Entschuldigung für ein Unrechtsurteil der Bundesgerichtshof und seine Vergangenheit

Transkript

1 Gigi Deppe Bernd Wolf SÜDWESTRUNDFUNK STUDIO KARLSRUHE ARD-Rechtsredaktion Hörfunk RadioReport Recht Aus der Residenz des Rechts Dienstag, den 5. Januar Entschuldigung für ein Unrechtsurteil der Bundesgerichtshof und seine Vergangenheit Gigi Deppe: Wer nur selten mit der Justiz zu tun bekommt, hat vielleicht die Vorstellung, dass Richter ganz objektiv handeln, und dass deswegen immer dasselbe Recht gesprochen wird. So eine Art Rechtssprechungsautomat. Nach dem Motto: Oben wird ein Knöpfchen gedrückt, und unten kommt immer dasselbe Urteil heraus. Natürlich müssen sich Richterinnen und Richter nach den Gesetzen richten, das ist keine Frage, aber oft bleibt doch ein Spielraum. Gerade bei den obersten Gerichten, die für ganz Deutschland entscheiden müssen, wie ein bestimmtes Gesetz in der Praxis umgesetzt werden soll, ist das der Fall. Und wenn man da in die Vergangenheit guckt, alte Urteile studiert, da gruselt es einen manchmal. Da denkt man: Wie konnten die das damals nur so entscheiden? Bei der Nazi-Justiz ist das eine klare Sache. Da empören wir uns im Rückblick, sie macht uns fassungslos. Aber natürlich - in einem Unrechtsregime da fallen viele Urteile, die Unrecht sind. Darüber ist schon viel gesprochen worden. Aber dass auch in der Zeit der Bundesrepublik unglaublich beschämende Entscheidungen gefällt worden sind, zum Beispiel vom Bundesgerichtshof, dem obersten deutschen Zivil- und Strafgericht, das ist noch nicht so bekannt. 1

2 Bei mir im Studio ist jetzt Professor Andreas Mosbacher, Richter am Bundesgerichtshof. Sie, Herr Mosbacher, Sie haben sich in der letzten Zeit insbesondere mit einem Urteil ihrer Richterkollegen von 1956 beschäftigt. Einem Urteil, das am 7. Januar gefällt wurde, das also am kommenden Donnerstag vor genau 60 Jahren entstand. Und es handelt sich um eine Entscheidung, das kann ich, glaube ich, vorwegnehmen, eine Entscheidung, die einen aus heutiger Sicht sprachlos macht. Können Sie mal kurz umreißen, worum geht es da? Andreas Mosbacher: Es geht um eine in der nationalsozialistischen Zeit verfolgten Gruppe der Sinti und Roma, die damals als Zigeuner bezeichnet worden sind. Und man konnte, wenn man in der Zeit der Nationalsozialisten verfolgt wurde, anschließend Entschädigungen geltend machen nach dem Bundesentschädigungsgesetz. Und einer dieser Volksgruppe, der 1940 nach Polen zwangsumgesiedelt wurde, das heißt verhaftet wurde, dort in ein Lager gesteckt wurde, verlangte nun vom deutschen Staat Entschädigung. Die unteren Instanzen, zuletzt das Oberlandesgericht Koblenz, hatte diese Entschädigung zugesprochen. Fraglich war immer: Waren die Personen aus rassischen Gründen verfolgt oder aus anderen Gründen, zum Beispiel wie normale Kriminelle jetzt bestimmten Zwangsmaßnahmen unterworfen? Das hatten die unteren Instanzen bejaht, und der Bundesgerichtshof musste jetzt diese Rechtsfrage beantworten: Wie war es jetzt bei den Klägern? Gigi Deppe: Was hat Sie sprachlos gemacht? Andreas Mosbacher: Es gibt eine Formulierung in dem Urteil zum Beispiel, da steht sinngemäß drin: Na ja, die damals so genannten Zigeuner zu verfolgen und umzusiedeln, das war irgendwie ganz normal. Das war jetzt keine rassische Verfolgung, sondern man weiß ja, die sind ungefähr asozial, und mit denen war das schon richtig, so was zu machen. Oder es war jedenfalls keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, sondern weil sie eben so asozial sind und zu Kriminalität neigen. Gigi Deppe: Vielleicht muss man es wirklich mal ganz plastisch den Hörern sagen, was da drin steht, in dem Urteil. Können Sie das mal vorlesen, die entscheidende Passage? Andreas Mosbacher: Die entscheidende Passage, wo der Bundesgerichtshof damals selbst über die sogenannte Volksgruppe der Zigeuner spricht, lautet wie folgt: 2

3 Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zu Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien. Es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe, der Achtung vor fremdem Eigentum, weil ihnen, wie primitiven Urmenschen, ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist. Ich hab so was noch nie gelesen in einer BGH-Entscheidung. Dass Kläger mit primitiven Urmenschen verglichen werden. Das hat mich wirklich schockiert. Gigi Deppe: Man muss dieses Urteil von 1956 ja vor dem Hintergrund sehen, was in den Jahren davor passiert war. Wie viele Menschen elendig zugrunde gegangen sind, und wie der Richterspruch auf die, die das erlebt hatten, gewirkt haben muss. Bernd Wolf mit ein paar Fakten. Bernd Wolf: Europaweit fielen zwischen einer viertel Million und einer halben Million Sinti und Roma der Vernichtungspolitik der Nazis zum Opfer. Das schätzt das Deutsche Historische Museum in Berlin. Gab es schon zur Kaiserzeit und in der Weimarer Republik antiziganistische Erscheinungen, so organisierte der NS-Staat 1933, dann 36, schließlich 1943 sukzessive die Endlösung der Zigeunerfrage. Sie begann zunächst mit der Erfassung der Menschen. Der Erlass zur Bekämpfung der Zigeuner-Plage, dieser Erlass von 1936 definierte rassistisch das dem deutschen Volkstum fremde Zigeunervolk. Behördliches Ziel war es, zuziehende Sinti und Roma schnell wieder loszuwerden, andererseits aber deren reisende Lebensweise zu erschweren. Eberhard Herzschuch, ein Betroffener: Eberhard Herzschuch: Ich bin von der Schule aus abgeholt worden, und man sagte mir, ich käme in Erholung. Und dann stellte sich aber heraus, dass ich nicht in Erholung kam. Ich kam in eine verschärfte Erziehungsanstalt. Das war in Dresden, genannt Marienhof. Und dort war ich fast dreieinhalb Jahre untergebracht, und da ging es genauso her, als wenn ich bei der Wehrmacht war oder beim Arbeitsdienst. Bernd Wolf: Weitere Schikanen: Man errichtete Zigeuner-Lager an den Stadträndern, es gab Zwangssterilisationen, man verbot Ehen mit Deutsch- Blütigen ; verbot die Berufsausübung im Kulturbereich, überhaupt als Selbständiger zu arbeiten. Zehntausende kamen direkt ins Konzentrationslager, denn der so genannte Asozialen-Erlass ermächtigte die Polizei, Sinti und Roma, auch Angehörige anderer Stämme, wie etwa der Lowara, in KZ einzuweisen. Vieles ist überliefert in Ausstellungen des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Zentralratsvorsitzender Romani Rose: 3

4 Romani Rose: Dieses Foto dokumentiert die Deportationen der Sinti und Roma aus Remscheid. Diese Leute wurden an ihren Arbeitsplätzen, in ihren Wohnungen abgeholt. Dieser Transport wurde vorbereitet, es gab einen sogenannten Festsetzungserlass, die Leute durften die Stadt nicht mehr verlassen. Bernd Wolf: Verstießen sie gegen das Ortswechselverbot, dann wurden sie deportiert, zuerst ins besetzte Polen, Rumänien, dann Auschwitz, Buchenwald. Von den Zigtausend in Ghettos und KZ Eingewiesenen überlebten nur vier- bis fünftausend. Danach begann die nächste Leidensgeschichte, nämlich die der Wiedergutmachung und Entschädigung. Der Zentralratsvorsitzende der Sinti und Roma, Romani Rose: Romani Rose: Es wurde natürlich mit allen Möglichkeiten versucht, Sinti und Roma von Fragen der Entschädigung auszuschließen. Voraussetzung für die Entschädigung war, nach dem Bundesentschädigungsgesetz, dass jemand aus rassischen Gründen verfolgt wurde. Bernd Wolf: Aus rassischen Gründen darunter verstanden die meisten Behörden und Gerichte die Zeit ab dem 1. März 1943; an diesem Tag ordnete der Reichsführer SS Heinrich Himmler an, alle noch im Reich und in den besetzten Gebieten lebenden Zigeuner in Konzentrationslager einzuweisen. Sollte damit jegliche Verfolgung vor 1943, von diskriminierenden Schikanen bis hin zum vorbereiteten Völkermord, nicht entschädigungspflichtig sein? Ja, entschied der Bundesgerichtshof 1956 in einem Grundsatzurteil. Alle staatlichen Verfolgungsmaßnahmen vor 1943 seien legitim gewesen, weil von Zigeunern durch eigene Asozialität, Kriminalität und Wandertrieb selbst veranlasst. Romani Rose: Romani Rose: Das ist der eigentliche Skandal, dass der Bundesgerichtshof diese rassische Verfolgung zunächst geleugnet hat. Auch geleugnet hat in der Ideologie der Nazis, indem es in der Urteilsbegründung hieß: Sinti und Roma hätten einen ungehemmten Okkupationstrieb und wären primitive Urmenschen. Das war der BGH 1956, der genau im Sinne der Nazi-Ideologie und dem Nazi- Geist zur Ablehnung der berechtigten Entschädigungsansprüche sich auf diesen Geist wieder zurückzog. 4

5 Gigi Deppe: Sie hören den Radioreport Recht, und wir beschäftigen uns heute mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 1956, das in dieser Woche genau 60 Jahre alt wird. Ein Urteil, in dem sich zeigt, dass auch nach dem Krieg noch viel von der nationalsozialistischen Ideologie in den Köpfen der deutschen Richter herum spukte. Mit mir im Studio der Richter am Bundesgerichtshof, Andreas Mosbacher. Herr Mosbacher, als es darum ging, dass Sinti und Roma für ihre Verfolgung Entschädigung bekommen sollte, hat der Bundesgerichtshof gesagt: Nein, für die Verfolgung der Zigeuner in der der Nazi-Zeit gab es keine rassistischen Gründe. Mit denen hat man es einfach schwer, kein Wunder, wenn die Nazis da etwas härter durchgegriffen haben Oder, wie lesen Sie das? Andreas Mosbacher: Genau, der BGH hat die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die hatten ja den Klägern die Entschädigung zugesprochen, weil sie sagten, der einzige Grund, warum die verfolgt waren, war die Zuordnung zur sogenannten Rasse der Zigeuner. Es gab ja extra ein Institut in Berlin, das mühsam herausfinden musste, ob überhaupt jemand dazu gehörte oder nicht. Der Bundesgerichtshof hat da so ein bisschen in den Blick genommen, na ja gut. Es ist eine Gruppe von Menschen, von denen verschiedene Gefahren ausgehen, die schon immer irgendwelchen besonderen Kautelen unterworfen sind. Und deswegen meinte er na ja, wenn das schon vorher sozusagen Sondermaßnahmen gegen diese Gruppe war, dann waren die von den Nazis beschlossenen Maßnahmen auch nicht aus rassischen Gründen motiviert, sondern aus allgemeinen sicherheitspolitischen Gründen quasi wie gegen Asoziale und Landstreicher. Aber es traf natürlich ganz normale Leute wie du und ich würde ich jetzt sagen, die einfach einen Beruf hatten, die ganz normal lebt mit ihren Familien, die integriert waren. Das waren ja deutsche Bürger wie andere auch. Gigi Deppe: Wie ging es dann weiter nach dem Urteil 1956? Andreas Mosbacher: Nach dem Urteil 1956 war natürlich jetzt für einen ganz großen Zeitraum die Entschädigungsfrage höchstrichterlich geklärt. Der BGH sagte, grundsätzlich gibt es keine Entschädigung für die Zeit bis zum März 43, bis zu dem sogenannten Ausschwitzerlass, bis der in Kraft trat. Und die Leute bekamen nichts. Die Klagen wurden abgewiesen. Auch im späteren Zusammenhang hob der Bundesgerichtshof Urteile auf, weil die Oberlandesgerichte, die sahen das nicht ein. Die sprachen den Klägern immer wieder Entschädigungen zu und immer wieder wurden die Urteile aufgehoben, weil der Bundesgerichtshof an seiner strengen Linie festhielt und 5

6 insbesondere sich auch zur Begründung auf Literatur bezog, die eindeutig den rassenideologischen Vorstellungen der Nazis entnommen war. Gigi Deppe: Also, der BGH hat sich in den 50er Jahren nicht geniert, die Richter haben sich damals nicht geniert, auf Kommentare zurückzugreifen, die eindeutig aus der Nazizeit stammten? Andreas Mosbacher: Also, dieses Zitat, das die sogenannten Zigeuner wie primitive Urmenschen quasi anzusehen sind, dahinter war ein Literaturzitat, das hatten sich die BGH-Richter nicht selbst ausgedacht, sondern sie hatten das aus einem Buch entnommen. Dieses Buch war in dieser Auflage von 1942 und war eindeutig von nationalsozialistischer Rassenideologie geprägt. Das sah man auch am Literaturverzeichnis, da war nämlich der Leiter dieser rassenhygienischen Stelle in Berlin, Ritter, mehrfach zitiert. Und dieser rassische Ansatz war ohnehin klar nationalsozialistisch. Die Vorauflagen des Buches enthalten diese Formulierungen alle nicht. Gigi Deppe: Wie ging es dann weiter? Ist das jetzt heute noch geltende Rechtsprechung? Andreas Mosbacher: Nein. Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung dann ein paar Jahre später geändert Und hat schließlich eingesehen, dass es falsch war. Und gesagt, nein, wir sprechen den Klägern jetzt doch Entschädigung zu. Der Gesetzgeber hat auch noch mal reagiert und gesehen, was ist denn mit den Leuten, die jetzt in der Zwischenzeit ihre Gerichtsverfahren verloren hatten? Die durften noch mal neue Anträge stellen, und dann bekamen sie jetzt auch für die Zwischenzeit, also ab Mai 1940 bis 1943 Entschädigungen zugesprochen. Wenn sie noch gelebt haben und das noch mal verfolgt haben. Gigi Deppe: Insoweit ist es dann doch gut ausgegangen. Das sind ja quasi Richterkollegen aus dem BGH gewesen, wenn das auch vor einer langen Zeit war. Aber Sie haben sich entschlossen, dass Sie dieses Urteil zur Sprache bringen, Sie haben in der führenden Fachzeitschrift der Juristen, der Neuen Juristischen Wochenschrift, für die haben Sie einen Aufsatz geschrieben, um dieses Urteil noch mal zu beleuchten. Ist Ihnen das eigentlich leicht gefallen? Ich stelle mir vor, das ist gar nicht so einfach, dass man als Richter Kollegen des eigenen Gerichts grundsätzlich kritisiert. Andreas Mosbacher: Ich dachte, es ist nie zu spät, einfach mal Entschuldigung zu sagen, wenn auch nur symbolisch bei den Leuten. Denn 6

7 das haben die nicht verdient, dass das einfach so in der Welt bleibt, so ein Urteil mit so einer Beleidigung einer ganzen Volksgruppe. Gigi Deppe: Das muss man vielleicht Nicht-Juristen noch mal sagen, das ist nicht die Regel, dass sich Richter jüngerer Generation zum Beispiel dann entschuldigen für irgendwelche Sachen, die früher geschehen sind. Andreas Mosbacher: Es wäre auch komisch, sich dafür zu entschuldigen, dass andere Kollegen andere Rechtsansichten haben. Das ist ja logisch. Das muss man ja hinnehmen. Das ist ganz normal. Es ist auch völlig normal, dass früher die Leute andere Moralvorstellungen gehabt haben. Auch das wäre Unsinn zu sagen, dafür muss ich mich entschuldigen, weil hier ging es um eine ganz klare, wirkliche Beleidigung einer ganzen Volksgruppe, und dafür kann man sich auch symbolisch mal entschuldigen. Ich kann da nur für mich sprechen und fand das als Zeichen nach 60 Jahren eigentlich ganz angemessen. Gigi Deppe: Vielen Dank, Professor Andreas Mosbacher, dass wir mit Ihnen als BGH-Richter einen kritischen Blick auf die Anfangsjahre Ihres Gerichts werfen durften. Richter sind keine neutralen Rechtsprechungsautomaten. Das haben wir jetzt wirklich gesehen. Das zeigt dieses Urteil von 1956 sehr deutlich. Richter sind manchmal auch gefangen im Zeitgeist, in ihren Vorurteilen. Und selbst die Urteile der obersten Instanz müssen manchmal nach Jahren noch deutlich kritische Worte vertragen. Ich habe heute im Radioreport Recht mit dem BGH-Richter Andreas Mosbacher gesprochen, der findet, dass er sich für das ausgesprochen rassistische Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07. Januar 1956 entschuldigen sollte. Wenn Sie meine Damen und Herren, diese Sendung noch einmal anhören wollen, finden Sie sie auf der Seite von swr1.de. Falls Sie nicht immer Zeit haben, uns dienstags abends anzuhören, können Sie die Sendung auch gerne podcasten. Am Mikrofon verabschiedet sich Gigi Deppe. 7