPIEGEL VOLKER LANNERT / UNIVERSITÄT BONN 2018 BELTZ & GELBERG IN DER VERLAGSGRUPPE BELTZ WEINHEIM BASEL Medizin Jungbrunnen aus dem Labor Bioforscher entwickeln Medikamente gegen das Altern Umwelt Feuerökologe Stephen Pyne über den richtigen Um - gang mit Waldbränden Kultur Neue Staffel der Serie»The Handmaid s Tale«/ Ein Museum verspottet Facebook / Kolumne: Zur Zeit Integration SPIEGEL-Gespräch mit dem Soziologen Aladin El-Mafaalani über Rassismus und Mesut Özil Musik Bayreuths neuer»lohen grin«ist ein inszenatorisch harmloses, musikalisch betörendes Vergnügen Legenden Der Filmproduzent Artur (»Atze«) Brauner feiert seinen 100. Geburtstag Literatur Die suchterzeugenden Qualitäten der Jugendbuchserie»WarriorCats«114 Buchkritik Das bemerkens - werte Debüt der US-Autorin Lisa Halliday Sport Tour-de-France-Fahrer langsam am Berg / Magische Momente: Turnerin Seitz über eine schmerzhafte Medaille Fußball Warum sich die DFB-Spitze im Fall Özil wegduckt Einwurf Die Unfähigkeit des DFB, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren 121 Abenteuer Stand-up-Paddlerin Sonni Hönscheid über ihr Rendezvous mit einem Wal 122 Bestseller Impressum, Leserservice Nachrufe Personalien Briefe Hohlspiegel / Rückspiegel SodaStream GmbH SodaStream Crystal, titan sehr gut ÖKO-TEST-Magazin 07/2018 * Mit edler Glaskaraffe O Immer frisch gesprudeltes Wasser O Kohlensäure individuell dosierbar O Spart Geld Titelfoto: TF-Images / Getty Images 7 *Basierend auf dem Vergleich von ÖKO-TEST im Juli 2018 von 8 Trinkwassersprudlern, welche auf dem deutschen Markt verkauft werden. Mehr Infos:

8 Das deutsche Nachrichten-Magazin Die Angst-Züchter Leitartikel Warum die grüne Gentechnik nicht des Teufels ist D er Schöpfer selbst war im Spiel, als Deutschland der Gentechnik den Krieg erklärte. Gut zehn Jahre ist es her, dass Horst Seehofer, damals Bundeslandwirtschaftsminister, seine üblichen»besinnungstage«im oberpfälzischen Kloster Plankstetten bei den Benediktinern verbrachte. Das Gespräch mit den Mönchen, berichtete er danach, habe ihm klargemacht:»wir dürfen dem Herrgott nicht ins Handwerk pfuschen.«mit»pfusch«meinte er die Gentechnik in der Landwirtschaft, und mit seiner Bekehrung begab sich Seehofer in eine unheilige Allianz mit den Grünen und anderen Gentechnikgegnern. Die Kämpfer im Dienste des Herrn waren erfolgreich. In kaum einem anderen europäischen Land ist die Furcht vor Laborpflanzen größer: Einer aktuellen Umfrage zufolge finden knapp 80 Prozent der Deutschen, dass man Gentechnik auf den Feldern verbieten sollte. Zwar haben die neuen Grünenchefs Annalena Baerbock und Robert Habeck jüngst einen technikfreundlicheren Kurs vorgeschlagen, kassierten aber heftige Gegenwehr. Nun können die verbliebenen Gentechhasser der Partei zusammen mit den Christsozialen und allen anderen Fortschrittsfeinden feiern: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass mit neuartigen Labormethoden erzeugte Obst- und Gemüsesorten ebenso streng reguliert werden müssen wie traditionell gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Die Begründung der Richter klingt Agrarland in Baden-Württemberg diffus, geradezu ängstlich: Von den neuen Methoden, heißt es, könnte ein»vergleichbares Risiko«ausgehen wie von der bisher praktizierten grünen Gentechnik. Für wie gefährlich sie das neue angebliche Frankenfood vom Feld denn nun genau halten, steht nicht im Urteil. Schon die Furcht vor der klassischen grünen Gentechnik hat sich im Lauf der Jahrzehnte als unbegründet erwiesen. Sicherheitsforscher fanden bei den bisher ins Freiland gesäten GVO»keine Gentechnik-spezifischen Risiken«, und die Weltgesundheitsorga nisation konnte»keine Effekte auf die mensch liche Gesundheit«feststellen. In der Medizin sind gentechnisch hergestellte Arzneimittel mittlerweise unverzichtbar, und dort ängstigt sich kurioserweise niemand. Die Katastrophe ist ausgeblieben. Es gibt klassische Methoden, Pflanzen zu züchten, die von den strengen EU-Regeln ausgenommen sind. Dabei wird das Saatgut Giften oder Radioaktivität ausgesetzt. Die Folge: unzählige Zufallsmutationen im Erbgut, nur wenige führen zu den erwünschten Eigenschaften, süßeren Kirschtomaten, köstlicheren Kartoffeln. Nachteile müssen müh - selig wieder aus den Kreaturen herausgekreuzt werden. All dies lässt sich mit den neuen Methoden vermeiden, namentlich mit Genscheren wie Crispr/Cas9. Präzise schneiden die Wissenschaftler damit die DNA, und zwar exakt da, wo sie schneiden wollen. Es kommt das Skalpell zum Einsatz und nicht die Schrotflinte. GVO enthalten zumeist komplett neue Gene von an - deren Organismen. Ganz anders Crispr-Tomaten oder Crispr-Kartoffeln: Diese lassen sich nicht von ihren Vettern und Cousinen in der Natur unterscheiden. Monsanto und andere Biotechkonzerne haben zur Verteufelung der Gentechnik beigetragen. Die Firmen schleusten vor allem Resistenzen gegen Unkrautvernichtungsmittel in ihre Ackergewächse ein um den Bauern dann ihre Unkrautvernichtungsmittel verkaufen zu können. Nun bauen Landwirte zu Agrarsteppen um, was einst Landschaft war, die Artenvielfalt schwindet, Bienen, Schmetterlinge und Vögel rafft es rasant dahin. Viele Ressentiments der Umweltschützer rühren daher; das kann man verstehen. Nicht zu verstehen ist, wenn sie das EuGH-Urteil nun gutheißen, denn es spielt den STEPHAN ZIRWES / F1ONLINE Monopolisten in die Hände. Wenn Crispr-Produkte so streng reguliert werden wie GVO, kostet es ähnlich viel, eine neue Sorte auf den Markt zu bringen: rund 13 Jahre und 136 Millionen Dollar. Start-ups und kleine Saatgutfirmen werden sich das nicht leisten können. Bliebe Crispr unreguliert, hätten sie eine Chance, den großen Konzernen in die Suppe zu spucken. Denn das Verfahren ist betörend einfach, schnell und billig. In China und den USA wird man sich dieser Innovation eifrig bedienen; in Europa fällt der Aufbruch der klugen Biologen nun aus. Es geht nicht in erster Linie um den immer länger haltbaren Apfel, den Antimatschpfirsich, den Vitaminreis. Es geht um trockenresistente Pflanzen, Geschöpfe, die Extremwetter überstehen. Crispr ist eine Methode von unerhörter Eleganz, und sie verspricht die geringsten Nebenwirkungen, seit der Mensch Pflanzen züchtet. Es wäre den Versuch wert, damit Obst, Gemüse und Getreide zu erschaffen, die dem Klimawandel trotzen. Dem wohl größten Pfusch des Menschen an der Schöpfung. Rafaela von Bredow 8 DER SPIEGEL Nr. 31 /

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10 Meinung Markus Feldenkirchen Der gesunde Menschenverstand Der falsche Präsident Es ist nicht verwerflich, wenn einer unbedingt Präsident sein möchte. Klingt ja auch schön:»herr Präsident!«Verständlich ist auch, wenn man endlich mal in Gesellschaft lässiger Leute sein möchte vor allem, wenn einem das Konrad-Adenauer-Stipendiatige chronisch in den Kleidern hängt. Insofern war es nachvollziehbar, dass Reinhard Grindel Präsident des DFB werden wollte. Es ist nur ein Rätsel, warum er es tatsächlich wurde. Dass er wenig Ahnung von Fußball hat, scheint noch das geringste Defizit zu sein. Und auch eine aufgeplusterte Selbstherrlichkeit, gepaart mit Eitelkeit, ist unter DFB-Präsidenten kein neues Phänomen. Da setzt er die Tradition vieler Vorgänger konsequent fort. Wirklich unvereinbar mit dem Präsidentenamt sind Grindels Ansichten. Natürlich kann man in Integrationsfragen ein konservativer Hardliner sein. Man kann sagen:»multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel. Es ist eine Lebenslüge«, so wie Grindel einst im Plenum des Deutschen Bundestags. Man kann auch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und für eine restriktivere Einwanderungspolitik kämpfen. Und man kann natürlich Angela Merkel für ihren berühmten Satz»Wir schaffen das«(das mit der Integration nämlich) kritisieren. Aber man passt Kittihawk dann eben nicht an die Spitze des DFB, unter dessen Dach sich in den rund Vereinen die vielleicht größte Integrationsleistung des Landes vollzieht. Sonst könnte man auch einen Leugner des Klimawandels zum Chef von Greenpeace wählen. Im Umgang mit Mesut Özil hat Grindel nun das Fingerspitzengefühl eines Schaufelradbaggers bewiesen. Im Vergleich war das Spiel der Nationalmannschaft bei der WM geradezu überragend. Rückblickend, erklärte er am Donnerstag, hätte er als Präsident sagen sollen:»jegliche Form rassistischer Anfeindungen ist unerträglich, nicht hinnehmbar und nicht tolerierbar.«hat er aber nicht. Und so steht sein Verband, dem Integration und Antirassismus einst ein Anliegen und dessen Verdienste darum bedeutender waren als der Weltmeistertitel von 2014, vor einem Scherbenhaufen. Damit es keine Missverständnisse gibt: Niemand möchte Grindel die Möglichkeit nehmen, sich auch künftig Präsident nennen zu lassen. Aber bitte schön von einem anderen Verband, in dem sich weniger zerstören lässt und es inhaltlich einfach passt. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wäre eine schöne Alternative. Oder natürlich der Deutsche Schützenbund. An dieser Stelle schreiben Jakob Augstein, Jan Fleischhauer und Markus Feldenkirchen im Wechsel. So gesehen Fox News für alle Wie Donald Trump kontrolliert, was seine Ehefrau erfährt Damit das ein für alle Mal klar ist: Melania Trump schaut»jeden Fernsehsender, den sie will«. Diese ungewöhnliche Erklärung musste die Sprecherin der First Lady diese Woche abgeben. Zuvor war bekannt geworden, dass Donald Trump im Präsidentenflieger einen Tobsuchtsanfall erlitten haben soll. Auf Melania Trumps Fernseher lief CNN ein Sender, den Trump als»fake news«be - zeichnet, weil er Nachrichten bringt, die ihm nicht gefallen. In der Air Force One muss standardmäßig auf allen Geräten Fox News laufen ein Sender, den Trump mag, weil er meist verschweigt, was für ihn unangenehm ist, und Fox den Präsidenten immerzu lobt. Lustig ist das leider nicht. Der Mann, der über den Atomkoffer verfügt, sollte nicht in seiner eigenen Realität leben. Aber Trump hat kaum noch Kontakt zur Außenwelt, in seiner Umgebung gibt es auch immer weniger Leute, die ihm widersprechen. Am Mittwoch verwehrte er einer Journalistin von CNN den Zugang zu einer Pressekonferenz im Weißen Haus, weil sie zuvor eine Frage gestellt hatte, die ihm nicht gefiel. Man kennt ein solches Vorgehen aus Diktaturen. Die einzig positive Nachricht ist, dass Trump jeweils erstaunlich gut darüber informiert ist, wer auf CNN was über ihn gesagt hat, obwohl er den Sender angeblich nie schaut. Es wäre dem Land und der Welt deshalb nur zu wünschen, dass Donald Trump sich manchmal erlaubt, was er seiner Ehefrau verbieten will. Selbst wenn er es heimlich tut. Mathieu von Rohr 10 DER SPIEGEL Nr. 31 /

11 Der neue Ford Focus Innovationen für alle mit dem neuen Ford Focus und der günstigen monatlichen Ford Lease Full-Service-Rate inklusive Wartungs- und Verschleißkosten. 164,99 1 ( 196,34 brutto) netto Abbildung zeigt Wunschausstattung gegen Mehrpreis. Kraftstoffverbrauch (in l/100 km nach 2 Nrn. 5, 6, 6a Pkw-EnVKV in der jeweils geltenden Fassung): Ford Focus Turnier Trend: 6,0 (innerorts), 4,3 (außerorts), 4,9 (kombiniert); CO 2 -Emissionen: 112 g/km (kombiniert). 1 Ford Lease ist ein Angebot der ALD AutoLeasing D GmbH, Nedderfeld 95, Hamburg, für Gewerbekunden (ausgeschlossen sind Großkunden mit Ford Rahmenabkommen sowie gewerbliche Sonderabnehmer wie z. B. Taxi, Fahrschulen, Behörden). Das Ford Lease Full-Service-Paket ist optional für 3,74 netto ( 4,45 brutto) monatlich erhältlich und in der Ford Lease Full-Service-Rate berücksichtigt. Eingeschlossen sind Wartungs- und Inspektionsarbeiten sowie anfallende Verschleißreparaturen in vereinbartem Umfang und ohne Leasing-Sonderzahlung. Bei weiteren Fragen zu Details und Ausschlüssen zu allen Services wenden Sie sich bitte an Ihren Ford Partner. Nur erhältlich im Rahmen eines Ford Lease-Vertrages. Z. B. der Ford Focus Turnier Trend mit 1,0-l-EcoBoost-Motor mit 74 kw (100 PS), 6-Gang-Schaltgetriebe mit Start-Stopp-System, inklusive Metallic-Lackierung, ohne Leasing-Sonderzahlung, bei 36 Monaten Laufzeit und km Gesamtlaufleistung. Leasingrate auf Basis einer UPE von ,98 netto ( ,- brutto), zzgl. Überführungskosten. Details bei allen teilnehmenden Ford Partnern.

12 Deutschland»Ich schäme mich als Bayer.«S.16 ZDF-Sendezentrum in Mainz-Lerchenberg ANDREA ENDERLEIN Cybersicherheit Russische Hacker greifen Sender an ZDF und WDR wurden Anfang Juni offenbar von»sandworm«attackiert. Öffentlich-rechtliche Sender wurden offenbar von russischen Hackern angegriffen. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen sollen die IT-Netzwerke des ZDF und des WDR Anfang Juni von einer Kampagne der Gruppe»Sandworm«betroffen gewesen sein. Obwohl der Angriff früh erkannt wurde, sind womöglich Daten abgeflossen. Der WDR wollte sich aus»sicherheitstechnischen Gründen«dazu nicht äußern. Das ZDF bestätigte den Angriff. Weniger als zehn Rechner seien betroffen gewesen, keine Daten seien abgeflossen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte in seinem jüngsten»cyber-brief«von Angriffen auf deutsche Medienunternehmen berichtet. Auch von Attacken gegen»organisationen im Bereich der Chemiewaffenforschung«war die Rede. Laut Sicherheitskreisen könnte das Labor Spiez betroffen gewesen sein, die schweizerische Fachstelle zum Schutz vor ABC-Angriffen. Das Institut war auch an der Analyse im Fall Skripal mit dem Nervengift Nowitschok beteiligt. Das Labor Spiez teilte mit, ihm sei ein Angriff bekannt, bei dem ein Dokument zu einem vom Labor organisierten Workshop für einen Hack verwendet worden war. Das Institut selbst sei aber nicht Opfer eines Angriffs geworden.»sandworm«ist mutmaßlich eine Hackergruppe des russischen Militärgeheimdienstes GRU und auf Sabotageaktionen spezialisiert. Die US-Bundespolizei FBI geht davon aus, dass dahinter die Einheit steckt, die auch für den Hack auf die US- Demokraten verantwortlich ist. Deutsche Stellen nehmen dagegen an, dass»sandworm«von einer anderen GRU-Einheit gesteuert wird. Der Generalbundesanwalt will im Fall der betroffenen Fernsehsender das nordrhein-westfälische Landeskriminalamt mit den Ermittlungen beauftragen. FIS, JDL, KNO Masterplan»Nicht verhandelbar«in der SPD gibt es immer noch massive Vorbehalte gegen den Masterplan von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Einzelne der 63 Punkte werden in einer internen Einschätzung als»kritisch«oder sogar als»nicht verhandelbar«bezeichnet, zum Beispiel der Vorstoß, Asylbewerber während noch laufender 12 Rechtsmittelverfahren bereits abzuschieben. Diesen Rechtsschutz wollen die parteieigenen Experten nicht antasten lassen. Kritisch sehen sie auch Seehofers Vorschlag,»robust«gesicherte Zentren zur Rückführung von Flüchtlingen in Afrika aufzubauen, oder das Ansinnen, Asylbewerbern in den künftigen Ankerzentren eher Sach- statt Geldleistungen zu gewähren und ihnen eine deutlich engere Residenzpflicht als bisher aufzuerlegen. Man wolle Asylbewerber nicht gängeln, heißt es aus sozialdemokratischen Kreisen. Bedenken haben die SPD-Experten zudem bei dem Vorschlag, beschleunigte Verfahren durchzuführen, wenn Asyl - bewerber ihre Identität nicht nachweisen können. Es gebe auch nachvollziehbare Gründe, wenn Flüchtlinge keinen Pass besäßen, man könne sie nicht unter Generalverdacht stellen. Der Vorschlag sei abzulehnen. KNO DER SPIEGEL Nr. 31 /

13 Gesundheit»Mensch als Ente«Die Professorin Christiane Höller, 61, Hygieneexpertin und Vorsitzende der nationalen Schwimm- und Badebeckenwasserkommission, zum Baden in natürlichen Gewässern SPIEGEL: Die Temperaturen steigen, Meer, Seen und Flüsse verheißen Badespaß für lau. Haben Sie als Medizinerin Bedenken? Höller: Nein, solange Sie ausgewiesene Badestellen nutzen. In manche Seen oder Flüsse werden Abwässer eingeleitet, deshalb empfiehlt es sich nicht, einfach überall hineinzuspringen. SPIEGEL: An der Ostsee starb am ver - gangenen Wochenende ein Mann an den Folgen einer Infektion mit Bakterien der Gattung Vibrio vulnificus. Der 70-Jährige war allerdings chronisch vorerkrankt. Trotzdem: Wird das Meerwasser zu warm? Höller: Vibrionen sind normale Umweltbakterien, die vor allem im Brackwasser vorkommen können. In seltenen Fällen können sie Erkrankungen hervorrufen, anfällig sind ältere Personen mit deutlich abgeschwächter Immunabwehr und Menschen mit offenen Wunden. Wer nicht krank oder verletzt ist, kann also in der Ostsee baden. SPIEGEL: Blaualgen können in den Seen sehr plötzlich aufblühen und das Wasser vergiften. Sieht man das? Höller: Ja. Die Blaualgen schwimmen hoch, und auf dem Wasser bildet sich eine Art grünlicher Rasen. Nur diese kurze Blütezeit gilt es zu vermeiden. Wenn man sich nicht sicher ist, gibt es einen Trick: Man geht bis zu den Knien ins Wasser. Wenn man die Füße nicht sieht, soll man nicht weitergehen. SPIEGEL: Eklig klingen auch die Larven von Saugwürmern, die sich in manchen Seen gerade vermehren. Höller: Diese Zerkarien sehen den Menschen als Ente an. Wasserschnecken setzen die Larven frei, und die bewegen sich dann zum Licht und zu bewegten Objekten hin, etwa Beinen. Der Mensch ist für sie ein Fehlwirt; die Larven rufen nur allergische, juckende Reaktionen auf der Haut hervor, nichts Schlimmes. Man kann mit Zerkarien befallene Seen meiden oder sich direkt nach dem Baden abduschen. SPIEGEL: Warum sammeln sich Bakterien an den Gewässerrändern? Höller: Bakterien mögen Nährstoffe, und die sammeln sich an Grenzen an, etwa zwischen Festem und Flüssigem. Deshalb sitzen Bakterien auf Sandpartikeln am Boden. Im Flachen, wo Kinder spielen, werden die Sedimente aufgewirbelt und die Bakterienfracht ans Wasser abgegeben. UV-Strahlen töten aber viele Bakterien, an sonnigen Uferabschnitten ist das Wasser daher meist gut. Ansonsten: nicht gleich am Rand mit dem Kopf untertauchen. AB FELIX KÄSTLE / DPA Altersversorgung Mehr Rente für Adoptivmütter In ihrem neuen Rentenpaket bessert die Bundesregierung eine umstrittene Regelung der vergangenen Legislaturperiode nach: Künftig sollen mehr Adoptiveltern von Aufschlägen bei der Mütterrente profitieren. Das geht aus dem ersten Entwurf für das neue Gesetz hervor, den Bundes - arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgelegt hat. Bei der 2014 eingeführten Erhöhung der Rente für Mütter, deren Kinder vor1992geborenwurden,wareingroß - teil der Adoptiveltern leer ausgegangen (SPIEGEL 1/2015). Schuld ist eine Pauschalregel, die den Rentenzuschlag bisher nur jener Person zugesteht, die das Kind in seinem zwölften Lebensmonat erzogen hat. Da bei den meisten Adoptionen Kinder vermittelt werden, die mehr als ein Jahr alt sind, erhielten Tausende Adoptivmütter keinen Zuschlag. Dieser Passus wird nun korrigiert. Betroffene Adoptiveltern sollen unter bestimmten Voraussetzungen ein»besonderes Antragsrecht«erhalten, wie es im Referentenentwurf heißt. Der Haken: Weil die Voraussetzungen kompliziert sind, werden nicht alle Adoptiveltern profitieren. Der Sozialverband VdK begrüßt dennoch die Korrektur.»Die derzeitige Regelung führt zu Benachteiligung bei Adoptionen«, heißt es in einer VdK-Stellungnahme zum Entwurf. COS CDU Thüringen Undichte Stelle Thüringens CDU-Chef und Fraktionsvorsitzender Mike Mohring hat möglicherweise von einer undichten Stelle im Landtag profitiert. Vergangene Woche hatte der Justizausschuss des Parlaments die Immunität des Abgeordneten aufgehoben; die Staatsanwaltschaft Gera kann nun wegen Verdachts der Steuerhinterziehung gegen Mohring ermitteln. Hintergrund war offenbar eine ausstehende Steuererklärung aus dem Jahr Inzwischen beschäftigen auch die Vorgänge rund um die streng vertrauliche Ausschusssitzung in der vergangenen Woche die Justiz. Die Ermittler hatten zuvor die Parlamentarier ausdrücklich um Verschwiegenheit in der Causa gebeten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Einen Tag nach dieser Bitte, an einem Samstag, reichte Mohring jedoch Mohring MARTIN SCHUTT / DPA überraschend die strittige Steuererklärung beim Finanzamt Jena ein. Per Mail unterrichtete er den Ausschuss davon und begründete seine Post mit den Worten:»Dem Vernehmen nach bittet die Staatsanwaltschaft um Aufhebung meiner Immunität.«Es solle doch geprüft werden, ob sich das Ansinnen der Ermittler nun nicht erledigt habe. Woher Mohring seine Informationen über die Sitzung und den Justizvorgang hatte, ist unklar. Der CDU-Chef ist im Urlaub derzeit unerreichbar; eine Steuerhinterziehung hat er stets bestritten. In dem betroffenen Ausschuss stellt die CDU mit vier Abgeordneten die meisten Mitglieder. Drei Linken-Abgeordnete haben Strafanzeige wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen gestellt. STW 13

14 Umwelt Ansturm auf Elektrobusse Mittelmeer Ermittlungen gegen deutsche Flüchtlingsretter Die Bundesregierung gerät in Verlegenheit, weil Verkehrsbetriebe deutlich mehr Elektrobusse anschaffen möchten, als Fördermittel zur Verfügung stehen. Rund tausend strombetriebene Busse wollen die Kommunen kaufen, um die Schadstoffbelastung zu senken und Fahrverbote zu verhindern. Das ist auch ausdrücklich von der Bundesregierung so gewünscht: Vor genau einem Jahr versprach sie auf dem Dieselgipfel unbürokratische Hilfe. Das»Sofortprogramm Saubere Luft «sieht aber nur 92 Millionen Euro für 250 Elektrobusse vor. Etwa 400 Millionen Euro würden jetzt aber benötigt. Ob die Bundesregierung Geld nachschießt, ist unklar. Das Bundesumweltministerium befürwortet dies, aber im Bundesverkehrsministe - rium gibt es Bedenken, und das liegt an einem peinlichen Umstand: Deutsche Hersteller können dieses Jahr noch keine Modelle anbieten. Die Ministerialen in Berlin befürchten, dass es bei der Verteilung der Förderbescheide zu peinlichen Szenen für hiesige Firmen kommen könnte, etwa wenn leistungsfähige E-Busse aus China mit deutschem Steuergeld angeschafft würden. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) appelliert deshalb an die deutsche Autoindustrie, mehr E-Busse anzubieten.»ich will hier doch kein Förderprogramm für den asiatischen Wirtschaftsraum auflegen«, so Scheuer. GT Italien verschärft seinen Kampf gegen private Seenotretter. Die Staatsanwaltschaft im sizilianischen Trapani hat Ermittlungen gegen mehr als 20 Helfer wegen des Verdachts der Unterstützung illegaler Migration nach Italien aufgenommen. Unter den Betroffenen sind die Organisationen»Ärzte ohne Grenzen«und»Save the Children«. Zehn der Beschuldigten waren Crewmitglieder des Rettungsschiffs»Iuventa«des Berliner Vereins»Jugend rettet«. Es war bereits vor knapp einem Jahr von den italienischen Behörden auf Grundlage zweifelhafter Belege beschlagnahmt worden (SPIEGEL 4/2018). Das Schiff hatte viele Monate lang Tausende Flüchtlinge aufgenommen, die im Mittelmeer in Seenot geraten waren, und an andere Schiffe übergeben, die sie nach Italien brachten. Die Ermittler in Trapani verdächtigen die Retter, mit libyschen Schleusern zusammengearbeitet zu haben. Ein paar Wochen vor Aufnahme der Verfahren in Trapani hatte allerdings die Staatsanwaltschaft in Palermo beantragt, Ermittlungen zu Rettungsaktionen im Mittelmeer einzustellen. Es gebe»keinerlei Beweise«für eine Zusammenarbeit zwischen Hilfsorganisationen und Schleusern.»Jugend rettet«verurteilt den erneuten Versuch, die Lebensretter zu kriminalisieren. KNO, WAS»Iuventa«vor Libyen SVEN DARMER / DAVIDS STEFANO RELLANDINI / REUTERS Deutscher Fußball-Bund Abgekartetes Spiel In der Affäre um die flächendeckende Übertragung von Amateurfußballspielen im Internet ist eine verdächtige Mail aufgetaucht. Sie verstärkt den Eindruckt eines abgekarteten Spiels zugunsten der Firma Sporttotal tv., die die Fußballplätze mit vollautomatischen Kameras ausstattet und von einem Schulfreund des DFB-Generalsekretärs Friedrich Curtius geleitet wird (SPIEGEL 23/2018). Die Mail stammt von einer DFB-Mitarbeiterin, die im September 2017 für Curtius ein Antwortschreiben entwerfen sollte. Damit wollte der Generalsekretär auf einen Brief des Sporttotal-Konkurrenten Soccerwatch tv. reagieren. Der hatte gebeten, sein Kamerasystem vorstellen zu Curtius dürfen auch wenn der DFB bereits kurz zuvor, ohne Ausschreibung, Sporttotal für zehn Jahre exklusiv seine Unterstützung zugesichert hatte. In der Mail heißt es dazu:»fcu (Friedrich Curtius Red.) wünscht eine Absage, keine Präsentation«. Allerdings würden derzeit Vereine von»soccerwatch mit attraktiveren Angeboten angegangen und verunsichert«. Deshalb sei es»heikel, eine Präsentation generell abzulehnen«. Stattdessen empfiehlt die Mitarbeiterin ein nur scheinbar ergebnisoffenes Vorgehen:»Vorerst keine Absage«an Soccerwatch.»Wir bereiten im Hintergrund einen Pitch (einen Wettbewerb Red.) vor«, dessen»ergebnis«so lauten müsse:»alles richtig gemacht mit Sporttotal.«Damit, so die Mail,»wäre auch der gesamte Entscheidungsprozess geheilt«. Alternativ könne man versuchen, das Problem dadurch zu lösen, dass Soccerwatch von Sporttotal gekauft oder am Geschäft beteiligt werde. Der DFB teilt mit, Generalsekretär Curtius habe die Mail nicht gekannt. Im Übrigen habe er die zuständigen Gremien stets über seine Freundschaft zum Sporttotal-Chef informiert. Später habe sogar ein Gespräch mit Soccerwatch stattgefunden. Erst kürzlich habe der Saarländische Fußballverband eine Kooperation mit dem Sporttotal-Konkurrenten vereinbart. IT MALTE OSSOWSKI / SVEN SIMON 14 DER SPIEGEL Nr. 31 /

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16 Titel Besorgte Bürger Integration Rechte Scharfmacher haben den Diskurs verändert. Eine Mehrheit schaute lange befremdet zu. Özils Rücktritt aus der Nationalelf könnte nun eine Wende einleiten mit einer Debatte über gesellschaftlichen Zusammenhalt. G eisenhausen ist ein Dorf in Niederbayern, ein tiefschwarzes Nest. Hier setzte sich der Rentner Karl Meyer vergangenen Sonntag mit Wut im Bauch in den Zug nach München.»Kruzifix«hatte er auf das Protestschild in seiner Hand gepinselt. Unter den bayerischen Fluch hatte er ein Boot gezeichnet, auf dem»christlich Soziale Unmenschlichkeit«stand und an dessen Rand sich Strichmännchen klammerten. Meyer, 67 Jahre alt, gelernter Heizungsbauer, wollte in der Landeshauptstadt demonstrieren: gegen»den Nationalismus, der so viel Unheil in die Welt gebracht hat«, und gegen die Volksvertreter der CSU, von denen er sich nicht mehr vertreten fühlt.»ich stehe für ein anderes Land«, sagt Meyer. Sein Dialekt verrate ihn zwar als Einwohner des Freistaats, aber derzeit versuche er, seine Herkunft zu verschweigen.»ich schäme mich als Bayer«, sagt er. Beinahe eine Woche ist seit der Demonstration vergangen, die Republik hat sich schnell anderen Themen zugewandt, der Rücktritt von Mesut Özil aus der Nationalmannschaft beherrscht die Schlagzeilen. Aber Karl Meyer kann die Demonstration mehrerer Zehntausend Menschen nicht so schnell vergessen, es ist ja auch erst die zweite in seinem Leben, zuvor hatte er nur einmal protestiert, gegen ein Atomkraftwerk in der Nähe seines Dorfes. Jetzt sitzt er wieder in Geisenhausen und blickt mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Zorn nach München und Berlin: Er liest in seiner Heimatzeitung, dass die Wirtschaft 2017 um 2,2 Prozent gewachsen ist und die Arbeitslosenzahl im Juni so niedrig war wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Und trotzdem dieser Hass. Er versteht das nicht. Rechte Scharfmacher prägen den Diskurs in Deutschland. Sie wollen Mitbürger nach Anatolien»entsorgen«oder eine»konservative Revolution«herbeiführen. Ihnen gegenüber stehen radikale Linke, die, wie einzelne Demonstranten am Sonntag in München, ein»viertes Reich«kurz vor der Machtübernahme sehen. Außen vor bleiben die vielen Menschen in der Mitte der Gesellschaft, die die Aggression in der Debatte kaum mehr nachvollziehen können. Ihr gehören Menschen mit und ohne Migrationshintergrund an, Einwandererkinder der dritten Generation, die selbstverständlich integriert sind, aber nun fragen, ob sie in diesem Land wirklich gewollt sind, Flüchtlingshelfer, die den Eindruck haben, sich für ihr Engagement rechtfertigen zu müssen, Wähler konservativer Parteien, die die Polarisierung leid sind. Und hohe Repräsentanten des Staates, die sich Sorgen ums Gemeinwesen machen, wie Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, der eine»inakzeptable«rhetorik führender CSU-Politiker beklagt.»unsere Kunst in der Union war es immer, mehrere Richtungen zusammenzuhalten. Das ist uns im Streit entglitten in den letzten Wochen«, sagt Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (siehe Seite 40). Eine große Mehrheit der Deutschen zeigt sich besorgt. Laut einer Umfrage, die der SPIEGEL vor einigen Tagen in Auftrag gegeben hat, beklagen mehr als zwei Drittel der Bürger eine Verrohung in der politischen Debatte. Ebenso viele Befragte stellen einen Rechtsruck in der Politik fest. Die Verunsicherung ist überall im Land zu spüren in Familien, wo sich Eltern und Kinder über Asylpolitik zerstreiten, in Schulen, die mit Antisemitismus und Rassismus kämpfen, in bayerischen Amtsstuben, wo das Kreuz neuerdings als Symbol für Leitkultur herhalten muss. Mit der Diskussion um Mesut Özil ist die Verunsicherung noch ein Stück größer geworden.»ich bin Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ich bin ein Immigrant, wenn wir verlieren«, hatte der Profifußballer am vergangenen Sonntag geschrieben. In wenigen Tagen ist er zu einer Projektionsfläche geworden: ein verwöhnter Millionär und Autokratenfreund für die einen; ein Opfer von Ressentiments für die anderen. Die meisten Bürger sehen Özil inzwischen kritisch. 58 Prozent nehmen ihm laut SPIEGEL-Umfrage nicht ab, respektlos und rassistisch behandelt worden zu 16

17 ROBERT HAAS / SZ PHOTO»Ausgehetzt«-Demonstration in München:»Ich stehe für ein anderes Land«DER SPIEGEL Nr. 31 /

18 Titel sein. Und nur 27 Prozent bedauern seinen Rückzug aus der Nationalelf. Aber Özils Rücktritt ist nur der Anlass für eine notwendige Debatte, in der es um Ausgrenzung und gesellschaftlichen Zusammenhalt geht. Seitdem in den Fünfziger- und Sechzigerjahren die ersten Arbeiter aus Italien und der Türkei kamen, diskutiert die Bundesrepublik, ob sie ein Einwanderungsland ist. Spätestens mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000, die hier geborenen Kindern ausländischer Eltern einen deutschen Pass ermöglichte, schien die Frage mit Ja beantwortet. Und nun? Die Kränkung und der Frust, die aus Özils Rücktrittserklärung sprechen, sind vielen Menschen ausländischer Herkunft vertraut. Einwandererkinder müssen nach wie vor erfahren, dass sie in der Schule, bei der Wohnungssuche und auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden. Hinzu kommt, dass mit dem fortwährenden Streit um die Flüchtlingspolitik Abwehrreflexe gegenüber Migranten eher zu- als abgenommen haben. Es gibt eine doppelte Entfremdung: Mi - granten entfremden sich von Deutschland, weil sich ein Teil Deutschlands von Mi - granten entfremdet hat. Gerd Thomas engagiert sich seit 15 Jahren beim FC Internationale Berlin, erst als Trainer, jetzt als Vorstandsvorsitzender. Auf den Mannschaftstrikots prangt keine Werbung, sondern der Slogan:»No Racism«. Im Verein finden sich Menschen mit Wurzeln aus mehr als 70 Ländern.»Sport hat eine integrative Kraft, bringt Leute zusammen und hilft, Konflikte zu lösen«, sagt Thomas. So sollte es jedenfalls im Idealfall sein. Aber selbst in seinem Umfeld beobachtet er, wie sich die Dinge schleichend verändern. Wie die Sprache im alltäglichen Miteinander verroht.»auf allen Kanälen«, so sagt er.»was in der U- Bahn und auf dem Schulhof passiert, kommt eben auch in die Sportvereine.«Die Rechte ist dabei, Denkmuster und Begriffe zu etablieren, die vor Kurzem noch geächtet waren. In den Talkshows wird mehr und mehr über Muslime als Bedrohung gesprochen, es geht um»asyltourismus«und eine vermeintliche»anti- Abschiebe-Industrie«. Wenn in Dresden, wie neulich, Pegida-Demonstranten skandieren, Flüchtlinge sollten»absaufen«, sorgt das kaum noch für Empörung. Stimmen aus der Mitte der Gesellschaft hingegen gingen im medialen Diskurs unter. Immerhin: Selbst die CSU-Scharfmacher haben das Problem nun erkannt. Sie beteuern, ihre Sprache künftig mäßigen zu wollen. Das Schlagwort von den»besorgten Bürgern«bezog sich fast ausschließlich auf jene, die Ressentiments gegen Fremde haben und sich konsequent abschotten 18 wollen. Dabei sind auch andere Bürger besorgt, um Werte wie Solidarität, Weltoffenheit und die zuweilen maßlos diskreditierte Willkommenskultur. Karl-Heinz Höflich, 62 Jahre alt, sieht sich mit einiger Berechtigung als Mann jener Mitte, über die in Berlin gerade ständig geredet wird: Er ist Büroleiter in einem Forstamt, Großvater, CDU-Mitglied, Katholik, Vorsitzender des Pfarrgemeinderats in Rückers, einem 1900-Einwohner- Dorf bei Fulda in Osthessen. Seit einiger Zeit hat er jedoch das Gefühl, dass viele Politiker gar nicht mehr Menschen wie ihn im Kopf haben, wenn sie»bürgerliche Mitte«sagen. Sondern dass sie über ganz andere Menschen sprechen: jene, die einfach nur viel lauter sind als er, die in sozialen Netzwerken über»die Asylanten«schimpfen.»Es tut weh zu sehen, wie dieser Popu - lismus um sich greift«, sagt er. Als 2016 in der Nachbarschaft Asylbewerber einzogen, war Höflich sofort bereit zu helfen. Als Christ, aber auch, weil er neugierig war auf die Menschen. Er hörte sich ihre Geschichten an, organisierte mit anderen Bürgern den Helferkreis»Rückers Aktiv«. Sie luden die Flüchtlinge zum Pfarrfest ein und die Einheimischen zu einem Begegnungstag, an dem Asylbewerber Gerichte aus ihrer Heimat kochten. Höflich hat in dieser Zeit»viele gute Erfahrungen«gemacht. Er hat einem jungen Umfrage»In München protestierten unter dem Motto ausgehetzt viele Menschen gegen eine Verrohung in der politischen Debatte und gegen Hass und Ausgrenzung. Gibt es eine solche Verrohung?«Ja, gibt es. 68% 67% Ja, gibt es. Nein, gibt es nicht. 27% Nein, gibt es nicht. 21%»Gibt es aktuell einen Rechtsruck in der deutschen Politik?«Kantar Public für den SPIEGEL am 24. und 25. Juli, 1047 Befragte; an 100 fehlende Prozent:»weiß nicht«/ keine Angabe Afghanen geholfen, sich durch Behörden, Sprachkurs und Ausbildung zu kämpfen. In der»großen Politik«aber, in Berlin, gehe es kaum noch um die Frage, wie man Neuankömmlingen die Integration erleichtern könne.»stattdessen wird fast nur noch über Kriminalität, Missbrauch, Abschottung gesprochen«, sagt Höflich. Vor allem die AfD habe den Ton verschärft. Aber auch seine eigene Partei, die CDU, lasse sich zu oft von Populisten treiben, klagt er. Das färbe auf Teile der Bevölkerung ab. Manche Helfer müssten sich schon vor Bekannten dafür rechtfertigen, dass sie Asylbewerber unterstützten.»unsäglich«findet das Höflich. Die Hilfe für Flüchtlinge ist nach dem Willkommenssommer bundesweit zurückgegangen. Sie ist jedoch nicht erodiert, wie die Debatten der vergangenen Wochen vermuten lassen würden. Laut einer Allensbach-Studie für das Bundesfamilienministerium engagiert sich noch immer ein Fünftel der Deutschen in der Flüchtlingshilfe; manche spenden, andere helfen aktiv, etwa durch Sprachunterricht. Seit 2015 haben sich laut Allensbach insgesamt 55 Prozent der Bevölkerung ab 16 Jahren in irgendeiner Form engagiert.»die aufgeheizten Debatten der letzten Wochen machen mir große Sorgen«, sagt Antje von Dewitz. Es gehe nur noch um Ängste und kaum mehr um die Chancen der Migration für Deutschland. Dewitz, 45, ist Chefin des Outdoor-Ausrüsters Vaude. In ihrer Firma in Tettnang am Bodensee arbeiten zwölf Geflüchtete, sie kommen aus Afghanistan, Syrien oder Nigeria. Sie fertigen Radtaschen oder nähen in der Reparaturwerkstatt Zelte, einer ist Azubi als Industriekaufmann. Sie habe damals, in der Hochphase der Flüchtlingskrise, zuerst aus einem Verantwortungsgefühl heraus gehandelt, sagt Dewitz. Kurz darauf suchte das Unternehmen Arbeitskräfte für die neue Manufaktur, vor allem Näher und Schweißer waren schwer zu finden. Beim Tag der offenen Tür kamen um die hundert Geflüchtete alle wollten einen Job. Für die neuen Mitarbeiter organisierte das Unternehmen Deutschstunden, half bei Behördengängen und der Wohnungssuche. Integration, sagt Dewitz, bedeute Aufwand, auch in der Belegschaft gab es manche Ängste. Inzwischen aber seien die Neuen zu einem wichtigen Bestandteil der Firma geworden. Das Problem ist nur: Bei der Hälfte der zwölf neuen Mitarbeiter wurde inzwischen der Asylantrag abgelehnt, ihnen droht die Abschiebung. Das wäre aus Dewitz Sicht nicht nur ein menschliches Drama, sondern auch ein wirtschaftliches Fiasko. Eine Viertelmillion Euro Umsatzschaden würde dadurch entstehen, hat Vaude ausgerechnet.

19 DER SPIEGEL Nr. 31 / Firmenchefin Dewitz, Mitarbeiter:»Aus lauter Angst droht Stillstand«Dewitz und über 100 weitere Unternehmen haben eine Initiative gegründet, die sich für ein Bleiberecht für Migranten einsetzt, die einen festen Arbeitsplatz haben. Sie hat einen Brief an die Kanzlerin geschrieben, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekam beim Firmenbesuch zu hören:»ihr könnt doch unsere Kollegen nicht abschieben.«die Firmenchefin weiß, dass die Asylgesetze nicht dafür gedacht sind, Fachkräfte ins Land zu holen. Und dass nicht jeder, der es nach Deutschland schafft, bleiben kann. Aber solange es hierzulande kein echtes Einwanderungsgesetz gebe, könne man doch eine Übergangsregelung finden, sagt sie. Ganz pragmatisch.»die Politik ist derzeit beherrscht von Ängsten und dadurch nicht mehr in der Lage zu gestalten«, sagt Dewitz.»Aus lauter Angst droht Stillstand.«Auch Manager großer Konzerne sehen den Rechtsruck mit Sorge. Wenige jedoch wagen, wie Siemens-Chef Joe Kaeser, sich öffentlich in die Debatte einzuschalten. Als die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel im Bundestag von»kopftuchmädchen«und»messermännern«sprach, entgegnete Kaeser auf Twitter:»Lieber Kopftuch-Mädel als Bund Deutscher Mädel. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Haupt-Quelle des deutschen Wohlstands liegt.«kaeser regte bei einigen Dax-Kollegen eine Initiative gegen Rechtspopulismus an, fand jedoch kaum Unterstützer, wie er im Juli bei einem Empfang des Clubs Wirtschaftspresse in München verriet. Der Vorsitzende eines Autokonzerns habe ihm gegenüber die Befürchtung geäußert, weniger Fahrzeuge zu verkaufen, sollte er sich gegen die AfD stellen. Kaeser wurde nach seinem Tweet heftig attackiert, er und seine Familie erhielten Drohungen in den sozialen Netzwerken. Dies dürfe jedoch kein Grund sein, zu Rassenhass zu schweigen. In München zog Kaeser einen Vergleich zur Nazizeit. Auch damals hätten zu viele Menschen geschwiegen. Sein Onkel sei im Konzentrationslager Dachau ermordet worden, weil er sich geweigert hatte, der Hitlerjugend beizutreten.»vielleicht muss man doch wieder den Anfängen wehren.«kaeser ist der Vorstandsvorsitzende von Deutschlands größtem Industrie- und Technologiekonzern. Wenn ein Mann wie er Parallelen zwischen der Bundesrepublik und dem Nationalsozialismus zieht, muss etwas ins Wanken geraten sein. Dabei schien Deutschland lange Zeit auf einem anderen Weg zu sein. Bundeskanzler Gerhard Schröder führte ein Zuwanderungsgesetz ein, das die Integration erstmals zur Aufgabe des Bundes machte. Unter Angela Merkel wurden die Islamkonferenz gegründet, die Hürden für den Zuzug von Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten gesenkt, gut integrierten Jugendlichen und später auch Langzeitgeduldeten wurde ein Bleiberecht ermöglicht.»in den rund anderthalb Jahrzehnten seit der Jahrhundertwende wurde in Sachen Migrations- und Integrationspolitik mehr gestaltet als in den vier Jahrzehnten zuvor«, bilanzierte der Migrationsforscher Klaus Bade. Gruppen wie die»deukische Generation«, ein Zusammenschluss von türkischstämmigen Jugendlichen, sorgten dafür, dass Menschen mit Migrationshintergrund in der Öffentlichkeit sichtbarer wurden. Mit Mesut Özil, einem Enkel türkischer Gastarbeiter, geboren und aufgewachsen in Gelsenkirchen, Nationalspieler, Weltmeister, hatte das bunte Deutschland einen Posterboy wurde ihm der»integrations«-bambi verliehen. Das neue deutsche»wir«wird nun mehr denn je von rechts herausgefordert. Bis zum Anstieg der Flüchtlingszahlen 2015 hatte die Politik vor allem mit der Frage zu tun, wie Fachkräfte am besten nach Deutschland gelockt werden können. Nun muss das Land plötzlich eine Million Neuankömmlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak integrieren. Zunächst sah es so aus, als würde Deutschland den Stresstest bestehen (»Wir schaffen das«). Da Merkel jedoch nicht erklärte, wie, hat sie es der AfD leicht gemacht, das Thema zu kapern. Inzwischen hat sich die Stimmung verdüstert. Merkel hat ihre liberale Asylpolitik aus dem Spätsommer 2015 fast ins Gegenteil verkehrt, auch wenn sie das nicht öffentlich eingesteht. Der Wunsch, sich abzuschotten, führt dazu, dass Deutschland bis heute kein Einwanderungsgesetz verabschiedet hat, das den Zuzug von Arbeitsmigranten einheitlich regelt. Er führt auch dazu, dass die Europäer mit Despoten wie Erdoğan zusammenarbeiten, die mittelfristig selbst Menschen zur Flucht zwingen, und mit Ländern wie Libyen, wo Flüchtlinge unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt sind. Migranten haben wieder häufiger als früher das Gefühl, sich für ihr Deutschsein rechtfertigen zu müssen (siehe Seite 20). Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, Tochter palästinensischer Flüchtlinge, schrieb auf Twitter:»Werden wir jemals dazugehören? Meine Zweifel werden täglich größer.«für Demokratiefeinde wie Erdoğan sind solche Identitätskrisen eine Gelegenheit, Gesellschaften von außen weiter zu spalten. Erdoğan rief Özil inzwischen an und lobte ihn für seine»nationale und patriotische«haltung.»ich küsse seine Augen.«Als ernst zu nehmender Kämpfer gegen Vorurteile hätte Özil spätestens jetzt weitere Botschaften folgen lassen können, mit dem Hinweis auf die Demokratiedefizite der Türkei. Er tat es nicht. In Deutschland könnte sein Rücktritt trotzdem eine Art heilsamen Schock bedeuten. Sollte Özil mit seinem Statement eine nachhaltige Debatte über Rassismus und gesellschaftlichen Zusammenhalt in Gang setzen, er hätte damit dem Land einen größeren Dienst erwiesen als mit all seinen Toren. Matthias Bartsch, Maik Baumgärtner, Anna Clauß, Georg Diez, Maximilian Popp, Wolf Wiedmann-Schmidt 19 NICOLE MASKUS-TRIPPEL / DER SPIEGEL

20 Titel Baydar JASON HARRELL / BREUEL-BILD Deutsch auf Bewährung Debatten Die Affäre um Mesut Özil steht in der Tradition ausländerfeindlicher Tendenzen in Deutschland. Sarrazin,»Dönermorde«, AfD,»Der Islam gehört nicht zu Deutschland«. Was macht das mit Menschen, die jahrzehntelang für eine offene Gesellschaft gekämpft haben? S ie sind selbst als»türkenschlampen«beschimpft worden, als»araberpack«oder als»ewige Ausländer«. Früher in der Schule wurde ihnen der Kopf nach Läusen abgesucht, das Tuch vom Kopf gerissen. Als Erwachsene wurden sie gefragt, warum sie nicht in ihrem Land arbeiten, wann denn ihr Rückflug gehe. Sie sind Frauen und Männer, geboren oder aufgewachsen in Deutschland. Sie haben Diskriminierung oft schon als Kinder erlebt, und sie haben sich seit Jahren dafür eingesetzt, Fremdenfeindlichkeit in diesem Land zu bekämpfen. Sie sind Beraterinnen und Künstler, Publizistinnen und Poli - tiker, sie waren Staatssekretäre, sind Aktivistinnen. Sie kümmern sich um Kinder von Migranten und um Deutsche, sie streiten und diskutieren mit ihnen, gründen Vereine, engagieren 20 sich in Parteien, schreiben Bücher über Integration oder machen sich über kulturelle Anpassungsprobleme lustig. Sie vermitteln, unterhalten, provozieren und geben so Millionen Menschen eine Stimme. Sie sind, in ihrer jeweiligen Rolle, Mutmacher und Hoffnungsträger. Aber nicht erst seit dieser Woche spüren viele von ihnen ein neues oder ganz altes, längst überwunden geglaubtes Gefühl der Angst, der Wut oder der Lähmung. Was mit Sarrazin begann und jetzt bei Özil ankam, nimmt ihnen das Vertrauen in Deutschland. Warum?»Eine Art Enthemmung«Michel Abdollahi, 37, Künstler und Autor der Videokolumne»Der deutsche Schäferhund«beim Westdeutschen Rundfunk. SPIEGEL: Fühlen Sie sich in Deutschland noch zu Hause? Abdollahi: Es ist normalerweise nicht so, dass ich dasitze und mir denke: Was bin ich fremd in diesem Land. Bis dann wieder eine kommt oder ein Tweet oder ein Kommentar auf der Straße. Immer, wenn es heißt:»warum machen Sie Ihre Arbeit nicht in Ihrem Land?«,»Was maßen Sie sich an, über uns Deutsche zu urteilen?«als ich einmal mit meinem Schild»Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?«auf dem Hamburger Jungfernstieg stand, fragten mich viele, wann mein Rückflug geht. SPIEGEL: Hat Deutschland ein Problem mit seinen Dazugezogenen? Abdollahi: Die aktuelle Debatte um Mesut Özil hat auf unsägliche Art und Weise

21 Küçük Polak hervorgebracht, was sehr viele Ausländer und Migranten schon immer gesagt und gespürt haben. In diesen Tagen ist besonders schön zu beobachten, wie der weiße Deutsche dem vermeintlichen»ausländer«erklärt, was Rassismus ist und was nicht. Man solle sich nicht so anstellen. Man sei selbst schuld. Man dürfe sich auch nicht wundern. Das sind nur einige Sätze, die mich in den vergangenen Tagen erreicht haben. Es geht hier gar nicht um die»bösen Deutschen«. Es geht um diejenigen, die meinen, man werde ja wohl auch noch sagen dürfen, dass Schwarze stinken und Araber klauen. Und wer das ausspricht, der ist mutig. Diese Art von Enthemmung können Sie weltweit beobachten. Rechtsnationale Bewegungen sind jetzt in Deutschland kein Tabu mehr. Es ist eine fragwürdige Befreiung für all jene, die der Meinung sind, dass es»jetzt mal reicht mit Drittem Reich und Schuld - frage«. SPIEGEL: Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit Sie sich in Deutschland wieder weniger fremd fühlen würden? Abdollahi: Ich müsste nach Iran zurückziehen, um mir dann dort anzuhören, dass ich Deutscher sei. DER SPIEGEL Nr. 31 / DANIEL JOSEFSOHN»Wir sind die vielen«sinem Tașkın, 35, hat den ehemaligen Bundespräsidenten Gauck in Integra - tionsfragen beraten, arbeitete am In - ternationalen Strafgerichtshof und im Deutschen Bundestag, leitet heute das Per sönliche Büro der Hessischen Umwelt ministerin.»vieles, was ich in letzter Zeit lese, höre und sehe, stimmt nicht mehr überein mit meinem Deutschland. Die Morde des NSU, der Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag, Gaulands Warnung am Wahlabend Wir werden sie jagen! oder Beatrix von Storchs Forderung, auf Mi - granten an der Grenze zu schießen. Ich beobachte mit Sorge an mir selbst, dass ein Prozess der Entfremdung eintritt. Das erste einschneidende Erlebnis auf diesem Weg spielt für mich im Jahr 2010, da bin ich nach mehreren Jahren im Ausland nach Berlin gezogen. Ich bin faktisch von den Vereinten Nationen im Deutschland Sarrazins gelandet. Im Ausland war meine Multikulturalität ein asset, zurück in Deutschland: ein Manko. Damals habe ich für ein neues deutsches Wir gekämpft, jetzt fange ich selbst an, Grenzen zu ziehen. Wir, das sind die Verfechter einer offenen JESCO DENZEL / LAIF Spielhaus DTS-NACHRICHTENAGENTUR Gesellschaft. Die, das sind die Nationalisten und Populisten. Leider habe ich den Eindruck, dass Letztere lauter, stärker und organisierter sind. Sie bestimmen die Debatte. Und im Jahr 2018 tritt ein deutscher Nationalspieler wegen Rassismus zurück. In einem Land, in dem Deutsche mit Einwanderungsgeschichte sich das Deutschsein erst verdienen müssen. Sie müssen die besseren Deutschen sein, dürfen keinen Fehler machen, ansonsten wird ihnen die Zugehörigkeit entzogen. Deutsch auf Bewährung. Deutschland bleibt mein Land, aber für mein klares Bekenntnis erwarte ich jetzt ein klares Gegenbekenntnis. Wie sagt man so schön? Integration ist keine Einbahnstraße. Ich möchte einen Aufstand der Anständigen. Wir sind die vielen. Es darf keine zärtliche Umarmung der AfD-Wähler geben, sondern eine klare und unmissverständliche Gegenpolitik. In Frankreich hat Macron die Präsidentschaftswahl gewonnen mit einem klaren Bekenntnis zu Europa und einer klaren Abgrenzung zum Front National.Sie werden es nie kapieren«idil Baydar, 43, Comedian, verbrachte ihre Jugend auf einem Waldorf-Internat, präsentiert der deutschen Gesellschaft den Klischeetürken als Jilet Ayşe.» Dönermorde als ich dieses Wort das erste Mal in den Nachrichten hörte, dachte ich: Wie sehr kann eine Gesellschaft einen Menschen eigentlich noch verachten? Ich habe mir vorgestellt, wie auch die Mütter der Mordopfer vor dem Fernseher sitzen. Haben diese Frauen einen Döner auf die Welt gebracht? Ich habe in dem Moment gespürt, ich ertrage diese wiederkehrenden mikroaggressiven Angriffe auf die türkische Identität einfach nicht mehr. Und ich war geduldig, Türke sein stand in Deutschland ja schon immer im negativen Kontext, mal mehr, mal weniger, ist ja schließlich nicht das schöne Schweden. Deshalb geht es auch in allen Gesprächen, die ich führen muss, um meine Herkunft, immer dieselben Fragen, immer diese psychopathischen Identitätsspiele. Ich wurde migrantisiert und habe mich entschieden, ich spiele in Zukunft die Hauptrolle, die sie mir schon immer zuschreiben, ich bin der Türke. Die Causa Özil hat mal wieder bewiesen, sie schaffen es einfach nicht, sie werden es nie kapieren, diese Gesellschaft ist auch 2018 nicht in der Lage für multikulti. Für sie ist es egal, ob du einen deutschen Pass hast oder nicht, ob du hier geboren bist oder nicht, ob du Türkisch sprichst oder doch besser Deutsch. Egal, was du hier tust, es reicht nicht, mein neues Motto lautet: Lass mich mit deinem Deutschsein in Ruhe, und integriere dich selbst.«21

22 Titel»Die Fahnen kamen zurück«max Czollek, 31, Lyriker und Essayist, Initiator der Radikalen Jüdischen Kulturtage. Im August erscheint sein Sachbuch»Desintegriert euch!«.»die Idee einer deutschen Leitkultur ist eine restaurative Utopie, die in der Zukunft realisieren möchte, was in der Vergangenheit nie existiert hat. Ich habe kein Problem, sondern diejenigen, die Leitkultur, Heimatministerien und Integration fordern. Das sind neovölkische Diskurse, mit denen ich nichts zu tun habe. Die Frage ist, ob dieser Teil Deutschlands die Gegenwart anerkennt oder seine eigene Vergangenheit wiederholen wird. Ich bin im Berlin der Neunzigerjahre aufgewachsen. Damals bestand kein Zweifel daran, dass jedes Produkt, auf dem eine deutsche Flagge abgedruckt war, nicht gekauft wurde. Und zwar nicht, weil das jemand gesagt hatte, sondern weil wir das so entschieden hatten. Dann kam die Weltmeisterschaft 2006, und mit ihr kamen die Fahnen. Die Menschen verhielten sich plötzlich so, als würden sie eine lang getragene schwere Last abschütteln. Endlich dürfen wir wieder, riefen sie und malten sich Schwarz- Rot-Gold ins Gesicht. Gut zehn Jahre später zog die AfD mit wehenden Fahnen in den Bundestag ein. Aber wir sind immer noch da, und wir sind hier zu Hause, das kann uns keine AfD, kein Seehofer und kein DFB nehmen. Wir sind mehr als 25 Prozent, ein Viertel der Gesellschaft. Die Frage ist nicht, ob wir uns hier zu Hause fühlen, sondern ob wir dieses Gefühl mit oder gegen die Deutschen haben. Wir müssen deutlicher werden: Wer ein Deutschland ohne Muslime will, der will auch ein Land ohne Juden.Lass mal die Deutschen unter sich«imran Ayata, 48, Autor und Campaigner, Berater für Bundesministerien, Verbände und Unternehmen, ist Mitbegründer von Kanak Attak und Leiter der Werbeagentur Ballhaus West in Berlin. SPIEGEL: und, sind Sie Deutscher, Herr Ayata? Ayata: Ich wuchs bei einer deutschen Tagesmutter auf und ging in einen deutschen Kindergarten. Ich verwechselte irgendwann auf Türkisch Gabel und Messer. Meine Eltern schulten mich in der Türkei ein, nach vier Jahren in der kurdischen Provinz holten sie mich wieder in meine Geburtsstadt Ulm. Dort filzte meine deutsche Klassenlehrerin»dem kleinen Imran«sein Haar. Sie suchte Läuse. Noch über 40 Jahre später fällt mir unter der Dusche diese Szene ein. SPIEGEL: das ist sehr lange her. Ayata: Neulich war ich zu einem Geburtstag eingeladen, weiße Tischdecken, Sitzplätze mit Namensschildern, Konzept - geburtstag. Noch bei der Vorspeise hatten meine beiden Tischnachbarn ihre Themen gefunden; Flüchtlinge, AfD, Seehofer, Özil und wie alles in Deutschland gerade auseinanderfällt. Und überhaupt, nichts werde von Merkel übrig bleiben, außer ihre»millionen Flüchtlinge«. Meine Tischnachbarn wollten ständig meine Meinung hören.»warum?«, fragte ich zurück. Ehe einer sagen konnte:»weil du Migrant bist«, ging ich vor die Tür zu den Rauchern. Dort redeten sie über Seehofers Transitzentren, wieder Blicke in meine Richtung. Bei der Nachspeise fragte mein Tischnachbar, ob ich nicht auch ein Problem damit hätte, dass unter den Flüchtlingen Kriminelle seien, Vergewaltiger und Islamisten. Doch, sagte ich. Dann lobte er mich noch dafür und dass ich mich bei #FreeDeniz engagiert hätte. Die Solidarität»unter euch«, das sei schon besonders, lächelte er zufrieden. Am liebsten hätte ich ihm eine geklatscht. Aber das gehört sich nicht außerdem dachte ich, nein, für dich mache ich nicht den Kanaken. Auf dem Weg nach Hause dachte ich darüber nach, wohin ich auswandern könnte. Nach Uruguay vielleicht? Diese Idee schwirrt mir seit ein paar Jahren im Kopf herum. Lass mal die Deutschen unter sich, dann werden sie sehen, was sie davon haben. SPIEGEL: Was müsste sich ändern, damit Sie wieder sagen, das ist mein Land? Ayata: Ich brauche kein Land, ich möchte ein gutes Leben.»Für immer Esel«Cansel Kızıltepe, 42, sitzt seit 2013 für die SPD im Bundestag. Sie ist Diplom- Volkswirtin und hat vor ihrer politischen Karriere für Volkswagen gearbeitet.»ich bin in Berlin geboren, Deutschland ist meine Heimat, ich habe kein anderes Zuhause. Umso befremdlicher finde ich es, dass man mir immer wieder zu vermitteln versucht, dass ich nicht dazugehöre. In Behörden erlebe ich, dass Sachbearbeiter ganz langsam mit mir sprechen, weil sie automatisch davon ausgehen, dass ich ihnen ansonsten nicht folgen kann. Kürzlich war ich mit meiner Familie bei einem Bootsverleih. Als ich mit der älteren Dame dort sprechen wollte, drehte sie sich von mir weg und sagte stattdessen zu meinem Mann, der keinen Migrationshintergrund hat: Sie verstehen mich besser. Während des letzten Wahlkampfs beschimpfte mich ein Mann als Türkenschlampe und sagte, mich würde sowieso keiner wählen. Daraufhin antwortete ich ihm, dass ich in Deutschland geboren sei und bereits im Bundestag sitze. Er hatte nur noch einen Satz für mich übrig: Selbst wenn ein Esel im Pferdestall zur Welt kam, bleibt er trotzdem immer ein Esel. Das kann nicht mein Land sein«ferda Ataman, 38, Publizistin, früher Redenschreiberin für Armin Laschet (CDU), später Referatsleiterin in der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Mitbegründerin der Neuen Deutschen Medienmacher.»In der Nacht, in der die AfD mit knapp 13 Prozent in den Bundestag gewählt wurde, saß ich zu Hause und dachte: Das kann alles nicht wirklich passieren. Wir wählen nicht rechtsradikal, das kann nicht mein Land sein. In den Nachrichten ging es nur um Gefühle und Einstellungen der AfD- Wähler wie viele von ihnen eine Islamisierung fürchten, wie viele von ihnen Überfremdung als Problem betrachten. Ein paar Wochen später sagte Bundespräsident Steinmeier, er verstehe, wenn sich Menschen inzwischen fremd im eigenen Land fühlen, und meinte die besorgten Bürger. Aber wir sind auch besorgt. Der Rollback wird heute auch im Bundes tag selbst deutlich: Warum heißen die weni gen Abgeordneten mit Migrations - hintergrund bei der CDU Michaela, Paul, Gitta, Kai und Kees? Hat die CDU ausgerechnet jetzt auf ihren ersten schwarzen Abgeordneten und ihre erste muslimische Unionsfrau verzichtet? Und hat die SPD nicht eine Staatssekretärin mit Migrationshintergrund gehabt?absaufen! Absaufen!«Gün Tank, 43, Geschäftsleiterin der Neuen Deutschen Organisationen. SPIEGEL: Fühlen Sie sich fremd in Ihrem Land? Tank: Bei dieser Frage muss ich an einen Songtext der Neunziger denken. Kurz nach den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen veröffentlichte die legendäre Hip- Hop-Crew Advanced Chemistry den Song»Fremd im eigenen Land«. In einer Passage heißt es:»politiker und Medien berichten ob früh oder spät / Von einer überschrittenen Aufnahmekapazität / Es wird einem erklärt, der Kopf wird einem verdreht / Dass man durch Ausländer in eine Bedrohung gerät / Somit denkt der Bürger, der Vorurteile pflegt / Dass für ihn eine große Gefahr entsteht.«in Rostock-Lichtenhagen hatten Passanten Beifall geklatscht, während Neonazis das Sonnenblumenhaus, ein Wohnheim für Viet - namesen, abfackelten. Sie brüllten»sieg Heil!«und»Jetzt werdet ihr geröstet!«, heute rufen sie»absaufen! Absaufen!«. 22 DER SPIEGEL Nr. 31 /

23 Judengene, Kopftuchmädchen, Flüchtlingswellen, Asyltourismus, ein Tabubruch nach dem anderen. Sind Muslime dümmer? Gehört der Islam zu Deutschland? Gehört also eine Religion zu einer bestimmten Anzahl Quadratmeter Nation? Das wird von erwachsenen Menschen ernsthaft seit acht Jahren diskutiert. Ich bin schon lange an dem Punkt, mich an vielen Debatten nicht mehr beteiligen zu wollen, ich bin müde, mich ständig darüber zu empören weil sie mich als Mensch in diesem Land infrage stellen.«abbasi, YouTube-Partner Ayata SPIEGEL: Was bereitet Ihnen am meisten Sorge? Tank: Die Mitverantwortung staatlicher Behörden an den Verbrechen des NSU ist bis heute nicht genügend aufgeklärt worden. Wir fragen immer wieder: Wie kann es sein, dass unsere Sicherheitskräfte die Opfer jahrzehntelang zu Tätern gemacht und verfolgt haben? Wir fragen, wie das Schreddern und der Verschluss von Akten für 120 Jahre zur Aufklärung beitragen soll. Es sind nicht nur die Rechtsradikalen, die mir Sorgen machen. Es sind vor allem einzelne, aber nicht wenige bekannte Persönlichkeiten in allen demokratischen Parteien von rechts bis links, die am rechten Rand angeln. Mit jedem Wahlerfolg der Populisten lassen sich die demokratischen Parteien am Nasenring durch die Manege ziehen. So verlieren sie Stimmen, denn wer auf völkisch-national steht, wählt das Original und nicht den Abklatsch. MARC BECKMANN / OSTKREUZ Taşkın»Ich bin müde«kübra Gümüșay, 30, Autorin und Aktivistin.»Ich bin es gewohnt, diskriminiert zu werden. Trotzdem gab es in Deutschland für mich immer ein Grundgerüst aus Anstand, dem ich vertrauen konnte das ist jetzt weg. Für mich begann es mit dem Buch von Thilo Sarrazin im Jahr 2010, aus dem auch der SPIEGEL Auszüge druckte. Damals gab es viele, die gegen Sarrazin aufgestanden sind, aber damals ist auch ein Tor geöffnet worden. Seitdem glauben Parteien wie die SPD, sie müssten bestimmte Themen härter anpacken, wieder mehr zum Volk sprechen. Seitdem kreisen gesamtgesellschaftliche Debatten um das Bauchgefühl privilegierter, älterer weißer Herren. Können Schwarze gute Nachbarn sein? So eine Frage wird öffentlich gestellt. SAMUEL ZUDER / LAIF»Ausländer kriegen wir nicht rein«riem Spielhaus, 43, Professorin für Islamwissenschaften und Schulbuchforscherin.»Vergangenes Jahr war ich beim Brigitte - Interview im Maxim Gorki Theater, mit der Kanzlerin. Es war ein sehr schöner Nachmittag, die Kanzlerin wirkte auf mich unglaublich lustig, unglaublich schlagfertig, die unterkomplexen Fragen der Journalisten parierte sie mit Witz. Sie war ehrlich. Sie hat mich gepackt. Zum Ende hin wurde es politisch, es ging um Gefahren für unsere Demokratie, da nannte sie den Linksextremismus und islamischen Terrorismus. Wenig später kam das Kanzlerduell, und auch da wieder keine Erwähnung von Rechtsextremismus oder NSU. Und im selben Sommer sagte Gauland, dass er Aydan Özoğuz, eine deutsche Staatsministerin, in Anatolien entsorgen wolle. Dass sie bei der nächsten Regierungsbildung von der Kanzlerin und der SPD nicht mehr berücksichtigt worden ist, ist, gelinde gesagt, unglücklich. In einer Zeit, da Parteikollegen deutsche Nationalspieler als Ziegen ficker bezeichnen, Ausländer-raus-Rufe und Deportationswünsche öffentlich ge äußert werden, in so einer Zeit sagen unsere Parteien, Ausländer haben wir nicht, kriegen wir auch nicht mehr rein.wie in einer Zeitmaschine«Esra Küçük, 35, Geschäftsführerin der Allianz Kulturstiftung, war lange im Direktorium des Berliner Gorki Theaters und ist die Gründerin der Jungen Islam Konferenz. SPIEGEL: Wie empfinden Sie Deutschland in diesen Tagen? Küçük: Ich fühle mich wie in einer Zeitmaschine. Während ich im modernen Deutschland von 2018 lebe, stammen die Debatten um uns herum aus den Neunzigern. Es wirft uns und unsere Errungenschaften auf dem Weg zu einem modernen Einwanderungsland um Meilen zurück. 23

24 Titel SPIEGEL: Spüren Sie diesen Rückschritt bereits in Ihrem Alltag? Küçük: Als Geschäftsführerin einer Stiftung, die sich mit kulturellem Austausch beschäftigt, habe ich mit vielen Menschen zu tun, die sich ehrenamtlich engagieren, die zum Beispiel zu den elf Prozent in diesem Land gehören, die nach wie vor in der Flüchtlingshilfe arbeiten und sich jetzt plötzlich von der Gesellschaft und der Abschottungspolitik, die wir gerade erleben, im Stich gelassen fühlen. Was soll ich den Jüngeren unter ihnen antworten, wenn sie mich auf den Grund von Özils Rücktritt ansprechen und sagen, dass sie an die Geschichte nicht mehr glauben, dass mit genug Anstrengung auch Anerkennung in diesem Land folgt.»der Moment, an dem wir gehen müssen«tupoka Ogette, 38, Antirassismus - trainerin.»mich erschüttert, dass meine Kinder jetzt Erfahrungen machen, die ich vor über 30 Jahren schon gemacht habe. Ich erlebe Rassismus, wenn im Jahr 2018 ein fünfjähriges schwarzes Kind zu mir sagt, sein größter Wunsch sei es, weiß zu sein, und ihm anschließend die Tränen kommen. Wenn ich in einem Workshop mit Berliner Erzieherinnen sitze und sie erzählen, dass das schwarze Kind ihrer Gruppe jede Woche einmal von den weißen Kindern abgeleckt werden dürfe, weil man ja schließlich wissen müsse, ob es nach Schokolade oder nach Kacka schmecke. Wenn Lehrer einer internationalen Schule ein schwarzes Kind zur Erziehung in einen Verschlag stecken. Wenn nun in öffentlichen Debatten ganz offen darüber diskutiert werden darf, ob schwarzes Leben nicht lieber im Mittelmeer ertrinken solle. Es verschieben sich ethische Grenzen, die ich lange für unverschiebbar gehalten habe. Die größte Angst Gümüşay habe ich gespürt, als mein 20-jähriger Sohn mich fragte, ob ich im Blick hätte, dass wir den Moment nicht verpassen, an dem wir genug gekämpft haben und gehen müssen.doch nicht meine Heimat«Oliver Polak, 42, Komiker und Autor. SPIEGEL: Ist Berlin Ihr Zuhause? Polak: Ich lebe zu 50 Prozent im Ausland, und das Gefühl, nach Hause zu kommen, wenn ich zurück nach Berlin fliege, schwindet von Mal zu Mal. Es gab mal eine Zeit, ich glaube es waren die Acht - ziger, da war alles irgendwie okay. Ich fand einen Weg, mit dem Rassismus umzugehen. Aber wenn man schaut, wie die Westdeutschen mit den Ostdeutschen nach der Wende umgegangen sind was erwartet man von ihnen, wie sie mit Fremden aus anderen Ländern umgehen? Ich musste irgendwann akzeptieren, obwohl ich Deutscher bin, dass Deutschland irgendwie dann doch nicht meine Heimat ist, ich war nicht immer willkommen. Wo mein Koffer geöffnet liegt und mein Hund sich an mich kuschelt, da ist jetzt meine Heimat. Was ich vermissen könnte: Deutsche Bahn fahren, Barmer-versichert sein und nachts mit dem Auto über die vierspurigen Straßen von Berlin fahren und laut Barry Manilow auf Radio Paradiso hören. Auch mag ich Menschen wie Nina Hagen, Wolfgang Joop, Karl Lagerfeld, Otto Waalkes, Siegfried und Roy, sie gaben mir immer das Gefühl, hier vielleicht doch richtig zu sein. SPIEGEL: Gibt es Schlüsselmomente für Ihr heutiges Unbehagen? Polak: Boris Beckers Sohn wird vom AfD- Abgeordneten öffentlich als Halbneger tituliert, der Holocaust wird von Bundestagsabgeordneten als Vogelschiss abgetan, und Seehofer witzelt über Abschiebungen DMITRIJ LELTSCHUK von 69 Menschen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, nur noch eine Farce! SPIEGEL: Was muss passieren? Polak: Aufrichtige Politik. Gegen Affenlaute in Stadien, gegen Judenhass und Scheiß-Türken-Rufe aufstehen. Und die, die seit Jahren»Wehret den Anfängen«geschrien haben, die sollten endlich handeln. Erst gestern saß ich mit meinem Hund auf einer Bank in einem Berliner Park, neben mir eine etwa 70-jährige Frau, auch mit ihrem Hund. Sie sprach über die Stolpersteine, dass das so grauenvoll war damals, was die Deutschen gemacht haben. Im nächsten Atemzug zeigte sie auf einen dunkelhaarigen Jungen, der im Schlafsack neben seinem Leergut unter einem Baum lag, die Frau sagte:»das Problem ist, dass dieser ganze Schmutz jetzt auch hier rüberkommt.«eigentlich habe ich keine Lösung. Ich lerne gerade loszulassen.»abdul, lass es«abdul Abbasi, 24, flüchtete vor fast fünf Jahren aus dem syrischen Aleppo nach Deutschland und studiert Zahnmedizin, er ist Mitgründer des YouTube- Kanals German Life Style. Im März ist sein Buch»Eingedeutscht«erschienen, 2016 zeichnete ihn die Bundesregierung mit der Integrationsmedaille aus.»als ich 2013 nach Deutschland kam, war mir alles fremd. Die Kultur, die Sprache, die Leute. Das hat mir ziemlich viel Angst gemacht. Dann habe ich Menschen kennengelernt, die mir gezeigt haben, wie das Leben in Deutschland ist, die gesagt haben: Komm, lass uns reden. Mittlerweile ist Deutschland meine Heimat geworden. Ich habe das nicht forciert, das ist einfach so passiert, und das innerhalb weniger Jahre, diese Stimmung überwiegt nach wie vor. Aber na ja, nun kämpfe ich plötzlich wieder gegen das Gefühl an, nicht dazuzugehören. Zum Beispiel wenn ich in den Medien von Pegida-Demonstrationen lese, bei denen Leute Absaufen, absaufen schreien, wenn es um die Seenotrettung von Flüchtlingen wie mir geht. Aber auch Seehofers Masterplan Migration hat mich frustriert. Ich habe mir den durchgelesen und war gespannt darauf, was unter dem Punkt Integration stehen würde. Das ist so ein wichtiges und großes Thema. Man sollte meinen, dass auch ein deutscher Innenminister das so sieht. Und dann handelt er das auf eineinhalb Seiten ab, am häufigsten kommt das Wort Verschärfung vor. Ich sage meinen Leuten immer, ihr müsst versuchen, Teil dieser Gesellschaft zu werden, lernt die Sprache, sucht euch Arbeit und bemüht euch. Manchmal schreiben mir Syrer: Abdul, komm lass es, wir werden hier immer die Fremden sein. «Katrin Elger, Özlem Gezer, Claas Relotius 24 DER SPIEGEL Nr. 31 /

25 Flexibel bleiben: >ğťğō ^Ĵğ Ěğō ^V0 ( > ťœņćōĭğ ^Ĵğ ŋřĕıŭğō Keine Mindestlaufzeit Der SPIEGEL jede Woche frei Haus: œıōğ ZĴťĴłœ ĿğĚğš ğĵŭ łÿōěēćš ĬŸōťŭĴĬğš ćņť Ĵŋ Ĵō ğņıćōěğņ łœťŭğōņœťğš kšņćųēťťğšžĵĕğ ŋĵŭ Ěğŋ >0e Z ekz ^V0 ( > žğšĭÿōťŭĵĭŭğ eĵĕłğŭť ĨŸš ćųťĭğſčıņŭğ ^V0 ( > vğšćōťŭćņŭųōĭğō ſſſ ťŝĵğĭğņ ŅĴžğ Ěğ Ja, ich möchte den SPIEGEL lesen! 0Ĕı Ņğťğ Ěğō ^V0 ( > ĨŸš ōųš ǽ ŝšœ ųťĭćēğ ťŭćŭŭ Ǿǽ Ĵŋ Ĵō ğņłćųĩ ųōě ğōŭťĕığĵěğ ťğņēťŭ ſĵğ ŅćōĬğ ĴĔı Ěğō ^V0 ( > Ņğťğō ŋřĕıŭğ ĴōĨćĔı Ŀğŭ ŭ ćōĩœšěğšō abo.spiegel.de/flexibel Ĵŭŭğ łŭĵœōťōųŋŋğš ćōĭğēğō ^VǾ ǿǿ Rosenzweig & Schwarz, Hamburg

26 Titel Die Explosion Fußball Harun Arslan, Manager von Bundestrainer Joachim Löw, kooperiert mit dem Berater von Mesut Özil. Weltstars könne man nichts vorschreiben, sagt Arslan. Eine Begegnung in Hannover. N ationalspieler seien keine normalen Menschen.»Man bewertet sie viel strenger. Trotzdem sind sie freie Bürger, die eine Meinung haben dürfen. Unterschiedliche Sichtweisen sind es doch, die unser Land ausmachen, oder nicht?«der Mann, der diese Sätze sagt, sitzt im 5. Stock eines Bürohauses gegenüber der Staatsoper in Hannover. Harun Arslan, 61 Jahre alt, trägt ein blaues Leinenhemd und eine helle Leinenhose. Der Manager von Bundestrainer Joachim Löw raucht Zigarillo. In seinem Büro hängen 28 handsignierte Vereinswimpel. Seit gut 48 Stunden ist das Statement von Mesut Özil in der Welt. Eine Abrechnung in drei Teilen, in deren letztem Abschnitt der 29-Jährige seinen Rücktritt als Nationalspieler verkündet. Für Harun Arslan, er spricht leise, zurückgenommen, liest sich dessen Erklärung wie eine»explosion der Gefühle«. Die ihm deutlich gemacht habe, was sich alles in Mesut Özil aufgestaut haben muss seit dem Foto im Mai, das den Arsenal- Profi mit seinem Manchester-City-Kollegen İlkay Gündoğan lächelnd an der Seite des türkischen Präsidenten zeigte.»wie es den Jungs in der ganzen Zeit ging, ist in der Debatte doch völlig untergegangen«, sagt Arslan. Wie genau es zu dem Bild mit Recep Tayyip Erdoğan bei einem Charity-Event in London kam, ist bis heute unklar. Und auch Arslan kann angeblich nicht viel zur Aufklärung beitragen.»ich weiß nur: Solche Termine organisiert man nicht. Dazu wird man eingeladen. Wen er sehen möchte, bestimmt der Präsident.«Ob der Spieler dann hingehe, entscheide nur einer: der Spieler.»Es war eine Einladung, die man auch hätte ablehnen können, kein Befehl«, sagt Arslan. Es ist das erste Mal, dass er sich umfassend zu dem Foto äußert, über das seit mehr als zwei Monaten das ganze Land diskutiert. Harun Arslan, geboren in Istanbul, kam mit 15 nach Deutschland. Statt in die Schule ging er in eine Schraubenfabrik, Fußball war sein Hobby erwarb er als erster Türke die Fifa-Lizenz als Spielerberater. Kurz darauf suchte Fenerbahçe Istanbul einen neuen Trainer und Joachim Löw einen neuen Job. Arslan brachte Klub und Coach zusammen, seitdem zählt er zu Löws engstem Beraterkreis. Manager Arslan Umfrage»Ist der Fußballer Mesut Özil, wie er sagt, respektlos und rassistisch behandelt worden?«ja 22% Nein 58%»Bedauern Sie, dass Özil aus der National mannschaft zurückgetreten ist?«ja 27% Nein Kantar Public für den SPIEGEL am 24. und 25. Juli, 1047 Befragte; an 100 fehlende Prozent:»weiß nicht«/ keine Angabe 63% Seit Ende vergangenen Jahres kooperiert er zudem mit Mesut Özils Berater Erkut Söğüt in London, den er seit dessen Studentenzeit kennt. Auf Arslans Internetseite ARP-Sportmarketing wird Söğüt als Vertreter des»team UK«präsentiert. Zudem sind beide über Söğüts Londoner Agentur Family & Football verbandelt. Von dem Fototermin mit Erdoğan und dem Statement will Arslan aber nichts gewusst haben, behauptet er mehrfach. Und, das ist ihm sehr wichtig, auch der Bundestrainer nicht. Am 14. Mai hatte die AKP, Erdoğans Partei, das Foto getwittert. Stunden später hatte es sich weltweit verbreitet. Grünenpolitiker Cem Özdemir kommentierte am nächsten Tag in der»bild«-zeitung:»es ist geschmacklos und peinlich, wenn Fußballmillionäre sich für die Wahlkampagne eines unter Druck stehenden au - toritären Herrschers einspannen lassen und ihm Huldigungsgesten entgegen - bringen.«das Statement Özdemirs,»reiner Populismus«, ärgert Arslan bis heute, denn es habe die Debatte angeheizt.»die Wucht der Kritik, die sich entfaltete, kann ich bis heute nicht begreifen. Erdoğan hat doch nicht mehr Stimmen bekommen, nur weil es dieses Foto gibt.«und was sagt er zu den Gerüchten, das Treffen mit Erdoğan und die Rücktrittserklärung Özils hätten die EM-Bewerbung der Türkei beflügeln sollen?»die machen mich ehrlich gesagt fassungslos«, antwortet Arslan. Am Tag nach der Veröffentlichung des Bildes wurde der WM-Kader bekannt gegeben. Özil und Gündoğan wurden nominiert. Löw stellte sich vor seine Spieler:»Beide haben uns zu verstehen gegeben, dass sie keine politische Botschaft senden wollen. Beide besitzen einen sehr, sehr guten Charakter, sie haben für die Integration in Deutschland sehr, sehr viel getan. Es wird ihnen eine Lehre sein.«für Löw zählte nur eines: die WM.»Hätte er sie zu Hause lassen sollen?«, fragt Arslan.»Das sind Weltklassespieler.«Ruhe kehrte trotzdem nicht ein, im Gegenteil.»Der DFB und auch wir haben Krisenmanager zurate gezogen, wie wir das Ganze in den Griff bekommen, schließlich stand die WM bevor, die die Jungs gewinnen wollten. Aber es ist uns allen nicht gelungen, bis heute nicht.«die Schuld dafür will er niemandem geben, aber auch niemanden aus der Verantwortung entlassen, vor allem die Medien nicht, die Mutmaßungen immer wieder zu Fakten verdichtet hätten. Ein Treffen mit Bundespräsident Frank- Walter Steinmeier am 19. Mai sollte es richten. Es sei auf Initiative von Gündoğan vom DFB arrangiert worden, sagt Arslan. Steinmeier postete anschließend auf Facebook, Özil habe in Bezug auf Deutschland zu ihm gesagt:»ich bin hier aufgewachsen und stehe zu meinem Land.«Zuvor hatten sich Özil und Gündoğan mit dem Bundestrainer, DFB-Präsident Reinhard Grindel und Teammanager Oliver Bierhoff ausgesprochen. Dabei hatten beide Spieler versichert, dass sie mit der Erdoğan-Aktion kein politisches Signal hatten senden wollen. Arslan war bei jenem Treffen dabei. Es habe keine Aufforderung an Özil gegeben, sich öffentlich zu äußern, so wie es Gündoğan zwischenzeitlich getan hatte. 26

27 INA FASSBENDER / DPA Nationalspieler Özil bei der WM im Juni:»Der Junge kommt aus Gelsenkirchen!«Für Özil sei die Sache»deshalb auch vom Tisch gewesen«, glaubt Harun Arslan.»So dachten wir alle.«doch weit gefehlt. Zum ersten Mal wird Arslan in dem Gespräch lauter, eindringlicher:»selbst wenn sich die Jungs hingestellt hätten: Es tut uns leid, wenn wir das gewusst hätten, hätten wir das nicht gemacht hätten sie dann aufstehen und gehen können? Dann kommt doch die Frage: Was halten Sie von der Politik Erdoğans? Dann sagt Özil: Ich bin Fußballer und kein Politiker. Schon haben Sie die Schlagzeile: Özil hat sich nicht distanziert.«mehr als zwei Monate hat Mesut Özil nun geschwiegen, bis vergangenen Sonntag. Zuvor hatte ihn DFB-Präsident Grindel in einem»kicker«-interview aufgefordert, sich öffentlich einzulassen.»ich spreche jetzt nicht wegen Grindel, sondern weil ich es will«, schrieb Özil. Was hat Özil dann dazu bewogen? Arslan zuckt mit den Achseln. Das wisse er nicht. Er kenne Özil zwar, sei aber nicht sein Berater. Und generell: Die Rolle von Beratern werde völlig überschätzt.»auch wenn Mesut ein zurückhaltender Mensch ist glauben Sie wirklich, dass ein Weltstar wie er, der sich von seinem Vater losgesagt hat, alles diktieren lässt?«der SPIEGEL Nr. 31 / So viel weiß er dann doch: Er sei sich»zu 100 Prozent sicher«, dass Mesut Özil diese Erklärung, so wie sie jetzt da steht, wollte. Dass es seine alleinige Entscheidung war. Einem Mesut Özil, sagt Arslan, könne man nichts vorschreiben. Zum Inhalt des Statements will der Manager nichts sagen.»das steht mir nicht zu, es sind seine Empfindungen. Ich lebe seit 46 Jahren in Deutschland und habe mich nie ausgegrenzt oder diskriminiert gefühlt.«wäre er vorher um seine Meinung gefragt worden, hätte er dazu geraten, die Erklärung etwas mehr zu differenzieren.»es gibt ja auch viele Menschen im Land, die ihn unterstützen. Nicht umsonst wurde er viermal zum Nationalspieler des Jahres gewählt.«andererseits könne es nicht sein, dass sich ein deutscher Nationalspieler 2018 immer noch anhören müsse: Geh dahin zurück, wo du herkommst.»der Junge kommt aus Gelsenkirchen!«Özil sei Weltmeister und habe es noch mal werden wollen, sagt Arslan, sonst hätte er dieses Statement auch vor zwei Monaten machen können.»er hat 92-mal für Deutschland gespielt. Er hat den größten Vertrag in der Geschichte von Arsenal unterschrieben. Er kriegt überall den roten Teppich ausgerollt, nur in seinem eigenen Land nicht. Warum eigentlich nicht?«auch für Arslan gibt es in der ganzen Angelegenheit nur Verlierer: die Spieler, die Berater, den DFB, den Fußball, das Zusammenleben in Deutschland. War das Foto mit Erdoğan ein Fehler? Man müsse es nicht gut finden, sagt Arslan.»Aber mit dem Wissen von heute wäre es sicher nicht ratsam, es noch mal zu machen. Was es ausgelöst hat, war nicht schön. Auch nicht für die Jungs.«Mit seiner Meinung zu Erdoğan hält sich Arslan zurück:»für mich zählt nur eines: dass ich in Deutschland richtig wähle.«wie Özil und Gündoğan hat auch Arslan nur einen Pass. Ihn ziert ein goldener Bundesadler. Antje Windmann Lesen Sie auch Seite 104: SPIEGEL-Gespräch mit dem Soziologen Aladin El-Mafaalani Seite 118: Wie DFB-Präsident Reinhard Grindel sein Amt zu retten versucht Seite 121: Der DFB und sein Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen 27

28 Exportautos in Emden JÖRG SARBACH / PICTURE ALLIANCE / DPA Einfache Botschaften Europa Nach dem überraschenden Deal von Washington setzt Brüssel auf ein Ende des Zollstreits mit den USA. Vor allem Kommissionschef Juncker darf sich als Sieger fühlen. 28 W ie er es geschafft hat, mit Donald Trump einen Deal zu schließen, den niemand für möglich gehalten hat? Jean- Claude Juncker sitzt in einem schmuck - losen Besprechungsraum eines Washingtoner Politikinstituts und lässt die Stunden Revue passieren, die er soeben im Weißen Haus verbracht hat. Er ist erschöpft, das sieht man ihm an, aber Juncker ist auch guter Dinge.»I did it«, sagt er.»ich hab s gemacht.«mehr als zwei Stunden hatte er mit Trump verhandelt und am Ende eine Vereinbarung erzielt, die in Europa und Amerika mit Erleichterung aufgenommen wurde: Donald Trump verzichtet vorerst darauf, Strafzölle auf europäische Autos zu verhängen. Im Gegenzug wollen die Europäer den USA mehr Flüssiggas und Sojabohnen abnehmen und unter anderem darüber reden, wie Zölle auf andere Güter abgeschafft werden können.»der Präsident hat zugestimmt, dass es keine weiteren Zölle geben wird«, sagt Juncker stolz. Die bestehenden Autozölle würden»nicht erhöht«. Natürlich, es muss sich erst mal zeigen, wie belastbar die Erklärung ist. Ein böser Tweet von Trump, so fürchten viele, und alles geht wieder von vorn los. Dazu kommt, dass der Deal die vielen anderen Probleme nicht beseitigt, die Europa mit dem unberechenbaren US-Präsidenten hat. Der Mann, der im Warenhandel nun vorerst zu einer Art Waffenstillstand bereit war, will noch immer die Nato abschaffen, er bedroht Iran und hält den Klimawandel auch jetzt noch für eine Spinnerei vor allem der Europäer. Und dennoch: Ausgerechnet Juncker gelingt, woran Angela Merkel und Emma - nuel Macron gescheitert sind. Er hegte Trump ein. Eine Eskalation des Handelskriegs, die auf beiden Seiten des Atlantik bis zu 15 Millionen Jobs gefährdet und die weltweite Wirtschaftsleistung um viele Hundert Milliarden Euro gedrückt hätte, ist bis auf Weiteres vom Tisch. Trumps Anhänger hätten offenbar gespürt, freut sich Außenminister Heiko Maas,»dass auch die Farmer im Mittleren Westen und die Arbeiter im Rust Belt in einem Handelskrieg mit Europa am Ende als Verlierer dastehen würden«. Dabei war Juncker vor seinem Abflug noch Gegenstand von Hohn und Spott.

29 Deutschland Videos machten die Runde, sie zeigten den Mann, wie er beim Nato-Gipfel Mitte Juli auf dem Weg zum Dinner torkelte und von den Regierungschefs gestützt werden musste. Rechtspopulisten in ganz Europa feixten über den angeblich betrunkenen Kommissionschef. Juncker selbst betonte, die Gehschwierigkeiten seien auf Rückenprobleme und Ischias zurückzuführen. Und so lautete in Brüssel die Frage vor dem Washington-Trip nicht etwa, ob Juncker vorzeigbare Ergebnisse mitbringen könne. Sondern, ob er den Strapazen der Reise überhaupt gewachsen sei. Und nun ein Deal mit Trump, den niemand auf der Rechnung hatte. Wie auch? Noch beim Nato-Gipfel hatte der US-Präsident seinen Gesprächspartnern höchstpersönlich versichert, die Autozölle würden auf jeden Fall kommen. Und zwar noch vor den Kongresswahlen im November. Sie seien sein»wichtigstes Ding«. Doch dann mischte sich ein Mann ein, den die Europäer bisher kaum auf dem Schirm hatten: Trumps Wirtschaftsberater Larry Kudlow, der erst im Frühjahr ins Weiße Haus gekommen war. Während in der Handelspolitik monatelang die Kriegsmetaphern hin und her flogen, redete der ehemalige TV-Moderator aus New Jersey den Konflikt gezielt klein. Nachdem die Europäer bei Handelsminister Wilbur Ross und dem Handelsbeauftragten Robert Lighthizer nie wirklich weitergekommen waren, versuchten sie ihr Glück nun mit Kudlow. Bereits am Tag vor dem Treffen mit Trump schickte Juncker seinen General - sekretär Martin Selmayr zu dem Mann. In einem Hotel in Washington schrieben die beiden ein paar Absätze auf, über die man sich verständigen könne: Es waren die Eckpunkte des späteren Deals. Als Juncker am Mittwochmittag im Weißen Haus eintraf, wusste er allerdings nicht, ob dieser Plan auch den Gefallen des Präsidenten gefunden hatte. Man kennt das bei Trump: Oft folgt er am Ende der Meinung desjenigen Beraters, dem er zuletzt zugehört hat. Für die Europäer war nun die Frage: War es diesmal Wirtschaftsberater Kudlow oder einer der Hardliner um Handelsminister Ross? EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hatte noch am Vormittag mit ihrem US-Kontrahenten Lighthizer gesprochen, dabei jedoch keine Klarheit erhalten. Im Gegenteil: Im Juncker-Team drängte sich der Eindruck auf, dass Trumps Handelsbeauftragter keine Ahnung von dem Kudlow-Papier hatte. Im Oval Office ging es zunächst 40 Minuten lang rasch voran, erst als die Runde erweitert wurde, wurde es für eine halbe Stunde frostig. Trumps Handelsteam um Lighthizer und Ross drängte darauf, dass die Europäer ihren Agrarmarkt stärker öffnen sollten. Juncker hielt dagegen, die Europäer wollten keine Neuauflage der aufgeheizten Debatten über Chlorhühnchen oder genveränderte Nahrungsmittel. Am Ende erhielten die Amerikaner nicht mehr als das Versprechen, dass die EU künftig mehr Sojabohnen kaufen will, ein Umstand, den Trump vor der Presse sogleich als großen Sieg für die Farmer im Mittleren Westen feierte. Schließlich war es Trump selbst, der auf einen Abschluss drängte, das war entscheidend.»warum ärgert er sich denn so?«, fragte er einmal, als sich sein Handelsbeauftragter an einem Detail verhakte. Trump, das war klar, wollte den Deal. Verhandlungspartner Juncker, Trump im Weißen Haus»Lass uns rausgehen«das Medienecho über sein Treffen mit Wladimir Putin in Helsinki war auch in den USA katastrophal ausgefallen, zudem begann seine eigene Klientel unter den Handelskonflikten mit China und der EU zu leiden. Die Zölle, die Brüssel als Gegenmaßnahme zu Trumps Strafaktion gegen europäischen Stahl verhängt hatte, etwa auf Motorräder, Bourbon-Whiskey und Erdnussbutter, hatten Wirkung gezeitigt. In den Kühlhäusern des Landes stapelten sich unverkäufliche Agrarprodukte, von Jobabbau war die Rede. Den Druck, den die betroffenen Unternehmen spürten, gaben sie sofort an Trump und andere Politi ker der Republikaner weiter. Zudem war es Juncker bei seinen jüngsten Treffen mit Trump gelungen, einen Draht zu dem schwer berechenbaren Präsidenten zu legen. Gezielt nutzte Juncker in seinen Wortmeldungen Soundbites, die Trump selbst gern verwendet,»flüssiggas«zum Beispiel oder»sojabohnen«. Und er griff zu einfachen, bildhaften Botschaften, die auf Trumps notorisch kurze Aufmerksamkeitsspanne Rücksicht nahmen. Statt wie viele Staats- und Regierungschefs abstrakt darüber zu palavern, wie unverzichtbar das transatlantische Verhältnis sei, erzählte er Trump Anfang Juni beim G-7- Gipfel in Kanada von seinem Vater, der von der Wehrmacht zwangsrekrutiert und von den Amerikanern aus einem Lager befreit worden sei. Letztlich war das Ergebnis von Washington auch ein Sieg der Gemäßigten in der EU über die Hardliner, vor allem aus Frankreich. Finanzminister Bruno Le Maire hatte kurz vor Junckers Visite noch getönt:»wir befinden uns mitten im Handelskrieg.«Gespräche über Zollsenkungen lehnte er ab, solange die USA ihre Strafzölle nicht zurücknähmen.»wir verhandeln nicht mit der Pistole auf der Brust.«Ihren harschen Kurs konnten die Franzosen aber nicht durchsetzen, weil die meisten EU-Länder auf die deutsche Linie eingeschwenkt waren, vor allem jene mit einer starken Automobil - industrie. Neben Italien, Spanien, Schweden und Polen waren dies Länder wie Tschechien und die Slowakei. Entsprechend dürften auch die französischen Drohungen, man habe noch Klärungsbedarf, einfach verpuffen. Bei ihrem Vorgehen kopierten die Europäer die alte Nato-Doktrin von der»flexible response«, der variablen Antwort auf die Attacken des Gegners. Im Kalten Krieg hieß das, bei einem Angriff eines Feindes JIM LO SCALZO / EPA-EFE / REX / SHUTTERSTOCK angemessen zu vergelten, dennoch aber die Tür für Gespräche und Verhandlungen offen zu halten. Erdacht hatten die Doktrin einst amerikanische Generäle. Eine Kopie ihres Vorgehens brachte den Euro - päern nun Erfolg. Der Punktsieg ist nicht zuletzt ein Sieg Junckers. Bis vor Kurzem galt der Kommissionspräsident noch als Verkörperung der europäischen Krise. Juncker konnte weder den Brexit verhindern noch dem Vormarsch der Rechtspopulisten etwas entgegensetzen. Auch in Deutschland war er vielen zur Reizfigur geworden, weil er allzu oft den Anwalt der Südeuropäer gegeben und das Berliner Pochen auf Regeln und Verträge zur deutschen Marotte erklärt hatte. Doch die Zweifel, ob Juncker seinem Amt noch gewachsen sei, dürften sich erledigt haben, fürs Erste jedenfalls. Für Juncker ist das ein Befreiungsschlag, denn es ist gut möglich, dass der Kommissionschef noch deutlich länger im Amt bleiben muss als gedacht. Zwar wird nach den Europawahlen im nächsten Frühjahr ein neuer Kommissionspräsident gesucht, Juncker tritt nicht mehr an. Allerdings gehen in Brüssel inzwischen viele davon aus, dass die Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl unübersichtlich sind und sich Parlament und Regierungs- DER SPIEGEL Nr. 31 /

30 Deutschland chefs nur schwer auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können, so lange müsste Juncker weitermachen. Käme es so, müsste er nicht zuletzt die mit Trump abgesprochenen Handelsgespräche weiterführen. Zunächst, so der Plan, sollen sich jedoch Arbeitsgruppen mit dem Thema beschäftigen, eine Einigung vor den US-amerikanischen Kongresswahlen im November gilt als ausgeschlossen. Ohnehin beginnen richtige Verhandlungen erst dann, wenn die Kommission ein Mandat der Mitgliedstaaten und des Euro - päischen Parlaments hat, und gerade dort wird man die Vereinbarung von Washington und ihre Folgen genau prüfen.»einen Deal unter Druck und aus der Hüfte wird es nicht geben«, sagt der Chef des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD).»Illegale Abschottungszölle müssen endgültig vom Tisch.«Die Fachleute beugen sich über die Details, die Öffentlichkeitsarbeit haben dagegen die Chefs selbst übernommen. Während ihre Berater noch am Text feilen, bietet Trump Juncker unter vier Augen an, den Deal groß zu verkünden. So ein Schulterschluss mit den Europäern im berühmten Rose Garden, mit einem Mal findet der US-Präsident Gefallen an der Vorstellung, geplant war das nicht. Juncker macht gern mit, auch er kann die schönen Bilder aus Washington in der Heimat gut gebrauchen.»lass uns rausgehen und zu den Journalisten sprechen«, sagt Trump. Kurz darauf marschieren sie los. Peter Müller, Christian Reiermann Diplomatie Die Bundesregierung arbeitet an einer neuen Strategie, um den Nationalismus von Donald Trump zu kontern. Allianz der Gleichgesinnten Am Tag, an dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Weißen Haus einen überraschenden Handelsdeal mit Donald Trump schließt, steht Außenminister Heiko Maas in einem holzge - täfelten Regierungsgebäude Kilometer weiter östlich. Maas ist zu Besuch in Japan. Es ist seine erste Asienreise als Außenminister, die Erwartungen sind hoch.»wir sind Wertepartner«, sagt der Sozialdemokrat, und sein Gastgeber Shinzo Abe nickt.»gerade in der aktuellen weltpolitischen Lage ist es gut, das noch mal für alle erkennbar zu verdeutlichen.«doch der Gast aus Deutschland hat nicht nur freundliche Erklärungen mitgebracht. In Tokio stellt Maas dem japanischen Re gierungschef seine Idee eines neuen Staatenbündnisses vor. Sie könnte das weltpolitische Vakuum füllen, das Trump hinterlässt. In den kommenden Mo - naten soll ein Netzwerk global orientierter Staaten geknüpft werden, das sich in der Außen-, Handels- und Klimapolitik eng abstimmt.»wir brauchen eine Allianz der Multilateralisten«, sagt Maas, ein Bündnis also, das für jene globalen Regeln und Strukturen der Nachkriegsordnung eintritt, die Trump ablehnt.» Der Klügere gibt nach wäre in diesen Zeiten die falsche Maxime«, sagt Maas. Zum ersten Mal zeichnen sich in diesen Tagen die Umrisse einer neuen Anti- Trump-Strategie der Bundesregierung ab. Die Vorarbeiten laufen im Auswärtigen Amt schon länger. Den Auftrag für eine Neudefinition des Verhältnisses zu den USA hatte bereits Maas Vorgänger Sigmar Gabriel kurz nach der Wahl des Republikaners erteilt. Im Planungsstab wurden Papiere geschrieben, die jedoch ständig neu gefasst werden mussten, wenn der US-Präsident mal wieder einen neuen Tweet abgesetzt hatte. Nun aber gibt es ein klares Ziel. Spätestens seitdem der US-Präsident den Nato- Partnern beim Brüsseler Gipfel mit dem Rückzug aus der westlichen Verteidigungsallianz gedroht und wenige Tage später die EU als»gegner«bezeichnet hat, hat sich in Berlin, Brüssel und Paris die Hoffnung zerschlagen, dass Allianzen Trump überhaupt etwas bedeuten. Die USA hätten sich vom»ordnungsgeber«außenminister Maas»Nicht der Klügere gibt nach«zum»ordnungszerstörer«gewandelt, heißt es in der Bundesregierung. So nimmt im Auswärtigen Amt nun die Idee Gestalt an, ein Netzwerk westlich orientierter Staaten zu gründen,»die für Vernunft und die Einhaltung der Spiel - regeln stehen und nicht klein beigeben gegenüber Abschottung und Egoismus«, sagt Maas.»Wir brauchen eine Strategie, und wir brauchen Mitstreiter.«Die Strategie wird wohl erst gegen Ende des Jahres Form annehmen, die Verbün - deten stehen bereits fest: Neben Japan ist es Südkorea, das Maas diese Woche ebenfalls besuchte. Mit beiden Staaten hat BRITTA PEDERSEN / DPA die EU weitreichende Freihandelsabkommen geschlossen. Auch Südafrika, Australien und Argentinien kommen für Maas als strategische Partner infrage. Und natürlich die beiden direkten Nachbarn der USA, Mexiko und Kanada. Ende August wird Kanadas Außenministerin Chrystia Freeland als Gast bei der Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amtes in Berlin erwartet. Maas schwebt ein Staatenbündnis vor, das»bestehende Regeln gemeinsam verteidigt und weiterentwickelt«. Die Allianz solle»solidarität zeigen, wenn interna - tionales Recht vor der Haustür des jeweils anderen mit Füßen getreten wird«. Einen ersten Testballon will Maas während der Generalversammlung der Vereinten Nationen Ende September steigen lassen. Zusammen mit Indien, Brasilien und Japan plant der deutsche Außenminister einen Entwurf für eine Reform des Sicherheitsrats. Deutschland ist ab 2019 für zwei Jahre in den Sicherheitsrat gewählt. Wenn Berlin im April den Vorsitz übernehmen wird, soll die neue Allianz zum ersten Mal gemeinsam auftreten. Den deutschen Sitz will Maas»europäisch«definieren, im»radikalen Schulterschluss«mit Frankreich. Das wird nicht einfach, denn nicht nur in Handelsfragen verfolgen Paris und Berlin zum Teil gegensätzliche Interessen. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron will eine»interventions-initiative«gründen, bei der auch Staaten mitmachen sollen, die nicht der EU angehören. Deutschland dagegen befürwortet eine Europäische Verteidigungsunion (kurz: Pesco), die sich auf das Staatenbündnis konzentriert. Mit einer»neuen europäischen Ostpolitik«will Maas vor allem die Gräben zu osteuropäischen Ländern wie Polen oder den baltischen Staaten überwinden, um ein»sou - veränes und starkes«europa zu schaffen. Nun müssen Franzosen und Deutsche einen Kompromiss finden, wie es ihnen im Handelsstreit mit den USA gelungen ist. Der Zollkonflikt habe gezeigt, sagt Maas,»dass unser Wort Gewicht hat, wenn Europa geeint auftritt«. Christoph Schult 30

31 Dickes Minus EU Weil dem Pensionsfonds für Parlamentarier die Pleite droht, will Brüssel die Ansprüche kürzen. Betroffene Abgeordnete wehren sich. E s waren keine guten Nachrichten, die der Verwaltungschef des Europa - parlaments den Abgeordneten überbrachte. Klaus Welle referierte über den freiwilligen Pensionsfonds des Hauses, eine sperrige Materie, die das Parlamentspräsidium seit Jahren umtreibt. Immer wieder musste dem chronisch defizitären Fonds, der vielen ehemaligen und amtierenden Europaabgeordneten eine zusätzliche Monatsrente von derzeit durchschnittlich 1900 Euro einträgt, noch ein wenig Leben eingehaucht werden. Doch nun, so machte Welle den Abgeordneten klar, ist es mit einer weiteren Vertagung des Problems nicht mehr getan. Wenn sich die Parlamentarier nicht rasch zu drastischen Sparplänen durchringen könnten, drohe dem Fonds die Pleite. Die Ansage traf die Politiker wie ein Schock. Denn etliche von ihnen haben die Zusatzrente zur Finanzierung des eigenen Lebensabends fest einkalkuliert. Wen wundert s, dass sich die Präsidiumsmitglieder bei ihrer internen Sitzung im April erst mal nicht zu durchgreifenden Maßnahmen durchringen konnten. Jetzt sollen die Hausjuristen die Angelegenheit prüfen. Das Europaparlament ist schlechte Nachrichten mit dem in Luxemburg errichteten Fonds gewohnt. Mal kauften die Anlagemanager Aktien von Unternehmen, deren Geschäftsgebaren so gar nicht zum Gutmenschenimage der Parlamentarier passt, Anteile an Rüstungs- und Tabakfirmen etwa oder an großen Ölmultis. Dann ging der Fonds mit seiner bisweilen aggressiven Anlagestrategie in der Finanzkrise baden, ein dickes Minus war die Folge. Folgt demnächst sogar die Pleite? Das Thema hat Relevanz über die Abgeordnetenflure hinaus. Denn am Ende, so sehen es die Statuten vor, tragen nicht die versicherten Parlamentarier das Risiko, sondern das Parlament als Institution, mit anderen Worten: Europas Steuerzahler. Führende Abgeordnete drängen daher darauf, den Schaden so weit wie möglich zu begrenzen.»es ist höchste Zeit, dass das Präsidium das Problem angeht«, sagt die Chefin des Haushaltskontrollausschusses, Inge Gräßle (CDU).»Es ist niemandem zu DER SPIEGEL Nr. 31 / Sitzung des Europaparlaments: Müssen am Ende die Steuerzahler einspringen? erklären, wenn am Ende die europäischen Steuerzahler für eine Zusatzrente von EU- Parlamentariern einspringen müssen.«ein Blick auf die Zahlen beschreibt den Ernst der Lage. Ende 2016 hatte der Fonds ein Vermögen von 146,4 Millionen Euro. Dem standen Verbindlichkeiten in Höhe von 472,6 Millionen Euro gegenüber. Das sogenannte versicherungsmathematische Defizit, also die Unterdeckung der zugesagten Leistungen, liegt damit bei 326,2 Millionen Euro, eine dramatische Größenordnung. Zum Vergleich: Das Jahresbudget des gesamten Parlaments beläuft sich auf knapp zwei Milliarden Euro. Die Folge: Da die Kapitalerträge nicht ausreichen, um die steigenden Rentenzahlungen zu decken, muss der Fonds immer wieder Anlagevermögen verkaufen. Das Kapital des Fonds sinkt so immer weiter, jüngste Berechnungen der Parlamentsverwaltung gehen davon aus, dass der Fonds womöglich bereits 2024 pleite sein wird. Um das bittere Ende zumindest etwas hinauszuzögern, hat Verwaltungschef Welle zarte Sparvorschläge erarbeitet. Unter anderem sollen die Ruhegehälter künftig eingefroren werden. Das Renteneintrittsalter soll von 63 auf 65 Jahre steigen, zudem ist eine Art Solidaritätsabschlag in Höhe von fünf Prozent auf die Rentenzahlung angedacht. Doch die Volksvertreter sperren sich. Immerhin 76 derzeit noch im Amt befindliche Europaabgeordnete erwarten einmal Geld aus dem Fonds, ein Umstand, der den Willen zu unangenehmen Kürzungen nicht gerade befördert. Zu den Begünstigten zählen zudem Poli - tiker, die ihre Interessen durchaus durchzusetzen verstehen, beispielsweise die Chefin des rechtspopulistischen Rassemblement National, Marine Le Pen, und Chef-Brexiteer Nigel Farage. Auch unter den deutschen Europaabgeordneten gibt es Anwärter auf die Zusatzrente, etwa die beiden CDU-Leute Michael Gahler und Thomas Mann. Für sie alle bot der Fonds lange Jahre ein überaus günstiges Arrange - ment. Ihre Einzahlungen übernahm die EU zu zwei Dritteln. Zeitweise beteiligte sich daher eine ganze Reihe prominenter deutscher Abgeordneter an dem Fonds, Claudia Roth von den Grünen etwa oder auch Alexander Graf Lambsdorff, der mittlerweile in den Bundestag gewechselt ist. Insgesamt hat der Fonds neben aktiven Parlamentariern 758 pensionierte Mitglieder, auch 149 britische Europaparlamentarier dürfen sich trotz des Brexits über Ansprüche freuen. Dabei ist gegen die ursprüngliche Idee wenig einzuwenden. Da Europaparlamentarier lange Zeit keinen Anspruch auf eine EU-Rente hatten, sollte der Fonds auch Abgeordnete, die aus ihrer Heimat nicht versorgt wurden, mit einer Pension ausstatten. Das änderte sich erst 2009, seitdem haben EU-Parlamentarier Anspruch auf ein Ruhegehalt von derzeit bis zu knapp 6000 Euro im Monat. Zwar ist es seitdem nicht mehr möglich, dem Fonds beizutreten, doch die erworbenen An - sprüche bestehen weiter. Für manche Abgeordneten wird das Geld aus dem Pen - sionsfonds so»zur Zweit- oder sogar Drittrente«, wie Haushaltskontrolleurin Gräßle moniert. Derzeit steht die Sache auf Wiedervorlage nach der Sommerpause, von einer nachhaltigen Lösung ist man weit entfernt. Sollten die Abgeordneten den Sparvorschlägen folgen, würde der Fonds nur wenig länger durchhalten als bis 2024, haben Wirtschaftsprüfer errechnet gerade mal acht Monate. Peter Müller 31 PATRICK SEEGER / DPA

32 Deutschland»Da krieg ich nen Vogel«Bundestag Als Vizepräsidentin des Parlaments leitet Claudia Roth Plenarsitzungen, muss neutral sein, gegenüber allen, auch der AfD. Dabei ist sie die liebste Hassfigur der Rechtspopulisten. Wie steht sie das durch? Von Ann-Katrin Müller C laudia Roth weiß nicht genau, wann es angefangen hat. Sie pola - risiert, seit sie in der Öffentlichkeit steht, deswegen gab es immer Leute, die sie nicht leiden konnten. Was sie aber genau weiß, ist, dass es in den vergangenen Jahren schlimmer wurde. Und dass kein Ende in Sicht ist. Denn jetzt ist es Strategie: der Hass, die Hetze, die Morddrohungen.»Die wollen mich fertigmachen«, sagt sie. Roth, 63 Jahre alt, ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, Stellvertre - terin des zweithöchsten Repräsentanten Deutschlands. Sie soll das Parlament nach außen vertreten, nach innen organisieren. Dafür hat sie Leitungs- und Ordnungsgewalt, wie es in der Geschäftsordnung heißt. Sie soll die Würde des Parlaments wahren und die Rechte seiner Mitglieder. Aller Mitglieder. Sie ist darin geübt. In der vergangenen Legislaturperiode hatte Roth das Amt schon einmal inne. Es gab keine größeren Probleme, im Gegenteil: Die Abgeordneten mochten sie, lobten, dass sie die Sitzungen akkurat und gut gelaunt leitete. Doch das war in der vergangenen Legislaturperiode. Jetzt ist vieles anders. Denn jetzt sitzt die AfD im Bundestag. Roth ist, nach Angela Merkel, die größte Hassfigur der Partei und ihrer Anhänger. Fällt ihr Name auf AfD-Veranstaltungen, wird gebuht. Roth ist dann die Deutschlandhasserin, die Antifa-Sympathisantin. Das hat Wirkung. Fast täglich erreichen sie Nachrichten, in denen ihr der Tod gewünscht oder angedroht wird. Claudia Roth hat eine These, warum sie das Feindbild ist.»ich stehe für all das, was von der AfD infrage gestellt wird.«stimmt: Roth war 11 Jahre lang Parteichefin der Grünen. Sie ist eine Frau, die ein Leben lebt, das die AfD ablehnt. Sie ist nicht verheiratet, hat keine Kinder. Und sie hat kein Problem damit zu sagen, dass sie Macht will. Aber es ist noch etwas anderes. Es ist Claudia Roths Persönlichkeit. Sie ist offenherzig, hat meist gute Laune, und wenn sie lacht, lacht sie laut. Sie trägt bunte Kleidung, färbt auch mal eine Haarsträhne pink, feiert auf dem Christopher Street Day die Ehe für alle. Sie hat einen Hang zu Pathos, und wenn sie über 32 Demokratie heute redet, ist sie schnell beim Holocaustmahnmal und der deutschen Geschichte. Die AfD macht es rasend, dass ausgerechnet diese Frau Deutschland vertreten darf, dass sie unter dem Bundesadler im Plenum sitzt. Sie darf AfD-Mitgliedern das Wort erteilen oder entziehen, die Abgeordneten zur Ordnung mahnen, wenn sie zu laut werden. Und bei alledem darf sie sich nicht provozieren lassen. Obwohl sie laufend provoziert wird. Es ist ein Balanceakt, an dem sie sich seit neun Monaten versucht und über dem eine Frage schwebt: Wie soll das gehen? 25. Oktober 2017: Erwartung Roth sitzt in ihrem Büro direkt gegenüber des Reichstagsgebäudes. Gestern wurde sie mit 489 Stimmen zur Vizepräsidentin gewählt, das sind 70 Prozent der abgegebenen Stimmen.»Toll, das Ergebnis«, sagt sie.»das ist ne Anerkennung, da habe ich mich richtig gefreut.«roth ahnt, dass es nicht leicht wird, wenn sie in vier Wochen das erste Mal präsidiert. Nicht nur wegen der AfD. Sondern auch, weil die, die sie gewählt haben, Erwartungen an sie knüpfen.»ich werd einen Teufel tun, mich in meiner Funktion als Vizepräsidentin gegen eine einzelne Fraktion zu positionieren«, sagt sie. Sie sei nicht die Anti-AfD-Frau.»Ich bin die Pro-Demokratie-Claudia.«Allerdings kam gestern dieser Tweet:»Peinlich. Kollegen, die bedenkenlos die #Deutschlandhasserin #Roth gewählt haben, lehnen einen hochqualifizierten Kandidaten ab.«thomas Seitz hat das geschrieben, nachdem der AfD-Kandidat fürs Vizepräsidentenamt nicht genügend Stimmen bekommen hatte. Seitz war Staatsanwalt, sitzt jetzt für die AfD im Bundestag. Natürlich hat Roth schon Schlimmeres über sich lesen müssen, sie kann es trotzdem kaum fassen, dass so etwas von einem Abgeordneten kommt:»das ist der Sound von einem Staatsanwalt«, sagt Roth.»Was hat das eigentlich mit Respekt zu tun, mit Anstand?«Ihre Stimme wird lauter:»da krieg ich ja nen Vogel, wenn ein Staats - anwalt so auftritt.«seit Wochen bereitet sich Roth auf die Auseinandersetzung mit der AfD vor. Sie hat mit ihren Kollegen aus den Landtagen gesprochen, gar eine Gesprächsrunde mit ihnen gegründet. Sie hat die Geschäftsordnung des Bundestags noch einmal studiert. Sie hat sich angeschaut, wer genau in der AfD-Fraktion sitzt. Und sie hat sich er - neut mit der deutschen Geschichte aus - einandergesetzt, mit der Sprache und den Code wörtern der Rechten.»Entsorgung, Schlussstrich, Umvolkung, was heißt das, wo kommt das her?«das müsse man wissen, um Einhalt gebieten zu können. Ihr Werkzeug dafür ist die Geschäftsordnung des Bundestags. Sie mag das 200 Seiten starke Schriftstück. Mit dem rechten Zeigefinger stupst sie den linken Daumen an und fängt an aufzuzählen: Ermahnung, Ordnungsruf, Ordnungsgeld, Ausschluss aus Sitzungen. Vier Finger sind oben. Diese Möglichkeiten hat sie, wenn sie präsidiert. Die will sie nutzen,»konsequent«, sagt sie. Und»mit Gelassenheit«, das sei ihr Plan. Deswegen will sie auch keine neuen Regeln für die Geschäftsordnung. Bloß der AfD keine Vorlage geben, mit der sie sich wieder mal als Opfer stilisieren kann. Roth will nur, dass die Ausschusssitzungen wie im EU-Parlament öffentlich werden, damit alle sehen können, wer da ordentlich arbeitet. Und sie fordert die Abgeordneten auf, häufiger im Plenum zu sein, besser zuzuhören, konzentrierter zu sein, mehr dazwischenzugehen.»die politische Auseinandersetzung muss aus den Talkshows dieser Republik wieder ins Parlament verlagert werden«, sagt sie. Roth erzählt, dass sie ein Vorbild hat: Hildegard Hamm-Brücher. Die Liberale, die es bis zur Staatsministerin im Auswärtigen Amt brachte, habe immer für die Demokratie gekämpft, für all das, was die Nazis zerstört haben, sagt Roth. Das sei»so mutig«gewesen. Nun brauchte es eine Wiederaneignung von Demokratie. Viel zu lange sei sie als selbstverständlich hingenommen worden, auch von ihr.»wir haben versäumt, den Menschen zu sagen, wie wichtig Demokratie ist.«

33 PETER FRISCHMUTH / ARGUS Politikerin Roth:»Wir sind im Kulturkampf«23. Januar 2018: Verunsicherung DER SPIEGEL Nr. 31 / Auf dem Tisch in Roths Büro steht ein Ge - steck in Blau-Weiß-Rot. Sie hat es aus Paris mitgebracht, sie war mit einer Bundestagsdelegation zum 55. Jahrestag des Élysée- Vertrags im französischen Parlament.»Nicht mal der Front National in Paris hat sich so danebenbenommen wie die AfD hier«, sagt Roth. Man sei für Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble aufgestanden, wie es sich gehöre. Die AfD-Fraktion war beim Gegenbesuch des französischen Parlamentspräsidenten sitzen geblieben. Roth regt das auf. Ihr geht es um Würde, Ehre, Respekt, Anstand. Das ist ihr wichtig. Wichtiger, als viele erwarten würden. Was das angeht, ist sie überraschend konservativ. Seit der Konstituierung des Bundestags saß Roth viermal auf dem Präsidentenplatz, der Bundesadler über ihr, die Abgeordneten vor ihr, die AfD-Fraktion rechts außen. Es ist viel passiert in den drei Monaten, trotz Weihnachtspause. Der Höhepunkt: Die AfD schrieb Schäuble, dass er Roth zum Rücktritt bewegen solle. Weil sie einen Aufruf unterzeichnet hatte, dass die Partei nicht den Vorsitz des Kulturausschusses bekommen soll, der unter anderem für die Erinnerungsstätten zum Nationalsozialismus zuständig ist. War es klug, zu unterschreiben? Roth seufzt, sie hat lange darüber nachgedacht.»man ist auch als Vizepräsidentin noch ein politischer Mensch«, sagt sie, das habe Schäuble dann öffentlich klargestellt. Und sie bleibe ja Abgeordnete der Grünen, wenn sie gerade nicht offiziell unterwegs sei.»aber vielleicht hat es die AfD erst recht motiviert, sich mit dem Ausschuss auseinanderzusetzen.«und dennoch: Schweigen sei keine Lösung. Roth grübelt jetzt viel über solche Fragen.»Wann muss ich Gesicht zeigen, 33

34 FLORIAN GAERTNER / PHOTOTHEK / GETTY IMAGES AfD-Fraktion im Bundestag:»Dieser Männerblock, nur graue und schwarze Anzüge«in die Kontroverse gehen, und wann biete ich nur eine Bühne?«, fragt sie. Eine Antwort hat sie noch nicht. Fest stehe nur: Es habe sich etwas verändert. Die Haupt debatten seien jetzt nicht mehr in den Talkshows, sagt Roth:»Da drüben geht s jetzt ab.«sie nickt in Richtung des Reichstags. Von Gelassenheit spricht sie nicht mehr. Stattdessen erzählt sie eine Geschichte der letzten Woche, bei der ihr»wirklich fast das Herz stehen geblieben«sei. Ein AfD- Abgeordneter hatte scheinheilig gefragt, ob die Europäische Union Deutschland nicht mehr koste als die Reparationen nach dem Versailler Vertrag, also nach dem Ersten Weltkrieg. Roth sagte nichts. Ein CDU-Abgeordneter kritisierte es dann später als»kriegstreiberei«. Das war gut, findet Roth. Aber hätte sie auch selbst eingreifen müssen? Hätte sie es gekonnt? Wohl kaum, schließlich muss sie die Meinungsfreiheit hochhalten, das Königsrecht der Demokratie.»Ich muss aufpassen, dass ich der AfD keinen juristischen Erfolg beschere.«sie müsse immer damit rechnen, dass die AfD klage, wenn sie rüge oder zur Ordnung rufe. In den Ländern geht die AfD so vor und gewinnt häufig, das haben ihr die Kollegen aus den Landtagen erzählt. Auch die Abgeordneten ringen um ihren Umgang mit der AfD. Manche lassen keine Zwischenfragen von AfD-Politikern mehr zu, um ihnen keine Bühne zu bieten. 34 Andere suchen die Auseinandersetzung. Wieder andere kommen zu ihr. Zuletzt war es Christian Lindner, der FDP-Fraktionsvorsitzende. Die Liberalen sitzen direkt neben der AfD. In deren hinteren Reihen werde derart krass gepöbelt, dass sie dagegen etwas tun müsse, bat er; die Zwischenrufe seien schwer auszuhalten.»aber was soll ich tun«, sagt Roth,»wenn ich die nicht höre und das Protokoll auch nicht?«roth ist müde, das merkt man. Das Präsidieren kostet viel Kraft und Nerven. Die ganze Zeit aufzupassen und der AfD nicht das Gefühl zu geben, dass sie wackele oder unsicher sei, dass sie schwach werde oder sich provozieren lasse, sei anstrengend.»die zwei Stunden sitze ich da echt schweißgebadet«, gibt sie zu. 22. März 2018: Erschrecken Claudia Roth trägt heute Schwarz. Sie kommt gerade vom Requiem für den verstorbenen Kardinal Karl Lehmann.»Raus aus der Sakristei«, hieß es in einer der Ansprachen, das hat Roth inspiriert.»nicht verschließen, ran an die Leute, mit ihnen reden, so will ich das auch«, sagt sie. Das Problem ist nur: Was tut man, wenn der andere nicht reden will, sondern hetzen?»es gibt jetzt laufend Grenzüberschreitungen«, sagt Roth. Vor einer Woche, bei der Kanzlerinnenwahl, hat ein AfD-Abgeordneter seinen Wahlzettel getwittert, obwohl dies verboten ist. Ein anderer hat ein Foto verbreitet, auf dem ein Merkel-Wahlschein auf zwei Klopapierrollen liegt. Außerdem hat ein Mitarbeiter eines bayerischen AfD-Abgeordneten auf der Tribüne bei der Vereidigung Merkels ein Trans - parent ausgepackt, auf dem»merkel muss weg«stand. Ist so etwas noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt? Nein, findet Roth. Das Präsidium hat das erste Mal 1000 Euro Ordnungsgeld verhängt, gegen den Twitterer. Über die Strafe für den Mann mit dem Transparent wurde noch nicht entschieden, die Mitarbeiterkommission empfiehlt Hausverbot. Nur der Mann mit den Klopapierrollen wird wahrscheinlich davonkommen, der Tweet fiel dem Präsi - dium erst spät auf. Gestern dann, als Roth präsidierte, gab es die nächste Szene.»Klar, ich bin im Fokus, sie provozieren gerne, wenn ich dran bin«, sagt Roth. Ein AfD-Mann begann seine Rede mit Glückwünschen zum»147. Geburtstag des Deutschen Reichstags«. Es war ein Signal an all jene, die es gut fänden, wenn es noch ein Deutsches Reich gäbe. Die AfD klatschte, sonst reagierte niemand. Nur Roth sagte, als der Redner fertig war:»nächster Redner in der Debatte, die im Deutschen Bundestag stattfindet, im ehemaligen Reichstagsgebäude den Reichstag gibt es seit 1945 nicht mehr, ist Florian Hahn für die CDU/CSU-Fraktion.«Jetzt will sie sich wehrhafter zeigen. Denn die Stimmung im Haus verschlechtere sich. Angst fange an, sich breitzuma-

35 Deutschland chen, erzählt Roth. In den Aufzügen herrsche oft eisiges Schweigen. Viele Abgeordneten schlössen neuerdings ihre Büros ab, nachdem Kollegen der SPD berichtet hätten, dass AfD-Mitarbeiter ihre Schreib - tische abfotografiert hätten. Andere wollten abends nicht mehr allein durchs Gebäude laufen, weil sie einige AfD-Mit - arbeiter als Aktivisten der Pegida wiedererkannt hätten. Hat Roth Angst?»Überhaupt nicht«, sagt sie. Sie helfe sich mit Trotz. Vor ein paar Wochen sind ihr auf der Treppe im Paul-Löbe-Haus zwei Dutzend schwersttätowierte Kerle entgegengekommen. Eine Besuchergruppe. Sie wollten rauf, Roth runter.»das war dann so ein bisschen wie im Cowboyfilm, die haben mich angeguckt und keinen Platz gemacht. Aber ich wollte keinen Millimeter weichen.«sie sei geradeaus runter, immer weiter.»würde ich nie machen sonst.«roth sitzt auch in der Mitarbeiterkommission des Bundestags. Das Gremium kümmert sich um Arbeitsverträge, Weiterbildung und Arbeitsschutz. Zuletzt aber ging es vor allem darum, wie man Mitarbeiter besser für den Fall trainiert, dass sie am Telefon beschimpft werden.»das passiert ja immer häufiger, dass die den ganzen Dreck abbekommen«, sagt Roth.»Da kommt etwas näher, das wird realer.«was also tun?»tja«, sagt Roth,»es ist eine Gratwanderung.«Einerseits müsse man die Beschäftigten schützen. Andererseits wolle niemand, dass sich der Bundestag in einen Hochsicherheitstrakt verwandele. Internationale Besucher sind oft begeistert, wenn sie erleben, dass man in Deutschland in ein so offenes Parlament komme, auch auf die Kuppel könne.»diese Freiheit wollen wir nicht aufgeben.«25. April 2018: Wut Claudia Roth sitzt noch nicht an ihrem Besprechungstisch, als es schon aus ihr heraussprudelt.»wir haben einiges zu besprechen.«sie klappt eine gelbe Mappe auf und liest vor:»türkenf an die Wand!Wann wird dieses Ding endlich entsorgt?ich habe Bock der eine voll durchzuladen«es sind Kommentare, die auf der Facebookseite von Jens Kestner stehen, einem AfD-Abgeordneten aus Niedersachsen. Kestner hatte sich über ein Interview von Roth mit der»welt«geärgert, in dem sie sagte, dass die AfD mit Demokratie nicht viel zu tun habe.»vizepräsidentin des Bundestags diffamiert AfD Wie tief kann eine Vizepräsidentin noch sinken?«, hatte DER SPIEGEL Nr. 31 / Kestner geschrieben. 960 Kommentare bekam sein Eintrag, fast alle hetzten gegen Roth. Bis Redaktionsschluss hat der Abgeordnete die Kommentare nicht gelöscht, auch die Morddrohungen nicht. Roth sagt, an den Kommentaren sehe man gut, dass es»eine Renaissance von Sexismus«gebe.»Der Blick ins Bundestagsplenum ist so schon deprimierend, weil nur 31 Prozent Frauen da sind«, sagt Roth. Doch wenn sie nach rechts schaue, dann sei da»dieser Männerblock, nur graue und schwarze Anzüge, die Augen auf dich gerichtet, dazu der systematische Versuch, dich mit Zwischenrufen und Geschrei durcheinanderzubringen.«nur 10 der 92 AfD-Abgeordneten sind weiblich. Viele AfD-Anhänger wollten offenbar alles, was sie für linksgrünversifft halten, ausmisten. Da müsse man nun gegen halten. Sie wolle ja nicht übertreiben, sagt Roth,»aber man kann es nicht anders beschreiben: Wir sind mitten im Kulturkampf«. 5. Juli 2018: Kampfgeist Heute ist der letzte Sitzungstag vor der Sommerpause. Claudia Roth hat gerade einen Brief an Alexander Dobrindt geschrieben, sie ist stinksauer. Es geht um einen Wortwechsel im Bundestag. Der Chef der CSU-Landesgruppe hatte die Grünen vor einer Woche gefragt, wie viele der 70 Millionen Menschen, die laut Experten weltweit auf der Flucht sind, sie in Deutschland aufnehmen wollten:»5 Millionen oder 10 Millionen?«Die Stimmung im Plenum war aufgeputscht, viele Abgeordnete riefen dazwischen, auch Roth. Ihr Satz landete im Bundestagsprotokoll:»Nein! Alle, Herr Dobrindt!«Roth sagt, das sei natürlich Ironie gewesen. Die Grünen forderten schon ewig keine offenen Grenzen mehr. Dobrindt wisse das, schließlich habe man gemeinsam über eine Jamaikakoalition verhandelt. Trotzdem sagte Dobrindt gestern, Roth wolle alle 70 Millionen Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen.»ohne meine offenkundige Ironie zu erwähnen«, sagt Roth.»Das war eine richtige Sauerei von ihm.«seither bekommt sie noch mehr Mails als sonst, Mails wie diese:»mit den 70 Millionen hereinzuschleppenden Illegalen hast du Fettvieh eine Grenze gerissen Um Polizeischutz für dich Ekelqualle unwirksam zu machen werden wir das mit einem gezielten Fernschuß erledigen Mit den besten Wünschen zur Verwesung!«Deswegen hat sie den Brief geschrieben, in Kopie an Schäuble und Unionsfraktionschef Volker Kauder.»Vielleicht interessiert es Sie, welche Konsequenzen Ihre gezielte Wiederholung und bewusste Fehlinterpretation meines ironischen Zwischenrufs hat«, schreibt Roth. Sie hängt die Hassmail an,»zur Veranschaulichung«. Und schreibt:»sie wissen sicher, was Sie tun. Bedauerlich.«Wenn Dobrindt nicht antworte, werde sie sich noch etwas anderes überlegen.»jetzt hört s auf«, sagt Roth und lässt ihre Faust auf den Tisch sausen. Roth fühlt sich zerrissen wie selten zuvor. Einerseits sorgt sie sich, dass etwas ins Rutschen gekommen ist:»es gibt kein Halten mehr, wenn die CSU jetzt auch solche Methoden nutzt.«der Hass werde ohnehin immer schlimmer. Vor vier Wochen hatte die AfD eine neue Kampagne gegen sie gestartet. Als Roth präsidierte, inszenierte ein AfD-Abgeordneter eine Schweigeminute für die mutmaßlich von einem Flüchtling ermordete Susanna F. im Bundestag. Roth hatte ihn daraufhin vom Rednerpult verwiesen. Draußen, bei den Hassern, kam das gar nicht gut an. Dabei dürfen Gedenkminuten nur vom Bundestagspräsidium anberaumt werden. Andererseits schöpft Claudia Roth Hoffnung. Weil sich in der Gesellschaft erstmals seit Langem wieder die Gegenkräfte rühren. In Bayern demonstrierten Tausende gegen die CSU. Ein Statement von ihr, in dem sie sich gegen den Hass nach der Schweigeminuten-Aktion wehrte, wurde zum Erfolg in den sozialen Netzwerken. Und nach einem Interview in der»zeit«über den neuen Sexismus im Bundestag haben sie sogar Passanten am Bahnhof angesprochen, um ihr zu danken. Zuversichtlicher ist sie auch, was die Auseinandersetzung mit der AfD im Parlament angeht. Es wird eine schwierige Gratwanderung bleiben, zwischen den Regeln des Bundestags und dem Populismus der AfD, zwischen der Forderung, neutral zu sein, und ihrem Anspruch, im Parlament keinen Rassismus und keine Hetze zu dulden. Sicher:»Die unbelastete Freude an den Debatten und Auseinandersetzungen, die ich früher im Bundestag empfunden habe, ist weg«, sagt Roth. Aber sie sei nun robuster geworden. Könne sich sogar da - rüber freuen, dass sie so im Fokus der AfD stehe.»ich bin ja ungefähr das Schlimmste, was es gibt in deren Welt.«Das sei doch eigentlich eine Ehre. Und sie habe eines verstanden: Egal wie korrekt sie sich benehme, ihre Gegner würden immer etwas finden, was sie ausschlachten können.»also bleibe ich einfach, wie ich bin.«im Rahmen der Geschäftsordnung, versteht sich. 35

36 FELIX STROSETZKI / DER SPIEGEL FLORIAN GENEROTZKY / DER SPIEGEL Funktionärin Kramp-Karrenbauer, Kommunalpolitiker Reischl:»Wir behandeln manche Menschen wie Dreck«Union der Sektierer Parteien In CDU und CSU sammeln sich Konservative und Modernisierer in rivalisierenden Gruppen, die sich für die Zeit nach Merkel wappnen. Der Ton ist scharf, die Parteiführung hilflos. 36 P olitisch gesehen ist Stephan Bloch ein Zwerg. Ein einfaches CSU- Mitglied, Kassenwart im Ortsverband Laim-West in München, erst 29 Jahre alt, unterste Schublade in der christsozialen Parteihierarchie. Doch seit der Nachwuchspolitiker mit ein paar Dutzend Mitstreitern die»union der Mitte«gegründet hat, behandelt ihn das CSU-Establishment wie einen Riesen. Zwar hat Blochs Mitgliederinitiative, die sich gegen einen angeblichen Rechtsruck der Union stellen will, nicht viel mehr vorzuweisen als eine Facebook-Seite mit rund 3000 Fans. Trotzdem erhielt sie an diesem Donnerstag einen Brief der CSU-Landesleitung, der es in sich hatte. Das Schreiben, von CSU-Generalsekretär Markus Blume persönlich signiert, wirft Bloch einen groben Verstoß gegen die CSU-Statuten vor. Neue Vereinigungen seien nur mit Zustimmung des Vorstands erlaubt, warnt der CSU-Funktionär, Bloch solle seine Aktivitäten daher unverzüglich einstellen. Gern könne er sich aber in einer der»satzungsmäßig legitimierten Gliederungen«einbringen, schreibt der Parteimanager gönnerhaft. Für Blume ist Blochs Ameisenaufstand nicht nur»abspaltung und Sektierertum«, sondern Verrat:»Es schadet der gesamten Union.«Dass der Generalsekretär einer Partei mit Mitgliedern einem nur virtuell existierenden Splittergrüppchen den Kampf ansagt, macht deutlich: In der CSU- Spitze liegen die Nerven blank. Nachdem die Konservativen zuletzt Zirkel wie die»werteunion«, den»berliner Kreis«oder»Konrads Erben«gegründet hatten, bildet sich nun eine liberale Gegenbewegung. Die Fragmentierung der Unions familie schreitet voran. Offiziell haben die Spitzen von CDU und CSU ihren destruktiven Konflikt um die Asylpolitik pünktlich zur Sommer - pause begraben. Aber die Mitglieder streiten hitzig weiter, begleichen teils alte Rechnungen und streben mit gegensätzlichen Positionen in die Landtagswahlkämpfe in Bayern und Hessen. Die»Werteunion«stemmt sich beharrlich gegen die längst vollzogene Sozial - demokratisierung der CDU. Sie will die Wähler der AfD zurückgewinnen und lebt das Motto»Merkel muss weg«. Die»Union der Mitte«wiederum sieht sich als Gegengewicht zu den immer lauteren Konservativen und will sich schützend vor die Kanzlerin stellen. Sie glaubt an die Sicht des Konrad-Adenauer-Hauses, dass in der Mitte mehr Wähler zu holen seien, als am rechten Rand verloren gingen. Beide Gruppen verabscheuen die jeweils andere, beide sehen sich moralisch im Recht, und beiden geht es nicht bloß um die kurzfristige Positionsbestimmung: Sie rüsten sich für den großen Richtungsstreit nach dem Abgang von Angela Merkel und Horst Seehofer. Mit unterschiedlichen Strategien versuchen die Parteigranden, der Grüppchen- DER SPIEGEL Nr. 31 /

37 Deutschland bildung entgegenzuwirken. CDU-Chefin Angela Merkel redet die Entwicklung als»ausdruck von Lebendigkeit«schön. Ihre Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer versucht es mit Umarmungstaktik, etwa wenn sie Alexander Mitsch, den Chef der»werteunion«, zum Kennenlerngespräch in die CDU-Zentrale lädt. Die CSU-Spitze dagegen will die Rebellion augenscheinlich im Keim ersticken. Sie alarmiert bereits, dass die»union der Mitte«ihre Fans dazu aufruft, sich auf der Homepage als Unterstützer registrieren zu lassen. Lieber fördert Parteigeneral Blume eine Fotoaktion der Basis mit dem Motto»IchBinCSU«, die zur Einheit aufruft obwohl das Motto»IchBin...«im Netz bisher eher zu Solidaritätsbekundungen für Terroropfer genutzt wurde. Seit das CSU-Establishment Merkel im Streit um die Flüchtlingspolitik an den Rand des Rücktritts zu drängen versucht hat, hadern in der bayerischen Unionsschwester viele mit dem Kurs ihrer Parteiführung. Richard Reischl etwa, seit vier Jahren Bürgermeister der 6000-Einwohner- Gemeinde Hebertshausen bei München. Der 41-Jährige sieht sich als Mann der bürgerlichen Mitte Bayerns,»die Lederhosen trägt, schwarzkonservative Ansichten hat, aber niemals AfD wählen würde«. In Hebertshausen zeigt sich Bayern so malerisch und modern wie auf einem CSU- Plakat. Hier gibt es ein neues»kinderhaus«, das gut vier Millionen Euro gekostet hat, Geranienkübel an den Holzbalkonen und einen tief besorgten Verwaltungschef. Bei der Landtagswahl, fürchtet Reischl, würden viele Bürger ihr Kreuz erstmals nicht bei der CSU machen:»viele sympathisieren mit den Grünen«, sagt er. Schuld sei der stramme Rechtsruck der CSU-Spitze, ist Reischl überzeugt, und seinem Ärger machte er in einem offenen Brief»an meine CSU«Luft. Die Parteispitze solle gefälligst aufhören, über Flüchtlinge herzuziehen:»wir behandeln manche Menschen wie Dreck.«Der Brandbrief brachte Reischl Beifall, aber auch wüste Beschimpfungen ein. Er sei ein linksversiffter Grüner, schrieb ihm ein CSU-Jungspund. Sogar der Ministerpräsident persönlich rief an.»erzählen Sie mir mehr über die Beweggründe für Ihren Brief«, bat Markus Söder und übte sich dann 20 Minuten in der für ihn ungewohnten Disziplin des demütigen Zuhörens. Tags darauf besuchte Söder das Bierzelt von Hebertshausen, feierte den 115. Geburtstag des katholischen Burschen- und Mädchenvereins. Söder prostete Reischl zu und erwähnte das Wort Asyl in seiner Rede nur ein einziges Mal. Die Union übt sich dieser Tage in einer ungewohnten Disziplin: dem Flügelstreit. Während die Sozialdemokraten mit dem Seeheimer Kreis, den Netzwerkern oder der Parlamentarischen Linken traditionell in politischen Lagern organisiert sind, waren in der Union allgemeinpolitische Richtungskämpfe bislang verpönt. Gibt es bei der CDU Posten zu verteilen, wetteifern die Landesverbände miteinander oder die traditionellen Parteivereinigungen für Frauen, Jüngere oder Arbeitnehmer. Aber doch nicht Rechte gegen noch Rechtere. Auch die Heftigkeit und die Giftigkeit, mit denen die neuen Minifraktionen ihre Streitigkeiten austragen, ist neu. Geradezu hämisch postet die»union der Mitte«auf Facebook Meldungen über die schlechten Umfrageergebnisse der CSU als wünschte man der eigenen Partei die Niederlage. Konservative Parteifreunde werden in den Kommentaren als»nationalisten«oder»populisten«beschimpft. Die Rechte teilt ebenfalls kräftig aus, schmäht die Mitte- Leute als»linksgrüne Antifanten«und»Unions-Sozen«. Dazwischen bitten genervte Parteifreunde vergebens um Mäßigung. Man könnte all dies als typische Eskalation in sozialen Medien abtun. Doch hier kämpft nicht die AfD gegen die Grünen, sondern die Union gegen sich selbst. Im rechten Parteilager bricht sich ein Frust Bahn, der sich seit Jahren angestaut hat: Vom Ausstieg aus der Atomenergie über Kitaausbau und Eurorettung bis zur Flüchtlingspolitik die Konservativen fühlen sich marginalisiert in einer Merkel-Union, die in den vergangenen Jahren immer mehr Forderungen von SPD und Grünen übernommen hat. Mit Genugtuung wurde deshalb in konservativen Kreisen verfolgt, wie die CSU-Spitze in den vergangenen Wochen den Rollback versuchte. Doch nun, da die Kanzlerin den Machtkampf zu ihren Gunsten entschieden hat, sehen sie sich erneut in der Defensive. Als sich jüngst der rechtsgerichtete»berliner Kreis«im Regierungsviertel traf, hofften wohl viele auf einen markigen Auftritt von Stargast Alexander Dobrindt. Doch der CSU-Landesgruppenchef hütete sich, den frisch geschlossenen Frieden mit der CDU zu gefährden. Zum Entsetzen des Publikums ließ er sogar fallen, dass gar keine Migration auch keine Lösung für eine Gesellschaft sei. Mehr Applaus gab es da für»werte - union«-chef Alexander Mitsch, der die»grünen in der eigenen Partei«kritisierte. Oder für Christean Wagner, Gründer des»berliner Kreises«, der die»linksgrüne Journaille«angriff, weil sie so unfair auf die CSU eingeprügelt habe.»wir wollen doch nicht die Union nach rechts rücken«, rief Wagner,»wir wollen verhindern, dass sie nach links rückt!«doch es passiert das BEGLEITEN SIE UNS IN EIN NEUES ZEITALTER Reisen in der Hurtigruten Hybrid-Klasse. MIT DEN WELTWEIT ERSTEN Hybrid-Expeditionsschiffen MS Roald Amundsen und MS Fridtjof Nansen hat die Zukunft der Expeditions-Seereisen begonnen. Ihre hochmoderne, nachhaltige Technologie, der herausragende Komfort sowie 100 % Außenkabinen, viele davon mit Balkon, sorgen für ein unvergleichliches Reiseerlebnis. Gleiten Sie lautlos zu den spektakulärsten Orten der Erde. Mit Hurtigruten, dem Experten für polare Gewässer. 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38 Gegenteil: Mit der»union der Mitte«hat die Mainstream-Mehrheit der CDU plötzlich noch eine kleine, lautstarke Leibgarde. Ausgerechnet die Konservativen, die sich doch als Stimme der Vernunft fühlen, müssen sich nun selbst Appelle zur Vernunft anhören. In der Führung der Unionspar - teien fürchten nicht wenige, dass frustrierte Konservative abermals der Partei in Scharen den Rücken kehren könnten. Sie erinnern an das Jahr 2012, als das Konrad-Adenauer- Haus dem»berliner Kreis«die Anerkennung versagte und dessen Mitgründer Alexander Gauland seinen Abschied aus der CDU einleitete. Heute ist er Chef der AfD und führt die drittgrößte Bundestagsfraktion. Hans-Jürgen Irmer dagegen ist in der CDU geblieben, auch wenn der Leidensdruck groß ist. Der Bundestagsabgeordnete aus Wetzlar ist Mitglied mehrerer konservativer Zirkel, weil er dabei helfen will, neben dem Arbeitnehmerflügel und der Mittelstandsvereinigung endlich auch der dritten,»der konservativen Säule der CDU«wieder eine machtvolle Interessenvertretung zu geben. Die»Union der Mitte«hält er für»überflüssig«:»wir verstehen uns doch insgesamt als Partei der Mitte.«In Irmers Heimat Hessen ist die Diskrepanz der alten zur neuen CDU besonders groß. Früher regierte hier Alfred Dreggers Stahlhelm-CDU, heute koaliert ausgerechnet Dreggers früherer Mitstreiter Volker Bouffier mit den Grünen. Irmer sieht sich als klassischen Konservativen. In seinem Heimatort leitet er den Verein»Pro Polizei Wetzlar«und die Zeitschrift»Wetzlar Kurier«, die Schwulen früher Ratschläge erteilte, wie sie ihre»neigung überwinden«könnten.»rotgrüne Perversionen Schwule Ausländer erhalten Bleiberecht in Deutschland«, titelte Irmers Blatt einst. Den Frontmann des grünen Koalitionspartners, Tarek Al-Wazir, titulierte er oft mit dessen Zweitnamen»Mohamed«. Und bis heute warnt Irmer vehement vor dem politischen Islam. In der Hessen-CDU konnte er diesen Kurs lange ungestört verfolgen. Doch seit der schwarz-grünen Koalition von 2014 und Bouffiers Wandlung vom»schwarzen Sheriff«zum liberal-konservativen Landesvater verengten sich auch hier die Grenzen des Sagbaren. Plötzlich rüffelten ihn die eigenen Parteifreunde. Irmer warnt seinerseits, der CDU drohe auf Dauer die Marginalisierung, wie der SPD. Sein Rezept für die Landtagswahl im Oktober:»Alfred Dregger hat die CDU als Partei für Law and Order aufgestellt, und das wäre auch heute noch im Sinne 38 Parteikonservativer Irmer Die Grenzen des Sagbaren haben sich verengt vieler bürgerlicher Wähler.«Und im Bund seien noch einige Fehler in der Asylpolitik zu korrigieren, die 2015 durch Merkels»gut gemeinte Aktion«passiert seien. In der CDU ist es die Aufgabe vor allem einer Politikerin, die Fragmentierung aufzuhalten: Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Will sie ihren Ruf als aussichtsreiche Merkel-Nachfolgekandidatin verteidigen, muss sie die frustrierten Konservativen und die verunsicherte Parteimitte versöhnen. In dieser Hinsicht blickt die Saarländerin auf enttäuschende Wochen zurück. In der Bundestagsfraktion, in der Kramp-Karrenbauer nur als Gast sitzen darf, eskalierte der Streit zwischen Merkels Anhängern und Gegnern dermaßen, dass man knapp an der Spaltung vorbeischrammte. Es war ein Vorgeschmack auf die Machtkämpfe, die nach dem absehbaren Abgang der Kanzlerin drohen. Die Gefechtslage ist unübersichtlich, denn die wichtigsten Gegner des Mitte- Kurses, etwa Präsidiumsmitglied Jens Spahn, tummeln sich oft gar nicht demonstrativ in konservativen Klüngeln. Umgekehrt halten sich Merkels Anhänger im Konfliktfall oft vornehm zurück, bis andere den Kampf für sie ausgefochten haben. Auch Merkel ist Kramp-Karrenbauer keine Hilfe im Bemühen um die Einheit der Union. Wie sehr die CDU-Chefin in den Grabenkämpfen mit der CSU gefangen ist, zeigte ihre jüngste Pressekonferenz, auf der die Kanzlerin den Bogen von ihrer Ablehnung nationaler Alleingänge in der Flüchtlingspolitik bis zu den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 schlug. Als wäre sie die letzte Bastion gegen die Barbarei. Man kann Kramp-Karrenbauer auch nicht vorwerfen, dass sie nicht alles für die Befriedung der CDU täte. In den vergangenen Monaten bereiste sie gut 40 Städte, sprach mit Tausenden Parteifreunden über ein neues Grundsatzprogramm. Doch nun scheint alle Mühe vergebens gewesen zu sein. Während Kramp-Karrenbauers Leute die Stapel von Karteikarten mit Mitgliederwünschen zu Wehrpflicht oder Gentechnik entziffern und in Excel-Dateien eintragen, verschärft sich der Flügelstreit. Das Zuhören der Generalsekretärin verhinderte weder die Geburt der»union der Mitte«, noch linderte es den Frust der»werteunion«. Am 20. August will Kramp-Karrenbauer im Bundesvorstand die Ergebnisse ihrer»zuhör-tour«vorstellen. Mehr Aufmerksamkeit dürfte aber ein Tagesordnungspunkt genießen, den die Generalsekretärin notgedrungen auf die Liste nehmen musste:»umgang mit Sonderorganisationen«. Wie positioniert sich die CDU zu ihren Splittergruppen? Ex-Generalsekretär Peter Tauber hatte einst überlegt, die Liste der CDU-Vereinigungen zu erweitern, etwa um die Lesben und Schwulen in der Union (LSU). Kramp- Karrenbauers Kurs ist anders: Nach ihrer Wahl zur Generalsekretärin wurde die CDU-Internetseite bereinigt, alle Hinweise auf inoffizielle Parteigruppen verschwanden. Die Botschaft ist klar: Kramp-Karrenbauer will so viel Union und so wenige Grüppchen wie möglich. Dummerweise hält sich die Basis nicht an ihre Linie. Dem Bundesvorstand will die Generalsekretärin nun raten, die rivalisierenden Fraktionen zwar nicht zu bremsen, aber für überflüssig zu erklären. Dem Vernehmen nach wünscht sie sich auch einen Appell der Parteispitze an die Streithähne, ihren Ton zu mäßigen. Am liebsten würde die CDU-Spitze das Thema ganz abräumen, doch es hat die Generalsekretärin zuletzt sogar bis in die USA verfolgt. Anstatt nur muntere Berichte über Treffen mit Gouverneuren und Thinktanks in die Heimat zu schicken, sah sich Kramp-Karrenbauer gezwungen, zur Geschlossenheit zu mahnen:»ein Haus, das in sich geteilt ist, kann nicht bestehen«, twitterte sie zu einem Foto von sich vor der Lincoln-Statue in Washington. Einer der ersten Kommentare kam sogleich von der konservativen Gruppe»Konrads Erben«. Wer, so fragte sie, habe denn das Haus gespalten?»wer hat viele Konservative aus der Union vertrieben?«melanie Amann, Matthias Bartsch, Anna Clauß GREGOR SCHLAEGER / DER SPIEGEL

39 Deutschland Chance für Chancenlose Analyse Die Bundesregierung plant einen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose. Das ist sinnvoll vorausgesetzt, man ist ehrlich und konzentriert sich auf die Richtigen. M an kann über das jüngste Vorhaben von Arbeitsminister Hubertus Heil vieles sagen, nur eines nicht: Der»soziale Arbeitsmarkt«ist keines der vielen Wählergeschenke für die Mittelschicht anders als etwa die Mütterrente oder das Baukindergeld. Es ist eines der wenigen Projekte der Großen Koalition für Menschen am unteren Rand der Gesellschaft, die keine Stimme in der Politik haben, weil viele von ihnen längst nicht mehr wählen gehen. Bis 2022 sollen die Jobcenter vier Milliarden Euro bekommen, um bis zu Langzeitarbeitslosen wieder eine Beschäftigung zu geben. Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance mehr haben. Auf den ersten Blick scheint es paradox. Der Arbeitsmarkt boomt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Firmen suchen händeringend Arbeitskräfte. Und es sind nicht nur die gut Ausgebildeten, die profitieren: Seit Einführung von Hartz IV im Jahr 2005 hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen halbiert, und sie 12 bis unter 24 sinkt weiter. Monate Warum also ein sozialer Arbeitsmarkt? Und warum jetzt? Weil es einen zweiten Blick lohnt. Noch immer gibt es Langzeitarbeitslose, die seit mehr als einem keine Angabe Jahr ohne Job sind. Nicht alle haben eine düstere Perspektive, unter ihnen sind Mütter, die kleine Kinder großziehen, Menschen, die zu Hause Angehörige pflegen oder denen schlicht noch 48 Monate und länger Sprachkenntnisse fehlen. Es ist ein stetes Kommen und Gehen. Langzeitarbeitslose nach Dauer ihrer Arbeitslosigkeit insgesamt Stand: Juni 2018 Quelle: Bundesagentur für Arbeit Doch es gibt auch einen verfestigten Kern von Arbeitslosen, die nahezu chancenlos auf dem normalen Arbeitsmarkt sind und deshalb eine geförderte Beschäftigung brauchen. Auf bis Menschen schätzen Arbeitsmarktexperten deren Zahl. Sie gelten als»arbeitsmarktfern«, weil sie meist mehrere»vermittlungshemmnisse«zugleich haben. In der Sprache des wirklichen Lebens klingt das härter: Schulden, Suchtprobleme, fortgeschrittenes Alter, keine Ausbildung, Erkrankungen. Auch sie haben ein Recht darauf, dass der Staat sie nicht nur mit dem Lebensnotwendigen versorgt, sondern zudem eine sinnvolle Beschäftigung anbietet und ihnen damit die Möglichkeit gibt, am sozialen Leben teilzunehmen. Der soziale Arbeitsmarkt zielt auf die Abgehängten: Wer binnen acht Jahren mindestens sieben Jahre lang Hartz IV bezogen hat und in dieser Zeit bestenfalls kurzfristig beschäftigt war, soll bis zu fünf Jahre gefördert werden. In den ersten beiden Jahren sollen den Arbeitgebern ob Privatunternehmen, Wohlfahrtsverband oder Kommune komplett die Lohnkosten erstattet werden. In den folgenden drei Jahren sinkt der Zuschuss. Sozialversichert, zum Mindestlohn. Zugleich sollen die Arbeitslosen vom Jobcenter einen Coach zur Seite gestellt bekommen, der ihnen bei Problemen helfen kann. Daneben sollen auch Langzeitarbeitslose, die mindestens seit zwei Jahren keinen Job mehr haben und damit vergleichsweise bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, mit geringeren Zuschüssen und kürzer gefördert werden. Das Vorhaben ist eine ehrliche Debatte wert, die nüchtern fragt: Wie kann man Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen? Welchen Beitrag kann ein sozialer Arbeitsmarkt dabei leisten? Und was darf er nicht sein? Zunächst ist er vom regulären Arbeitsmarkt mit seinen Vollzeitjobs weit entfernt, wenn er sich wirklich nur um die Menschen kümmert, die kaum Chancen in der normalen Arbeitswelt haben. In Wahrheit ist der geförderte Arbeitsmarkt nicht zuerst eine arbeitsmarktpolitische, sondern eine so - zialpolitische Maßnahme. Es geht um Teilhabe. Was er nicht werden darf: eine Beschäftigungstherapie, in der man Menschen parkt, wie bei den oft sinnlosen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Neunzigerjahre, für die das Motto galt: Aus bis unter 48 Monate 24 bis unter 36 Monate den Augen, aus der Statistik, aus dem Sinn. Daher ist richtig, dass jeder Teilnehmer das Programm sofort verlassen kann, sobald er einen regulären Job oder einen Ausbildungsplatz bekommen kann. Sonst würde der soziale Arbeitsmarkt zur Falle für die Betroffenen, und es bestünde zudem die Gefahr, dass die subventionierten Stellen auch reguläre Arbeitsplätze verdrängen könnten. Noch enthält der Entwurf Mängel. Ursprünglich wollte Heil, dass tarifgebundene Betriebe den Menschen auf dem sozialen Arbeitsmarkt nicht den Mindestlohn, sondern Tariflohn zahlen, der ihnen anschließend von der Bundesagentur für Arbeit (BA) erstattet wird. Der Grund ist ebenso einfach wie nachvollziehbar: Diese Betriebe dürfen Mitarbeiter nicht unter Tariflöhnen einstellen. Doch die Union bestand darauf, dass die BA nur den Mindestlohn tragen darf. So sinkt nun der Anreiz, solche Jobs anzubieten, weil die Arbeitgeber die Differenz zum Tariflohn zahlen müssen. Aus Sicht der BA gefährdet das den Erfolg des gesamten Programms:»Dies ist bei einer sehr arbeitsmarktfernen Zielgruppe eine zusätzliche Hürde für potenzielle Arbeitgeber, weil es die Beschäftigung dieser Menschen kostspielig macht.«es gibt allerdings auch in der Union die Stimmen, die dies noch korrigieren wollen. Wahr ist allerdings ebenfalls: Wer behauptet, der soziale Arbeitsmarkt allein würde das Problem Langzeitarbeits - losigkeit lösen, belügt sich selbst und die Bürger. Es gibt kein Wundermittel. Die Integration der meisten Langzeitarbeitslosen gelingt am erfolgreichsten auf dem ersten Arbeitsmarkt. Deshalb wäre schon viel geholfen, wenn die Jobcenter mehr Berater und Betreuer erhielten, um die Menschen besser und intensiver coachen zu können. Von jedem Euro, den die Bundesagentur für Arbeit derzeit für die Jobcenter erhält, gehen 59 Cent für Verwaltungsausgaben drauf. Die betroffenen Arbeitslosen hätten die Anstrengung verdient. Markus Dettmer DER SPIEGEL Nr. 31 /

40 Deutschland»Wechselbad aus Anfeindungen und Schmeicheleien«SPIEGEL-Gespräch Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, 59, über den spektakulären Nato-Gipfel, Trumps negative Fixierung auf Deutschland und das Ringen ihrer Partei mit dem Rechtspopulismus SVEN DÖRING / DER SPIEGEL 40

41 SPIEGEL: Frau Ministerin, vor Kurzem haben Sie US-Präsident Donald Trump auf dem Nato-Gipfel aus nächster Nähe erlebt. Dort hat er Deutschland massiv angegriffen, stellte die Nato insgesamt infrage. Schon wieder erholt vom Schock? Von der Leyen: Wir kannten den Mechanismus, die Provokation als Stilmittel, ja schon. Was wir nicht wussten: Welche Seite zeigt Präsident Trump auf dem Gipfel? Ein US-Präsident, der eine starke Allianz will, um damit nach Helsinki zum Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu fahren? Oder aber einer, der verbal die Axt an die Nato legt? Auch den kennen wir ja. Im Rückblick hat sich gezeigt, beide sind gekommen. SPIEGEL: Die beiden Gesichter Trumps zeigten sich auch in Bezug auf Deutschland. Auf der einen Seite derbe Kritik. Am Ende dann eine Liebeserklärung an die Kanzlerin. Was zählt denn nun? Von der Leyen: Wir sollten gelassen akzeptieren, dass Präsident Trump so vielgesichtig auftritt. Wir erleben eine Art Wechselbad aus wüsten öffentlichen Anfeindungen, harten Verhandlungen und manchmal Schmeicheleien. Das Ganze soll ein Maximum an Unruhe stiften, in der Präsident Trump seine Punkte machen kann, nach dem Motto: Kündigung-Drohung-Deal. Entscheidend für uns ist, Ruhe zu bewahren, unsere eigenen Interessen genau zu kennen und die eigene Position in aller Klarheit konsequent zu vertreten. SPIEGEL: Trump rühmte sich nach dem Gipfel, er habe die Nato mit seinem Druck aufs richtige Gleis gesetzt. Ist seine Strategie doch sinnvoll? Von der Leyen: Wenn ihm solche Äußerungen bei seinem Publikum daheim helfen ich halte mich an Zahlen und Fakten. Wir haben uns bei den Verteidigungsausgaben 2014 zum Zwei-Prozent-Ziel bekannt. Die Nato bewegt sich seither in die richtige Richtung, der finanzielle Input ist erheblich gestiegen, die Ausrüstung wird modernisiert, Lücken werden geschlossen, also der Output gestärkt. Das ist das Entscheidende. SPIEGEL: Zumindest beim Zwei-Prozent- Ziel hat Trump ja recht. Die Nato-Staaten haben bereits 2014 noch unter Trumps Vorgänger Barack Obama bei einem Nato-Gipfel in Wales versprochen, dieses Ziel erreichen zu wollen. Von der Leyen: Dass Präsident Trump von allen Nato-Partnern mehr Anstrengungen fordert da hat er einen Punkt. Auch Deutschland muss die Bundeswehr dringend besser und vollständig ausstatten. Deswegen waren unsere Trendwenden der vergangenen Jahre richtig, und wir müssen hier kraftvoll weitermachen. Wenn ich mir unsere Zahlen ansehe, haben wir seit 2014 eine Steigerung des Verteidigungsetats um 30 Prozent bereits erreicht und planen, in DER SPIEGEL Nr. 31 / »Präsident Trump macht seine Punkte nach dem Motto: Kündigung- Drohung-Deal.«der Dekade nach Wales auf gut 80 Prozent zu kommen. Das lässt sich sehen, auch in der Allianz. SPIEGEL: Ihr Koalitionspartner, die SPD, zieht dabei nicht richtig mit. Höhere Militärausgaben haben auch bei der Bevölkerung wenig Sympathie. Wie wollen Sie raus aus diesem Dilemma? Von der Leyen: Dieses Bild hat sich doch etwas gewandelt. In der Bevölkerung gibt es sehr wohl Verständnis dafür, dass sich unsere Sicherheitslage dauerhaft verändert. Und dass wir deshalb eine Bundeswehr brauchen, die gemeinsam mit unseren Verbündeten agieren kann. Das ist inzwischen breiter Konsens. Um die Folgen des jahrzehntelangen Heruntersparens unserer Streitkräfte abzuschütteln, bedarf es erheblicher Anstrengungen und auch Zeit. SPIEGEL: Sie müssen von Jahr zu Jahr kämpfen um die Erhöhung Ihres Etats. Hilft Ihnen Trump mit seinen Drohungen, oder sabotiert er Sie? Von der Leyen: Weder noch. Es geht nicht um ihn, sondern um unsere schwierige Sicherheitslage. Jeder hat verstanden, dass wir in Europa ganz neuen Bedrohungen ausgesetzt sind. Im Osten durch das Gebaren des Kreml, aber auch im Süden durch den Terror des sogenannten Islamischen Staats oder die Instabilitäten im Nahen und Mittleren Osten oder von Teilen Afrikas. Wir Europäer sind gefordert in unserem ureigenen Interesse, und nicht, um dem US-Präsidenten zu gefallen. SPIEGEL: Aber wenn es so wirkt, als beuge sich die Bundesregierung einem wütenden US-Präsidenten, wäre das politisch ein Problem. Von der Leyen: Das Maß ist nicht er, sondern die Sicherheit unseres Landes. SPIEGEL: Politische Beobachter sagten nach dem Gipfel, die Europäer wirkten in Brüssel, als würden sie ein Stockholm-Syndrom durchleben. Die Regierungschefs hätten sich gefreut, dass sie nur zweimal und nicht zehnmal von Trump geschlagen worden seien. Empfinden Sie sich als Geisel? Von der Leyen: Das ist Unsinn. Ich bin ja dabei gewesen, auch bei der nun fast schon legendären Sondersitzung. Das war im Endeffekt eher eine der Sternstunden der Nato. Wohl selten gab es im Nato-Hauptquartier flammendere Plädoyers und eine so intensive Selbstvergewisserung über den Sinn des Gemeinsamen als an diesem Tag. Von den Europäern ebenso wie von der anderen Seite des Atlantiks. Zum Beispiel vom kanadischen Premierminister, der unglaublich überzeugend dargelegt hat, warum es in kanadischem Interesse sei, Soldaten an der lettischen Grenze zu haben, um die baltischen Freunde und somit die ganze Nato zu schützen. Wenn Druck ausgeübt wird, wird man sich seiner Stärke bewusst. Es gab eine beeindruckende Geschlossenheit der Nato-Mitglieder und ambitionierte Beschlüsse dieses Gipfels, die von allen mitgetragen werden, auch den USA. SPIEGEL: Wie erklären Sie sich, dass sich Trump Deutschland als eine Art Lieblingsfeind rausgepickt hat? Von der Leyen: Diese Fixierung begleitet ihn ja schon über Jahrzehnte. Lange bevor er Präsident war, hat er bereits über deutsche Autos und deutsche Exporte gesprochen. Seine oft abfällige Art gegenüber Deutschland ist aber alles andere als typisch amerikanisch. Ich war bei meiner letzten US-Reise im Abgeordnetenhaus und im Senat und habe erfahren, mit welcher Leidenschaft sich die Amerikaner über Parteigrenzen hinweg zur Nato bekennen und wie sehr ihnen an der deutschamerikanischen Freundschaft liegt, die für viele nicht nur schöne Erinnerung ist, sondern vor allem ein wichtiges Element der Zukunft unserer freien und toleranten Gesellschaften. SPIEGEL: Kann es sein, dass die Fixierung auf Deutschland damit zu tun hat, dass dieses Land von einer Frau regiert wird? Von der Leyen: Eine Frau wie Angela Merkel, eine weltweit angesehene Regierungschefin mit langer Erfahrung, kam in seinem Weltbild vermutlich bisher nicht vor. Ihre Art, Konflikte anzugehen, hat schon so manchen Frontalangriff ins Leere laufen lassen und zu einer Lösung geführt. Es ist gut zu sehen, dass sich die Beziehung verbessert hat. Am Anfang wollte er ihr nicht einmal die Hand geben. Inzwischen ist der Umgang respektvoll, er hört ihr zu. SPIEGEL: In der Gipfelerklärung wird die Bedeutung des Artikels 5 des Nato-Vertrags deutlich unterstrichen. Nur Tage später hat US-Präsident Trump genau diese Beistandspflicht im Fall eines der kleinsten Partner, Montenegro, angezweifelt. Was sind Erklärungen wert, wenn Trump sie kurz darauf wieder infrage stellt? Von der Leyen: Der US-Präsident hat nach diesen Äußerungen wütende Kritik von allen Seiten, vor allem auch im eigenen Land und dort zudem von seinen eigenen Leuten, einstecken müssen. Da wurde wieder klar: Die Amerikaner schützen den Wesenskern der Nato. SPIEGEL: Trump scheint Kritik aus den eigenen Reihen nicht zu stören. Von der Leyen: Der Präsident ist kein Alleinherrscher. Als ich in den USA war, kam 41

42 IN DER SPIEGEL-APP Deutschland Berlins steinerne Geister Inmitten der Metropole, neben Regierungsgebäuden, Szenevierteln und Tourismusempfehlungen, findet man Orte, um die sich seit Jahren niemand mehr kümmert. Ehemalige Brauereien, Ausflugslokale und Krankenhäuser, leer stehend und vergessen. Gesperrt für die Öffentlichkeit, strahlen die langsam ver fal - lenden Orte eine seltsam faszinierende Magie aus. Reisen Sie per Panoramarundgang durch diese Zeitzeugen der Hauptstadt: verlassen, verrottet, verwunschen. Sehen Sie die Visual Story im digitalen SPIEGEL, oder scannen Sie den QR-Code. JETZT DIGITAL LESEN FOTOS: MANUEL DAHMANN ich bei den Abgeordneten und Senatoren kaum zu Wort, so schnell haben sie mich daran erinnert, dass es die Nato war, die sofort nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 an der Seite der USA stand und den Bündnisfall auslöste. Die Nato steht zusammen, das ist weiterhin gemeinsames Interesse beiderseits des Atlantik. Gerade auch weil sie nicht von einem Basta eines Einzelnen bestimmt werden kann. SPIEGEL: Auf dem Nato-Gipfel ist eine Erklärung verabschiedet worden, die Russland scharf verurteilt. Zwei Tage später traf Trump in Helsinki Russlands Präsidenten Putin und trat mit ihm kumpelhaft auf. Von der Nato-Kritik war nichts zu hören. Von der Leyen: Die Gipfelerklärung ist von allen, auch den USA, beschlossen worden. Sie gilt also. Helsinki hat wieder gezeigt, dass Russlands Präsident Putin eine klare Strategie hat. Seine wirtschaftliche Schwäche will er dadurch überspielen, dass er sich als globaler Player positioniert. Ein Mittel dafür ist auch, den Konsens der Atlantischen Demokratien, die Nato und die EU zu spalten. Eine klare Strategie des amerikanischen Präsidenten im Umgang mit Russland ist nach dem Treffen indes nicht zu erkennen. SPIEGEL: Es heißt, Trump habe Putin gegenüber die Gipfelerklärung der Nato gar nicht erwähnt. Von der Leyen: Das Problem von Helsinki ist doch, dass niemand wirklich weiß, was dort besprochen oder sogar vereinbart worden ist. Gerade deswegen ist es wichtig, dass die Nato sich zuvor klar positioniert hat: Wir wünschen uns ein besseres Verhältnis zu Moskau, aber dafür liegt der Ball im Feld des Kreml. SPIEGEL: Sie haben in Ihrer Zeit als Familienministerin traditionelle Männerrollen massiv infrage gestellt, die Elternzeit auch für Väter war Ihre Erfindung. Haben Sie damit gerechnet, dass der vielbeschworene alte weiße Mann, der von Trump geradezu ikonografisch verkörpert wird, sich noch einmal derartig Gehör verschaffen und von mehr als der Hälfte der weißen Frauen in den USA gewählt würde? Von der Leyen: Das ist eine Frage, die ich mir nach seiner Wahl oft gestellt habe. Inzwischen sehe ich, dass es weltweit eine Sehnsucht gibt nach einer einfacheren Ordnung, nach Reduktion von Komplexität. Präsident Trump bedient genau dieses Gefühl. Globalisierung verlangt den Menschen viel ab. Offene Gesellschaften sind diskussionsfreudig, aber die Suche nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit ist auch anstrengend. Viele Meinungen sind zugelassen. Verständigung braucht den Willen, oft auch den Mut zu Verhandlungen. Unsere heutigen Rollenbilder sind auch Ergebnisse permanenter Verhandlungen zum Beispiel: Wie kann ich Berufstätigkeit und SVEN DÖRING / DER SPIEGEL Von der Leyen, SPIEGEL-Redakteure*»Ein klärendes Gewitter«Kinder zusammenbringen? All das hat den Radius enorm erweitert, es ist ebenso mühsam wie der Mühe wert. SPIEGEL: Im Kleinen, im Verhältnis zwischen Mann und Frau, zeigt sich somit Ähnliches wie im Großen im Verhältnis zwischen den Staaten? Verhandlungen werden als zu anstrengend empfunden? Von der Leyen: Zumindest sind manche Muster ähnlich. Im Ringen der europäischen Demokraten mit den Rechtspopulisten stellt sich die Frage: Fallen wir zurück in die alten Muster des Nationalismus, des Egoismus, oder trauen wir uns auch hier zu, ins Unbekannte hinauszugehen, Einflüsse von außen zuzulassen und uns»wir haben in der Union alle verstanden, dass im Streit der Bogen überspannt war.«angesichts unserer europäischen Geschichte und Geografie das Gemeinsame zum Ziel zu machen? SPIEGEL: Den Weg der Modernisierung einer konservativen Partei sind Sie gemeinsam mit Angela Merkel gegangen. Merkel hat im Laufe der vergangenen 13 Jahre einen vernunftbetonten Regierungsstil entwickelt, ist jetzt aber konfrontiert mit Männern, die eine emotionale Politik betreiben. Nicht nur Trump, auch der französische Präsident Emmanuel Macron ist ein Gefühlspolitiker. Hat sich der Regierungsstil Merkels überlebt? Von der Leyen: Ist Ihnen aufgefallen, dass Sie Männern eine Eigenschaft zuschreiben, die über Jahrtausende mit Frauen sicher nicht schmeichelhaft in Verbindung gebracht worden ist? Das zeigt nur eines: Männer und Frauen sind jeweils nicht besser, sie sind nur anders. Der vernunftbe - * Susanne Beyer und Matthias Gebauer in Bayreuth. 42

43 tonte Stil der Kanzlerin ist genauso richtig wie der von den Gefühlspolitikern. Wir brauchen einen breiten Blick auf die Welt. Es ist gut, wenn die Menschen, die Verantwortung tragen, sich voneinander unterscheiden. Die Kombination verschiedener Blickwinkel auf das große Ganze eröffnet den richtigen Weg, das ist das Potenzial der Kombination Merkel/Macron. SPIEGEL: Aber Merkels Strategie, mit Fakten zu punkten, scheint sich im Zeitalter der Fake News überlebt zu haben. Trump hat Merkel zum Beispiel mit falschen Zahlen über eine angebliche Energieabhängigkeit von Russland attackiert. Die Kanzlerin hat das weggelächelt. Wie lange kann sie das noch durchhalten? Von der Leyen: Wir dürfen uns nicht einlassen auf die Eskalation, allerdings müssen wir den falschen Zahlen konsequent widersprechen: Am Energiemix Deutschlands hat Russland nur einen Anteil von 9 Prozent. Punkt. Und diese Zahl muss man immer gegen die angeblich 70 Prozent halten, die der US-Präsident verbreitet. Sonst verfestigen sich Fake News. SPIEGEL: In München haben vergangenes Wochenende Zehntausende Menschen dagegen protestiert, dass Ihre Schwesterpartei CSU sich die Wutpolitik der Rechtspopulisten zumindest in Teilen zu eigen macht. Das Problem betrifft also auch Ihr Lager. Von der Leyen: Die Auseinandersetzung der vergangenen Wochen in der Union war ein klärendes Gewitter. Wir haben in den letzten Wochen in den Abgrund geschaut. Nicht nur wegen der konkreten politischen Themen, sondern der Frage, wo wir uns als Union eigentlich hinbewegen wollen. Das hat dazu geführt, dass wir uns zusammengerissen haben. Denn am Ende ging es nicht nur um den Zusammenhalt der Union, sondern auch um den Europas. SPIEGEL: Es bleiben die beiden Denkschulen in der Union. CSU-Leute wie Alexander Dobrindt meinen, man müsse den Wutbürgern wieder eine Heimat geben, damit sie nicht noch mehr nach rechts abdriften. Sie aber werben für einen harten Kurs gegen Rechtspopulisten. Wie passt das zusammen? Von der Leyen: Unsere Kunst in der Union war es immer, mehrere Richtungen zusammenzuhalten. Das ist uns im Streit entglitten in den letzten Wochen. Wir haben in der Union alle verstanden, dass der Bogen überspannt war. SPIEGEL: Frau Ministerin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Video Ursula von der Leyens Karriere in Zitaten spiegel.de/sp312018leyen oder in der App DER SPIEGEL X Auch als App für ipad, Android sowie für PC/Mac. Hier testen: spiegel-geschichte.de/digital Lesen Sie in diesem Heft: Jetzt im Handel Margarete Steiff Mutter der Kuscheltiere Auswanderer Hoffnung auf Amerika Gründerzeit Die Start-ups von damals DER SPIEGEL Nr. 31 /

44 MICHAEL KAPPELER / DPA CSU-Chef Seehofer:»Wir können nicht sagen, wir haben die Dinge im Griff«Begrenzte Laufzeit Innenpolitik Nach vier Monaten im Amt bringt Horst Seehofer mit seinem polternden Stil Teile seines eigenen Ministeriums gegen sich auf. Es mangelt ihm auch an Arbeitseifer. F ür Horst Seehofer ist es ein ungewöhnlicher Auftritt. Der Mann, der stundenlang ohne Notizen vortragen kann, liest vom Blatt ab. Der Bundesinnen - minister stellt am vergangenen Dienstag den Verfassungsschutzbericht vor. Es geht um Extremisten von links und rechts, um Islamisten und Reichsbürger, um Spione und Cyberhacker.»Wir können nicht sagen, wir haben die Dinge im Griff«, bilanziert der CSU-Chef. Das gilt offenbar auch für ihn selbst. Als er seinen Sprechzettel beiseitelegt und doch frei zu reden beginnt, macht er fast einen bösen Fehler. Seehofer verkündet, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz mehr Stellen bekomme.»wenn ich es recht im Kopf habe, Herr Präsident, haben Sie alleine für dieses Jahr «Da unterbricht ihn der Geheimdienstchef hektisch. Die Zahl, die Seehofer gerade hinausposaunen will, ist nur streng vertraulich tagenden Gremien bekannt. Beinahe hätte der Minister ein Geheimnis verraten. Wären es nur diese Patzer, man könnte sie als Anfängerfehler abtun. Doch in den gut vier Monaten, in denen Seehofer nun im neuen Amt ist, hat er mit seinem polternden Politikstil viele gegen sich aufgebracht. Selbst in seinem eigenen Ministerium regt sich Unmut gegen Seehofer. Und seine Amtskollegen aus den Bundesländern beschweren sich über das Agieren des Bundesinnenministers.»Seehofer konzentriert sich auf öffentlichkeitswirksame Symbole«, sagt zum Beispiel Holger Stahlknecht (CDU), Innenminister aus Sachsen-Anhalt.»Das halte ich im Bereich der inneren Sicherheit für gefährlich.«sein Amtskollege Boris Pistorius (SPD) aus Niedersachsen bilanziert:»viele ideologische Debatten, wenig Inhalt, das ist Seehofers Politik.«Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, fragt sich:»was hat Seehofer in seinem Amt bislang erfolgreich zu Ende gebracht? Mir fällt nichts ein. Er ist ein reiner Ankündigungsminister.«Statt seriös und in Ruhe die Probleme anzugehen,»haben wir das komplette Gegenteil erlebt: eine unkontrollierte, hysterische Debatte«. Selbst Unionsleute, die in der Flüchtlingspolitik eigentlich auf seiner Seite stehen, beklagen, Seehofer habe zuletzt mehr kaputt gemacht als vorangebracht. Damals, im März, lief es zunächst gut an für den ehemaligen Ministerpräsidenten aus Bayern. Sein Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) hatte ihm zwar über die»frankfurter Allgemeine Zeitung«böse Worte nachgeworfen, indem er ihm als Nichtjuristen die Eignung absprach. Doch bei der Amtseinführung in der Kantine des Bundesinnenministeriums konterte Seehofer mit seiner typischen Mischung aus dickfellig und spitzbübisch: Er sei halt ein»erfahrungsjurist«. Er hatte die Lacher auf seiner Seite. Seehofer brachte kaum eigene Leute ins Ministerium am Moabiter Werder mit, sondern übertrug altgedienten Spitzenbeamten mehr Verantwortung. Auch das kam gut an. De Maizière genannt»die Büroklammer«hatte sich oft in Kleinigkeiten verbissen. Er schrieb vor, in welchem Zeilenabstand Ministervorlagen zu verfassen seien, und griff gern ins Regal, um seinen Juristen die Gesetze vorzulesen. 44 DER SPIEGEL Nr. 31 /

45 Deutschland Seehofer interessiert sich nicht für Gesetzesbücher, er liebt das Schlagwort. Ihn reizen Machtfragen mehr als Sachfragen. Er versteht sich als Politiker, nicht als oberster Beamter. In seinem ersten Interview im Amt ließ er verlauten, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Die anschließende Debatte schien einkalkuliert. Die Lust an der Zuspitzung gefiel zunächst auch jenen im Ministerium, die schon lange finden, dass sich ihr Haus deutlicher gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin stemmen müsse. Doch auch sie bemerken nun, dass Seehofer mit seinen markigen Worten wenig erreicht hat. Von ständigem»chaos«spricht ein hochrangiger Beamter. Das einst vorbildhafte Ministerium werde nun»als dilettantisch«wahrgenommen. Ein Haus, das mächtig sein will, muss auch machtvoll geführt werden. Erst recht, nachdem es zu einem Superministerium aufgeblasen wurde, das sich neben dem Kampf gegen Terror und Kriminalität, neben der Kontrolle und Integration der Flüchtlinge, neben Sportförderung, Polizei und Katastrophenschutz nun auch ums Bauen und um das Thema Heimat kümmern soll und für 20 Bundesbehörden mit Mitarbeitern zuständig ist. Mit dieser Mammutaufgabe ist der CSU-Chef offenbar überfordert. Nach vier Monaten ist seine Heimat - abteilung nur in Bruchstücken aufgebaut. Auf dem neuen Organigramm des Ministeriums, das erst seit wenigen Tagen vorliegt, steht an vielen Führungspositionen»N. N.«noch zu benennen. Der Minister selbst, so heißt es, sei häufig nicht da. Am Freitag fahre er nach Ingolstadt, in seine bayerische Heimat, am Montag oft zum CSU-Parteivorstand nach München. Seine Kernzeit im Ministerium sei»di-mi-do«dienstag bis Donnerstag. Selbst seine acht Staatssekretäre, denen er die Verantwortung für die wichtigsten Vorhaben übertragen hat, erreichen ihn bisweilen einen ganzen Tag lang nicht. Doch weil in dem Schlüsselressort viele Vorgänge vom Chef mit grüner Tinte gegengezeichnet werden müssen, stapelten sich die unabgearbeiteten Dinge, sagt ein Insider:»Darüber gibt es einigen Unmut.«Seehofer taucht bisweilen ab wie ein U- Boot, mit der Folge, dass die interne Kommunikation stockt. So kommt es zu peinlichen Pannen, weil Seehofers Sprecher nicht immer wissen, was Seehofer weiß. Im Fall des unter fragwürdigen Umständen abgeschobenen Gefährders Sami A. brauchte das Ministerium drei Anläufe, um die Vorgänge korrekt darzustellen. Auch als es darum ging, ob Seehofer eingeweiht war, dass die Bundespolizei den mutmaßlichen Mörder der 14-jährigen Susanna aus dem Irak nach Hause holen würde, hieß es zuerst: nein. Dann wusste er doch Bescheid. Die internen Probleme waren neulich Thema auf einer Sitzung mit Staatssekretären und Abteilungsleitern, Seehofer gelobte Besserung. In der Pressestelle aber laufen ihm bereits die Mitarbeiter davon. Unter Thomas de Maizière war die Arbeit im Ministerium manchmal langweilig, aber immer korrekt. Seine preußische Disziplin hat das Haus verlassen, eingezogen ist ein eher freihändiger, manchmal auch feudal-bayerischer Stil. Irritiert waren die Ministerialen etwa, wie Seehofer mit seinem wichtigsten Werk umging, dem»masterplan Migration«. Obwohl es ein Produkt des Ministeriums war, präsentierte er das Papier zuerst mit einem Deckblatt der CSU.»Das war nicht sauber«, ärgert sich ein ranghoher Beamter. Deutliche Kritik üben auch Seehofers Amtskollegen in den Ländern. Sie waren entsetzt, wie wenig vorbereitet und krawallig Seehofer im Juni auf der Innenministerkonferenz (IMK) im Quedlinburger Palais Salfeldt auftrat. Auf dem halbjährlichen Treffen ist der Bundesinnenminister formal zwar nur Gast, dennoch ist es üblich, dass er sich in die Diskussion einbringt und seine Vorhaben vorstellt. Er nehme seit 13 Jahren an dieser Konferenz teil, sagt Roger Lewentz (SPD), der Innenminister aus Rheinland-Pfalz. Die Atmosphäre sei immer vertrauensvoll und Den Masterplan habe er»wochenlang wie eine Monstranz«vor sich hergetragen. sachorientiert gewesen,»es gab so gut wie keine parteipolitischen Spielchen«. Mit Horst Seehofer sei das vorbei.»er nutzt selbst diese Konferenz als Schaubühne seiner Regionalpartei.«Ein anderer Teilnehmer spricht von einer»historischen«konferenz. Nicht weil etwa weitsichtige Beschlüsse gefasst worden wären, sondern weil das Verhalten des Bundesinnenministers so unangemessen gewesen sei. Am Abend wurde dort de Maizière verabschiedet. Der aktuelle IMK-Vorsitzende, Holger Stahlknecht, hielt eine Rede, auch Niedersachsens Innenminister Pistorius. Es waren berührende Worte für einen geschätzten Politikerkollegen. Seehofer fläzte sich derweil hinten im Raum auf einer Sitzgruppe, in maximaler Distanz zu seinem Vorgänger, und schwieg. Ein Affront, so empfanden es viele. Als Seehofer die vielen Fragen seiner Kollegen zu seinem Prestigeobjekt, den geplanten Ankerzentren für Asylbewerber, zu anstrengend wurden, zückte er sein Handy und las eine SMS des nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet vor: Der stehe hinter seinem Vorhaben. Er habe sie wie unartige Schuljungen behandelt, sagt einer der Minister. Inhaltlich weiche Seehofer der Diskussion aus, sagt Boris Pistorius, der Innenminister aus Niedersachsen. Das sei auch beim»masterplan«so, den er»wochenlang wie eine Monstranz«vor sich hergetragen habe, aber bis zur offiziellen Vorstellung auf einer Pressekonferenz nicht mit den Länderkollegen besprechen wollte. Roger Lewentz, Pistorius Amtskollege aus Mainz, sagt, Seehofer agiere mit»inhaltslosen Begriffshüllen«. Zu wichtigen Themen, etwa der Frage, wie die Integration gelingen könne,»gibt es aus seinem Haus keinen einzigen Vorschlag«. Im Kanzleramt führen sie eine Tabelle, welche der im Koalitionsvertrag verankerten Vorhaben bereits auf den Weg gebracht wurden. Bis zum Frühsommer lagen nur für gut eine Handvoll von weit über hundert Themen, für die das Innenministerium zuständig ist, handfeste Ergebnisse vor. Seit Seehofer in der Auseinandersetzung mit der Kanzlerin erst seinen Rücktritt ankündigte und dann vom angekündigten Rücktritt zurücktrat, gilt er vielen nur noch als Minister mit begrenzter Restlaufzeit. Stürzt die CSU bei der Bayernwahl im Oktober ab, könnte die Karriere Seehofers enden, nicht nur als Parteichef, sondern auch als Minister. Er selbst witzelte neulich, er wisse nicht, was früher komme: die Umsetzung seines»masterplans«oder das Ende seiner Amtszeit. Es war dieselbe Pressekonferenz, in der er sagte, ausgerechnet an seinem 69. Geburtstag seien 69 Afghanen abgeschoben worden, obwohl er dies nicht bestellt habe. Der Spruch provozierte einen medialen Shitstorm, vor allem nachdem bekannt geworden war, dass sich einer der Abgeschobenen umgebracht hatte. Als bayerischer Ministerpräsident ist es Seehofer in schwierigen Zeiten immer wieder gelungen, die Stimmung zu drehen, indem er sich authentisch gab und seinen Charme spielen ließ. In München hat das funktioniert, in Berlin reicht es jetzt nicht mehr.»die Methode, mit der er sich politisch jahrelang über Wasser gehalten hat, wendet sich nun gegen ihn«, sagt der SPD- Innenpolitiker Lischka. Seehofer leidet unter den Schlagzeilen, die er in diesen Tagen über sich lesen muss,»psycho«stand über einem Text. Sein Fell ist dünner geworden, er wirkt angegriffen. Sogar bei nüchternen Terminen wie der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts wird er plötzlich persönlich. Er schlafe ruhig, trotz allem, sagte Seehofer. Es gebe Wichtigeres im Leben. Sven Becker, Jürgen Dahlkamp, Martin Knobbe, Andreas Ulrich, Wolf Wiedmann-Schmidt 45

46 Feiernde G-8-Abiturienten in Rostock:»Mit 17 oder 18 Jahren noch sehr jung«ein großes Versehen Bildung Kaum haben sie die Gymnasialzeit auf acht Jahre verkürzt, räumen viele Bundesländer das ungeliebte»turbo-abi«g8 schon wieder ab. Warum ist die Reform gescheitert und wie geht es weiter? D ie Revolution wog 810 Kilogramm. Berge von Papier, bedruckt mit einer knappen Forderung:»Abitur nach 13 Jahren an Gymnasien: Mehr Zeit für gute Bildung«. Nicht zuletzt wegen dieser Zettel machen Tausende Jugendliche in Nordrhein-Westfalen bald ein Jahr später ihr Abitur. Schulen werden umgebaut, Lehrbücher ausgetauscht und Lehrkräfte eingestellt. Marcus Hohenstein ist ein Mann, dem man seine Macht nicht auf den ersten Blick ansieht. Der Physiklehrer aus Siegen, Vater einer Gymnasiastin, ist Sprecher der Elterninitiative»G 9 jetzt NRW«. Er und seine Mitstreiter kämpften dafür, die Schulzeit am Gymnasium um ein Jahr auf neun Jahre zu verlängern, so wie früher.»g 9«statt»G 8«. Dafür starteten sie eine Initiative für das erste Volksbegehren in Nordrhein- West falen (NRW) seit fast 40 Jahren. Sie verschickten und verteilten jene 810 Kilogramm Stimmzettel, organisierten Informationsveranstaltungen, sprachen mit BERND WÜSTNECK / DPA Zeitungen, im Fernsehen und im Radio. Auch wenn nicht die nötigen 1,1 Millionen Stimmen zusammenkamen, besiegelte der Protest nicht nur das Schicksal des achtjährigen Gymnasiums, sondern auch das der rot-grünen Landesregierung von Hannelore Kraft, die auch wegen der G-8-Debatte 2017 die Wahl verlor. Schneller zum Abitur dieses Ziel hatte die bedeutendste Schulreform seit der Wiedervereinigung begründet. Doch während die achtjährige Gymnasialzeit in Ostdeutschland schon lange Standard ist, wurde sie im Westen nie wirklich akzeptiert. Und eigentlich, behaupten nun viele, habe sie kaum jemand gewollt. Die Eltern nicht, die Schüler nicht, die Lehrer nicht und so mancher Bildungspolitiker auch nicht. Deshalb läuft seit einiger Zeit die Reform der Reform, und wiederum geht es für viele Beteiligte drunter und drüber. Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern haben das Turbo-Abitur schon wieder gekippt (siehe Grafik). In Baden-Württemberg hat die Regierung das G 8 aufgeweicht, an 44 Modellschulen können die Jugendlichen auch ein G-9-Abitur ablegen. Und bald wird es auch in NRW ernst. Ab Sommer 2019 lernen Gymnasiasten an Rhein und Ruhr wieder neun Jahre lang, so hat es die Koalition von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) Mitte Juli beschlossen. Zwar können Schulen theoretisch selbst entscheiden, das Turbo-Abitur ausnahmsweise beizubehalten. Kultusministerin Yvonne Gebauer (FDP) rechnet aber damit, dass weniger als zehn Prozent davon Gebrauch machen werden. Das große Versprechen war, so scheint es, nur ein großes Versehen. Die Kehrtwende in den westlichen Bundesländern bringt erneut Unruhe in Lehrzimmer und Klassenräume, auch wenn sie dem Wunsch vieler Eltern entspricht. Der SPIEGEL hat mit drei Protagonisten der Bildungspolitik gesprochen, die den Start von G 8 vorbereitet und begleitet haben. Ihre Erkenntnisse zeigen, warum eine gut gemeinte Reform scheiterte und wie es nun weitergeht. Monika Hohlmeier verdreht die Augen, blickt nach oben auf den dunklen Stoffschirm, der sie vor der heißen Münchner Mittagssonne schützt.»ich hab s immer gewusst«, sagt ihr Blick. Ihr Mund sagt:»ich habe mir vorgenommen, aktuelle Bildungspolitik nicht zu kommentieren.«hohlmeier, von 1998 bis 2005 bayerische Staatsministerin für Unterricht und Kultus, besucht ihren Sohn, der in München lebt. Sonst kommt sie nur noch selten her. Ihre alte Wirkungsstätte, das Bildungsministerium am Odeonsplatz, hat sie lange nicht betreten. Eigentlich könnte es ihr egal sein, was in diesen Tagen dort besprochen wird, worüber ihre Nach-Nach-Nachfolger brüten. Monika Hohlmeier ist Abgeordnete im Europäischen Parlament, tourt zwischen Brüssel, Straßburg und ihrer Heimat Oberfranken hin und her. Trotzdem kann sich die Tochter von Franz Josef Strauß herrlich aufregen, wenn die Sprache auf G 8 kommt. Und die Vergangenheit kommentiert sie dann doch.»abiturienten sind mit 17 oder 18 Jahren noch sehr jung«, sagt sie. Die gesamte G-8-Reform sei von vornherein»übereilt gestartet worden und schon deshalb auf vehemente Ablehnung gestoßen. G 8 ist nicht G 9, nur ein Jahr kürzer. Das verändert die ganze Schulart und ihre Kultur«. Dass die Bayern, in Bildungsdingen normalerweise sehr selbstbewusst, die Reform nun zurückdrehen, muss für sie eine späte Genugtuung sein.»ich habe gegen den übereilten Start des G 8 gekämpft«, beteuert sie.»ich wollte das G 9 neu aufziehen, gleichzeitig das G 8 an einigen Schulen ausweiten und dann erst die Entscheidung fällen.«doch ihr Chef, Landesvater Edmund 46

47 Deutschland Stoiber, habe andere Vorstellungen gehabt, erinnert sich Hohlmeier. Die Bayern sollten nicht als letzter doppelter Abiturjahrgang auf überfüllte Hochschulen wechseln.»er wollte die Reform, so schnell wie möglich der Großteil des Kabinetts folgte seiner Meinung.«Hohlmeier musste anschließend verkaufen, was sie selbst nicht vertrat.»zähneknirschend«habe sie das getan, sagt sie heute. Sie legte sich mit dem Philologenverband an, der ihr in einer öffentlichen Stellungnahme die Unterstützung verweigerte. Eltern schrieben ihr Briefe, in denen stand, Hohlmeier habe die Kindheit ihrer Töchter und Söhne zerstört.»eine schlimme Zeit«sei das gewesen. Doch die Kritik der Eltern treffe einen Punkt:»Wir hatten nicht genug Zeit, so zu reformieren, dass die Lehrkräfte sich mit der neuen Art von Lehrplänen und Unterricht vertraut machen konnten«, sagt Hohlmeier. Manche Lehrkräfte seien damit trotz allem gut zurechtgekommen, andere hätten das G 8 samt der neuen Lehrpläne rundweg abgelehnt und versucht, alle Inhalte des G 9 in acht Jahren unterzubringen. Das ging zulasten der Schüler.»Es musste alles so schnell gehen wir haben die Leute überfordert.«jürgen Rüttgers ist bestens vorbereitet, er kommt mit einem Stapel Dokumenten zum Gespräch.»Ob die Verkürzung kommt oder nicht, das war nicht die strittige Frage«, sagt Jürgen Rüttgers.»Im Grunde wollten das alle.«rüttgers war damals Bundesbildungsminister der CDU im fünften Kabinett von Helmut Kohl, später setzte er als Ministerpräsident Nordrhein- Westfalens die G-8-Reform in seinem Land um. Wenn einer die Genese der Entscheidung überblicken kann, dann er. Heute hat Rüttgers, 67, kein politisches Amt mehr inne. Doch auch als Ministerpräsident a.d. ist er ein gefragter Gast und Redner: Er eröffnet Ausstellungen, hält Vorträge, kommentiert in den Medien das politische Geschehen. Zum Gespräch über die G-8-Reform empfängt Rüttgers in einem holzvertäfelten Besprechungsraum im Haus der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin. Tags zuvor, so erzählt er, habe er in seinem Arbeitszimmer im Keller seines Hauses in Pulheim bei Köln gesessen und Aktenstapel von links nach rechts geschoben, auf der Suche nach einem Dokument aus dem Jahr 1999, auf das er heute noch stolz ist: das Petersberger Modell,»das einzige wirkliche Bildungsprogramm der CDU«. Und da findet sich der Satz, auf den Rüttgers hinauswill:»am Gymnasium soll nach acht Jahren das Abitur erworben werden, an Realschulen nach sechs Jahren die Fachoberschulreife«, steht da, ganz selbstverständlich. DER SPIEGEL Nr. 31 / Zum Ende der Neunzigerjahre wuchs Europa weiter zusammen, es herrschte eine Art EU-Euphorie. Der Euro wurde ab 1999 als Zahlungsmittel an den Finanzmärkten eingeführt, mit der Bologna-Reform vereinheitlichten Hochschulen auf dem ganzen Kontinent ihre Studiensysteme. Die deutschen Kultusminister richteten den Blick nicht mehr auf das benachbarte Bundesland, sondern ins Ausland: nach England, Frankreich oder Österreich, wo Schüler meist mit 18 Jahren die Schule verließen. Die deutschen Abiturienten sahen auf einmal sehr alt aus. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog fasste es in seiner berühmten Rede»Aufbruch ins 21. Jahrhundert«im Jahr 1997 so zusammen:»warum soll nicht auch in Deutschland ein Abitur in zwölf Jahren zu machen sein? Für mich persönlich sind die Jahre, die den jungen Leuten verloren gehen, gestohlene Lebenszeit.«Darin steckt ein Wunsch nach Effizienz: mehr lernen in kürzerer Zeit, früher an die Uni, früher ins Berufsleben. Das fanden neben Bildungsministern und Arbeitgebern auch die Finanzminister attraktiv. Anfang der Neunzigerjahre hatte die Konferenz der Landesfinanzminister eine Rechnung aufgemacht: Durch eine Umstellung auf G 8 ließen sich bundesweit 1,2 Milliarden D-Mark einsparen, jedes Jahr. Diese Summe entspricht rund Lehrerstellen, die dann überflüssig würden, so die Argumentation. Das 13. Schuljahr koste zu viel, deshalb müsse es weg. Gleichzeitig tauchte die Vokabel»demografischer Wandel«zum ersten Mal in Dauer der Gymnasialzeit in den Bundesländern Q (zukünftig) G9 Q G9 mit Ausnahmen Q G8 Q G8 mit Ausnahmen Q Wahlfreiheit der Schulen Schleswig-Holstein Bremen Hamburg Niedersachsen Baden- Württemberg Nordrhein- Westfalen Saarland Hessen Sachsen- Anhalt Sachsen Thüringen Rheinland-Pfalz Und nun? Die Reform der Reform ist nicht mehr zu stoppen. Wieder müssen Beamte neue Lehrpläne schreiben, Ver - lage Lehrbücher neu herausbringen. Wieder müssen Schulen umgebaut werden, da ein zusätzlicher Jahrgang unterzubringen ist. Und wieder müssen Lehrer eingestellt werden, um die zusätzlichen Stunden zu bestreiten, was keine leichte Aufgabe ist in vielen Fächern fehlen schon jetzt geeignete Pädagogen. Allein in Bayern werden rund 1000 neue Lehrkräfte gebraucht, was mit etwa 100 Millionen Euro zusätzlichen Personalkosten verbunden ist. Das alles hätte vermieden werden können, glaubt Dieter Lenzen, wenn Bildungspolitiker und Schulen es ernsthaft mit dem achtjährigen Gymnasium versucht hätten.»g 8 hat im Westen nie eine faire Chance bekommen«, sagt er. Die Reform nun wieder zurückzudrehen hält er für einen»fatalen Fehler«. Lenzen ist Erziehungs- Mecklenburg- Vorpommern Bayern Brandenburg Berlin öffentlichen Diskussionen auf, Deutschland stritt um die Rentenreform von Norbert Blüm, über die Belastung der Sozialsysteme, den Generationenvertrag.»Die Rentenreform oder Wie die Alten die Jungen ausplündern«, titelte der SPIEGEL im Februar Die Lösung erschien naheliegend: Wer früher arbeitet, zahlt mehr in die öffentlichen Kassen ein. Baden-Württemberg galt lange als ein Vorreiter, schon 1991 experimentierte man dort mit dem sogenannten Turbo-Abi, damals noch ausdrücklich als Modell für die Vorzeigeschüler, die Überflieger. Am Schluss war es aber nicht Baden-Württemberg, sondern das Saarland, das 2001 das Express-Abi als erstes westdeutsches Bundesland flächendeckend einführte. In Nordrhein-Westfalen sollte es einige Jahre dauern. Die Reform brauchte mehrere Anläufe, bis der Landtag zustimmte. Der erste Vorstoß im Jahr 2000 stammte von der FDP. Das Kabinett von Ministerpräsident Peer Steinbrück beschloss die Reform Rüttgers Schulministerin Barbara Sommer (CDU) setzte das Vorhaben anschließend um.»die Debatte drehte sich vor allem um die Frage, welches Schuljahr eingespart worden sollte«, erinnert sich der ehemalige Ministerpräsident. Seine Partei habe sich dafür eingesetzt, die elfte Klasse zu streichen.»da war doch eh nichts los in der Schule, ein reines Wiederholungsjahr.«Viele Schüler seien ins Ausland gegangen, für die restlichen seien ständig Stunden ausgefallen.»wie konnte man hinnehmen, dass ein ganzes Jahr irrelevant vorbeiläuft?«andererseits rase eine zweijährige Oberstufe schnell vorbei, vor allem, wenn man noch die Prüfungs- und Korrekturzeiten fürs Abitur abziehe. Am Ende verkürzte man die Mittelstufe. 47

48 wissenschaftler verfasste er ein Grundsatzprogramm mit dem Titel»Bildung neu denken«, das unter anderem Argumente für eine Reform des verstaubt wirkenden Gymnasialsystems lieferte. Den Auftrag hatte Lenzen, damals Professor an der Freien Universität Berlin, von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft erhalten. Wie es aussieht, haben die Kultusminister seine Empfehlungen nicht vollständig gelesen, als sie das Gymnasium reformierten. Lenzens Konzept sah eine»echte Ganztagsschule«vor, wie er es heute nennt,»mit qualitativ hochwertigem Unterricht bis mindestens 16 Uhr, jeden Tag«. Aktuell verbringen G-8-Schüler aber pro Woche nur vier Unterrichtsstunden mehr im Klassenzimmer als ihre Mitschüler im G 9, nicht mal eine halbe Stunde pro Tag.»Wenn Schüler nur bis zum Mittag lernen, kann das nicht funktionieren«, sagt Lenzen. Selbst wenn Kinder mehr Zeit in der Schule verbrächten, heiße das nicht, dass sie mehr lernten.»oft wird am Nachmittag gespielt und betreut, aber kein Wissen vermittelt«, sagt Lenzen. Kurz: Die Ganztagsschule sei die Voraussetzung dafür, dass G 8 funktioniert. Heute ist Lenzen Präsident der Uni - versität Hamburg. Von seinem Büro im 13. Stock eines funktionalen Verwaltungsgebäudes blickt der 70-Jährige über die Dächer der Hansestadt, aktuell bemüht sich seine Hochschule um das Label»Exzellenz-Universität«. Er hat eine Menge zu tun, das Hin und Her um die Gymnasialreform könnte ihm egal sein. Ist es aber nicht. Denn Lenzen fühlt sich missverstanden. Er möchte etwas gerade - rücken:»bildung neu denken«sei ein Gesamtkonzept, das Plädoyer für das verkürzte Gymnasium nur ein kleiner Teil davon. Auch wenn die Schlacht ums G 8 fürs Erste geschlagen ist: Aus Sicht des Hamburger Professors gibt es immer noch genügend Ansätze, um das deutsche Schulund Bildungssystem zu reformieren. Da wäre sein Vorschlag, Kinder im Alter von vier Jahren einzuschulen. Außerdem könnten»schulferien und andere lernfreie Zeit für zusätzlichen Unterricht verwendet werden«. Es gehe um»lebenslanges Lernen«, argumentiert Lenzen: kürzere und kompaktere Ausbildungszeiten in jungen Jahren, dafür Fortbildungen bis ins hohe Alter hinein.»es reicht nicht mehr, in der ersten Hälfte des Lebens alles zu lernen, was man wissen muss, und den Rest des Lebens davon zu zehren«, sagt er. Seine Analysen von 2003 hält der Professor auch 15 Jahre später, nach der Reform und der Reform der Reform, für aktuell:»das Bildungssystem geht verschwenderisch mit Lebens- und Lernzeit um«. Miriam Olbrisch Familie Dutschke in Cambridge 1970:»Die schmeißen uns rausernster, roter Dank«Intellektuelle Bislang unbekannte Unterlagen zeigen, wie Dutschke und Augstein die Revolte diskutierten und wie der SPIEGEL-Verlag den bei einem Attentat verletzten Studentenführer finanziell unterstützte. R udi Dutschke wartete im Hafen von Dover auf seinen Freund Bahman Nirumand aus West-Berlin. Doch kaum war Nirumand am 9. Januar 1970 an Land gegangen, da stellten sich ihm Beamte der britischen Einwanderungsbehörde in den Weg. Er sei leider im Vereinigten Königreich unerwünscht, sagten sie, und werde deshalb mit der nächsten Fähre wieder nach Frankreich zurückfahren. Knapp zwei Jahre zuvor war Dutschke in West-Berlin von einem Neonazi angeschossen und schwer verletzt worden. Das war am 11. April Zunächst hatte der Studentenführer versucht, sich in der Villa des Komponisten Hans Werner Henze unweit von Rom zu erholen. Dann war er nach England gereist und lebte mit seiner Familie in London. In Dover sagte sich Dutschke: Wenn mein Freund Bahman zurückgeschickt wird, fahre ich einfach auf demselben Schiff mit. Es klappte, doch in Calais setzte die französische Polizei das Duo fest.»freundlicherweise«, sagt Nirumand heute,»haben sie uns zusammen in eine Zelle gesteckt.«die Freunde konnten die ganze Nacht mit einander reden. Ein wichtiges Thema ihres Gesprächs war die pre- käre finanzielle Lage von Dutschke und seiner Familie. Der Berufsrevolutionär und Wortführer des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) wollte so bürgerlich war er dann doch seine Dissertation schreiben, er wollte Dr. Dutschke werden. Doch er hatte zwei Schüsse in den Kopf bekommen, das blutige Attentat gerade mal so überlebt und war nicht wirklich arbeitsfähig. Er kämpfte darum, seine Sprache vollkommen wiederzugewinnen. In dieser Lage sprang ihm ein Hamburger Verleger bei, ein reicher Mann, mit dem er den Vornamen gemeinsam hatte, Rudolf Augstein. Wie Akten des Berliner Landesamts für Verfassungsschutz und des SPIEGEL-Hausarchivs zeigen, sorgte Augstein dafür, dass die Familie Dutschke zunächst in England, dann im dänischen Århus finanziell einigermaßen über die Runden kam. Laut einem britischen Geheimdienst - bericht über die Gespräche von Nirumand und Dutschke in Dover kam das so:»nirumand erwähnte in diesem Zusammenhang, dass der Verleger Augstein beabsichtigen würde, Dutschke finanziell etwas zukommen zu lassen. Dutschke ist diese Aussicht durchaus nicht angenehm, CENTRAL PRESS / PICTURE ALLIANCE / DPA 48 DER SPIEGEL Nr. 31 /

49 Deutschland er befürchtet, dass seine politischen Gegner dies agitatorisch gegen ihn ausschlachten könnten.«die Bedenken schob Dutschke offenbar bald beiseite, der revolutionäre Marxist respektierte den liberalen Skeptiker und SPIEGEL-Verleger, auch wenn der als Mitglied der FDP den Kapitalismus durchaus schätzte. Die beiden Rudis fanden einander faszinierend und sympathisch, seitdem sie sich wohl im Sommer 1967 zum ersten Mal getroffen hatten. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz Dutschke schon im Visier. Einem Vermerk vom August 1967 zufolge»hat Rudi Dutschke (SDS) sich jetzt entschlossen, einen Urlaub auf der Insel Sylt zu verbringen. Er wird sich dort vor allem damit beschäftigen, die Anti Springer Aktion auch für Hamburg vorzubereiten«. Wo er auf Sylt wohnen werde, sei unklar.»man geht wahrscheinlich nicht fehl in der Annahme, daß auch in diesem Fall AUGSTEIN sein Haus zur Verfügung gestellt hat.«die Spitzel bekamen durch Quellen aus der Studentenbewegung mit, dass Rudi und Gretchen Dutschke tatsächlich nach Sylt fuhren, dann aber nicht, wie ursprünglich geplant, nach England weiterreisten, weil sie krank wurden und ihnen das Geld ausgegangen war. Da er nun schon mal auf Sylt war, versuchte Dutschke, rund 200 Zuhörer in den»witthüs-teestuben«in Wenningstedt zu überzeugen, dass der konservative Verleger Axel Springer enteignet werden sollte. Laut dem geheimen Bericht eines Verfassungsschützers sagte er, die»bild«-zeitung passe zum kleinen Mann.»Zehn Stunden Arbeit, dann zwei mal die Woche seine Frau vergewaltigen und schließlich das aufnehmen, was die Bildzeitung ihm servierte.«dutschke, so ein Spitzel, habe in einer»bild«-ausgabe 13 Berichte über Morde gezählt,»etliche Sensationsgeschichten und schließlich nur zwei politische Berichte«. Auch nach dem Attentat von kurz vor Ostern 1968 blieb der Verfassungsschutz Dutschke auf den Fersen obwohl der nun schwer beeinträchtigt war und sich nicht politisch betätigte. Und die Berliner Agenten waren nicht die Einzigen, die hinter ihm her waren. In einem britischen Geheimdienstbericht heißt es, der Schriftsteller Peter Schneider und zwei weitere Freunde hätten Augstein schriftlich gebeten, Dutschke»eine größere Summe«zur Verfügung zu stellen. Die britischen Spione hatten sich nicht ge irrt. Am 20. Oktober 1969 schrieben Schneider und die SDS-Aktivisten Bernd Rabehl und Christian Semler an Augstein. Dutschke werde sich mit Sicherheit»noch einige Jahre auf die Schreibtischarbeit beschränken müssen, um sich voll auszuheilen. Natürlich ist er in der Zeit nicht in der Lage, für sich und seine Familie zu sorgen. Wir wenden uns nun an Sie mit der Bitte, ob Sie mit ca DM finanzielle Sicherheit für Rudi und seine Fa milie gewährleisten können«. Die drei Berliner Aktivisten wollten die Sache persönlich besprechen.»eine Unterhaltung sollten wir darüber nicht führen, das scheint mir auch unnötig«, antwortete der Verleger.»Es ist klar, dass ich Herrn Rudi Dutschke in der einen oder anderen Form helfe. Ich denke dabei an eine monatliche Zahlung, die direkt auf sein Konto geht. Mit Globalsummen habe ich bisher immer schlechte Erfahrungen gemacht.«rabehl antwortete:»wir sind sehr zufrieden mit Ihrer Zusage Rudi Dutschke zu unterstützen.«ab Januar 1970 ließ Augstein der notleidenden Familie Dutschke jeden Monat Podiumsgäste Dutschke, Augstein 1967»Ein Magnet, wie Sie es sind«1000 Mark überweisen. In einer internen Mitteilung an den Verlagsgeschäftsführer des SPIEGEL vom 15. Dezember 1970 hieß es unter dem Stichwort»Stipendium Rudi Dutschke«:»Herr Augstein möchte, daß Herr Dutschke vom SPIEGEL-Verlag ein dreijähriges Stipendium erhält.«seit Januar 1970 habe Augstein Dutschke mit 1005 DM, inklusive Gebühren, unterstützt. Er bitte den Verlag,»diese Auslagen zu ersetzen und ab Januar 1971 die monatlichen Zahlungen an Herrn Dutschke zu übernehmen«. So geschah es dann auch. Der SPIEGEL-Verlag, der damals zu 99,5 Prozent Augstein gehörte, zahlte. Augstein pflegte in solchen Fällen zu sagen:»man hilft doch gerne.«aber es ging nicht nur ums Geld. Augstein und Dutschke tauschten sich in ihrem Briefwechsel auch über ideologische Fragen aus. So schrieb der Verleger:»Über das Wesen der Erscheinungen haben wir beide ja nie so recht Einigkeit erzielen können. Sie sind zu sehr Philosoph, ich zu wenig.«augstein entschuldigte sich dafür, dass er sich»brieflich«nicht verständlich machen könne,»ich brauche die Unterhaltung mit Ihnen. Dazu wird es, was an mir liegt, EGON TESKE bald kommen, ich möchte ohnehin bald wieder nach England. Da ist es gut, solch einen Magneten zu haben, wie Sie es sind«. Im September 1970 antwortete Dutschke, ihm gehe es»physisch gut, allgemein betrachtet beschissen. Die Tory-Bastarde schmeißen uns raus, wir haben am 30. diesen Monats das Land zu verlassen.«handschriftlich heißt es im PS:»Wenn wir reisen, so werden wir mit Sicherheit über Hamburg segeln, möchte Sie dann gerne treffen können!?! Ihr Rudi Dutschke.«Der konservative britische Innenminister hatte sich geweigert, die Aufenthaltsgenehmigung, die sein Labour-Vorgänger Dutschke erteilt hatte, zu verlängern. Der Exilant zog ins dänische Århus weiter, wo er eine Stelle an der Universität bekam. Noch aus London hatte Dutschke an Augstein geschrieben:»ihre finanzielle Hilfe bildet zur Zeit die Basis. Wir sagen ihnen dafür ernsten, roten Dank.«Über seine Finanzlage klagte Dutschke, die Ausgaben seien»überdimensional, auch in guten Zeiten hätte ich eigentlich klauen müssen, um für Gretchen und die Kinder alles beschaffen zu können «. Seine finanziellen Verhältnisse hatten inzwischen sogar einen dritten Dienst beschäftigt eine Einheit der dänischen Reichspolizei gegen politische Subversion.»Dem dänischen Dienst ist bekannt geworden, daß Dutschke regelmäßig monatliche Zuwendungen von Augstein und aus England erhält«, meldete ein Berliner Verfassungsschützer seinen Vorgesetzten, nachdem er im Sommerurlaub einen dänischen Kollegen getroffen hatte. In ihren Briefen hatten sich die beiden Rudis längst anderen Dingen zugewendet. Dutschke, der nach langem Training seine Sprachfähigkeit zurückgewonnen hatte, schrieb, dass er zum ersten Mal wieder öffentlich gesprochen habe, zu rund 60 jungen Christen:»Für mich in letzter Konsequenz ein wichtiger Test, der meine poten - ziellen Kampf- und Lebensfähigkeiten nachweisen sollte und konnte. An mehreren Tagen nach dieser ersten konkreten Prüfung war ich ziemlich down, mein körperlicher und psychischer Zustand hat sich weiterhin verbessert, ist aber durchaus unvollständig.«unvollständig? Augstein antwortete:»gilt das nicht für die Zustände überhaupt, namentlich in der Bundesrepublik«? Und er fragte Dutschke skeptisch,»welche Chancen Rebellionen haben sollen Sie sehen, wenigstens als Pessimist bin ich nicht zu schlagen«. Michael Sontheimer Video Gretchen Dutschke über ihren Mann Rudi spiegel.de/sp312018dutschke oder in der App DER SPIEGEL 49

50 Gesellschaft Jelena geht nicht mehr ans Telefon. Erstickt, denkt Igor. Nicht verbrannt. S.52 Früher war alles schlechter Nº 135: Hörgeräte Cochlea-Implantate (CI) sind Hörprothesen für Gehörlose. Eine Spezialklinik in Hannover führt die Reha-Therapie mit CI durch wurden 10 Therapien durchgeführt. 2000: 168 QUELLE: COCHLEAR IMPLANT CENTRUM WILHELM HIRTE HANNOVER 2010: 593 Bis 2017 sind es 1183 Ganz Ohr. Der englische Sci-Fi-Kurzfilm»The End«schildert das Ende der Gehörlosigkeit: Im Jahr Jahr 2046 ist die Medizin so weit, dass niemand mehr taub durchs Leben gehen muss. Der Letzte, der sich einer Behandlung verweigert, ist Arron, ein alter Mann, Sohn tauber Eltern, der sagt, in Gebärdensprache natürlich:»ich bin nicht behindert. Ich bin taub. Ich bin stolz, taub zu sein.«ein Ende der Gehörlosigkeit, wie es heute technisch erreichbar scheint, würde auch das Ende der Gebärdensprache bedeuten. Für Leute, die erst im Alter Hörprobleme bekommen, ist der Fortschritt ein Segen. Hörgeräte werden immer besser, man kann sie auf Geräuschsituationen einstellen, Konzert, Turnhalle, Konferenzraum. Und sie werden immer kleiner. Aber für Gehörlose ist es eine Frage der Identität. Deutsche Gerichte beschäftigen sich schon mit der Frage, ob Kinder auch gegen den Willen ihrer Eltern Hörprothesen bekommen sollen. Es geht um die Cochlea-Implantate, Prothesen unter der Kopfhaut, die akustische Signale als elektrische Impulse an die Hörschnecke (Cochlea) im Innenohr weiterleiten. Der Deutsche Gehörlosenbund warnt vor medizinischen Risiken und davor, dass Kinder in ihrer Identität verunsichert würden. Aber immer mehr Eltern sehen in dieser Technologie eher Chancen als Risiken. Im Jahr bekommen rund 3000 Menschen in Deutschland ein Cochlea- Implantat, die meisten davon Kinder. Danach lernen sie in einer Therapie, mit den Impulsen umzugehen, die sie nun wahrnehmen. Die erste Klinik, die diese Therapie 1990 anbot, war das hannoversche Krankenhaus Auf der Bult. Vermögen Ist Ehe ein Mittel der Altersvorsorge, Herr Zhu? Junyi Zhu, 42, Ökonom im Forschungs - zentrum der Bundesbank, über die Rolle des Erbes in der Liebe SPIEGEL: Das Vorwort zu Ihrer jüngsten Studie beginnt mit einem Zitat aus den»buddenbrooks«:»ich liebe sie, aber es macht mein Glück und meinen Stolz desto größer, daß ich, indem sie mein eigen wird, gleichzeitig unserer Firma einen bedeutenden Kapitalzufluß erobere.«zhu: Das sagt Thomas Buddenbrook über seine Verlobte. Im Jahr 1901, als der Roman erschien, war das eine ganz normale Sicht auf die Dinge. Erbkapitalismus. SPIEGEL: Heute auch? 50 Zhu: Wir haben die Finanzen von 4500 deutschen Haushalten untersucht, mein Eindruck ist: Diese Sicht auf die Dinge kehrt zurück. Das zu erwartende Erbe spielt bei der Eheschließung eine größere Rolle als etwa das aktuelle Einkommen des Partners. SPIEGEL: Haben Sie die Leute auch gefragt, warum sie geheiratet haben? Zhu: Nein, die meisten werden sagen, es war Liebe. Wir arbeiten mit Daten und se - hen, dass Menschen, die ein hohes Erbe erwarten, dazu neigen, Menschen zu heiraten, die ebenfalls ein hohes Erbe erwarten. Das wird sich stark auf die Vermögensaufteilung in diesem Land auswirken. SPIEGEL: Geld heiratet Geld was hat sich seit den Buddenbrooks verändert? Zhu: Sagen Sie ruhig: seit dem Feudalismus. Aber in der Weimarer Republik und bis in die Sechzigerjahre hinein spielte die Frage des Erbes vorübergehend eine geringere Rolle. Nach den beiden Weltkriegen gab es einfach weniger zu erben. Dazu kam der Einfluss des Sozialismus. SPIEGEL: Eine Frage der Werte also? Zhu: Durchaus. Aber heute auch eine Frage der Altersvorsorge. Die Jungen sorgen sich um ihre Rente und wissen, dass man sich auf das Erbe eher verlassen kann als auf Gehälter. SPIEGEL: Sollten Datingportale nicht obligatorische Angaben zum Thema Erbe einführen? Zhu: Wunderbare Geschäftsidee! Wenn Sie so eine Plattform gründen, sagen Sie Bescheid. Ich würde dann gern die Daten auswerten. NES KATE KUNZ / CORBIS DER SPIEGEL Nr. 31 /

51 Eine Meldung und ihre Geschichte Logenplatz Im Circus Krone stürzt ein Elefant in den Zuschauerbereich war s das jetzt? I m Nachhinein, ja im Nachhinein, da waren natürlich Vorboten sichtbar für den Vorfall, der in den Medien später»der Elefantensturz von Osnabrück«heißen würde. Gab es nicht Unruhe in der Herde der Elefanten, seit das Leittier Delhi vor ein paar Monaten gestorben war? War es nicht besonders heiß im Zirkuszelt? Warnten Tierschützer nicht schon lange vor Zwischenfällen wie diesem? Aber an jenem Mittwoch, an dem sich der Vorfall zuträgt, liegt das Nachhinein noch in der Zukunft und nur Popcorn- Geruch in der Osnabrücker Luft. Alles geht zunächst seinen Gang wie immer. Wie immer hat sich Clown Fumagalli mit Haarspray die Haare zu drei Büscheln modelliert, wie immer leuchten rote Scheinwerfer in die Manege hinab, wie immer sieben Kilometer Kabel, ein ganzes Rudel Löwen, dreifacher Salto mortale. Premierenzeit im Circus Krone, nach eigenen Angaben größter Zirkus der Welt, gegründet im vorigen Jahrhundert von Carl Krone, Urenkel des Magiers Philadelphicus und erster Dompteur, der einen Löwen auf einem Pferd reiten ließ Sitzplätze, hinten die Bänke, vorn die Loge. Auftritt der drei Elefanten. Burma ist 43 Jahre alt. Bara ebenfalls. Mala ist schon 53. Sie ist ein Asiatischer Elefant. Schätzungen zufolge leben noch maximal bis Asiatische Elefanten in Freiheit. Ein paar Tausend sind in menschlicher Obhut, in Parks, Zoos, Zirkussen oder im Arbeitsdienst. König Poros ist mit Kriegselefanten gegen Alexander den Großen in die Schlacht gezogen. In Myanmar schleppen Arbeitselefanten Baumstämme aus dem Wald. Mala hat ihr gesamtes Leben im Zirkus verbracht. Als sie sich an jenem Mittwoch durch die Manege wiegt, sitzt eine Artistin im roten Kleid auf ihrem Rücken. Sie lächelt ohne Unterlass und trägt Federn auf dem Kopf. Die Aufführung ist schon fast zu Ende, als es plötzlich einen gewaltigen Stoß gibt. Burma und Bara sind gegen Mala geprallt. Mala verliert die Kontrolle über ihren dreieinhalb Tonnen schweren Körper. Die Artistin springt ab. Mala stolpert über die Bande. Genau in Richtung der Zuschauer. Holz schrappt über den Boden, Menschen springen auf. Mala kommt auf der Seite zum Liegen, mitten in der Loge. Und in dem Tumult, der danach entsteht, ist plötzlich nicht ganz klar, wer oder was da eigentlich gefallen ist nur der Elefant in den Logenbereich? Oder der ganze Zirkus aus der Zeit? Zirkuselefanten Burma, Bara in Osnabrück Aus der»süddeutschen Zeitung«NDR Man kann die Geschichte des Circus Krone als fortwährende Anpassung an den Zeitgeist lesen. Als die Zuschauer exotische Menschen aus fernen Ländern sehen wollten, gab der Direktor Befehl, amerikanische Ureinwohner aufzutreiben. Als die Nazis nach der Macht strebten, ließ der Direktor, selbst jüdischer Abstammung, Hitler auf seinem Gelände Versammlungen abhalten. Als die Weltwirtschaftskrise den Deutschen kein Geld für Limonade und Eintrittskarten übrig ließ, verlegte der Zirkus seine Tournee nach Italien und Frankreich. Seit einigen Jahren aber ist etwas anders. Das hat auch mit den über 300 Zwischenfälle zu tun, die sich in den vergangenen 20 Jahren in europäischen Zirkussen ereignet haben. 11 Menschen sind dabei gestorben, 86 wurden verletzt. Im Januar galoppierte ein Zebra durch Düren. Im März wurde der Dompteur des Zirkus Knie von einem Löwen gebissen. Im Juni brach Elefant Kenia aus dem Circus Krone aus und spazierte durch ein Wohngebiet in Neuwied. Wann immer der Circus Krone jetzt neu in eine Stadt zieht, stehen Menschen mit Plakaten vor dem Zelt. Auf den Plakaten stehen Sätze wie»artgerecht ist nur die Freiheit«oder»Leid der Elefanten stoppen«. Immer häufiger muss der Circus Krone erst mal Eilanträge beim Verwaltungsgericht stellen, bevor er sein Zelt aufstellen darf. Über 80 Kommunen in Deutschland wollen keine Auftritte von Zirkussen mehr, zu deren Programm Wild - tiere gehören. Den Circus Barum gibt es nicht mehr. Seit zehn Jahren gibt es nicht einmal mehr das Fernsehformat»Stars in der Manege«, das früher so selbstverständlich zum Fernsehen gehörte wie die Ziehung der Lottozahlen. Roncalli hat seit Anfang des Jahres alle Tiernummern aus dem Programm gestrichen. Der Circus Krone aber, vielleicht zum ersten Mal in seiner Geschichte, sträubt sich gegen den Zeitgeist. Ein Zirkus ohne Tiere, sagt die Direktorin in Interviews, sei doch bloß Varieté. Der Circus Krone hat sich deshalb mit Argumenten bewaffnet. Wenn die Tierschützer sagen: Die Tiere zeigen Verhaltensauffälligkeiten, dann sagt er: Die Tiere werden älter, als sie es in der Wildbahn würden. Wenn die Tierschützer sagen: Den Tieren fehlt ihr natür - licher Lebensraum, dann sagt er: Die Tiere kennen ihren natürlichen Lebensraum gar nicht, manche der Löwen leben schon in 21. Generation in menschlicher Obhut. Wenn die Tierschützer sagen: Die Tiere können unter diesen Bedingungen zu einer Gefahr für die Menschen werden, dann wird es schwierig. Dagegen lässt sich nichts sagen, seit Malas Fall. Menschen wurden dabei zwar nicht schwer verletzt, aber was, wenn so was noch mal passiert? Die Elefantenkuh Mala wird ja auch nicht jünger. Sie hat nach dem Vorfall erst einmal frei, damit ihre Schürfwunden verheilen können. Danach soll sie wieder auftreten, aber solo. Maren Keller 51

52 Ich, Bürger Wostrikow Aufstände Beim Brand eines Einkaufszentrums in Sibirien verliert ein Schuhhändler seine drei Kinder, seine Frau und seine Schwester. Er wird zum Gesicht einer Revolte gegen Wladimir Putin. Er wird größer und größer, eine Zeit lang jedenfalls. Von Timofey Neshitov DMITRY SEREBRYAKOV / GETTY IMAGES Ausgebranntes Einkaufszentrum Simnjaja Wischnja in Kemerowo»Mama, ich will nicht sterben!«52

53 A m Nachmittag des 25. März gehen beim Notruf der sibirischen Stadt Kemerowo Dutzende Anrufe ein. Kemerowo liegt näher an Peking als an Moskau, das Einkaufs- und Unterhaltungszentrum Simnjaja Wischnja, auf Deutsch»Winterkirsche«, brennt, Lenin- Straße 35. Die Anrufe werden aufge - zeichnet.»112 Zentrale.Holt uns aus diesem Kinosaal! Bitte!Die Feuerwehr ist schon unterwegs.wir kommen hier nicht raus, warum hat man uns im Stich gelassen?!die Feuerwehr ist doch unterwegs was wollen Sie noch von mir?112 Zentrale.Wir brennen! Die Winterkirsche!«Im Hintergrund schreit ein Kind:»Ma - ma, ich will nicht sterben!die Feuerwehr ist gleich da, wir wissen Bescheid. Gedulden Sie sich.112 Zentrale.Menschen fallen hier aus den Scheißfenstern, wo bleibt eure Feuerwehr mit den Planen?! Jemand muss sie auffangen, sie landen direkt auf dem Scheißasphalt! Wo sind eure Mistviecher mit den Planen?!Reden Sie mal ordentlich. Al - le sind schon vor Ort.«Bei dem Brand sterben 41 Kinder und 19 Erwachsene. Darunter: Roman Wostrikow, 2. Artjom Wostrikow, 5. Anja Wostrikowa, 7. Jelena Wostrikowa, 30. Aljona Sabadasch, 23. Drei Geschwister, ihre Mutter und ihre Tante. Sie gucken im dritten Stock den Animationsfilm»Sherlock Gnomes«. Die Leichen der Familie Wostrikow werden später an der ausgebrannten Mauer links vor der Leinwand geborgen. Roman, der Jüngste, liegt im Schoß seiner Mutter. Igor Wostrikow, der Vater der Kinder, fährt an dem Wochenende Ski in Scheregesch, einem angesagten Bergdorf, 300 Kilometer weiter südlich. Igor ist 31 Jahre alt, ein Schuhhändler. Er hat bereits ausgecheckt im Ferienhaus und sitzt nun mit Freunden im Café. Kurz nach vier ruft Jelena an, seine Frau. Sie sagt nicht viel, sie kann kaum noch atmen. Ich liebe dich, Igor, Igorjuscha Zwei Minuten noch telefoniert er mit ihr. Jelena sagt nichts, aber sie legt nicht auf. Vielleicht hört sie ihn noch. Er hört ihren Atem. Dann nicht mehr. Er legt auf, ruft wieder an, zweihunderttausendmal. Ein Freund fährt, Igor sitzt auf dem Beifahrersitz und drückt auf seinem Handy herum. Gesellschaft Jelena geht nicht mehr ran, aber ihr Handy klingelt, bis acht Uhr noch. Erstickt, denkt Igor. Nicht verbrannt. Als er am späten Abend ankommt, brennt die Winterkirsche noch. Er sieht überforderte Feuerwehrleute, Jelenas Auto mit der halb leeren Limoflasche auf dem Fahrersitz, dreckigen Schnee auf dem Bürgersteig. Jetzt zum Leichenhaus? Die Krankenhäuser abfahren? In jener Nacht schläft er nicht. Seine Mutter nimmt ihn mit zu sich, sie wohnt in einem Plattenbau in der Bolschewikenstraße, im Fenster: die Winterkirsche. Die Stadt ist klein. Er stirbt und stirbt. Igor Wostrikow hat mit chinesischen Kunstlederschuhen gehandelt, Techno gehört, Urlaub in Thailand gemacht. Er mochte große Bildschirme, er ging nicht wählen. Er ist ein Familien- und Konsummensch. War er. Neun Wochen später steht er an der Ruine der Winterkirsche und blinzelt in die Sonne. Er ist ein anderer Wostrikow Widerständler Wostrikow»Ich habe hier schon immer meine verfickte Klappe gehalten!«geworden. Ein bewusster Bürger nun, ein Regimegegner. Igor Wostrikow ist ein schwerer Mann mit einem breiten Kreuz. Seine Augen sind blau, die Wimpern lang. Sein Gesicht kann sehr unterschiedlich aussehen, je nach Licht und Blickwinkel, je nachdem woran er denkt. Mal hat er Ähnlichkeit mit Leonardo DiCaprio, mal guckt er wie ein früh gealterter Parteikader. Er läuft an verkohlten Wänden entlang und erzählt die verschlungene Geschichte des Schuhhändlers Wostrikow, der den Kampf gegen Präsident Putin aufnahm. Sein neues Leben beginnt in der Nacht auf den 27. März, keine zwei Tage nach dem Brand. Um halb zwei Uhr nachts ruft Wostrikow die Bevölkerung zu einer Kundgebung auf:»meine Familie gibt es nicht mehr«, schreibt er im sozialen Netzwerk VK.»Schuld daran ist das Regime in diesem Land. Jeder Beamte träumt davon, so viel zu klauen wie Putin. Jeder Volksdiener behandelt Menschen wie Dreck. Ab neun Uhr wird es eine Demo auf dem Sowjetplatz geben. Kommt, wann ihr könnt.«vk hat in Russland mehr Mitglieder als Facebook. Wer viele Leute erreichen will, veröffentlicht seine Posts auf dieser Plattform. Derartiges allerdings hat Wostrikow noch nie gepostet. Am nächsten Morgen versammeln sich etwa tausend Menschen auf dem Sowjetplatz in Kemerowo, am Lenin-Denkmal. Auf YouTube gibt es Amateurvideos von dieser Kundgebung. Viele Angehörige der Opfer sind dabei, und man fordert, zuerst, die Wahrheit: Wie hoch ist die Opferzahl? Nach einem beständigen Gerücht sind in der Winterkirsche bis zu 400 Menschen gestorben, offiziell ist von 64 Toten die Rede, später von 60. Ein außer sich geratener Mann brüllt:»ihr könnt keinen verfickten Brand löschen! Ihr könnt kein Gebäude evakuieren! Ihr könnt nicht zählen! Ihr könnt keine Wahrheit sagen!«im Brand sind auch Tiere gestorben. Kaninchen, Meerschweinchen, Igel, Füchse, 200 Bewohner eines Streichelzoos.»Wir sind alle eingesperrt in diesem Zoo«steht auf einem Plakat. Bald passiert das Undenkbare: Die Menge fordert den Rücktritt des ewigen Gouverneurs von Kemerowo, Aman Tulejew. Der Mann ist seit 1997 im Amt, er wohnt auf einem KIRILL KUKHMAR / ITAR TASS / IMAGO Anwesen mit elf Häusern und eigenem Mobilfunkmast. Ein Fürst. Wird ein Kinderspielplatz renoviert oder eine Schule, lässt Tulejew ein Schild aufhängen, das darauf hinweist, dass dies sein persönliches Verdienst sei.»rücktritt! Rücktritt!«, ruft nun die Menge.»In den Knast!«Es fühlt sich an, als erwache eine Stadt aus einer Bewusstlosigkeit, die seit Jahrzehnten anhält. Kemerowo zählt Einwohner und liegt am Ufer des Flusses Tom, mitten in einer zerbuddelten Bergbauregion. Viele Zechen haben dichtgemacht; wenn es regnet, gehen die Einwohner in ihren Wohnungen ans Fenster und beobachten den Regen, als würden sie fernsehen. Teenager sparen in Kemerowo auf Kondome, Rentner verkaufen vor dem Bahnhof Dill, Socken und Lesehilfen. Hinter dem Bahnhof bieten ungewaschene Männer Tütchen mit weißem Pulver an. Die Polizei ist sehr präsent. Sie sieht zu. Bei der letzten Wahl be- DER SPIEGEL Nr. 31 /

54 Gesellschaft kam Gouverneur Tulejew 97 Prozent der Stimmen. Igor Wostrikow trägt auf der Kund - gebung die blaue Kapuzenjacke, die er bei seinem letzten Skiwochenende trug, und schwarze Handschuhe. Er greift sich ein Mikrofon, seine Augen sind rot, er hat nicht geschlafen. Er war in der Wohnung, hat Tassen in der Küche gesehen, die Zahnbürsten im Bad, die Schuhe seiner Kinder. Tulejew in den Knast? Für Wostrikow nicht genug.»ist Putin hier?!«, schreit er.»dann holt den doch her!jaaaaa!«, rufen die Menschen.»Her mit dem Putin!«Präsident Putin hat zwar mit dem Brand direkt nichts zu tun, aber andererseits gibt es in Russland nichts, womit Putin nichts zu tun hätte. Diesen Ruf pflegt der Staatschef selbst, im Fernsehen, in stundenlangen Frage-und-Antwort-Runden mit seinem Volk. Man kann sich bei ihm über die Müllabfuhr beschweren oder über die kaputte Straße im Dorf. Der Präsident kümmert sich. Putin ist in der Tat in der Stadt, er hat vor der Winterkirsche einen Strauß roter Rosen niedergelegt. Aber diesmal ruft sein Volk vergebens nach ihm. Anstatt zum Sowjetplatz zu kommen, trifft sich Putin mit Gouverneur Tulejew an einem un - bekannten Ort. In dessen Amtssitz am So - wjetplatz trauen sich die beiden nicht. Putins Leute filmen das Gespräch und stellen es ins Netz, man kann auf dem Video sehen, wie Putin Tulejew demütigt, ohne viel zu sagen. So etwas gehört zur Imagepflege des Präsidenten. Der 73 Jahre alte Tulejew entschuldigt sich wie ein ängstliches Kind für den Brand bei Putin, nicht bei den Angehörigen. Die Demonstranten seien übrigens keine Angehörigen, behauptet Tulejew, sondern»aufwiegler, die eh ständig Ärger machen«. Auf dem Sowjetplatz trauen sich zwei Stellvertreter Tulejews ans Mikrofon, und einer von ihnen wendet sich ausgerechnet an Igor Wostrikow:»Junger Mann, wollen Sie ein bisschen Eigenwerbung machen? Auf Kosten des fremden Schmerzes? Wie heißen Sie?Wostrikow!«, schreit Wostrikow und zählt die fünf Menschen auf, die er verloren hat, Name, Nachname, Alter.»Eigenwerbung?! Ja?! Ich habe hier schon immer, wie jeder andere, meine verfickte Klappe gehalten! Weil ich weiß: Unter diesem Joch«, er zeigt mit der Faust auf den Amtssitz des Gouverneurs,»wenn ich aufmucke, bin ich erledigt! Ihr dreht den Leuten die Luft ab!«die Lage unter dem Lenin-Denkmal droht zu eskalieren, es fehlt nicht viel, und die Revolte bricht los, da entscheidet sich Tulejews Gesandter zu einer dramatischen Geste. Er geht vor den Demonstranten auf die Knie.»Buuuh!«, rufen einige. Andere klatschen Beifall. Die Kundgebung dauert zehn Stunden. Igor Wostrikow übernachtet wieder bei seiner Mutter, aber nun weiß er: Er hat nichts mehr zu verlieren. Die Botschaft, die von Kemerowo, die vom Bürger Wostrikow an diesem Tag ausgeht, erreicht ganz Russland, und sie lautet: Putin, es reicht! Es ist eine den Umständen entsprechend starke Botschaft. Wladimir Putin sieht sein Land zwar auf Höhe einer Großmacht, aber für die eigenen Bürger tut diese Großmacht wenig, schon gar nicht für ihre Sicherheit. Auf Menschen kommen in Russland 7 Brandtote, 15-mal mehr als in Deutschland. Beim jüngsten Korruptionsskandal im russischen Katastrophenschutzministerium verschwanden 23 Millionen Euro. Seit 2014 wurden wegen Sparmaßnahmen ein Drittel der Feuerwehrleute entlassen. Im vergangenen Winter fand in Ke - merowo eine Feuerwehrmesse statt. Ausgerechnet im Einkaufszentrum Winter - kirsche, zweiter Stock, neben dem Streichelzoo. Die besten Feuerwehrleute der Re gion wurden ausgezeichnet. Vier Monate später brannte das Gebäude ab. Es hatte keinen Brandschutz. So läuft es in Russland. Igor Wostrikow wittert den Moment, den Beginn einer Die Angehörigen haben Schmerzensgeld bekommen, Euro für jeden Toten. Bürgerbewegung vielleicht. Aber hält das? Als Wostrikow vier Tage später versucht, eine weitere Kundgebung zu organisieren, wird der Sowjetplatz einfach abgeriegelt. Die wenigen, die gekommen sind, gehen wieder. Die Angehörigen der Opfer gehen nicht mehr auf die Straße. Einige ziehen weg. Einer nimmt sich das Leben. Eine bucht einen Englischkurs auf Malta. Andere trinken hart. Sie bekommen ein für russische Verhältnisse hohes Schmerzensgeld: Euro für jedes tote Familienmitglied. Die Proteststimmung wird weiter geschwächt, indem Gouverneur Tulejew zurücktritt. Ein Schachzug des Kreml. Tulejew ist sich zwar keiner Schuld bewusst, er vergleicht sich mit Jesus und wandert nicht etwa in Untersuchungshaft, sondern wechselt auf den Sessel des Sprechers im Regionalparlament. Aber es gibt, in Kemerowo, keinen Gegner mehr. Igor Wostrikow kämpft mit Selbstzweifeln. Eigentlich würde er die Stadt gern verlassen, für immer.»lass uns nach So - tschi ziehen«, sagt er seiner Mutter in einem Moment der Schwäche.»Ans Mittelmeer, irgendwohin.«doch er bleibt in Kemerowo. Es ist seine Wut, seine kalte Scheißwut, wie er sie nennt, die ihn dazu zwingt. Er verlangt nicht mehr nach Putin, die Kameras sind abgezogen. Aber er will wenigstens dafür sorgen, dass der Brand aufgeklärt wird. Dass es irgendwie weitergeht. Am 7. April bekommt Igor Wostrikow das ausgehändigt, was von der Kleidung seiner Kinder und seiner Frau übrig geblieben ist. Noch auf der Straße nimmt er eine Videobotschaft an Katastrophenschutz - minister Wladimir Putschkow auf.»ich habe eine Frage an die Missgeburt namens Putschkow. Was hast du Mistkerl mit deinem Ministerium gemacht? Dass die so einen Brand nicht löschen können? Man hat dir ein Amt anvertraut, du musst das Land verteidigen, die Menschen. Und du Drecksack stopfst dir die Taschen voll, du Mistvieh.«Wostrikow ist jetzt tatsächlich ein berühmter Mann, und er schöpft wieder Hoffnung. Er kriegt die Leute zwar nicht mehr auf die Straße. Stattdessen gründet er eine Bürgerbewegung im Internet.»Das Ziel ist, das Lebensniveau in Russland anzuheben«, verkündet er auf VK.»Die Sicherheit der Menschen zu verbessern.«er fügt hinzu:»ich rufe zu keiner Revolution auf. Zu keinem Umsturz, keinem Bürgerkrieg.«Ein befreundeter Journalist hat ihn gewarnt, der Geheimdienst habe Journalisten angewiesen, Igor Wostrikow zu diskreditieren. Subtil, mit Gefühl. Grundton: Der Arme hat den Verstand verloren nach seinem unfassbaren Verlust. Beten wir für Igor. Wostrikow bricht deshalb eine Psychotherapie ab, die er nach dem Tod seiner Familie begonnen hat. Wer zum Therapeuten geht, ist im Zweifelsfall irre. In dieser Zeit wenden sich viele Unterstützer von Wostrikow ab. Nicht weil er irre ist, sondern wegen des Namens, den er seiner Bewegung verpasst hat:»das Große Reich«. Worte, die mehr an Josef Stalin denken lassen denn an Bürgerrechte. Wostrikow ist kein Stalinist. Er meint mit»großem Reich«, Russland solle eine echte Großmacht werden, ein Land, das sich um die eigenen Bürger kümmert. Er schläft aus und benennt die Bewegung um. Nun heißt sie»volkes Stimme«. Landesweit legen Freiwillige bei VK Seiten an, Volkes Stimme Moskau, Volkes Stimme Wladiwostok, Volkes Stimme Nowosibirsk. 76 Ableger einer Bewegung, die Korruption und Behördenwillkür publik macht. Sie wird zu einer Art Pranger für Beamte, mit investigativem Anspruch, aber erst mal ohne Folgen. Mitte April nimmt Igor Wostrikow in der Ruine der Winterkirsche ein weiteres Video auf, das Karriere machen wird. Hier das 54 DER SPIEGEL Nr. 31 /

55 Kinderzimmer in der Wohnung des Witwers Wostrikow»Haben Sie etwa keine Familie?«Fenster, aus dem ein elfjähriger Junge fiel, zehn Meter tief, hinausgestoßen vom eigenen Vater, der Junge überlebte, sein Vater verbrannte. Hier die drei Kinos; der rote Saal, der blaue, der gelbe; alle rußschwarz nun. Wostrikows Familie war im roten Saal, dort starben die meisten Menschen. 37 von 60. Warum kamen sie nicht heraus?»leute, ich lasse das nicht so«, sagt Wos - trikow bei seinem Rundgang durch die Ruine in die Kamera.»Ich bleibe dran.«er will die Umstände des Brandes aufklären, er bittet die Zuschauer, ihm auf Instagram zu folgen: igorlovepapa.»ich brauche eure Unterstützung«, sagt er.»es gibt hier einen Apparat des Verschweigens.«Nach diesem Video hört sein Handy nicht mehr auf zu leuchten und zu piepsen. Es sind nicht mehr die Angehörigen, die sich hinter ihm versammeln, sondern Menschen wie Anastassija: Mitarbeiterin eines Callcenters in Kemerowo, 31 Jahre alt, querschnittsgelähmt. Sie lebt zwischen Rollstuhl und Bett. Um die Computermaus zu bewegen, benutzt sie ihr Kinn. Diese Frau schreibt Igor Wostrikow:»Ich werde Ihnen nicht erzählen, wie ich versucht habe, das System zu bekämpfen. Aber ich habe gesehen, dass man das allein nicht schafft.«oder Swetlana, eine ehemalige Mit - arbeiterin der Stadtverwaltung, zuständig für den Katastrophenschutz. Sie erzählt Wostrikow, warum sie vor drei Jahren gekündigt hat: Bei der Flut damals hätten 260 Häuser unter Wasser gestanden, aber nach Moskau seien nur 6 gemeldet worden. Schullehrer und Anwälte schreiben Igor Wostrikow. Unternehmer, die keinen Kredit bekommen, Krebskranke, die sich keine Medikamente leisten können. Menschen, die in ihm einen Mann sehen, auf den man hoffen kann. Es geht nicht mehr nur um die Winterkirsche. Es geht um Zusammenhalt. Um eine Gesellschaft. Diese Gesellschaft, das wird Igor Wos - trikow schnell klar, will keine Revolution. Sie will keinen Volksaufstand wie in Kiew 2014 oder wie in Tunesien Diese Gesellschaft will sich mitteilen. MAX SHER / DER SPIEGEL Ein herzkranker Bergbauer spricht Igor Wostrikow vor der Winterkirsche an:»können Sie meinen Fall publik machen?«der Bergbauer hat sein Leben lang auf eine Wohnung gespart, nun haben ihm Betrüger diese Wohnung genommen, zwei Zimmer, Lenin-Straße 99. Die Stadtverwaltung sei am Schwindel beteiligt gewesen, sagt der Mann.»Ich kümmere mich«, sagt Igor Wostrikow. Er kam in der späten Sowjetunion zur Welt, Sohn einer Erzieherin und eines Ingenieurs. Sein Vater starb früh, die Mutter handelte mit Klamotten, um über die Runden zu kommen. Wostrikow studierte Chemie und verdiente sein erstes Geld als Croupier. Im Kasino lernte er seine Jelena kennen. Sie wurde Hausfrau, war gern Hausfrau, und er überraschte sie mit Geschenken, mal mit einem Kühlschrank, mal mit einer Matratze. Zwei Wochen nach dem Brand erscheint ihm Jelena in einem Wachtraum. Er sitzt am Küchentisch seiner Mutter, Jelena kommt herein und sagt:»igorjuscha.«er springt auf, drückt sie an sich, und es ist anders als in diesen Filmen, in denen der traurige Held nach leerer Luft greift, weil das Gespenst immer ver - schwinden muss. Er riecht an Jelenas Haar, küsst ihre Lippen, zwei, drei Sekunden lang. Igor Wostrikow ist dankbar, dass ihm seine Frau noch mal erschienen ist. Er konnte sich von ihr verabschieden. Dann macht er weiter. Er darf ja nicht anhalten. Mitte Mai verkündet er, er wolle Abgeordneter im Regionalparlament von Kemerowo werden. Im April noch hatte er gesagt:»ich will nicht Teil dieses Systems sein.«heikel daran ist, dass er auf der Liste der Regierungspartei Einiges Russland kandidiert. Er betont zwar, er werde nicht Parteimitglied. Er werde diese Partei le - diglich als Vehikel benutzen, um ins Parlament zu kommen; 40 von 42 Parlamentssitzen in Kemerowo gehören der Fraktion Einiges Russland an. Wostrikow beschwört seine Leute, Volkes Stimme werde durch dieses Mandat, hoffentlich, mehr Gewicht bekommen. Aber von Ferne betrachtet sieht es so aus, als habe sich der Bürger Wostrikow korrumpieren lassen. Er beginnt, da draußen den Rückhalt zu verlieren. Noch Wochen später, als er am achten Geburtstag seiner Tochter Anja, die nie acht wurde, Bilder von ihr postet, schreibt ihm jemand darunter:»na, du Scheusal, hast dich und die Erinnerung an deine Familie verkauft?«dabei meint es Wostrikow tatsächlich ernst mit der Lokalpolitik. Er hat sich überlegt, was er als Abgeordneter erreichen will. Ein Punktesystem für soziales En - gagement zum Beispiel: Wer für eine Rent- 55

56 Familienvater Wostrikow mit Schwester (l.), Ehefrau, Kindern 2017 Umarmung im Traum nerin den Einkauf erledigt, soll dafür Punkte bekommen, die er dann beim Friseur oder beim Schuster einlösen kann. Oder Straßenwerbung, die Russlands Bürger zu besseren Menschen erzieht. Ein großes Plakat an jeder Kreuzung, Mädchen fragt Papa: Wir wollten doch in den Park gehen, musst du wieder trinken? Aber Wostrikow hadert mit seiner Rolle als Politiker. Politik war nie seine Absicht. Anfang Juni nimmt er sich eine Auszeit von alldem. Er will Abstand gewinnen, Bilanz ziehen. Er fliegt auf die Krim. Die orthodoxe Kirche hat die Opferfamilien auf eine Pilgerfahrt eingeladen. Wostrikow ist nicht sonderlich fromm, aber er nimmt das Angebot an. Man besichtigt Klöster, badet im Schwarzen Meer, trinkt abends auf der Dachterrasse Wein. Eine Art Ersatztherapie. Ein Arzt ist dabei, ein Priester, Sozialarbeiterinnen. Wostrikow schaltet in diesem Urlaub öfter sein Handy aus. Er setzt sich von der Gruppe ab, spaziert allein am Meer, fährt Moped. Eines Abends geht er mit Schenja aus, einer Frau, die im Brand von Kemerowo ihre sechsjährige Tochter und ihren Mann verloren hat. Sie teilen das gleiche Schicksal, den Brand, aber sonst nicht viel. Schenja ist aus Kemerowo weggezogen. Sie braucht ihre Ruhe. Sie interessiert sich nicht für Politik. Wostrikow lädt sie in eine Shishabar ein und bestellt eine Wasserpfeife und B 52, einen Cocktail aus Kaffeelikör, Baileys und Rum, benannt nach einem amerikanischen Langstreckenbomber. Dabei vertraut er sich dieser Frau an. Er erzählt ihr von seinem Leben der letzten Wochen, von seinen Schwankungen, von seinen Fehlern. Es ist, als suche er ihren Rat. Sie nickt, aber sie hat keinen Rat für ihn. Schenja fragt:»waren deine Särge geschlossen?ja«, sagt Igor.»Alle? Du hast die Gesichter nicht gesehen?ich hätte es nicht gewollt.ich habe darum gebeten«, sagt Schenja.»Dass sie meine aufmachen.du hast darum gebeten?«er taumelt zwischen Tatkraft und Trauer, während in seiner Stadt eine Party steigt.»ich konnte nicht anders. Ich musste mich verabschieden.«während Wostrikow auf der Krim ist, während er hin- und hertaumelt zwischen Tatkraft und Trauer, steigt auf dem Sowjetplatz von Kemerowo eine Party: Der 100. Stadtgeburtstag. Es riecht nach Schaschlik, nach Parfüm. Frauen haben sich hübsch gemacht, Luftballonherzen gleiten in den Himmel. Putins Lieblingsband Ljube ist aus Moskau gekommen. Die größte Katastrophe der Stadtgeschichte wird mit keinem Wort erwähnt. Nur das Logo zur Feier wird noch einmal verändert: Ursprünglich hatte die Ziffer 100 ausgesehen, als ob sie aus Feuerzungen bestehe. Nach zwei Monaten ist das Thema»Winterkirsche«weitgehend be - endet. Der Katastrophenschutzminister ist abgesetzt worden. Ein Feuerwehrmann, ein Wächter, mehrere Beamten sind in Untersuchungshaft. Der stellvertretende Gouverneur, der vor Igor Wostrikow auf die Knie gegangen war, ist nun Gouverneur. Als er zurückkehrt nach Kemerowo, fährt Wostrikow zunächst zum Friedhof. Dann zur Bank. Er braucht einen Kontoauszug für die Wahlkommission, und er will seine finanzielle Zukunft regeln. Auch er hat Euro für jeden Toten bekommen. Die Kundenberaterin in der Bank, keine zwei Kilometer von der ausgebrannten Winterkirsche entfernt, preist Wostrikow Fondsanlagen an. Zwölf Prozent Zinsen jährlich, garantiert, sie habe selbst so ein Portfolio. Es gebe auch höhere Zinsen, bei höheren Risiken natürlich.»sind Sie risikofreundlich?ja, sehr«, sagt Wostrikow und beugt sich nach vorn.»machen Sie 20 Prozent. Oder lieber 30!Sind Sie an Kryptowährungen interessiert?sehr.wichtig ist natürlich, dass Ihnen das Herz nicht zerplatzt vor Aufregung, wenn der Markt mal volatil wird.«sie kopiert seinen Ausweis und will ihm ein Girokonto empfehlen, das für die ganze Familie geeignet sei, VIP-Lounge am Flughafen, Fitnessstudio, Frau und Kinder dürften überallhin mit. Wostrikow lehnt sich zurück und sieht die Frau eine Zeit lang still an.»haben Sie etwa keine Familie?«, fragt sie weiter,»schon 31 und noch ledig? Keine Kinder? Schade natürlich.sehr schade«, sagt Igor. Er verlässt die Bank mit schnellen Schritten, setzt sich in seinen Gelände - wagen, schlägt die Tür zu, steigt, kurz vor einer roten Ampel, aufs Gas. Bremst. Er fährt in seine alte Wohnung. Ein baufälliges Haus von 1956, erster Stock. Der Teddybär im Kinderzimmer sitzt schief auf dem Bücherregal. Im Schlafzimmer steht Jelenas Parfüm, Bruno Banani. Ein Zettel an der Kühlschranktür: 15. Dezember, 17 Uhr, Fototermin. Wenige Tage vor dem Brand hatte Jelena Geburtstag. Er schenkte ihr einen Skianzug. Sie wollten den Skiausflug als Familie machen, aber Roman, der Kleinste, wurde krank. Igor fuhr ohne sie. Jelena ging mit den Kindern ins Kino. Er blickt auf die Kinderkleidung im Flur. Die Jacken. Die Overalls. Er fragt sich, ob er je wieder eine Familie haben kann und was er dann mit den Anzieh - sachen seiner Kinder machen soll. Er kann sie nicht wegwerfen. 56 DER SPIEGEL Nr. 31 /

57 Gesellschaft Klassenfahrt Homestory Wie ausgerechnet Martin Sonneborn dafür sorgte, dass sich meine Tochter jetzt für Politik interessiert V or Kurzem ist meine Tochter mit ihrem Französischkurs nach Straßburg gefahren, für fünf Tage, auf dem Programm stand auch der Besuch des Europäischen Parlaments. Ich fand das eine großartige Sache. Seit - dem ich zum ersten Mal im Irak war, während des Krieges gegen Saddam Hussein, wo mir in einem Folterkeller der Geheimpolizei ein einarmiger Iraker von seinem Schicksal erzählte, singe ich das Hohelied der Demokratie auch dann, wenn ich nicht dazu aufgefordert werde. Ich glaube, meinen Kindern kommt die Melodie inzwischen zu den Ohren raus, aber ich lasse mich davon nicht beirren. An Wahlsonntagen sitze ich am Frühstückstisch und erinnere daran, dass»das Wahlrecht erkämpft werden musste, dass Menschen dafür ihr Leben gelassen haben«. Das Hochgefühl, das mich dabei erfasst, erreicht allerdings nicht mal die andere Seite des Tisches, wo meine Kinder sitzen. Meine Tochter ist 13 Jahre alt, mein Sohn 9.»Ist gut, Papa.«Ein Besuch im Parlament in Straßburg schien mir ein unerwarteter Glücksfall zu sein, vielleicht würde er dazu führen, dass meine Tochter beginnt, Politik ernst zu nehmen. Als ich sie nach ihrer Rückkehr vom Bus abholte, fragte ich sofort, wie es gewesen sei im Parlament.»Seltsam«, sagte sie. Sie habe ei nen Politiker getroffen, der die ganze Zeit nur von sich selbst erzählt und Videos gezeigt habe, in denen auch nur er zu sehen war. Ich halte das bei einem Politiker für ein vollkommen normales Verhalten, aber meine Tochter kannte diese Leute bisher nur von Wahlplakaten. Die Tatsache, dass in regelmäßigen Abständen Straßen und Innenstädte mit deren Bildern vollgehängt werden, hat wohl dazu geführt, dass sie Politiker für angesagte Leute hält. So als käme Coldplay in die Stadt oder Helene Fischer.»Wie hieß der Politiker?«, fragte ich. Meine Tochter dachte einen Moment nach:»sonnenblum?«ich googelte den Namen. Es gibt keinen Sonnenblum im Europäischen Parlament. Aber es gibt Sonneborn, Martin Sonneborn, der Kasper von der Partei»Die Partei«, ehemals Chefredakteur der Satirezeitschrift»Titanic«.»Der war s«, sagte meine Tochter,»er stellte sich vor mit dem Satz, er sei der Abschaum des Parlaments.«Ich dachte, okay, das war s. Chance vertan. Kann ich vergessen, mit meinem Kind über Politik zu reden. Zu Hause in Deutschland kriegt sie Seehofer, auf Klassenreise in Straßburg Sonneborn. Ich habe Bekannte, die sind Fans von diesem Mann, weil seine Partei fordert, die Flüchtlingsobergrenze jährlich neu THILO ROTHACKER FÜR DEN SPIEGEL zu definieren Deutschland dürfte nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen als das Mittelmeer. Martin Sonneborn scheint diese Leute in ihrer Meinung zu bestärken, dass Europaabgeordnete faul, inkompetent und geldgierig seien. Wer das so sieht, unterstellt ihm, dasselbe Geschäft zu betreiben wie die AfD, nur aus der anderen Richtung. Ich glaube das nicht. Ich glaube schon, dass er demokra tische Absichten hat. Aber das Problem mit Satirikern ist ja, dass sie immer gegen etwas sind und selten für etwas. Man weiß nie so genau, was sie eigentlich wollen. Ich selbst bin kein Fan von Martin Sonneborn, am meisten stört mich an ihm, dass er sich auf eine Art über Leute lustig macht, die nicht meine Art ist. Ich erzählte meiner Tochter von Sonneborns Rede vor dem EU-Parlament, bei der er über die Ehefrau von Emmanuel Macron sprach, die ja bekanntlich 24 Jahre älter ist als ihr Mann. Sonneborn widmete ihr den letzten Satz seiner Rede, sprach erst über die Aufklärung, dann über Voltaire und Diderot und gab schließlich Macron einen Rat: Er sollte sich besser informieren über die Ideale der Aufklärung, seine Frau wäre da eine geeignete Gesprächspartnerin. Ihr könnten Voltaire und Diderot noch persönlich bekannt gewesen sein. Meine Tochter fand das nicht überraschend. Sie schien inzwischen viel über Martin Sonneborn nachgedacht zu haben. Sie stellte sich Fragen. Über die Aufgabe von Politikern. Sie kam zu Erkenntnissen. Dass Politik eine ernste Sache ist. Und dass ihre Repräsentanten Leute sein sollten, die man ernst nimmt. Martin Sonneborn schien in meiner Tochter politisches Bewusst - sein geweckt zu haben, ex negativo gewissermaßen. Ich wollte wissen, ob womöglich genau das seine Absicht war, und rief bei ihm an. Er sagte:»das war eine 8. Klasse, oder? Die sind meistens noch zu jung, um mit mir etwas anfangen zu können.«dann machte er noch einen billigen Witz über die Nase der Französischlehrerin, die meine Tochter und ihren Kurs begleitet hatte. Wie gesagt, man weiß nicht so genau, was diese Leute wollen. Mittlerweile sind seit der Reise nach Straßburg gut zwei Monate vergangen. Meine Tochter greift sich jetzt häufiger die Tageszeitung, setzt sich damit an den Küchentisch und beginnt zu lesen. Meist fängt sie in der Mitte der Zeitung an, dort, wo der Lokalteil zu finden ist. Sie ist dann kaum ansprechbar. Sie arbeitet, wenn sie Zeitung liest. Sie schafft sich demokratisches Grundwissen drauf. Sie fragt:»was ist eine Fraktion?«Oder:»Was genau will die Linke eigentlich?«oder:»wieso sind die Leute in der AfD immer so wütend?«nach dem Lokalteil guckt sie ins Inland, das Ausland erspart sie sich,»zu viele Kriege, zu viele Tote«. Wir führen beim Frühstück neuerdings andere Gespräche als früher. Meine Tochter spricht darüber, wie es sein wird, wenn sie 18 ist und zum ersten Mal wählen geht. Sie wüsste, wen sie wählen würde, wenn sie jetzt schon dürfte, sagt sie. Wir reden über Angela Merkel, zu der meine Tochter jetzt eine Meinung hat. Sie mag sie, weil Merkel schon so viele Jahre dafür sorgt, dass es keinen Krieg in Deutschland gibt, sagt meine Tochter. Und wir reden über Horst Seehofer, den sie nicht mag, weil sie glaubt, dass er unernst ist. Uwe Buse 57

58 10 Sommerprämien zur Wahl! JETZT LESER WERBEN SIE MÜSSEN SELBST NICHT ABONNENT SEIN. Kärcher-Hochdruckreiniger K2 Mit Hochdruckpistole, 4-m-Schlauch, Dreckfräser, Gartenschlauch-Adapter und Flächenreiniger T 50. Ohne Zuzahlung. Denver Smartphone SDQ-55044L Mit 5,5-Zoll-Display, Android 8.1 GO und Dual-Sim-System. Ab August 2018 verfügbar. Ohne Zuzahlung. ipad 32 GB Wi-Fi in Spacegrau Neues Modell mit A10-Fusion Chip und ios 11, 9,7"-Retina-Display, Fingerabdruck-Sensor und 8-MP-Kamera. Zuzahlung: 229,. Teasi One 3 extend Navi Für Rad, Wandern, Ski und Boot. Mit 8,8-cm-Display, Routing, Gratiskarten und 3-D-Kompass. Ohne Zuzahlung. Polar M200 GPS-Laufuhr Speziell für Läufer entwickelt. Mit GPS und Laufprogrammen. Misst Tempo, Höhe, Herzfrequenz u. v. m. Ohne Zuzahlung. Wagenfeld-Tischleuchte WG 24 Der Bauhaus-Klassiker! Aus vernickeltem Metall, Klarglas und Opalglas. Nummeriert. Höhe: ca. 36 cm. Zuzahlung: 149,. Denver TAQ 10,1"-Tablet Mit 1,3 GHz Quad-Core Prozessor, 16 GB internem Speicher und moderner Dual-Simcard-Funktion. Ohne Zuzahlung. KitchenAid-Küchenmaschine Küchenhelfer mit Knethaken, Flachrührer, Schneebesen und 4,28-Liter-Schüssel. Maße: 35 x 35 x 22 cm. Zuzahlung: 199,. Gartenliege Ipanema grün/beige Mit bequemer Wendeauflage in dezentem Beige oder Grün. Aufstellmaße: ca. 178 x 54 x 70 cm. Ohne Zuzahlung.

59 Schnell bestellen: nur bis , Prämie Bei Bestellung bis erhalten Sie 110, als Prämie. Schnell sichern! Ja, ich habe geworben und wähle meine Prämie! Ich bin der neue SPIEGEL-Leser. SPIEGEL-Vorteile Wertvolle Wunschprämie für den Werber. ğš wğšēğš ŋųťť ťğņēťŭ łğĵō ^V0 ( > >ğťğš ťğĵō ųŋ vœš ųĭťŝšğĵť ťŭćŭŭ Ǿǽ ōųš ǽ Ŀğ ųťĭćēğ ĴōłŅ >ĴğĨğšųōĬ Auf Wunsch das Digital-Upgrade für nur 0,70 je Ausgabe inkl. SPIEGEL-E-Books. Anschrift des neuen Lesers: Frau Herr Name, Vorname Straße, Hausnr. Geburtsdatum Wunschprämie Kärcher-Hochdruckreiniger (4838) ipad 32 GB (5694) Zzlg. 229, Polar M200 GPS-Laufuhr (5576) Denver TAQ 10,1"-Tablet (5683) Denver Smartphone (5720) Teasi One 3 extend Navi (5369) Wagenfeld (3739) Zzlg. 149, KitchenAid (5688) Zzlg. 199, IBAN Anschrift des Werbers: Frau Herr Name, Vorname Straße, Hausnr. PLZ Ort Gartenliege grün/beige (5698) 110, Prämie (4595) bis Mein Konto für die Überweisung: DE PLZ Ich zahle bequem per SEPA-Lastschrift* vierteljährlich 62,40, digitale Ausgabe halbjährlich 13, DE IBAN Datum Ort Telefon (für eventuelle Rückfragen) (für eventuelle Rückfragen) Gleich mitbestellen! Ja, ich möchte zusätzlich das Digital-Upgrade für nur 0,70 pro Ausgabe beziehen statt für 4,99 im Einzelkauf. Unterschrift des neuen Lesers SD Ja, ich wünsche unverbindliche Angebote des SPIEGEL-Verlags und der manager magazin Verlagsgesellschaft (zu Zeitschriften, Büchern, Abonnements, Online-Produkten und Veranstaltungen) per Telefon und/oder . Mein Einverständnis kann ich jederzeit widerrufen. Der neue Abonnent liest den SPIEGEL für zunächst 52 Ausgaben für zurzeit 4,80 pro Ausgabe statt 5,10 im Einzelkauf, das Digital-Upgrade zusätzlich für 0,70 pro Ausgabe. Das Abonnement verlängert sich automatisch und ist dann jederzeit zur nächsterreichbaren Ausgabe kündbar. Die Mandatsreferenz wird separat mitgeteilt. SP WT127 Coupon ausfüllen und senden an: DER SPIEGEL, Kunden-Service, Hamburg abo.spiegel.de/p31 Der Werber erhält die Prämie ca. vier Wochen nach Zahlungseingang des Abonnementbetrags. Der Vorzugspreis von 0,70 für das Digital-Upgrade gilt nur in Verbindung mit einem laufenden Bezug der Printausgabe, enthalten sind 0,60 für das E-Paper. Alle Preise inklusive MwSt. und Versand. Das Angebot gilt nur in Deutschland. Hinweise zu AGB, Datenschutz und Widerrufsrecht: SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG, Ericusspitze 1, Hamburg, Telefon: , aboservice@spiegel.de * SEPA-Lastschriftmandat: Ich ermächtige den Verlag, Zahlungen von meinem Konto mittels Lastschrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein Kreditinstitut an, die vom Verlag auf mein Konto gezogenen Lastschriften einzulösen. Hinweis: Ich kann innerhalb von acht Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, die Erstattung des belasteten Betrags verlangen. Es gelten dabei die mit meinem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen. Gläubiger-Identifikationsnummer DE50ZZZ

60 Wirtschaft»Kommt doch erst einmal pünktlich, und dann kommt mir mit künstlicher Intelligenz.«S.62 Exportschlager Porsche JOHN PARRA / GETTY IMAGES Leistungsbilanzüberschüsse Scholz hält Trump für mitschuldig US-Steuerreform entlastet Bürger und Unternehmen und treibt so die Nachfrage nach deutschen Waren. Die Bundesregierung macht US-Präsident Donald Trump mitverantwortlich für Deutschlands hohe Leistungsbilanzüberschüsse.»Die Auswirkungen expansiver Finanz- und Wirtschaftspolitiken anderer Länder (wie etwa in den USA) spielen nach wie vor eine entscheidende Rolle für die Entwicklung des deutschen Leistungsbilanzsaldos«, heißt es in der Antwort des Bundesfinanz - ministeriums (BMF) auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke. Die Experten von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) spielen damit auf die US-Steuerreform an, die Bürger und Unternehmen um Hunderte Milliarden Dollar entlastet und die Nachfrage nach deutschen Waren treibt. Es gebe»keine singulären deutschen Politikmaßnahmen, die den Überschuss verursacht haben«. Er sei mit rund acht Prozent vom BIP derzeit zwar relativ hoch, stelle»aber kein übermäßiges Ungleichgewicht dar«, schreiben die BMF-Experten. Im globalen Vergleich habe die regionale Zusammensetzung des Leistungsbilanzsaldos einer Währungsunion»nur geringe Aussagekraft, sodass sinnvollerweise nur der Leistungsbilanzsaldo der Eurozone betrachtet werden kann«. Der betrug vergangenes Jahr 3,5 Prozent. Deutsche und europäische Leistungsbilanzsalden seien Ergebnis»von marktbasierten Angebots- und Nachfrageentscheidungen von Unternehmen und privaten Verbrauchern auf den Weltmärkten«. Sie könnten nicht oder nur indirekt durch wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen in Deutschland und Europa beeinflusst werden. REI Sozialbeiträge Wirtschaftsweiser für stärkere Entlastung Der Vorsitzende des Sachverständi - genrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Christoph Schmidt, hat die Bundesregierung aufgefordert, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung stärker zu senken, als bislang geplant.»es bestünde genug Luft, den 60 Beitrag um bis zu 0,5 Prozentpunkte zu senken«, sagt der Chef des Rats, der auch die»fünf Wirtschaftsweisen«genannt wird. Die Rücklagen der Arbeitslosenversicherung dürften wegen der ausgezeichneten Beschäftigungslage im Laufe des Jahres auf mehr als 20 Milliarden Euro ansteigen, argumentiert Schmidt, der auch Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen ist.»dieser Puffer sollte ausreichen, um zukünftige konjunkturelle Schwächephasen auszugleichen.«derzeit liegt der Beitragssatz bei 3,0 Prozent des Bruttolohns. Bundesarbeits - minister Hubertus Heil (SPD) plant zum 1. Januar eine Absenkung um lediglich 0,3 Prozentpunkte. Die Union dringt auf eine stärkere Entlastung, auch um erwartete Beitragsanstiege in der Pflegeund Rentenversicherung auszugleichen. Schmidt kritisiert, dass steigende Sozialabgaben die Bezieher niedriger Einkommen wie auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen belasteten. COS DER SPIEGEL Nr. 31 /

61 Unterhaltung Gottschalk macht noch einmal»wetten, dass..?«das ZDF will seine einst erfolgreichste Sendung wieder aufleben lassen zumindest für einen Abend. Anlässlich des 70. Geburtstags von Thomas Gottschalk im Mai 2020 soll es noch ein letztes Mal»Wetten, dass..?«geben, moderiert vom Jubilar. Das bestätigen Senderkreise. Gottschalk in Halle an der Saale 2011 JAN WOITAS / DPA Gottschalk präsentierte die Show mit Unterbrechungen von 1987 bis Sein Nachfolger Markus Lanz kam beim Publikum nur mäßig an, 2014 stellte das ZDF die Sendung ein. Gerüchte über eine Neuauflage verstummten nie. Voriges Jahr spielte dann die ARD»Wetten, dass..?«: In einer Geburtstagssendung für Frank Elstner, den Erfinder der Show, ließ Kai Pflaume ehemalige Kandidaten antreten mangels Namensrechten unter dem Titel»Top, die Wette gilt!«. Das ZDF soll nicht erfreut gewesen sein, die ARD war es aufgrund der guten Einschaltquote schon. Der zuständige NDR arbeitet derzeit für 2019 an einer Fortsetzung von Pflaumes Wettshow. Die Rückkehr von»wetten, dass..?«ins ZDF hingegen soll einmalig bleiben, heißt es dort. Offiziell will der Sender nur bestätigen, dass Gottschalks Geburtstag auf dem Schirm ge - feiert wird. Er selbst äußert sich ebenfalls zurückhaltend. Sein runder Geburtstag sei erst in zwei Jahren, so der TV-Senior:»Wer weiß, ob es dann das ZDF oder mich noch gibt.«akü, BRA Speiseeisverbrauch in Deutschland Tonnen haben deutsche Firmen 2017 exportiert. 113 Kugeln hat jeder Deutsche im Schnitt 2017 verzehrt. Quellen: BDSI, Destatis Tonnen wurden 2017 importiert. Konzerne Siemens plant deutsches Silicon Valley in Berlin Der Münchner Siemens-Konzern will seine Keimzelle, das Gelände in Berlin-Spandau, zu einem deutschen Silicon Valley umwandeln und ein Signal für den Standort Deutschland setzen. Das Werk hatte kürzlich für Schlagzeilen gesorgt, weil die dortige Dynamoproduktion wegfallen soll. Nun soll die Siemens-Stadt sogar deutlich aufgewertet und für rund eine halbe Milliarde Euro zu einem großen Technologiepark umgestaltet werden mit Flächen für Start-up-Firmen, Forschungslabors, Schulen und Wohnungen. Dank Siemens-Technik könnte es zu einem Vorzeigeprojekt für Digitalisierung und nachhaltige Städte werden. Auch soll das gesamte Gelände öffentlich zugänglich sein. Erste Kontakte zum Berliner Senat und der Stadtverwaltung wurden schon geknüpft, denn auch die öffentliche Hand soll einen Beitrag leisten in Form von Entgegenkommen bei der zulässigen Bebauung und der Einhaltung von Denkmalschutzauflagen. Allerdings gibt es in Teilen des Vorstands noch erheblichen Widerstand. Die Kritiker plädieren dafür, dass Projekt lieber in Asien umzusetzen, weil sie fürchten, dass es in Berlin an der nötigen politischen Unterstützung fehlen könnte. DID Soziale Netzwerke»Nicht fair«vreni Frost, 36, bloggt über Mode und Lifestyle-Themen. Der Influencerin folgen auf Instagram, wo sie für mehr Transparenz eintritt, mehr als Nutzer. SPIEGEL: Warum kennzeichnen Sie seit Neuestem alle Ihre Instagram-Posts als Werbung? Frost: Ich habe mir eine einstweilige Verfügung eingefangen. Das Gericht untersagt es mir, Accounts von Dritten in meinen Fotos zu verlinken, ohne dies als Anzeige zu deklarieren. SPIEGEL: Und deshalb schreiben Sie jetzt»werbung«unter all ihre Bilder? Frost: Ja, sogar wenn ich meine Katzen markiere. Die haben auch einen Insta - gram-account. SPIEGEL: Aber werden Influencer nicht für einen Großteil ihrer Posts bezahlt? Frost: Ich bekomme vielleicht für 20 Prozent meiner Beiträge Geld. Der Rest ist mein eigener Content; also persönliche, un - bezahlte Empfehlungen. Daher folgen die Leute mir ja: Weil sie wissen wollen, was ich trage und welche Produkte ich benutze. SPIEGEL: Wer hat Sie verklagt? Frost: Der»Verband Sozialer Wettbewerb«, zu dem unter anderem zwei große deutsche Verlage gehören, die Illus trierte und Frauenzeitschriften herausgeben. Diese halten sich auf ihren eigenen Instagram-Accounts teils selbst nicht an die Regeln, die der Verband von mir verlangt. Das finde ich nicht fair. SPIEGEL: Auf Außenstehende wirkt die Influencer-Szene oft undurchsichtig. Da ist mehr Transparenz doch eigentlich etwas Gutes. Frost: Total. Deshalb begrüße ich die Debatte auch. Nur bringt es niemandem was, wenn ich als wandelnde Litfaßsäule abgestempelt werde. Es ist auch nicht im Sinne des Gesetzes, das eine Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten verlangt. SPIEGEL: Was heißt das für Sie? Frost: Ich habe Berufung eingelegt, weil ich den Fall für meine Branche durchfechten will. Notfalls auch bis zum Bundesgerichtshof. AKN 61

62 Stadt, Land, Zug Reisen Smarte Züge, digitale Gleistechnik und ein Fitnessraum im Regionalexpress: Die Deutsche Bahn will sich neu erfinden, der Staat damit die verkehrspolitische Wende schaffen. Weil der Konzern in den vergangenen Jahren kaputtgespart worden ist, wird der Umbau Milliarden kosten. D ie Bahnhofsuhr ist seit Generationen ein treuer Begleiter des Reisenden. Ihr Zifferblatt ist weiß und sachlich, die Stunden sind keine Zahlen, sondern schwarze Striche, über die stumm ein roter Sekundenzeiger wandert. Wenn er die volle Stunde erreicht, dann scheint es so, als würde die Zeit stillstehen, zumindest für einen Augenblick. Erst dann federt der schwarze Minutenzeiger einen Strich weiter. Klack! Reisende kennen dieses Stillstehen der Zeit, wenn sie auf den Bahnsteig hasten, mit bangem Blick auf die Zeiger und auf Zugtüren, die zufallen. Die Bahnhofsuhr ist eines der wichtigsten Markenzeichen der Deutschen Bahn. Das neue Exemplar ist anders. Es ist erst einmal ein Prototyp. Von außen vom Althergebrachten nicht zu unterscheiden, doch im Innern vollgestopft mit digitaler Technik. Die neue Uhr hat Dutzende Sensoren, denen nichts mehr entgeht: Ist der Bahnsteig voll oder leer? Liegt Abfall herum, funktionieren alle Lampen? Diese Uhr ist nicht irgendeine Uhr.»Diese Uhr«, sagt Sabina Jeschke,»ist intelligent.«jeschke ist im Vorstand der Bahn zuständig für Digitalisierung. Sie ist eine auffallende Frau mit wallendem Haar und einer großen, geknoteten Perlenkette. Jeschke mag die neue Bahnhofsuhr, auch, weil sie das perfekte Symbol dafür ist, was sie mit dem Unternehmen Bahn insgesamt vorhat. Es soll verändert werden, innerlich, ohne dass es sein Gesicht verliert. Es soll mithalten im digitalen Wettbewerb der Zukunft und immer noch erkennbar sein als die alte Bahn. Jeschke ist erst seit neun Monaten bei der Aktiengesellschaft. Zuvor war sie HARRY WEBER Reisende im Berliner Hauptbahnhof: Nur 77,4 Prozent aller Fernzüge kamen zur richtigen Zeit an 62 DER SPIEGEL Nr. 31 /

63 Wirtschaft Informatikprofessorin in Aachen. Sie kommt also aus der digitalen Welt, jener Welt, in der gerade jede Maschine und jedes Gerät intelligent werden muss. Rhetorisch gelingt ihr die Verbindung von neuer und alter Industrie bereits, und zwar spielend:»die Bahn war das Start-up der industriellen Revolution, bei der eine Dampfmaschine auf einen rollenden Untersatz gesetzt wurde«, sagt Jeschke. Nun werde die Bahn»die Treibkraft für die vierte industrielle Revo - lution«. Doch bei aller Euphorie wirkt Jeschke nicht abgehoben.»kommt doch erst einmal pünktlich, und dann kommt mir mit künstlicher Intelligenz«, würden ihr manche Leute entgegnen, wenn sie über die Digitalisierung bei der Bahn spreche.»die haben natürlich nicht ganz unrecht«, findet sie. Das Dilemma der Bahn ist damit gut auf den Punkt gebracht: Das Potenzial des Unternehmens mit seinen fast Mitarbeitern ist riesig und dennoch steckt es tief in der Krise. Alle Welt redet von den enormen Chancen, die sich für den reisenden Menschen durch die Digitalisierung ergeben. Redet von intelligenten Autos und Bussen, von fliegenden Taxis, von Carsharing, Hochgeschwindigkeitsröhren und anderen Mobilitätsträumen. Doch wenn es um die Bahn geht, reden alle lediglich von Verspätung. Die Pünktlichkeitsstatistik, die die Bahn am Mittwoch vorgestellt hat, ist wieder einmal verheerend, nur 77,4 Prozent aller Fernzüge kamen zur richtigen Zeit an. Mit aller Macht stemmt sich die Bahn gegen dieses Ärgernis. Ab sofort sollen für die Strecke von Köln nach Dortmund und ab November für die Strecke von Mannheim nach Fulda sogenannte Kapazitätsteams ihren Dienst aufnehmen, die die Abfertigung verspäteter Züge beschleunigen sollen. Schon bald sollen die neuen ICE-4- Züge 265 statt 250 Stundenkilometer fahren, um Zeit wettzumachen. All das kostet zusätzliches Geld, allein 100 Millionen Euro in diesem Jahr. Die Bahn versucht tapfer, mit positiven Meldungen gegen ihr negatives Image anzukämpfen. Etwa damit, dass immer mehr Menschen Bahn fahren. Aber der Passagierrekord ist mit Preisnachlässen teuer erkauft. Die Schuldenlast, die im vergangenen halben Jahr um eine weitere Milliarde Euro gewachsen ist, nähert sich der Grenze von 20,4 Milliarden Euro. Die hat der Haushaltsausschuss des Bundestags der Bahn gesetzt. Diese Verbindlichkeiten lasten auf dem Konzern wie Blei. Zwar steht der Staat als Bürge hinter ihm, doch schon jetzt fällt es dem Unternehmen immer schwerer, seine Verbindlichkeiten zu refinanzieren. Die Perspektive ist düster: Steigen die Zinsen, wird der Staat Geld nachschießen müssen, nicht für neue Investitionen, sondern um den laufenden Betrieb zu finanzieren. Oder er verkauft die wertvollen Teile des Konzerns, etwa die Frachttochter Schenker. Eigentlich bleibt gerade nicht viel Spielraum für Reformen. Trotzdem hat die Bundesregierung Großes mit der Bahn vor zumindest auf dem Papier. Das Bahnkapitel im Koalitions - vertrag geriet so lang wie nie zuvor. Vor allem ein Satz sticht hervor.»für uns steht als Eigentümer der Deutschen Bahn AG nicht die Maximierung des Gewinns, sondern eine sinnvolle Maximierung des Verkehrs auf der Schiene im Vordergrund.«Mit diesem Satz bricht die GroKo mit einem jahrzehntelangen Dogma der Verkehrspolitik. Bislang sah der Bund die Bahn als ein Unternehmen, das wie jedes andere Profit abwerfen sollte. In der Hochphase dieser Politik, Anfang der Nullerjahre, sollte die Bahn gar an die Börse gebracht werden. Ihr damaliger Chef, Hartmut Mehdorn, nahm diesen Auftrag sehr ernst. Er quetschte die Bahn, technisch wie personell, aus, so weit wie es irgend ging, auf dass künftige Anteilseigner einmal fette Renditen einfahren sollten. Heute gilt der politisch verordnete Sparkurs als Todsünde. Mehdorn leitete einen Raubbau an der Substanz von Schienen, Zügen und Gebäuden ein, von dem sich die Bahn bis heute nicht erholt hat. Und als Mehdorn ging, schafften es seine Nachfolger nicht, den Niedergang zu stoppen. Bis heute gibt die Bahn nicht genug Geld für den Erhalt der Infrastruktur aus. Brücken bröseln, Schwellen verrotten, Weichen schlagen aus. Die Bahn fährt auf Verschleiß. Nun kommt die komplette Kehrtwende. Plötzlich geht es nicht mehr um Gewinn, sondern um Fahrgastrekorde. Union und SPD fordern jetzt von dem Konzern,»bis 2030 doppelt so viele Bahnkundinnen und Bahnkunden«zu gewinnen. Zugleich soll er»mehr Güterverkehr auf die umweltfreundliche Schiene«verlagern. Und nebenbei sollen»pünktlichkeit, guter Service und hohe Qualität das Markenzeichen der Eisenbahnen in Deutschland sein«, heißt es auf Seite 77 des schwarz-roten Koali - tionspapiers. Das klingt alles erst einmal gut. Gegen mehr Fahrgäste bei der Bahn, mehr Güter auf der Schiene und eine Abkehr von der Mehdorn-Doktrin kann ja kaum ein Bahnkunde ernsthaft etwas haben. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass Deutschland seine Klimaschutzziele nur erreichen kann, wenn die Bahn endlich jene verkehrspolitische Bedeutung bekommt, die ihr Bahnexperten seit Jahren abverlangen. Doch wie das so ist, wenn man plötzlich etwas ganz anderes will, und das möglichst sofort: Es wird sehr teuer. Die Aufgabe ist enorm. Die Bahn muss alte Versäumnisse aufholen und sich gegen neue Wettbewerber aufstellen und dann auch noch die ambitionierten Ziele der Poli - tik erreichen. Wie das Ganze funktionieren soll, ist noch rätselhaft. Aber wie die Politik ihr Programm durchdrücken will, ist schon einmal klar. Statt Manager und Wirtschaftsleute sollen Politiker und Beamte den Ton bei der Bahn bestimmen. Die einen werden herausgedrängt aus dem Aufsichtsrat, die anderen hineingeschoben. Der Erste, den es traf, war im Frühjahr Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht. Er wurde durch Ex-Verkehrsstaatssekretär Michael Odenwald ersetzt, einen Vertrauten der CSU. Im Juli wiederholte sich das Spiel mit den Aufsichtsräten Jürgen Großmann und Michael Frenzel, zwei erfahrenen Wirtschaftsleuten, die durch die Bundestagsabgeordneten Christian Schmidt (CSU) und Eckhardt Rehberg (CDU) ersetzt werden sollen.»ein politischer Coup, der die Machtverhältnisse umkehrt und das Unternehmen in Richtung Staatsbahn drängt«, kommentierte Frenzel seinen durch Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) organisierten Abgang. Doch wem der Laden gehört, der bestimmt die Richtung, und so feilen die Manager im Bahntower seit Monaten brav an einer Antwort auf das, was die Politik ihr in Form des Koalitionsvertrags als Aufgabe mitgegeben hat. Im September soll eine Sondersitzung im Aufsichtsrat statt- 63

64 finden. Dann will der Bahn-Vorstand ein Angebot unterbreiten, was zu schaffen ist von den Plänen und wie viel zusätzliches Geld der Staat dafür lockermachen muss. Die Bahn der Zukunft. Darum geht es. Auch wenn vieles von dieser Zukunft erst in Strategieplänen steht, so lässt sich an einigen Stellen bereits besichtigen, wie diese Bahn aussehen könnte. Es sind Orte, an denen sich aber auch viel über die Probleme der Gegenwart lernen lässt. Carsten Hutzler arbeitet an dieser Zukunft. Er hat dazu einen Waggon zur Verfügung, der in seinen Maßen exakt jenen doppelstöckigen Wagen entspricht, in denen Millionen Pendler jeden Morgen in die Städte fahren.»ideenzug«heißt das Ding, und es steht in einer Werkshalle im Industriegebiet von Bad Homburg.»Berufspendler, die jeden Tag eine Stunde und zehn Minuten mit dem Zug zur Arbeit benötigen, verbringen von zehn Jahren ihres wachen Lebens eines im Zug«, sagt Hutzler und lässt den Satz ein wenig wirken, dann fügt er hinzu:»die heutigen Züge sehen allerdings nicht danach aus, als ob man sonderlich viel Lebenszeit in ihnen verbringen wollte.«fünf Modellpersonen hat sich Hutzlers Team ausgedacht: Sophie, die digitalaffine Studentin, die im Zug surfen will. Jan, Mitte dreißig, ein Architekt, der vertraulich mit seinen Kunden konferieren möchte. Holger hingegen, 55 Jahre alt, ist ein geselliger Typ, der auf dem Weg heim von der Arbeit mit anderen Gästen ein Glas Weißbier trinken will. Familie Schmidt hat zwei quirlige Kinder, das eine vier, das andere sechs Jahre alt. Und dann ist da auch noch Elwira, eine Rentnerin mit Rollator. Heutzutage bekommen sie alle nur eine Sitzbank, und wenn die nicht mehr frei ist, einen Haltegriff. Selbst die Toilette ist im Regionalexpress oft wegen eines technischen Defekts gesperrt. Diese triste Wirklichkeit müsse sich ändern.»es reicht nicht, wenn wir nur die Kunden halten, die heute schon in den Zügen pendeln«, sagt Hutzler.»Wir müssen die Leute aus den Autos herausbekommen.«doch die Autohersteller seien nicht zu unterschätzen. Ihre Autos verwandeln sich in komfortable Arbeitsplätze, mit Telefon und Internetanschluss.»Wenn das autonome Fahren kommt, dann droht der Bahn auch noch der Vorteil wegzufallen, dass man im Zug nicht selber fahren muss, sondern arbeiten, essen oder herumdösen kann«, sagt Hutzler. In seinem»ideenzug«hat er deshalb jedem seiner virtuellen Bahnkunden einen Raum geschaffen, um sich wohlzufühlen. Dem Architekten haben die Designer einen durch Milchglas abgetrennten Sitzplatz erschaffen, der aussieht wie in der Businessclass von Langstreckenflugzeu- Digitale Stellwerkstechnik, Prototyp eines Regionalzuges*:»Lebenswelten liefern«gen. Die junge Studentin kann sich in einem Yogaraum einchecken oder auf einen Fitnesstrainer steigen. Für Holger, den geselligen Typen, hängt im Bordbistro ein Flachbildschirm, zum gemeinsamen Fernsehgucken auf Rädern. Der Zug der Zukunft weiß dank Sensoren, welcher Waggon voll und in welchem noch Platz ist. Diese Information sendet er weiter an Lichtbänder, die in den Bahnsteig eingelassen sind. Reisende, die im nächsten Bahnhof warten, werden durch rote und grüne Leuchten zu den leeren Abteilen gelotst. Drinnen informiert der Kunde sich auf Monitoren über Fahrtzeit und Verbindungen, die Aktienkurse und die aktuellen Nachrichten aus der Welt. Eine Wand aus echtem Moos soll behagliches Gefühl aufkommen lassen, Filz an den Wänden den Schall schlucken.»wir müssen den Menschen Lebenswelten liefern«, sagt Hutzler. Aber sind die Deutschen auch bereit, dafür zu zahlen? Über ihren Fahrpreis, aber auch über ihre Steuergelder, die in eine moderne Bahn fließen sollen? Die Deutsche Bahn brauche insgesamt ein besseres Image, findet Hutzler. Viel Zeit bleibt ihr nicht. Früher, als es noch keine Konkurrenz gab, konnte man sich Zeit lassen mit Innovationen. Aber mit einem Mal ist der Konzern umstellt von Konkurrenten. Da sind nicht nur die Billigflieger, die der Bahn auf den Strecken zwischen den Metropolen seit Jahren die * Am Erzgebirgsbahnhof Annaberg-Buchholz Süd; Projekt»Ideenzug«in Bad Homburg. SVEN DÖRING / DER SPIEGEL TIM WEGNER / DER SPIEGEL 64

65 Wirtschaft Kunden abspenstig machen. Nicht nur die Fernbusunternehmen. Bei denen ging es immer nur darum, die Leistung, die die Bahn anbot, irgendwie zu ersetzen, das eine Vehikel durch das andere. Doch jetzt entstehen neue Gegner. Digitalplattformen wie Uber wollen den Markt für Mobilität neu definieren. Ihr Ziel ist es, dem Kunden irgendwann nicht mehr bloß eine Form der Fortbewegung anzubieten Bahn, Bus, Fahrrad, sondern künftig jegliche Form des Reisens, und möglichst die jeweils beste. Unternehmen wie die Bahn könnten dann zu bloßen Dienstleistern schrumpfen zum Teil eines Netzwerks. Die Bahn will deshalb selbst Mobilitätsanbieter werden. In Frankfurt hat sie ein Tochterunternehmen namens Ioki gegründet, in Hamburg bietet es in zwei Stadt - teilen einen eigenen Dienst an: Dort fährt Ioki mit Elektroautos an der Haustür vor, über eine App bestellt, und fährt seine Kunden bis zur nächsten Bus- oder Bahnstation. Die letzte Meile will die Bahn so überbrücken, ein wichtiger Kampf. Den wohl wichtigsten Kampf aber, den muss sie dort gewinnen, wo sie von jeher unterwegs ist, auf dem Gleis. DER SPIEGEL Nr. 31 / Geplante Strecken mit digitaler Schienentechnik Aachen * Umsatz in Mio. Hannover Großraum Stuttgart Hamburg Verschuldung in Mio. Berlin München Unternehmenszahlen Deutsche Bahn Mitarbeiter * für 2018 erwartet; Quelle: Deutsche Bahn 2018 (1. Halbjahr) Satelliten.»Wir können jederzeit sehen, wo genau sich der Zug aufhält«, sagt Mehlhorn. Was für Autofahrer in Zeiten von Google Maps wie eine Selbstverständlichkeit klingt, ist bei der Deutschen Bahn keineswegs technischer Standard. Das deutsche Streckennetz ist immer noch in unsicht - bare Blöcke unterteilt. An deren Grenzen sind sogenannte Achszähler an den Gleisen festgeschraubt, die festhalten, ob ein Zug mit all seinen Waggons in diesen Block einfährt beziehungsweise diesen Block wieder verlässt. Je nachdem, ob das Streckennetz dicht ist oder dünn wie bei der Erzgebirgsbahn, sind diese Blöcke einige Kilometer groß.»wenn der Zug erst einmal in den Block eingefahren ist, weiß niemand im Stellwerk, wo genau er ist«, sagt Mehlhorn. Das alte Blocksystem bot lange Sicherheit, es hat aber auch einen gravierenden Nachteil: Es darf sich jeweils nur ein Zug in dem Block auf dem Gleis befinden. In Zukunft ist das nicht mehr nötig. Dann sollen zentrale Rechner Züge und Weichen kontrollieren, die die Geschwindigkeit und den Abstand der Züge regeln. Sie erhalten dazu Informationen über den Zustand der Triebwagen, der Weichen und Das Training für diesen Kampf findet mitten im Erzgebirge statt, kurz vor der tschechischen Grenze. Es ist der Bahnhof von Annaberg-Buchholz Süd. In einem gelben Fertigbauhäuschen links neben dem Bahnhofsgebäude probiert die Deutsche Bahn gerade aus, was der Regierung unter der Überschrift»Digitale Schie - ne Deutschland«verkauft werden soll. 35 Milliarden Euro soll das Vorhaben kosten, so haben interne Berechnungen unlängst ergeben. Am Ende dieser Entwicklung werden Züge und Weichen zentral von Computern gesteuert. Viele Stellwerke werden verschwunden sein und alle Signale am Rande der Gleise. Genau so wie in Annaberg- Buchholz Süd. Der Dieselzug mit der Nummer macht sich gerade auf den Weg von Hennersdorf Richtung Zschopau. Betriebsleiter Lutz Mehlhorn sitzt gemeinsam mit Fahrdienstleiter Lorenz Bertram hinter einer Wand aus acht Monitoren. Auf einem ist als Zahlenkolonne jenes Zuggespann erkennbar, das da in diesem Moment durch die Täler des Erzgebirges rauscht. Fahrdienstleiter Bertram klickt ein paarmal mit der Maus und schaltet dem Triebwagen die Strecke frei.»die Weichen schalten nun automatisch so um, dass der Zug freie Fahrt hat«, erklärt er. Gleiches geschieht mit den Bahnübergängen: Sie schließen sich. Bertram und Mehlhorn beobachten, wie sich der Zug auf dem virtuellen Netzplan des Monitors fortbewegt. Die Daten stammen von GPSder Gleise. Fällt ein Baum darauf, werden diese Erschütterungen von Sensoren gemeldet. Züge, die sich dieser Stelle nähern, werden automatisch abgebremst.»european Train Control System«, kurz ETCS, heißt diese Technologie, die in ihrer modernsten Ausbaustufe im Erzgebirge getestet wird. In den nächsten Jahren will die Bahn drei große Korridore quer durch die Republik mit dem neuartigen System ausrüsten. Beginnen wird sie dabei auf einer Nord-Süd-Magistrale von Hamburg bis zum Brenner. Auch der Großraum Stuttgart soll mit der Digitaltechnik bevorzugt ausgestattet werden, weil dort sowieso schon alles neu gebaut wird (siehe Grafik). Bis 2025 könnte die digitale Schiene auf diesen Strecken fertig sein, drei Milliar - den Euro soll das Ganze nach SPIEGEL- Informationen kosten. Lutz Mehlhorn führt Besucher gern in den Rechnerraum. Darin steht nur noch ein kleiner, schwarzer Kasten, nicht größer als ein Schuhkarton. Dort ist der Steuerungscomputer untergebracht, von dort laufen Glasfaserkabel hinaus ins Gleis.»Mit dieser Technik werden wir die vielen komplizierten Systeme auf einen Schlag ablösen, die es im Streckennetz der Bahn gibt«, sagt Mehlhorn. Damit spricht er eines der größten Probleme der heutigen Bahn an, den Wildwuchs an Steuerungstechnik. Besuchern, denen er davon eine Anschauung geben will, nimmt er mit nach Cranzahl, einen Bahnhof hinter Annaberg-Buchholz Süd. In einem Schuppen zwischen den Gleisen steht noch ein mechanisches Stellwerk, mit dem die Anschlussgleise in Richtung Tschechien bedient werden. Melhorn ergreift mit beiden Händen einen langen Stahlhebel und zieht ihn nach unten. Ein Seilzug bewegt die Weiche, viele Hundert Meter weiter am Eingang des Bahnhofs.»Das ist Technik aus dem Kaiserreich«, sagt Mehlhorn,»ein mechanisches Wunderwerk, aber leider vollkommen aus der Zeit gefallen.«cranzahl ist allerdings überall. Noch immer ist knapp ein Drittel aller Stellwerke im DB-Netz mechanisch. Dazu kommen elektrische Stellwerke unterschiedlicher Entwicklungsstufen. Sie stammen aus den jüngsten Jahrzehnten. Aber auch da muss noch für jede Weiche und für jedes Signal ein eigenes Kabel gezogen werden bis ins nächstgelegene Stellwerk. Dieser technische Wildwuchs ist nicht nur teuer, sondern auch störanfällig. Reisende, die den Bahnschaffner von einer Verspätung wegen einer Weichenstörung sprechen hören, hätten eben kein Bild davon, wie es hinter den Fassaden der Bahn aussehe, so Mehlhorn. Bei der Bahn berauscht man sich regelrecht an den Vorteilen des neuen Systems, mit dessen Hilfe mehr Züge auf der beste- 65

66 henden Infrastruktur verkehren können.»wir rechnen mit 20 Prozent mehr Kapazität, ohne dass wir eine neue Schiene verlegen müssen«, sagt Digitalisierungsvorstand Jeschke. Ähnliches gelte auch für den Güterverkehr. Die Züge sollen immer länger werden, je vorausschauender man sie mit dem digitalen Zauberwerk steuern kann. Bremst der vorausfahrende Zug, wird im gleichen Augenblick auch der dahinter fahrende verlangsamt. Derzeit ringt Jeschke mit ihren Vorstandskollegen um einen Zeitplan, den sie dem Aufsichtsrat in seiner wichtigen Sitzung im Herbst präsentieren kann. Bis 2030 könnte die Schiene digitalisiert sein. Am Ende ist auch bei der Bahn alles eine Frage des Managements. Noch so gute, noch so umweltfreundliche, noch so kundenzentrierte Angebote müssen sich am Ende zu einem großen Ganzen fügen, das sich irgendwie rechnet. Der Bund wird etliche Milliarden ausgeben für seine Vision der neuen Bahn. Aber bei einem Vorhaben dieser Größe sind auch ein paar Mil - liarden schnell weg. Im 25. Stock des Bahntowers in Berlin muss Richard Lutz, der Vorstandsvorsitzende, die Wünsche der Politik und die Gesetze des Marktes irgendwie zusammenbringen. Von seinem Schreibtisch aus hat er einen weiten Blick über Reichstag, das Kanzleramt und die Ministerien. Doch das sollte nicht täuschen. Die da unten in ihrem Ministerbüro sitzen, das sind die Leute, denen er verantwortlich ist. Finanzminister Olaf Scholz hat Lutz einen Tag zuvor einen Besuch abgestattet. Lutz sieht mit seinen strubbeligen, rotblonden Haaren aus, als käme er gerade nach einem Sieg vom Bolzplatz. Das Gespräch sei sehr gut gelaufen, sagt Lutz. Es gebe gute Signale. Mehr dürfe er natürlich nicht verraten. Lutz profitiert davon, dass die Bahn gerade das Lieblingskind der Verkehrpolitik ist. Deshalb kann er auch darüber hinweglächeln, dass die Bilanz seines Konzerns schlecht ist. Er weiß, dass Scholz und der Regierung nicht viel anderes übrig bleibt, als dem Konzern weiter Geld zu geben. Selbstbewusst sagt er:»die Politiker sind ja nicht in erster Linie Bahnfans geworden, weil sie plötzlich unsere Bahn so toll finden, sondern weil viele verstanden haben, dass es ohne uns nicht geht, die Klimaziele zu erreichen.«lutz Rechnung ist simpel. Seine Bahn kann das leisten, was der Autoverkehr nicht leisten kann. Eigentlich müsste auf der Straße 40 Prozent CO 2 weniger ausgestoßen werden, stattdessen pustet die immer größere, immer schwerere Pkw- Flotte mehr Klimagas aus. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) als Bahn-Vorstände Lutz, Jeschke, Ronald Pofalla:»Treibkraft für die vierte industrielle Revolution«unmittelbarer staatlicher Vorgesetzter von Lutz müsste sich eigentlich für harte CO 2 - Grenzwerte einsetzen. Doch Scheuer macht das nicht, weil er die Autoindustrie schonen will, und das dürfte auch der Grund für die Begeisterung des Ministers für die Deutsche Bahn sein. Die Bahn könnte ihre Milliarden für die Verkehrswende am Ende vor allem deshalb bekommen, weil die Politik die Auto - konzerne schont. Ein verkehrspolitischer Ablasshandel. Dass jetzt alles schnell gehen muss, bedeutet nicht nur, dass der Bund viel Geld ausgeben muss. Es bedeutet vor allem, dass der Alltag für Bahnreisende erst einmal noch schlimmer wird. Investitionen bedeuten Baustellen, und die bedeuten weitere Verspätungen. Man wolle aber, sagt Lutz,»kundenfreundlicher«bauen. Und:»Erste Fortschritte gibt es haben wir trotz höherem Bauvolumen zehn Prozent weniger baubedingte Verspätungsminuten gehabt als im Vorjahr.«Gebaut werden soll künftig vor allem nachts und am Wochenende. Auch will Lutz mehr Weichen einsetzen, die auf zweispurigen Strecken dazu genutzt werden können, Züge auf die Gegenspur umzuleiten. Damit ließen sich auch Streckensperrungen vermeiden, die umfahren werden müssen und Zeit kosten. Derzeit handelt die Bahn mit dem Bund einen neuen Fünfjahresplan aus, in welcher Höhe die Bahn in ihr Netz investieren darf. Vier Milliarden Euro jährlich gab es in der ablaufenden Periode, eine Steigerung um eine Milliarde pro Jahr im Vergleich zur Vergangenheit. Das nächste Mal, daran lässt Lutz keinen Zweifel, will er über eine Milliarde mehr haben. Er wird das Geld bekommen, so viel dürfte sicher sein, und dazu, für jede Milliarde mehr, einen Aufpasser aus dem Parlament im Aufsichtsrat. Lutz sagt, dass ihm das nichts ausmache, natürlich. Doch in seinem Management wächst die Nervosität. Es gibt Abgänge. Das Gewinnprinzip aufzugeben zugunsten einer halb gefühlten, halb realen Planwirtschaft, das läuft dem Instinkt eines Betriebswirtschaftlers zuwider. Die Manager aus dem Aufsichtsrat zu fegen heißt ja nicht bloß, den Geist Mehdorns zu vertreiben, das allzu enge Starren auf gute Zahlen. Politiker in den Aufsichtsrat zu berufen birgt auch die Gefahr, dass diese sich allzu sehr als Vertreter ihrer Region begreifen und hier einen sinnlosen Zwischenstopp in der Provinz und da eine fragwürdige Strecke ans Ende der Welt forcieren. In Lutz Vorstellung wird nicht nur die Bahn eine große Rolle spielen im Verkehr von übermorgen. Er sieht auch die Bahnhöfe als neue Zentren einer digitalen, mobilen Gesellschaft. Die Manager der großen Internetkonzerne, sagt Lutz, suchten von sich aus den Kontakt zur Bahn, weil sie in den Bahnhöfen Paketfächer bauen wollen. Oder weil sie einen Reparaturservice für Handys planen. Die Bahnhöfe der Zukunft, so schwebt es ihm vor, könnten so etwas werden wie die Bauchläden der digitalen Ökonomie. Alles soll dann so sein wie die neue Uhr der Bahn: Außen ändert sich nichts aber innen drin ist alles neu. Gerald Traufetter Video Pünktlicher, komfortabler, digitaler? spiegel.de/sp312018bahn oder in der App DER SPIEGEL SÖREN STACHE / DPA 66

67 »Einfach auflegen«verbraucher Unter dem Vorwand, Umfragen zu machen, schieben Telefonanbieter Kunden Verträge unter. Die Drücker schrecken vor keinem Trick zurück. E igentlich wollte der Mann seinem Mobilfunkanbieter nur eine neue Adresse melden. Doch ein paar Tage später hatte er eine Bestätigung im Briefkasten: Sein Vertrag habe sich um 24 Monate verlängert. Der Kunde hatte davon keine Ahnung, der Deal war ihm am Telefon beiläufig untergeschoben worden. Ein anderer Handynutzer bekam einen zunächst schmeichelhaft klingenden Anruf. Er sei langjähriger Kunde, deshalb dürfe er zwei Gigabyte Datenvolumen zusätzlich verbrauchen und unbegrenzt telefonieren natürlich kostenlos. In der Bestätigung war dann von 24,99 Euro Kosten monatlich die Rede. Er hatte einem neuen Vertrag zugestimmt. Fälle wie diese erreichen Tom Janneck, 47, täglich. Er arbeitet bei den»marktwächtern Digitale Welt«, einem Frühwarnsystem der Verbraucherzentralen, durch das neue Tricks von Unternehmen öffentlich gemacht werden sollen.»unseriöse Methoden im Telekommunikationsbereich sind leider ein Dauerbrenner«, sagt er. In einer gesättigten Branche, in der um jeden Kunden gekämpft wird, gehören üble Methoden zum Alltag. Die Beschwerden bei der Bundesnetzagentur über unlautere Telefonwerbung erreichten 2017 mit mehr als Fällen einen Höchststand. Die Verbraucherschützer haben 1216 Menschen repräsentativ befragen lassen. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, mindestens einmal unaufgefordert von Unternehmen zu werblichen Zwecken kontaktiert worden zu sein. Am häufigsten geschah das durch Telekommunikations - anbieter, gefolgt von Glücksspielfirmen und Energieversorgern. Haben die Callcenter-Mitarbeiter einmal einen Kunden im Gespräch, spulen die meist gut geschulten Kräfte ihr Programm herunter. Oft werden Kunden dabei verbal umarmt. Worte wie»treue- bonus«,»gratis«,»ohne Vertragsverlängerung«fallen häufig und lullen den Kunden ein. Was vielen Verbrauchern nicht klar ist: Eine mündliche Einwilligung am Telefon reicht aus, um einen rechtsgültigen Vertrag zu schließen. DER SPIEGEL Nr. 31 / Wirtschaft Selbst Menschen ohne große Kauf kraft sind im Visier der Telefondrücker. Marktwächter Janneck hat beobachtet, dass»anbieter auch gern Ältere oder Menschen mit Migrationshintergrund, die schlecht Deutsch beherrschen, ansprechen und beispielsweise am Telefon bearbeiten.«bei so geschlossenen Handyverträgen kann der finanzielle Schaden enorm sein: Schließt ein Verbraucher ungewünscht einen Vertrag ab, kann das über die Laufzeit hinweg mehrere Hundert Euro kosten. Verbraucherbeschwerden Schriftlich eingegangene Beschwerden über unerlaubte Telefonwerbung bei der Bundesnetzagentur, in Tausend Umfrage Welche Gründe für die unaufgeforderte Kontaktaufnahme* wurden Ihnen genannt? günstigere Zusatzoptionen und Geräte Umstellung des Vertrags durch Technologiewechsel Kündigung des Kunden Neukunden gewinnen Treueangebot (z.b. Barauszahlung) 62% günstigerer Vertrag (Preis/Leistung) *durch Anbieter oder Vertriebsfirmen per Telefon, Post, oder an der Haustür; Auswahl an Gründen, 371 Befragte, Mehrfachnennungen möglich; Quelle: Studie der Verbraucherzentralen Und es kann wirklich jeden treffen. Manchmal ruft ein Callcenter-Mitarbeiter an und erkundigt sich scheinbar besorgt, ob der Internetanschluss schnell genug sei. In 62 Prozent der von den Marktwächtern erhobenen Fälle ist dem Kunden gesagt worden, dass er einen günstigeren Vertrag bekommen könne. Auch Zusatzoptionen wie mehr Datenvolumen oder ein neues Tablet wurden als Anrufgrund genannt. Verbraucherschützer registrieren derlei Fälle bei nahezu allen Anbietern. Nicht immer stecken die Netzanbieter direkt dahinter, manchmal behaupten externe Callcenter einfach, im Namen eines Telefonkonzerns zu agieren. Selbst auf dem Gehweg vor einem Smartphone-Laden in der Innenstadt ist man nicht vor üblen Maschen sicher. In einem Fall fand ein Mann auf der Straße ein Handy. Er trug es in das Mobilfunk - geschäft und bat darum, den Eigentümer zu ermitteln. Der Mitarbeiter fragte nach den Daten des Finders, der Mann sollte mehrmals etwas unterschreiben. Am Ende hatte er zwei Handyverträge abgeschlossen. Auch Gewinnspiele in Fußgängerzonen werden als Trick verwendet, Menschen in einen Vertrag zu locken. Um den Gewinn in Form eines Tablets oder Smartphones entgegennehmen zu können, wird der Teilnehmer in den Shop gebeten. Dort soll er den Erhalt quittieren. Nach kurzer Zeit folgt dann die Überraschung in Form einer Rechnung über den»gewinn«.»kunden können nicht immer über - blicken, was sie auf einem Unterschriften- Display genau abzeichnen«, sagt Verbraucherschützer Janneck. So erkundigte sich eine Kundin nach neuen Tarifen und Smart - phones. Sie sollte auf einem Display unterschreiben, dass die Beratung stattgefunden hat und schloss dabei mehrere Verträge ab. Der Nachweis, dass dem Verbraucher ungewollt ein Vertrag angedreht worden ist, erweist sich in gerichtlichen Verfahren oft als schwierig bis unmöglich. Bei telefonisch geschlossenen Verträgen gilt zwar ein Widerrufsrecht von 14 Tagen, wurde der Kunde darüber nicht ordentlich belehrt, erhöht sich diese Frist auf ein Jahr. Doch Verbraucher müssen die Frist nutzen und Ansprechpartner wie Adressen finden. Mehrere Bundesländer fordern, dass ein per Telefon geschlossener Vertrag erst dann rechtswirksam sein soll, wenn er zusätzlich schriftlich bestätigt worden ist. Doch bis das Gesetz wird, könnte es noch dauern. Verbraucherschützer Janneck hat bis dahin einen simplen Ratschlag, zu dem viele Deutsche schlicht zu höflich sind:»einfach auflegen.«martin U. Müller Mail: martin.mueller@spiegel.de 67

68 Wirtschaft Serie (IV) Kaum etwas beschäftigt die Deutschen derzeit so sehr wie die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. Der SPIEGEL widmet dem Thema deshalb eine Sommer serie: Wir fragen, wie die Wohnungsnot die Gesellschaft verändert, wie gute Wohnungsbaupolitik aus - sehen sollte und wer die entscheidenden Akteure sind. Fetisch Eigenheim Lebensträume Ein Haus zu kaufen statt zu mieten mehrt das Vermögen. Das klingt logisch. In Wahrheit aber vernichtet die eigene Immobilie Geld, Zeit und sogar Ehen. 68 H allo Bardo«, rufen zwei Angestellte im Hagebau-Baumarkt in Ratzeburg und gestikulieren wild, um den Hund eines Kunden zu sich zu locken. Der Golden Retriever trottet ihnen mit wedelndem Schwanz entgegen. Er kennt die beiden, bei seinem letzten Besuch wollten sie ihm schon ein Lätzchen mit Logo anziehen, dem süßen Hagebau-Hund. Der dauernd da ist. Weil sein Herrchen dauernd da ist. Hier oder gleich nebenan im Baustoffzentrum. Dort muss Herrchen nicht mal mehr bar zahlen, die Rechnungen für die italienischen Badfliesen, die Naturpflastersteine oder die extrabreiten Eichendielen werden ihm als treuem Kunden zusammen mit der Ware per Sattelschlepper frei Haus geliefert. Tausende Euro lässt der Hundebesitzer regelmäßig in den örtlichen Baumärkten, Einrichtungsgeschäften und Gartencentern, und ein Ende ist nicht in Sicht. Denn vor vier Jahren, nach mehr als 30 Jahren als Mieter, hat er endlich getan, wovon die meisten Deutschen träumen: Er hat ein Eigenheim gekauft. Es wurde höchste Zeit. Mit Mitte fünfzig war er als Serienmieter fast schon verhaltensauffällig.»was ist bloß los mit dir?«, fragten seine Freunde. Gutverdiener, Frau, zwei Kinder, warum fristete er sein Leben in einer Hamburger Mietwohnung im zweiten Stock? Selbst seine gute Freundin, die jahrzehntelang als Überzeugungstäterin in der Berliner Mieterberatung gearbeitet hatte, hatte sich unlängst in ein altersgerechtes Neubauprojekt in Kreuzberg eingekauft.»bau lieber eigenes Vermögen auf, statt den Vermieter reich zu machen«, beschworen ihn die einen.»denk nur, wie schön es die Kinder haben in einem eigenen Garten«, gurrten die anderen. Die meisten Experten rieten: In der bestehenden Niedrigzinsphase sei der Hauskauf als Geldanlage alternativlos. Außer in einigen wenigen Großstädten sei der Kauf überall billiger als das Mieten teilweise erheblich. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft rechnete vor, dass in fast allen Kreisen und Städten der Erwerb der eigenen vier Wände um durchschnittlich ein Drittel günstiger sei. Akribisch werden in diesen Berechnungen alle nur erdenklichen Kostenfaktoren berücksichtigt: Zinslast, Tilgung, Ausgaben für Makler und Notare, Grundsteuern, Renovierungskosten, Rücklagen, Anrainergebühren, der Teufel weiß, was noch. Nur das wirklich Entscheidende wird komplett ignoriert: der menschliche Faktor. Der teuerste von allen. Denn der Traum vom Eigenheim endet nicht mit dem Erwerb desselben. Er fängt damit an. Egal, ob neu gebaut oder ein gebrauchtes Haus gekauft wird: Die stolzen Besitzer beginnen sofort damit, das Gebilde aus Stein und Ziegel zu einem individuellen Zuhause zu formen. Und sie hören nicht wieder damit auf. Nie wieder. Koste es, was es wolle. Es scheint ein Urinstinkt zu sein, das Nest in ein Rama-Familienidyll zu verwandeln. Ob arm oder reich, ob Gartenzwerg oder Schwimmteich mit Gegenstromanlage: Der Drang zur anhaltenden Heimverschönerung scheint klassenübergreifend in die DNA eingraviert. Das Eigenheim wird zum Fetisch des Konsumkults, und das geht so: Die Türklinken funktionieren einwandfrei, aber schön sind sie nicht, und wer da schon alles hingefasst hat! Lass uns die aus vernickeltem Messing kaufen. Und dazu passende Lichtschalter. Natürlich ist der Holzboden völlig okay, Schatz. Aber schon ein bisschen hell, findest du nicht? Stell dir dieses Zimmer mit dunklen Dielen vor. Ein Boden in Ebenholz, wie geschaffen für das tolle Regal, das uns neulich so gefallen hat. Am besten, wir machen einen Durchbruch, ein paar bodentiefe Fenster, und schon wirkt alles großzügiger. Klar fehlt uns dann ein Zimmer, doch im Speicher ist noch Ausbaureserve! Daneben kommt die Bibliothek zum Entschleunigen und in den Keller ein Fitnessraum zum Gasgeben. Unaufhaltsam schleichen sich Kosten ein, mit denen man bei der Kaufentscheidung nicht gerechnet hat. Bei Bau oder der Renovierung fallen derart große Summen an, dass dem Bauherrn leicht jedes Maß abhandenkommt. Auf einmal erscheinen ihm 1000 Euro für einen Schweizer Marken-Sonnenschirm als einmaliges Schnäppchen. Schließlich kann man das Aluteil in jeder Stellung fixieren und die Gartenliege optimal beschatten. Schade nur, dass man als Besitzer die Liege nur vom Ansehen kennt. Denn wer einen Garten hat, hat ausgelegen. Die gepflegte Außenanlage, die jeder Gast so sehr bewundert, betrachtet der Besitzer wie durch eine Röntgenbrille: Er sieht das Unkraut wie Haarbüschel aus den Pflasterfugen wuchern. Der Rasen muss gemäht werden, davor unbedingt die Hundehaufen entfernen! Die Laube braucht einen Schutzanstrich. Die Hecke einen Schnitt. Die Dachrinne muss vom Schmodder befreit werden. Und so weiter. Nicht zu vergessen die Herausforderungen der Natur. Die Goldfische im frisch angelegten Teich werden von Nachbars Kater gemeuchelt. Ein Nylonnetz stoppt den Killer aber verdirbt die Aussicht. Da hilft nur die Maßanfertigung einer aus Kupferdraht geklöppelten Teichhaube. Dazu ein paar Seerosen, als Fischversteck. Arbeit lauert überall im Garten, aber an Entspannung ist ohnehin nicht zu denken. Wegen des Kinderlärms. Die lieben Kleinen kreischen auf der Hüpfburg, quieken im aufblasbaren Swimmingpool und fallen greinend vom Fertigbaumhaus. Und zwar in jedem Garten in der gesamten Straße. Selbst der winzigste Grünbereich des mickrigsten Reihenhauses ist voll - gestellt mit industriell hergestellten Spielsachen für das betreute Abenteuer.»Eigentümer fühlen sich wohler, sind zufriedener und gesünder als Mieter«, das hätten Forscher weltweit festgestellt, berichtet die Zeitschrift»Das Haus«. Sie hätten mehr Platz, könnten ihr Reich individuell gestalten und Aktivitäten wie DER SPIEGEL Nr. 31 /

69 ROBERT GRAHN / EUROLUFTBILD.DE/ PICTURE ALLIANCE / DPA Neubausiedlung in Magdeburg: Industriespielsachen für das betreute Abenteuer etwa Gartenarbeit wählen, die Stress abbauen. Dass die Käufer simultan auch ihr Geld abbauen, steht da nicht. Das ist eben der Preis des erhofften Glücks. Es stimmt ja: Ein Eigenheim ist Zuflucht, ist Heimat, ist heiliger Tempel der Kleinfamilie, ist Hort der Selbstentfaltung. Aber eine gute Vermögensanlage ist es nicht, eher eine lebenslange Verbindlichkeit. Anders als Geldanlagen wie Aktien oder Wertpapiere verursacht ein Haus ständig Kosten, statt regelmäßig Gewinn abzuwerfen. Selbst eine vermietete Immobilie bezahlt sich in der Regel nicht selbst, wie oft behauptet. Die Mieteinnahmen werden häufig von Kosten für Instandhaltung, Leerstand und Verwaltung aufgefressen. Bleibt der mögliche Spekulationsgewinn, die Wette auf steigende Preise. Doch selbst wenn die Immobilienpreise steigen: Der Bewohner eines Eigenheims müsste seine Scholle verlassen, um den Wert zu realisieren. Das tun viele nur in der Not, aber in der Not verkaufen wiederum alle bei fallenden Preisen. Eine Immobilie ist immer ein Risiko - investment. Ein Rohrbruch, und schon steigen Renovierungs- und Instandhaltungskosten. Umweltanforderungen können jederzeit verschärft, also verteuert werden, die Grundsteuer kann angehoben werden, die Stadt irgendwelche neuen Gebühren erfinden. Beschließt die Gemeinde den Bau eines Gehwegs, werden die Anrainer zur Kasse gebeten. Auch die Finanzierung kann ins Wanken geraten. Steigen die Zinsen, wird ein Anschlusskredit schwierig. Nicht einmal das alte»lage, Lage, Lage«ist in Stein gemeißelt, wie man am Schicksal eines ehemaligen Vorstandschefs der Heidelberger Druckmaschinen sehen kann. Dessen Villa im badischen Walldorf wurde nach und nach von Bürogebäuden und Parkhäusern des schnell wachsenden Softwarekonzerns SAP umstellt. Andere kämpfen mit Kitas oder Kneipe im Nebenhaus oder gegen prollige Nachbarn. Selbst auf dem Land lauern Gefahren. Stellt der Bauer ein Windrad auf seinen Acker oder, schlimmer noch, eine Biogasanlage, wird das idyllische Gutshaus über Nacht zur Problemimmobilie. Ein echter Vorteil des Eigenheims ist es, angesichts der mickerigen Renten im Alter keine Miete zahlen zu müssen. Doch oft sind die Häuser nach dem Auszug der Kinder viel zu groß und die Nebenkosten zu hoch. Wer zu lange mit dem Umzug in eine kleinere Einheit zögert, muss möglicherweise zu einem schlechten Zeitpunkt verkaufen. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Familie trennt. Bei einer Scheidung muss das Eigenheim meist zügig versilbert werden. Wenn es schlecht läuft, unter Preis: 2017 wurden in Deutschland 3600 Häuser von Erben - gemeinschaften und Ehepaaren zwangs - versteigert. In vielen Fällen können sich 69

70 ILLUMUELLER.CH / DER SPIEGEL Besitz Wer eine Wohnung kauft, glaubt, er habe es geschafft. Doch weit gefehlt: Auf ihn wartet die Eigentümerversammlung. Zeitgenössisches Drama Unter den Situationen, die das Niedrigste der menschlichen Natur in grellstem Lichte zeigen, nimmt die Eigen tümer - versammlung einen der vorderen Plätze ein. Wer je eine Wohnung gekauft oder sich gar einer Baugruppe angeschlossen hat, weiß von der moralischen Regres - sion Erwachsener und der hohen Kunst der Intrige anschaulich zu berichten. Das individuelle Entsetzen ist umso größer, als nach dem Kauf das Wichtigste geschafft schien: Die Miterben sind ab - gefunden, der Bankberater ist zufrieden, so darf man nach der mühevollen Durchquerung des Reiches der Notwendigkeit ins paradiesische Tal der Wunscherfüllung schreiten. Dann aber stellt man fest: Auch andere Menschen gibt es hier. Für die ebenfalls die eigenen vier Wände eine Beglaubigung sind, dass man sozial und finanziell, in Lebensstil und seinen Ansprüchen an Abenteuer oder Idylle, Distinktion oder Gemeinschaftssinn, Kindesliebe oder stiller Eleganz nun endlich ankommen darf. Die Sache ist umso ernster, als der Kauf einer Wohnung, die man selbst bewohnt, in der Regel als einmalig vorgestellt wird. Einen zweiten Versuch können die meisten sich nicht leisten. So liegen also die Eingeweide der Psyche mit auf dem Versammlungstisch, wenn beschlossen wird, ob die Klingel - anlage aus gebürstetem Stahl oder poliertem Messing sein soll und der Treppenlauf aus Tropenholz oder Kunststoff. Und damit haben wir das wirklich Wichtige noch nicht einmal berührt: Sollen auf dem Hof die Fahrradständer oder der Sandkasten mehr Platz bekommen, was ist mit der Genehmigung einer psychotherapeutischen Praxis (und wie groß darf das Schild an der Eingangstür sein?) und, horribile dictu: Werden Ausbau des Dachgeschosses und Neuinstallation eines Außenaufzugs erlaubt? Als zeitgenössisches Drama ruft so eine Eigentümerversammlung nach einer deutschen Yasmina Reza: Der Kontrast zwischen der sachlichen Petitesse und deren existenziellen Aufladung bringt die Einzelnen an den Rand ihrer emotionalen Duldungsfähigkeit, ist aber in der An - schauung von enormer Komik. Vor allem die wechselnden Koalitionen bei einer typischen Eigentümerversammlung sind interessant. Waren bei der Frage, ob ordinärer Kokosläufer oder poliertes Holz im Treppenhaus, die Matadoren des guten Geschmacks noch beisammen, entzweien sich dieselben dann beim TOP Aufzug ja oder nein. Vollends geisterhaft kann es für Wohnungseigentümer eines Altbaus in urbaner Lage werden, wenn der Verkauf eines ungenutzten Dachbodens die Gemeinschaft bereichern könnte, dafür aber die Unbill einer jahrelangen Baustelle in Kauf zu nehmen ist. Und will man es im Falle des Verkaufs mit einem Investor (schon dieses Wort ruft heftig divergierende Assoziationen auf) zu tun haben oder mit einer freundlichen Familie, die garantiert nicht weiterverkauft (was ja bedeutete: Man selbst hat Lärm und Dreck ertragen, um für andere Profit zu ermöglichen), deren Zöglinge aber dem Paar im fünften Stock auf den er - grauten Köpfen herumturnen? Hier streiten die Interessen solcher Eigentümer, die im Hause wohnen, mit jenen, die vermieten und an den schönen Hoffesten nicht teilnehmen, dafür aber in beunruhigender Frequenz das Baurecht im Munde führen oder gleich selbst Anwalt sind. Für die Entfaltung dieses Reichtums von Problemen sorgt die komplizierte Rechtsform der Wohnungseigentümergemeinschaft, die aus ihrer Mitte einen Beirat wählt und eine Hausverwaltung bestellt beides Versprechen von Demokratie und Delegation, die für unabseh - bare Verheerungen sorgen. Bei der Qualität des deutschen Leitungswassers, hat der verstorbene»faz«- Glossist Johannes Gross einmal gesagt, sei es ganz unerfindlich, warum allent - halben noch Pinot grigio ausgeschenkt werde. Bei der Qualität des deutschen Mietrechts, sei ergänzt, ist es ganz unerfindlich, warum Menschen Wohnungen kaufen. Elke Schmitter geschiedene Partner nicht mehr friedlich einigen, ob und, wenn ja, wie sie ihren zum Alb mutierten Traum wieder loswerden. Skurrilerweise sind es nicht selten die so heiß ersehnten Eigenheime, die Ehen zerrütten. Fast immer führt der Kauf zu Geldnot. Zuerst wird der Trip nach Malle gestrichen, dann am Ausgehen gespart, denn wozu haben wir die schöne Terrasse gebaut? Die Gereiztheit steigt. Oft müssen beide Partner arbeiten gehen, um die finanzielle Belastung überhaupt zu stemmen. Verliert einer den Job, wird es schnell ungemütlich. Arbeiten beide, werden die Kinderbetreuung und der Haushalt stressig. Viele Paare unterschätzen diese Belastungen. Zudem müssen sie ständig große und kleine Entscheidungen treffen und Kompromisse finden. Ein saftiger Streit über die Flamingo-Tapete oder einen hässlichen, aber bequemen TV-Sessel kann Uneinigkeiten offenbaren, die bislang versteckt geblieben waren. Wird einem Partner klar, dass er unmöglich mit einem Menschen zusammenleben kann, der acht Dekokissen auf den Bettdeckenüberwurf drapiert, kann die Hauseinrichtung zum Trennungsgrund werden. Auch die Qualität der Beziehung leidet. Ging man früher am Wochenende gemeinsam surfen, werkelt der Wellenreiterheld von einst nun ungeschickt und griesgrämig im Garten, in verdreckten Arbeitsklamotten mit Beulenknien statt im engen Neoprenanzug. Die äußerliche Verwahrlosung, gepaart mit der körperlichen Erschöpfung, weicht das einst so knisternde Sexleben auf. Der Frust wächst und mit ihm die Sehnsucht nach einer verantwortlichen Hausverwaltung, wie es sie früher gab, als man noch Mieter war und das Leben federleicht. Der Kauf eines Eigenheims sollte also wohl bedacht sein. Es ist ein Klumpenrisiko. Alles Geld und Herzblut fließt dort hinein, ohne Garantie, dass es sich jemals auszahlt. Nur die Hälfte aller Deutschen gehen das Risiko ein, die Zahl der Erst - erwerber sank 2016 auf unter Haushalte. Mancher Anleger weicht mittlerweile lieber auf mobile Märkte aus, in dem das Geld beweglich bleibt. Bleibt den Häuslebauern ein Trost: Sie besitzen einen Gebrauchswert zum Anfassen. Beim nächsten Börsencrash, wenn sich die Aktienjongleure unter den Brücken mit den wertlosen Papieren ihres Immobilienfonds zudecken, haben sie zumindest ein Dach über dem Kopf. Michaela Schießl Lesen Sie kommende Woche Wie Stadtentwickler der Wohnungsnot trotzen 70 DER SPIEGEL Nr. 31 /

71 Wirtschaft America first, Dollar second Analyse Donald Trump versucht, den Dollar schwachzureden, weil eine starke Währung seine Handelspolitik konterkariert. Damit gefährdet er die Stabilität des Finanzsystems. E in starker Dollar ist im Interesse Amerikas. Auf dieser Doktrin gründen sieben Jahrzehnte ökonomischer Vorherrschaft der USA. Die amerikanische Wirtschaft hat stets von der Rolle des Dollars als globaler Reserve- und Handelswährung profitiert. Die Nachfrage nach Anlagemöglichkeiten in Dollar erlaubt es dem Land beispielsweise, sich zu relativ niedrigen Zinsen hoch zu verschulden. Nun aber hat Amerika mit Donald Trump einen Präsidenten, der sich um politische Grundsätze nicht schert. Er hat eine Lunte an die Welthandelsorganisation WTO gelegt und die Nato infrage gestellt. Und weil er zuletzt versucht hat, den Dollar schwachzureden, stellt sich die Frage, ob Trump sich anschickt, auch die Währungsordnung zu zertrümmern. Die kurze Antwort lautet: Nein. Und wenn, dann höchstens aus Wert des Euro Versehen. Fast jeder Präsident vor in Dollar ihm hat gelegentlich versucht, den Kurs des Dollar herunterzureden, um extreme Wechselkursbewegungen zu dämpfen. Doch bei Trump haben die Kommentare zu den Wechselkursen einen anderen Charakter. Sie sind Teil seiner America-first-Agenda, jenes kurzsichtigen Politikstils, der oft erratisch wirkt. Wie schon mit seinen Angriffen auf WTO und Nato spielt Trump auch in der Währungspolitik ein gefährliches Spiel, er könnte das Finanzsystem destabilisieren. Vorvergangene Woche bezichtigte der US-Präsident China und 1,07 $ 20. Januar 2017 die EU, ihre Währungen und Zinsen nach unten zu manipulieren, während die US-Notenbank Fed die Zinsen erhöhe. So werde der Dollar immer stärker und beraube die USA ihres Wettbewerbsvorteils. Die Frage ist, ob Trump damit recht hat. Tatsächlich hält die Europäische Zentralbank (EZB) bis heute die Zinsen bei null und kauft in großem Stil Euroanleihen auf. Sie tut dies, um die Inflation wieder nachhaltig in die Nähe des Zielwertes von knapp zwei Prozent zu bringen. Einen schwächeren Euro hat die EZB zumindest billigend in Kauf genommen, weil er das Wachstum in der exportlastigen Eurozone ebenso begünstigt wie den Preisauftrieb. Allenfalls die EZB hat also den Wechselkurs beeinflusst und nicht»die EU«, wie Trump behauptet. Die EZB ist unabhängig, wie die Fed. Die US-Notenbank hatte mit den gleichen Instrumenten auf die Finanzkrise von 2008 reagiert, aber wegen der besseren Konjunktur in Amerika früher als die EZB die Wende eingeleitet. Der Zinsvorsprung, den die USA deshalb haben, kommt dem Dollar zugute. Knapp neben der Wahrheit liegt Trump auch mit seinem Manipulationsvorwurf gegen China. Der Yuan wurde jahrelang von der politisch nicht unabhängigen Zentralbank eng an den Dollar gebunden, zu einem Kurs, der aus Sicht der USA immer weniger der Stärke der chinesischen Wirtschaft entsprach. Seit 2010 aber schwächt sich das Wachstum ab. China hat die strenge Dollarbindung aufgegeben, orientiert sich stattdessen an einem Korb von Währungen und lässt mehr Markteinfluss zu. Seit 2015 versucht Peking abwechselnd, durch Abwertung das Wachstum hochzuhalten und durch Aufwertung den politischen Druck aus Amerika zu mildern. Dass der Yuan in den vergangenen Wochen trotzdem gefallen ist, spiegelt wohl vor allem die Sorge, dass der von Trump angezettelte Handelskrieg Chinas Wirtschaft destabilisieren und eine Kapitalflucht auslösen könnte. Vermutlich will Trump mit seinen Tiraden vor allem davon ablenken, wer den jüngsten Dollaranstieg mehr als alle anderen zu verantworten hat: nämlich Donald Trump selbst. Anfang des Jahres hatte Finanzminister Steven Mnuchin erklärt, ein schwacher Dollar sei gut 26. Juli ,17 $ für die USA. Kurz darauf begann Trump seine Zolloffensive gegen China und die EU. Sein Ziel: Die Zölle sollten die Importe bremsen, ein schwächerer Dollar den Export amerikanischer Produkte begünstigen und so das US-Handels - defizit bereinigen. Aber nun schwächeln Euro und Yuan. Was Trump via Zoll auf die Einfuhrpreise aufschlägt, wird zum Teil durch ungünstigere Wechselkurse ausgeglichen. Das wurmt den Präsidenten, aber schuld ist seine eigene Politik. Er hat eine ohnehin starke US- Konjunktur weiter angeheizt, indem er Steuern gesenkt hat. Das führt dazu, dass die amerikanische Regierung sich noch stärker verschulden muss. Es kommen mehr Dollar-Staatsanleihen in Umlauf, die Nachfrage nach der US-Währung steigt folgerichtig, zumal die Fed die Zinsen weiter erhöht. Sie muss dies auch deshalb tun, weil die von Trump erhobenen Einfuhrzölle in Amerika die Preise treiben könnten. Doch der Einfluss Trumps auf die Wechselkurse reicht weiter: Mit seiner Handels- und Außenpolitik verunsichert er Investoren und Unternehmen, schürt Ängste vor schwächerem Wachstum und vor Turbulenzen an den Finanzmärkten. In solchen Zeiten fliehen Anleger traditionell in den Dollar. Eine Kapitalflucht aus Schwellenländern wie Brasilien oder gar China könnte Auslöser für eine neue Finanzkrise werden. Mittelfristig setzt Trump die Währungsordnung an sich aufs Spiel: So hat Russland in den vergangenen Monaten fast alle amerikanischen Staatsanleihen verkauft, offenbar um sich vom Dollar unabhängiger zu machen. Trumps erratische Politik könnte auch andere Länder dazu verleiten, ihre Reserven umzuschichten. Besonders gefährlich wäre es, wenn China als Reaktion auf Trumps Zollattacken im Affekt seine enormen Dollarbestände abbauen und so die US-Währung zum Absturz bringen würde. Spätestens dann dürfte sich der Präsident daran erinnern, warum Amerika einen starken Dollar braucht. Martin Hesse 71

72 Wirtschaft Stiftungsvorsitzende Gather vor der Villa Hügel in Essen:»Unberechtigt und schmerzhaft«a ls Mathematikerin ist es Ursula Gather gewohnt, Dinge zu analysieren und daraus logische Schlüsse zu ziehen. Doch im Moment versteht sie die Welt nicht mehr. Sie könne wirklich nicht verstehen, dass sie am Führungschaos bei Thyssenkrupp schuld sein soll, sagt sie. Die Vorwürfe, die gegen sie und die Krupp- Stiftung erhoben würden, seien»unberechtigt und schmerzhaft«. Gather, im Hauptberuf Rektorin der TU Dortmund, ist Vorsitzende dieser Stiftung. Die Öffentlichkeit sieht in ihr die Frau, die dafür verantwortlich ist, dass vor rund drei Wochen zuerst Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger entnervt aufgab und wenig später Ulrich Lehner, der Aufsichtsratsvorsitzende des Konzerns. Die Frau, die das Erbe der Krupps verwalten soll und es stattdessen verriet. Hiesinger und Lehner begründeten ihren Abgang mehr oder weniger offen damit, dass sie sich von Gather als Vertreterin des größten Anteilseigners nicht genügend unterstützt fühlten. Die Mitarbeiter des Konzerns warfen ihr in einem offenen Brief Versagen vor. Hiesingers Rücktritt habe Gather schockiert, berichten Vertraute.»Ich wäre mit Doppel-Rolle Konzerne Ursula Gather wird für das Chaos bei Thyssenkrupp verantwortlich gemacht. Die Vorsitzende der Krupp-Stiftung ist sich keiner Schuld bewusst. Eine Zerschlagung des Unternehmens schließt sie aus. FELIX HEYD / FUNKE FOTO SERVICES ihm jeden Weg gegangen«, soll sie gesagt haben. Wie konnte es so weit kommen? Vor allem aber: Wie geht es nun weiter? Thyssenkrupp braucht nicht nur eine neue Führung, sondern auch eine zukunftsfähige Strategie. Zuvor aber muss der Grundkonflikt gelöst werden, der zum Ausscheiden von Hiesinger und Lehner führte. Es geht um die Frage, was für ein Konzern Thyssenkrupp künftig sein soll: ein Industrie- und Dienstleistungskonzern, der nicht nur die Interessen der Aktionäre, sondern auch die der Gesellschaft und der Mitarbeiter im Auge hat? Das war Hiesingers Ansatz. Oder ein Unternehmen, das den Anteilseignern eine möglichst hohe Rendite beschert im Zweifel auch durch den Verkauf lukrativer Geschäftsbereiche. Das ist der Ansatz des schwedischen Investors Cevian, mit rund 18 Prozent zweitgrößter Aktionär des Konzerns, und des amerikanischen Hedgefonds Elliot, der rund drei Prozent der Aktien hält. Wie die Antwort auf diese Frage ausfällt, das hängt ganz wesentlich von Ursula Gather ab: von Gather, der Vorsitzenden der Krupp-Stiftung, und von Gather, der Thyssenkrupp-Aufsichtsrätin. Denn die Statistikprofessorin vereint zwei Rollen in Personalunion, die sie offenbar nur schwer trennen kann. Und das führte in den vergangenen Monaten zu erheblichen Missverständnissen und schließlich zu dem aktuellen Führungschaos. Die Krupp-Stiftung ist inmitten eines weitläufigen Parks in einem Nebengebäude der Essener Villa Hügel untergebracht, dem geschichtsträchtigen Stammsitz der Familie Krupp. Als Vorsitzende des Kuratoriums erhält Gather die Einnahmen aus dem von der Stiftung gehaltenen Anteil von rund 21 Prozent der Thyssenkrupp- Aktien. Dieses Geld muss die Stiftung für gemeinnützige Zwecke wie Kultur, Wissenschaft oder Sport verwenden. In den vergangenen Jahren flossen die Einnahmen eher spärlich. Gleichzeitig muss sich die Stiftung laut Satzung für den Erhalt und Fortbestand des Unternehmens einsetzen. Sie ist damit ein Ankeraktionär im klassischen Sinn, auf den sich ein Vorstand und Aufsichtsratsvorsitzender in turbulenten Zeiten und bei schwierigen Richtungsentscheidungen verlassen kann. Aktionäre wie Elliot und Cevian haben eine solch enge Bindung zu den Unternehmen, an denen sie sich beteiligen, nicht. Sie verfolgen kurzfristige Interessen und stoßen ihre Aktien in der Regel nach einigen Jahren wieder ab, wenn sie die gewünschten Renditen erzielt haben. Doch Gather reichte ihre Rolle als Stiftungsvorsitzende nicht, sie ließ sich als Vertreterin der Stiftung auch noch in den Aufsichtsrat wählen. Diese Konstruktion war eigentlich für den 2013 verstorbenen Krupp-Patriarchen Berthold Beitz eingerichtet worden, der im Konzern eine Sonderrolle eingenommen hatte. Als Kontrolleurin muss Gather Strategien hinterfragen, Alternativen rechnen und auf Risiken hinweisen. Wenn solche Fragen und Hinweise aber nicht von einem von der Stiftung entsandten Aufsichtsrat, sondern von deren Vorsitzenden selbst ausgehen, wachsen die Zweifel, ob der Ankeraktionär wirklich noch hinter dem Kurs des Vorstands steht. Hiesinger und Lehner fürchteten jedenfalls zunehmend, Gather könne sich auf die Seite des sie äußerst geschickt umgarnenden Investors Cevian schlagen. Und so kommt es, dass beide Seiten heute denselben Sachverhalt völlig unterschiedlich bewerten als lebten sie in völlig unterschiedlichen Welten. Gather sagt Kritikern, sie habe sich schon für Hiesingers Fusionspläne mit dem indischen Mischkonzern Tata ausgesprochen, als die Arbeitnehmer noch strikt gegen einen solchen Zusammenschluss gewesen seien, und sei dafür beschimpft worden. Immer wieder habe sie Hiesinger ihrer Unterstützung versichert. 72 DER SPIEGEL Nr. 31 /

73 Doch als nach über zweijährigen Verhandlungen die alles entscheidende Aufsichtsratssitzung mit Tata nahte, ließ Ga - ther Hiesinger und Lehner lange Zeit über ihre Haltung im Unklaren trotz des massiven Störfeuers von Elliot und Cevian, die sich gegen die Fusion ausgesprochen hatten. Sie habe sich noch nicht entschieden, ob sie bei der Sitzung für oder gegen das Joint Venture stimmen werde, ließ sie die beiden sogar noch drei Tage vor dem Termin wissen. Ihre Zustimmung signalisierte sie erst kurz vor dem Termin. Vertrauen und die in einer solchen Situation notwendige rückhaltlose Unterstützung eines Ankeraktionärs vermochten Lehner und Hiesinger in diesem Verhalten nicht zu erkennen im Gegenteil. Da Gather sich auch mit anderen Aufsichtsräten über Zweifel und Bedenken ausgetauscht habe, habe sie die Unsicherheit am Kurs ihres Vorstands noch verstärkt. Einige in ihrer Ausrichtung bis dato klare Aufsichtsräte sollen sich nach solchen Aktionen bei Lehner besorgt erkundigt haben, ob die Stiftung noch auf Kurs sei, heißt es von Teilnehmern der Sitzungen. Das sei das Letzte, was man in einer ohnehin angespannten Situation gebrauchen könne, soll Lehner gewettert haben. Gather hingegen argumentiert intern, dass man sich als Aufsichtsrat eines Industriekonzerns natürlich mit anderen Aufsichtsräten unterhalte und austausche. Dass ihr als Ankeraktionär und Vorsitzender der Krupp-Stiftung dabei eine besondere Rolle und besonderes Gewicht zukommt, blendet die Mathematikerin offenbar aus. Ist das Naivität? Oder Berechnung? Hiesinger und Lehner haben diese Frage für sich beantwortet. Sie trauen Gather nicht. Sie zweifeln daran, dass die Wissen- Einfluss der Krupp-Stiftung auf den Thyssenkrupp-Konzern Prof. Dr. Ursula Gather Rektorin der TU Dortmund Vorsitzende des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung für die Stiftung in den Thyssenkrupp-Aufsichtsrat entsandtes Mitglied gerundete Werte 21 % ANTEILSEIGNER 18 % Cevian 3% Elliott 58% übriger Streubesitz schaftlerin willens und in der Lage ist, den Fortbestand des Industriekonzerns im Sinne des Stifters zu garantieren. Mit ihrem Rücktritt, ließen beide erklären, wollten sie die dringend notwendige Diskussion über die richtige Strategie für die Zukunft von Thyssenkrupp eröffnen. Gather muss sich entscheiden. Von ihr erwarten Aktionäre, Politik und Mitarbeiter nun deutliche Aussagen, wie sie sich die weitere Entwicklung des Unternehmens und die künftige Zusammenarbeit mit Cevian vorstellt. Eine Filetierung schließt Gather kategorisch aus.»eine Zerschlagung des Unternehmens wird es mit mir nicht geben«, sagt sie.»sichere Arbeitsplätze«und die»prinzipien der sozialen Marktwirtschaft«hätten Vorrang. Doch»zukunftsfähig«soll das Unternehmen auch sein, was wohl heißt, dass die Rendite steigen soll. Einige»schnellere Schritte«bei der Stärkung der Geschäftsbereiche sowie»schlankere Strukturen in der Verwaltung«kann sie sich vorstellen. Da unterscheidet sie sich nicht von Cevian. Der Finanzinvestor schlägt das alles ebenfalls vor als ersten Schritt, um einzelne Unternehmensteile später besser verkaufen oder mit Partnern verschmelzen zu können. Was also will Gather wirklich? Das wird sich wohl erst in einigen Wochen zeigen, wenn ein neuer Aufsichtsratsvorsitzender gefunden ist und sich Gather und Cevian auf einen neuen Unternehmenschef ge - einigt haben. Dieser Manager soll dann die neue Unternehmensstrategie ausarbeiten, im Einvernehmen mit den beiden Großaktionären. Ohne den zweitgrößten Aktionär wird in Zukunft nichts mehr gehen: Cevian gewinnt, die Krupp-Stiftung verliert an Macht. Inzwischen stellen sich aber auch im Kuratorium einige Mitglieder die Fragen, ob die Stiftung ihrem in der Satzung verankerten Auftrag in den vergangenen Monaten wirklich gerecht geworden und ob Ursula Gather die Richtige für diese Aufgabe ist. Und auch im Unternehmen glauben einige Manager, dass das letzte Wort in dieser Frage noch nicht gesprochen sein könnte. Sie wollen erreichen, dass eine Person mit ausgewiesener Wirtschaftskompetenz den Vorsitz in der Krupp-Stiftung übernimmt, so wie es Berthold Beitz offenbar vorschwebte. Ob das gelingen kann, ist fraglich. Offiziell wollte sich auch keiner der Beteiligten zu solchen Planspielen äußern. Freiwillig wird Ursula Gather auf den Nebenjob jedenfalls nicht verzichten. Obwohl er ihr so viel Ärger einbringt. Frank Dohmen, Armin Mahler 73 SPIEGEL-Gespräche live im Bucerius Kunst Forum Gründerzeit in Deutschland Rainer Liedtke Zwischen 1850 und 1900 wurde Deutschland von einem Agrarstaat zu einer Industrienation. Welche Folgen hatte dieser Umbruch? Und welche Parallelen gibt es zum heutigen Wandel durch die Digitalisierung? Darüber diskutiert SPIEGEL-Redakteurin Eva-Maria Schnurr mit dem Historiker Prof. Dr. Rainer Liedtke. Mittwoch, 8. August 2018, 20 Uhr Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, Hamburg Tickets sind im Bucerius Kunst Forum und an allen bekannten Vorverkaufsstellen erhältlich. Die Eintrittskarte (10 Euro/8 Euro) berechtigt am Veranstaltungstag zum Besuch der Ausstellung»Anton Corbijn. The Living and the Dead«(7. Juni 2018 bis 6. Januar 2019). Die Ausstellung ist am Veranstaltungsabend von 19 bis Uhr exklusiv für Veranstaltungsgäste geöffnet. Änderungen vorbehalten. Universität Regensburg

74 Medien Gute»Zeit«, böse Zeiten Presse Ein kritischer Text über Flüchtlingshelfer empört die Leser der Hamburger Wochenzeitung und offenbart einen schweren Konflikt in der Chefredaktion. Von Jan Fleischhauer A m Donnerstag vergangener Woche versammelte sich die Re - daktion der»zeit«im sechsten Stock des Redaktionsgebäudes am Hamburger Speersort zum Scherbengericht. Der Donnerstag ist der Tag, an dem die Wochenzeitung am Kiosk liegt, der ideale Termin also, um sich über das aktuelle Blatt zu beugen und die nächste Woche in Angriff zu nehmen. Die große Konferenz steht jedem offen, der für die»zeit«arbeitet. Normalerweise nehmen außer den Ressortleitern etwa 30 bis 40 Redakteure teil. An diesem Tag war der Raum so gefüllt wie seit Jahren nicht mehr, trotz der Urlaubszeit. Hinter der Redaktion lagen anstrengende, die Nerven zerrüttende Tage. Eine Woche zuvor war im Rahmen eines»pro und Contra«ein Artikel erschienen, in dem die in Berlin ansässige Autorin Mariam Lau unter der Überschrift»Oder soll man es lassen?«argumente genannt hatte, warum die private Seenotrettung im Mittelmeer aus ihrer Sicht die Flüchtlingskrise verschlimmere und nicht etwa verbessere. Die Empörungswelle, die sich daraufhin über die Redaktion ergoss, übertraf alles, was die»zeit«in ihrer 72-jährigen Geschichte erlebt hat. Von»Zivilisationsbruch«war die Rede und davon, dass das Blatt vor Inhumanität und Barbarei die Waffen strecke. Wenn man zusammenfassen sollte, was so oder so ähnlich über den Boykottaufrufen und Wutmails stand, die die Redaktion erreichten, dann wäre es der Satz:»Ich bin furchtbar enttäuscht, das ist nicht mehr meine Zeit «. Das Blatt unterhält eine ungewöhnlich harmonische Beziehung zu seiner Leserschaft. Die Auflage liegt seit Jahren relativ stabil bei verkauften Exemplaren. Die Chefredaktion hat eine ziemlich klare Vorstellung von dem, was das»zeit«-publi- kum erwartet, und richtet das Angebot entsprechend aus. Als Giovanni di Lorenzo das Blatt 2004 übernahm, führte er sogenannte Fokusgruppen ein, um dem Leser den Puls zu fühlen. Anfangs ließ er sogar Titel darauf testen, welcher am ehesten dem Geschmack der Käufer entspreche. Die»Zeit«ist weit mehr als ein Organ zur Realitätssichtung, sie verkörpert ein Lebensgefühl, eine Haltung. Wer die»zeit«kauft, der kauft die wöchentliche Bestätigung, dass sich die Welt zu einem freundlicheren und friedlicheren Platz machen ließe, wenn nur alle ein wenig mehr wie die»zeit«-leser wären. Bis in die Nuller jahre war der liberale, bildungs - beflissene Helmut-Schmidt-Verehrer der ideale»zeit«-leser, auf den Redaktionsfluren halb spöttisch, halb ernst als»zahnarzt aus Gummersbach«bezeichnet. Inzwischen stellt das grüne großstädtisch gesinnte Akademikermilieu das treueste Segment der Leserschaft, das auf die Leser anderer Publikationen mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung herabblickt.»zeit«-lesen ist ein Statement, so groß wie das Format, das sich die Zeitung leistet. Seht her, lautet dieses Bekenntnis, es mag unpraktisch, gelegentlich auch anstrengend sein, sich der Lektüre zu unterziehen, aber so ist es nun einmal, wenn man auf drängende Probleme eine kluge Antwort sucht. Ob Klimawandel, Mobilitätswahn oder der Verzehr von Tieren: Wer die»zeit«fragt, wie er dazu stehen soll, erhält Kein anderes Blatt hat die Aufnahme arabischer Flüchtlinge anfänglich so empathisch begrüßt. in der Regel eine Auskunft, mit der man in jedem philosophischen Proseminar und auf jedem Kirchentag bestehen könnte. Vorsätzliche Boshaftigkeit oder gar Zynismus haben in dieser Welt keinen Platz. Genau diese stille Übereinkunft zwischen Redaktion und Lesern war, so schien es, mit einem unbedachten Artikel in Gefahr gebracht. In der Ausgabe, die am Donnerstag auf dem großen Konferenztisch auslag, fand sich auf der ersten Seite ein Editorial, in dem sich die Chefredaktion von ihrer eigenen journalistischen Arbeit distanzierte und auch, so empfanden es viele, von der Autorin Lau.»Schließlich kam im Contra-Text von Mariam Lau nicht genug zum Ausdruck, dass wir auch die Autorin großen Respekt haben vor jenen, die ihre Freizeit und ihr Geld einsetzen, um auf dem Mittelmeer Menschen in Not zu retten«, hieß es darin.»unabhängig davon, aus welcher Motivation und mit welchem Weltbild die Retter handeln, sind sie erst einmal zu bewundern.«tiefer kann man in einem Editorial nicht in die Knie gehen. Die folgende Aussprache eröffnete der Politikredakteur Gero von Randow mit einem Vortrag zur politischen Situation. Den fortschrittlich gesinnten Kräften blase der Wind ins Gesicht, überall gewönnen die Antidemokraten an Boden. Angesichts dieser Lage gelte es, noch präziser und sorgfäl - tiger zu sein als ohnehin schon. Die»Zeit«als Bastion der Vernunft in einer sich verdüsternden Welt: Damit war der Ton gesetzt. Einige der Anwesenden hatten den Eindruck, dass der Vortrag von dem geschäftsführenden Chefredakteur Bernd Ulrich bestellt worden war, um die Autorin gleich mit der Eröffnung der Sitzung ins Unrecht zu setzen. Als Lau, die aus Berlin angereist war, ihren Artikel verteidigte, zischte Ulrich über den Tisch:»Ach, Sie haben also alles richtig gemacht?«einige länger gediente Redakteure sprangen der Kollegin zur Seite. Ulrich Greiner aus dem Feuilleton warf ein, dass die Chefredaktion immer wieder konservative Stimmen verlange, dann müsse man konservative Stimmen auch aushalten. Die Wirtschaft mahnte zur Gelassenheit. Aber das konnte vor allem jüngere Kollegen, die von der massiven Kritik verstört waren, nicht beruhigen. Eine Redakteurin berichtete später, dass sie sich in ihrem Bekanntenkreis dafür habe verteidigen müssen, bei»diesem Blatt«zu arbeiten. Man konnte aus ihren Worten die Fassungslosigkeit über eine Entwicklung heraushören, die sie erkennbar überforderte. Die Frage, wie man der Massenmigra - tion politisch begegnen soll, ist auch in der»zeit«nicht unumstritten. Kein anderes Blatt hat die Aufnahme arabischer Flüchtlinge anfänglich so empathisch begrüßt wie die Hamburger Wochenzeitung.»Willkommen«stand, mit Ausrufezeichen, im August 2015 auf dem Titel, das durfte man durchaus als programmatische Selbstverpflichtung verstehen. Auch als die Zweifel an der Entscheidung der Kanzlerin, auf jede Kontrolle der Grenze zu verzichten, stärker wurden, hielt die Zeitung Kurs. Erst als di Lorenzo im Oktober in einem Leitartikel die Probleme thematisierte, die ungeordnete Einwanderung mit sich bringt, fand sich an prominenter Stelle eine kritische Position. Bei dieser Aufgabenverteilung ist es im Prinzip bis heute geblieben. Während 74 DER SPIEGEL Nr. 31 /

75 CHRISTIAN O. BRUCH / LAIF Chefredakteur di Lorenzo: Ausdruck gehobener Raffinesse 75

76 JÖRG CARSTENSEN / DPA QUELLE DIE ZEIT / FOTO KARPOV / HANDOUT VIA REUTERS HARTMUT MÜLLER-STAUFFENBERG / ACTION PRESS Kontrahenten Lau, Ulrich, umstrittener»zeit«-artikel (Ausriss):»Ach, Sie haben also nichts falsch gemacht?«ulrich in schwungvollen Essays erklärt, warum Deutschland auf seine Flüchtlingspolitik weiterhin stolz sein könne, erinnert di Lorenzo daran, dass man den gesunden Menschenverstand nicht aus den Augen verlieren dürfe. Dass die Doppelstimmigkeit nicht als Konflikt, sondern als Strategie wahrgenommen wurde, ist eine Leistung. Denn in Wahrheit ist die Wertschätzung, die die beiden Protagonisten der»zeit«lange füreinander empfanden, der Animosität gewichen. Hier liegt die Erklärung für die Entgleisung, die das Image der»zeit«empfindlich beschädigt hat. Kein Artikel kommt am Chefredakteur vorbei ins Heft, auch in der»zeit«nicht. Lau hatte sich nicht danach gedrängt, über das Für und Wider der Seenotrettung zu schreiben. Sie war ausdrücklich dazu ermuntert worden. Eine Redakteurin, die in der Redaktion für ihr mitfühlendes Herz bekannt ist, hatte einen Beitrag über die Notwendigkeit privater Hilfseinsätze angeboten. Das könne man gerne machen, hatte di Lorenzo auf einer Ressortbesprechung erklärt, er wünsche sich allerdings auch eine abweichende Meinung im Blatt. Teilnehmer der Sitzung wussten anschließend zu berichten, dass Ulrich sein Unbehagen geäußert, dann aber eingelenkt habe. Wenn Lau von den Vorbehalten des stellvertretenden Chefredakteurs gewusst haben sollte, dann dürfte sie das eher angestachelt haben. Lau ist eine furchtlose Person. Sie selbst bezeichnet sich gelegentlich als»krawallschachtel«, was für eine gesunde Form der Selbstironie spricht, eine Gabe, mit der Mitarbeiter der»zeit«nicht im Übermaß gesegnet sind. Sie ist auch eine der wenigen Redakteure, die es wagen, in ihren Texten regelmäßig quer zur Meinung ihrer Vorgesetzten zu liegen. Theoretisch kann jeder über alles schreiben, die»zeit«versteht sich schließlich als liberales Blatt. In der Praxis hat diese Freiheit allerdings Grenzen, und zwar genau dort, wo der Bereich beginnt, den Ulrich für sich beansprucht: also große Texte über die Kanzlerin und die langen Linien der Politik. Flüchtlingspolitik ist Chefsache, Ideologiekritik erst recht. Vielleicht hätten die Dinge eine andere Wendung genommen, wenn das Verhältnis des stellvertretenden Chefredakteurs zu seiner Berliner Redakteurin besser wäre. Der Kontakt beschränkte sich schon seit Längerem auf das Notwendigste. Eine Begegnung auf Konferenzen ließ sich nicht vermeiden, das brachte das Redaktions - geschäft mit sich. Aber darüber hinaus unterband Ulrich jeden persönlichen Austausch. Daran änderte auch die jetzige Krise nichts. Kollegen gegenüber berichtete Lau, dass selbst in den Krisentagen die Bitte um ein persönliches Gespräch ins Leere gelaufen sei. Ulrich war von Anfang an gegen den Text. Als er dann ein paar Stunden vor Redaktionsschluss auf seinem Tisch landete, muss er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt gesehen haben. Statt nur das Für und Wider der Seenotrettung zu erörtern, hatte Lau die Gelegenheit genutzt, grundsätzlich gegen die moralische Selbstüberhöhung der Flüchtlingshelfer anzuschreiben. So wie Ulrich es sah, war er damit mitgemeint, womit er nicht ganz falsch lag. Ablehnen konnte oder wollte er den Text aber auch nicht, schließlich hatte di Lorenzo ihn ja ausdrücklich gewünscht. Außerdem war die Uhrzeit so weit fortgeschritten, dass sich ein Umbau des Blattes schwierig gestaltet hätte. So schob Ulrich das Ärgernis in das urlaubsbedingt ausgedünnte Politikressort, sollten die sich mit Layout und Überschrift befassen. Am Ende machte der Chefreporter Stefan Willeke die Zeile»Oder soll man es lassen?«, scheinbar ohne die beiden Texte wirklich gelesen zu haben. Es musste jetzt alles sehr schnell gehen. Vor allem an der Überschrift entzündete sich später die Kritik, weil man sie losgelöst von den Texten so verstehen konnte, als hielte es die»zeit«für eine denkbare Option, Menschen zur Abschreckung im Meer ersaufen zu lassen. Die Affäre um Lau ist auch deshalb so toxisch für die Redaktion, weil sie das mühsam kalibrierte Gleichgewicht in der Chefredaktion in Gefahr bringt. Nach außen ist der durch seine Fernsehpräsenz weithin bekannte Giovanni di Lorenzo das Gesicht der Zeitung. Sympathisch, nachdenklich, dazu mit einem feinen Witz ausgestattet einen besseren Repräsentanten kann sich ein Blatt wie die»zeit«nicht wünschen. Im internen Auftritt kann di Lorenzo durchaus andere Seiten an den Tag legen. Auf Konferenzen zeigt er mitunter eine erstaunliche Freude, unbedarften Redakteuren ihre Unbedarftheit vorzuführen. Aber diese spielerische Gemeinheit bekommt der Leser nicht zu sehen. Über die Gestaltung des Blattes hinaus hat di Lorenzo vielfältige Verpflichtungen. Das Tagesgeschäft überlässt er deshalb oft seinen beiden Stellvertretern Bernd Ulrich und Sabine Rückert. Vor allem Ulrich hat die Freiheit, die ihm das eröffnet, genutzt, das Blatt nach seinen Vorstellungen politisch auszurichten. Wenn es einen Traum gibt, den der ehemalige Mitarbeiter der Grünen-Bundestagsfraktion verfolgt, dann die Versöhnung von CDU und grüner Partei. Es wäre auch eine Rechtfertigung seines eigenen Lebensweges. Über die Jahre hat er zudem eine Schar junger Redakteure um sich geschart, die ihm viel zu verdanken haben und deshalb im Zweifelsfall nie eine seiner Entscheidungen infrage stellen würden. Ulrich verfügt über die beneidenswerte Gabe, in kürzester Zeit gedankenschwere Essays zu Papier bringen zu können. Dazu pflegt er einen Ton, der einen Sog ent - wickelt, wie ihn gute Prediger beherrschen. 76 DER SPIEGEL Nr. 31 /

77 Medien»ZEIT, katholisch, vegan, Schalker«, steht als Selbstbeschreibung in seinem Twitter- Profil. Das ist zumindest in einer Hinsicht nicht ganz richtig. Ulrich mag katholisch getauft sein, im Herzen ist er durch und durch Protestant. Dass»der Minimalkonsens der Demokraten der gemeinsam empfundene Schmerz«sein müsse, ist ein Satz, für den man Margot Käßmann prügeln würde, bei Ulrich lauscht das Publikum ergriffen und applaudiert. Ulrichs Achillesferse ist seine Nähe zur Kanzlerin. Niemand flicht ihr so schöne Kränze wie er. Umgekehrt ist auch kein Journalist im Kanzleramt so geschätzt wie der zweite Mann der»zeit«. Als Angela Merkel nach Washington flog, um die Presidential Medal of Freedom in Empfang zu nehmen, wurde Ulrich wie ein Staatsgast behandelt. Der Pressetross saß, wie es üblich ist, in der Economy-Klasse. Beim Staatsbankett zu Ehren der Auszuzeichnenden mussten sich die mitgereisten Journalisten vor den Büschen des Veranstaltungsorts die Beine in den Bauch treten. Ulrich flog im Regierungsflieger Business, als persönlicher Gast der Kanzlerin, beim Galadinner saß er an einem der Tische. Solche Vertrautheit macht ihn angreifbar, zumal in einer Branche, in der zu Nach außen wahrt man den guten Ton im Alltag ist der Umgang kühl distanziert. große Politikernähe als anrüchig gilt. Auch deshalb tragen seine Artikel immer öfter den drängenden Ton eines Menschen, für den alles auf dem Spiel zu stehen scheint. Wer sich im Widerstand befindet gegen die Kräfte der Finsternis, der verdient bedingungslose Unterstützung, nicht Kritik. Einen ersten Eindruck, dass sich die Dinge an der Spitze der»zeit«verkantet haben könnten, bekamen aufmerksame Leser, als auf den Leitartikel von di Lorenzo zur Notwendigkeit von Grenzkontrollen das Quasidementi seines Stellvertreters folgte. Wenige Monate später gab es einen denkwürdigen Auftritt des Chefredakteurs bei der Jahreskonferenz von Netzwerk Recherche, als er den»willkommen!«-titel kritisierte und erklärte, er habe daran gedacht, den Urlaub abzubrechen, nachdem er Titelzeile und Text gesehen habe. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier schrieb anschließend, es sei»eine besondere Form der Selbstkritik, bei der der Chefredakteur öffentlich feststellt, wie sehr seine Zeitung missrät, wenn er sich urlaubsbedingt nicht um sie kümmern kann«. Nach außen wahrt man den guten Ton und erklärt auf Anfrage, wie vertrauensvoll man zusammenarbeite im Alltag ist der Umgang kühl distanziert. Ulrich sehe auf di Lorenzo intellektuell herab, sagt einer, der beide aus der Nähe beobachtet. Di Lorenzo wiederum finde, dass Ulrich ein etwas weltfremder Träumer sei. Auseinander kommen sie aber auch nicht. Ulrich wird gebraucht, weil er einen wichtigen Teil der Leserschaft bindet. Das weiß er, und das sichert seine Stellung. Andererseits kommt er an di Lorenzo nicht vorbei, weil ihm niemand im Holtzbrinck-Verlag, dem die»zeit«gehört, die Chefredaktion anvertrauen würde, jedenfalls nicht, solange di Lorenzo seinen Posten nicht freiwillig räumt. So sind sie aneinandergekettet. Oder wie es ein Ressortleiter ausdrückt:»giovanni sitzt am längeren Hebel, aber Bernd hat die größere Reichweite.«Als am Donnerstag die Redaktion beisammensitzt, um sich Mut zu machen, ist der Sitz des Chefredakteurs leer. Di Lorenzo hat in der Woche, in der der Lau- Text erschien, seinen Sommerurlaub angetreten. Auch die Krise, die seine Zeitung durchrüttelt, bewegt ihn nicht dazu, sein Ferienhaus in Italien zu verlassen. Man kann das als besondere Form der Nonchalance deuten oder aber, wie einige taktisch denkende Menschen in der Redaktion, als Ausdruck gehobener Raffinesse. Warum sich mit einer Krise verbinden, deren Gesicht ein anderer ist? Es ist Ulrich, der formal für den Artikel und die vermaledeite Überschrift verantwortlich ist. Dass er nicht so sehr den Text als vielmehr dessen Präsentation problematisch finde, darauf hinzuweisen hat di Lorenzo auch im Ferienort Zeit gefunden. Ein Zugeständnis hat Ulrich seinem Chefredakteur allerdings abgenötigt: Das Editorial, in dem sich die Zeitung bei ihren Lesern entschuldigt, trägt als Unterschrift»Die ZEIT-Chefredaktion«, nicht mehr nur die Namen von Ulrich oder Rückert wie in den hastig verfassten Selbsterklärungen in den Tagen zuvor. Dass er dies als kleinen Sieg empfindet, ist Ulrich deutlich anzumerken. Immer wieder wies er in den vergangenen Tagen in Gesprächen mit Vertrauten darauf hin. Auch in anderer Hinsicht ist die Erklärung eine Genugtuung:»Bewunderung«für den selbstlosen Einsatz der Retter, das ist die Begriffswelt des Herzensprotestanten, nicht die des skeptischen Deutschitalieners, dem romantische Aufwallungen suspekt sind. Vor ein paar Wochen meldeten die Pressedienste, dass der Verlag den Vertrag von di Lorenzo um weitere fünf Jahre ver - längert habe. In der Redaktion laufen die ersten Wetten, wer bis zum Jahr 2023 durchhält, der Chefredakteur oder sein Stellvertreter. 77 SPIEGEL TV WISSEN SAMSTAG, , UHR SKY UND BEI ALLEN FÜHRENDEN KABELNETZBETREIBERN Die Supermütter Zwischen Kind und Karriere Frankreich gilt als europäisches Vorbild, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht. Deutschland tut sich schwer mit Betreuungsangeboten. SPIEGEL TV WISSEN begleitet fünf berufstätige Mütter in Deutschland und Frankreich und spricht mit ihnen über Grenzen und Möglichkeiten zwischen Kind und Karriere. SPIEGEL TV MONTAG, , UHR RTL Gefährliche Verschwörungstheorie Die bizarre Welt der Impfgegner; Zwischen den Welten Deutschtürken in Zeiten des Özil-Rücktritts. SPIEGEL GESCHICHTE MITTWOCH, 1. 8., UHR SKY Sojus-Apollo-Projekt Handschlag im All 17. Juli 1975: In der Umlaufbahn der Erde kommt es zu einem histo - rischen Treffen. Die amerikanische»apollo«-kapsel dockt an das sow - jetische»sojus«-raumschiff an, die Kommandanten reichen sich die Hand. Nach Jahren der Rivalität setzen sie so mitten im Kalten Krieg ein Signal der Kooperation. SPIEGEL TV Rapper Eko Fresh Kommandanten Stafford, Leonow

78 Ausland»Chinas Elite ist es gewohnt, immer der Boss zu sein.«s.86 JON NAZCA / REUTERS In Kinderschlauchbooten hatten sich diese Flüchtlinge auf den Weg nach Europa gemacht. Die spanische Küstenwache rettete sie in der Straße von Gibraltar und brachte sie nach Tarifa an Spaniens Südküste. Seit Italien unter der neuen rechtspopulistischen Regierung kaum noch Migranten aus dem Mittelmeer auf nimmt, wählen wieder mehr von ihnen die riskante, weil stürmische Passage zwischen Marokko und Spanien. Allein im Juni kamen dort 7000 Menschen an, fast doppelt so viele wie im gesamten Jahr Analyse Macrons falscher Polizist Wie Frankreichs Präsident sich mit einem absurden Skandal selbst schwächt Die Fünfte Republik ist nicht gerade arm an Affären: Frankreichs Präsidenten führten schwarze Kassen, hatten heimliche Geliebte und vom Staat beschützte Zweitfamilien. Aber Polizisten, die Hausdurchsuchungen im Élysée durchführen, verstören selbst die Franzosen. Am vergangenen Mittwoch nahmen sich Ermittler das Büro von Alexandre Benalla vor, dem ehemaligen Leibwächter Emmanuel Macrons. Nach einer 1.-Mai-Demonstration in Paris hatte sich Benalla einen Polizeihelm aufgesetzt, grundlos auf ei nen Mann eingeprügelt und eine junge Frau brutal in den Klammer - griff genommen.»le Monde«machte den Vorgang vor zehn Ta - gen publik. Die Opposition spricht seither von einer»affaire d État«, dabei ist ein außer Rand und Band geratener Leibwächter eigentlich nicht genug für eine Staatsaffäre. Dass sie trotzdem zu einer wurde, liegt daran, dass Macron die Angelegenheit bis heute nicht ernst nimmt. Nach der Prügelei wurde Benalla für zwei Wochen vom Dienst suspendiert. Sonst geschah lange nichts. Am Dienstag äußerte sich der Präsident erstmals zu dem Vorgang, trotzig, aggressiv und selbstgefällig. Macron redete nicht mit Journalisten, sondern sprach vor Abgeordneten seiner Partei, die ihrem Chef fleißig applaudierten und später ein Video des Auftritts ins Internet stellten. Es fällt Macron offensichtlich schwer, gegen einen loyalen Mitarbeiter vorzugehen, der ihn schon im Wahlkampf begleitete; anders ist nicht zu erklären, dass seine politischen Instinkte versagen und ihn nun tatsächlich eine ab surde Prügelei schwer beschädigen könnte. Macrons Beliebt - heitswerte waren schon zuvor abgestürzt, ihm wird Arroganz und Ab gehobenheit vorgeworfen. Seine Reaktion auf die Affäre scheint seine Kritiker nun zu bestätigen. Britta Sandberg 78

79 Spanien Zurück in die Vergangenheit Mit der Wahl von Pablo Casado zu ihrem Vorsitzenden hat die Volkspartei PP einen Rechtsruck vollzogen. Der gemäßigt konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte nach seinem Sturz durch ein Misstrauensvotum auch die PP-Führung abgegeben, was die Neuwahl zur Folge hatte. Casado, 37, begeisterte die Delegierten mit einer unverblümt nationalistischen Rede: Die Partei solle wieder stolz auf»unsere Vergangenheit«sein,»wir müssen uns wieder mit dem Spanien der Nationalfahnen auf den Balkonen verbünden«und die»verteidigung der nationalen Einheit anführen«, so Casado. In den vier Jahrzehnten seit dem Tod des erzkatholischen Diktators Francisco Franco waren die Spanier fast ebenso zurückhaltend im Umgang mit nationalen Symbolen wie die Deutschen. Erst der Konflikt mit der Regierung in Katalonien, die im Oktober einen eigenen Staat ausrief, machte den zentralistischen Nationalismus wieder attraktiv als Gegenreaktion auf die Separatistenbewegung. Seit Monaten schwenken Unabhängigkeitsbefürworter in Barcelona katalanische Flaggen mit dem Separatistenstern und schmücken mit den»esteladas«private und öffentliche Gebäude. Die Gegenkandidatin von Casado hatte es als stell - vertretende Ministerpräsidentin nicht vermocht, ein von der spanischen Verfassung verbotenes Abspaltungs - referendum zu verhindern. Gerade auch ihr Scheitern in Katalonien, das die Getreue Rajoys zwischenzeitlich verwaltete, brachte sie jetzt um den Sieg. Noch bis zum Misstrauensvotum Ende Mai hatte bei Um - fragen landesweit die einst in Katalonien gegen die Separatisten gegrün - dete liberale Partei»Ciudadanos«vorn gelegen. An die»bürgerpartei«mit ihrem Chef Albert Rivera hatte die PP Millionen Wähler verloren. Die hofft der Jurist Casado nun mit seinem Rechtsschwenk zurückzugewinnen. Dazu gehört eine Verschärfung des Strafrechts gegen sezessionistische Bewegungen, die Ablehnung der Fristenlösung bei Abtreibungen, ein Verbot der Schwulenehe und Steuersenkungen für Erben und Unternehmer. Die neuen Spitzenposten der PP verkündete Casado am Donnerstag in Barcelona. Zur Fraktionssprecherin im Madrider Parlament machte er die Katalanin Dolors Montserrat, Minis - terin im Kabinett Rajoy. HZU DER SPIEGEL Nr. 31 / EU Bannons Träumereien Chappatte Bannon Stephen Bannons Projekt, Europas Rechtspopulisten gegen Brüssel zu vereinen, könnte ein schwieriges Unterfangen werden. Mit seiner neuen Stiftung»The Movement«will der Ex-Trump- Berater und frühere Breitbart-Publizist rechtspopulistische Parteien unterstützen, damit sie möglichst zahlreich ins EU-Parlament einziehen. Bannons erklärtes Ziel ist»eine Revolte auf europäischem Boden«. Aus Polen kam dazu nun als Erstes eine klare Absage:»Das ist keine Option für uns«, sagte Karol Karski von der rechtsnatio - nalen PiS. Bannon werde von Russland unterstützt, was in Polen ein Ausschlusskriterium ist. Außerdem wolle man Europa ja überhaupt nicht»demontieren«. Ähnlich dürfte Viktor Orbán denken. Zwar verbinden den ungarischen Premier und Bannon gemeinsame Feindbilder: Dazu gehören Flüchtlinge ebenso wie der liberale, ungarischstämmige US-Philanthrop George Soros. Doch Ungarn ist wie Polen auf die EU und ihre Subventionen angewiesen. Schweigend reagierten auf den Vorstoß Italiens Rechte und die Rassemblement-National-Vorsitzende Marine Le Pen in Frankreich. Le Pen hatte in den letzten Wahlkämpfen eher versucht, ihre Partei politisch in die Mitte zu führen. Lega-Minister Matteo Salvini bekommt dank seiner restriktiven Ausländerpolitik derzeit auch ohne Bannons Hilfe genügend Zustimmung. Und so könnten die Rechtspopulisten zwischen Warschau und Paris einfach zu unterschiedlich sein, um sich vereinigen zu lassen.»bannon ist in erster Linie ein amerikanischer Nationalist«, urteilt der Pariser Politologe Jean-Yves Camus. Er unterschätze die historische Komplexität Europas. JPU 79 MORITZ HAGER / REUTERS

80 Ausland Sehr links gegen links USA Die Demokraten wollen bei den Zwischenwahlen im November die republikanische Mehrheit im Kongress stürzen. Mit Präsident Trump hat die Partei zwar ein klares Feindbild, aber über den richtigen Kurs ist sie zerstritten. Das zeigt sich bei der Vorwahl im Bundesstaat Michigan. D ie Frau, die das Problem von Fayrouz Saad ist, lehnt in einem Türrahmen westlich von Detroit, weiße Haare, Kittelschürze, Ende 60, und sagt:»ich habe Trump gewählt.«es ist ein heißer Nachmittag im Juli, vor riesigen Garagentoren liegen Geländewagen wie schlafende Monster. Fayrouz Saad, 35, will Kongressabgeordnete der Demokraten für den 11. Distrikt von Michigan werden, seit Wochen klopft sie an die Türen potenzieller Wähler, aber es ist nicht einfach in diesem flirrenden Vorstadt- Amerika. Ihr Wahlkreis stimmte vor zwei Jahren knapp für Donald Trump, wie der gesamte Bundesstaat Michigan. Der aktuelle Kongressabgeordnete ist Republikaner. Saad muss um jede Stimme ringen, sie wirft sich täglich in einen Häuserkampf. Die Frau im Türrahmen erzählt, sie habe zweimal für Barack Obama gestimmt, 2008 und 2012, aber nichts habe sich getan, nichts habe sich verbessert, nicht in ihrem Leben und auch nicht im Land. Deshalb entschied sie sich für Trump.»Leider hat er sich nicht verändert.«sie klingt, als hätte sie erwartet, dass aus dem polternden Eiferer plötzlich ein normaler Politiker wird.»können Sie sich vorstellen, wieder für die Demokraten zu stimmen?«, fragt Saad.»Er hat sich nicht verändert«, wiederholt die Frau, dann schließt sie die Tür. Der Satz hängt Saad lange nach. Viele Leute, die sie trifft, sind verunsichert vom Präsidenten, aber sie weiß nicht, ob das im November genügt. Sind Trumps Wähler bereit, zu den Demokraten zurückzukehren, und wenn ja, was kann Saad dafür tun? Sie ist die Tochter libanesischer Ein - wanderer, ihre Eltern kamen in den Siebzigerjahren in die Vereinigten Staaten. Ihr Vater betreibt noch immer einen Fleischgroßhandel im Eastern Market von Detroit. Saad sagt, sie stehe am weitesten links von allen demokratischen Kandidaten im 11. Distrikt, die am 7. August in der Vorwahl gegeneinander antreten. Saad fordert ein kostengünstiges Gesundheits - system, einen gesetzlichen Mindestlohn in Michigan von 15 Dollar die Stunde, die Einführung von Elternzeit nach der Geburt und einen sicheren Weg zur US- Staatsbürgerschaft für alle Immigranten.»Es geht darum, Nichtwähler von uns zu beeindrucken.«sie kämpft in einem Ort, der für ihre Partei eine besondere Bedeutung hat. Der 11. Distrikt von Michigan ist einer von rund zwei Dutzend Wahlkreisen im Land, in denen Republikaner und Demokraten gleichauf liegen. Breite Straßen, Burger - läden, Pick-up-Trucks und Garagen, so groß wie Einfamilienhäuser: Suburbia. Hier wird sich erweisen, ob es den Demokraten gelingt, jene Wähler zurückzugewinnen, die zu Trumps Sieg beitrugen Facharbeiter, Ingenieure, Selbstständige, Hausfrauen, die weiße Mittelschicht in den Vorstädten. Demokratin Saad»Ich bin die Progressivste, keine Frage«Am 6. November wählt Amerika das Repräsentantenhaus neu, dazu ein Drittel des Senats sowie in einigen Bundesstaaten Gouverneure und Parlamente. Die Demokraten brauchen 24 zusätzliche Abgeordnete für eine Mehrheit im Repräsentantenhaus, was zumindest nach derzeitigen Umfragen machbar erscheint. Wenn das gelingt, könnten sie der Regierung mehr Druck machen, sie könnten neue Zeugen in der Russlandaffäre vorladen oder sogar ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump einleiten. Das setzt aber voraus, dass sie einen Weg finden, die verlorenen Stimmen zu- NICK HAGEN / DER SPIEGEL rückzuholen. Trumps Zustimmungswerte liegen relativ stabil um 40 Prozent, er ist unpopulär, aber die Lage ist nicht ganz so hoffnungslos wie vor einem Jahr; die Wirtschaft boomt, was es für die Opposition schwerer macht. Der harte Kern seiner Unterstützer hält selbst dann zu ihm, wenn er wie vor einigen Wochen Kinder von Einwanderern an der mexikanischen Grenze in Käfige sperren lässt oder sich beim russischen Präsidenten anbiedert, wie vorige Woche in Helsinki. In Michigan wird sich zeigen, ob es ein Mittel gegen Trump gibt und ob die Demokraten stark genug sind, die Wähler von sich zu überzeugen. Denn die Partei hat sich, kurz vor den Midtermwahlen, in einen lähmenden Richtungsstreit verbissen. Sehr Linke kämpfen gegen gemäßigte Linke, Protektionisten gegen Wirtschaftsliberale, Jungaktivisten gegen alte Funktionäre. Es geht um die Frage, ob die Partei sich eher darum bemühen soll, die weißen Trump-Wähler zurückzugewinnen oder ob sie nach links rücken und Minderheiten stärker mobilisieren soll. Nie hatten die Demokraten so viele Kandidaten mit unterschiedlichen, teils gegensätzlichen Haltungen aus derart verschiedenen Lebenswelten. In Texas wirbt eine Ex-Soldatin um Stimmen, die drei Kampfeinsätze in Afghanistan absolvierte; in Colorado kämpft ein schwuler Unternehmer um das Amt des Gouverneurs, der mit seinem Ehemann und zwei Kindern in die Regierungsresidenz einziehen würde, wenn er die Wahl gewinnt. Im Bundesstaat Georgia tritt mit Stacey Abrams eine Afroamerikanerin für die Gouverneurswahl an, sie wäre die erste schwarze Frau in dem Amt. Sie will gewinnen, indem sie gezielt schwarze Wählerschichten anspricht. Das hält Abrams für strategisch sinnvoller, als um die weiße Arbeiterschicht zu kämpfen, die 2016 Trump gewählt hat. Insgesamt ist die Partei seit der Präsidentschaftswahl weiter nach links gerückt. Dafür steht vor allem Alexandria Ocasio- Cortez, eine Linke aus dem New Yorker Stadtteil Queens, 28 Jahre alt, mit einer Mutter aus Puerto Rico und einem Vater aus der Bronx. Seit Ocasio-Cortez vor einem Monat bei der Vorwahl ihren Parteifreund Joseph Crowley besiegte, der 80 DER SPIEGEL Nr. 31 /

81 NICK HAGEN / DER SPIEGEL Wahlplakate in der Garage der Kandidatin Saad: Täglich in einen Häuserkampf 81

82 Ausland knapp zwei Jahrzehnte lang als Abgeordneter im Kongress saß, zuletzt als vierthöchster Demokrat, gilt sie als das leuchtende Beispiel für den Linksruck der Partei. Und gleichzeitig als Beweis dafür, dass das moderate, mittelalte bis alte Establishment der Demokraten spätestens im November in große Gefahr geraten könnte. Das Besondere an Ocasio-Cortez ist die Vehemenz, mit der sie gegen ihren Konkurrenten kämpfte. Ihren Parteifreund Crowley stellte sie als geldstrotzenden Politiker dar, maximal weit vom Alltag seiner New Yorker Wähler entfernt.»nicht alle Demokraten sind gleich«, sagte sie in einem Werbeclip.»In diesem Wahlkampf geht es um Menschen gegen Geld. Wir haben die Menschen, sie haben das Geld.«Mit»sie«war vor allem der liberale Geldadel gemeint, der sich in Kanzleien, Universitäten und Washingtoner Thinktanks ein bequemes Leben eingerichtet hat, wo man die Sorgen der Arbeiterklasse vorwiegend aus Fernsehreportagen kennt. Inzwischen ist Ocasio-Cortez der Star der progressiven Linken. Vorige Woche trat sie erstmals mit Bernie Sanders im Wahlkampf auf, zum Ärger moderater Demokraten. Der frühere Senator Joe Lieberman schrieb im»wall Street Journal«, Ocasio-Cortez Sieg über Crowley werde wohl»dem Kongress, Amerika und der Demokratischen Partei schaden«. Der frühere FBI-Chef James Comey twitterte:»demokraten, bitte, bitte verliert nicht euren Verstand und schlagt euch auf die Seite der sozialistischen Linken.«Der Aufstieg von Alexandria Ocasio- Cortez zeigt, wie groß der Hunger in der Partei nach einem Generationenwechsel ist. Nancy Pelosi, die Chefin der Demokraten im Abgeordnetenhaus, feiert übernächstes Jahr ihren 80. Geburtstag, etliche in der Parteispitze sind ähnlich alt. Dabei taugt Ocasio-Cortez als Beispiel für eine linke Revolution nur bedingt. Bei den bisherigen Vorwahlen der Demokraten konnten sich meist moderate Kandidaten behaupten. Die Linken sind in der Minderheit. Im 11. Wahlkreis von Michigan ist Saad die Kandidatin, die Alexandria Ocasio-Cortez politisch am nächsten steht. Aber New York ist nicht Michigan dort haben die Demokraten den Sitz fast sicher, hier wird es eng. Saad muss sich in der Vorwahl gegen vier Parteifreunde durchsetzen, die wie sie von sich behaupten, links zu sein, allerdings eher moderat sind. Saad sagt:»ich bin die Progressivste, keine Frage.«Am 7. August stimmen die Parteimit - glieder darüber ab, welchen Bewerber sie ins Rennen gegen die Republikaner schicken. Politiker Greimel: Nie hatten die Demokraten so viele verschiedene Kandidaten Neben Saad haben zwei Männer und eine weitere Frau Chancen auf den Sieg, sie verkörpern im Grunde vier Typen von Demokraten. Neben Saad sind das: Suneel Gupta, ein IT-Unternehmer; der wirtschaftsfreundliche Tim Greimel, seit sechs Jahren im Parlament des Bundesstaats und Haley Stevens, die einst für Barack Obama mit Vertretern von General Motors und Chrysler verhandelte, um eine Insolvenz abzuwenden. Es kommt nun darauf an, wer seine Geschichte am besten erzählt und wer am meisten Geld sammelt, um die Werbespots im Lokalfernsehen und im Radio zu bezahlen. Detroit zählt zu einem der teuersten Werbemärkte der USA, was die Kandidaten unter Druck setzt. Gupta konnte mit 1,3 Millionen Dollar bislang die meisten Spenden einsammeln, NICK HAGEN / DER SPIEGEL gefolgt von Haley Stevens mit rund einer Million für einen Vorwahlkampf sind das enorme Summen, zumal die heiße Phase erst in zwei Wochen beginnt, wenn die Kandidaten von Demokraten und Republikanern feststehen. Fayrouz Saad hatte bis Mitte Juli nur knapp Dollar gesammelt. Alle Bewerber der Demokraten lehnen anonyme Spenden und Geld von Konzernen ab, auch wenn sich in der Spenderliste von Suneel Gupta etliche Mitarbeiter von Firmen aus dem Silicon Valley finden. Was in Michigan ebenfalls deutlich wird: Die Demokraten sind motiviert wie lange nicht, Tag und Nacht ziehen sie durch ihren Wahlkreis, unermüdlich, kämpferisch. Haley Stevens verschickt morgens um halb drei s an ihren Pressesprecher. Und es dürfte in ihrem Wahlkreis niemanden geben, den sie noch nicht umarmt hat. Trump kommt zwar immer wieder als Thema auf, aber Saad hält wenig davon, auf ihn einzudreschen. Die Demokraten, sagt sie, könnten nicht nur immer dagegen sein, die Anti-Trump-Partei. Die meisten ihrer Konkurrenten im Wahlkreis sehen das ähnlich. Tim Greimel spricht am liebsten über das, was die Leute bewegt: die enormen Schulden nach einem Universitätsabschluss, das ineffiziente, teure Gesundheitssystem, der miserable Zustand der Straßen. Lokalpolitik eben. Würde er im Kongress für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump stimmen?»die meisten Amerikaner wollen abwarten, was die Untersuchungen des Sonderermittlers Robert Mueller ergeben, und dann entscheiden«, sagt Greimel. So werde er es für sich auch halten. Das Paradox ist, dass der Präsident der Opposition täglich Munition liefert, die Demokraten aber nach Ansicht vieler Wähler zu wenig daraus machen. Chuck Schumer, der oberste Demokrat im Senat, führt gern langatmige Strategiedebatten, während der Präsident den Obersten Gerichtshof mit konservativen Kandidaten besetzt und nach seinem Willen formt. Noch im Herbst will Trump seinen Kandidaten für die Nachfolge des scheidenden Richters Anthony Kennedy bestätigen lassen. Einige Senatoren der Demokraten fürchten bereits, in ihren Staaten von konservativen Wählern unter Druck gesetzt zu werden, für Trumps Wunschkandi - daten zu stimmen. Eine Gegenstrategie scheint nicht zu existieren. Selten war die Partei auch derart un - einig über die Frage, welche Wählergruppen sie ansprechen will: gebildete Frauen oder arbeitslose Männer, konservative Vorstadtbewohner oder linksliberale Städter, die weiße oder die schwarze Arbeiterschicht, Junge oder Alte, Kleinunternehmer oder Linke. Oder alle gleichzeitig. 82 DER SPIEGEL Nr. 31 /

83 Kandidatin Ocasio-Cortez bei Protesten in Texas: Neuer Star der Partei und leuchtendes Beispiel für den Linksruck VICTOR J. BLUE / THE NEW YORK TIMES / LAIF In vielen Fragen, die das Land umtreibt, senden Demokraten widersprüchliche Botschaften. Soll man den Präsidenten in der Russlandaffäre festnageln oder nicht? Soll man ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn anstrengen oder nicht? Soll man die Wahlen im November zu einer Abstimmung über seinen Politikstil machen oder nicht? Soll man seinen Namen im Wahlkampf überhaupt erwähnen? Den Demokraten fehle eine Story, schrieb der Kolumnist David Brooks diese Woche in der»new York Times«. Es ist schwer zu sagen, wofür die Partei in der Ära Trumps überhaupt steht, zumindest im Moment noch. Und anscheinend weiß bei den Demokraten immer noch niemand, wie sie mit der Katastrophe von 2016 umgehen sollen der damalige Konflikt zwischen den Moderaten um Hillary Clinton und den Linken um Bernie Sanders schwelt vorerst weiter. Vermutlich wird der Richtungsstreit erst entschieden, wenn die Partei eine Kandidatin oder einen Kandidaten gefunden hat, um 2020 gegen Trump anzutreten. In Washington kursieren zwischen drei und vier Dutzend Namen für eine Präsidentschaftskandidatur. Dazu zählen die altlinke Senatorin Elizabeth Warren, die Nachwuchssenatorin Kamala Harris aus Kalifornien, Bernie Sanders und Obamas Vizepräsident Joe Biden. Es gibt unter den Strategen der Partei aber auch Optimisten. Die meisten Demokraten würden im Wahlkampf vor den Midterms nicht den Fehler begehen, die Wahlen ausschließlich über Trump zu bestreiten, sagt Mike McCurry, ehemaliger Sprecher von Bill Clinton.»Viele Leute kritisieren Nancy Pelosi oder distanzieren sich von ihr. Aber sie hat es zumindest geschafft, etwas Disziplin in die Partei zu bringen, was die zentralen Botschaften betrifft.«die Zwischenwahlen werden für die Partei auch ein Selbstversuch. Das Risiko besteht darin, dass sie die Chance verspielt, die Macht von den Republikanern zumindest teilweise zurückzuerobern. Bislang sind die Demokraten ihrer Rolle als Opposition nur mäßig nachgekommen, sollten sie nicht wenigstens im Repräsentantenhaus eine Mehrheit erringen, drohen sie unsichtbar zu werden. In ihrem Klinkerreihenhaus in Dearborn, einem Vorort von Detroit, tritt Fayrouz Saad in ihre Küche, wo ihre Kampagnenchefin sitzt und ihr Pressesprecher. Der Großteil ihrer Helfer und Mitarbeiter hat sich auf Küche, Wohn- und Esszimmer in ihrem Haus verteilt. In der Garage liegen blaue Schilder mit der Aufschrift»Fayrouz Saad for Congress«. Sie macht Wahlkampf mit einem Foto, das sie mit Barack Obama zeigt sie hat unter ihm im Heimatschutzministerium gearbeitet, in der Terrorismusbekämpfung. Sie will nicht nur über Trump reden, aber sie tut es doch: Sie werde das Gegenteil tun von dem, was er tue, sie werde nicht spalten, sie werde zuhören. Doch manche ihrer Vorschläge werden Republikaner empören, so will sie die Behörde Ice abschaffen, die Abschiebungen durchführt. Saad sagt, die Demokraten dürften sich nicht blind auf eine»blaue Welle«im November verlassen. Man müsse um Wähler kämpfen, so wie in New York. Sie sei zuversichtlich, dass sie die Wahl gewinne. Fast täglich bekommt sie Hassnachrichten, die sie mit einer Mischung aus Humor und Entschlossenheit erträgt. In einem ihrer Werbeclips sagt sie, ihr Vorname bedeute»wertvoller Stein«auf Arabisch; auf Englisch heiße das»mindestens 17 verschiedene Schreibweisen auf meinem Starbucks- Kaffeebecher«. Sie kämpft in Michigan um ihren eigenen amerikanischen Traum. Wenn sie es schafft, wäre sie die erste muslimische Frau im Kongress. Christoph Scheuermann Video Was tun gegen Trump? spiegel.de/sp312018usa oder in der App DER SPIEGEL 83

84 Ausland Im Rachen des Krokodils D er Mali Fünf Jahre nach der französischen Intervention terrorisieren noch immer Banditen den Norden. Können die Präsidentschaftswahlen das Land stabilisieren? Gouverneur trägt eine Neun- Millimeter-Pistole am Gürtel, eine beige Uniform mit drei Sternen, er spricht außerdem vier Sprachen: Französisch, Bambara, Songhai und Tamascheq. Das sind aber auch schon alle Werkzeuge, die Daouda Maïga zur Verfügung stehen, um in der Region Ménaka in Nordmali Frieden zu schaffen und wieder einen Staat aufzubauen. Der Präsident persönlich hat ihn aus der Hauptstadt Bamako über die 1500 Kilometer Sandpiste hierhergeschickt. Ménaka ist eine von fünf nordmalischen Regionen, in denen sich die seit Jahren anhaltende Krise besonders deutlich zeigt. Theoretisch gebietet Maïga über ein Gebiet von der Größe Österreichs. Doch in seiner Region ist keine Straße asphaltiert, es gibt weder fließend Wasser noch Strom. Die Süd-Nord-Schmuggelroute für Mi - granten, Waffen und Kokain führt direkt an Ménaka vorbei. Bewaffnete Banden, Islamisten, Stammesmilizen und Banditen führen hier Kleinkriege und terrorisieren die Bevölkerung. In der Nähe sind zwar Uno-Blauhelme stationiert, unternehmen aber wenig. Fünfeinhalb Jahre nach der französisch geführten Intervention im Land sieht die Bilanz düster aus: Im Norden versagt der Staat, die Zentralregierung in Bamako ist schwach, die Helfer aus dem Ausland können wenig ausrichten. Präsident Ibrahim Boubacar Keïta hat die Sympathien der westlichen Geldgeber verspielt. Er gilt als unfähig, Frieden zu schaffen, und vor allem als korrupt. Das ist die schwierige Ausgangslage vor den Präsidentenwahlen am Sonntag. Mali ist von geostrategischer Bedeutung, zentral in der Sahelzone gelegen. Vor sechs Jahren hatten Tuareg-Krieger und Islamisten den gesamten Norden des Landes unter ihre Kontrolle gebracht und die Scharia eingeführt. Das war ein Schock für die Weltöffentlichkeit, Mali hatte bis dahin als Musterland gegolten, arm, aber friedlich, ein Reiseziel für Motorradtouristen und Weltmusikfans. Als die Dschihadisten auf die Hauptstadt marschierten, griff die ehemalige Kolonialmacht Frankreich ein, schickte Truppen und verjagte die Isla misten aus den Städten. Die internationale Gemeinschaft entsandte Blau helme und vermittelte einen Friedens vertrag. Bei seinem Einsatz konnte Frankreich die nordmalischen Kämpfer nicht vollständig besiegen. Viele behielten ihre Waffen, formierten sich neu und operieren jetzt in kleineren, konkurrierenden Gruppen. Sie sind kaum in der Lage, ein Territorium zu beherrschen. Aber darum geht es ihnen auch nicht: Sie sind am Schmuggel beteiligt, rauben und morden als Broterwerb. Einige mögen islamistische Fanatiker sein, vielen dient der Islam nur als Rechtfertigungsideologie. Kein Tag vergeht ohne Anschläge und Scharmützel, obwohl die Franzosen mit 1000 Elitesoldaten zusätzlich Jagd auf Terroristen machen.»le Monde«nennt Mali»unser Afghanistan«. Sicherheitsexperten halten die Region zwischen Mauretanien und Somalia schon längst für eine Brutstätte des islamistischen Terrors ins - besondere seitdem der»islamische Staat«in Syrien geschlagen ist. Der Terror und die Anarchie fressen sich nun vom Norden Malis nach Süden. Die malische Armee ist klein und schlecht ausgerüstet. Die Blauhelme, darunter derzeit 700 deutsche Soldaten, können kaum etwas ausrichten. Sie scheitern an der schieren Größe des Gebiets, ein Wüstenund Geröllareal von der Fläche der Türkei. Zudem ist ihr Auftrag eng begrenzt. Sie sind nicht hier, um die Banden in Schach zu halten, sie dürfen sich gerade mal selbst verteidigen. Wie schwach der Staat nach wie vor ist, zeigt sich an der Ohnmacht von Gouverneur Daouda Maïga in Ménaka. Sein Amtssitz gleicht einer Festung. Zwölf Mann der malischen Armee halten auf den Mauern und Wachtürmen Ausschau. Mit Geröll gefüllte Schanzkörbe aus Maschendraht zwingen ankommende Au- AFRIKA Bamako Niger MALI Timbuktu Gao Region Ménaka 300 km Ménaka Standort der Bundeswehr im Rahmen der Uno- Blauhelmmission tos in einen Zickzackkurs. Kein Attentäter soll durch das Tor brechen können. Niemand darf sich dem Eingang auf einem Fahrrad oder Moped nähern. Denn so transportieren die Dschihadisten häufig ihre Bomben. Ab 18 Uhr darf sich kein Auto mehr in der Kleinstadt bewegen, ab 20 Uhr herrscht Ausgangssperre. Gouverneur Maïga ist ein studierter Geograf, ein freundlicher Hochschullehrer eigentlich. Er lächelt, als redete er über ein paar Lausbuben, wenn er an den Fingern die bewaffneten Gruppen abzählt, die ihm ans Leben wollen: al-qaida im Maghreb, zwei verschiedene Tuareg-Milizen, dann diverse bewaffnete Dörfler.»Und ein paar Banditen«, sagt er. Zusammen sind sie zahlreicher als das Kontingent der malischen Armee in Ménaka, besser ausgerüstet sowieso. Einige von ihnen bekennen sich zu Bamako, andere nur manchmal, die Dschihadisten nie. Maïga sagt:»man weiß nie, woran man ist. Tagsüber geben sich einige gesprächsbereit, nachts arbeiten sie mit Terroristen zusammen. Manche behaupten, für den Koran zu kämpfen und sind trotzdem am Kokainschmuggel beteiligt. Andere wollen einen Tuareg-Staat errichten.«die schlimmste Anschlagswelle traf die Region Ménaka Ende April: 64 Tote in den Ortschaften Tindinbawen und Taylalene, darunter viele Frauen und Kinder. Wer dahinterstand, wurde nie ganz geklärt. Es könnte eine Attacke des Qaida- Ablegers Dschamaa Nusra al-islam wa-l- Muslimin gewesen sein. Vielleicht war das Gemetzel auch eine Abrechnung unter verfeindeten Volksgruppen, vielleicht beides.»wir haben, Entschuldigung, unseren Arsch im Rachen des Krokodils«, sagt der Gouverneur. Sein größter Erfolg: Seit Kurzem patrouillieren zwei Milizen gemeinsam nachts durch die ausgestorbenen Gassen. Bis es so weit war, musste Maïga wochenlange Verhandlungen führen, literweise Pfefferminztee mit der verfeindeten Soldateska trinken. Der Gouverneur will die Bewaffneten überzeugen, ihre Kalaschnikows abzugeben und auf den malischen Staat zu vertrauen. Er muss ihnen dafür zeigen, dass der Staat auch etwas zu bieten hat: Stromund Wasserversorgung will er sicherstellen sowie die Schulen und das heruntergekommene Krankenhaus besser ausstatten. Dabei ist er auf sich allein gestellt. Bamako hat zwar einen Geldtopf für Investitionen im schwachen Norden bereitgestellt, doch das Geld fließt kaum. Auch von den Blauhelmen kann er kaum Hilfe erwarten. Von denen ist Daouda Maïga wie viele seiner Landsleute enttäuscht:»sie lassen sich selten in der Stadt blicken.«der Feind, den Gouverneur Maïga herausgefordert hat, verändert ständig 84

85 Gouverneur Maïga (2. v. l.), Stammesführer: Wochenlange Verhandlungen Angehörige verfeindeter Milizen bei gemeinsamer Patrouille in Ménaka:»Unser Afghanistan«seine Gestalt.»Nur eines haben all diese Mi lizen gemeinsam. Sie wollen die Wah - len verhindern, damit die Region weiter ein rechtloser Raum bleibt.«trotz der schwierigen Sicherheitslage will er sie aber auf jeden Fall abhalten lassen, gerade lässt er Stimmkarten verteilen.»wenn wir nicht wählen, haben die Banditen und Islamisten gewonnen. Das will ich nicht«, sagt er. Landesweit haben sich für die Präsidentschaftswahlen 24 Kandidaten registrieren lassen.»aber nur wenige Wähler werden DER SPIEGEL Nr. 31 / an die Urnen gehen«, sagt der Politologe Bruno Djito Segbedji in Bamako. Fast alle Kandidaten gehörten zum Establishment, das die malische Misere zu verantworten hat, kritisiert er. Mit dem Präsidenten hat sich fast die gesamte politische Klasse unmöglich gemacht. Die Wahlen werden deshalb kaum eine stabile Regierung hervorbringen. Wie in vielen afrikanischen Ländern ist die Bevölkerung Malis im Durchschnitt jung, und die Jungen sind wütend. Ihr Idol haben viele in dem Aktivisten Ras PAUL HYACYNTHE MBEN / DER SPIEGEL PAUL HYACYNTHE MBEN / DER SPIEGEL Bath gefunden. Der 44-jährige Jurist und Radio moderator bündelt den Zorn der Jugend. Ras Bath, der eigentlich Mohamed Youssouf Bathily heißt, kann mit seiner Sendung Tausende Demonstranten auf die Straße bringen. An einem Tag Anfang Juli sitzt Ras Bath in Bamako, im neuen Hauptquartier seiner Bürgerinitiative»Kollektiv zur Verteidigung der Republik«(CDR). Sie bezieht gerade neue Räume, Hunderte Anhänger sind gekommen, schleppen Möbel und Monitore, es herrscht Durcheinander und Lärm. Ras Bath hängt auf einem Kunststoffstuhl, barfuß, die Beine gerade von sich gestreckt. Die Rastalocken hat er unter einer Wollmütze verborgen, die Augen hinter der Brille halb geschlossen. Er gibt sich als eine Mischung aus DJ und Prediger, scharf im Urteil, äußerst selbstbewusst. Er könnte so etwas wie die Vorhut eines malischen Frühlings sein, eines Aufstands gegen das Establishment, wie er auch die arabischen Autokratien ereilt hat.»der Präsident hat die letzten fünf Jahre verschwendet.«der Friedensvertrag von 2015, der einen Ausgleich zwischen verschiedenen malischen Ethnien und den bewaffneten Gruppen vorsieht, sei nicht im Ansatz umgesetzt. Der Präsident habe seine Zeit vor allem damit vertan, seine Klientel mit Staatsposten zu versorgen.»80 Prozent der Beamten waren arbeitslos, bevor er an die Macht kam. Jetzt sind sie reich, aber immer noch unfähig.«ras Bath wird nicht selbst kandidieren, zumindest diesmal nicht. Jeden Montag ruft er im Radio auf, zur Wahl zu gehen und dem Protest Luft zu machen:»ich bin kein Politiker, aber ich bin politisch. Ich bin der Sprecher der Zivilgesellschaft«, sagt Ras Bath. Seine Bewegung CDR hat sich hinter den Kandidaten Soumaïla Cissé gestellt. Cissé, ein ehemaliger Finanzminister, gehört zwar zum Establishment, gilt aber als verhältnismäßig sauber. Umfragen zufolge hat er die besten Chancen gegen den Amtsinhaber. Der Politologe Bruno Segbedji rechnet mit Unruhen.»Wenn es ein knappes Wahlergebnis gibt und das ist wahrscheinlich, wird der Unterlegene das niemals hinnehmen.«schon jetzt grassieren Gerüchte über geplante Wahlfälschung und Manipulation. In den entlegenen Landesteilen stockt die Verteilung der Wahlkarten.»Es wird Demonstrationen geben«, sagt Segbedji.»Vor allem: Was tut das Militär? Die Soldaten haben das Gefühl, sie bluten im Norden während die Politiker in Bamako feiern. Sie werden kein Chaos auf den Straßen dulden. Ein Putsch ist möglich.«es wäre der vierte seit der Unabhängigkeit. Paul Hyacinthe Mben, Jan Puhl Mail: jan.puhl@spiegel.de 85

86 I m kühlen, mit Neonlicht ausge - leuchteten Einkaufszentrum in Hang zhou, auf dessen Fassade der Name In time City prangt, entscheidet sich heute das Schicksal acht junger Männer. Sie strömen an ihrem ersten Kurstag in unterschiedliche Richtungen aus, tragen ein gebügeltes Hemd und die Haare voller Gel. Einige haken ihre Daumen in die Schlaufen ihrer Jeans und stolzieren wie Pfauen umher. Sie wollen Frauen beeindrucken. Dr. Love, ihr Trainer beim Flirtseminar, hat ihnen eingebläut, wie das geht. Einer von ihnen ist Liu Yuqiang, Mitarbeiter eines chinesischen Supermarkts. Er pirscht durch die blitzblanken Gänge, trägt eine drahtige Brille, ein Sakko und polierte Schuhe, die verbergen sollen, dass er aus einem Dorf mit nur 80 Familien stammt. Ein Mann aus der Provinz kommt für Chinas attraktive Städterinnen nicht infrage, Liu weiß das. Außerdem ist er 27, uralt für einen Single. Scheu setzt Liu einen Fuß vor den anderen. Seine Blicke streifen junge Frauen mit Einkaufstüten, die einschüchternd auf ihn wirken. Dr. Love will ihn zwingen, sie anzusprechen.»jagen gehen«nennen sie an der Flirtakademie Feel Love diese Übung. Rund 200 Millionen Singles leben in China. Wegen der jahrzehntelangen Einkindpolitik der Regierung und einer Vorliebe für Jungen ist ein Ungleichgewicht der Geschlechter entstanden. Auf 114 Männer kommen in China 100 Frauen; es gibt im Land 30 Millionen mehr Männer als Frauen. Und kein Chinese will als»kahler Ast«enden, der den Stammbaum seiner Familie verdorren lässt. Wer unverheiratet bleibt, stirbt in China schnell den gesellschaft - lichen Tod. In der Intime City in Hangzhou lehrt Dr. Love seine Schüler, wie man Beute erlegt.»seitlich auf die Frauen zugehen«, flüstert er und blickt Liu streng an.»denk an den Sicherheitsabstand von 1,5 Metern. Tu, als wärst du verabredet, aber sag, du fändest sie bezaubernd. Notier ihre Handy - nummer, und geh zügig weiter.verstanden«, sagt Liu. Angst und Bewunderung liegen in seinem Blick. Dr. Love, 26, trägt einen roten Pullover, auf dem»fuck Em All«steht. Darüber baumelt eine Silberkette, mit Pfeilen wie aus einem Indianerfilm.»Nur nett soll sie sein«, flüstert Liu und tigert an den Geschäften vorbei. Er läuft und läuft, ohne eine Frau anzusprechen. Zehn Minuten vergehen.»hallo«, flüstert er einer zu. Achtlos zieht sie vorbei. Ausland Dr. Love beobachtet ihn still. Dreimal gibt er ihm einen kleinen Schubs in Richtung kichernder Chinesinnen. Aber jedes Mal tut Liu so, als stolperte er bloß. Es geht einfach nicht. Die Sache mit der Liebe ist kompliziert geworden. Chinas Wirtschaftsboom entfremdet die Menschen voneinander, reißt sie aus ihren Dörfern und Klein - städten. Jahrhundertelang verkuppelten Eltern ihre Kinder mit Partnern, die den gleichen sozialen Hintergrund hatten. Doch der Boom hat das Liebesleben der Chinesen dramatisch verändert, das Land entwickelt sich schneller, als viele Seelen mithalten können. Die Formel aus Wahlfreiheit und gesellschaft - lichem Druck überfordert viele. Die Suche nach dem Glück beschäftigt in - zwischen Tausende Flirttrainer, Heiratsvermittler und Liebesgurus. Die Liebesjäger China Viele heiratswillige Singles finden keinen Partner. Denn es gibt Millionen mehr junge Männer als Frauen und mit dem Wohlstand sind die Ansprüche gestiegen. Die Datingindustrie boomt. Von Katrin Kuntz Baihe, die größte Onlineplattform für Heiratswillige, mit Parship vergleichbar, zählt gut 300 Millionen Mitglieder und beschäftigt 3000 Heiratsvermittler. Baihes Psychologen fliegen durchs Land, um krisen geplagten Singles die Hand zu halten; ihre Liebesexperten liefern Blumensträuße an Angebetete, schleichen als Detektive vermeintlichen Fremdgängern nach. Sie prüfen die Solvenz von Heiratskandidaten und vermitteln Kredite an Männer, die sich sonst kein Haus leisten könnten. Einige Hundert Millionen Dollar setzt Chinas Datingindustrie jährlich um. Doch warum gehen Millionen Sehnsüchtige dennoch leer aus? In der Intime City in Hangzhou endet die Lektion»Frauen ansprechen«. Einer der acht Kursteilnehmer hat sich für den Abend die vage Zusage für ein Date geholt, die anderen gingen leer aus.»ihr habt Arbeit vor euch«, sagt Dr. Love ernst und entlässt seine Schüler. Eine Stunde später lehnt Liu in einem Café an der Wand und trinkt in hastigen Schlucken aus seiner mit Wasser gefüllten Thermosflasche. Seine Eltern machen Druck. Als er sie vor Kurzem auf dem Land besuchte, schlang er das Schweinefleisch herunter, nur um ihren Fragen auszuweichen.»sie haben hart gearbeitet«, sagt Liu.»Jetzt muss ich sie glücklich machen.«es wäre eine Schande, ihren Wunsch nicht zu respektieren. Liu ist der einzige Sohn. Sein Schicksal nahm im Jahr 1979 seinen Lauf, lange vor seiner Geburt. Damals startete Chinas Kommunistische Partei die Einkindpolitik, ein radikales, gut 35 Jahre währendes Experiment. Bis in die Sechzigerjahre hatte Mao Zedong seine Bürger angehalten, viele Kinder zu zeugen. Der Reformer Deng Xiaoping verkündete dagegen, Chinas Aufstieg werde nur mit weniger Geburten gelingen. Frauen wurden zwangssterilisiert, weibliche Föten abgetrieben. Chinas Strategen schufen eine Bevölkerung, die zu männlich, zu alt und irgendwann zu klein für den eigenen Arbeitsmarkt sein wird. Für viele Männer ist ihre Überzahl nicht das einzige Handicap.»Wenn schon Mann, dann wenigstens nicht aus Jiangxi«, sagt Liu. Es mindert seine Chancen, dass er aus dieser relativ armen Provinz im Südosten stammt. Die Herkunft eines potenziellen Ehemanns ist für gut gebildete Chinesinnen extrem wichtig, sie legen Wert auf Ansehen und Status: eine Wohnung, ein Auto. China ist das Land des Aufstiegs, niemand will sich nach unten orientieren. Für Millionen unverheirateter Wanderarbeiter ist es besonders schwer. Von der Liebe sind sie getrennt durch»drei hoch aufragende Berge«, sagt Liu: kein Geld, keine Zeit, keine Connections. Auch Lius Eltern zogen durch das Land. Wie viele Kinder wuchs er bei seiner Großmutter auf. Wenn der Großvater nach Hause kam, stellte sie ihm Reis auf den Tisch, aber sie berührte ihren Mann nie.»wer die Große Hungersnot überlebt hat, braucht keine Romantik mehr.«liu sagt, er habe in der Liebe nie Vorbilder gehabt. Während der Schule lief auch nichts mit Mädchen. Die Lehrer und Eltern wollen keine Teenagerflirts, nichts soll das teure Einzelkind vom Lernen ablenken. Und so schlitterte Liu mit einer klassischen chinesischen Liebesbiografie auf den Heiratsmarkt. Er hat null Erfahrung mit Frauen, sollte aber längst verheiratet sein. Nach der Schule wanderte Liu wie Millionen andere in die Stadt. In dem typischen»junggesellendorf«in der Provinz, 86 DER SPIEGEL Nr. 31 /

87 SIM CHI YIN / DER SPIEGEL Flirttrainer Dr. Love, Klienten in Hangzhou:»Ihr habt Arbeit vor euch«gilles SABRIÉ / DER SPIEGEL Liebesdetektiv der Agentur Diamond Love beim Frauencasting: Durch nichts zu befriedigende Narzissten 87

88 Ausland SIM CHI YIN / DER SPIEGEL Flirtkursteilnehmer beim Bearbeiten von Profilbildern in Hangzhou:»Chinesinnen lieben Babyhaut«das er verließ, kamen immer mehr Bräute aus Nordkorea oder Kambodscha an. Aus Verzweiflung suchen Eltern ausländische Frauen für ihre Söhne. Uno-Mitarbeiter sprechen von einem extremen Anstieg des Menschenhandels in Chinas Provinzen. Liu bezog ein winziges Apartment in der Stadt. Er vertreibt Instantnudeln für einen Supermarkt, nebenher kümmert er sich online um die Frauenjagd. Sieben Dating- Apps hat er auf seinem Handy, darunter Tantan, das chinesische Tinder. Sein Profilfoto zeigt ihn beim Bogenschießen, obwohl er davon keine Ahnung hat. Dr. Love hat die Bilder aufgenommen, er empfahl Liu auch, Weichzeichner über sein Gesicht zu legen:»chinesinnen lieben Babyhaut.«Manchmal träumt Liu davon, so viele Häuser, Autos und Angestellte zu haben, dass die Frauen ihm hinterherlaufen. Er weiß nicht, dass auch die Reichen sich die Sache mit der Liebe nicht leicht machen. In China gibt es Männer, die Hunderttausende Dollar in die Suche nach einer Ehefrau investieren. Auch sie leiden unter ihrem Status. Sie streben nach einer Perfektion, die zu ihrem Reichtum passt. Rund 200 Kilometer von Liu entfernt, in Shanghai, Chinas glänzender Wirtschaftsmetropole, hat die Eliteagentur Diamond Love ihren Hauptsitz. Sie hat fünf Millionen Mitglieder besonders Betuchte zahlen bis zu Dollar im Monat für einen»maßgeschneiderten Service«, der ihnen die Ehefrau ihrer Träume verspricht. 200 Berater und 200 Vollzeit- Liebesjäger stehen den Reichsten an sechs Standorten im Land zu Diensten.»Wir brauchen vier Frauen zwischen 165 und 168 Zentimeter, Topabschluss, sehr weiße Haut, extravagant«, sagt Ren Xuemei zu zwei Mitarbeitern, die für sie auf der Straße nach Frauen suchen. Ren ist professionelle Liebesjägerin. Sie ist studierte Psychologin, eine elegante 42-jährige Frau mit kanarienvogelgelbem Blazer und glänzendem Haar. Sie kennt die Liebesprobleme der Oberschicht so gut wie kaum jemand anders.»unsere Kunden haben mit Chinas Aufstieg ihren Kompass verloren«, sagt Ren in einem Starbucks-Café in Shanghai.»Sie glauben, den Weltenlauf zu bestimmen.«sie klappt ihr MacBook auf und zeigt den Fragebogen, den die Kunden ausfüllen, bevor die Agentur für sie Frauen jagt. Der Bogen unterscheidet bei einer Frau zwischen»hardware«und»software«, dem Äußeren und dem Charakter. Die Trends seien»sehr weiße Haut von weicher Beschaffenheit«,»ein feines, ovales Gesicht und ein Diplom einer chinesischen Topuniversität«, sagt Ren. Die Frau sollte unter 30 sein,»warmherzig und tüchtig«. Die meisten wünschten»möglichst wenig Beziehungserfahrung«. Ren lächelt.»das heißt, sie soll Jungfrau sein.«rens kniffligster Fall ist ein 47-jähriger Mann, der hier Mr Rich heißen soll. Eine Million Yuan, umgerechnet fast Eu - ro, hat er für die Suche nach der Passenden gezahlt. Am Telefon fragt er aufgeregt, wann es»frische Ressourcen«gebe. Alle 50 Frauen, die Ren ihm vorgestellt hat, langweilten ihn. Nach jedem Dinner, das sie im Ritz-Carlton organisiert, beschwert er sich:»ihr schickt mir die Falsche!«Mr Rich gehört zu den Fuyidai, zur ersten Generation reicher Chinesen. Er stammt aus bescheidenen Verhältnissen und begann, in Übersee zu investieren. Man kann mit Mr Rich nicht sprechen, aber wenn man seine Agentin für ein paar Tage begleitet, zeichnet sich ein Weltbild ab.»chinas Elite ist es gewohnt, immer der Boss zu sein«, sagt Ren.»Ihre Erwartungen sind unermesslich.«mr Rich sei nicht sonderlich attraktiv, sagt sie verstohlen. Er sei schmal und rauche zu viel. Trotzdem glaube er, die schönste Frau zu verdienen. Bei Diamond Love habe er einen Jahresvertrag unterschrieben und treffe fünf Frauen pro Monat. Ihre Angebote behandle er wie Edelkarossen mit unschönen Rostflecken. Ren ist eine Frau von ausgesuchter Höflichkeit. Aber die Kapriolen ihrer 88 DER SPIEGEL Nr. 31 /

89 GILLES SABRIÉ / DER SPIEGEL Mütter beim Vermitteln ihrer Kinder in Shanghai:»Eine Heirat bedeutet, dass zwei Familien sich vereinen«kunden sind so extrem, dass Anekdoten aus ihr herausplatzen. Ein Kunde schaute sich 3000 Frauen in der Agenturdatenbank an und lehnte ab, wenn eine Augenbraue zu hoch ragte. Ein anderer monierte jede Hautunebenheit. Auch die Fu erdai, die Kinder der Neureichen, seien anspruchsvoll.»wir scheiterten daran, ein Paar zu verkuppeln, weil keiner beim Ort des Dates entgegenkommen wollte«, sagt Ren. Die Einkindpolitik sei eine Katastrophe gewesen, sagt sie. Sie habe durch nichts zu befriedigende Narzissten hervorgebracht. Die Liebesjäger von Diamond Love fahren mit ihren roten Minis durch neun Städte, suchen in Universitäten, Akademien, Edelboutiquen nach Frauen, die in der Menge auffallen. Einmal haben sie den Wettbewerb»Oriental Lady«organisiert. Hunderte Frauen traten an, sangen vor und tanzten. Sie ahnten nicht, dass der Chefjuror bei dem Wettbewerb ein Kunde auf Frauenjagd war. Während Ren im Starbucks auf Ergebnisse wartet, hasten die Liebesjäger im Shoppingviertel hinter attraktiven Passantinnen her. Eine, in Skinny-Jeans und Bomberjacke, bleibt stehen.»hallo, Schöne, bist du Single?«, fragt der Liebesengel.»Wir organisieren Events in der Agentur für dich.«die Frau gibt arglos ihre Daten preis. Sie ahnt nicht, dass sie bald mit Mr Rich beim Tee sitzen könnte. Die»Ressourcen«, so nennt auch Ren die Frauen, müssen nicht gleich erfahren, dass Diamond Love sie als Ehefrauen castet. Man wolle keine Hoffnungen wecken, die Auslese erfolge nach dem Aschenputtelprinzip. Die Frauen müssen Tests und Interviews mit Psychologen bestehen, bevor sie einen Kunden treffen. Von 100 Frauen hält die Agentur nur ein Dutzend für geeignet.»mr Rich wünscht eine junge Frau, die nicht zu erfolgreich ist«, sagt Ren.»Doch nach den ersten Treffen beschwerte er sich über mangelnde Reife.«Als die Agentin wieder mit ihm zusammensaß, habe er zu ihr gesagt:»sie würden mir gefallen.«sie habe geantwortet:»ich habe zwölf Jahre mehr Lebenserfahrung als Ihre Auserwählten und bin verheiratet.«seither hat Ren unter die»a-frauen«in den Zwanzigern, die Mr Richs Kriterien entsprachen, ein paar ältere»b-frauen«geschmuggelt, die besser zu ihm passten.»ein Kampf«sei es für ihn gewesen, das zu erkennen. Sie nennt es»umerziehung«. Nach sechs Monaten mit Mr Rich habe sie einen Erfolg zu verbuchen.»er hat die Altersgrenze erhöht.«seine künftige Braut dürfe statt maximal 30 Jahre jetzt bis 32 Jahre alt sein. In der Flirtschule in Hangzhou haben sie weniger glamouröse Probleme. Dort sitzt Liu jetzt mit fünf anderen Männern an einem Tisch, die Hände um ein Glas Tee gelegt. Alle Schüler stammen aus ärmeren Provinzen. Sie schuften in Restaurants oder auf dem Bau. Dr. Love rückt seine Indianerkette zurecht.»was ist los mit euch?«, fragt er.»ich weiß nicht, welches Thema ich wählen soll, wenn ich mit einer Frau rede«, sagt einer. Ein anderer:»sobald ich in der Dating-App nach einem Treffen frage, blockieren mich die Frauen.«Liu sagt:»wenn ich eine Frau treffe, bin ich so nervös, dass keine mich wiedersehen will.ihr müsst auf Augenhöhe reden«, sagt der Trainer.»Die Frauen sollen euch ja nicht wegen eures Besitzes heiraten.«der gesellschaftliche Status eines Menschen ist in China amtlich festgeschrieben. Das sogenannte Hukou-System, die Wohnsitzkontrolle, teilt alle Bürger in die Kategorien Land oder Stadt ein. Der Ort, an dem ein Chinese gemeldet ist, entscheidet über seinen Zugang zu Ärzten, Schulen und auch zu Frauen der urbanen Mittelschicht. Kein Date in China, ohne dass man sich höflich nach dem Hukou des anderen erkundigt. Wer in die Stadt abwandert, kann mit etwas Glück die gleichen Privilegien wie Städter erreichen. Ein lang- 89

90 Ausland GILLES SABRIÉ / DER SPIEGEL jähriger ländlicher Hukou haftet aber an wie Stallgeruch. In der Flirtschule sollen die Männer lernen, ihre Herkunft mit Charme zu kompensieren. Auf dem Programm steht»einzelkritik im Chatten«. Liu interessiert sich für eine Kollegin. Aber jedes Mal, wenn er sie ausführen möchte, verlässt sie den Chat. Dr. Love schließt Lius Handy an einen Beamer an. Laut liest er Lius Chronologie des Scheiterns vor. Mal fängt Liu mitten in der Nacht ein Gespräch über die Firma an. Dann will er»wahrheit oder Pflicht«spielen. Kopiert einen Satz aus einem Datingratgeber:»Ich habe dir etwas Geheimnisvolles mitzuteilen«, ohne dass etwas folgen würde. Dr. Love schüttelt den Kopf. Er übernimmt das Handy und chattet an Lius Stelle. Nach 20 Minuten Geplauder wird es ernst. Sie:»Ich schlafe jetzt.«brautpaar bei Fotoshooting in Shanghai: Perfektion, die zum Reichtum passt Er:»Schlaf nicht, lass uns eine Beziehung haben.«sie:»machst du Witze?«Er:»Klar, das war nur ein Witz. Schlaf jetzt.«sie:»ich kann nicht schlafen.«er:»schlaf.«sie:»gibst du mir eine Fußmassage?«Betretenes Schweigen im Saal. Dr. Love kann es einfach.»online ist eure Beziehung schon geritzt«, sagt Dr. Love zu Liu.»Du brauchst nur noch ein Offlinetreffen.«Spät am Abend, als der Kurs geendet hat, tritt Liu hinaus in die Nacht. Seine Gedanken kreisen. Wie könnte er vergessen, dass eine Frau ihn einmal als»dreifache Null«bezeichnete. Eine Liaison mit ihm würde nur eine»nackte Hochzeit«ergeben, habe sie gesagt. Keine Feier, kein Ring, keine Geldgeschenke, kein Auto, keine Flitterwochen. Wer will das schon, wo es überall in China Hochzeitsstudios gibt, in denen man vor Inseln, Wolkenkratzern, Eigenheimen posieren kann? Am nächsten Tag ruft Liu die Arbeitskollegin aus dem Chat an. Ein Treffen? Plötzlich hat sie doch keine Zeit. Der chinesische Staat hat längst erkannt, dass die Horden frustrierter Männer, die in die Städte migrieren, ein Problem sind. Was tun mit den Abgehängten auf dem Land, die ohne Perspektive altern? Die Partei will jetzt mehr Kinder, sie organisiert Massendates im ganzen Land, zu denen Hunderte strömen. Sie launcht Datingseiten im Netz und hält romantische Spieleabende auf einsamen Inseln ab. Chefs in staatlichen Betrieben machen für Angestellte ungefragt Dates aus. Es ist auch für Frauen schwer, diesem Heiratsdruck unbeeindruckt standzuhalten, vor allem für jene, die mehr sein wollen als nur eine Ehefrau.»Meine Eltern suchen einen Mann für mich«, sagt Hui Xue peinlich berührt. Sie ist auf einem Heiratsmarkt in Shanghai, auf dem verzweifelte Eltern ihre Singlekinder anbieten. Hui ist 29, sehr hübsch, Wirtschaftswissenschaftlerin. Studiert hat sie in London und den USA, sie jettet für einen Konzern zwischen Europa und China hin und her. Ihre Chancen, einen Ehemann zu finden, stehen trotz des Männerüberschusses schlecht. Für eine Frau ist sie aus chinesischer Sicht zu karriereorientiert. Seit dem Morgengrauen streiten sich rund 500 Mütter und Väter auf dem Heiratsmarkt um die besten Plätze für ihre aufgespannten Regenschirme, auf die sie die Lebensläufe ihrer Kinder geheftet haben. Eine Ärztin sucht einen Partner. Eine Designerin will heiraten. Eine Bankerin sucht die Liebe. Jeder Lebenslauf gleicht einer Topbewerbung. Fast alle Eltern preisen Singletöchter Ende zwanzig an.»shengnü«nennt man sie in China. Restefrauen. Chinesische Eltern investieren oft große Teile ihres Vermögens in die Erziehung ihres Einzelkinds, verhätscheln es als Prinzen oder als Prinzessin. Zufrieden sind sie erst, wenn sie ihr Projekt mit der Vermittlung eines perfekten Ehepartners krönen. Der Besuch auf dem Heiratsmarkt, sagt Hui, diene vor allem dazu, die Eltern zu beruhigen.»meine Familie fragt nach einem Ehemann.«Viele Eltern kommen seit Jahren mit ihren Schirmen, ohne Erfolg. Es tröstet sie, dem Schicksal ihrer Kinder gemeinsam zu begegnen. Die staatlich gelenkte Frauenorganisation All-China Women s Federation hat»restefrauen«als unverheiratete Frauen über 27 Jahren definiert. Mit 25, so die offizielle Meinung, müssten Frauen bereits»kämpfen«. Zwischen 31 und 35 seien sie»hochrangige Restefrauen«. Mit 35 habe die Frau womöglich»ein Luxusapartment, ein Auto und eine Firma«, bleibe aber»übrig«. Mit diesen verbalen Übergriffen will der Staat ausgebil - dete Frauen zum Kinderkriegen animieren. Huis Vater zieht seine Tochter zu der überschaubaren Ecke, in der Söhne präsentiert werden. Ein Arzt erregt die Aufmerksamkeit der Familie. Seine Eckdaten klingen ordentlich, findet der Vater. Verträumt schaut Huis Mutter auf die Schirme. Sie sagt:»eine Heirat bedeutet, dass zwei Familien sich vereinen.«drei Tage später, als der Heiratsmarkt zu Ende ist und Hui wieder im Büro sitzt, ruft sie an. Jetzt, da ihre Eltern nicht zuhören, möchte sie etwas zurechtrücken. Sie sagt:»eine Heirat bedeutet, dass zwei Menschen sich vereinen.«anders als Liu aus dem Flirtkurs und Mr Rich aus der Eliteagentur glaubt sie, dass Gefühle wichtiger seien als Status. Nach Jahrzehnten der Einkindpolitik könne sie als Frau wählen.»ich kann es mir leisten zu warten«, sagt sie.»ich muss mich zu ihm hingezogen fühlen.«hui hat es ihrer Mutter nicht erzählt, aber sie geht zurzeit mit einem Kollegen aus. Ein höflicher Mann, der sie gut behandelt, aber kein Überflieger ist.»ob er für eine Heirat gut genug ist, weiß ich noch nicht«, sagt sie. Ihre Familie müsse mit der Wahl schon einverstanden sein. Am Wochenende seien sie ins Kino gegangen. Es wurde dunkel. Als der Film anfing, küssten sie sich. Video Baggern mit Dr. Love spiegel.de/sp312018china oder in der App DER SPIEGEL 90

91 Aufbruch Analyse Wie der designierte Premierminister Imran Khan nach seinem Wahlsieg Pakistan verändern will E in ehemaliger Kricketstar wird Pakistans neuer Premierminister. Das schien lange unmöglich, nun ist es wahr geworden. Die Wahl wird viel verändern in diesem 210-Millionen-Land, das seit Jahrzehnten unter Terror, Krieg und Korruption leidet.»wir werden dieses Land regieren, wie es noch niemals zuvor regiert wurde«, sagte Imran Khan und kündigte an, niemals den prächtigen Sitz des Premierministers zu beziehen.»in einem Land, in dem so viele arme Leute leben, wäre mir das peinlich.«khan, 65, ehemaliger Playboy, ausgebildet in Oxford, wurde zum Nationalhelden, als er die pakistanische Kricketmannschaft 1992 zum Weltmeister machte. Schon 2013 hatte er für das Amt des Premierministers kandidiert und war gescheitert. Khan hat jetzt gewonnen, auch weil viele junge Pakistaner den Wandel herbeisehnen und eine bessere Regierung. 60 Pro - zent der Pakistaner sind unter 30 Jahren. Sie wollen Teil der globalen Welt sein, und so hat auch die Demografie Khans Sieg ermöglicht. Hinzu kamen die Enthüllungen der Panama Papers, die dem langjährigen Premierminister Nawaz Sharif zum Verhängnis wurden. Der sitzt nun wegen Korruption im Gefängnis und soll nie wieder ein politisches Amt übernehmen können. Das hört sich nach Gerechtigkeit und Fortschritt an. Aber wer dieses Land kennt, der weiß, dass der Ex-Premier nicht da sein müsste, wo er sich heute befindet. Wenn die dunklen Mächte im Hintergrund jemanden an der Spitze halten wollen, fanden Militär und Regierung bisher immer eine Lösung, die Demokratie ausreichend zu verbiegen. Doch die Armee, das wahre Zentrum der Macht in diesem Land, wollte Sharif loswerden. Das Militär mit seinem mächtigen Geheimdienst Inter-Services Intelligence (ISI) beherrscht nach wie vor wesentliche Bereiche der Wirtschaft, der Sicherheits- und Außenpolitik. Sharif fiel in Ungnade, weil er zwei Todsünden begangen hatte: Er wandte sich offenbar gegen die Umarmung von Extremistengruppen durch die Armee. Und er unternahm Annäherungsversuche zu Indien, dem Erzrivalen und direkten Nachbarn Pakistans. Beides beschleunigte sein politisches REHAN KHAN / SHUTTERSTOCK Titelseite einer pakistanischen Zeitung mit Kandidat Khan Ende. Das pakistanische Militär rechtfertigt seine Milliardenausgaben mit der indischen Aggression. Wer will da Frieden? Politisch wird Pakistan seit seiner blutigen Geburt 1947 von zwei Dynastien beherrscht, die sich beim Regieren und Ausplündern des Landes abwechselten, den Bhuttos und den Sharifs. Fast blind folgten viele den politischen Führern, je nach Provinz und Stammeszugehörigkeit. Pakistans Bürger sind trotz der Existenz demokratischer Institutionen politisch weitgehend ohnmächtig. Denn hier gab es keine Umverteilung, das Feudalprinzip wurde nie wirklich gebrochen. So stehen wenige unvorstellbar Reiche einem Millionenheer bitterarmer Menschen gegenüber. Der Staat bietet seinen Bürgern so gut wie keine Dienste. Khan will das ändern. Und das Militär wird ihn dabei wohl gewähren lassen. Warum aber ist der Politiker auch dessen Wunschkandidat? Im Wahlkampf hatte Khan angekündigt, Frieden mit jenen Kräften der pakistanischen Taliban schließen zu wollen, die kein Blut an den Händen haben, und den Antiterrorkrieg der Amerikaner zu stoppen beides sind erklärte Ziele des Militärs. Denn die Extremisten greifen Kasernen der Armee an und töten Soldaten. Die Taliban werfen der Regierung in Islamabad vor, eine unheilige Allianz mit dem Westen eingegangen zu sein und in deren Auftrag die eigenen Leute zu töten. Allerdings biederte sich Khan auch bei den Islamisten an. So verteidigte er das Gesetz, das Gotteslästerern mit Todesstrafe droht offenbar ein Preis für den Sieg. Anders als seinen Vorgängern geht es Khan weniger darum, sich zu bereichern und seine Entourage zu bevorteilen. Und so glauben ihm die Pakistaner, wenn er sagt, er wolle den Kampf gegen die Armut aufnehmen und gegen Korruption kämpfen. Nach dem Krebstod seiner Mutter baute Khan mit Spenden das erste Krebskrankenhaus Pakistans auf, das bis heute Patienten meist kostenlos behandelt. Er selbst lebt zurückgezogen in einem großzügigen Anwesen auf einem Hügel, von dem er aus der Ferne die Hauptstadt sieht. Gebaut hatte er es für sich und Jemima Goldsmith, Tochter eines jüdischen Londoner Milliardärs. Die Verbindung mit der jungen Britin war ein Beleg für seine Weltoffenheit. Dass die Ehe scheiterte und Khan in Pakistan blieb, als seine Frau mit zwei Söhnen zurück nach London ging, zeigte seine Verbundenheit mit dem Land. Imran Khan wird ein ungewöhnlicher Premierminister sein, vielleicht der erste, dem die Lebensqualität der Pakistaner ein ernsthaftes Anliegen ist. Khan dürfte aber auch das ohnehin zerrüttete Verhältnis mit den USA weiter strapazieren. Denn die USA wie die Nato sind in Afghanistan angewiesen auf pakistanische Geheimdienstaufklärung. Und sie brauchen das Land, um Nachschub zu ihren Militärbasen in Afghanistan zu bringen. Schon im Wahlkampf hatte Khan jedoch verkündet, die amerikanische Antiterrorstrategie nicht weiter zu unterstützen. Susanne Koelbl DER SPIEGEL Nr. 31 /

92 Wissenschaft+Technik»So einen Mathematiker wie ihn gibt es nur alle paar Jahrzehnte.«S.94 SCOTT PORTELLI Einen bunten Hochzeitstanz führen diese Tintenfische vor der Südküste Australiens auf. Zur Paarung finden sich die Riesen-Sepien in Gruppen zusammen, begleitet von erbitterten Rivalenkämpfen. Mehrere Stunden lang musste der australische Fotograf Scott Portelli im rund zehn Grad kalten Wasser ausharren, bis die Choreografie stimmte. Früher diente das dunkle Wehrsekret der Kopffüßer zur Färbung von Kleidern oder Fotos. Heute interessieren sich Verhaltensforscher für die intelligenten Mollusken. Tiere Rindviecher im Funkloch Moderne Ortungstechnik soll helfen, Almkühe leise zu überwachen. Schon rund 150 Rindviecher tragen in Oberbayern und Tirol probehalber ein GPS-Halsband als Ergänzung zur traditionellen Kuhglocke. Seit Jahren bereits streiten Bergbauern und Anwohner darüber, wie sich das von empfindlichen Gemütern als störend empfundene Gebimmel abstellen lässt. GPS und Handy wären eine stille Alternative doch die Traditionalisten wollen nicht Kuh mit GPS-Halsband von der Kuhglocke lassen. Im bayerischen Holzkirchen entbrannte darüber jüngst ein heftiger Zank zwischen einer Bäuerin und einem Unternehmer, dessen Gattin vom Blechgeschepper angeblich in die Schlaflosigkeit getrieben wurde. Aber auch den Kühen selbst, so hat eine ver - haltensbiologische Studie ergeben, könnte der Dauerlärm den Appetit verderben und so die Milchproduktion stören. Allerdings wäre es nicht möglich, die Glocken flächendeckend durch digitale Ortungsgeräte zu er - setzen auch heute noch gibt es in den Bergen viele Funklöcher. HIL ANGELIKA WARMUTH / DPA Fußnote lautet die Telefonnummer des ärztlichen Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigungen, vorgesehen für Patienten, die abends oder am Wochenende medizinischen Rat brauchen. Leider ist diese Nummer kaum bekannt mit erheblichen Folgen fürs Gesundheitssystem: Viele Patienten marschieren auch mit kleineren Wehwehchen direkt in die Notfallambulanz der Krankenhäuser, was dort zu Überlastung und langen Wartezeiten führt. 92

93 JUSTIN GRIFFITHS-WILLIAMS Astronomie»Dort oben ein paar Vor-Vorfahren treffen«der Astrobiologe Dirk Schulze-Makuch, 54, über mögliche Spuren von Organismen auf dem Mond SPIEGEL: Laut Ihrer neuen Studie könnte der Erdtrabant früher einmal Leben beherbergt haben. Wie kommen Sie darauf? Schulze-Makuch: Zur Zeit der»apollo«- Mondlandungen dachten viele: Der Mond ist ein toter Fels im All, dort ist es zu trocken für Leben. Aber in den letzten Jahren haben sich die Hinweise verdichtet, dass das nicht immer so war, dass es zweimal feucht genug war auf dem Mond, um flüssiges Wasser auf der Oberfläche und eventuell auch Leben zu ermöglichen: vor rund 4,5 Milliarden und noch einmal vor 3,5 Milliarden Jahren. SPIEGEL: Hätte die kosmische Strahlung damals nicht jegliches Leben zerstört? Schulze-Makuch: Nicht unbedingt, neue Hinweise zeigen, dass der Mond früher ein Magnetfeld hatte, das ihn vor der Strahlung aus dem All schützte. SPIEGEL: Aber wie hätte denn das Leben dort einst hingelangen können? Schulze-Makuch: Möglicherweise kam das Leben von der Erde, quasi als blinder Passagier auf Steinbrocken, die bei einem der zahlreichen Meteoriteneinschläge emporgeschleudert wurden. Früher war uns der Mond viel näher. SPIEGEL: Wo würden Sie auf dem Mond nach fossilen Lebensspuren suchen? Schulze-Makuch: Zunächst in Mondgesteinen zwischen erkal - teten Lavaflüssen, die etwa 3,5 Milliarden Jahre alt sind. Zum anderen im Eis am Mond-Südpol, etwa einen Meter unter der Oberfläche und damit abgeschirmt von der kosmischen Strahlung. SPIEGEL: Woher wollen Sie überhaupt wissen, dass Leben dort einst überleben konnte? Schulze-Makuch: Das wollen wir herausfinden, indem wir etwa Cyanobakterien unter Umweltbedingungen des frühen Mondes im Labor wachsen lassen. Wir bauen gerade einen Mond-Simulator. SPIEGEL: Was könnten wir lernen vom Leben auf dem Mond? Schulze-Makuch: Es könnte Hinweise auf unsere eigene Herkunft geben. Auf der Erde wären solche uralten Lebens formen längst recycelt worden; die im Laufe der Zeit immer lebensfeind - licheren Bedingungen auf dem Mond dagegen hätten die Spuren in Eis oder Stein konserviert, wie ein biologischer Schnappschuss. Wäre es nicht großartig, dort oben ein paar uralte Vor-Vorfahren zu treffen? HIL PETER KOMKA / EPA-EFE / REX / SHUTTERSTOCK? Einwurf Der Sommer unseres Lebens Warum es falsch ist, von gutem oder schlechtem Wetter zu sprechen Die Schreckensmeldungen reißen nicht ab. Wegen der Trockenheit rufen Getreidebauern den Notstand aus. Giftige Blaualgen verseuchen die Binnenseen. Am Flughafen von Hannover sorgen Hitzeschäden dafür, dass die Ferienflieger am Boden bleiben müssen. Bei einem Ed-Sheeran-Konzert brechen Fans mit Kreislaufkollaps zusammen. Im überhitzten Rhein sterben die Fische. Und in Brandenburg stehen plötzlich Kiefernwälder in Flammen (siehe auch Seite 100). Wer in diesen Tagen den Fernseher einschaltet oder Zeitungen liest, kann den Eindruck gewinnen, dass der Weltuntergang unmittelbar bevorsteht. Was kommt da noch alles auf uns zu? Wird das Trinkwasser knapp? Drohen Stromausfälle, weil den Kraftwerken das Kühlwasser ausgeht? Müssen wir alle sterben? Die Miesmacherei nervt zumal es nicht schwerfällt, eine Gegenrechnung aufzumachen. Die Obstbauern im Alten Land und die Winzer an der Mosel erwarten Rekordernten (viel Sonne, keine Nachtfröste im Frühjahr). Zu den Gewinnern gehören auch Getränkehersteller, Eisverkäufer und Freibad - betreiber. Die Solaranlagen auf Hausdächern und Feldern pro - duzieren in diesen Wochen so viel Ökostrom wie noch nie zeitweise leisten sie mehr als 20 Atomkraftwerke. Die Menschen DER SPIEGEL Nr. 31 / sind weniger krank, weil das viele Sonnenlicht das Immunsystem stärkt und gegen Müdigkeit sowie Konzentrationsschwäche hilft. Und viele Deutsche fahren in den Ferien nun lieber an Nord- und Ostsee, statt ans Mittelmeer oder in die Karibik zu fliegen, und ersparen der geschundenen Erdatmosphäre dadurch Megatonnen an Treibhausgasen. Mit dem Wetter verhält es sich nun einmal wie mit einem Glas, das halb voll und halb leer zugleich ist. Wer die Herz- Kreislauf-Toten bei 35 Grad im Schatten betrauert, unterschlägt die Grippetoten im Winter und umgekehrt. Und denselben Nörglern, denen es im vorigen Sommer zu nass war, ist es diesmal zu trocken. Wir sollten endlich damit aufhören, normale Naturereignisse wie Sonne, Wind und Regen moralisch aufzuladen. Es gibt kein gutes oder schlechtes Wetter. Es gibt ja auch keine guten oder schlechten Sonnenuntergänge oder Regenbögen. Warum fällt es vielen Kommentatoren nur so schwer, diesen nicht enden wollenden Sonnen-Sommer des Jahres 2018, der für viele Deutsche zum Sommer ihres Lebens werden könnte, einfach nur zu genießen? Denn eines ist sicher: Der nächste Regen- Sommer kommt bestimmt. Olaf Stampf 93

94 Wissenschaft Mozart der Mathematik Denker Der junge Bonner Zahlentheoretiker Peter Scholze gilt als Favorit für die Fields-Medaille, die höchste Auszeichnung seines Fachs. Scheinbar mühelos löst er abgründige Rätsel nur im Kopf ohne Stift und Papier. Eine Annäherung an ein Jahrhunderttalent. B ei einem Beruferaten wäre er ein schwieriger Kandidat, dieser schweigsame junge Mann. Typ Fahrradkurier. Er könnte auch als Aktivist für Tierrechte durchgehen. Oder als Cellist in einem Streichquartett. In Wahrheit durchmisst Peter Scholze, 30, die entlegensten Sphären der Zahlentheorie. Er ist Mathematiker, und sein Zuhause sind Geistesgebilde, die er selbst erdacht hat. Scholze nennt sie»perfektoide Räume«, die Fachwelt bewundert ihn für sein Werk. Das ist ziemlich hohe Mathematik. Das Publikum hört davon selten und wenn, dann sind es eher Geschichten von weltvergessenen Käuzen, die über obskuren Gleichungen brüten und ihre Fingernägel nicht schneiden. Scholze dagegen, Professor an der Uni Bonn, wird allseits gerühmt als ein Ausbund an Normalität: freundlich, bodenständig und für die Kollegen jederzeit ansprechbar, selbst wenn sie ihm fachlich weit unterlegen sind. Und das gilt wohl so ziemlich für alle Mathematiker seiner Generation. So sieht es der Bonner Experte Michael Rapoport, selbst ein Großmeister des Fachs. Bei ihm stellte sich eines Tages der Abiturient Scholze aus Berlin vor. Rapoport weiß noch, wie er ihn zur Probe ein bisschen gemein»über die Galois-Gruppe der p-adischen Zahlen«aushorchte und siehe da, der Besucher bestand mühelos:»ich war tief beeindruckt.«rapoport übernahm es, den jungen Mann auszubilden; er führte ihn durchs Studium bis zur Promotion.»So einen Mathematiker wie ihn gibt es nur alle paar Jahrzehnte mal«, sagt Scholzes akademischer Lehrer heute.»und damit meine ich, auf der ganzen Welt.«Viel spricht dafür, dass Scholzes Singularität nun auch quasi amtlich beglaubigt wird. Am 1. August wird in Rio de Janeiro nach vier Jahren wieder die Fields-Medaille verliehen, die höchste Auszeichnung der Rechenzunft, eine Art Nobelpreis der Mathematik. Tausende Mathematiker kommen dort zu ihrem Weltkongress zusammen. Auch Peter Scholze fährt hin; er gilt als Favorit. Erst ein Deutscher wurde bislang derart geadelt, und das ist schon eine Weile her bekam Gerd Faltings den Preis, er ist heute Direktor am Bonner Max-Planck- Institut für Mathematik; dort hat seit Kurzem auch Scholze ein Büro, er wurde ebenfalls zum Direktor ernannt. Die beiden sind zudem Nachbarn im Fachgebiet, theoretisch kreuzen sich hie und da ihre Pfade dennoch verkehren 94 Gelehrter Scholze Spaziergang in der Todeszone

95 sie kaum miteinander. Faltings gilt als genialer, mitunter etwas schroffer Sonderling. Als Student war Scholze oft in dessen Vorlesungen und verstand so gut wie nichts.»manchmal habe ich gewagt zu fragen«, erinnert er sich.»faltings schwieg meist ein paar Sekunden und machte dann einfach weiter.«dennoch habe er viel dabei gelernt, sagt Scholze,»irgendwie durch Assimilation«. Man könnte meinen, er habe diese höchst verzwickte Mathematik auf wundersame Weise eingeatmet. So ähnlich muss man sich wohl auch überhaupt Scholzes Aufstieg an die Weltspitze des Fachs erklären. Wie weit der Hochbegabte gekommen ist, scheint ihn selbst zu verblüffen. Mit dem ersten Mathewettbewerb in Berlin, DER SPIEGEL Nr. 31 / an dem er als Schüler teilnahm, ging es schon los:»ich habe da mit Müh und Not ein paar Lösungen hingeschrieben und gleich gewonnen. Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen.«seitdem hat Scholze so ziemlich alles gewonnen, was in Reichweite kam: fünfmal den Bundeswettbewerb Mathematik, drei Goldmedaillen bei internationalen Mathe-Olympiaden, später allerhand renommierte Preise. Mit 24 Jahren war er schon Professor der jüngste in Deutschland. Dem Mann scheint alles zuzufliegen. Sollte er sich zuweilen abmühen, so sieht es keiner. Dabei ist der Denker auf einer Höhe der Abstraktion unterwegs, in der selbst für manche Fachkollegen die Luft VOLKER LANNERT / UNIVERSITÄT BONN zu dünn wird; es ist eine Art Todeszone der Mathematik, die vor allem theoretische Extremkletterer anzieht. Aber Scholze, so scheint es, geht da oben spazieren.»er denkt ungeheuer klar, und er kann sehr schnell den Kern eines Problems erfassen«, sagt Eugen Hellmann, Mathematikprofessor in Münster, der den Kollegen seit vielen Jahren kennt.»als Peter in Bonn zu studieren begann, schrieb ich gerade meine Diplomarbeit. Da war er schon auf meinem Niveau. Und seitdem vergrößert er kontinuierlich den Vorsprung.«Aber noch immer kreist Scholzes Denken um die gewöhnlichen ganzen Zahlen, mit denen der Mensch zu rechnen beginnt: 1, 2, 3 ihre Welt scheint dem Meister unergründlich genug. Je länger man über diese scheinbar simplen Objekte nachdenkt, desto seltsamer die Eigen - schaften, die sie in gewissen Gleichungen offenbaren. Solche Rätsel haben schon den Schüler Scholze fasziniert. Er besuchte das Heinrich-Hertz-Gymnasium im Berliner Stadtteil Friedrichshain, wo man ihn förderte, so gut es ging; bereits zu Zeiten der DDR hat diese Schule große Mathematiker hervorgebracht. Die Lehrer berichten von einem aufgeweckten, umgänglichen Jungen, der in allen Fächern gut war. Aber in den Mathestunden fand er die Muße, nebenher schwierige Fachbücher zu lesen oder an Aufgaben für weit Ältere zu knobeln. Dem Unterricht folgte er nur mit halbem Ohr. Und schon damals schrieb er nie mit. Bis heute macht Scholze fast alles im Kopf, er braucht weder Papier noch Stift. Damit fällt er auch unter den Besten seines Fachs aus der Reihe; kaum einer verzichtet ganz auf Notizen. Scholzes früh verstorbene Kollegin Maryam Mirza kha - ni, geboren in Teheran, bekritzelte riesige Papierbahnen mit Formeln und geometrischen Gebilden. Vor vier Jahren bekam sie als erste Frau eine Fields-Medaille. Bei Mirzakhani gingen Denken, Kritzeln, Betrachten in eins. Die Gedanken mussten aus dem Kopf heraus und Gestalt annehmen. Scholze behält alles drin. Er braucht nicht einmal eine Gedächtnisstütze, wenn Kollegen in Vorträgen neue Theorien vorstellen. Oft ist das sogar für Fachleute strapaziöser Stoff. Wer sich Notizen gemacht hat, kann wenigstens hinterher in Ruhe darüber brüten. Scholze aber sitzt immer nur da und hört zu.»wenn ich mich zwinge mitzuschreiben, kriege ich nichts mit«, sagt er. Es lenke ihn zu sehr ab. Geniale Musiker, die in Klängen und Strukturen zu Hause sind, kennen das vielleicht: Sie hören ein Klavierkonzert und haben es auch schon verstanden. Ein paar Melodien, ein paar Schlüsselmotive genü- 95

96 Wissenschaft 96 gen, um das ganze Stück im Kopf zu behalten. Wer weiß, wie so ein Konzert gebaut ist und wie es klingen sollte, kann es aus wenigen Kernelementen detailgetreu rekonstruieren. Dieses Gespür fürs Wesentliche erkennt der Mathematiker Michael Rapoport auch an seinem begabtesten Schüler. Andere mögen sich mit Tausenden Noten herumschlagen, Scholze hört die Musik. Nicht zufällig erinnert er darin an einen großen Komponisten. Wolfgang Amadeus Mozart schrieb mal an den Vater, seine Oper»Idomeneo«sei schon komponiert, er müsse nur noch alles aufschreiben.»das ist für mich Scholze«, sagt Rapoport. Auch die Leichtigkeit, mit der ihm die Arbeit von der Hand geht, habe sein Schüler mit dem Musikgenie gemein.»und er ist, wie Mozart, immer guter Laune.«Im Panoptikum der großen Mathematiker ist ein solcher Charakter eher selten. Das Grüblerische am Beruf zieht nicht zuallererst Frohnaturen an. Dass die Mitwelt nicht annähernd begreift, was sie tun, ist ebenfalls nicht lustig. In der Abgeschiedenheit des Fachs gedeiht eine Art Resigna - tion, die man für Arroganz halten könnte. Zu Unrecht, glaubt Rapoport:»Es gibt keinen arroganten Mathematiker.«Dafür sei die Arbeit zu hart.»kaum haben wir ein Problem gelöst, türmt sich das nächste auf, an dem wir scheitern«, sagt er.»das ist bei Scholze nicht anders. Auch er wird jederzeit gedemütigt durch diese ungelösten Probleme.«In der Mathematik bilden diese Probleme ein furchterregendes Reich der Finsternis. Alles, was noch nicht bewiesen (oder widerlegt) ist, wartet hier auf Mutige, die sich ins Ungewisse wagen. Hie und da ist das Stockdunkel schwach erhellt von theoretischen Funzeln, Vermutungen genannt: So oder so, besagen sie, könnte die Zahlenwelt hier beschaffen sein. Doch erst ein Beweis kann Klarheit schaffen. Manche Vermutung kam zu Ruhm, weil über Jahrzehnte niemandem so ein Beweis gelang. Aber immer mal wieder schlägt sich ein Mathematiker durch bis ans Ziel und macht das Licht an. Als Student von gerade mal 22 Jahren nahm Peter Scholze eine Vermutung in Angriff, die als»lokale Langlands-Korrespondenz«bekannt ist. Es geht da um sein Spezialgebiet: das Umwandeln von Zahlensystemen in geometrische Gebilde, die leichter zu enträtseln sind. Einen Beweis für die Vermutung gab es bereits: labyrinthisch, umständlich, Hunderte Seiten stark. Scholze fand eine weit bessere Lösung: kurz, klar, einleuchtend.»das war eine Weltsensation«, sagt sein Lehrer Rapoport. So etwas geht nur in der Mathematik. Sonst in der Wissenschaft arbeiten meist viele Forscher zusammen, bis ein Durchbruch geschafft ist vorläufig. Denn die Wahrheit von heute erweist sich oft genug als der Irrtum von morgen. Anders in der Welt der Zahlen: Was hier einmal bewiesen ist, bleibt wahr und gültig für immer. Und sehr oft sind es Einzelne, die sich auf diese Weise verewigen nur durch die Originalität ihres Denkens. Das ist ein enormer Anreiz für Leute, die am liebsten auf eigene Faust arbeiten. Zu ihnen zählt Scholze, der von sich sagt, er sei eben ein»anarchist«, und erst recht ein Einzelgänger wie Gerd Faltings. Auch er war sehr jung, erst 27, als ihm der Beweis der»mordellschen Vermutung«gelang. Großes Glück gehörte ebenfalls dazu, die Vorarbeiten von Kollegen waren schon weit gediehen. Es fehlte noch der Abschluss. Faltings lieferte ihn mit Scholze-Mentor Rapoport»Das war eine Weltsensation«einem spektakulär kurzen Aufsatz von 18 Seiten.»Das ist wie im Fußball«, sagt er heute.»der Torjäger muss da stehen, wo der Ball hinkommt und ihn dann auch rein - machen.«manch ein Kollege steht leider falsch, der Ball kommt nie. Wer sich dann ein anderes Gebiet sucht, hat es erst recht schwer. Allein das Einarbeiten kann Jahre dauern. Und an den meisten ungelösten Problemen, die dort warten, sind andere schon gescheitert. Aber auch der Volltreffer zieht nicht unbedingt weitere Erfolge nach sich. Was soll man nach einer Fields-Medaille noch groß anpacken?»viele, die sie bekamen«, sagt Faltings,»haben danach nicht mehr viel geschafft.«erich MALTER Mathematiker brauchen nur ihren Kopf aber es hilft ihnen auch sonst nichts, kei - ne Messtechnik, kein Apparat. Die pure Geistesathletik kann einen Menschen über die Jahre auszehren. Im Alter um die 40, weiß Faltings, lasse in der Regel die Kraft nach. Dem Kollegen Scholze bleibt bis dahin noch ein Jahrzehnt. Was wäre ihm zu raten?»das braucht er nicht«, sagt Faltings.»Ich habe ja versucht, meine Ideen anzuwenden, und nun sind nur noch die übrig, die nicht funktionieren.«da sei es doch besser, wenn der junge Mann seinen eigenen Weg suche. Scholze braucht einen guten Plan, er muss Aufgaben finden, die noch lange ergiebige, aber lösbare Probleme aufwerfen. Sein Lehrer Michael Rapoport ist da zuversichtlich, wenngleich er die Risiken kennt.»die ganz großen Genies«, sagt er,»nehmen sich gern Sachen vor, an denen sie scheitern.«rapoports eigener Lehrer, der große Pierre Deligne, bekam die Fields-Medaille Auch er hatte seine gefeierten Erfolge, bevor er 40 war.»deligne hat dann versucht, das Problem der algebraischen Zyklen zu verstehen, es ist ungeheuer schwierig, und er hat es nicht geschafft«, sagt Rapoport.»Jetzt ist er 73, und damit steht er jeden Tag auf.«scholze aber hat bisher aus Rapoports Sicht alles richtig gemacht: Er teile sich die Kraft ein, er verkrampfe nicht. Er schreibe eher wenig, dafür gründlich durchdacht und klar im Ausdruck. Seinem Lehrer war es wichtig, dass der Hoch - begabte zudem ein Gefühl für die gute Form entwickelt. Das Gegenbeispiel bietet der Fields- Medaillist von 1986.»Die Arbeiten von Faltings sind extrem verdichtet und undurchsichtig«, sagt Rapoport. Auch darum sei der große Mann nur schwer zu begreifen. Scholze dagegen erklärt sich gern, seine Aufsätze sind gut zu lesen.»das ist auch ein Grund seines Erfolges, die jungen Leute stürzen sich darauf«, sagt Rapoport.»Überall in der Welt, in Peking, in Mumbai, gibt es Seminare über diese perfektoiden Räume. Scholzes Arbeiten kann jeder mathematisch Gebildete verstehen.«so ein Talent für Klarheit kommt gerade recht in einem Fach, das ein wenig unter dem Nimbus des Unzugänglichen und Verstiegenen leidet und nicht immer ganz zu Unrecht. Die Mathematik sei im Wesentlichen gar keine komplizierte Wissenschaft, versichert Rapoport.»Die großen Erkenntnisse sind alle einfach, und bei Scholze ist das auch so«, sagt er.»bei allem, was er gemacht hat, gibt es einen Moment, wo man denkt, mein Gott, was für eine einfache Idee.«Manfred Dworschak

97 Türklinken für Hitler Zeitgeschichte Zu Kriegsbeginn fehlten den Nazis strategisch wichtige Metalle. Doch dann griffen die Machthaber zu ungewöhnlichen Mitteln. D er Zweite Weltkrieg hatte noch gar nicht begonnen, da sagte ihm der britische Geheimdienst bereits ein baldiges Ende voraus. Innerhalb von 15 bis 18 Monaten werde die deutsche Kriegswirtschaft im Falle einer Blockade kollabieren, mutmaßten die Agenten im Dienste Seiner Majestät. Der Grund für diese optimistische Pro - gnose: die schlechte Versorgungslage des Nazireichs mit kriegswichtigen Metallen wie Kupfer und Zinn. Bekanntlich kam es anders. Der deutsche Historiker Jonas Scherner von der Technisch-Naturwissenschaft - lichen Universität Norwegen hat nun im Detail aufgearbeitet, aus welchen Gründen die Briten die Situation derart falsch einschätzten. In den»vierteljahrsheften für Zeitgeschichte«schildert der Forscher beispielsweise, wie die Nationalsozialisten in Zügen Gepäcknetze aus Buntmetall, Hinweisschilder und Seifenspender in Waggontoiletten abmontieren und einschmelzen ließen, um Engpässen bei den begehrten Rohstoffen vorzubeugen. Ohne diese Metalle wäre es in der Tat nicht möglich gewesen, Krieg zu führen: Kupfer war unverzichtbar, um Geschosse herzustellen; Zinn wurde sowohl für Zünder gebraucht als auch für Konserven, mit denen die Soldaten der Wehrmacht verpflegt wurden. Verblüffend genug: Adolf Hitler trieb offenbar die panische Sorge, die Bevölkerung könnte rebellieren, wenn Metall aus privaten Beständen beschlagnahmt würde. Um die Privathaushalte zu schonen, ließ der Diktator ab 1942 daher zunächst sämtliche vorhandenen Metallgegenstände in öffentlichen Gebäuden und den Parteiräumen der NSDAP inventarisieren vom Fenstergriff bis zur Türklinke. Ausgenommen waren nur Büsten, die den obersten Nazi und andere Parteigrößen nachbildeten. Weil sich die knappen deutschen Ressourcen auf scheinbar so wundersame Weise vermehrt hatten, war in englischen Wirtschaftsberichten vom»deutschen Metallwunder«die Rede. Nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 hatte Großbritannien DER SPIEGEL Nr. 31 / Metallsammlung in Berlin 1940: Mit Spenden gegen die Seeblockade eine Seeblockade errichtet, die Deutschland von der Zufuhr aus Übersee abschneiden sollte. Nun fiel auch Hitlers Getreuen auf, dass die Vorräte an Kupfer und Zinn bedenklich knapp werden konnten. Davon sollten die Alliierten aber nichts erfahren. Überdies durfte die Bevölkerung we - gen des besorgniserregenden Mangels an kriegswichtigen Rohstoffen nicht in Un - ruhe geraten. Mit einer geschickten Inszenierung hätten die Nazis die Notlage verschleiert, schreibt Historiker Scherner. Sie erfanden die freiwillige Spende entbehr - licher Gegenstände wie Türschilder, Trinkgefäße und Kerzenhalter als Geschenk an den Diktator zu dessen 51. Geburtstag am 20. April Mit Urkunden, auf denen die Spender namentlich genannt wurden, befeuerte Propagandaminister Joseph Goebbels die Geberlaune der Deutschen. Mitunter trugen allzu enthusiastische Spender sogar kunsthistorisch wertvolle Gegenstände zu den Sammelstellen. Ein Mangel an Sortierern und Fachkräften in den Schmelzereien verhinderte allerdings, dass die Spenden schnell zu ihrem Ziel gelangten. Zudem fehlten Handwerker, um etwa Kronleuchter und andere Metallgegenstände in den Privathaushalten abzumontieren. Viele Geschenke trafen daher erst nach Hitlers Ehrentag ein. Besonders heikel gestaltete sich für die Nazis der Rückgriff auf eine Zinnquelle, die bereits im Ersten Weltkrieg von großer Bedeutung gewesen war: Damals waren Glocken aus den Kirchen beschlagnahmt worden, aber nur wenige davon eingeschmolzen. Gläubige leisteten teils erbitterten Widerstand, als das Geläut von kaiserlichen Beamten abgehängt wurde. Dass etliche Glocken auf Sammelplätzen verrotteten, fachte den Volkszorn zusätzlich an. Besessen von der Idee, dass der Erste Weltkrieg an der Heimatfront verloren worden sei, wollte Adolf Hitler diesmal Unmut in der Bevölkerung um jeden Preis vermeiden. Immer wieder schob der braune Despot deshalb den Plan auf, die Glocken beschlagnahmen zu lassen. Schließlich geriet er in dieser Frage sogar mit seinem Propagandaminister aneinander. Goebbels wollte die Zwangsabgabe zunächst im Reich eintreiben lassen; Hitler befahl indes, die Kirchen in den besetzten Gebieten zu plündern eine Order, die prompt für Aufruhr sorgte. Der zuständige Militärbefehlshaber in Frankreich warnte, die Aktion ließe sich gegen die Franzosen nur mit»schärfsten Zwangsmaßnahmen«durchführen; daraufhin machten die braunen Besatzer auch in Belgien und in den Niederlanden einen Rückzieher. Erst der Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 zwang die Machthaber dazu, die Gotteshäuser an der Heimatfront zu plündern. Insgesamt ließen die Nazis Glocken beschlagnahmen und zum Großteil wohl auch einschmelzen. Am Ende hatten die Erfüllungsgehilfen sogar weit mehr Kupfer und Zinn zu - sammengerafft, als benötigt wurde. Jonas Scherner wertet dies als frühes Zeichen für die drohende Niederlage. Das überflüssige Anhäufen von Ressourcen, so der Historiker, sei»ein Indikator für die strategische Ratlosigkeit«. Frank Thadeusz 97 HEINRICH HOFFMANN / PICTURE ALLIANCE / ULLSTEIN BILD

98 Wissenschaft Jungbrunnen aus dem Labor Medizin In Mäuseversuchen ist es Forschern gelungen, das Altern zu verlangsamen: Mit neuartigen Medikamenten gehen sie gegen Zombie-Zellen vor, die zur Vergreisung des Körpers führen. J ames Kirkland hat es satt, nach neuen Mitteln gegen Inkontinenz Ausschau zu halten. Er mag nicht länger über bessere Seh- oder Gehhilfen nachdenken. Kirkland ist Mediziner an der Mayo Clinic in Rochester (US-Bundesstaat Minnesota). Inmitten der horizontweiten Maisfelder des Mittleren Westens gelegen, ist dies eine der weltweit führenden Forschungskliniken, in der die meisten Altersmediziner des Landes arbeiten. Dort leitet Kirkland das Kogod-Zentrum des Alters. Die meisten von Kirklands Patienten leiden unter vier, fünf oder noch mehr Krankheiten zugleich, viele schlucken täglich mehr als ein Dutzend Medikamente. Die Aufgabe eines Arztes gleicht da einer Sisyphusarbeit:»Wenn wir ein Leiden in den Griff gekriegt haben, stirbt uns der Patient kurz darauf am nächsten«, sagt Kirkland frustriert. Der Mayo-Forscher möchte deshalb einen grundlegend anderen Weg beschreiten: Statt die Leiden des Alters zu behandeln, will er das Altern selbst anpacken. Er betritt damit ein boomendes Forschungsfeld, und er verfolgt einen vielversprechenden Ansatz. Kirkland hofft, nicht nur den Prozess des Alterns besser zu verstehen, sondern auch, ihn bremsen, ja womöglich sogar umkehren zu können. Kirkland möchte das Übel des Alterns mit Zellgiften gleichsam aus dem Körper spülen. Zumindest bei Mäusen, das hat er soeben nachgewiesen, funktioniert das schon erstaunlich gut. Alles begann vor 18 Jahren mit einer Überraschung in einem anderen Labor der Mayo Clinic. Jan van Deursen, ein Onkologe, verfolgte damals eine gängige Theorie, der zufolge Krebs als Folge von Fehlern bei der Zellteilung entstehe. Um sie zu überprüfen, stellte der Forscher Mäuse mit einer bestimmten Art von Chromosomenanomalie her. Doch statt Tumoren zu bilden, zeigten die Tiere ein ganz anderes Leiden: Sie alterten im Zeitraffertempo. Schon nach wenigen Monaten lichtete sich ihr Fell, die Augenlinsen trübten sich. Bald darauf waren die Tiere tot. Bei der Autopsie glaubte van Deursen, die Organe von Mäusegreisen vor sich zu haben. Der Forscher stellte fest, dass im Gewebe dieser Tiere ein Zelltypus mit eigen - 98 Bei vielen Alterskrankheiten sind sogenannte seneszente Zellen am Krankheitsgeschehen beteiligt: Diese sind defekt und unfähig, sich weiter zu teilen. Vom Immunsystem werden sie, vornehmlich in der zweiten Lebenshälfte, oft nicht mehr erkannt und beseitigt. Alzheimer Glaukom Makuladegeneration idiopathische Lungenfibrose Arthrose (Gelenkknorpelschwund) Knochenschwund Quelle: Nature Reviews Drug Discovery Diabetes mellitus Typ 2 chronisch entzündliche Darmerkrankungen Haarausfall Bluthochdruck Arteriosklerose Sarkopenie (altersbedingter Muskelabbau bei gleichzeitiger Zunahme der Fettmasse) artigen Eigenschaften vorherrschte. Eigentlich sind diese Zellen ans natürliche Ende ihres Lebens gelangt, doch statt zu sterben, vegetieren sie gleichsam als Untote fort. Sie verzehren nach wie vor Nährstoffe, ihre Dienste für den Organismus aber haben sie weitgehend eingestellt und ihre Fähigkeit, sich zu teilen, verloren.»seneszent«, gealtert, werden sie von den Forschern genannt. Van Deursen war schon damals überzeugt davon, etwas Großem auf der Spur zu sein und dies umso mehr, als er nach seiner Entdeckung erfuhr, dass Mediziner in Großbritannien von Kindern mit einer seltenen Chromosomenanomalie berichteten. Die Betroffenen litten an einer Form von vorzeitiger Alterung, die der - jenigen der Mäuse an der Mayo Clinic ähnelte. In der Forscherwelt stieß van Deursen anfangs trotzdem auf wenig Interesse. Dass auch Zellen altern, war seit Langem bekannt. Dass diese zelluläre Seneszenz aber das Altern des ganzen Organismus befördert, wollte kaum einer glauben. Der Durchbruch kam im Jahr Van Deursen war ein elegantes Experiment gelungen: Er hatte die seneszenten Zellen in seinen schnell alternden Mäusen mit molekularen Todesschaltern versehen, die er nach Wunsch betätigen konnte. Und tatsächlich: Kaum hatte er die Zombies unter den Zellen ausgetilgt, verlangsamte sich der Alterungsprozess der Mäuse deutlich. Erstmals hatte van Deursen auf diese Weise bewiesen, dass das Abtöten seneszenter Zellen heilsame Wirkung haben kann. Diesmal war die Zeit reif für van Deursens Botschaft, die»new York Times«druckte ein Porträt über ihn auf der Titelseite.»Das war der Zeitpunkt, als Ned sich bei mir meldete«, erzählt van Deursen. Nathaniel (»Ned«) David ging schon damals ein gewisser Ruf im Silicon Valley voraus. Er hatte vier Techfirmen mitgegründet und dafür rund eine Milliarde Dollar bei Investoren eingeworben. Nun, so verkündete David dem überrumpelten Mayo- Forscher, wolle er sein fünftes Unternehmen gründen. Es wurde»unity Biotechnology«daraus, mit dem erklärten Ziel,»eine Zukunft, in der das Altern nicht schmerzt«, möglich zu machen.

99 DER SPIEGEL Nr. 31 / Biotechpionier David Trendsetter für ein längeres Leben Bis dahin war Davids größter Erfolg ein Mittel, das Fettzellen dahinschmelzen und auf diese Weise Doppelkinne verschwinden ließ. Das war gut fürs Geschäft gewesen, doch diesmal, meinte David, wolle er etwas schaffen, das auch gut für die Menschheit sei. Der Kampf gegen das Alter schien ihm genau das Richtige dafür. Van Deursen war beeindruckt von dem Mut, mit dem sich der Firmengründer ans Werk machte.»wir hatten ja nur gezeigt, dass das Abtöten seneszenter Zellen gegen vorzeitige Vergreisung hilft«, sagt er.»niemand wusste damals, was das für den normalen Alterungsprozess bedeutet.«außerdem war kein Mittel bekannt, mit dem sich die gealterten Zellen aus dem Körper eines Patienten hätten entfernen lassen. Mit einem Selbstmordschalter, wie bei den transgenen Mäusen, konnten die Forscher sie ja schlecht ausstatten. Inzwischen, nur sieben Jahre später, ist Unity weiter vorangekommen, als es sich van Deursen je hätte vorstellen können. In einer ersten klinischen Studie wurde bereits ein Patient behandelt, der an Kniearthrose leidet.»meine größte Sorge ist, dass es zu schnell geht«, sagt van Deursen. Falls es zu unerwarteten Nebenwirkungen kommen sollte, könnte sie dies weit zurückwerfen. Im Silicon Valley hat David mit Unity einen Nerv getroffen. Die Firma gilt als Trendsetter, der Kampf gegen das Alter ist inzwischen zur Mode geworden: Google etwa steckte eine Milliarde Dollar in Calico, ein Unternehmen, das den Menschen ein»gesünderes und längeres Leben«verspricht; die Firma Alkahest versucht, das Gedächtnis von Alzheimer - kranken durch Blutplasma junger Spender vor dem Verfall zu bewahren; und Hedgefonds-Manager Joon Yun lobte einen Millionenpreis für denjenigen aus, der»den Code des Lebens zu knacken und das Altern zu heilen«vermag. Ganz so kühne Versprechen machen David, van Deursen und Kirkland zwar nicht. Doch haben sie in den vergangenen Jahren eine Fülle an Daten zusammengetragen, die dafür sprechen, dass die Seneszenz der Zellen ein Motor vieler Alters - leiden ist. Und sie haben besser ver - standen, wie diese Zellen ihre unheilvolle Wirkung ausüben. Zur Bildung der zellulären Zombies kommt es demnach, wenn das Selbstmordprogramm am Ende des Zelllebens versagt. Im Körper junger Menschen finden sich nur sehr vereinzelt solche gealterten Zellen, denn die Patrouillen des Immunsystems löschen sie zuverlässig aus. Erst ab einem Alter von etwa 60 Jahren, wenn die Immunabwehr zu schwächeln beginnt, steigt die Zahl der seneszenten Zellen rapide. Diese entwickeln obendrein die Fähigkeit, andere, noch gesunde Zellen gleichsam zu infizieren. Wie eine Seuche geht dann das Zombiealtern unter den Zellen um. Je genauer die Forscher die unheim - lichen zellulären Greise untersuchen, desto mehr Varianten finden sie. Eines aber ist allen gemein: Sie sondern einen toxischen Cocktail biochemischer Substanzen ab. Sie schaden dabei dem Körper, der sie nährt. Denn es handelt sich überwiegend um Zytokine und Wachstumsfaktoren, die das Immunsystem auf den Plan rufen. Die Folge ist eine Abwehrreaktion des Körpers, wo es eigentlich nichts abzuwehren gibt eine chronische Entzündung, wie sie charakteristisch für viele Altersleiden ist. Egal ob Arthritis, Diabetes, Arteriosklerose oder Alzheimer: Sie alle gehen mit chronischen Entzündungen einher. Doch ist es möglich, die seneszenten Übeltäter gezielt auszumerzen und so ihrem Unwesen ein Ende zu bereiten? Mayo-Forscher Kirkland ist dieser Frage nachgegangen, und seine Antwort lautet: Ja, es geht. Der Geriater hat dazu die Tricks studiert, mit denen sich die zellulären Greise dem Tod entziehen, der eigentlich das für sie bestimmte Schicksal ist.»wir haben sechs spezifische Signalwege der seneszenten Zellen beschrieben«, sagt Kirkland. Dann suchte der Forscher nach Wirkstoffen, die gezielt diese Signalketten stören. Mehr als ein Dutzend solcher sogenannter Seno - lytika sind mittlerweile bekannt. Das Gute an ihnen ist, dass es ausreicht, die Zellen diesen Stoffen nur kurz auszusetzen:»wenn erst einmal das Selbstmordprogramm angeschaltet ist, dann erledigen die Zellen den Rest allein«, so Kirkland. Gerade hat der Forscher in»nature Medicine«das Ergebnis von Experimenten verkündet, bei denen er hochbetagten Mäusen einen Cocktail aus zwei seiner Senolytika verabreichte. Auf diese Weise, so berichtet er, habe er den Nagern den Lebensabend um rund ein Drittel verlängern können. Auch mit ersten vorsichtigen Tests am Menschen hat Mayo-Forscher Kirkland bereits begonnen. Einer kleinen Gruppe von Nierenkranken hat er Senolytika verabreicht und will nun feststellen, ob sich ihr Zustand bessert. Kirkland betritt damit Neuland der Arzneimittelentwicklung. Denn normalerweise wird in einer klinischen Studie stets nur die Wirksamkeit eines Mittels gegen ein wohldefiniertes Leiden untersucht. Kirkland jedoch will untersuchen, ob Senolytika die Gesundheit geriatrischer Patienten insgesamt länger aufrechterhalten. Um den formalen Richtlinien zu genügen, messen die Mayo-Forscher vor allem die Nierenwerte ihrer Patienten. Gleichzeitig aber protokollieren sie die Gebrechlichkeit der Personen, den Abbau und die Neubildung von Knochenzellen sowie die Insulin-Resistenz des Körpergewebes. Allesamt sind dies Indikatoren des Alterungsprozesses. Vorerst will Kirkland seine Studie allerdings noch als sehr experimentell verstanden wissen. Auf keinen Fall möchte er mit voreiligen Verheißungen die Anti- Aging-Generation zu Selbstversuchen animieren:»niemand sollte Senolytika auf eigene Faust ausprobieren«, warnt er. Johann Grolle TIMOTHY ARCHIBALD 99

100 Wissenschaft VALERIE GACHE / AFP Feuerwehrleute, Freiwillige im Kampf gegen Wildfeuer bei Athen:»Ausdruck des Auseinanderdriftens der griechischen GesellschaftIch bin Pyromantiker«Umwelt Der Feuerökologe und Historiker Stephen Pyne erklärt, wie der Mensch wieder lernen kann, mit Waldbränden zu leben und warum wir mehr gute Flammen brauchen. Pyne, 69, ist Professor an der Arizona State University und Autor mehrerer Standardwerke über Waldbrände, deren Bedeutung und Bekämpfung. SPIEGEL: Von Schweden bis Griechenland in Europa brennen die Wälder. Liegt das nur am ungewöhnlich trockenen Sommer? Pyne: Durch die lange Dürreperiode in diesem Jahr steigt natürlich das Risiko stark an. Aber viele Feuer entstehen letztlich erst durch Menschenhand. SPIEGEL: Wie das? Pyne: In Griechenland etwa ist Brandstiftung weit verbreitet. Waldbrände dienen dazu, Land für den Bau neuer Häuser zu gewinnen. Aber im Mittelmeerraum brechen im Hoch- und Spätsommer auch immer wieder Wildfeuer aus, angefacht von starken Winden. SPIEGEL: Warum waren diese Flächenbrände in Griechenland dann diesmal so verheerend, dass mehr als 80 Menschen in den Flammen umkamen? Pyne: Mit der Schuldenkrise wurden die Feuerwehren umstrukturiert und geschwächt. Vor allem auf dem Land sind sie nicht mehr stark genug, um große Brände wirksam zu bekämpfen. Und es könnte noch schlimmer kommen: Als Folge der Landflucht werden viele Agrarflächen nicht mehr genutzt, in den Brachen sammelt sich brennbare Biomasse an. Dann reicht schon ein Funke, und alles geht in Flammen auf. Unkontrollierte Wildfeuer sind also auch ein Ausdruck des Auseinanderdriftens der griechischen Gesellschaft. SPIEGEL: Schweden hat eine starke Wirtschaft und ein solides Sozialsystem. Dennoch loderten dort mehr als 50 Waldbrände. Feuerwehrleute aus Deutschland, Polen oder Italien leisten Katastrophenhilfe. Pyne: Ja, die Feuer in Schweden sind tatsächlich eine Ausnahmeerscheinung. Im Norden Europas treffen derzeit eine seltene Dürre und viele Trockengewitter zusammen, mit Blitzen, aber ohne Regen. SPIEGEL: In Deutschland herrscht derzeit in vielen Regionen ebenfalls die höchste Waldbrandstufe drohen bei uns ähnliche Feuersbrünste? Pyne: Das kann man natürlich nie ausschließen. Was aber dagegenspricht: Deutschland liegt klimatisch in der gemäßigten Zone. Unkontrollierbare, riesige Flächenbrände sind unwahrscheinlicher, und auch Trockengewitter wie in Schweden treten extrem selten auf. Vor allem aber: Deutschland ist dicht besiedelt, die Landschaft wird intensiv gepflegt, die Feuerwehren sind meist schnell vor Ort und können Brände löschen, bevor sie sich unkontrolliert ausbreiten. 100

101 TT NEWS AGENCY / REUTERS Hubschraubereinsatz gegen Waldbrände in Schweden:»Trockengewitter mit Blitzen, aber ohne Regen«SPIEGEL: Dramatisch sind die Feuer in diesem Sommer ebenfalls in Kalifornien, sogar der Yosemite-Nationalpark muss - te teilweise für Besucher geschlossen werden. Pyne: In Kalifornien traten Waldbrände schon lange vor der Besiedelung durch den Menschen auf, sie gehören zu dieser Landschaft einfach dazu. Heutzutage entstehen die Feuer häufig durch oberirdische Stromleitungen, die Funken schlagen und hochwachsendes Gras in Brand setzen. Es gibt bereits Forderungen, die Stromleitungen bei starkem Wind abzuschalten. Aber dann drohen den Stromversorgern Schadensersatzprozesse, weil deren Kunden auf Internet und Klimaanlagen angewiesen sind. SPIEGEL: Der Ausweg? Pyne: Nun, wir müssen uns auf kollektive Regeln einigen, zum Beispiel auf bessere Bauvorschriften. In Kalifornien sind es oft nicht die Flammen selbst, die Häuser direkt in Brand stecken, sondern eher die Funken, die durch Lücken im Dach in den Dachstuhl geweht werden und das Gebälk anzünden. Oft würde es schon reichen, Häuser besser gegen Funkenflug abzudichten. DER SPIEGEL Nr. 31 / SPIEGEL: Ist es nicht ohnehin riskant, Ferienhäuser mitten in einem Wald zu errichten? Pyne: Schon, aber auch hier können klare Regeln das Risiko verringern. So sollte jedes Haus von einer Sicherheitszone umgeben sein, die frei von brennbaren Sträuchern und Bäumen ist. Über dieses Wissen verfügten schon die alten Germanen. Nur hassen Menschen heute jede Form von Vorschriften und wundern sich dann, wenn es zum Inferno kommt. Wir müssen wieder lernen, uns auf Feuer vorzubereiten wie auf Regen oder Schnee. SPIEGEL: Woher kommt Ihr Interesse an Feuerkatastrophen? Pyne: Mit 18 Jahren fing ich an, bei der Waldbrandwehr am Grand Canyon zu jobben, ich blieb 15 Jahre dabei. Nächtelang quatschten wir am Lagerfeuer über unsere Erlebnisse. Aus der Praxis wussten wir alle: Jedes Feuer hat eine eigene Persönlichkeit, manche donnern laut und wütend, andere schleichen sich heimtückisch an. Durch diese Erlebnisse wurde ich ein Feuerhistoriker; ich bin zwar kein Pyromane, aber ein Pyromantiker. SPIEGEL: Sind die starken Waldbrände in diesem Jahr für Sie eine neue Erfahrung? Pyne: Überhaupt nicht. Ich finde es eher frustrierend, dass Gesellschaft und Medien in jedem Sommer wieder so tun, als kämen die Waldbrände überraschend. Wir müssen akzeptieren: Feuer sind Teil unseres Planeten. Je hysterischer wir jeden kleinen Brand in der Wildnis verhindern, desto mehr entflammbares Unterholz sammelt sich an und desto unbeherrschbarer wird das Inferno, wenn dann doch einmal ein Blitz einschlägt. Das nenne ich schlechtes Feuer. SPIEGEL: Gibt es denn auch gutes Feuer? Pyne: Ja, in Florida zum Beispiel wird das kontrollierte Abbrennen praktiziert. Jedes Jahr werden rund eine Million Hektar Wald und Buschland abgefackelt; das regeneriert die Landschaft und erhöht die Artenvielfalt. Auch die Prärie im Mittleren Westen wurde von den amerikanischen Ureinwohnern einst durch kontrolliertes Abbrennen offen gehalten, sonst wäre diese Kulturlandschaft schnell wieder verbuscht. Schon aus ökologischen Gründen brauchen wir mehr von diesem guten Feuer. Und es schützt uns auch vor unkontrollierten Bränden, die dann leider immer wieder Menschenleben kosten wie jetzt. Interview: Hilmar Schmundt 101

102 Kultur»Auch das Kopftuch war kein Problem, solange nur die Putzfrau eins trug.«s.104 Szene aus»the Handmaid s Tale«GEORGE KRAYCHYK / HULU Serien Mägde und Knechte Der Roman ist mehr als 30 Jahre alt und wirkt doch beunruhigend zeitgemäß. In»The Handmaid s Tale Der Report der Magd«hat die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood eine düstere Vision entworfen: Sie beschreibt die USA als religiösfundamentalistische Diktatur, in der Frauen brutal unterdrückt und als Gebärmaschinen versklavt werden. Im vergangenen Jahr wurde»the Handmaid s Tale«als Fernsehserie verfilmt; wer wollte, konnte sie als Kommentar verstehen, als Warnung vor Donald Trump, der einst mit frauenfeindlichen Sprüchen (»Grab em by the pussy«) geprotzt hatte. Die Serie werde vermarktet,»als wäre bereits das Gucken ein politischer Akt«, analysierte die»new York Times«.»The Handmaid s Tale«gewann viele Preise, darunter Golden Globes und Emmys. Für die zweite Staffel (ab 2. August bei Entertain TV, dem Streamingdienst der Telekom) mussten die Macher nun ohne Atwoods weitgehend auserzählte Romanvorlage auskommen. Deshalb geht die Geschichte einfach weiter, perfekt stilisierter Horror in Serie, ohne dass inhaltlich viel Neues passiert: Die Magd June (Elisabeth Moss, heraus - ragend) sucht noch immer Verbündete für ihren Kampf gegen die Unterdrücker, sie bangt weiter um ihre Tochter, die ihr mit Gewalt entzogen wurde. Und wieder kann man Parallelen zur Wirklichkeit entdecken: zu den Familiendramen, die sich an der amerikanisch-mexikanischen Grenze abspielen. MWO Autoren»Hitler ist so lange totich wollte es so wahr wie möglich aufschreiben«, sagt Judith Kerr. Wie es damals, Anfang der Dreißigerjahre, für ein neunjähriges Mädchen war, in Berlin zu leben. Mit einem berühmten Journalisten als Vater, der ständig ins Theater ging, mit einer Mutter, die hingebungsvoll auf einem Blüthner-Flügel spielte, einem Hausmädchen und Rodelausflügen in den Grunewald. Als im Januar 1933 ein Mann 102 mit gestutztem, schwarzem Schnurrbart zum Reichskanzler ernannt wurde, setzte sich Kerrs Vater Alfred über Nacht nach Prag ab. Die Familie folgte ihm ins Exil, sie lebte in der Schweiz, in Paris, schließlich in London. Kerrs großartiger autobiografischer Jugendroman»Als Hitler das rosa Kaninchen stahl«wird nun verfilmt. Die Oscarpreisträgerin Caroline Link hat bereits mit den Dreharbeiten begonnen, geplanter Kinostart: Ende 2019.»Immer wieder dieser Hitler. Der ist doch schon so lange tot«, sagte Kerr vor zwei Jahren in London (SPIEGEL 37/2016). Sie ist mittlerweile eine hochbetagte Dame, 95 Jahre alt. Das Buch schrieb sie, weil sie ihren Kindern nahebringen wollte, wie sie selbst aufgewachsen ist, und weil ihr Sohn und ihre Tochter mehr über die Groß - eltern erfahren sollten.»als Hitler das rosa Kaninchen stahl«erschien 1973 und hat bis heute nichts von seiner Lebendigkeit eingebüßt, es berührt einen nach wie vor. Nur Judith Kerr staunt ein wenig über das nicht nachlassende Interesse an der Geschichte ihrer Kindheit. CLV DER SPIEGEL Nr. 31 /

103 Debatte Absichtlich nackt Spinnt Facebook? Oder woran liegt es, dass sich der Konzern in diesen Tagen gleich zweimal blamiert hat und damit Entrüstung auslöste, aber auch zu einer wunderbaren Satireaktion inspirierte? Da ist zum einen das bizarre Interview von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg über Hass und Hetze im Netz. Konkret: über Facebooks Umgang mit Ho - locaustleugnern.»ich glaube nicht, dass unsere Plattform das löschen sollte«, sagte Zuckerberg. Er denke nicht, dass Holocaustleugner»absichtlich falsche Aussagen machen«. Das Internationale Auschwitz Komitee, der Zentralrat der Juden und Außenminister Heiko Maas protestierten, der Kino Heiliger Konfusius PARAMOUNT PICTURES ALAMY / MAURITIUS IMAGES Rubens-Werk»Adam und Eva«, um 1598 Cruise in»mission Impossible Fallout«Literaturverlag Schöffling kündigte an, Facebook künftig boykottieren zu wol len. Doch der Konzern ist sehr wohl in der Lage, missliebige Inhalte zu löschen. Jetzt traf es Peter Paul Rubens, den flämischen Barock - maler. Die Werbung des Rubenshaus-Museums in Antwerpen wurde bei Facebook ausgeblendet: wegen absichtlich nackter Brüste auf den 400 Jahre alten Gemälden. Das Museum wehrte sich mit einer Satire, Motto:»Die nackte Wahrheit«. Wächter in Uniform, sogenannte Social-Media-Inspektoren, vertreiben Be - sucher, die sich die einschlägigen Bilder an - sehen wollen,»zu ihrer eigenen Sicherheit«. Das Video der Aktion ist im Netz ein Hit, man kann es teilen. Sogar bei Facebook. MWO Die Welt der Geheimdienste ist sehr unübersichtlich geworden. Wer für wen arbeitet, wer wen hackt oder vergiftet, ist für den Laien immer schwerer zu beurteilen. Der neue Thriller der Agentenreihe»Mission Impossible«, Untertitel»Fallout«, könnte für Klarheit sorgen, schließlich handelt er von der Kooperation und Gegnerschaft zahlloser Geheimdienste. Doch tatsächlich sorgt er für noch mehr Verwirrung. Das Drehbuch ist ein großes Kuddelmuddel, bei dem der heilige Konfusius Pate gestanden haben muss. Hauptdarsteller Tom Cruise, 56, kämpft sich wacker durch die mäandernde Handlung. In zahlreichen Actionszenen, die kein Ende nehmen wollen, beweist er erstaunliche Agilität. Bei einem der Stunts brach sich Cruise einen Knöchel. Leider ist der von Christopher McQuarrie inszenierte Film mit seinen zweieinhalb Stunden etwas zu lang, um als Ü-50-Ertüch - tigungsvideo durchzugehen. Selten zuvor wurde ein Film mit einer so dünnen Handlung so sehr gestreckt. Als Pizza wäre»fallout«ein Kunstwerk (Kinostart: 2. August). LOB Nils Minkmar Zur Zeit Auf Sand gebaut Früher versprach die katholische Kirche den Seelenfrieden, heute übernimmt das die Werbung für Medikamente, Versicherungen und Geldanlagen. Sie lockt mit Bildern von Paaren am Strand. Der glatte, helle Meeressaum ist die letzte Utopie. Für das real existierende Strandleben ist der Mensch allerdings nicht geschaffen, denn es gibt dort weder Trinkwasser noch Schatten, für das leichte Leben muss man schwer packen. Manch einer optimiert das Stranderlebnis, indem er Schatten herstellt, einen Windschutz aufbaut und sich mit feinen Matten vor Sand schützt. Wenn er noch den Blick aufs Meer durchs Studium seines Tablets ignoriert, mag er sich geborgen fühlen wie in der heimischen Garage. Jeder Strandbesucher kennt folgendes Drama: Jemand benutzt ein Handtuch, verursacht so einen kleinen Sandsturm, der den Nachbarn zu hef - tiger Beschwerde motiviert. Sand ist am Strand eine Quelle permanenter Konflikte unter Menschen, die große Mühen auf sich genommen haben, um einen Sandstrand zu erreichen. Am Strand gelten keine Hausordnungen, es herrscht Anarchie. Die Obrigkeit wird auf ihre edelste Aufgabe reduziert: Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren. Am Strand, mit dem in der Werbung so viel versprochen, so viel verkauft wird, sind Statussymbole gefährdet und schnell lächerlich. Smartphones, edle Schuhe und Geld haben hier nichts verloren, es ist ein zweckfreies, halb nacktes Herumgeliege, das einen Brueghel inspiriert hätte, wenn er denn eine Badehose gehabt hätte. Einzige Ausnahme sind Autoschlüssel, die sollte man mitbringen, denn nach denen ist jeder Sandstrand süchtig. Manche Urlaubsstrände bestehen zu großen Teilen aus Autoschlüsseln aller Modelle und Baujahre. Umgekehrt haben die Schätze des Strandes, all die eifrig gesammelten Steine und Muscheln, nur hier einen schimmernden Wert. Zu Hause weiß man nicht mehr, was man damit wollte. Die Vergeblichkeit menschlichen Strebens nach Sicherheit, Beständigkeit und Ewigkeit ist die wahre Lehre des Besuchs am Strand. Darum ist der Strandbesuch ein subversives Erlebnis: Nichts zählt, außer dem Moment und mit wem man ihn verbringen darf. An dieser Stelle schreiben Nils Minkmar und Elke Schmitter im Wechsel. 103

104 Kultur»Streitkultur ist die beste Leitkultur«SPIEGEL-Gespräch Der Soziologe Aladin El-Mafaalani über Freunde und Feinde der offenen Gesellschaft, über gelingende Integration und die Özil-Debatte Erst Lehrer an einem Berufskolleg, dann Professor, heute Abteilungsleiter im Inte - grationsministerium des Landes NRW: El- Mafaalani, 39, hat binnen kurzer Zeit eine Karriere hingelegt, für die ihm schon mal das seltsame Etikett Vorzeigemigrant angeheftet wird. In seinem neuen Buch behauptet er, dass Integration in Deutschland so gut gelinge wie nie zuvor, eben deshalb komme es zu Konflikten*. Zum Gespräch hat Aladin El- Mafaalani, im Ruhrpott geborener Sohn syrischer Einwanderer, ins Dietrich- Keuning-Haus gebeten, eine Begegnungsstätte in der Dortmunder Nordstadt. Es ist ein Ort mit Symbolkraft war das Gebäude ein Zentrum der Willkommenskultur, viele Tausend Flüchtlinge liefen hier durch. Beim Fototermin im Foyer winkt El- Mafaalani einer älteren Dame zu, die über die Empore geht.»meine Mutter«, sagt er,»sie leitet bis heute das Flüchtlingscafé hier.«spiegel: Herr El-Mafaalani, zeigt sich in der Özil-Debatte, wie gespalten dieses Land ist? Schlecht integriert die einen, rassistisch die anderen? El-Mafaalani: Den Eindruck haben jetzt sicher viele, aber der Eindruck ist falsch. Das»Sportstudio«moderiert demnächst Dunja Hayali, die»tagesthemen«präsentiert Ingo Zamperoni, einer unserer beliebtesten Comedians heißt Serdar Somuncu, eine unserer gefragtesten Schauspielerinnen Sibel Kekilli, einer unserer besten Regisseure Fatih Akin. Integration gelingt in Deutschland ziemlich gut. Ich würde sogar sagen: besser als jemals zuvor. SPIEGEL: Mal abgesehen von den paar Prominenten: Wie kommen Sie darauf? El-Mafaalani: So offen und liberal und demokratisch wie heute war Deutschland noch nie. Alle können mitmachen, egal ob Mann oder Frau, schwarz oder weiß, hetero- oder homosexuell, mit oder ohne Behinderung. Wenn wir zu scheitern drohen, dann an unseren Erfolgen. * Aladin El-Mafaalani:»Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt«. Kiepenheuer & Witsch; 240 Seiten; 15 Euro. Erscheint am 16. August. SPIEGEL: Ein deutscher Nationalspieler tritt zurück und begründet das mit rassistischen Anfeindungen. Nach einem Erfolg sieht das nicht aus. El-Mafaalani: Damit das passieren konnte, musste ein türkischstämmiger Fußballer zunächst mal zum deutschen National spieler werden. Wenn Integration gelingt, wird die Gesellschaft nicht homogener, nicht harmonischer, nicht konfliktfreier. Im Gegenteil. Immer mehr und immer unterschiedlichere Menschen sitzen am Tisch und wollen ein Stück vom Kuchen. Wieso sollte es ausgerechnet jetzt harmonisch werden? Die Konflikte entstehen, weil die Gesellschaft zusammenwächst, weil viel mehr Menschen als früher ihre Bedürfnisse äußern, mitdiskutieren, mitstreiten. SPIEGEL: Eine der am hitzigsten disku - tierten Fragen der vergangenen Jahre lautet: Gehört der Islam zu Deutschland? Ist das die Diskussion einer offenen Gesellschaft? El-Mafaalani: In den Neunzigerjahren hätte die Frage gar keiner verstanden. Und wenn, dann wäre die Antwort ein bedingungsloses Nein gewesen. Im Übrigen hätten auch die allermeisten Muslime mit Nein votiert. Heute hingegen sagt ein großer Teil: Ja! Sehr viele Muslime beschweren sich sogar darüber, dass die Frage, ob ihre Religion dazugehöre, nicht von allen mit einem klaren Ja beantwortet wird. Das beweist: Sie fühlen sich zugehörig, sie wollen anerkannt werden. Je besser die Integration, desto größer die Debatte. Je weniger Diskriminierung, desto eher kann Diskriminierung wahrgenommen und thematisiert werden. SPIEGEL: Lässt sich der Effekt auch in anderen Debatten beobachten? El-Mafaalani: In den Sechzigern fühlten sich Frauen viel weniger diskriminiert als heute. Seither ist ihr Gefühl, diskriminiert zu werden, ungefähr so schnell gewachsen, wie ihre reale Diskriminierung geschrumpft ist. Erhöhte Teilhabe führt zu höheren Erwartungen an gleiche Teilhabe, die Erwartungen sensibilisieren für die Wahrnehmung von Ungleichbehandlungen, die es noch gibt. Am Tisch, also auf Augenhöhe, tun Ablehnung und Ausgrenzung mehr weh als auf dem Boden. Das ist übrigens ein interessanter Indikator für Politiker: Je weniger sich eine benachteiligte Gruppe in Umfragen selbst als diskriminiert bezeichnet, desto besorgniserregender ist ihre tatsächliche Situation. Zurzeit gilt das am ehesten für Menschen mit Behinderung. SPIEGEL: Die AfD ist die stärkste Oppositionspartei im Bundestag. Wie passt das zu Ihrer These von einem offenen Land? El-Mafaalani: Jede erfolgreiche Bewegung erzeugt eine Gegenbewegung. Der Islamismus ist so eine Reaktion, der Rechtspopulismus eine andere. Beides sind Bewegungen der Schließung, beide sind vergangenheitsorientiert: zurück in die Zeit, als wir noch groß und für uns waren. Fakt ist: Die Gesellschaft wächst zusammen. Gespalten ist sie höchstens in der Bewertung der Situation: Ist das Zusammenwachsen gut oder schlecht? SPIEGEL: Rassismus kann sich verstärken, weil Integration gelingt? El-Mafaalani: Je kleiner die Differenz zwischen Menschen wird, desto stärker der Drang, diese kleiner werdende Differenz zu betonen. Sigmund Freud hat das den»narzissmus der kleinen Differenzen«genannt. Richtig mobilisieren können Rechtspopulisten erst, seitdem es beides gibt: schlecht integrierte Muslime und gut integrierte Muslime, denen sie dann vorwerfen können, den Staat unterwandern zu wollen. Die Rechtspopulisten erreichen viele Menschen erst, seitdem Muslime ernsthafte Konkurrenten sind, seitdem sie die Gesellschaft, in der wir leben, mitgestalten wollen. SPIEGEL: Moscheen haben kaum jemanden gestört, solange sie in Hinterhöfen oder Industriegebieten lagen. El-Mafaalani: Dabei ist der Bau reprä - sentativer Moscheen erst einmal nicht Ausdruck einer Abkapselung, sondern Zeichen des Teilhabenwollens an der Stadtgesellschaft. Genau dieses Phänomen meine ich. Auch das Kopftuch war kein Problem, solange nur die musli - mische Putzfrau eins trug. Zum Problem 104 DER SPIEGEL Nr. 31 /

105 MARCUS SIMAITIS / DER SPIEGEL Buchautor El-Mafaalani:»Wenn wir zu scheitern drohen, dann an unseren Erfolgen«105

106 wurde es, als Frauen mit Kopftuch Lehrerinnen wurden. SPIEGEL: Der Rechtspopulismus als allerletztes Aufbäumen der Kräfte, die sich gegen die offene Gesellschaft stemmen? Der Todeskampf der alten Gesellschaft? El-Mafaalani: Das halte ich für plausibel, ja. Und der Islamismus gehört da unbedingt dazu. Die Konfliktlinien verlaufen nicht mehr zwischen rechts und links, Jung und Alt, Stadt und Land. Nicht mal zwischen Biodeutschen, Neuen Deutschen und Migranten. Es geht heute um die Frage, wer gut klarkommt mit der offenen Gesellschaft und wer nicht. Sich näherzukommen und zusammenzuwachsen das ist kein gemütlicher Prozess. SPIEGEL: Die Flüchtlingsfrage hat in den vergangenen Wochen die politische Agenda bestimmt, fast wäre die Koalition zerbrochen. Und Sie sagen: alles halb so wild? El-Mafaalani: Die AfD wurde 2013 gegründet, Pegida 2014, die Flüchtlinge kamen Wer ernsthaft glaubt, ohne sie säße die AfD nicht im Bundestag, der hat die Welt nicht verstanden. Die Flüchtlinge haben eine Stimmung verstärkt, die es ohnehin gab und die ohnehin wuchs. SPIEGEL: Sie vergleichen die Situation in Ihrem Buch mit dem Besteigen eines Berges. El-Mafaalani: Weil es für unsere Gesellschaft bergauf geht, ja. Alle schauen mich immer erstaunt an, wenn ich das sage. Aber bergauf zu gehen ist richtig anstrengend. Je weiter man nach oben kommt, desto mehr kommt man aus der Puste, desto mehr tun die Beine weh, desto gereizter wird die Stimmung. Ich hab noch nie eine Bergtour gemacht, bei der nicht irgendwann jemand gesagt hat: Ich kann nicht mehr, ich will zurück. SPIEGEL: Das Problem: Da alle an einem Seil hängen, muss sich die Gruppe einigen. El-Mafaalani: Das ist der Konflikt, in dem wir stecken: Manche wollen weiter, andere zurück, aber alle müssen sich einigen. Am wenigsten anstrengend wäre es runterzufallen. Aber das tut am meisten weh. SPIEGEL: Umkehr ausgeschlossen? El-Mafaalani: Die Mehrheit der Menschen hat immer noch Bock auf die offene Gesellschaft, viele wollen sie sogar noch weiter öffnen, sie kritisieren, dass es noch immer zu viel Diskriminierung gebe und dass zu wenig gegen die Schließungsbewegung getan werde. SPIEGEL: Nicht wenige halten die Integration muslimischer Einwanderer für gescheitert und sehen in Özil nun eine Symbolfigur dafür. El-Mafaalani: Özil steckt in dem typischen Loyalitätskonflikt, in dem viele hier geborene Migranten stecken. Wer verstehen will, weshalb Migrantenkinder dem Heimatland und den Werten ihrer Eltern so treu verbunden bleiben, muss verstehen, dass diese Kinder von klein auf eine Mitverantwortung für die Stabilität ihrer Familie getragen haben. Ihre Eltern fühlten sich fremd in diesem Land, sodass es ihnen ein besonderes Bedürfnis war, dass Werbebanner im Berliner Hauptbahnhof»Die Mehrheit hat Bock auf die offene Gesellschaft«sich ihre Kinder nicht von ihnen entfremden. Diese Erwartung haben die meisten Kinder erfüllt und das beobachten wir in allen Einwanderungsländern. SPIEGEL: Kennen Sie diesen Loyalitätskonflikt selbst? El-Mafaalani: Meine Eltern fanden es überhaupt nicht gut, als ich das erste Mal gesagt habe, ich sei Deutscher. Für unsere Verwandten und Freunde in Syrien war es noch schlimmer, eine Katastrophe. Heute ist das kein Problem mehr. SPIEGEL:»Ich habe zwei Herzen«, schrieb Özil in seinem Rücktrittsstatement,»ein deutsches und ein türkisches.«el-mafaalani: Özil und Gündoğan haben versucht, zu beiden Ländern Ja zu sagen. Das ist in der momentanen Situation schwierig. Aber den Impuls kenne ich selbst auch. Zu den familiären Wurzeln zu stehen bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass man zum politischen System oder dem Präsidenten des Herkunftslandes stehen muss. SPIEGEL: Sie machen Özil und Gündoğan keinen Vorwurf? El-Mafaalani: Ich hätte beiden von dem Foto abgeraten, ganz klar. Aber ich habe an Fußballspieler bei politischen Themen nicht so hohe Erwartungen. An den DFB aber schon. Ich bin mir sicher, dass Fußballverbände anderer Ein - wanderungsländer eine Strategie haben für solche Konflikte. Der DFB hatte offenbar keine. Das finde ich peinlich nach so vielen Jahrzehnten Einwanderung und nach so vielen Jahren des Geredes von»integration durch Sport«. Das war offenbar Marketing, mehr nicht. Daran geglaubt haben die Verantwortlichen offensichtlich nicht. SPIEGEL: Die Botschaft Ihres Buches in einem Satz: Früher war alles schlechter. Ist allein mit der Botschaft schon etwas gewonnen? El-Mafaalani: Die Stimmung ist zurzeit das Allerwichtigste. Streit sorgt für schlechte Gefühle, und schlechte Gefühle verunsichern selbst die Menschen, die die Idee der offenen Gesellschaft eigentlich gut finden. Viele von ihnen be - gehen den Fehlschluss, dass ihre schlechten Gefühle auf eine schlechte Gesamtsituation hindeuten, auf Probleme mit der Integration. In Wahrheit entsteht Streit aber häufig nur, weil Menschen sich nähergekommen sind. Den Mechanismus hat schon der Soziologe Georg Simmel 1908 beschrieben. Meine Hoffnung ist: Wenn diejenigen, die es gut meinen, das verstehen, fallen ihnen die letzten Meter des Aufstiegs leichter. SPIEGEL: Das ist ein frommer Wunsch. El-Mafaalani: Vielleicht. Aber die Differenz zwischen den relativ guten objektiven und den relativ schlechten subjektiven Realitäten bildet die Energie, die den Erfolg von Rechtspopulisten speist. Eine Studie des Zentrums für Türkeistudien zeigt das eindeutig. Seit 2010 steigt bei in Deutschland lebenden Türkeistämmigen die Verbundenheit mit der Türkei. SPIEGEL: Warum seit 2010? El-Mafaalani: Weil 2010 die Sarrazin- Debatte tobte und 2011 die Anschläge des NSU aufgedeckt wurden. Beide Ereignisse haben Deutschtürken gekränkt. Besonders die, die gut integriert sind. Auch wenn Sarrazin und andere eher auf die schlecht KARSTEN THIELKER 106 DER SPIEGEL Nr. 31 /

107 Kultur Integrierten zielten, fühlten sich die gut Integrierten angesprochen. Das müssen wir verstehen, wenn wir öffentlich über Integration diskutieren: dass diejenigen, die wir meinen, sich in aller Regel nicht angesprochen fühlen. Die anderen aber schon. Und bei ihnen bewirken wir das Gegenteil dessen, was wir bewirken wollen. Wer sich Deutschland so sehr verbunden fühlt wie keiner seiner Vorfahren, wer so gut Deutsch spricht wie keiner vor ihm, wer eigentlich auch so gute Teilhabechancen hat wie nie zuvor, der ist besonders kränkbar. SPIEGEL: Sehen Sie die Gefahr auch durch die Özil-Debatte? El-Mafaalani: Die Debatte wird den deutschen Fußball stärker zurückwerfen als das Ausscheiden bei der WM, das ist klar, aber sie könnte auch die Gesellschaft zurückwerfen. Es ist ein Einschnitt wie damals die Sarrazin-Debatte. Das Ernüchterndste, was ich in den vergangenen Jahren erlebt habe. Die Sarrazin- Debatte hat rassistische Stimmen lauter werden lassen und die Türkeistämmigen zu Erdoğan hingezogen, der das natürlich ausgenutzt hat. Sie hat also in jeder Hinsicht Negatives bewirkt, sie hat der offenen Gesellschaft geschadet. SPIEGEL: Die Sarrazin-Debatte fiel auch deshalb auf frucht - baren Boden, weil Kinder türkischer Einwanderer tatsäch lich häufiger die Schule abbrechen, weil sie seltener studieren, weil sie im Schnitt weniger ver - dienen. El-Mafaalani: Menschen mit Migrationshintergrund haben immer noch schlechtere Teilhabechancen, studieren seltener, sind häufiger arbeitslos. Das bezweifle ich nicht. Aber es war doch früher noch viel schlimmer. Wir bewegen uns in die richtige Richtung. Das erkennt man daran, dass heute vor allem an Gymnasien die Verunsicherung groß ist: auf den Schulen, auf denen jahrzehntelang gar keine Migranten waren. SPIEGEL: Auf den Schulen, auf die auch Akademiker ihre Kinder schicken: Professoren und Lehrer, Politiker, Journalisten. El-Mafaalani: Ja, Kinder von Migranten sind plötzlich in Sichtweite der Schichten, die den Ton der öffentlichen Debatte angeben. Das zeigt, die Bildungschancen von Migrantenkindern, die Ausbildungschancen, die Arbeitsmarktchancen, all das ist besser geworden. SPIEGEL: Nun wird mancher lästern, das Niveau der Gymnasien sei ja auch gesunken. Können die Kinder wirklich mehr? El-Mafaalani: Eindeutig. Dass wir in den Pisa-Studien heute deutlich besser abschneiden als früher, liegt vor allem an Migrantenkindern. Nicht die ohnehin Guten sind besser geworden, sondern Mi - grantenkinder und Kinder aus benach - teiligten Milieus, sie ziehen den Durchschnitt nach oben. Und wir sehen doch jetzt schon, dass ein durchschnittlicher syrischer Flüchtling nach ein paar Jährchen in Deutschland besser Deutsch spricht als viele Gastarbeiter, die seit 60 Jahren hier sind. Weil wir ihn besser fördern als die Betende Muslime im Kölner Dom 1965»Wir bewegen uns in die richtige Richtung«Gastarbeiter damals. Und weil die Gesellschaft offener ist. SPIEGEL: Was ist mit den Jugendlichen, die sich aus unserer Gesellschaft zurückziehen und dem Salafismus zuwenden? Die Zahl der Salafisten ist gestiegen. El-Mafaalani: Der Salafismus ist kein Phänomen gescheiterter Integration. Jede Wette: Wenn man die Sprachkompetenz deutscher Muslime messen würde, die Sala - fisten wären ganz weit oben. Selbst von Sicherheitsbehörden höre ich immer wieder, dass die Bewegung immer intellektueller werde. Salafisten sind überwiegend Menschen, die hier geboren sind, zudem sehr viele Konvertierte, also Menschen ohne Migrationshintergrund. Die allermeisten sind nicht gewaltbereit, die meisten halten sich an das Recht. SPIEGEL: Aber Salafisten sind Feinde der offenen Gesellschaft. El-Mafaalani: Das sind sie. Der Salafismus ist eine multikulturelle, alle Schichten übergreifende Protestbewegung gegen die offene Gesellschaft. Lassen Sie das Multikulturelle weg, dann haben Sie den Rechtspopulismus. Beide Bewegungen sind sich ähnlicher, als ihren Anhängern lieb ist. Politische Provokation funktioniert heute über massive Gewalt, so wie beim G-20- Gipfel in Hamburg, oder über ein Votum gegen die offene Gesellschaft. Denn die offene Gesellschaft ist heute der Mainstream. SPIEGEL: Wie passt die Dortmunder Nordstadt zu Ihrer These: Menschen, Migranten, 20 Prozent Arbeitslose? Die Rede ist von einer No-go-Area. El-Mafaalani: Man muss ein bisschen was abkönnen in der Nordstadt, das stimmt. Es gibt sehr viele soziale Probleme. Wer in Hamburg oder in München lebt, völlig behütet, und auf Besuch hierherkommt, der findet das Straßenbild heftig. Aber wer sich nicht bei jeder klitzekleinen optischen Abweichung Sorgen macht, der merkt auch: Die Nordstadt ist auf keinen Fall eine Nogo-Area. SPIEGEL: Den Begriff No-go- Area nutzte Ihr jetziger Ministerpräsident im Wahlkampf. El-Mafaalani: Dass es hier Desintegration gibt, kann keiner bezweifeln, aber was viele verwechseln, sind Probleme durch UPI Migration und Probleme durch Armut. Die Zahl der Arbeits - losen und die SGB-II-Quote sind hoch. Das sind Indizien für Perspektivlosigkeit und Resignation. Unter diesen Umständen ist es in der Nordstadt außergewöhnlich friedlich. Ich würde nicht so oft hier sein, wenn es eine No-go-Area wäre. Ich habe übrigens hier direkt am Nordmarkt lange Zeit gelebt. SPIEGEL: Warum sind Sie in die Politik gewechselt, wenn alles so gut läuft? El-Mafaalani: In meinem Buch beschäftige ich mich mit gelungener Integration und den Folgen. Im Ministerium mit der Frage, wie sich Integration noch weiter verbessern lässt. Das war noch nie so schwer wie jetzt, eben weil wir schon so weit sind. Das reizt mich. Es ist wie beim Bergsteigen: Der erste Teil des Aufstiegs ist der einfache, dann wird es schwerer 107

108 Kultur Das Nachrichten-Magazin für Kinder. Jetzt testen: El-Mafaalani, SPIEGEL-Redakteur*»Ich bin ein Deutscher«und schwerer, die Stimmung verschlechtert sich. SPIEGEL: Wie schaffen wir die letzten Meter? El-Mafaalani: Wir brauchen einen Masterplan Integration, aber einen völlig anderen als den von Seehofer. Wir müssen zum Beispiel die Einbürgerungszahlen erhöhen, nicht nur um ein oder zwei Prozent, sondern ganz deutlich. Wir wollen eine Einbürgerungskampagne machen. Und wir brauchen endlich ein zeitgemäßes Einwanderungsgesetz. Schließlich wird es auch um die Frage gehen, wie wir deutlich mehr Migranten in den öffentlichen Dienst bekommen können. Da hinken wir leider noch hinterher. Die Öffnung der Institutionen ist für eine offene Gesellschaft extrem wichtig. Für die Migranten, weil sie sehen: Der Staat setzt auf uns. Aber noch mehr für alle anderen. Ein Lehrer mit Migrationshintergrund verändert nicht nur das Klassenzimmer, sondern auch das Lehrerzimmer, eine Polizistin mit Migrationshintergrund verändert die Polizeiwache. SPIEGEL: Bis wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen? El-Mafaalani: Das braucht seine Zeit. Mein größter Wunsch bis dahin wäre eine neue Streitkultur. Streitkultur ist die beste Leitkultur. SPIEGEL: Ein Blick in die sozialen Netzwerke zeigt: Wir sind davon weit entfernt. El-Mafaalani: Zurzeit herrscht keine Streitkultur, zurzeit herrscht Anschreikultur. Die meisten Konflikte gibt es überhaupt nur, weil vieles so gut läuft. Aber in den Konflikten steckt immer auch ein destruktives Potenzial. SPIEGEL: Gehört Political Correctness zur Streitkultur dazu? El-Mafaalani: Man kann sich ja mal überlegen, was passieren würde, wenn man sich heute am Tisch mit»weib«,»krüppel«,»schlitzauge«anreden würde. Begriffe, die in der Vergangenheit vergleichsweise unproblematisch gewirkt haben mögen, stoßen heute einen Teil der am Tisch Sitzenden vor den Kopf. Insofern: Ja, Political Correctness ist wichtig für die MARCUS SIMAITIS / DER SPIEGEL * Tobias Becker vor dem Dietrich-Keuning-Haus in Dortmund. 108 DER SPIEGEL Nr. 31 /

109 Streitkultur. Die Sprache wird komplexer, weil die Gesellschaft komplexer geworden ist. Von Amtsträgern muss man komplexes Denken und auch eine komplexe Sprache erwarten können. Aber manche Verfechter der Political Correctness übersehen ein Paradoxon: Die politisch korrekte Sprache soll Menschen einschließen, aber der Aufschrei, der auf jeden Verstoß folgt, schließt auch Menschen aus die Benachteiligten, die die immer komplexer werdende Sprache noch nicht beherrschen. Man sollte die Sprache nicht zum zentralen Konfliktfeld machen. Das schnelle Beleidigtsein passt genauso wenig zu einer Streitkultur wie das Provozieren als Selbstzweck. SPIEGEL: Sie selbst kritisieren im Buch Begriffe wie Migrationshintergrund. El-Mafaalani: Der Begriff klingt für viele wie eine Krankheitsdiagnose. Als ich noch Lehrer war, habe ich gern von»schülern mit internationaler Geschichte«und»Schülern mit nationaler Geschichte«gesprochen mindestens genauso exakte Begriffe. Eine Schülerin sagte daraufhin zu mir:»das ist voll diskriminierend. Jetzt haben die anderen das coolere Wort.«SPIEGEL: Sie sagen heute von sich: Ich bin ein Deutscher. El-Mafaalani: Genauso wie ich sind Deutsche heute auch. Also eindeutig: ja. Das war vor einigen Jahren noch anders. Als Student habe ich gesagt: Ich bin Syrer oder Araber. Ich bin in Deutschland geboren, ich habe in Deutschland Abitur und Wehrdienst gemacht, ich hatte schon damals die deutsche Staatsangehörigkeit. Kognitiv sprach also alles für Deutsch, aber emotional fast nichts. Beim Fußball war ich gegen Deutschland, völlig egal gegen wen Deutschland gespielt hat. Ich war gegen Deutschland, weil ich das Gefühl hatte, kein richtiger Deutscher zu sein. Das ist typisch: Fast kein Migrantenkind sagt von sich, dass es Deutscher sei. Das kommt, wenn überhaupt, erst im Erwachsenenalter. SPIEGEL: Woran liegt das? El-Mafaalani: Ein Grund sind die Loyalitätserwartungen der eigenen Eltern. Ein anderer sind die diskriminierenden Sprüche, die es immer gibt, egal wie offen die Gesellschaft schon ist. Es reicht nämlich nicht, dass man selbst sagt,»ich bin Deutscher«, wenn nicht auch andere das akzeptieren. Wenn der Staat und seine Institutionen nicht gegensteuern und die klare Botschaft senden:»du gehörst zu uns«, dann werden sich jugendliche Migranten häufig abwenden. SPIEGEL: Heute fiebern Sie mit der deutschen Mannschaft? El-Mafaalani: Das Vorrundenaus hat mich total aufgeregt, ich hatte zwei Tage schlechte Laune. Mal sehen, wie meine Borussia in die neue Saison startet. SPIEGEL: Herr El-Mafaalani, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Im Auftrag des SPIEGEL wöchentlich ermittelt vom Fachmagazin»buchreport«(Daten: media control); nähere Informationen finden Sie online unter Belletristik 1 (1) Robert Seethaler Das Feld Hanser Berlin; 22 Euro 2 (2) Frank Schätzing Die Tyrannei des Schmetterlings 3 (4) Maja Lunde Die Geschichte der Bienen Kiepenheuer & Witsch; 26 Euro 4 (3) Maxim Leo / Jochen Gutsch Es ist nur eine Phase, Hase btb; 20 Euro Ullstein; 12 Euro 5 (5) Volker Klüpfel / Michael Kobr Kluftinger Ullstein; 22 Euro 6 (6) Jojo Moyes Mein Herz in zwei Welten Wunderlich; 22,95 Euro 7 (7) Maja Lunde Die Geschichte des Wassers 8 (8) Francesca Melandri Alle, außer mir btb; 20 Euro Wagenbach; 26 Euro 9 (10) Mariana Leky Was man von hier aus sehen kann DuMont; 20 Euro 10 (11) Laetitia Colombani Der Zopf S. Fischer; 20 Euro 11 (12) Paluten / Klaas Kern Freedom. Die Schmahamas-Verschwörung Community Editions; 12 Euro 12 (13) Bill Clinton / James Patterson The President Is Missing 13 (9) Donna Leon Heimliche Versuchung Droemer; 22,99 Euro Diogenes; 24 Euro 14 (14) Ferdinand von Schirach Strafe Luchterhand; 18 Euro 15 (15) Daniel Kehlmann Tyll Rowohlt; 22,95 Euro 16 (17) Lucinda Riley Die Perlenschwester Goldmann; 19,99 Euro 17 (16) Marc-Uwe Kling QualityLand 18 (18) Bernhard Schlink Olga 19 ( ) Éric Vuillard Die Tagesordnung 20 ( ) Elena Ferrante Meine geniale Freundin Suhrkamp; 22 Euro Wer will noch mal, wer hat es immer noch nicht gelesen? Vor zwei Jahren ist der erste Band von Ferrantes neapoli tanischer Saga auf Deutsch erschienen Ullstein; 18 Euro Diogenes; 24 Euro Matthes & Seitz; 18 Euro Sachbuch 1 (2) Bas Kast Der Ernährungs kompass 2 (1) Richard David Precht Jäger, Hirten, Kritiker 3 (3) Christopher Schacht Mit 50 Euro um die Welt 4 (7) Otto Waalkes Kleinhirn an alle 5 (4) James Comey Größer als das Amt 6 ( ) Madeleine Albright Faschismus DuMont; 24 Euro Die ehemalige US-Außen - ministerin warnt vor einem Rückfall in das politische Klima der Zwanziger- und Dreißigerjahre C. Bertelsmann; 20 Euro Goldmann; 20 Euro adeo; 20 Euro Heyne; 22 Euro Droemer; 19,99 Euro 7 (6) Jaron Lanier Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst Hoffmann und Campe; 14 Euro 8 ( ) Greta Silver Wie Brausepulver auf der Zunge Scorpio; 18 Euro 9 (5) Peter Wohlleben Das geheime Leben der Bäume Ludwig; 19,99 Euro 10 (8) Peter Hahne Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen! Lübbe; 10 Euro 11 (12) Gerald Hüther Würde 12 (13) Yuval Noah Harari Homo Deus Knaus; 20 Euro C. H. Beck; 24,95 Euro 13 (20) Steven Levitsky / Daniel Ziblatt Wie Demokratien sterben DVA; 22 Euro 14 (10) Jan Frodeno Eine Frage der Leidenschaft 15 (16) Ingo Zamperoni Anderland 16 (14) Hans Rosling Factfulness 17 (11) Wolfram Eilenberger Zeit der Zauberer Ariston; 20 Euro Ullstein; 18 Euro Ullstein; 24 Euro Klett-Cotta; 25 Euro 18 (9) Franz Keller Vom Einfachen das Beste Westend; 24 Euro 19 (18) Axel Hacke Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen 20 (15) Rolf Dobelli Die Kunst des guten Lebens Kunstmann; 18 Euro Piper; 20 Euro 109

110 ENRICO NAWRATH / BAYREUTHER FESTSPIELE Szene aus»lohengrin«-aufführung in Bayreuth: Von intellektuellen Zumutungen verschont Elektroschrott Musik Bayreuth präsentiert den neuen»lohengrin«: Regisseur Yuval Sharon und das Malerehepaar Neo Rauch und Rosa Loy machen aus Wagners Musikdrama ein Fantasy-Spektakel. I n jeder Wagner-Oper kommt irgendwann der Moment, in dem selbst manche Wagner-Fans den stillen Wunsch hegen:»hoffentlich hört jetzt keiner zu!«im»lohengrin«kommt dieser Moment schon sehr früh.»was deutsches Land heißt, stelle Kampfesscharen«, fordert König Heinrich bereits in der ersten Szene. Und der Chor der Knappen aus Sachsen und Thüringen antwortet»an die Waffen schlagend«, wie Richard Wagner als Regieanweisung notiert:»mit Gott wohlauf für deutschen Reiches Ehr!«Auch bei der Premiere der neuen»lohengrin«-inszenierung, mit der am Mittwoch die diesjährigen Bayreuther Festspiele eröffnet wurden, donnerte der König seinen Kriegsruf in das bis auf den letzten Platz besetzte Haus, darunter Musikfreunde aus vielen Ländern Europas und den USA. Sogar die Ministerpräsidenten der Niederlande und Tschechiens, Mark Rutte und Andrej Babiš, waren der Einladung der Urenkelin des Komponisten, Festspielleiterin Katharina Wagner, gefolgt und saßen neben Kanzlerin Angela Merkel in der Ehrenloge. Nun ist es ja nicht so, dass Niederländer und Tschechen besonders gute Erfahrungen mit deutscher Wehrhaftigkeit gemacht hätten. Aber die beiden Politiker und alle übrigen Gäste verband offenbar die stille Übereinkunft, solche nationalistischen Töne geflissentlich überhören zu wollen, nicht einmal ein Raunen war zu verneh- 110 DER SPIEGEL Nr. 31/

111 Kultur men. Allerdings unternahm Regisseur Yuval Sharon, 39, auch nichts, um das Publikum auf die martialische Szene aufmerksam zu machen. Im Gegenteil. Sharon, der erste ame - rikanische Regisseur in Bayreuth überhaupt (und nach Barry Kosky, der im vergangenen Jahr die»meistersinger«präsentierte, der zweite Jude in dieser Funktion), machte einen weiten Bogen um jede politische Aussage des alles andere als unpolitischen Musikdramas. In Interviews hatte er schon vor der Premiere erklärt, dass ihn die Schattenseiten Richard Wagners nicht wirklich interessierten, das sei doch alles sehr lang her. Er wolle eher das Märchenhafte und das Modern-Emanzipatorische der Lohengrin-Geschichte erzählen. Einen Skandal, so kündigte er an, werde er jedenfalls»nicht produzieren«. So etwas wird in Bayreuth gern gehört. Sharon, der bisher eher mit Avantgardeopern reüssierte, fügte sich ganz dem Drehbuch, das Katharina Wagner für diesen»lohengrin«ersonnen hatte: Nicht Sharon sollte für Schlagzeilen sorgen, sondern das Bühnenbild. Die Festspielchefin hatte dafür das prominente Malerehepaar Neo Rauch, 58, und Rosa Loy, 60, verpflichtet. Die beiden Künstler bekannten zwar freimütig, dass sie eigentlich keine Opernfreunde seien geschweige denn, dass sie je an einer Inszenierung mitgewirkt haben. Aber merkantiler Erfolg erstickt bekanntlich jeden Skrupel, also waren sie mit von der Partie und lieferten das Erwartbare: eine zumeist blaugraue, durchaus opulente Szenerie mit skurrilen Kostümen, die so aussahen, als wären Neo Rauchs Figuren aus seinen Bildern direkt auf die Bayreuther Bühne gehüpft: Gestalten, die in der Regel merkwürdige Hüte, Insektenflügel oder brennende Tornister tragen. Die Entscheidung für das Leipziger Künstlerpaar war insofern konsequent, als sich Rauch immer wieder gern als»romantiker«bezeichnet. Und romantisch ist diese Wagner-Oper ohne Zweifel: Während König Heinrich noch seine Truppen zum Kampf gegen die bösen Feinde aus dem Osten sammelt, fährt ein geheimnisvoller Ritter mit einem von einem Schwan gezogenen Boot auf die Bühne, um der Brabanter Fürstentochter Elsa bei einem Gottesgericht beizustehen. Elsa wird vom ebenfalls bösen Grafen Telramund des Brudermords bezichtigt, der unbekannte Ritter besiegt den Kläger und darf Elsas Gatte werden, stellt allerdings eine Bedingung, die seither in den ewigen Zitatenschatz eingegangen ist:»nie sollst du mich befragen.«was so viel heißt wie: Frag mich nicht nach meinem Namen und meiner Herkunft, sonst sind meine Zauberkräfte perdu.»für deutsches Land das deutsche Schwert!«Das geht so mit; die Regie interessiert es wohl nicht. Aufgestachelt von Telramunds Gattin Ortrud, hält sich Elsa nicht an dieses Verbot, noch in der Hochzeitsnacht fragt sie den Ritter, und der lüftet seine Identität am nächsten Morgen coram publico: Er sei Parsifals Sohn Lohengrin und müsse leider wieder zum Gral zurückkehren, nun da sein Name bekannt und seine übernatürliche Kraft verflogen sei. Prompt kommt erneut der Schwan mit dem Boot. Elsa stirbt aus nicht eindeutig erkennbaren Gründen, aber der Schwan wird von Lohengrin noch schnell in Elsas Bruder zurückverwandelt, der nun Deutschlands Truppen gen Osten führen soll. Wie viele Opernstoffe rutscht Wagners»Lohengrin«bei nüchterner Betrachtung schnell ins Lächerliche. Dass dieser Effekt nicht eintritt, verdankt auch die Bayreuther Inszenierung allein der ebenso effektvollen wie betörenden Musik Richard Wagners. Selbst Friedrich Nietzsche, Wagners vielleicht ärgster Feind, musste konzedieren, dass das»lohengrin«-vorspiel von geradezu»opiatischer, narkotischer Wirkung«sei. Bayreuths Hausdirigent Christian Thielemann steuerte sein Mammutpersonal aus Instrumentalisten und Sängern diesmal nahezu perfekt durch das dreieinhalbstündige Werk, Stars wie Anja Harteros (Elsa), Waltraud Meier (Ortrud) und Piotr Beczała (Lohengrin) entfesselten wahre Beifallsstürme im Publikum was auch in Bayreuth nicht alltäglich ist. Verhalten fielen die Reaktionen, auch mit einigen Buhs, nur für das Regieteam aus. Dabei hätte das Experiment durchaus gelingen können. Immerhin sind die verrätselten Bilder Neo Rauchs und Rosa Loys ähnlich dystopisch wie der»lohengrin«, stets geht es um beschädigte, scheiternde Glückssucher. Rauch und Loy haben zudem die schlimmsten Peinlichkeiten korrigiert und etwa den Schwan durch ein weißes Flugobjekt ersetzt, mit dem Lohengrin auf die Bühnenerde kommt. Für den Hintergrund hat das Künstlerpaar eindrucksvolle Panoramen mit Gewitterwolken gemalt, im Vordergrund steht mal ein etwas lädiertes Umspannwerk mit blitzenden Stromkabeln, mal ein merkwürdiges Transformatorhäuschen, das Elsa und Lohengrin als Liebesgrotte dient, auch hier blinken die Lichterketten immer dann, wenn s besonders dramatisch wird. Zumindest der Elektroschrott stammt erkennbar aus dem apokalyptischen Motivreservoir Neo Rauchs. Doch Regisseur Sharon weiß mit dieser Endzeitstimmung wenig anzufangen. Gebannt wohl von den mächtigen Bildern lässt er seine Inszenierung fast erstarren. Alle Figuren, auch die Choristen, bewegen sich, wenn überhaupt, in Zeitlupe. Vor allem aber hat er mit seinen Helden eigentlich ganz anderes vor: Dass Elsa, zum Beispiel, nach Name und Herkunft des Ritters frage, sei Ausdruck eines»freien Individuums«, so erklärte er kürzlich in einem»zeit«-interview. Sie lasse sich nicht blenden und emanzipiere sich somit von Lohengrins männlichem Machtanspruch. Eine mutige These, die beim Blick auf die Bühne allerdings kaum nachzuvollziehen ist und die auch wenig mit den In - tentionen Richard Wagners gemein hat. Der Meister hatte bereits 1851 in einer»mitteilung an meine Freunde«Lohengrins Frageverbot als Ausdruck einer bedingungslosen Liebe interpretiert. Elsa, so schrieb er, dürfe ihren Retter nur deswegen nicht nach seinem Namen fragen, weil er nicht ob seiner Herkunft»bewundert und angestaunt«, sondern aus seiner Einsamkeit erlöst werden wolle. Ihn, Lohengrin, verlange es allein»nach Liebe, nach Geliebtsein, nach Verstandensein durch die Liebe«. Dass sich hinter dieser Forderung auch Wagners Selbstverständnis als einsamer, großer Künstler verbirgt, dem die Frauen nur zu dienen haben, ist ein naheliegender, häufig formulierter Einwand. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Wagner den Verstoß gegen das Frageverbot als verhängnisvoll und schädlich betrachtet. Sharons ziemlich exklusive Behauptung einer emanzipierten Elsa passt zum Bild eines insgesamt widersprüchlichen, unausgegorenen»lohengrin«. Eine Referenz - inszenierung, wie es eigentlich der Bayreuther Anspruch sein muss, dürfte das Werk nicht werden. Was Sharon, Loy und Rauch liefern, ist eher ein weiteres Beispiel jener entpolitisierten, beliebigen Opernkultur, die das Bedürfnis nach Fantasy und bunten Bildern bedient, aber die Zuschauer von intellektuellen Zumutungen verschont. Dass der König kurz vor Schluss noch mal seinen Kriegsruf anstimmen darf (»Für deutsches Land das deutsche Schwert! So sei des Reiches Kraft bewährt!«), bleibt denn auch unkommentiert, das nationalistische Pathos scheint Sharon noch immer nicht zu interessieren. Ohne jede Brechung lässt er die Oper zu Ende singen. Nur am Schluss gibt s noch einen Hingucker: Elsas aus dem Schwan zurückverwandelter Bruder Gottfried tritt endlich auf, allerdings als giftgrünes, verknittertes Männchen mit Rauschebart. Bei Wagner ist Gottfried ein Kind. Martin Doerry 111

112 Kultur Wer schläft, der sündigt Legenden Der polnische Jude Artur Brauner überlebte den Holocaust mit knapper Not und wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Filmproduzenten. Nun feiert er seinen 100. Geburtstag. A ls Artur Brauner eine seiner zahlreichen Komödien produzierte, musste er für einen Drehtag eine Kuh mieten. Irgendwann waren alle Szenen mit dem Tier im Kasten. Doch Brauner, so die Anekdote, soll einen seiner Mitarbeiter gebeten haben, die Kuh noch zu melken. Schließlich habe er ja die Nutzungsrechte für den ganzen Tag bezahlt. Vermutlich wurde Brauner auch deshalb einer der erfolgreichsten Filmproduzenten Deutschlands, weil er es wie kaum ein anderer verstand, aus den ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen das Maximum herauszuholen. Würde er in Schottland leben, hätten sie ihn wegen seines Geizes des Landes verwiesen, schrieb er in seinen Memoiren»Mich gibt s nur einmal«. Brauner, der von 1946 bis heute mehr als 300 Filme produzierte, wird am 1. August 100 Jahre alt. Der kleine Mann mit den großen Augen, den markanten Brauen und dem sorgsam gepflegten Schnauzer, in Berlin nur Atze genannt, ist eine der schillerndsten und streitlustigsten Persönlichkeiten des deutschen Films. Er drehte Lustspiele wie»der keusche Lebemann«, realisierte Friedrich Dürrenmatts Krimidrehbuch»Es geschah am hellichten Tag«. Er machte Caterina Valente und Peter Alexander zu Kinostars und holte den»tarzan«-darsteller Lex Barker nach Berlin. Er produzierte über 20 Filme, die sich mit dem Holocaust beschäftigen und heute in der Gedenkstätte Yad Vashem laufen. Brauner, 1918 in Łódź geboren, ist eine Ausnahmeerscheinung in mehr als einer Hinsicht. Ein Jude, der den Holocaust mit knapper Not überlebte und nach Berlin ging, um ein besseres Deutschland aufzubauen. Ein Filmmogul, der mit knalligen Schlagerfilmen den Deutschen die Lebenslust zurückholte und der zugleich mit Filmdramen wie»der 20. Juli«(1955) gegen die Verdrängung des Faschismus antrat, wieder und wieder, bis heute.»ich wollte schon immer Dinge bewegen«, schreibt er in einer Mail vor wenigen Tagen. Die Sommerhitze mache ihm zu schaffen, ein Gespräch würde ihn zu sehr anstrengen.»ich wollte arbeiten, um meine große Familie zu versorgen, Filme machen, um Menschen einerseits zu unterhalten, andererseits ihr Gewissen aufzurütteln. Es gibt vor allem zwei Gründe, die mich zu dem Produzenten gemacht haben, der ich geworden bin: das Gespür für das, was die Menschen sehen wollen. Das Bedürfnis, mit Filmen Emotionen für die Millionen jüdischen Opfer hervorzurufen, die mir an keinem einzigen Tag in meinem Leben aus dem Kopf gehen.«49 seiner Verwandten wurden von den Nazis ermordet. Er selbst überlebte den Krieg in der Nähe des Sans, eines Flusses im damaligen Grenzgebiet zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion.»Zu zwölft in einer in die Erde gegrabenen Höhle«, schreibt er in seinen Memoiren.»Feuer machen durften wir nur, wenn der Nebel vom Fluss her uns einhüllte wie in dicke, feuchte Tücher. Nie durften wir ein lautes Wort sprechen.«als der Krieg vorbei war, brach Brauner nach Berlin auf, um dort seine Eltern wiederzufinden. Eigentlich sollte dies nur eine Zwischenstation sein. Er wollte nach Hollywood, dorthin, wo die Helden der Western und Abenteuerfilme lebten, Stars wie Gary Cooper, die als er als Bub in den Kinos von Łódź so bewundert hatte. Doch auf dem Weg nach Berlin stieß er auf ein Massengrab. Die SS hatte es nicht mehr geschafft, die Leichenberge zuzuschütten.»die offenen Augen eines toten Jungen haben mich so sehr in den Bann gezogen«, erinnert er sich heute, dass er sich ein»gelübde«auferlegt habe:»du musst alles, was möglich ist, unternehmen, um den Opfern des Nationalsozialismus ein Denkmal zu setzen.«der Film»Morituri«war das erste dieser Denkmäler, dem etliche weitere folgten. Er handelt von Insassen eines KZ, denen die Flucht gelingt. Ausgemergelt und entkräftet, versucht die kleine Gruppe, in einem Wald zu überleben. Brauner erzählte da auch seine eigene Geschichte. Er drehte den Film ab September 1947 in einem Wald nördlich von Berlin. Brauner bestach sowjetische Soldaten mit Wodka, ließ Lebensmittel aus Berlin herausschmuggeln und eine Stromleitung durch Brandenburg legen. Der Film wurde ein Flop; Brauner stotterte die Schulden noch Jahre später ab. Video Seichte Unterhaltung und anspruchsvolle Filmkunst spiegel.de/sp312018brauner oder in der App DER SPIEGEL Doch er ließ sich nicht beirren. Der Sparfuchs wurde im Lauf seiner Karriere immer wieder zum Hasardeur und ging das volle Risiko ein, wenn er an ein Projekt glaubte und es für wichtig hielt. In der heutigen Zeit, in der deutsche Filmproduzenten vor allem wissen müssen, wie sie an Fördergelder kommen, wirkt Brauner wie ein Zauberer im Wunderland. Er übernahm ein heruntergekommenes Fabrikgelände in Spandau, in dem die Nazis Giftgas hergestellt hatten. Dort baute er eines der größten Filmstudios Europas auf. Und er holte einige der Vertriebenen zurück, die das deutsche Kino in den Zwanziger- und Dreißigerjahren groß gemacht hatten, die vor den Nazis geflohen und nach Hollywood gegangen waren, unter anderem die Regisseure Fritz Lang und Robert Siodmak. Lang hatte in Babelsberg das Science- Fiction-Epos»Metropolis«(1927) gedreht, an dem Filmemacher bis zum heutigen Tag Maß nehmen. Siodmak war Co-Regisseur des überaus modernen und vor Lebenslust berstenden Berlinporträts»Menschen am Sonntag«(1930) gewesen. In Hollywood trugen die beiden Regisseure maßgeblich dazu dabei, eine neue Stilrichtung zu erschaffen, den Film noir, mit düsteren Thrillern und Melodramen. Brauner lockte Lang nach Europa zurück und ließ ihn die Abenteuerfilme»Der Tiger von Eschnapur«und»Das indische Grabmal«inszenieren. Siodmak vertraute der Produzent die Verfilmung von Gerhart Hauptmanns Theaterstück»Die Ratten«an und gewann damit 1955 bei der Berlinale den Goldenen Bären. Der Berserker Brauner, der Schlafen für eine Sünde hält und beteuert, in 100 Jahren keinen einzigen Tag Urlaub gemacht zu haben, hatte den Traum, den gewaltigen Riss, den die Vertreibung vieler, vor allem jüdischer Filmkünstler im deutschen Kino hinterlassen hatte, wenigstens ein Stück weit wieder zu schließen. Die Weltmachtstellung, die Hollywood nach dem Krieg immer mehr ausbaute, verdankte es nicht zuletzt der Emigration zahlloser Filmkünstler aus verschiedenen Ländern Europas, die von den Nazis besetzt oder bedroht worden waren. Hitler hat viel dazu beigetragen, Hollywood zu dem zu machen, was es bis heute ist. Damit wollte sich Brauner nicht abfinden. Seine Firma wurde eine Traumfabrik, die wie am Fließband Filme herstellte. In den Spandauer Studios entstanden bis zu 25 Produktionen pro Jahr. Brauner selbst nennt die meisten von ihnen»konsumfilme«, mit nüchternem Blick, aber auch mit Stolz auf gutes Handwerk. Der Eskapismus, der Wunsch, der Wirklichkeit im Kinosessel für zwei Stunden zu entrinnen, ist in seinen Augen ein Grundbedürfnis des modernen Menschen und die Lebens- 112 DER SPIEGEL Nr. 31 /

113 Geschäftsmann Brauner 1958: Mischkalkulation aus Geld und Gewissen BURT GLINN / MAGNUM PHOTOS / AGENTUR FOCUS versicherung des Produzenten. Die Regisseure des Neuen Deutschen Films, die ihn in den Sechzigerjahren zum»schnulzenkartell«und zu»opas Kino«zählten, nannte er»bubis«. Heute gingen Regisseure und Produzenten oft kein Risiko mehr ein, schreibt er.»man muss sich daher nicht mehr am Publikumsgeschmack orientieren. Man kann sich als Filmemacher sozusagen selbst verwirklichen, komplett an dem vorbei, was die Menschen sehen wollen und was sie berührt.«brauner war auch immer ein volltönender Lautsprecher in eigener Sache, ein Selbstdarsteller, der keinerlei Scheu vor dem Chargieren zeigte. Seine Auftritte vor Gericht sind legendär. Egoman und amüsant kämpfte er für seine Interessen; nicht nur sein Kino, auch er selbst hatte hohen Unterhaltungswert. Der clevere Geschäftsmann Brauner fing früh an, die Gewinne aus seinen Filmen in Immobilien anzulegen. Die Charlottenburger Otto-Suhr-Allee wurde im Volksmund zeitweise Atze-Brauner- Allee genannt. 59 Immobilien musste er 2007 verkaufen, um Schulden zu begleichen. Und er geriet wegen Scharmützeln mit Berliner Finanzämtern und dubioser Konten in der Schweiz in die Schlagzeilen. Brauners Gesamtwerk ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Mischkalkulation aus Geld und Gewissen. Mit den Gewinnen aus seinen»konsumfilmen«finanzierte er die Projekte, die ihm besonders am Herzen lagen und die oft vom Holocaust handelten. Dabei fühlte er sich von der deutschen Filmbranche wiederholt alleingelassen. Seine Produktion»Hitlerjunge Salomon«(1990) zum Beispiel erzählt von einem Juden polnischer Herkunft, der sich als Deutscher ausgibt und den Holocaust überlebt. Der von der Regisseurin Agnieszka Holland inszenierte Film gewann 1992 einen Golden Globe. Doch das deutsche Auswahlkomitee nominierte ihn nicht für den fremdsprachigen Oscar. Auch heute sei das deutsche Volk für einen solchen Film nicht reif, glaubt Brauner. Ein Film über den Holocaust erreiche meist nur bis zu Zuschauer,»wenn der Regisseur nicht gerade Polanski oder Spielberg ist, die natürlich mit ganz anderen Mitteln arbeiten«. Brauner wollte lange Zeit das Leben des deutschen Industriellen Oskar Schindler verfilmen, der mehr als tausend Juden vor dem Tod in der Gaskammer gerettet hatte. Die Kulissen, so Brauner, seien schon gebaut gewesen. Doch die deutsche Film - förderungsanstalt habe ihm die Unterstützung versagt. Dann sei ihm Steven Spielberg zuvorgekommen. Vor drei Jahren schrieb Brauner in einem Leserbrief an den SPIEGEL, er träume»beinahe jede Nacht von dem Versuch, Hitler zu töten. Anscheinend hat mein Haupthirn noch nicht erfasst, dass Hitler bereits tot ist. Eigenartigerweise werde ich immer wach, wenn ich in seiner Nähe stehe und ihn mit einem Ziegelstein erschlagen will. Die Versuche, durch Einnahme von Schlaftabletten oder Baldriantropfen ungestörte Nächte zu erreichen, schlugen bisher fehl«. Der heutige Rechtsextremismus und Antisemitismus besorgen ihn zutiefst. Auf seinen Film»Morituri«, der 1948 abgelehnt und boykottiert worden sei, würde»die Masse«heute ebenso reagieren, glaubt er,»nicht mehr anonym oder im Stillen wie noch vor zwei, drei Jahrzehnten, sondern ganz offen antisemitisch«. Diese Äußerungen von einem Juden, der seit mehr als 70 Jahren in Berlin lebt, stimmen nachdenklich. Vor allem dann, wenn man sie mit den Hoppla-hier-kommich-Auftritten des früheren Brauner vergleicht. Deutschland kann sich nicht damit trösten, dass diese Verbitterung vor allem an Brauners Alter liege. Nicht nur er, auch das Land hat sich verändert. Seine Memoiren»Mich gibt s nur einmal«veröffentlichte er bereits 1976, vermutlich in der Annahme, dass er nicht alt werden würde. Filmproduzent zu sein sei aufreibend, schrieb er damals, ein Beruf mit der höchsten»sterblichkeitsrate«. Bei ihm jedenfalls beißt der Zahn der Zeit bis heute auf Granit. Lars-Olav Beier 113

114 Kultur Triumph auf Samtpfötchen Literatur Rettung des Buchmarkts: der erstaunliche Siegeszug der Kampfkatzenserie»WarriorCats«Von Volker Weidermann N atürlich gibt es Eltern, die auch darüber noch klagen. Die wollen, dass ihre Kinder»was Vernünftiges«lesen,»was Lehrreiches«oder irgendwie»literarisch Anspruchsvolles«. Tja. Wollen aber viele Kinder eben nicht. Oder sie haben einen anderen Begriff davon, was vernünftig, anspruchsvoll und lehrreich ist.»warriorcats«zum Beispiel. Die pelzigen Clankrieger aus dem Wald. Das ist doch mal eine verrückte Erfolgsgeschichte aus der notorisch klagenden Welt des Buchhandels: Seitdem vor zehn Jahren der erste Band der Serie unter dem Titel»In die Wildnis«in Deutschland erschienen ist, wurden hierzulande fünf Millionen Bände der inzwischen 33 Folgen umfassenden Katzenserie verkauft. In der ganzen Welt sind es mehr als 30 Millionen Exemplare in 36 Sprachen. Es ist einer der größten Bucherfolge seit»harry Potter«. Und gelesen werden die Abenteuer vor allem von 10- bis 14-Jährigen. Nehmt das, Untergangsfreunde! Die Helden heißen Löwenherz, Blau - stern, Feuerpfote oder Sturmwind. Sie sind Krieger oder Anführer oder Heiler oder Schüler. Sie gehören alle zu einem bestimmten Clan, dem Donnerclan oder dem Schattenclan, dem Fluss- oder dem Windclan. Als frischer Leser kommt man erst mal leicht durcheinander. Doch bevor die Geschichte losgeht, stellt ein mehrseitiges Personenverzeichnis mit Namen, Aussehen und Eigenschaften alle Katzen des Bandes vor. Aber ganz am Anfang steht ja nun das Staunen. Das Staunen der Eltern über Kinder, die plötzlich in einen Lesesog geraten sind. Kinder, die abends unter einem Buch einschlafen, die unbedingt beim Essen lesen wollen, kurzzeitig anscheinend sogar das Handy vergessen, lieber lesen als Fußball schauen, die Eltern ultimativ zum Gang in die Buchhandlung auf fordern, damit keine Leselücke entsteht. All solche Wunderdinge. Von zwei Klassenkameraden meines Sohnes, zwölfjährigen Berliner Zwillingen, hörte ich, dass ihnen zu Hause ein Leseverbot, eine Lese beschränkung von zwei Romanen pro Woche auferlegt worden sei. Spätestens da wird man natürlich hellhörig. Leseverbot, Buchbeschränkung, 114 Suchtgefahr? Es gibt eine geniale Karikatur der Witzezeichner Greser und Lenz: Da sitzt ein dürrer Brillenmann mit Buch in einer Kneipe zwischen rotnasigen Trinkern, die ihn beobachten und warnen:»lesen? Das geht ein, zwei Monate gut, dann bist du abhängig.«sollte das ein Bild aus der Wirklichkeit unserer Kinder sein? Wegen Katzenkrimis? Was ist da los? Um das herauszufinden, muss man einfach selbst lesen. Erste Staffel, erster Band. Der Held heißt Sammy. Ein kleines Hauskätzchen mit Halsband und wilden Träumen. Wird angelockt von der wilden Welt da draußen, dem Geruch des Waldes, der Vorstellung von selbst gefangenen Mäusen, wilden Freunden, Freiheit. Ihm geht es ja nicht schlecht, dort, wo er jetzt wohnt, die Zweibeiner, denen er gehört, sind nett, es gibt immer genug Trockenfutter im Napf, Bequemlichkeit, Ruhe, Katzenklo, so kann es weitergehen. Komfortkatze für immer. Schluss damit! Sammy springt über den Zaun, hinein in den Wald. Skepsis und Feindseligkeit schlagen ihm dort, unter Klar gibt es auch AfD- und Söderkatzen, die Grenzen dichtmachen wollen. den Wildkatzen, entgegen.»einmal Hauskätzchen, immer Hauskätzchen«, solche Sprüche muss er sich von den Kriegern des Waldes anhören. Doch Sammy ist tapfer, zäh und stark. Und er will es wirklich, kompromisslos und unbedingt, die Welt der Katzenklappe verlassen, Krieger sein und frei. Blaustern, der Anführer des Donnerclans, zu dem das Hauskätzchen bald gehören wird, erläutert ihm das Clanleben in schönsten»star Wars«-Worten so:»der Clan wird von dir große Treue und harte Arbeit verlangen. Man wird von dir erwarten, dass du den Clan, wenn nötig, mit deinem eigenen Leben beschützt. Und es gibt viele Mäuler zu füttern. Aber der Lohn ist groß. Du wirst ein Kater bleiben. Du wirst lernen, was es bedeutet, eine richtige Katze zu sein. Die Stärke und die Gemeinschaft des Clans werden immer mit dir sein, selbst wenn du allein auf Jagd gehst.«auch die dunkle Seite der Macht gibt es natürlich. Der Schattenclan, angeführt von einer miesen, hitlerartigen, aggressiven Katze namens Braunstern, verlangt Zutritt zu den Jagdgründen der anderen Clans. Katzenvolk ohne Raum. Braun - stern behauptet einfach, die Katzen seines Clans seien hungriger als andere. Also her mit den Mäusen! Freie Jagd für starke Katzen! Ein erster Clan, der Flussclan, ist zur Appeasement-Politik bereit, öffnet aus Angst vor der Hitlerkatze und ihren Freunden die Grenzen für den Clan der dunklen Macht. Doch der Donnerclan, der Clan von Sammy, der sich jetzt Feuerpfote nennt, bleibt hart. Und schlägt zurück. Klar, in den»warriorcats«-büchern wird nicht die Fantasywelt neu erfunden. Die Handlungen, Charaktere, Bündnisse, die Werte und Sehnsüchte und Kampf - gemeinschaften in einer Parallelwelt zu unserer kennt man aus vielen Abenteuerund Fantasybüchern. Was aber ist das Besondere, das Suchtpotenzial dieser Katzenwelt? Es wird enorm viel gekämpft in der Reihe. Clankriege, Einzelkämpfe, Intrigen, Verbrüderungen, es herrscht schon eine enorme Actionrate in den Büchern, und wenn man einige der Fanleser fragt, ob ihnen das nicht einfach zu viele Katzen seien, zu viele Charaktere, ob man da nicht durcheinanderkomme, sagen sie nur:»ach was! Je mehr Katzen, desto besser. Dann kommt es auch zu mehr Kämpfen. Und die Kämpfe sind das Beste an den Büchern.«

115 »WarriorCats«-Illustration: Nehmt das, Untergangsfreunde! 2018 BELTZ & GELBERG IN DER VERLAGSGRUPPE BELTZ WEINHEIM BASEL Aber auch Zärtlichkeit spielt eine große Rolle. Das Zungengeben ist ein festes, wichtiges Ritual jeweils nach den Kämpfen zum Zwecke der Sauberkeit und zur Intensivierung der Clangemeinschaft. Das ist schon ein wesentlicher Teil des Geheimnisses: dieses Katzendings. Diese Mischung aus Wildheit und Weichheit, Streicheltier und Kampftier, Hausfreund und Killerkater, Freiheitssucher und anschmiegsamem Vertrauten. Dazu der Wald als Sehnsuchtsort einer domestizierten Wildheit, Geheimnisort ganz in der Nähe. Und natürlich diese starke Freundesgemeinschaft. Die aber nicht ideologisch überhöht wird. Klar gibt es auch AfD- und Söderkatzen, die Grenzen dichtmachen wollen, auf strengen Kontrollen und Zurückweisungen bestehen, die Fremden mit Misstrauen begegnen und den Wechsel von einem Clan zum anderen grundsätzlich ablehnen. Aber Grundidee des Guten in diesen Bänden ist eher eine wehrhafte Offenheit der Clans. Eine grundsätzliche Bereitschaft, den anderen Clans zu vertrauen und in ihnen zunächst das Gute zu sehen. Bevor sie uns vom Gegenteil überzeugen. Auch der Kleinste und Fremdeste hat eine Chance. Sammy, das Hauskätzchen, wird von der weisen Anführerin Blaustern praktisch sofort erkannt und gefördert. Weil sie Lebenserfahrung, Vertrauen und große Katzenkenntnis besitzt. So darf Sammy, also Feuerpfote, die Anführerin schon gleich zum großen Gipfeltreffen der Diplomatie, dem Treffen der Clanführer, begleiten, auch zum heiligen Mondstein nimmt sie ihn mit. Dort tritt die Königin DER SPIEGEL Nr. 31 / in Kontakt mit dem Sternenclan, den Seelen der verstorbenen Katzen, die ihr von der Zukunft sprechen. Ja, man kann sich verlieren in dieser fremden, zärtlich-wilden Welt. Viele Fans der Serie tauschen sich im Internet aus, in einem Fanforum auf Warriorcats.de. Schreiben über ihre Sympathien, klagen über zu frühe Tode, rätseln über Verbindungen zwischen den Katzen. Ronja Däneke, 20-jährige Abiturientin, verwaltet das Forum, moderiert mitunter, diskutiert mit. Wenn man sie fragt, was sie so fasziniere, schreibt sie:»dem Großteil der Fans geht es, glaube ich, ähnlich wie mir. Die Bücher mit ihrer Spannung, den Geschichten und dieser vollkommen neuen Idee einer Welt von frei lebenden Katzen sind vor allem ein Teil der Kindheit, viele der Fans sind mit ihnen älter geworden, und allein das hat einen sehr hohen Wert. Vielleicht liegt es aber auch an den vielen Parallelen der Welt aus WarriorCats und unserer Gesellschaft, die es so faszinierend machen.«sie selbst ist nach der zweiten Staffel ausgestiegen. Sei aus dem Alter raus gewesen, meint sie. Aber der Austausch mit den Lesern, die Diskussionen, das Fortleben der Tiere im Gespräch, das macht ihr einfach weiter großen Spaß. Die Katzen leben weiter. Das regt auch viele junge Leser zum Schreiben eigener Geschichten an. Die heißen dann»jungle- Fighters«zum Beispiel, in denen Jaguare gegen Leoparden kämpfen. Die kleinen * Erin Hunter:»WarriorCats. Dunkelste Nacht«. Aus dem Englischen von Friederike Levin. Beltz & Gelberg; 344 Seiten; 14,95 Euro. Leser denken sich die Geschichten gern gemeinsam aus. Schicken sich Ideen auf dem Computer der Eltern hin und her. Oder kurze Episoden per WhatsApp. Leises Entsetzen oder zumindest eine leichte Verstörung löst bei manchem männlichen Fan die Erkenntnis aus, dass der Autor Erin Hunter, erstens, eine Frau und, zweitens, nicht eine Frau ist, sondern sechs. Es ist ein Autorinnenteam, überwiegend aus Großbritannien, Damen zwischen 39 und 71, einige von ihnen mit Katzen zu Hause. Manche Lesefans hatten wohl eher einen männlichen, kriegerischen Muskelmann als Autor vermutet. So kann man sich täuschen. Inzwischen ist es offenbar so, dass den englischen Damen vom Lektorat in England und Amerika Storylines vorgegeben werden. Ein strategisch durchgeplanter Dauerbestseller also, der inzwischen bei einigen Fans auf eine gewisse Ungeduld stößt.»die sechste Staffel ist Schrott«, sagen die Fanzwillinge aus Berlin. Warum?»Weil sie nicht sehr spannend ist.«sie bedauern das sehr, weichen inzwischen auf»percy Jackson«aus, haben die Hoffnung aber noch nicht verloren. Wenn sie sich etwas wünschen dürften von den Autorinnen, dann, sagen sie:»bitte keine Wiederholungen mehr.«und welche Frage sie stellen würden? Natürlich nur die eine:»wann kommt der nächste Band?«Buchhändler! Kinder! Eltern! Katzenfreunde! Untergangsgegner! Diese Antwort kennen wir, der Verlag hat sie uns genannt: Es ist der 20. August*. Und wehe, es wiederholt sich was! 115

116 Badehose mit Hummermuster Buchkritik Die amerikanische Autorin Lisa Halliday debütiert mit dem ungewöhnlichen Liebesroman»Asymmetrie«. D as hätte leicht schiefgehen können. Gewissermaßen von selbst. Denn dass die Autorin dieses Debütromans eine frühere Freundin des großen, nobelpreislosen amerikanischen Schriftstellers Philip Roth gewesen ist, das wussten alle, die sich für derlei interessieren, also bescheiden geschätzt: die ganze literarische Welt. Dass Lisa Halliday bei dieser Liebesgeschichte nicht die patriarchal üblichen 20, sondern gleich 43 Jahre jünger war, auch das war kein Geheimnis. Immerhin blieb bisher weitgehend privat, wie es sich wirklich zugetragen hatte, das Kennenlernen (im Roman: in einem Park, zufällig und ohne Vorstellung), die Formen der Zuwendung (im Roman: von seiner Seite auch pekuniär), die Intimität (im Roman: zärtlich, durch das Alter des Mannes eingeschränkt). Gleichwohl ist die Autorin, inzwischen 41, mit ihrem Erstling allen Erwartungen, die so aufmerksamkeitsfördernd wie gefährlich waren, mit kühner Schlichtheit begegnet: Ich erzähle euch, so tritt es auf, dieses Buch, in dem die Geliebte Alice heißt und der berühmte Autor Ezra, ich erzähle euch die Geschichte, auf die ihr gewartet habt. Ich mache das derart gut, dass euch irgendwann egal sein wird, was Wirklichkeit war und was poetische Wahrheit ist. Und für alle, die es dennoch wissen wollen, spicke ich den Roman mit Hinweisen, die, je nach Seelenlage des Neugierigen, amüsant oder be- Lisa Halliday:»Asymmetrie«. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser; 320 Seiten; 23 Euro. Kultur Schriftstellerin Halliday:»Ehemaliges Chormädchen aus Massachusetts«schämend sind. Es wäre ganz falsch, so sagt es beispielsweise die Romanfigur Ezra, der literarische Meister,»sich in der stumpfsinnigen Übung zu verstricken, Wahrheit von Fik- tion trennen zu wollen, so als hätte man diese Kategorien als Schriftsteller nicht ohnehin als Allererstes verbannt«. Eine Liebesgeschichte also, zwischen einem über siebzigjährigen Mann und einer ihn bewundernden Mittzwanzigerin. Ein in allen Varianten gründlich durchgekautes Thema, übrigens auch von der Romanfigur Ezra Blazer wie natürlich mit Hingabe von seinem Realvorbild Philip Roth. Ja, das hätte leicht schiefgehen können, es geht aber sehr gut. Halliday erzählt sparsam, geradezu skizzenhaft, zugleich mit Kraft und Entschiedenheit in der Auswahl der Situationen. Mit schnellem, lebendigem Witz in den Dialogen, mit wohlbedachten, kurzen Momenten der Andacht, mit Zartgefühl und Genauigkeit. Hin und wieder hält sie inne und zeigt, was sie wie die großartige Übersetzerin Stefanie Jacobs auch außerdem kann, über die wirkungsvolle Schlichtheit hinaus, und biegt rechtzeitig ab, bevor es prätentiös würde.»im Pool trug er«, heißt es über einen achtjährigen Knaben in einer Familienszene,»eine Badehose mit Hummermuster und seine Schwester einen zu großen, schlaffen Badeanzug, aus dem bleich und platt wie zwei Pennys ihre Brustwarzen herausschauten. Guck mal, rief Olivia, während ihre Mutter ihr die Arme energisch mit Sonnencreme einrieb. Flankiert von vier schokoladengefüllten Mahlzähnen, schwankte der lockere Zahn unter ihrem Finger wie ein Betrunkener. Mann, sagte Alice. Der ist wirklich wackelig. «Die Liebesgeschichte zwischen Ezra und Alice ist allerdings nur der erste Teil dieses Buches, das aus zwei Romanen und einem Appendix besteht. Die junge Geliebte des weltberühmten Autors denkt im ersten Roman nicht nur darüber nach, ob aus ihr eine Schriftstellerin werden kann, sondern außerdem, ob jemand wie sie,»ein ehemaliges Chormädchen aus Massachusetts wohl in der Lage wäre, sich in die Gedankenwelt eines männlichen Muslims hineinzuversetzen«. Denn eigentlich will Alice als Autorin den Zirkel ihrer Erfahrung überschreiten: New York, die Weiblichkeit, die gebildete Mittelklasse und die naive Selbstzufriedenheit all derer, die in einem reichen, fried lichen Teil der Welt ihr Leben verläppern dür fen. Alice will das hinter sich lassen und zum Wesent - lichen kommen, zum Existenziellen und Politischen vermutlich wie ihre Erfinderin, die Autorin Halliday. Und so ist der zweite Teil des Buches gewissermaßen Programm - erfüllung. Denn dort verschwindet Alice auf Nimmerwiedersehen. Stattdessen erzählt eine männliche Hauptfigur in der Ichperspektive aus ihrem dramatischen Leben: ein junger ameri kanischer Wissenschaftler aus einer irakischen Familie, der den Terror in Bagdad und die politische Trostlosigkeit nach dem Einmarsch der US-Armee an Leib und Seele erfährt. Halliday erfüllt die selbst gestellte literarische Aufgabe tatsächlich tadellos. Doch wie deprimierend ist eine Feststellung wie diese, wenn man so schreiben kann, wie sie es kann. Elke Schmitter CALOGERO RUSSO / NYT / REDUX / LAIF 116 DER SPIEGEL Nr. 31 /

117 Sport»Warum sitze ich nicht in Waikiki am Strand und schlürfe Cocktails?«S. 122 Tour-de-France-Bestenliste für den Anstieg nach Alpe d Huez* *13,8 Kilometer, 1119 Höhenmeter CHRIS GRAYTHEN / GETTY IMAGES Geraint Thomas bei der Zielankunft in Alpe d Huez 2018 Platz Geraint Thomas 41 Minuten, 16 Sekunden Platz Christopher Froome 40 Minuten, 42 Sekunden Platz Udo Bölts 39 Minuten, 53 Sekunden Platz Andreas Klöden 38 Minuten, 36 Sekunden Platz Jan Ullrich 37 Minuten, 41 Sekunden Platz 1 bis Marco Pantani 36 Minuten, 50 Sekunden : :15 Platz Lance Armstrong 37 Minuten, 36 Sekunden Die Tour der Leiden, so klagten Radrennfahrer, sei in diesem Jahr so brutal wie lange nicht mehr gewesen. Sie beschwerten sich etwa über heftige Anstiege. Bei der Tour de France ist es schwer, Etappen mit früheren Jahren zu vergleichen Streckenführung und Wetter spielen eine Rolle. Die Königsetappe nach Alpe d Huez bietet aber gute Vergleichsmaßstäbe. Die 1119 Höhenmeter legten die Kletterer in diesem Jahr in einem wesentlich geringeren Tempo zurück als in den Hochzeiten des Dopings. Pantani, Armstrong und Ullrich waren auf der knapp 14 Kilometer langen Messstrecke rund vier Minuten schneller als die Topfahrer Selbst der deutsche Wasser - träger Udo Bölts war vor 21 Jahren schneller oben. ROBIN RUDEL / DPA PICTURE-ALLIANCE Magische Momente»Erst mein Finger, dann Frau Merkel«Turnerin Elisabeth Seitz, 24, über einen schmerzhaften Triumph SPIEGEL: Bei der Europameisterschaft 2011 in Berlin wurden Sie überraschend Zweite im Mehrkampf, obwohl Sie sich unmittelbar zuvor übel verletzt hatten. Seitz: Der ganze Tag verlief völlig verrückt. Erst kugelte ich mir im Training bei einem Sturz am Balken den kleinen Finger aus, dann traf ich Frau Merkel, und schließlich wurde mir Silber um den Hals gehängt. SPIEGEL: Was genau war mit dem Finger? Seitz: Der war im 90-Grad-Winkel nach hinten weggeknickt. Zum Glück war sofort ein Arzt da, der ihn wieder einrenkte. Trotzdem war unklar, ob ich ein paar Stunden später das Finale turnen kann. Vorher stand noch ein Fototermin mit der Bun - deskanzlerin an. Ich war damals 17 und ziemlich nervös. Gleichzeitig dachte ich ständig: Hoffentlich hält gleich der Finger. SPIEGEL: Und dann? Seitz: Die Ärzte konnten verhindern, dass der Finger dick wird. Ich wurde perfekt getaped. Und als ich mich beim Einturnen problemlos an den Stufenbarren hängen konnte, stand fest: Es geht los! SPIEGEL: Sie wurden in allen vier Dis - ziplinen noch besser bewertet als in der Qualifikation. Wie war das möglich? Seitz: Ich weiß nur, dass ich sehr aufgedreht war. Weil alles so speziell war, blieb gar keine Zeit für Zweifel. Ich turnte einfach drauflos, und das Publikum gab mir einen Energieschub. SPIEGEL: Haben Sie realisiert, dass Ihr zweiter Platz sporthistorische Dimensionen hatte? Seitz bei der EM in Berlin 2011 ANKE FLEIG / SVEN SIMON / DDP IMAGES Seitz: Nein. Als klar war, dass ich Zweite bin, fühlte ich mich wie unter Schock. Ich hatte eine Gänsehaut am ganzen Körper, und dann fiel ich meiner Mutter um den Hals. Irgendwann sagte jemand, dass meine Medaille die erste für Deutschland seit Maxi Gnauck im Jahr 1985 sei. Das klang cool, war mir in dem Moment aber völlig egal. SPIEGEL: Wie ging es Ihrem Finger? Seitz: Der war schwarz-blau angelaufen. Ich war offenbar so voll Adrenalin, dass ich nichts spürte. SPIEGEL: Sie haben 2011 am Stufenbarren auch ein neues Element erfunden. Seitz: Das kam erst nach der EM. Ich wollte etwas Neues ausprobieren und habe mit meinen Trainerinnen den sogenannten Seitz erarbeitet einen Aufschwung vom unteren zum oberen Holm mit ganzer Drehung. SPIEGEL: Demnächst finden erstmals die European Championships statt. Warum sind Sie nicht nominiert? Seitz: Nachdem ich im April zum zweiten Mal den Gesamt-Weltcup gewinnen konnte, litt ich ständig unter Bauchschmerzen. Die Ärzte verordneten mir eine Sport - pause, und ich musste drei Monate lang Medikamente nehmen. Ende Oktober will ich bei der WM wieder angreifen. PK 117

118 Sport»Grinsel«im Gewitter Fußball Mesut Özil schickt die Gründe seines Rücktritts in die ganze Welt, und der Verband entzieht sich der Diskussion. So versucht DFB-Chef Grindel, sein Amt und die EM 2024 zu retten. STUART MACFARLANE / ARSENAL FC VIA GETTY IMAGES 118 Ehemaliger Nationalspieler Özil in Singapur: Die Augen geküsst

119 DER SPIEGEL Nr. 31 / M esut Özil lehnt sich am vergangenen Montag an das Geländer eines Trainingsplatzes in Singapur und dehnt lässig seine Armmuskeln. Er hat zwei Stecker in den Ohren, er trägt ein blaues Muskelshirt und lächelt freundlich in die Kamera. Özil hatte nach der WM einen Urlaub auf der griechischen Insel Santorin verbracht und ist nun bei Arsenal London in die Vorbereitung für die neue Saison eingestiegen. Er scheint mit sich im Reinen. Nichts an seinem entspannten Auftreten deutet darauf hin, dass er wenige Stunden zuvor mit einer Erklärung über seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft Deutschland in zwei Lager geteilt hat: in Özil-Hasser wie Uli Hoeneß, den Präsidenten des FC Bayern München, der seine Freude kundtut, dass»dieser Spuk«endlich vorbei sei. Und in Özil-Versteher wie die Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD), die seine Demission»als Alarmzeichen«für das ganze Land sieht, weil sich ein großer deutscher Fußballer hier nicht mehr wohlfühle. Mit einer dreiteiligen Erklärung hat Özil den Deutschen Fußball- Bund in dessen größte Krise seit der Enttarnung des Sommermärchens als vermutlich gekaufte WM gestürzt. Er beklagt sich über»die schlechte Behandlung«durch den DFB und besonders dessen Präsidenten Reinhard Grindel und wirft»diesen Leuten«Rassismus vor. In einer Telefonkonferenz berieten die Verantwortlichen des DFB am Montag über den Fall, die Kommunikationsabteilung sandte anschließend eine Erklärung in sechs Absätzen an die Agenturen, und dann verabschiedete man sich wieder in den Urlaub. Nachfragen nicht erwünscht. Diskussion beendet. Özils Botschaft ging in rasanter Geschwindigkeit um die Welt. Innerhalb weniger Stunden wurde der Text des Nationalspielers, der mit 70 Millionen Follow - ern in den sozialen Medien einer der fünf beliebtesten Fußballer der Welt ist, auf Twitter mal weitergeleitet und rund mal gelikt, bei Instagram waren es dreimal so viele Likes. Die Bundeskanzlerin äußerte sich über Özil, der Zentralrat der Muslime, mehrere deutsche Minister sowie das gesammelte öffentlich-rechtliche Talkshowarsenal von Bosbach bis Basler und natürlich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der Özil symbolisch»die Augen küsste«. Das Internet war geflutet mit Hasskommentaren gegen Özil und gegen den DFB. Und tatsächlich: Das erste Buch, das sich mit dem publikumswirksamen Vorgang beschäftigt, wurde ratzfatz aufgeschrieben, 192 Seiten. Es ist ein riesiges, ungebremstes Palavern. Und der DFB? Verschanzte sich tagelang in seiner Wagen burg. Es war wie so oft seit Mitte Mai, als sich die Nationalspieler Mesut Özil und İlkay Gündoğan mit einem gemeinsamen Foto mit Erdoğan der Öffentlichkeit präsentierten: Statt sich mit einer starken Stimme zu Wort zu melden und die verbindende Strahlkraft des Fußballs zu nutzen, war der größte Fachverband der Welt vorgeführt, abgetaucht, hilflos. Besonders der von Özil scharf angegangene DFB-Präsident Reinhard Grindel, 56, erst vor 27 Monaten ins Amt gewählt, muss sich deshalb nun schon auf seine persönlichen Endspiele vorbereiten. Grindel hatte Bundestrainer Joachim Löw schon vor Monaten eine Jobgarantie DFB-Präsident Grindel»Erst einmal alles verdauen«für die kommenden vier Jahre gegeben. Bis Mitte November tritt die deutsche Nationalmannschaft jeweils zweimal gegen Frankreich und die Niederlande in der neu geschaffenen Nations League an. Sollte die DFB-Elf in die B-Liga absteigen, wird die Zukunft Löws noch mehr als nach dem WM-Aus infrage stehen und mit ihm die seines treuen Kumpanen Grindel. Noch wichtiger ist der 27. September für Grindel. An diesem Tag stimmen 18 Mitglieder des Inner Circle der Uefa über das Gastgeberland der Europameisterschaft 2024 ab. Sollte dabei der klare Favorit Deutschland gegen die Türkei verlieren, wird sich Grindel nicht weiter im Amt halten können. Denn es gibt ohnehin kaum noch Spitzenfunktionäre im DFB, auf die sich der ehemalige Bundestagsabgeordnete der CDU bei Gegenwind verlassen kann. Einmal mehr hat die DFB-Spitze nach dem WM-Aus die Sprengkraft von»erdogate«unterschätzt. Kurz nachdem Özils dritte Nachricht am Sonntagabend online ging, tauschten sich die Präsidiumsmitglieder bis spät in die Nacht untereinander aus.»der Ton und die Schärfe, dazu der direkte Angriff auf Grindel in einer Härte, wie ich ihn im Fußball in 30 Jahren noch nie erlebt habe das mussten wir erst einmal alle verdauen«, sagt der Chef eines großen Landesverbands. Die Führungsriege war komplett fassungslos. Und Grindel selbst soll aufgewühlt gewesen sein,»sein Selbstbild ist ein anderes als jenes, das Mesut in seiner Stellungnahme gezeichnet hat«, sagt ein DFB-Mann. Grindel soll noch in der Nacht zu Montag damit begonnen haben, seinen Präsidiumsmitgliedern zu erklären, dass der Ablauf rund um das Erdoğan-Foto völlig anders verlaufen sei, als es Özil dargestellt habe.»grindel ist überzeugt davon, dass er alles Mögliche getan hat, um Mesut zu einer frühen Stellungnahme zu bewegen, und ihm erläutert habe, welche Probleme auf die Mannschaft und auf den Verband zurollen, wenn Mesut sein Schweigen beibehalten würde«, sagt ein hochrangiger DFB-Funktionär. Grindel kämpft nun. Obwohl nicht viel länger als zwei Jahre im Amt, hat er sich zuvor schnell von der Weltmeister-Hybris im DFB anstecken lassen. Im Fußball sind wir die Besten der Welt dieser Hochmut kroch nach dem Gewinn des Weltpokals vor vier Jahren durch die DFB-Zentrale in Frankfurt und infizierte die Mitarbeiter. Und so segelte Grindel monatelang wie eine außer Kontrolle geratene Drohne durch den Luftraum. Der ehemalige Radioreporter und ZDF-Journalist gibt sich gern staatsmännisch. Im Zuge der WM wollte er sich als Völkerverständiger profilieren. Monatelang mussten DFB-Mitarbeiter für ihn das Turnier vorbereiten, mit Broschüren zur politischen Lage in Russland, es wurden Treffen mit NGOs verabredet. Kurz vor Turnierbeginn reiste Grindel mit einer Delegation nach Wolgograd, um dort einen Kranz niederzulegen. Auch als die Nationalmannschaft nach der WM-Auftaktniederlage gegen Mexiko schon gegen den drohenden Untergang kämpfte, blieb Grindel auf seiner Mission. Bevor das Team in Sotschi gegen Schweden spielte, legte er in der Stadt an der Schwarzmeerküste ebenfalls einen Kranz nieder. Der erhoffte PR-Effekt blieb aus. Nur ein Fotograf und eine Handvoll Reporter hatten sich zu dem Termin verirrt, das restliche Medienkorps beobachtete die verzweifelte Mannschaft. Zu seinen Vorzeigekickern hat Grindel nie einen Zugang gefunden, einige verspotten ihn als»grinsel«. Diese Distanz dürfte dazu beigetragen haben, dass der DFB- Chef die Haltung Özils nie verstanden hat. Der Kicker aus Gelsenkirchen-Bismarck fühlte sich durch die Reaktionen auf das LORENZ BAADER 119

120 DFB-Verantwortliche, Nationalspieler*:»Schlechte Behandlung«Erdoğan-Foto respektlos behandelt, in seiner Ehre gekränkt. Und mit einer Mischung aus verletztem Stolz, übersteigertem Selbstbewusstsein und Bockigkeit sah es Özil überhaupt nicht ein, dem Präsidenten einen Gefallen zu tun und sich wegen des Fotos mit Erdoğan zu erklären. Aber ist Grindel ein Rassist, wie es Özil in seiner Rücktrittserklärung nahelegt? Gül Keskinler, 58, müsste es wissen. Die Betriebswirtin war zehn Jahre lang ehrenamtliche Integrationsbeauftragte des DFB mit beratendem Sitz im Vorstand verließ sie den DFB,»weil es sinnlos wurde«, sagt sie,»der DFB besteht wie andere Verbände aus einer Clique von Gleichgesinnten, die das Leben meist durch die deutsche Verbandsbrille betrachten. Integration wird mehr als PR-Arbeit, weniger als interkulturelle Öffnung verstanden«. Aus der in Istanbul geborenen Frau ist eine der schärfsten Kritikerinnen des DFB geworden, sie sagt, 2015 habe es»eine Zäsur«gegeben:»Die Flüchtlingsbewegung setzte ein, und beim DFB entschied man sich, lieber die neu angekommenen Menschen mit Freundschaftsspielen und Fußbällen zu erheitern, statt ernsthaft über Strategien nachzudenken, wie Integration von hier lebenden Migranten funktionieren soll.«sie habe versucht, sagt Keskinler, Mi - gran ten in die ehrenamtliche Arbeit zu bekommen, weil sie als Multiplikatoren fungieren könnten:»sie könnten zu Vorbildern werden, denen andere Migranten nacheifern, so wie viele Kinder mit türkischen Wurzeln Mesut Özil nacheifern. Doch jeder Versuch, Strukturen zu verändern, ist abgeprallt. Es ging bei Integra - tions projekten nur darum, wie viele Zeitungen darüber schreiben, ob das Fernsehen da ist oder wie viele Likes es dafür in den sozialen Medien gibt.«* Joachim Löw, Mesut Özil, Reinhard Grindel, İlkay Gündoğan, Oliver Bierhoff am 19. Mai in Berlin. ALEXANDER HASSENSTEIN / BONGARTS / GETTY IMAGES Gül Keskinler sagt, sie habe die Brisanz des Erdoğan-Fotos sofort erkannt:»ich habe viele ehemaligen Kollegen beim DFB gewarnt, dass da jetzt eine Lawine auf sie zurollen würde, und habe meine Hilfe angeboten.«aber der DFB sei nur auf die WM fokussiert gewesen:»die Verantwortlichen dachten, sie könnten das einfach aussitzen. Daran sieht man, wie weit die Fußballexperten vom gesamtgesellschaftlichen Diskurs entfernt sind.«keskinler sagt, Grindel habe eine konservative politische Meinung, und seine»interkulturelle Kompetenz«sei nicht sehr entwickelt, aber sie sei sich»sicher, dass der Präsident und die Führungsriege keine Rassisten sind«. Ob Grindel jedoch aus den kritischen Reaktionen über den Umgang mit Özil etwas gelernt hat, ist fraglich. Sichtbar ist es nicht, bislang zumindest. Als die Debatte über das Foto der Nationalspieler aufkam, dachten die DFB-Männer, diese Verfehlung könnte mit einer kleinen Inszenierung aus der Welt geschafft werden. Es wurde ein Termin mit den Delinquenten und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vereinbart. Ein Spaziergang durch den Garten von Schloss Bellevue. Ein kurzes Statement. Damit sollte die Sache erledigt sein. Grindel wollte die Özil-Affäre an sich vorbeiziehen lassen wie ein Sommergewitter. Einmal trat er bei einer Pressekonferenz im DFB-Teamquartier in Watutinki bei Moskau auf. Er meierte die Journalisten für ihr ständiges Nachhaken zum Fall Özil ab. Er könne nicht erkennen, dass der DFB in der Sache irgendeinen Fehler gemacht habe, erklärte er. Im Auditorium schüttelten sie nach dem Auftritt nur ungläubig den Kopf. Und heute? Nach dem WM-Aus? Nach dem Rücktritt Özils? Tragen wieder die anderen die Schuld. Beim DFB haben sie schon seit einiger Zeit das Gefühl, dass sich die Kräfte rund um Özil verschoben hätten. Der Mittelfeldspieler sei nach seinem Beraterwechsel von seinem Vater zu Erkut Söğüt für den Verband kaum noch zu greifen. Söğüt, so empfinden es leitende Mitarbeiter beim DFB, radikalisiere Özil:»Unter Söğüt fing Mesut an, ständig davon zu reden, dass er auf der Weltbühne zu Hause sei. Weltmeister, ehemaliger Spieler von Real Madrid, wohnhaft in der Metropole London und ein wichtiger Star der Premier League so sieht Mesut sich, dieses Bild vermittelt Söğüt ihm.«beim DFB sehen sie in Söğüt die treibende Kraft hinter den drei Özil-Statements. Auch dass Özil namentlich allein Grindel und nicht etwa Manager Oliver Bierhoff angegriffen hat, halten Führungsmitglieder für keinen Zufall.»Wir stehen kurz vor der Entscheidung um die EM Bewerbung. Unser Gegner ist die Türkei, und Grindel ist das Zugpferd unserer Bewerbung. Gerade ihn zu beschädigen, womöglich zu versuchen, einen so großen öffentlichen Druck zu erzeugen, dass er von sich aus sein Amt niederlegt, würde unsere Bewerbung in eine Krise stürzen«, sagt ein hoher DFB-Mann. Gibt es Belege für diese Theorie? Die DFB-Leute verstummen. Sie sprechen über Indizien, über Hinweise, über Merkwürdigkeiten, aber Belege, nein, die könne man nicht liefern. Es fällt der Name Mike Lee, einer der einflussreichsten Lobbyisten der Sportbranche. Der Engländer war für die Olympiabewerbungen von Rio de Janeiro und Pyeongchang tätig, half auch, Olympia nach Paris zu holen, nun ist er für die türkische EM-Bewerbung tätig. Lee hat sein Büro wie Söğüt in London. Als ihn der SPIEGEL zu seiner Rolle befragt, sagt er, er kenne Özil nur als Fußballer, mit Söğüt habe er nichts zu tun. Auch wenn es alles nur Verschwörungstheorien im DFB sein sollten, sie helfen Grindel. Man hakt sich unter, sie befördern das öffentliche Schweigen: Kein Landesfürst darf sich mehr öffentlich zu Özil äußern, die DFB-Vorderen haben sich selbst ein Schweigegelübde auferlegt einmal abgesehen von einer weiteren Erklärung Grindels auf der DFB-Homepage am Donnerstag, in der er die Rassismusvorwürfe von sich weist und Defizite im eigenen Krisenmanagement einräumt. Zumindest bis zur Entscheidung der EM-Vergabe kann der DFB keine Unruhe gebrauchen. Es ist noch nicht lange her, da versuchte ein einflussreicher Funktionär, unter Kollegen auszuloten, ob sie sich Philipp Lahm als neuen DFB-Präsidenten vorstellen könnten. Der Mann wurde schnell gestoppt. Bis zum 27. September ist das Rütteln an Grindels Amt verboten. Rafael Buschmann, Udo Ludwig, Gerhard Pfeil 120

121 »Ich fühle mich nicht als Deutscher«Einwurf Von Breitner bis Özil: In den Rücktritten deutscher Nationalspieler spiegelt sich die Unfähigkeit des DFB wider, mit gesellschaftlichen Veränderungen umzugehen. SVEN SIMON / IMAGO Sport D er blonde Engel, den man so nannte, weil er das flachshelle Haar lang trug und mit viel Fußballtalent gesegnet war, hatte früh geheiratet, mit 19, und seine Frau, sechs Jahre älter als Bernd Schuster, trat den üblichen Rollenzuschreibungen entgegen, öffentlich und kämpferisch.»kochen, Kinder kriegen, Klappe halten so ist das Ideal der Frau eines Fußballstars.«Das wollte Gaby Schuster nicht sein, sie war der Gegenentwurf. Die erste Spielerfrau der Bundesliga, die ihren Ehemann managte, die seine Millionenverträge aushandelte, seine Pressesprecherin war, sein Leben prägte. Sie wusste, wie das in der männerdominierten Fußballwelt ankam:»ich bin das böse Weib und er nur eine Marionette.«Dabei lag die Arbeitsteilung zwischen ihm, dem naiven Profi, und ihr, der resoluten Frau, doch so nah:»man spart den Manager ein und hat zehn Prozent mehr auf dem Konto.«Es war ein Partnerschafts- und Geschäftsmodell, mit dem Fußballdeutschland fremdelte, Vereinspräsidenten, Verbandsfunktionäre, Medien, auch Fans. Sie alle verfolgten, von 1979 bis 1984, eine dramatische On-off-Beziehung zwischen Bernd Schuster und der Nationalelf, während der es Rücktritte, Rausschmissdrohungen, Kommunikationsstörungen und Friedensgespräche gab und nur lächerlich wenige Länderspiele des anerkannt besten Spielers der Republik, 21 an der Zahl. Und das, obwohl Bernd Schuster im Sommer 1980 die deutsche Elf erst zum Europameistertitel dirigiert hatte und Ehepaar Schuster 1981, Fußballer Breitner 1973 dann beim FC Barcelona zu Ruhm und Reichtum kam. Dass er im Ausland Millionen kassierte und seine Frau das Wort führen ließ, blieb jahrelang ein Quell des Streits. Beschimpft und verspottet«werde er in Deutschland, klagte der Spielmacher und trat 1984 endgültig zurück. Im Nachhinein sah er sich als»pionier in diesem Geschäft«. Als erster Nationalspieler sei er von einem Freundschaftsspiel aus zu seiner schwangeren Frau geflogen, weil sich die Geburt ankündigte:»das war damals ein Skandal. Heute sagt der Trainer: Junge, bleib zu Hause. Und die Medien feiern das als Großtat eines verantwortungsbewussten Vaters.«Die Geschichte der spektakulären Rücktritte deutscher Nationalspieler ist auch eine Geschichte des Wandels der Gesellschaft. Selten dient der Sport in seinen biederen, ehrpusseligen Strukturen als Beschleuniger von Entwicklungen, meist trottet er den Zeitläuften hinterher. Wenn Helden wie jüngst Mesut Özil das von ihnen erwartete Rollenverhalten infrage stellen, wenn sie Tabus brechen, sich zum Weltbürger emanzipieren, dann kommt es zum Krach. Denn Sturheit gehört zum natürlichen Setting vieler Hochleistungssportler. Das gilt auch für Paul Breitner, der in der Stunde des größten Triumphs, beim Bankett nach dem Gewinn des Weltmeistertitels 1974, seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft erklärte, als 22-Jähriger. Der DFB wollte als Männerbund feiern, die Spieler wollten ihre Frauen dabeihaben. Als Funktionäre ihnen den Zutritt verweigerten, verließen Breitner und sein FC-Bayern-Kollege Gerd Müller das Fest. Es folgte ein über ein Jahr lang andauernder Streit, in dem es darum ging, wer sich bei wem wie entschuldigen muss. Dem DFB fiel es schwer zu erkennen, dass er es mit dem Vertreter einer neuen Generation, inspiriert von den 68ern, zu tun hatte. Einem, der sich um Institutionen und Hierarchien nicht scherte; der im Trainingslager nicht Simmel-Romane las, sondern Marx und Lenin; der sich unter einem Mao-Poster und mit der»peking-rundschau«in den Händen als intellektueller Rebell inszenierte; der sich beklagte,»unter politisch gedankenlosen Mitspielern isoliert«zu sein. Während die Bundesrepublik in Willy Brandts Kanzlerschaft überkommene Konventionen ablegte, kritischer umging mit Autoritäten, hatten Fußballprofis weiterhin keine Meinung zu haben, und eine linke schon mal gar nicht. Breitner, ab Spätsommer 1974 bei Real Madrid und ein Star, verachtete die Funktionäre, die sich mit»kamerad«anredeten, und er ließ es sie spüren:»solange ich gut bin, kann ich mir alles erlauben, sogar eine politische Überzeugung.«Genervt vom Dissens, schmiss Breitner dem Land das Nationaltrikot vor die Füße.»Ich fühle mich nicht als Deutscher, ich fühle mich bestimmt nicht als Bayer«, das war so ein SVEN SIMON Breitner-Satz, mit dem er den Langmut des Publikums testete. Dass er für das WM-Turnier 1982 noch einmal zur DFB-Elf zurückkehrte geschenkt. Wie hatte er nach dem Triumph von 1974 gesagt:»weltmeister bin ich leider nur für mich selbst geworden.«offenheit ist eine gefährliche Tugend im Sport. Und Kritik am System kann selbstmörderisch sein. Toni Schumacher schrieb 1987 ein Buch,»Anpfiff«nannte er seine»enthüllungen über den deutschen Fußball«. Der Nationaltorwart zeichnete ein Sittengemälde der Branche, berichtete von Doping, von Sex- und Alkoholeskapaden und bezichtigte sich selbst der Einnahme des Aufputschmittels Captagon. Für Schumacher waren das alles nur Wahrheiten aus seinem Alltag. Für den DFB war es Verrat. Der Vizeweltmeister von 1982 und 1986 hatte ein ganzes Bündel von Tabus gebrochen, die Leistungsgesellschaft Bundesliga demaskiert. Sein Arbeitgeber, der 1. FC Köln, kündigte ihm fristlos, der DFB warf ihn aus der Nationalelf. Der deutsche Fußball hatte die Auswüchse des Profigeschäfts nie sehen wollen, statt Debatten zu riskieren, hatte er geschwiegen und schlachtete den Enthüller. Heute wirkt»anpfiff«in Teilen wie ein Verbesserungskatalog, den die Bundesliga brav abgearbeitet hat. Schumacher hatte Profischiedsrichter gefordert, Dopingkontrollen, eine bessere Nachwuchsförderung, Videoanalysen. Vieles ist heute Standard. Alfred Weinzierl DER SPIEGEL Nr. 31 /

122 Sport Hönscheid, 37, geboren auf Sylt, aufgewachsen auf Fuerteventura, ist eine Tochter des Profiwindsurfers Jürgen Hönscheid. Sie ist fünfmalige Weltmeisterin im Stand-up- Paddeln (SUP). Sie war zudem zwölfmal deutsche Meisterin im Wellenreiten. SPIEGEL: Das WM-Rennen vor Hawaii gilt als härtester SUP-Wettbewerb der Welt. Was macht es so außergewöhnlich? Hönscheid: Die Bedingungen sind oft herausfordernd. Die 52 Kilometer ziehen sich über eines der tiefsten Gewässer der Welt. Da brechen sehr große Wellen, die Strömung ist stark, es ist meist auch extrem windig, und dann ist ja auch unter einem noch immer viel los. SPIEGEL: Sie meinen Haie? Hönscheid: Ja, Haie, Wale, alles, was da zu Hause ist. Ich bewege mich ja in ihrem Element. Einmal ist ein Wal so nah vor mir auf- und abgetaucht, dass wir fast zusammengestoßen wären. Ein anderes Mal ist ein vier Meter langer Tigerhai so knapp unter meinem Brett durchgeschwommen, dass ich ihn hätte berühren können. SPIEGEL: Haben Sie Angst? Hönscheid: Angst nicht, aber Respekt natürlich. Gleichzeitig bin ich aber immer auch ehrfürchtig, wie viel Leben es im Meer gibt; Schildkröten, fliegende Fische. SPIEGEL: Was machen Sie, wenn Sie versehentlich mal ein Wal rammt? Hönscheid: Solche Gedanken verdränge ich, überhaupt die Frage: Was ist da gerade Sportlerin Hönscheid vor Maui 2017»Salzwassersüchtig«Abenteuer Sonni Hönscheid will wieder den Weltmeistertitel im Standup-Paddeln. Die Strecke: 52 Kilometer mit Haien als Zuschauern. alles unter mir? Zur Sicherheit habe ich aber wie alle Teilnehmer ein Begleitboot, das in einem Abstand zu mir fährt und mich vor allem mit Trinkwasser versorgt. SPIEGEL: Sie waren zwölfmal deutsche Meisterin im Wellenreiten. Worauf kommt es bei diesem Wettbewerb an? Hönscheid: Man hat eine gewisse Zeit auf dem Wasser, etwa 15 bis 30 Minuten. Dann sitzt man mit vier Leuten auf einem sogenannten Spot und konkurriert um eine gute Welle, auf deren steilem Teil man dann so lange wie möglich so betont wie möglich gute Manöver fahren muss. SPIEGEL: Das hört sich stressig an. Hönscheid: Ist es auch. Viel zu stressig für diesen schönen Sport. Und am Ende fand ich die Bewertung auch nicht immer gerecht. Beim Stand-up-Paddeln ist es viel klarer: Der oder die Schnellste gewinnt. SPIEGEL: Wenn man es mit Wellenreiten vergleicht, wirkt die Sportart erst mal ziemlich langweilig. Hönscheid: Das täuscht. Schnell übers Wasser zu gleiten, das macht auch Spaß. Und sobald es aufs offene Meer rausgeht, ist es auch gleich viel mehr als Paddeln. Man surft dort draußen zum Teil ziemlich große Wellen ab. SPIEGEL: Bei der WM vor Hawaii steuern Sie Ihr Board auch mit dem Fuß. Wie funktioniert das? Hönscheid: Ich habe dort ein sogenanntes 18-Fuß-Unlimited-Board, das ist die Königsdisziplin im SUP. Das Brett ist also ABRAHAM SHOUSE / STARTHOT MEDIA etwa fünfeinhalb Meter lang. Darauf ist ein t-förmiger Hebel befestigt, den ich mit den Zehen bediene. Der wiederum ist mit einem Kabel verbunden, das über eine Rolle die Finne steuert. SPIEGEL: Wie bereiten Sie sich auf das Rennen vor? Hönscheid: Ich bin grundsätzlich viel auf dem Wasser, deshalb habe ich gar kein wirklich konkretes Training. Am Tag davor gucken wir uns die Wetterbedingungen an und legen die Route fest. Am Morgen wird in hawaiianischer Tradition um Schutz gebetet, und dann geht es los. SPIEGEL: Was war der härteste Moment, den Sie erlebt haben? Hönscheid: Vor zwei Jahren bin ich zum Rennen schon mit Magenkrämpfen angetreten. Ich wollte mich unbedingt gegen meine stärkste Konkurrentin durchsetzen, habe mich total gestresst. Nach drei Stunden bin ich vom Kurs abgekommen und musste dann bei Regen gegen starken Wind anpaddeln. Das war eine Anstrengung, unbeschreiblich. Krämpfe in den Armen, Beinen, offene Blasen an den Händen. Ich dachte nur noch: Ich packe das nicht. Warum tue ich mir das an? Warum sitze ich nicht in Waikiki am Strand und schlürfe Cocktails? SPIEGEL: Sie haben aber durchgehalten. Hönscheid: Ja, am Ende habe ich aber statt zweier Zielbojen vier gesehen, so unterzuckert war ich. Ich wusste auch gar nicht, auf welchem Platz ich bin. Jemand neben mir hielt dann nur drei Finger hoch, und ich dachte: Mist, nur Dritte. Dabei meinte er: dritter Titel in Folge. SPIEGEL: Voriges Jahr sind Sie bei dem Rennen nicht angetreten. Warum nicht? Hönscheid: Dieses Rennen ist sehr intensiv, das fährt man in erster Linie gegen sich selbst. Ich musste neue Motivation finden, brauchte mal eine Pause, Ruhe. SPIEGEL: Was haben Sie gemacht? Hönscheid: Viel gemalt. Ich mache das, wie andere Leute Tagebuch schreiben. Da verarbeite ich meine Erlebnisse. SPIEGEL: Wellenreiten, Kiten, SUP: Wie sehr kommt man sich da auf dem Wasser eigentlich ins Gehege? Hönscheid: Als wir damals auf Fuerteventura angekommen sind, hat mein Vater nach Leuten gesucht, die mit ihm rausgehen. Oft sind wir ganz allein bei Sonnenuntergang gesurft. Heute sind gleichzeitig 30 andere Leute da. In vielen Revieren ist es schon ziemlich voll geworden. SPIEGEL: Was bedeutet Ihnen das Meer? Hönscheid: Ich bin süchtig nach Salzwasser. Wenn ich auf dem Wasser unterwegs bin, fühle ich mich unbeschreiblich frei, aber zugleich auch mit allem und allen eins. Denn, das vergisst man ja ganz oft, egal wo wir auf der Welt sind, das Meer verbindet uns alle. Interview: Antje Windmann 122 DER SPIEGEL Nr. 31/

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124 Ericusspitze 1, Hamburg, Telefon Fax (Verlag), (Redaktion) Mail Impressum HERAUSGEBER Rudolf Augstein ( ) CHEFREDAKTEUR Klaus Brinkbäumer (V.i.S.d.P.) STELLV. CHEFREDAKTEURE Susanne Beyer, Dirk Kurbjuweit, Alfred Weinzierl HAUPTSTADTBÜRO Leitung: René Pfister, Michael Sauga, Christiane Hoffmann (stellv.). Redaktion Politik und Wirtschaft: Nicola Abé, Dr. Melanie Amann, Markus Dettmer, Veit Medick, Ann-Katrin Müller, Ralf Neukirch, Cornelia Schmergal, Christoph Schult, Anne Seith, Gerald Traufetter. Autoren, Reporter: Markus Feldenkirchen, Konstantin von Hammerstein, Christoph Hickmann, Christian Reiermann, Marcel Rosenbach DEUTSCHLAND Leitung: Cordula Meyer, Dr. Markus Verbeet. Redaktion: Laura Backes, Katrin Elger, Michael Fröhlings - dorf, Hubert Gude, Charlotte Klein, Miriam Olbrisch, Andreas Ulrich, Michael Wulzinger. Meldungen: Annette Bruhns. Autoren, Reporter: Jan Fleischhauer, Annette Großbongardt, Julia Jüttner, Beate Lakotta, Bruno Schrep (frei), Katja Thimm, Dr. Klaus Wiegrefe Berliner Büro Leitung: Frank Hornig. Redaktion: Maik Baumgärtner, Sven Becker, Sven Röbel, Michael Sontheimer (frei), Andreas Wassermann, Wolf Wiedmann- Schmidt. Autoren, Reporter: Stefan Berg, Martin Knobbe WIRTSCHAFT Leitung:Susanne Amann, Markus Brauck. Redaktion: Simon Hage, Isabell Hülsen, Alexander Jung, Nils Klawitter, Alexander Kühn, Martin U. Müller, Ann-Kathrin Nezik, Simone Salden. Autoren, Reporter: Hauke Goos, Armin Mahler, Michaela Schießl AUSLAND Leitung: Britta Sandberg, Juliane von Mittelstaedt (stellv.), Mathieu von Rohr (stellv.). Redaktion: Fiona Ehlers, Katrin Kuntz, Jan Puhl, Tobias Rapp, Raniah Salloum, Samiha Shafy, Helene Zuber. Autoren, Reporter: Marian Blasberg, Clemens Höges, Susanne Koelbl, Dietmar Pieper, Christoph Reuter WISSENSCHAFT UND TECHNIK Leitung: Rafaela von Bredow, Olaf Stampf. Redaktion: Dr. Philip Bethge, Manfred Dworschak, Marco Evers, Dr. Veronika Hackenbroch, Guido Kleinhubbert, Julia Koch, Kerstin Kullmann, Hilmar Schmundt, Frank Thadeusz, Christian Wüst. Autor: Jörg Blech KULTUR Leitung: Sebastian Hammelehle. Redaktion: Tobias Becker, Lars-Olav Beier, Anke Dürr, Ulrike Knöfel, Katharina Stegelmann, Claudia Voigt, Martin Wolf, Takis Würger. Autoren, Reporter: Georg Diez, Dr. Martin Doerry, Lothar Gorris, Wolfgang Höbel, Dr. Nils Minkmar, Elke Schmitter, Volker Weidermann GESELLSCHAFT Leitung: Matthias Geyer, Özlem Gezer (stellv.). Redaktion: Maik Große kathöfer, Barbara Hardinghaus, Felix Hutt, Maren Keller, Timofey Neshitov, Dialika Neufeld, Claas Relotius, Jonathan Stock. Autoren, Reporter: Uwe Buse, Ullrich Fichtner, Jochen-Martin Gutsch (frei), Marc Hujer, Alexander Smoltczyk, Barbara Supp SPORT Leitung: Udo Ludwig. Redaktion: Thilo Neumann, Gerhard Pfeil, Antje Windmann, Christoph Winterbach INVESTIGATIVREPORTER Rafael Busch - mann, Jürgen Dahlkamp, Gunther Latsch, Jörg Schmitt (investigativ-reporter@ spiegel.de). Koordination SPIEGEL ONLINE: Jörg Diehl, Koordination SPIEGEL TV: Roman Lehberger SONDERTHEMEN Leitung: Dr. Susanne Weingarten, Dr. Eva-Maria Schnurr (stellv.). Redaktion: Markus Deggerich, Uwe Klußmann, Joachim Mohr, Bettina Musall, Dr. Johannes Saltzwedel, Sandra Schulz. Autorin: Marianne Wellershoff KOORDINATION MEINUNG Markus Feldenkirchen, Christiane Hoffmann SPIEGEL PLUS Alexander Neubacher DEIN SPIEGEL Leitung: Detlef Hacke, Bettina Stiebel. 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KG Verantwortlich für Anzeigen: André Pätzold Gültige Anzeigenpreisliste Nr. 72 vom 1. Januar 2018 Mediaunterlagen und Tarife: Verantwortlich für Vertrieb: Christoph Hauschild Verantwortlich für Herstellung: Silke Kassuba Druck: Mohn Media Gütersloh VERLAGSLEITUNG Jesper Doub GESCHÄFTSFÜHRUNG Thomas Hass Service Leserbriefe SPIEGEL-Verlag, Ericusspitze 1, Hamburg Fax: Mail: leserbriefe@spiegel.de Vorschläge für die Rubrik»Hohlspiegel«nehmen wir auch gern per Mail entgegen: hohlspiegel@spiegel.de Hinweise für Informanten Falls Sie dem SPIEGEL vertrauliche Dokumente und Informationen zukommen lassen wollen, stehen Ihnen folgende Wege zur Verfügung: Post: DER SPIEGEL, c/o Investigativ, Ericusspitze 1, Hamburg Telefon: , Stichwort»Investigativ«Mail (Kontakt über Website): Unter dieser Adresse finden Sie auch eine Anleitung, wie Sie Ihre Informationen oder Dokumente durch eine PGP-Verschlüsselung geschützt an uns richten können. 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125 Nachrufe Sergio Marchionne, 66 Er war der Mann, der die italienische Autoindustrie vor dem Untergang bewahrte.»ich bin von Natur aus jemand, der Dinge repariert«, sagte Sergio Marchionne einmal. Bei der Fabbrica Italiana Automobili Torino kurz Fiat war ihm das gelungen. Als er die Firma vor 14 Jahren übernahm, stand das traditionsreiche Unternehmen kurz vor der Pleite. Marchionne belebte Alfa Romeo wieder, strich Jobs und erarbeitete sich einen Ruf als harter, aber erfolgreicher Sanierer. Dabei sollen ihn Autos nicht einmal be - sonders interessiert haben, auch wenn er durchaus Spaß daran fand, mit 300 Stundenkilometern im Ferrari über die hauseigene Rennstrecke zu brettern. Der Sohn eines Carabinieri stammte ursprünglich aus der Stadt Chieti in den Abruzzen. Als 14-Jähriger wanderte er mit seiner Familie ins kanadische Toronto aus. Nach einem Studium der Philosophie, Betriebs- und Rechtswissenschaften arbeitete er zunächst als Wirtschaftsprüfer. Seinen größten Coup ersann er, nachdem die Krise von Fiat schon fast überstanden war: 2009 übernahm er Chrysler für vergleichsweise wenig Geld. Der Autobauer aus Detroit stand selbst kurz vor der Insolvenz. Es retteten ihn ein Kredit der US-Regierung und Marchionne. Der Italiener mit kanadischem Pass schuf mit Fiat Chrysler Automobiles ein weltumspannendes Reich, zu dem Marken wie Jeep, Maserati und Ferrari gehören. Als er Amsterdam und London zum Hauptsitz des neuen Konzerns machte, nahmen ihm das einige in Italien übel. Doch um Konventionen scherte sich Mar chionne nie. Bei öffentlichen Auftritten trug er stets dieselbe Uniform: einen dunklen Pullover. Zu seinem größten Gegenspieler wurde der Maßanzugträger Luca di Montezemolo verdrängte Marchionne den langjährigen Fer rari-manager unsanft von der Spitze der Nobelmarke. Auch diesen Chefposten übernahm er. Den Vorstandsvorsitz von Fiat wollte er eigentlich Anfang 2019 abgeben. Er sah seine Aufgabe als vollendet an. Und er sei müde, wie er sagte. Jahrelang war er morgens um halb vier aufgestanden, um das Geschäft auf zwei Kontinenten zu managen. Sergio Marchionne starb am 25. Juli nach Komplikationen bei einer Operation in Zürich. AKN FAN YUANZHI / FEATURECHINA / ROPI Oxana Schatschko, 31 Eine Zeit lang spielte sie mit dem Gedanken, ins Kloster zu gehen. Doch dann wollte Oxana Schatschko, in der ukrainischen Stadt Chmelnyzkyj zu Zeiten der Pere - stroika geboren, lieber die Welt verändern. Sie interessierte sich für Philosophie, las marxistische Literatur, engagierte sich für Frauenrechte und gehörte 2008 zu den allerersten Aktivistinnen der heute weltweit agierenden Gruppe Femen. Gegen sexuelle Ausbeutung, gegen Diktatur und Unterdrückung durch Religion erhoben die Frauen ihre Stimme, und um gehört zu werden, zogen sie sich aus: Die barbusigen Proteste fanden allergrößte Aufmerksamkeit bei Freund und Feind. Sie hätten den Feminismus neu erfunden, jubelten die einen, alles Effekt - hascherei, kritisierten die anderen. Schatschko war gelernte Ikonenmalerin; in ihrer Freizeit fertigte sie Abdrücke ihrer Brüste an, die, als T-Shirt-Motiv verwendet, Femen mitfinanzierten. Dass die Proteste die Mächtigen nicht kaltließen, wurde an den brutalen Reaktionen deutlich fand Schatschko politisches Asyl in Frankreich, nachdem sie mutmaßlich vom Geheimdienst schwer misshandelt worden war. Schatschko, von ihren Freunden Ksjuscha genannt, war als mutig, kreativ, sen - sibel bekannt. Nach Aus - einandersetzungen um die Organisation von Femen erklärte sie 2014 ihr Ausscheiden. Sie konzentrierte sich seither ganz auf ihre GLEB GARANICH / REUTERS freie Kunst. Am 23. Juli wurde Oxana Schatschko in ihrer Pariser Wohnung tot aufgefunden. Es existiert ein Abschiedsbrief. KS Mary Ellis, 101 Am liebsten flog sie die»spitfire«. An die 400 Exemplare des bis heute legendären Jagdflugzeugs hatte sie im Zweiten Weltkrieg gesteuert, viele waren fabrikneu, andere durch Beschuss stark beschädigt. Frauen war damals der Zugang zur Royal Air Force noch ver - boten, dennoch flog Mary Ellis bis Kriegs ende 76 verschiedene Flugzeugtypen, sogar schwere Bomber wie den»vickers Wellington« war die junge Pilotin der Air Transport Auxiliary beigetreten, einer zivilen Organisation, die Militärmaschinen zwischen den Flugzeugwerften und ihren Stationierungsorten hin und her bewegte. In diesem Dienst arbeiteten neben mehr als 1000 Piloten auch 168 Pilotinnen aus aller Welt, was damals höchst ungewöhnlich war und in Fliegerkreisen zunächst für Empörung sorgte. Doch die fliegenden Frauen wurden so dringend gebraucht, dass die britische Regierung 1943 zum Äußersten griff und ihnen das gleiche Ge - halt wie ihren männlichen Kollegen zahlte. Eine Sen - sation. Von diesen Pionierinnen leben jetzt nur noch drei. Mary Ellis starb am 24. Juli auf der Isle of Wight in ihrem Haus am Rande eines kleinen Flugplatzes. ME ALAMY / MAURITIUS IMAGES DER SPIEGEL Nr. 31 /

126 Personalien ANATOL KOTTE Von Ottern und Robotern Zwei Zahnpastatuben sind mit schuld daran, dass Collien Ulmen-Fernandes, 36, zur Kinderbuchautorin wurde. Sie lagen im Bad eines Hotels, in dem die Schauspielerin und ihre Familie Urlaub machten. Auf der einen Tube war ein Junge mit einem Fernrohr zu sehen, auf der anderen eine Prinzessin, die sich im Spiegel betrachtet.»der aktive Junge, das passive Mädchen. Solchen Klischees sind Kinder ständig ausgesetzt«, sagt Ulmen-Fernandes.»Kein Wunder, dass viele Frauen sich später keine Führungsposition zutrauen.«zwei Otter sollen helfen, das zu ändern: Lotti und Otto, die Helden in Ulmen- Fernandes Buch, das im September erscheint. Der schüchterne Otto näht und backt gern, Lotti ist laut und hat selbst vor Monstern keine Angst. In genderneutraler Erziehung üben sich Ulmen-Fernandes und ihr Mann, Schauspieler Christian Ulmen, auch bei ihrer gemeinsamen Tochter. Ein Roboter sei nichts für Mädchen, hatte die ihren Eltern erklärt. Als Geschenk zu ihrem sechsten Geburtstag akzeptierte sie ihn dann doch. Seither ist er im Dauereinsatz. AKÜ Prinzessinnenprobleme Wenn eine Angehörige des japanischen Kaiserhauses wie Prinzessin Mako, 26, ihre Hochzeitspläne bekannt gibt, wird genau hingeschaut. Im vergangenen Jahr war publik geworden, dass Mako, älteste Enkelin des japanischen Kaisers Akihito, den Jurastudenten Kei Komuro, 26, ehelichen will. Die einen fanden es gut (Modernisierung des Kaiserhauses!), die anderen schlecht (ein Bürgerlicher!). Ende 2017 gab es Berichte, dass Komuros Mutter sich eine größere Summe Geld geliehen habe und die Schulden nicht zurückzahle. Kurz darauf kam die Nachricht, der Hochzeitstermin sei vom Herbst dieses Jahres auf das KYODO NEWS / IMAGO Jahr 2020 verschoben worden. Das Kaiserliche Hofamt, zuständig für alles Protokol - larische der royalen Familie, verschob fast gleichzeitig die offizielle Verlobungsfeier. Ein Teil der japanischen Presse äußerte wachsende Zweifel an Komuros Eignung als Ge - mahl der Königlichen Hoheit. Komuro, der die Prinzessin vor sechs Jahren an der Universität von Tokio kennenlernte, will jetzt an der Fordham University in New York seinen Master abschluss ma - chen. Die Universität hieß ihn mit einer Pressemitteilung als»verlobten der Prinzessin Mako von Japan«willkommen und rief damit das Kaiserliche Hofamt auf den Plan: Komuro sei keinesfalls der Verlobte; die Uni sah sich gezwungen, den Text zu ändern. Beobachter sorgen sich, ob die Beziehung der jungen Leute diesen Belas - tungen gewachsen sei. Doch es gibt Hoffnung: Die Prin - zessin wird nach einem offiziellen Besuch in Brasilien diese Woche einen Aufenthalt in New York ein legen, wo ihr Fastverlobter nun wohnt. KS 126 DER SPIEGEL Nr. 31 /

127 Barrikaden gegen Paparazzi Vielleicht hat ihn die Nachricht des Wirtschaftsmagazins»Forbes«, er sei der am besten verdienende Solomusiker des vergangenen Jahres, etwas aufgemuntert. Ansonsten musste der britische Singer-Songwriter Ed Sheeran, 29, in letzter Zeit eher schlechte Presse verkraften. Jetzt kam auch noch der Vorwurf, er verbarrikadiere sein Grundstück im vornehmen Londoner Westen, und zwar gegen Obdachlose. Sheeran besitzt ein mehrere Millionen teures Haus, das gerade ausgebaut wird. Das zuständige Planungsbüro hatte eine Bau - genehmigung für hohe Metallzäune beantragt, mit der Begründung, das Haus Einhörner unter sich Früher oder später gibt anscheinend jeder, der je - mals im Licht der Öffentlichkeit stand, dieser Versuchung nach: die Erinnerung an jene Zeit aufzuschreiben und der Welt zurückzugeben ob die will oder nicht. So hält es auch Sean Spicer, 46, im vergangenen Jahr für sechs Monate Pressesprecher des Weißen Hauses. Spicer wurde gleich nach der Amtseinführung Donald Trumps weltweit bekannt, weil er behauptete, die Menschenmenge bei dessen Vereidigung sei größer gewesen als jemals zuvor in diesem Zusammenhang sei so sicherer, auch vor Obdachlosen, die ihr Nachtlager womöglich im Vor - garten aufschlagen wollen würden. So wird es jedenfalls in der britischen Presse kolportiert. Sogar der seriöse»in dependent«ließ sich zu der Schlagzeile hinreißen:»der ehemalige Obdachlose Ed Sheeran plant Anti-Ob - dachlosen-zäune vor seinem Haus.«Sheeran selbst sagt, er sei nie obdachlos gewesen, sondern habe Anfang der 2000er-Jahre lediglich»ein paar Nächte«kein Dach über dem Kopf gehabt. Damals schrieb er seinen Song»Homeless«. Auf Instagram wies er auf sein Engagement für Obdach - losenhilfsorganisationen hin, niemals würde er Zäune zur Abwehr dieser Menschen bauen lassen. Direkt an die Klatschzeitung»The Sun«ge - wandt, schrieb er:»der Grund sind die Paparazzi, die du engagierst, die will ich von meiner Haustür fernhalten. Einen schönen Tag noch.«ks UNIVERSAL MUSIC entstand dann die Erfindung der»alternativen Fakten«, die so charakteristisch ist für die Ära Trump. Spicers gerade erschienenes Buch heißt»the Briefing«und zeichnet sich durch grobe Fehler, große Trump-Verehrung und gewagte Metaphern aus. Spicer bezeichnet seinen ehe maligen Chef, dem er offenbar nach wie vor treu ergeben ist, als»rockstar«und als»einhorn«, als jemanden, der ein Einhorn»über den Regenbogen reitet«. Die Kritiker in den USA sind nicht beeindruckt. Potenzielle Leser bisher auch nicht; der Verkauf auf Amazon lief jedenfalls schleppend an. KS MALIN FEZEHAI / REDUX / LAIF Die Augenzeugin»Jede Sprache lernen«die 17-jährige Melissa Meng aus dem hessischen Bad Wildungen über ihren Schüleraustausch in Ungarn und wie sich ihr Blick auf Deutschland verändert hat»ich war von August 2017 bis Juni 2018 als Austauschschülerin in Pécs im Süden Ungarns. Es war ein aufregendes Jahr, am Anfang war ich von den vielen Eindrücken überwältigt: die fremde Sprache, die neuen Leute, alles. Meine Mitschüler und meine Gastfamilie haben mich sehr offen und herzlich aufgenommen. Ich habe viele neue Freunde gefunden. An - fangs habe ich noch mit fast allen englisch gesprochen, weil mein Ungarisch nicht so gut war. Viele Ungarn selbst sagen, ihre Sprache sei eine der anspruchsvollsten überhaupt. Und ja, die Grammatik ist schon viel komplexer als in anderen Sprachen. Aber ich habe mir Mühe gegeben, nur noch ungarisch zu reden. Ich denke, man kann jede Sprache lernen, am einfachsten natürlich in dem Land, in dem sie gesprochen wird. In Ungarn ist der Umgang zwischen Schülern und Lehrern viel lockerer als in Deutschland. Der Unterricht wird mit einfachen Mitteln bestritten, es gibt viel Frontalunterricht. Von der fremdenfeindlichen Stimmung in Ungarn, über die man so viel liest, habe ich im Alltag nur wenig mitbekommen. Mir selbst gegenüber gar nicht. Ich habe mich selten mit Gleichaltrigen über Migration oder ähnliche Themen unterhalten. Ähnlich ist es mit meinen Gasteltern gewesen, wobei ich den Eindruck hatte, dass sie das mit Bedacht behandelten, da in Deutschland andere Positionen zu diesen Themen vertreten werden. Als das Jahr zu Ende war, war ich einerseits traurig, mich von meinen Freunden und meiner Gastfamilie verabschieden zu müssen. Andererseits freute ich mich auch auf zu Hause. Nun bin ich froh, wieder bei meiner Familie und meinen Freunden zu sein, auch wenn es manchmal ungewohnt ist. Nicht nur ich, meine Interessen und Berufswünsche haben sich verändert, sondern auch meine Freunde. Außerdem hat sich meine Einstellung gegenüber Deutschland geändert. Nach einem Jahr im Ausland verstehe ich die Menschen, die nach Deutschland kommen, besser, auch die Hoffnungen und Möglichkeiten, die sie damit verbinden. Ich denke, wir sollten das Thema Migration möglichst neutral betrachten und ein Verständnis dafür entwickeln, welche Gründe Menschen zur Migration bewegen.«aufgezeichnet von Fidelius Schmid MICHAEL MENG 127

128 »Gegen Stress anzukämpfen gehört zu den Masteraufgaben dieses Jahrhunderts.«Robin Radon, Oberhausen (Nordrhein-Westfalen) Bereichernde Stimulanz Nr. 30/2018 Stress, lass nach! Forscher erkunden, wie Körper und Geist Druck ertragen und in Stärke verwandeln Endlich nimmt ein Artikel neue Erkenntnisse auf und kommt weg von den üblichen unrealistischen Achtsamkeits-Empfehlungen! Stressbewältigung ist eben immer ein aktiver Prozess. Innerliche Beweglichkeit und Sinn im Tun zu finden ist dabei die beste Therapie. Ich empfehle in meiner Arbeit Angela Merkel als Modell. Man kann politisch von ihr halten, was man will, aber seit Ewigkeiten ist sie in einem knochenharten Job unterwegs, durch Krisen und Konflikte, dabei durchsetzungsstark und selbst auf Tuchfühlung mit Gestalten wie Putin und Trump immer irgendwie gelassen. Eben aus einer gewissen Beweglichkeit heraus, man vergleiche sie nur einmal mit dem erstarrenden Seehofer. Peter Bergholz, Dipl.-Psych., Hassenroth (Hessen) Das Ende des Artikels hat mich gleich wieder gestresst:»der Sinn des Lebens liegt in der Zeit, die man mit den eigenen Kindern verbracht hat. Mit den Eltern.«Aha und die Kinderlosen, die Alleinstehenden? Der Sinn des Lebens liegt in der Zeit, die man mit wirklich nahestehenden Menschen verbracht hat, das können auch kinderlos zusammenlebende Lebenspartner oder gute Freunde sein. Ekkehard Grube, Dinslaken (NRW) Danke für die Aktualisierung empirischen und alltagspraktischen Wissens über Stress. Aber wo bleiben die Stressoren, deren Bewältigung nicht dem Einzelnen überantwortet werden kann? Ohne die Bewertung oder zumindest Erwähnung kultursoziologischer und kapitalismuskritischer Aspekte erscheint das Thema doch arg privatisiert. Stephan Rüdiger, Kassel Besonders hilfreich in dem Artikel ist der Hinweis, dass man zwischen einem positiven»eustress«und dem negativen»disstress«unterscheiden sollte. Während der gute Stress das Leben bereichert, motiviert, begeistert und Glücksmomente hervorruft, überfordert der schlechte, schlaucht und setzt unter Druck. Man sollte sich fordern, aber die eigenen Grenzen erkennen. Gelingt es, das rechte Maß zu finden, angemessene Ansprüche an sich selbst zu stellen, nach Stress und Anspannung für Entspannung und Erholung zu sorgen und in der Freizeit nicht von Event zu Event zu jagen, kann man Eustress als bereichernde Stimulanz erfahren. Schon Kinder sollten lernen, angemessen mit Stress umzugehen. Damit dies gelingt, sollten Eltern und Lehrer Heranwachsende nicht unzumutbar belasten, sondern sie je nach ihren individuellen Möglichkeiten fordern und fördern. Gabriele Gottbrath, Rektorin i. R., Gladbeck (NRW) Puh, so schnell schreibe ich keine Leserbriefe (eher gar nicht), aber das Verhältnis von vier abgebildeten Männern zu einer Frau ist ja wohl schon extrem! Aber vielleicht sind Frauen ja doch einfach nur nicht so schnell zu stressen Monika Wicher, Paderborn Alterndes Alphatier Nr. 29/2018 Kommentar: Horst Seehofer hat einen würdigen Abschied aus der Politik verpasst Gratulation zu der exzellenten Beschreibung und Beurteilung des menschlichen und politischen Charakters von Horst Seehofer. Alois Schwind, Wachtberg (NRW) Dass Herr Seehofer an seinem 69. Geburtstag feststellte, dass 69 Afghanen an diesem Tag abgeschoben wurden, ist ein unsäg - liches Zahlenspiel, das ihm vermutlich heute noch leidtut. Im SPIEGEL wurde die unpassende Feststellung Seehofers in allen Variationen breitgetreten und abgeurteilt. Von der Tragik eines Politikers über sitt - liche Unreife bis zur Verrohung der Sitten wurde alles herangezogen, was nur ging. Dass vielleicht bloß das Zahlenspiel eine Rolle spielte oder die Eitelkeit eines Politikers, der auf seinen Geburtstag hinweisen wollte, auf die Idee kam man nicht. JUAN MOYANO / PLAINPICTURE Unangemessen ist es nach meiner Meinung, wenn man für die positive Politik Horst Seehofers nur zwei kleine Absätze am Ende des Kommentars übrig hat. Erika Dietrich, Ingolstadt Markus Feldenkirchen hat recht, inzwischen ist Mitleid mit Horst Seehofer angebracht. Ein Aspekt fehlt mir allerdings sowohl in diesem Beitrag als auch in der allgemeinen Diskussion: Könnte es nicht sein, dass Seehofers irritierendes Verhalten auch eine (hilflose) Reaktion auf die manipulativen Einflüsse Markus Söders ist? Weggedrängt vom Amt des Ministerpräsidenten, gezielt gedrängt in die Rolle des künftigen Sündenbocks bei CSU-Stimmenverlusten nach der bayerischen Landtagswahl wohl schwer auszuhalten für ein alterndes Alphatier. Für mich ist es unvorstellbar, eine Partei zu wählen, die sich christlich nennt, aber ganz anders agiert. Wir wünschen uns eine Trennung der Unions parteien und die Möglichkeit, schon im Oktober eine Alternative zu Herrn Söder und Konsorten wählen zu können. Elke Brandmayer, München Dieser Kommentar zeigt nachdrücklich, wie eigenwillig, um nicht zu sagen trotzigtölpelhaft manche demokratisch gewählten Politiker mit dem, was sie unter Politik verstehen, umgehen. Die Herren Seehofer, Dobrindt, Söder und wie sie noch heißen setzen bei der Durchsetzung von persön - lichen Karriere- und kleinkarierten Landesinteressen das Ansehen jener Nation, die einmal das Land der Dichter, Denker und Aufklärer war, leichtfertig aufs Spiel. Sie lähmen die Handlungsfähigkeit der gan - zen Bundesregierung und leisten damit unbewusst oder gar aus Kalkül? dem Rechtsradikalismus Zuarbeit. Den Herren aus Bayern muss endlich bewusst gemacht werden, dass München nicht Berlin, der Innenminister nicht Kanzler ist und dass sie sich alle zusammen nicht nur zum Gespött von Bayern, sondern auch der Nation und weit darüber hinaus gemacht haben. Dr. Gerhard Birk, Chemnitz Mit Unbequemen wird man in der Politik sehr schnell fertig: Man legt dem Betreffenden nahe, den Hut zu nehmen, sonst hätte er den Absprung verpasst, hätte keine Ehre im Leib und was der Unterstellungen noch sein mögen. Man mag über 128 DER SPIEGEL Nr. 31 /

129 Briefe Innenminister Seehofer denken, was man will mal ist er auf Schmusekurs mit der Kanzlerin, mal möchte er ihr an die Gurgel: Unbequem ist er allemal, weil er sich nicht an den vorgegebenen Kurs in der Flüchtlingspolitik hält. Nur die Antwort, wer das alles bezahlen soll, wenn man weiterhin die Grenzen offen hält, bleibt man ihm schuldig. Das kann nicht ernsthaft der Weisheit letzter Schluss sein! Margot Scholz, Bischofsheim (Bayern) Beklagenswert Nr. 29/2018 Eine Lehrerin schlug sich zehn Jahre lang mit Zeitverträgen durch Bei aller Sympathie für die betroffene Aushilfslehrerin und bei allem Verständnis für ihre Situation: Sie ist leider keine ausgebildete Lehrerin und hat als solche keinen Anspruch auf eine unbefristete Anstellung. Ihr fehlt nicht nur das erste Staatsexamen, sondern auch das für eine fundierte Lehrerausbildung so wichtige Referendariat, das mit dem zweiten Staatsexamen abschließt. Insofern haben Sie für die beklagenswerte Praxis der Entlassung von Lehrern in den Sommerferien, die Sie mit Recht anprangern, das falsche Beispiel gewählt. Niemand käme hierzulande auf die Idee, einen Medizinstudenten mit nicht vollendetem Studium Patienten behandeln zu lassen oder einen Automechaniker ohne Gesellenprüfung in einer Fachwerkstatt zu beschäftigen. Edgar Ingrisch, Schulleiter i. R., Sontra (Hessen)»Schulen in ganz Deutschland entlassen einen Teil ihrer Lehrkräfte die Länder sparen so Millionen Euro an Gehalt.«Zumindest in NRW ist diese Praxis seit 2009 prinzipiell verboten. Die Sommerferien müssen bezahlt werden, zumindest wenn man spätestens zum vorhergehenden Halbjahresbeginn eingestellt worden ist. Ich selbst habe als Vertretungslehrkraft noch 2015 die Situation erlebt, dass mein Vertrag Lehrerin Rédey lediglich bis zu Beginn der Sommerferien terminiert wurde. Nur der Tipp einer Freundin brachte mich darauf, mich bei der Bezirksregierung zu melden, die ohne Zögern den Vertrag verlängerte. Ansonsten wäre ich sechs Wochen lang arbeitslos gewesen. Deshalb möchte ich alle Vertretungslehrer CARSTEN BEHLER / DER SPIEGEL in NRW darauf hinweisen, dass die offenbar jahrelang gängige Praxis, die Sommerferien nicht zu bezahlen, heute prinzipiell verboten ist. Andreas Gieseker, Hamm (NRW) Für Frau von Rédey mag es ein schwacher Trost sein: Immerhin hatte sie das Glück, immer in Nordrhein-Westfalen arbeiten zu können. Für Archäologen gibt es pro Bundesland nur einen Arbeitgeber. Einer sagte mir am ersten Tag des zeitlich befristeten Vertrags:»Sie bekommen nur einen Vertrag, und danach brauchen Sie sich im gesamten Bundesland nie wieder um eine zeitlich befristete Stelle zu bewerben.«ich hatte Verträge in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg Dr. Michael Wagschal, Ebersbach a. d. Fils (Bad.-Württ.) In letzter Not Nr. 29/2018 Wie sich Ärzte, Hoteliers und Händler gute Bewertungen kaufen Sie schreiben zum Ärztebewertungsportal Jameda:»Gute Bewertungen hier sind ein wertvolles Kapital, um Patienten zu gewinnen gerade in Großstädten, in denen der Wettbewerb massiv ist.«kann sein, dass Ihre Aussage für einen Kampf um besser zahlende Privatpatienten gilt. Für die Mehrheit der Einwohner in deutschen Großstädten aber gilt: Wohl dem, der einen Hausarzt hat. Wer heute zuzieht, wird sein blaues Wunder erleben, wenn er etwa nach einem Krankenhausaufenthalt, ausgestattet mit Medikamenten für drei Tage, einen niedergelassenen Arzt sucht, der ihn weiterbehandelt. In letzter Not kann man für 50 Euro einen Termin in einer Privatpraxis bekommen. Nur muss, wer als Selbstzahler den Arzt bezahlt, auch die Medikamente aus eigener Tasche zahlen. Trotz gesetzlicher Krankenversicherung. Warum wohl die überfüllten Notaufnahmen der Krankenhäuser? Weil der Kassenpatient drei Monate auf einen Termin beim Internisten wartet. Wer schon einmal früh bei Praxisöffnung mit einer Gallenkolik abgewiesen wurde, weil die Liste der bestellten Patienten übervoll war, der braucht keine Jameda-Liste, der braucht einfach nur einen Arzt. Romi Gratz, Berlin Zwei Seiten Nr. 29/2018 Thailands Militärregierung wandelte das Drama in der Höhle in eine Erfolgsgeschichte um Ich möchte an dieser Stelle einfach mal jubeln über tollen Journalismus. Juan Moreno hat in seinem Artikel gezeigt, weshalb der SPIEGEL keine Lügenpresse ist. Das so ins Heft zu bringen war toll, entlarvend auf vielen Ebenen. Also Danke. Irina Beikert, Kranzberg (Bayern) Wunderbarer Journalismus. Wieder einmal. Ich gratuliere! Nico Van den Abeele, Sint-Amandsberg (Belgien) Bei aller berechtigten Kritik an den makaber anmutenden Begleitumständen einer solchen Aktion ist doch die Befreiung der Betroffenen absolut ausschlaggebend und erfreulich. Jede Medaille hat eben, wie bekannt, zwei Seiten. Reinhard Goebel, Geldern (NRW) Natürlich kann man manches in Thailand kritisieren, jedoch ist der Hintergrundbericht zur Rettung der Kinder aus der Höhle an negativer Einseitigkeit und Einstellung kaum zu überbieten. Es fehlt hier wohl an Kenntnis der thailändischen Mentalität. Jürgen Koppelin, Bad Bramstedt (Schl.-Holst.) Gerettete Kinder im Krankenhaus Für Journalisten aus westlichen Ländern, die wegen einer internationalen Katastrophenerregung mal so eben in Thailand einreisen, mögen die einheimischen Gebräuche schwer zu durchschauen sein. So wird jeder Erfolg, sei es die Gefangennahme eines Drogenhändlers oder die Ausweisung von Visumbetrügern, in sämtlichen Thai- Medien mit einem»trophäenfoto«seitens der Polizei und des Militärs gefeiert. Dass Thais sich den kritischen Fragen eines ausländischen Journalisten entziehen, liegt daran, dass Kritik als unhöflich gilt. Anordnungen des Militärs werden vom Großteil der Bevölkerung zwar befolgt, aber auch schnell wieder»vergessen«. Ein Journalist, der erwartet, dass sich ein Mensch in Thailand ihm mal so eben öffnet, kann kein verifizierbares Ergebnis bringen. Dazu kommt vielleicht eine unbewusste Überheblichkeit im Ton, die die Einheimischen abstößt. Sie zieht sich zumindest durch diesen Text. Fragen nach Schuld und Sühne sind den buddhistischen Thais übrigens fremd. Sie helfen selbstlos. Sie fragen nicht nach dem eigenen Verlust, sondern sehen die Möglichkeit zu helfen als Gewinn für ihr Karma. Detlev F. Neufert, Bernau am Chiemsee (Bayern) Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe (leserbriefe@spiegel.de) gekürzt sowie digital zu veröffent lichen und unter zu archivieren. AFP 129

130 Hohlspiegel Rückspiegel Kleinanzeige in den»badischen Neuesten Nachrichten«Aus einer Polizeimeldung der Direktion Hannover:»Am Sonntag, , gegen 14 Uhr, ist das Grillen von drei Kindern im Bereich des Schwüblingser Weges außer Kontrolle geraten.«neu im Handel Zitate Die»Berliner Morgenpost«zum SPIEGEL-Bericht»Die Verschwörung«über Absprachen von Audi, BMW, Daimler, Porsche und VW zu Benzinmotoren (Nr. 30/2018):»Das ist ein dummes und unglaubliches Verhalten der Autohersteller«, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte an der Universität Duisburg-Essen.»Das wäre eine Katastrophe für das Image und auch finanziell.«aus der»neuen Osnabrücker Zeitung«Aus dem»weserspucker Wochenblatt für den Mühlenkreis«:»Ohne Badehose, dafür mit einem Spaten bewaffnet, begrüßte die Vorsitzende des Fördervereins Mindener Sommerbad, Kathrin Kosiek, unter anderem den Bundestagsabgeordneten Achim Post.«Der SPIEGEL berichtete in»schlecker-familie blockiert«(nr. 22/2018) darüber, dass der einstige»drogeriekönig«anton Schlecker und seine Kinder die Veröffentlichung des Straf - urteils gegen sie durch das Landgericht Stuttgart verhindern wollen. Die Verteidiger hatten sich auch auf den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Familie berufen. Das Landgericht Stuttgart hat am 2. Juli 2018 über die Herausgabe des Urteils 11 KLs 152 Js 53670/12 entschieden und diese angeordnet. Das Landgericht hat die anonymisierte Urteilsausfertigung daraufhin am 23. Juli 2018 veröffentlicht. Informationstafel über den Tagesablauf der Zisterziensermönche in der Klosterkirche von Bad Herrenalb (Bad.-Württ.) Von Focus.de:»Verpassen Sie nächste Woche die totale Mondfinsternis, müssen Sie bis 2123 warten.«in»afd geht gegen eigene Unterstützer vor«(nr. 30/2018) über den»verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten«, der mithilfe anonymer Millionenspenden Werbung für die AfD macht. Am Sonntag erklärte AfD-Chef Jörg Meuthen in der ARD-Sendung»Bericht aus Berlin«:»Wir haben mit diesem Verein für Rechtsstaatlichkeit nie zusammengearbeitet.«auf YouTube ist dagegen ein Video des Vereins abrufbar, in dem dessen Vorsitzender David Bendels gemeinsam mit dem heutigen Landesvorsitzenden der bayerischen AfD, Martin Sichert, in Bad Neustadt an der Saale für die AfD wirbt. Verkehrsschild in Winterbach (Bad.-Württ.) Aus der»mühlheimer Woche«:»Abenteuerlich geparkte Autos, illegale Angler, Störer im Naturschutzgebiet, Besitzer unangeleinter Hunde und grölende Be - trunkene sind in der Saarner Ruhraue willkommen und sollen das auch spüren.«online bestellen unter: amazon.de/spiegel in»bad Bank der Familie«(Nr. 15/2015) und»arm dran«(nr. 6/2016) über Bemühungen des Ex-Managers Thomas Middelhoff, Vermögenswerte vor seinen Gläubigern zu verstecken. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelt nun gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Arcandor Middelhoff und dessen Anwalt Hartmut Fromm wegen des Verdachts einer Bankrott-Straftat. Sie sollen Vermögenswerte verschoben haben. Middelhoff bestreitet die Vorwürfe. 130 DER SPIEGEL Nr. 31 /

131 Mit SPIEGEL+ nutzen Sie die ganze digitale Welt des SPIEGEL und sind überall umfassend informiert. Nur 0,70 für Print- Abonnenten Daily Update Am Abend der Überblick mit exklusiven Texten als Newsletter oder Push-Nachricht. SPIEGEL+ auf SPIEGEL ONLINE Voller Zugriff auf alle Inhalte: exklusive Reportagen, besondere Artikel. Gutes lesen. Mehr verstehen. DER SPIEGEL digital Das wöchentliche Magazin digital ab freitags, 18 Uhr. Inkl. Archiv, E-Books und mehr. Ja, ich möchte SPIEGEL+ 4 Wochen gratis testen! Jetzt mehr entdecken: abo.spiegel.de/upgrade Rosenzweig & Schwarz, Hamburg

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