Teilnehmende Beobachtung: Das Protokollieren
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- Holger Armbruster
- vor 8 Jahren
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1 PH-Weingarten Kolloquium, Teilnehmende Beobachtung: Das Protokollieren Jürgen H.P. Hoffmeyer-Zlotnik
2 Struktur: - Einführende Bemerkungen zu qualitativen Grundprinzipien und einer Definition von (teilnehmender) Beobachtung - Methode der teilnehmenden Beobachtung - Rolle des Beobachters - Protokollieren bei der unstrukturierten Teiln. Beobachtung, die unterschiedlichen Arten der Aufzeichnungen, eine mögliche Gliederung zur Auswertung - Protokollieren bei der strukturierten Teiln. Beobachtung
3 Qualitative Sozialforschung: Das Untersuchungsfeld der qualitativen Sozialforschung ist das Handeln und Interagieren der Subjekte im Alltag. Ziel ist es, Unbekanntes zu entdecken und daraus empirisch begründbare Theorien zu entwickeln. D.h. Hypothesen generieren nicht: Hypothesen prüfen
4 Prinzip der Offenheit: möglichst wenig Vorentscheidungen!... im "Zugang" zum Thema, zum Feld, zu den Untersuchungspersonen und auch zu den Daten - zu prüfende Hypothesen nicht vorab festlegen - der Feldzugang und die Auswahl der Untersuchungspersonen werden flexibel gehandhabt und können im Verlauf des Forschungsprozesses neuen Erfordernissen und Fragestellungen angepasst werden - bei der Datenerhebung soll die Erzeugung der Daten möglichst wenig durch die Forscher beeinflusst werden - bei der Datenauswertung sollen möglichst lange möglichst viele Hypothesen offen gehalten und geprüft werden.
5 Subjektivität Die Subjektivität von Untersuchten und Untersuchenden wird zum Bestandteil des Forschungsprozesses. Die Reflexionen des Forschers über seine Handlungen und Beobachtungen im Feld, seine Eindrücke, Irritationen, Einflüsse, Gefühle, etc. werden zu Daten, die in die Interpretationen einfließen. Flick 1995
6 Beobachtung (Def.): ist das systematische Erfassen, Festhalten und Deuten sinnlich wahrnehmbaren Verhaltens zum Zeitpunkt seines Geschehens. Atteslander 2000:73 Das Untersuchungsfeld der teilnehmenden Beobachtung ist das Handeln und Interagieren der Subjekte im Alltag. Ziel ist es, Unbekanntes zu entdecken und daraus empirisch begründbare Theorien zu entwickeln.
7 Der Zugang: Will man etwas über andere Menschen herausfinden, geht man einfach zu ihnen hin, bleibt eine Weile, macht das mit, was diese Menschen dort normalerweise treiben, und lernt sie so durch eigene Erfahrung besser kennen. Ethnologen, Sozialanthropologen Lewis Henry Morgan 1870 (Teilnahme am sozialen Leben der Irokesen) Franz Boas 1880-er Jahre (1994) (Teilnahme am sozialen Leben der Inuit Bronislaw Malinowski 1920er Jahre (Malinesian New Guinea)
8 Übernahme von Interpretationen sind nur möglich über das Miterleben des fremden Handelns. denn: durch die (annähernde) Übernahme der Interpretationen der Mitglieder einer bestimmten Subkultur oder sozialen Gruppe, gelingt es, diese zu "verstehen" und deren Regeln zu "erklären". Fehlt jedoch der Zugang zu dem fremden Bewusstsein, dann ist ein Verstehen fremden Handelns nicht möglich. Der Forscher muss die zu untersuchende Gruppe oder Kultur "von innen" her sehen.
9 Methode der Teilnehmenden Beobachtung Unterscheidung wissenschaftlicher (systematischer) Beobachtungsverfahren 1. offen vs. verdeckt 2. nicht-teilnehmend vs. teilnehmend 3. strukturiert vs. unstrukturiert
10 systematisch versus nicht systematisch systematisch = geplant, nach wissenschaftlichen Kriterien durchzuführen bedeutet auch: nach den Kriterien von Reliabilität und Validität
11 offen versus verdeckt offen = Tatsache des Beobachtens ist bekannt verdeckt = Forschungsabsicht / und Tatsache des Beobachtens werden verheimlicht nicht-teilnehmend versus teilnehmend teilnehmend = der Beobachter wird Element des zu beobachtenden sozialen Feldes nicht-teilnehmend = Beobachtung von außen
12 strukturiert versus unstrukturiert strukturiert unstrukturiert = Aufzeichnung nach vorab festgelegten Beobachtungskategorien = Aufzeichnung nach vorab festgelegten allgemeinen Richtlinien
13 Die Kennzeichen der teilnehmenden Beobachtung: - Teilnehmende Beobachtung wird in der natürlichen Lebenswelt der Beobachteten eingesetzt. - Beobachter nimmt am Alltagsleben der ihn interessierenden Personen oder Gruppen teil. - Gegenstand der Beobachtung ist das faktische soziale Handeln von Individuen oder Gruppen. - Die Beobachtung wird in schwer zugänglichen sozialen Feldern oder bei relativem Neuland eingesetzt. - Beobachtung ist in ihrer Anwendung oft mit anderen Methoden verschränkt ist. (Methodenmix)
14 Rolle des Beobachters Idealtypisch gibt es vier Rollen, die ein Beobachter einnehmen kann: 1. die Rolle des vollständigen Teilnehmers (völlige Identifikation mit dem Feld) Beobachter nimmt Rollen ein, die im Feld alltäglich vorgesehen sind 2. die Rolle des Teilnehmers als Beobachter primär Teilnehmer der Feldsituation und sekundär Beobachter 3. die Rolle des Beobachters als Teilnehmer mehr formale als informelle Beobachtung 4. die Rolle des vollständigen Beobachters (ohne Interaktion mit dem Feld) Gold 1958
15 going native: Der Beobachter übernimmt unhinterfragt die im Feld geltenden Sichtweisen Ethnozentrismus: Der Beobachter unterlegt dem Beobachteten sein eigenes Sinnverständnis
16 Protokolle sind die Grundlage der Analyse! Man kann diese ordnen - nach der zeitlichen Dimension - systematisch nach Inhalten
17 Wann soll protokolliert werden? - direkte Protokollierung meist nicht möglich, stört den sozialen Alltag im Feld - dies führt zu Schwierigkeiten, denn das Erinnerungsvermögen des Beobachters ist begrenzt, in die faktische Erinnerungsleistung gehen selektive Mechanismen ein. die behaltenen Inhalte werden mit zunehmender Zeit geringer je vertrauter man mit den Beobachtungsinhalten ist, desto eher erinnert man sich an diese - es werden nur Vorgänge behalten, die entweder besonders oft auftreten oder gut mit den Vorstellungen des Beobachters übereinstimmen
18 Worauf sollte man beim Protokollieren achten (1) - Teilnehmer wer, wie viele - Interaktionen der Teilnehmer untereinander und sich daraus ergebende Konsequenzen für das soziale Feld - Beschreibung der sozialen Situation (Ort, Zeit, Umstände, etc.) - Regelmäßigkeit oder Einmaligkeit des Beobachtens - Reaktion der Teilnehmer auf außergewöhnliche Verhaltensweisen - sind Differenzen zwischen Gesagtem und Handeln feststellbar?
19 Worauf sollte man beim Protokollieren achten (2) - Der Nachweis, dass das, was man gesehen hat, wirklich auch so war, ist immer nur bis zu einem bestimmten Grad zu erbringen. - Feedback in die Organisation ist nur zu einem gewissen Grad möglich. - Die intersubjektive Überprüfbarkeit der Daten ist nur eingeschränkt gegeben. - Fast immer sind es Ausschnitte von Einzelfällen, die in den Blick geraten. Generalisierungen auf der Basis von teilnehmender Beobachtung sind immer äußerst angreifbar.
20 Arten von Aufzeichnungen bei unstrukturierter Beobachtung - Feldnotizen - Tagebuch, begleitend während der ganzen Studie - Memos (Merkzettel): begründet, interpretierend, orientierend, zusammenfassend, abgrenzend, folgernd. - Beobachtungsprotokolle
21 Feldnotizen - was geschah? um was ging es? - wann und wo geschah es? - wer war beteiligt? - wer handelte wie? - welche Reaktionen wurden ausgelöst? - welche Ergebnisse stellten sich ein? - gab es besondere Umstände? - welche Gegenstände waren präsent? - Beschreiben des eigenen Verhaltens, der eigenen Gefühle und Gedanken
22 Tagebuch - Zur Sicherstellung der Chronologie des Untersuchung - Termine/Einsätze/Sequenzen der Beobachtung - Interviewtermine, Interviewpartner - Besonderheiten, Auffälligkeiten zeitlich einordnen
23 Memos (Merkzettel): interpretierend, orientierend, folgernd. Memos erklären die Konzepte, hypothetische Ideen Memos sind Dokumente, mit denen der Forschende - die eigene Wahrnehmung, - seine/ihre Befindlichkeit und - seine/ihre Vorannahmen, - Vorurteile, - Interpretationen, - theoretischen Gedanken - etc. festhalten soll
24 Mögliche Gliederung der Auswertung 1. Grad der Autonomie des Feldes / Interdependenzen mit anderen Feldern 2. Räumliche Ausdehnung 3. Beteiligte Personen - Zahl der beteiligten Personen - Klassifikation der Personen - Gruppierungen von Personen - Beziehungen zwischen den Personen: formal, informal - Ziele der Personen - Verteilung von positiven und negativen Sanktionen 4. Grad der der hierarchischen Struktur 5. Kommunikationsmuster und -kanäle im Feld 6. Wiederkehrende Situationen, in denen Personen interagieren - Zahl und Art / - Ort / - Dauer
25 Grad der Autonomie: der zu beobachtende Raum, das Beobachtungsfeld: - wie ist der zu beobachtende Bereich abzugrenzen? Da Beobachtungsfelder nie völlig isoliert sind: - wie offen ist das zu beobachtende Feld? - Einbindung des zu beobachtendes Feldes in einen Gesamtkontext - bestehen Interdependenzen des zu beobachtenden Feldes mit anderen Feldern? - Wechselwirkungen mit anderen Feldern
26 Räumliche Ausdehnung: welchen Raum deckt die Beobachtung ab? Beschreibung des Raumes: Größe, Ausstattung, "Möblierung" Wer kann/darf sich wo bewegen? Spezifischen Gruppen vorbehaltene Flächen; Trennungen/Barrieren zwischen den gruppenspezifischen Flächen wie - Laden: Verkaufsraum, Lagerraum/Hinterzimmer - Bar: vor dem Tresen, hinter dem Tresen. - Fußballstadion: Zäune und Tore zwischen den Blocks
27 Beteiligte Personen: - Anzahl der beteiligten Personen - Klassifikation der Personen nach Alter, Geschlecht, sozialem Status etc. - Gruppierungen von Personen: Anzahl der Personen in welcher Konstellation? Wie und in welcher Anzahl sind die interagierenden Personen zueinander gruppiert? - Beziehungen zwischen Personen, formal, informell: in welcher Beziehung stehen die miteinander interagierenden Personen in Beziehung zueinander, in formaler Beziehung, in situativer Beziehung
28 Kommunikationsmuster und -kanäle im Feld: Wer kommuniziert mit wem? Gibt es Muster der Kommunikation? Was steht hinter diesen Mustern? Wiederkehrende Situationen: Was ist das regelmäßige in der Situation? was geschieht unter diesem Aspekt wie oft? wo? in welcher zeitlichen Dauer? - Zahl und Art: - Ort: - Dauer:
29 Regeln für die Teilnehmende Beobachtung 1. Machen Sie während der Beobachtung, wenn möglich, kurze Notizen. 2. Nehmen Sie sich möglichst bald nach der Beobachtung Zeit zur Niederschrift eines ausführlichen Gedächtnisprotokolls. Rechnen Sie mit einem Zeitaufwand vom Dreifachen der Beobachtungszeit für die Erstellung des Protokolls 3. Trennen Sie zwischen Beschreibung und persönlichem Kommentar (z. B. durch Verwendung unterschiedlicher Schrifttypen). 4. Schildern Sie Einzelheiten, zunächst keine Globaleindrücke. 5. Beschreiben Sie genau, wie die Menschen aussehen, mit denen Sie zusammen waren.
30 6. Rekonstruieren Sie Gespräche, die Sie geführt haben. Werten Sie Notizen über typische Begriffe und Wendungen der Gesprächspartner aus. 7. Was haben Sie selbst getan? Was hatten Sie an? Wie sahen Sie aus? Wie ging es Ihnen? Woran fühlten Sie sich möglicherweise erinnert? 8. Fertigen Sie zur Beschreibung der räumlichen Umgebung eine Skizze an. 9. Haben Sie versucht, Informationen einzuholen? Welche Methoden haben Sie dabei inuitiv oder reflektiert angewendet? 10. Gibt es ethische, moralische und sittliche Probleme bei der Beobachtung?
31 11. Welche Vorurteile, festgefügten Meinungen und Glaubenssätze werden in Frage gestellt, mit denen Sie die Beobachtung aufgenommen haben? 12. Falls Sie schon Beobachtungsprotokolle haben: Gibt es Irrtümer in diesen Protokollen, die sich jetzt korrigieren lassen? Lassen sich Fragen jetzt besser beantworten? 13. Wann waren Sie erstaunt, betroffen, irritiert? Was haben Sie in solchen Situationen getan? 14. Welche Gefühlsbeziehungen haben Sie zu den Menschen, mit denen Sie während der Beobachtung zusammen waren?
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