DIAKONIE BAYERN Diakonisches Werk Bayern (Nürnberg) und Hilfe im Alter (München) Initiative Hospizarbeit und Palliative Care

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1 DIAKONIE BAYERN Diakonisches Werk Bayern (Nürnberg) und Hilfe im Alter (München) Initiative Hospizarbeit und Palliative Care Studientag: Ethik in der diakonischen Altenhilfe Ethische Kompetenz in diakonisch verantworteter Praxis III Impuls aus Sicht landeskirchenrätlicher Kirchenleitung Sehr geehrte Initiatoren, sehr geehrte Anwesende, vor etwas mehr als einem Jahr, am 12. Juni 2007, hat die Initiative Hospizarbeit und Palliative Care hier an dieser Stelle in einem Fachgespräch ihre erste Zwischenbilanz gezogen. Inzwischen sind ich glaube, das kann man sagen die Stichworte Hospiz und Palliative Care in aller Munde, nicht nur in Bayern. Niemand, weder von politischer, noch von gesellschaftlicher Seite, kann sich heute gegen diese Bewegung stellen, ohne selbst ins Abseits zu geraten. Für Ihren Beitrag zu diesem Erfolg möchte ich Ihnen, auch von Seiten der Landeskirche, ganz herzlich danken und gratulieren. Wie viel vor Ort trotzdem noch zu leisten ist an Strukturen und Netzwerksarbeit und von politischer Seite hinsichtlich der Frage der Finanzierung, wissen die Spezialisten unter Ihnen nur zu gut. Doch das Prinzip und der Weg sind klar. Welche neuen Herausforderungen und Aufgaben stehen jetzt an? Die Themenformulierung dieses Studientages Ethik in der diakonischen Altenhilfe deutet die Richtung an: Es verhält sich mit Hospiz und Palliative Care nicht anders als mit der Klinik- und Altenheimseelsorge insgesamt: Wir haben einen Trend hin zur Ethik. Hospizliche Begleitung und Seelsorge in Klinken und Al-

2 tenpflegeheimen, an Sterbenden, wird in Zukunft wohl ethischer werden und sein, als wir es bisher gewöhnt waren. Im Vordergrund steht dabei vor allem zur Zeit natürlich die öffentlichkeitswirksam zugespitzte Debatte um aktive Sterbehilfe und assistierten Suizid. Diese Debatte hat sich seit dem letzten Studientag ihrer Initiative nochmals verschärft, vielleicht am exponiertesten durch die Initiativen des ehemaligen Hamburger Justizsenators Dr. Roger Kusch, der assistierten Suizid in Deutschland kommerziell organisieren will und mit dem Thema sogar plakativ Wahlkampf macht. Nicht zufällig so meine ich wird diese Debatte um aktive Sterbehilfe und assistierten Suizid so verbittert im Umfeld von Initiativen im deutschen Bundestag geführt, die Gültigkeit und Reichweite von Patientenverfügungen gesetzlich festzuschreiben. Wir tun gut daran, die weltanschaulichen und praktischen Hintergründe dieser Debatte genau zu analysieren, was ich an dieser Stelle im Einzelnen leider nicht tun kann. Ethik ist und wird aber im Alten- und Pflegeheim auch jenseits sensationeller Debatten um Euthanasie oder Suizid immer wichtiger und erfordert eine neue Bereitschaft zur Fortbildung und Qualifikation unter Seelsorgenden, Hospizhelfern, Ärzten und Pflegenden. Sie braucht aber auch eine neue Offenheit der Träger. Letztlich ist jedermann gefragt, ethische Kompetenz zu entwickeln, weil auch jedermann gefragt sein könnte, für sich selbst oder nahe Angehörige schwerwiegende, existentielle Entscheidungen zu treffen; und sicher sind hier unter uns auch Menschen, die bereits ethische Entscheidungen im Blick auf einen Angehörigen mit treffen mussten.

3 Jahrelang ging es in der haupt- und ehrenamtlichen Klinikseelsorge, aber auch für Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer, die in Klinken ihre Gemeindeglieder besuchten, vor allem um die persönliche Beziehung zum Patienten, zum Gesprächspartner. Die Pastoralpsychologie, clinical pastoral training, klientenzentrierte Seelsorge, vermittelten vor allem Begleitungskompetenz. Und auch Hospiz und Palliative Care haben ja ihren Schwerpunkt in der sehr persönlichen Begleitung des Sterbenden und des Sterbens. Diese klassisch seelsorgerliche, geschützte Zweierbeziehung zwischen hauptund ehrenamtlichen Seelsorgern, zwischen Hospizhelferin und Hospizhelfer und Klient bestimmte auch lange Zeit das Rollenverständnis der begleitend Helfenden. Noch heute empfinden sich manche Seelsorgende in Kliniken v.a. als eigene Institution, sie betonen die besondere seelsorgerlich-religiöse Beziehung, die sie zum Patienten haben und die nicht einfach Teil der Krankenhausroutine sei, sondern eher so etwas wie Kirche im Krankenhaus. An dieser Perspektive ist ja auch nach wie vor viel Wahres dran und ihr Anliegen bleibt berechtigt. Aber inzwischen werden die Begleitenden zunehmend auch angefragt, als integraler Bestandteil des Behandlungsteams schwierige Entscheidungen mit zu beraten und mit zu tragen. Die Möglichkeiten der modernen Intensivmedizin haben uns in Grenzbereiche geführt, in denen es nicht mehr nur um ein begleitendes Abwarten des unvermeidlichen Todes eines schwerkranken Menschen geht, weil man sowieso nichts mehr machen kann. Zunehmend geht es auch um die Frage, welche medizinischen, kurativen oder palliativen oder hospizlichen Maßnahmen einem humanen Abschied aus dieser Welt wirklich dienen und welche nicht (mehr). Und wie es scheint, ist das eben in vielen Fällen nicht von vorne herein klar.

4 Seit 1997 der deutsche Evangelische Krankenhausverband und der Katholische Krankenhausverband Deutschlands dazu aufgerufen haben, Ethik-Komitees in Krankenhäusern einzurichten, gibt es für die Kliniken eine institutionelle Form, das Ethikkomitee, um mit den neu entstandenen Herausforderungen umzugehen. In vielen klinischen Ethikkomitees arbeiten Seelsorgende mit, nicht selten als Vorsitzende. Etliche Personen in der bayerischen Landeskirche haben den gewachsenen Bedarf an Medizinethik früh erkannt, wovon auch die Einrichtung der Koordinationsstelle für Medizinethik am Institut TTN im Jahr 1999 zeugt. Seitdem sind in Zusammenarbeit mit dem synodalen Unterausschuss für Ethik in Medizin und Biotechnik Handreichungen und Stellungnahmen und vieles mehr entstanden. Es ging von Anfang an auch um Vernetzung zwischen Kirche und Diakonie und ich freue mich, dass Dr. Dr. Heiner Aldebert heute hier auch mit einem Vortrag zum Thema vertreten ist. Dass die Entwicklung auch bei den Klinkseelsorgerinnen und Klinikseelsorgern in der Breite angekommen ist, zeigt die Tatsache, dass wir inzwischen zwei regelmäßig tagende Ethikarbeitskreise der Klinkseelsorgerinnen und Klinikseelsorger haben, einen in München und einen in Bamberg. Und nun ist zunehmend von Ethik in der diakonischen Altenhilfe, in der Altenhilfe überhaupt die Rede. Ethik betrifft in der Altenhilfe heute nicht nur die Art der Sterbebegleitung und Sterbehilfe, vielmehr belasten vielfältige Unsicherheiten über ethische Fragestellungen und leider manchmal auch eine schlechte ethische Praxis den Alltag von Altenpflegeeinrichtungen, v.a. aber die Bewohner, schon lange vor der Sterbephase.

5 Nur einige Stichworte will ich nennen: - Bedarfs-Psychopharmakagabe; - Fixierungsmaßnahmen; - geheime Medikamentenverabreichung; - Kommunikationsprobleme bei demenzkranken Bewohnern; - Konflikte mit Angehörigen; - Zwangscharakter der Einrichtung insgesamt; - Künstliche Ernährung; - Kommunikative und organisatorische Defizite in der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und ausführendem Pflegepersonal; - Intransparenz von Entscheidungen; - Umgang mit Patientenverfügungen Angesichts dessen und auch aufgrund des demographischen Wandels, der auch mit sich bringt, dass immer mehr kinderlose Singles ohne familiäre Fürsprecher in Pflegeheimen ihren letzten Lebensabschnitt verbringen werden, liegt es auf der Hand, dass wir uns intensive Gedanken über neue und effektive Formen einer Ethikkultur für Alten- und Pflegeheime machen müssen. Ohne Zweifel stellen die Ethikkomitees der Kliniken ein starkes Vorbild dar und man muss kein Prophet sein um abzusehen, dass in Zukunft sichtbare, klar beschreibbare Formen von Ethikberatung ein Qualitätskriterium für Alten- und Pflegeheime sein werden. Natürlich müssen wir aber auch fragen, welche besonderen Bedingungen in den Alten- und Pflegeheimen herrschen, was hier angemessen erscheint.

6 Dr. Dr. Aldebert hat eine lange Liste von Initiativen und Formen zusammengestellt, wie Ethik in Alten- und Pflegeheimen bereits jetzt implementiert wird. Es entwickelt sich dafür bereits ein Fortbildungsmarkt, wie auch der Trainingskurs Ethikberatung in Einrichtungen der Altenhilfe ihrer Initiative zeigt. Aus der Fülle der bereits vorhandenen Initiativen möchte ich nur aus der aktuellen Broschüre: Für ein würdevolles Leben bis zuletzt der AG der freien Wohlfahrtsverbände München, des Bayerischen Hospizverbandes, des Christopherus Hospiz Vereins München, der KVB und der Landeshauptstadt München zitieren, an der Sie, lieber Herr Kittelberger, ja mitgearbeitet haben: Darin steht (S. 19): Eine Gesprächsrunde für ethisch schwierige oder konfliktbehaftete Situationen bietet die Möglichkeit, den Willen festzustellen, Verantwortung zu teilen und zu einer gemeinsam getragenen Entscheidung zu kommen. Solche Gespräche können auch ein wichtiges Instrument der emotionalen Entlastung für alle Beteiligten sein. Im Idealfall halten Alten- und Pflegeheime die Möglichkeit bereit, flexibel auf solche Situationen zu reagieren. Vorstellbar wäre, dass unter der Leitung geschulter Moderatoren auf der Ebene einzelner Stationen oder Wohnbereiche ein Kreis von Menschen zusammentrifft, um den Entscheidungsträgern (behandelnde Ärztinnen bzw. Ärzte und gesetzliche Vertreterinnen und Vertreter) bei der aktuellen Einschätzung der Situation zur Seite zu stehen. Entscheidend ist, dass die Beteiligten sich genügend Zeit nehmen, die Situation zu betrachten, verschiedene Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und deren Konsequenzen miteinander zu diskutieren. Insbesondere wird der Lebensgeschichte und dem Lebensentwurf des alten Menschen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Alle Beteiligten tauschen verschiedene, auch sehr persönliche Sichtweisen und Beurteilungen einer Behandlung und Therapie aus, machen ihre Position transparent und diskutieren die Konsequenzen möglicher Entscheidungen. Einzuschließen sind natürlich auch die Unterstützungsmaßnahmen für die, die

7 diese Entscheidungen schließlich durchführen. Wichtig ist, dass alle die Erfahrung eines offenen Dialoges machen können. Ob das Heim die Moderation stellt oder diese extern hinzugezogen wird (z. B. auch die Seelsorge im Haus), ist zweitrangig. Entscheidend ist, dass solche Gesprächsrunden schnell zusammengerufen werden und unter Wahrung der erforderlichen Vertraulichkeit offen reden können. Die Ergebnisse des Gesprächs werden schließlich in der Dokumentation zusammengefasst und von allen Beteiligten mit ihrer Unterschrift bestätigt. Natürlich ist derzeit noch offen, welche konkrete Form Ethikberatung in Altenund Pflegeheimen in Zukunft annehmen wird. Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht von der Implementierung ethischer Kompetenz als Teil der Unternehmenskultur ohne konkrete Institution bis hin zu stärker institutionalisierten Formen wie festen Ethikkomitees für Alten- und Pflegeheime. Zu klären ist aus Sicht der Landeskirche in diesem Prozess u.a., welche hilfreiche Rolle vor Ort in Zukunft etwa die Arbeitsgemeinschaft für Altenheimseelsorge oder auch die Kirchengemeinden, Pfarrer und Ehrenamtliche im Verhältnis zu diakonischen Einrichtungen, medizinischen Diensten und Hausärzten vor Ort spielen können. Ohne Zweifel wird ein zentrales Stichwort Netzwerksarbeit und möglichst Vermeidung von Konkurrenzverhalten sein. Wir haben uns im Kuratorium der Koordinationsstelle für Medizinethik, das mit hochrangigen Vertretern aus Medizin, Diakonie, wissenschaftlicher Ethik, Politik, Pflegewissenschaft u.a. besetzt ist, auch intensiv mit den anstehenden Fragen beschäftigt und schlagen kurzfristig folgendes Vorgehen vor: 1. Diakoniepräsident und Landesbischof werden gebeten, sich schon bald mit einem Aufruf an prominenter Stelle zu Wort zu melden, um damit das Thema Ethikberatung im Altenpflegeheim auch über den Bereich der Diakonie hinaus vernehmlich auf die Agenda zu setzen. Nur nebenbei: Als es um Ethikberatung

8 in der Klinik ging, wurde es den konfessionellen Krankenhausverbänden hoch angerechnet, dass sie das Thema so hörbar auf die Tagesordnung gebracht haben. Frank Kittelberger und Heiner Aldebert haben sich bereit erklärt, gemeinsam einen Formulierungsvorschlag für einen kurzen, aber prägnanten Text zu erarbeiten, der dann im diakonischen Werk bzw. im Kuratorium der Koordinationsstelle für Medizinethik gegengelesen wird. 2. Der synodale Unterausschuss für Ethik in Medizin und Biotechnik wird gebeten, in Abstimmung mit den entsprechenden Experten und Repräsentanten aus Diakonie und Kirche, natürlich auch in Zusammenarbeit mit Ihrer Initiative, Vorschläge für nachhaltige Strukturen der Ethikberatung in Alten- und Pflegeheimen zu entwickeln. Dies kann gegebenenfalls im Zusammenhang der ohnehin anstehenden Überarbeitung der Handreichung Meine Zeit steht in Gottes Händen (Patientenverfügung) erfolgen. Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe, dass alle Anstrengungen in diesem Bereich den betroffenen Menschen dienen nicht zuletzt ja einmal auch uns selbst.