Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz

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1 Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 2017 Die Herrin der Hüte Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter erhältlich. Beilagen der Jahresberichte Anno Domini unter

2 Die Herrin der Hüte Bündner Woche BüWo - Bündner Woche Nr. 37. vom 13. September Seite

3 - 3 - Die Herrin der Hüter Verena Philipp ist Modistin - die Einzige in Graubünden. Ein Besuch bei «Kopfform» zeigt, wie speziell das Handwerk ist. von Magdalena Ceak Modisterei - die moderne Bezeichnung für Hutmacherei - hat etwas mit Berufung zu tun. Denn vieles muss zusammenkommen, um als Modistin - etwas mehr als ein Dutzend gibt es in der Schweiz - arbeiten zu können: die Faszination zu Hüten. Ein Faible für Stoffe. Die Liebe zum Detail. Ein Auge für Schönes. Der Sinn für Perfektion. «Und ein bisschen Glück», erzählt Modistin Verena Philipp in ihrem Atelier «Kopfform» an der Gürtelstrasse 39 in Chur. Eine Ausbildungsstelle zur Modistin findet man in der Schweiz fast nicht. Heute heisst das Berufsbild Bekleidungs-gestalterin, Schwerpunkt Kopfbedeckung - dies musste im Zuge der Bildungs-verordnung umbenannt werden. Doch Philipp bezeichnet sich weiter als «Modistin» «weil es einfacher in der Umgangssprache ist». «Als ich vor rund 16 Jahren eine Lehre suchte, gab es gerade mal drei Lehrstellen», erinnert sich Philipp noch heute.

4 - 4 - Einen Ausbildungsplatz bot die Basler Modistin Maria Hiepler - in der Schweizer Szene als Grand Dame der Hüte bekannt. «Sie wollte mich zuerst nicht einstellen», er zählt Philipp. Und nicht, weil sie das Talent nicht dazu hatte, sondern mit 30 Jahren «zu alt war». Denn zuvor arbeitete Philipp nach ihrer Lehre jahrelang als medizinische Praxisassistentin. «Wie das früher oft der Fall war, wollten die Eltern, dass man zuerst etwas Anständiges lernt, bevor man sich einem kreativen Beruf widmet» erzählt sie weiter. Sie lacht. So wie es Menschen tun, die mit Freude ihre Lebensgeschichte erzählen und keinen einzigen Entscheid bereuen. «Als medizinische Praxisassistentin habe ich gelernt, mit den unterschiedlichsten Menschen umzugehen, was mir jetzt im Laden zugute kommt.» Der richtige Umgang mit Stoff Philipp steht hinter dem Tisch, der gleichzeitig auch die Verkaufstheke ist, und näht eine ihrer nächsten Kreationen zusammen: einen militärgrünen Hut aus Filz, also einen Herbsthut. Ihr Blick hinter der Brille mit den ovalen Gläsern ist konzentriert. Ihr Griff ist - sicher und entschlossen. Sie ist eine Handwerkerin durch und durch. Sie weiss, wie sie einen Hut formen und nähen muss. Mit Stecknadeln steckt sie einzelne Bereiche des Hutes ab. «Wichtig ist, dass man weiss, wie man mit den einzelnen Stoffen umgehen muss», erklärt sie. Als Modistin trage sie «liebend gerne» Hüte und Mützen. «Man sieht mich auf der Strasse selten ohne eine Kopfbedeckung». so Philipp. Ihrer Meinung nach gebe es unzählige Gründe, sich einen Hut auf den Kopf zu setzen. «Im Sommer schützt er mich vor der starken Sonne, und im Winter wärmt er mich bei kühlen Temperaturen», erklärt sie weiter. Und: Hüte und Mützen sind spielerische Accessoires, «die das Äussere pfiffig und einzigartig aussehen lassen können». Hüte würden das Erscheinungsbild und Auftreten eines Menschen enorm verändern - ähnlich wie ein neuer Haarschnitt. «Mit dem Unterschied, dass man eine Kopfbedeckung wieder ausziehen kann», meint Philipp. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Begriff Kopfbedeckung zeigt, dass diese für die Menschen viel mehr als nur ein schmuckes Accessoire ist. Der Hut weist auch auf die Vorsicht hin - mit dem verwandten Wort «hüten» ist das Bewachen gemeint. Auch in unserem alltäglichen Sprachgebrauch kommt der Hut nicht selten vor und deutet darauf hin, was für ein bedeutendes Symbol die Kopfbedeckung ist: «Alles unter einen Hut bringen» oder «Hut ab!».

5 - 5 - Dass die meisten Leute auf einen Hut oder eine Mütze verzichten, bedauert die Modistin zutiefst. «Es braucht doch keinen Mut, um so etwas tragen zu können», sagt Philipp, «und ja, es gibt für jeden Menschen die richtige Kopfbedeckung.» Doch Philipp kann die Unsicherheit der Menschen verstehen: «In solchen Fällen verbinden die Leute oft eine negative Erfahrung mit Hüten oder Mützen.» Diese Verschlossenheit und Unsicherheit würde sie oft in ihrem Laden erleben: Einmal habe der Ehemann einer Kundin eine klassische Schiebermütze aus Tweed und Leder in die Hand genommen und behauptet, er würde wie sein Grossvater oder Vater aussehen, wenn er diese aufsetzen würde. Und konnte Philipp ihn überzeugen? «Die Schiebermütze hat er tat sächlich probiert und fand es nicht einmal so schlecht.» Die Tatsache, dass sein Grossvater und Vater solche Mützen besitzen, habe ihn vom Kauf abgehalten, erzählt Philipp. Sie zuckt mit der Schulter. «Auch das gehört zu meinem Beruf - akzeptieren, dass sich nicht jeder für eine Kopfbedeckung begeistern kann.» Ein anderes Mal erzählte ihr ein Kunde, wie er von Freunden angestichelt wurde, als er einen Hut aufsetzte. «Aber vielen Leuten fehlt eine kompetente und richtige Beratung. Damit würden sie ihre Meinung schnell wechseln und die Kopfbedeckung mit anderen Augen sehen», ist Philipp überzeugt. Eine individuelle Beratung und die Zusammenarbeit mit den Kunden würden genauso zu ihrem Berufsbild gehören wie das Gestalten der Accessoires. Das liebevolle Handwerk Das Atelier «Kopfform» ist klein. Die Verkaufstheke - die gleichzeitig auch die Arbeitsfläche von Philipp ist, wo die Hüte und Mützen entstehen - ist das Herzstück des Ladens. Rechts davon befindet sich eine weisse Wand auf der rund zwei Dutzend fertige Hüte hängen. Hier ein bunter Sommerhut mit Blumenmuster. Da ein weisser Panamahut mit einem olivegrünen Band. Unten rechts befindet sich ein klappbarer Sommerhut aus Stroh. In der Mitte der Wand hängt ein herbstlich grüner Fedora aus Filz - dieser Hut hat vorne eine heruntergeklappte Krempe und oben auf der Kopfform einen Längseinschlag und zwei Vertiefungen. Unten links findet man eine graue Filzmütze mit draufgestickten Kreuzchen. Im hinteren Bereich befindet sich ein Eckregal, das voll mit Stoffen und Musterhüten ist.

6 - 6 - «Manchmal sieht es hier aus, als hätte eine Bombe ein geschlagen», sagt Philipp und lacht. Sie winkt mit der Hand ab und sagt, dass ihre Kunden und sie selbst das nicht stört. «Meine Kunden gehen selbst hinter das Regal und ziehen sich Stoffe heraus, die ihnen gefallen», fügt sie weiter hinzu. Und genau diesen Prozess liebt die Modistin: Mit den Kunden sucht sie nach der perfekten Form der Kopfbedeckung sowie nach dem idealen Stoff und anschliessend wird individuell gestaltet. «Und dabei gehe ich ganz auf einen Kunden und dessen Charakter ein», verrät sie ihr Erfolgsgeheimnis. In der Modisterei gehe es nicht nur um einzigartige und ausgefallene Kreationen, sondern vor allem um Menschen. «Mir liegt es am Herzen, dass die Menschen meinen Laden mit Freude verlassen», sagt sie. Selten würden Hutliebhaber ihren Laden betreten und schnell eine Kopfbedeckung aussuchen. «Es ist ein Prozess, der die Menschen umso mehr begeistert», erzählt Philipp, während sie einen ihrer Lieblingshüte heraussucht - aber dazu später. Bei ihr sei es nicht wie in einer Laden kette, dass man für einen günstigen Preis schnell eine Kopfbedeckung aussucht und das Atelier wieder verlässt. «Die Kunden erleben gespannt, wie ihr persönlicher Hut entsteht», so Philipp. Deshalb seien die Exemplare in ihrem Laden «nicht gerade günstig». Aber bei «Kopfform» entstehe nicht nur extravaganter Kopfschmuck, der nur selten und an ganz speziellen Anlässen getragen werden kann. Ihre Hüte und Mützen sollen alltagstauglich sein. «Da denke ich zu praktisch», erklärt Philipp, die in Untervaz als Bauerstochter aufgewachsen ist. Dass Philipp Modistin geworden ist, hat viele, aber vor allem einen bedeutenden Grund. «Natürlich war ich als junges Mädchen von den verschiedensten Hüten fasziniert - vor allem von den Modellen aus den Zwanzigerjahren», erinnert sich Philipp. Und wie sieht nun einer ihrer Lieblingshüte aus? In der Hand hält sie einen braunen Sommerhut mit orangefarbener Verzierung. Der Stoff besteht aus einem sehr feinen und seltenen Geflecht, das man heute kaum noch findet. Den Stoff habe sie von einer ehemaligen Modistin geschenkt bekommen, um sich einen einzigartigen Hut zu formen. «Aber noch viel mehr als die Hüte hat mich das Hand werk in seinen Bann gezogen - deshalb habe ich diesen Beruf erlernt.» Jeden Tag ins Atelier gehen und abends vor sich sehen, was sie geschaffen hat - «das ist mein Traum», schildert Philipp.

7 - 7 - Internet-Bearbeitung: K. J. Version 09/