Der Biss der Schlange

Transkript

1 Der Biss der Schlange Im Jahre 1925 gelangte der Rubinring in den Besitz der steinreichen Madame Biscard. Sie war Witwe, und da ihr Mann schon früh gestorben war, hatte sie keine Kinder. Vielmehr hielt sie sich exotische Tiere wie Skorpione, Vogelspinnen und Schlangen zu Hause. Eigentlich lebte sie in einer geräumigen und luxuriösen Villa in Frankreich, sie reiste aber auch gerne durch die Welt. So kam es, dass sie in diesem Jahr zu einer Safarireise nach Kenia in Afrika aufbrach. Findest du Frankreich und Kenia (Afrika) auf der Weltkarte?

2 Hast du Frankreich und Kenia entdeckt? Hier liegen sie: Frankreich Kenia (Afrika) Madame Biscard hielt nicht viel von Banken und Tresoren, weil sie schon viel zu viele Diebstähle in der Zeitung verfolgt hatte. Vielmehr war sie der Ansicht, dass sich jeder selbst gegen Diebstahl schützen sollte. Aus diesem Grunde hatte sie einen äußert wirkungsvollen Schutz für ihren allerliebsten Schmuck, ihren Rubinring, ersonnen, einen Schutz mit dem Namen Celia. Celia war eine kleine, schwarz-gelbe Giftnatter der Gattung Krait, der man nicht ansah, dass ihr Gift lebensgefährliche Verletzungen nach sich zog. Madame Biscard hatte die Schlange von einer Indienreise mitgebracht und liebte ihre Celia über alles. Celia wohnte in Madame Biscards Schmuckschatulle und passte dort auf den Rubinring auf, während Madame Biscard beruhigt ihren Tagesgeschäften nachgehen konnte. Allerdings war Madame Biscard auch eine vorsichtige Frau. Obwohl sie überzeugt war, dass ihre geliebten Tiere ihr kein Haar krümmen würden, hatte sie immer die passenden Gegengifte im Hause, sollte doch ein schlecht gelaunter Skorpion oder eine verschlafene Schlange aus Versehen zubeißen. Ging Madame Biscard auf Reisen, trug sie stets ein Antiserum ihrer Lieblingsschlange Celia bei sich, denn man konnte ja schließlich nie wissen.

3 Als Madame Biscard in Kenia angekommen war, verbrachte sie eine Nacht in einem wunderschön gelegenen Hotel, der Paradise Lodge, in der Wildnis der kenianischen Steppe. Das Hotel stand auf Holzstelzen, damit die Bewohner vor Löwen und anderen wilden Tieren geschützt waren. Nachts hörte Madame Biscard die verschiedensten Geräusche: das Knurren eines Geparden, das Trompeten der Elefanten, das Zirpen der Grillen und viele weitere Tierstimmen, die sie nicht zuordnen konnte. Vergnügt dachte sie, dass dies auch für Celia eine schöne Reise in die ihr vertraute Wildnis (wenn es auch nicht ganz Indien war!) sein musste. Nachdem sie Celia mit einer kleinen Maus gefüttert hatte, legte sich Madame Biscard schlafen und genoss die abenteuerliche Atmosphäre der Lodge. Am nächsten Morgen brach die Reisegruppe, bestehend aus Madame Biscard, vier weiteren Reiseteilnehmern, zwei Fahrern und einem Safarileiter auf. Neben Madame Biscard nahmen noch eine vornehme Dame aus Italien namens Signorina Molinari und drei englische Lords an dem Ausflug teil. Während des Tages fuhren sie durch die Steppe und beobachteten die Wildtiere. Sie trafen auf eine Herde Knus, Zebras und auf einige gelangweilt dreinschauende Giraffen, die ihren Hunger an den Blättern eines hohen Baumes stillten. Alle Safariteilnehmer schossen überwältigt von der Nähe der Tiere viele Fotos vom Auto aus, denn es war strikt verboten, aus den Autos auszusteigen. Zum Schutze aller hatte der Fahrer immer ein Gewehr bei der Hand. Am Abend schlugen sie ihr Lager unweit einer kleinen Quelle auf, damit sie genug Trinkwasser und Wasser zum Waschen zur Verfügung hatten. Madam Biscard wohnte in ihrem eigenen Zelt und nutzte die Zeit vor dem Abendessen noch, sich umzuziehen und zur Feier des ersten Safaritages ihren Rubinring anzulegen. Während alle das einfache Mahl genossen, das einer der Fahrer über der Feuerstelle zubereitet hatte, bewunderte einer der englischen Gentlemen Madame Biscards Ring. So ein wunderschönes, antikes Stück habe ich schon sehr lange nicht mehr gesehen. Und da ich mich als Archäologe auskenne, kann ich Ihnen versichern, dass der Ring sehr wertvoll ist und aus dem Mittelalter stammt. Hätten Sie vielleicht Interesse daran, ihn mir zu verkaufen?, fragte er mit einem gierigen Blick auf Madame Biscards Hand.

4 Diese lehnte jedoch ab, da es sich um ihren Lieblingsring handelte, von dem sie sich niemals trennen wollte. Nachdem auch die beiden anderen Lords ihren Ring bewundert hatten, und die italienische Dame ihn sogar anprobiert hatte, begab sich die Gesellschaft zu Bett. Madame Biscard gab ihrer Schlange Celia einen Gute-Nacht-Kuss und versank dann nach diesem anstrengenden Tag schnell in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen erfuhren die Reiseteilnehmer, dass es wohl zu Verzögerungen kommen würde, da die Signorina Molinari sich nicht wohl fühlte und einer der Fahrer zur Lodge zurückgefahren wäre, um einen Arzt zu holen. Die übrigen Teilnehmer frühstückten inmitten der eindrucksvollen Kulisse der weiten Steppe und plauderten munter miteinander.

5 Der englische Lord bat Madame Biscard, ihm noch einmal ihren Ring zu zeigen, da er ihn bei Tageslicht näher unter einer Lupe bewundern wollte. So ging Madame Biscard zu ihrem Zelt, um ihre Schmuckschatulle zu holen, kam jedoch gleich darauf aufgeregt zurück. Stellen Sie sich vor, rief sie atemlos, meine Schmuckschatulle wurde gestohlen! Mein wertvoller Rubinring ist weg! Und meine geliebte Celia auch! Madame Biscards verzweifelte Schluchzer durchdrangen das Lager. Die drei englischen Gentlemen versuchten sie zu beruhigen. Auf ihre Nachfrage hin, wer Celia wäre, erfuhren sie, dass eine höchst giftige Schlange in ihrem Lager unterwegs sein könnte. Entsetzt liefen sie in ihre Zelte, um ihre Schlafsäcke und Kleider mit Holzstöcken nach einer Schlange abzuklopfen und zu untersuchen.