Die Methodik der Ökobilanz zur ganzheitlichen Erfassung des Energieverbrauchs in der Abwasserreinigung
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- Bärbel Böhmer
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1 572 Fachbeiträge Die Methodik der Ökobilanz zur ganzheitlichen Erfassung des Energieverbrauchs in der Abwasserreinigung Christian Remy, Boris Lesjean und Andreas Hartmann (Berlin) Zusammenfassung Bisherige Analysen des Energieverbrauchs in der Abwasserreinigung beschränken sich oft auf die naheliegende Erfassung des Stromverbrauchs. Im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung sollten aber auch andere Formen der Energie erfasst werden, wie zum Beispiel für die Herstellung von benötigten Chemikalien wie Flockungs- und Flockungshilfsmittel, beim Transport des zu entsorgenden Schlamms oder für zusätzliche Brennstoffe bei der Klärschlammtrocknung. Dafür ist die Erweiterung der Grenzen des zu betrachtenden Systems auf vor- und nachgelagerte Prozesse notwendig, um alle relevanten Beiträge zum Energieverbrauch zu berücksichtigen. Zudem können so auch die verschiedenen Sekundärprodukte der Abwasserreinigung erfasst werden: die Stromproduktion aus Faulgas, die Rückführung von Nährstoffen und Wasser in die Landwirtschaft oder die Substitution von fossilen Brennstoffen in der thermischen Klärschlammentsorgung. Ein geeignetes Instrument für diese Betrachtungsweise ist die Methodik der Ökobilanz nach ISO 14040/44. Mit dieser Methodik lassen sich alle unterschiedlichen Energieformen und Sekundärfunktionen abbilden und in einheitlichen Indikatoren darstellen, ergänzt durch weitere Umweltwirkungen wie den Treibhauseffekt. Schlagwörter: Abwasserreinigung, kommunal, Energie, Energiebilanz, Energieverbrauch, Kläranlage, Ökobilanz, Bilanzkreis, Primärenergie, Treibhauseffekt DOI: /kae Abstract Using the Life Cycle Assessment Methodology for a Comprehensive Evaluation of Energy Demand in Wastewater Treatment Previous assessments of the energy demand in wastewater treatment are often limited to the compilation of the demand for electricity. For a comprehensive analysis, all different types of energy should be included, e.g. energy for the production of required chemicals such as coagulants and flocculants, for the transport of sludge to final disposal, or for additional fuels required for the drying of sewage sludge. Therefore, the system boundaries should be expanded to include upstream and downstream processes, thus considering all relevant contributions to the energy demand. Thus also secondary products of wastewater treatment can be accounted for: the production of electricity from digester gas, the recycling of nutrients and water to agriculture, or the substitution of fossil fuels in sludge co-incineration. A suitable method for this task is the Life Cycle Assessment Methodology defined in ISO 14040/44. Using this methodology, all different types of energy and secondary functions can be described and illustrated in consistent indicators, complemented by other environmental impacts such as the greenhouse effect. Key words: wastewater treatment, municipal, energy, energy balance, energy consumption, sewage treatment plant, Life Cycle Assessment, balancing group primary energy, global warming potential 1 Einführung Die gesellschaftliche und politische Forderung nach einem nachhaltigen Umgang mit energetischen Ressourcen führt auch in der Wasserwirtschaft zu vermehrten Anstrengungen zum Energiesparen. Neben dem nicht unerheblichen Kostenfaktor von Strom und anderen Energieträgern spielt für die Unternehmen der Wasserwirtschaft dabei auch das gestiegene Umweltbewusstsein der Kunden eine immer wichtigere Rolle. Im Bereich der Wasserwirtschaft steuert die Abwasserreinigung in en einen großen Anteil zum Gesamtenergieverbrauch bei. Ein Teil dieser Energie kann durch Rückgewinnung des energetischen Potenzials im Abwasser auf der Kläranlage bereitgestellt werden, zum Beispiel über eine Klärschlammfaulung mit Faulgasverstromung in Blockheizkraftwerken (BHKW). Das mittelfristige Ziel einer energieneutralen oder sogar energiepositiven Kläranlage scheint dabei bei einer optimierten Prozessführung und günstigen Randbedingungen hinsichtlich der Abwasserqualität möglich und erstrebenswert [1].
2 Fachbeiträge 573 Bisherige Energieanalysen von Prozessen der Abwasserreinigung beschränken sich jedoch meist auf die Erfassung des Bedarfs an Strom und Wärme auf dem sowie die Produktion dieser Energieträger über eine Faulgasverstromung. Dabei wird dem gesamten Stromverbrauch des s die Eigenproduktion an Strom gegenübergestellt und so eine Energiebilanz ausgewiesen. Der Wärmebedarf für Faulturmheizung und Betriebsgebäude wird meist zu 100 % über die Eigenproduktion an Wärme aus dem BHKW gedeckt. Bei einer ausgeglichenen Strom- und Wärmebilanz ist nach dieser Definition der Zustand eines energie-neutralen s erreicht. Ein Überschuss an Strom und Wärme würde damit ein energie-positives ergeben, das zusätzlich zur Deckung des Eigenbedarfs noch Strom oder Wärme an andere Verbraucher liefern kann. Diese traditionelle Betrachtungsweise beschränkt die Frage der Energiebilanz damit auf die Frage nach der Strom- und Wärmebilanz. Im Sinne einer ganzheitlichen Beurteilung des Energieverbrauchs von en sollten jedoch alle bekannten Formen des Energieverbrauchs bzw. der Energiebereitstellung berücksichtigt werden. Neben dem direkten Verbrauch an Strom und Wärme verursacht der Betrieb eines s weiteren Energieverbrauch über vor- und nachgelagerte Prozesse (indirekter Verbrauch): bei der Produktion und Bereitstellung von Chemikalien wie Fällmittel oder Flockungshilfsmittel in der Schlammentwässerung, beim Transport von Klärschlamm zur Entsorgung, bei der Nutzung fossiler Energieträger wie Erdgas oder Heizöl zur Faulraumheizung, Klärschlammtrocknung oder als Stützfeuerung in der Mono-Verbrennung von Klärschlämmen. Diese Formen des indirekten Energieverbrauchs werden in der traditionellen Energieanalyse über eine Strombilanz nicht erfasst. Damit kann die Strombilanz streng genommen nur eine Stromneutralität ausweisen, nicht jedoch eine Energieneutralität. Auch bei der Rückgewinnung von Nährstoffen aus Abwasser und Klärschlamm und der thermischen Entsorgung des Klärschlamms sollten die indirekten Einsparungen von Energie berücksichtigt werden: die Substitution von Mineraldünger (Stickstoff, Phosphor, Kalium) durch Nährstoffe aus Klärschlamm bei der landwirtschaftlichen Verwertung oder über Bereitstellung von Düngerprodukten (MAP, Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlammaschen), die Substitution von Brennstoffen bei der thermischen Klärschlammentsorgung, zum Beispiel bei der Mitverbrennung in Kraftwerken oder Zementwerken. Die Gesamtenergiebilanz eines s umfasst damit direkte und indirekte Beiträge zum Energieverbrauch sowie den energetischen Beitrag aller Produkte. Auf diese Weise lässt sich eine ganzheitliche Energieneutralität eines s über alle Energieformen darstellen und entsprechend analysieren und bewerten. Im Prinzip lässt sich diese Gesamtenergiebilanz der Abwasserreinigung mit der hier vorgestellten Methodik auch auf die energetischen Aufwendungen für den Abwassertransport (Pumpwerke) und die Errichtung der Infrastruktur (Kläranlage, Kanalisation) erweitern. In diesem Beitrag soll jedoch der Fokus auf die betriebliche Energiebilanz der Kläranlage gerichtet werden, um den zugrundeliegenden Ansatz der Analyse zu verdeutlichen. 2 Der Ansatz der Ökobilanz Ein geeigneter methodischer Ansatz für die ganzheitliche Betrachtungsweise findet sich in der Methodik der Ökobilanz nach ISO 14040/44 [2], wie sie seit vielen Jahren zur Beurteilung der Umweltwirkung von Produkten genutzt wird [3]. Diese standardisierte Methode der Bilanzierung bietet die Möglichkeit, alle oben geforderten Erweiterungen zu integrieren: Einbeziehung aller relevanten Prozesse einschließlich vorund nachgelagerter Bereiche (Produktion von Chemikalien, Transport von Klärschlamm, ), quantitativer Bezug aller Größen auf eine gemeinsame funktionelle Einheit, mögliche Erweiterung der Systemgrenzen auf Sekundärfunktionen wie die Bereitstellung von Nährstoffen oder die Substitution von Brennstoffen bei der Verbrennung von Klärschlamm. Mit dem Ansatz der Ökobilanz können damit alle relevanten Energieformen und Prozesse abgebildet und in die Bewertung einbezogen werden. Neben dem Verbrauch an energetischen Ressourcen bietet die Ökobilanz zudem die Möglichkeit, andere Umweltindikatoren in die Bewertung mit einzubeziehen, so beispielsweise den Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen (THG) wie CO 2 aus fossilen Energieträgern ( carbon footprint ). Im Folgenden wird das methodische Vorgehen bei einer Ökobilanz erläutert und am Beispiel einer Musterkläranlage verdeutlicht, für die der Gesamtenergieverbrauch sowie der entstehende Treibhauseffekt errechnet wird. 3 Methodik Die hier angewandte Methodik folgt den Definitionen der Ökobilanz nach ISO-Norm 14040/44 (ISO 14040/ ). Das Vorgehen unterteilt sich danach in vier Arbeitsschritte: 1. Definition des Untersuchungsrahmens, 2. Sachbilanz, 3. Wirkungsabschätzung, 4. Interpretation. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte erläutert und am Beispiel verdeutlicht. Abb. 1: Systemgrenzen einer Ökobilanz für ein
3 574 Fachbeiträge Verbrauch von Primärenergie [MJ] Treibhauseffekt [kg CO 2 -eq] Strom, 1 MWh im deutschen Strommix Wärme, 1 MWh aus Erdgasbrenner ( 85%) Erdgas, 1 MWh Heizwert FeCl 3 (40 %), 1000 kg Polymer (Wirksubstanz), 1000 kg MgCl 2 (30 %), 1000 kg Transport mit LKW (16 32t), 1000 tkm Tabelle 1: Primärenergieaufwand und Treibhauseffekt ausgewählter Prozesse für die Abwasserreinigung (Quelle: eigene Berechnungen, basierend auf [6]) Gutschrift durch Substitution von Primärenergie [MJ] Treibhauseffekt [kg CO 2 -eq] Mineraldünger Stickstoff, 1000 kg als N Mineraldünger Phosphor, 1000 kg als P Mineraldünger Kalium, 1000 kg als K Braunkohle, 1000 kg (H u 8650 MJ/kg) Steinkohle, 1000 kg (H u MJ/kg) Tabelle 2: Gutschriften für Sekundärprodukte der Abwasserreinigung (Quelle: eigene Berechnungen, basierend auf [6, 7]) 1. Definition des Untersuchungsrahmens Die primäre Systemfunktion der betrachteten Kläranlage ist die Reinigung von Abwasser auf eine geforderte Ablaufqualität. Als funktionelle Einheit des Systems Kläranlage können unterschiedliche Bezüge definiert werden: Naheliegend ist der Bezug auf die Abwassermenge (Einheit: pro m³ Abwasser), wobei allerdings die unterschiedliche Verschmutzung des Abwassers nicht mit berücksichtigt ist. Bezieht man die Bilanz auf die organische Belastung des Abwassers als entscheidenden Parameter für die energetische Analyse, können Unterschiede in der Abwasserqualität damit ausgeglichen werden. Eine geeignete funktionelle Einheit ist hier der Einwohnerwert (EW) nach ATV-A 131, bezogen auf die organische Belastung pro Jahr (mit EW CSB 120 g CSB/(EW d) [4]. Die Systemgrenzen der Bilanzierung werden so gewählt, dass neben den zentralen Prozessen im auch die relevanten vor- und nachgelagerten Prozesse mit erfasst werden, darunter die Bereitstellung von Strom und Wärme, Chemikalien oder zusätzlichen Brennstoffen sowie die Klärschlammentsorgung (Abbildung 1). Durch eine Erweiterung des Systemraums auf die Sekundärprodukte können auch diese Funktionen einer Kläranlage beurteilt werden, insbesondere die Produktion von Strom und Wärme aus Faulgas, die Substitution von Nährstoffen in der Landwirtschaft oder der Brennstoffersatz in Kraftwerken. 2. Sachbilanz In der Sachbilanz werden die Verbrauchsdaten aller Prozesse innerhalb der Systemgrenzen er fasst. Dies beinhaltet zuerst das gesamte inklusive der Schlammbehandlung und die Klärschlammentsorgung. Neben dem Strom- und Wärmebedarf dieser Prozesse wird auch der Verbrauch von Chemikalien und zusätzlichen Brennstoffen bilanziert. Ebenso werden die Transportentfernungen bei der Entsorgung des Klärschlamms ermittelt. Zur Aufstellung dieser Sachbilanzen bietet sich spezielle Ökobilanz-Software an, in der ein statisches Stoffstrommodell (Fließgleichgewicht) der Kläranlage aufgebaut werden kann Unterer Heizwert H u von Glühverlust Klärschlamm [MJ/kg] 40 % 50 % 60 % TR 25 % 0,33 0,8 1,3 TR 30 % 0,9 1,4 2,0 TR 40 % 2,0 2,8 4,1 TR 90 % 7,5 9,5 11,6 Tabelle 3: Heizwert von Klärschlamm abhängig vom Trockenrückstandsgehalt und Glühverlust (Quelle: Berechnung nach [8], Annahme: H u (otr) 22 MJ/kg otr) (zum Beispiel Umberto [5]). Dadurch kann der Prozess der Abwasserreinigung mit seinen vielen einzelnen Prozessstufen leicht visualisiert werden, was die Auswertung und Präsentation der Ergebnisse vereinfacht. Oftmals werden schon beim Erstellen des Modells Abhängigkeiten und Zusammenhänge deutlich, die das Prozessverständnis bei allen Beteiligten verbessern. Nach Aufstellung dieser Sachbilanzen kann der Energieaufwand zur Bereitstellung der Betriebsmittel (Strom Wärme, Chemikalien, Brennstoffe) in einer Prozessdatenbank für Ökobilanzen abgefragt werden, wo entsprechende gemittelte Datensätze vorhanden sind. Das vorliegende Beispiel stützt sich auf Berechungen mit dem Datensatz Ecoinvent [6], der den Verbrauch an Primärenergie und den resultierenden Treibhauseffekt für verschiedene Produkte liefert (Tabelle 1). Um die Sekundärprodukte der Abwasserreinigung in der Energiebilanz zu erfassen, werden diese Produkte ebenfalls ermittelt: Produktion von Strom und Wärme aus Faulgas im BHKW, stoffliche Verwertung von Klärschlamm: pflanzenverfügbare Nährstoffe in Düngeprodukten oder Klärschlamm (Stickstoff, Phosphor, Kalium), thermische Verwertung von Klärschlamm: Energiegewinn oder Substitution von fossilen Brennstoffen wie Braun- oder Steinkohlen.
4 Fachbeiträge 575 Bei der stofflichen Klärschlammverwertung spielt die Pflanzenverfügbarkeit der Nährstoffe eine entscheidende Rolle, da im Klärschlamm enthaltene Nährstoffe nicht vollständig verfügbar sein können (Tabelle 2). Bei der thermischen Verwertung des Klärschlamms spielt dessen Heizwert eine wichtige Rolle, der vom Gehalt an organischer Trockensubstanz abhängt. Der maßgebliche untere Heizwert kann über den Trockenrückstandsgehalt und den Glühverlust berechnet werden (Tabelle 3). 3. Wirkungsabschätzung Für die Wirkungsabschätzung werden alle Ergebnisse der Sachbilanz aggregiert und mit entsprechenden Indikatoren ausgewiesen. Für eine Energiebilanz wird hier der kumulierte Energieaufwand an nichterneuerbaren Ressourcen (KEA) nach Definition des VDI angesetzt [9]. Dieser Indikator beschreibt den Verbrauch an Primärenergie in Megajoule für fossile und nukleare Brennstoffe (ohne erneuerbare Energiequellen). Ein weiterer wichtiger Umweltindikator beschreibt die Emission an klimawirksamen Gasen (CO 2 aus fossilen Quellen, CH 4, N 2 O und weitere Spurengase), die zum Treibhauseffekt beitragen. Diese Wirkung wird in CO 2 -Äquivalenten ausgedrückt mittels der international anerkannten Wirkfaktoren des Weltklimarats [10]. In der Wirkungsabschätzung werden die verursachten Umweltwirkungen (Verbrauch an Primärenergie, Emission von Treibhausgasen) den eingesparten Wirkungen durch die Sekundärprodukte (Vermeidung von Energieverbrauch und Emissionen durch Substitution anderer Produkte wie Strom, Mineraldünger, Brennstoffe) gegenübergestellt. Diese Sekundärprodukte haben daher einen negativen Beitrag zur Umweltwirkung und werden so dem Prozess Kläranlage gutgeschrieben. Insgesamt kann auf diese Weise der tatsächliche Energieverbrauch der Abwasserreinigung beschrieben werden, der alle Formen des Energieverbrauchs sowie alle Sekundärprodukte der Abwassereinigung berücksichtigt. 4. Interpretation Im letzten Schritt der Bilanz werden die Ergebnisse im Hinblick auf die Grundlagen der Bilanz ausgewertet und interpretiert. Eine Beitragsanalyse nach einzelnen Prozessen auf der Kläranlage gibt Einblick in die entscheidenden Verbraucher und die Form des Energieverbrauchs. Über Sensitivitätsanalysen kann zusätzlich der Einfluss von bestimmten Sachbilanzdaten oder Annahmen überprüft werden, um gegebenenfalls die Datenerhebung zu verfeinern oder spezifische Messungen zu veranlassen. 4 Beispiel einer ganzheitlichen Energieanalyse Bilanzierte Stoffe und Energieträger Verbrauch Einheit Ein kurzes Beispiel anhand einer energieoptimierten Modellkläranlage für EW [11] soll die Vorgehensweise bei einer Ökobilanz verdeutlichen. Neben dem Strom- und Wärmebedarf der Anlage wird auch der Bedarf an Chemikalien abgeschätzt und in die Bilanz miteinbezogen (Tabelle 4). Gutschriften für Strom und Wärme stammen aus der Faulgasnutzung im BHKW sowie aus der thermischen Klärschlammentsorgung. Bei der Entsorgung des Klärschlamms wird hier von einer Mitverbrennung im Braunkohlenkraftwerk ausgegangen, die Transportentfernung bis zum Kraftwerk wird auf 200 km festgelegt. Der Heizwert des Klärschlamms (25 % TS) wurde mit 0,8 MJ/ kg angenommen. Die beschriebenen Verbräuche und Gutschriften können mit Daten aus den Tabellen 1 und 2 in Primärenergie umgerechnet werden. Damit ergibt sich für das Modellklärwerk in der Summe ein jährlicher Primärenergieverbrauch von 352 MJ/ (EW CSB a) einschließlich Schlammbehandlung und -entsorgung (Abbildung 2). Demgegenüber steht eine Gutschrift von 418 MJ/(EW CSB a) für Strom und Wärme aus dem BHKW und der Schlammverbrennung im Kraftwerk. Bei der Wärmebilanz sollte jedoch berücksichtigt werden, dass nur ein Teil der Wärme effektiv auf dem genutzt werden kann. Überschüssige Wärme kann nur ortsnah genutzt werden, sodass in vielen Fällen dieser Wärmeüberschuss an die Umwelt abgegeben wird. Zieht man die ungenutzte Wärme von der Gutschrift ab, ergibt sich damit eine verminderte Gutschrift von 340 MJ/(EW CSB a). Die Primärenergiebilanz weist für die Modellkläranlage unter den getroffenen Annahmen einen Nettoverbrauch von nur 12 MJ/(EW CSB a) auf. Diese Modellanlage ist damit dem Ziel einer energieneutralen Kläranlage sehr nahe. Bei der Berechnung des Treibhauseffekts müssen neben den indirekten Emissionen (Verbrauch von Strom, Chemikalien, Transporte) auch die direkten Emissionen von THG berechnet werden. Hier spielt vor allem Lachgas (N 2 O) eine entscheidende Rolle, das bei unvollständiger Denitrifikation in der Belebung entsteht und durch sein hohes Treibhauspotenzial (GWP- Schlammbehandlung Klärschlammentsorgung Strom kwh Wärme kwh 4000 Fällmittel (FeCl 3 ) kg 1000 Polymer kg 75 Transport km 200 Gutschrift Strom kwh 5115 Wärme kwh 8767 Substitution von Braunkohle kg 2312 Tabelle 4: Daten zu Verbrauch und Gutschriften von Stoffen und Energieträgern für eine Modellkläranlage mit EW pro Tag (Quelle: [11], ergänzt durch eigene Abschätzungen)
5 576 Fachbeiträge Kumulierter Energieaufwand [MJ/(EWCSB*a)] N2O 300 kg CO 2 -eq) erheblich zum Treibhauseffekt eines s beitragen kann. Für die Modellanlage werden die direkten Prozessemissionen über pauschale Emissionsfaktoren abgeschätzt, um deren Einfluss zu verdeutlichen. Für die Modellkläranlage ergibt sich ein Treibhauspoten zial von 31 kg CO 2 -eq/(ew CSB a) für direkte und indirekte Emissionen (Abbildung 3). Sekundärprodukte führen zu einer Gutschrift von -24 kg CO 2 -eq/(ew CSB a), sodass die Nettobilanz des Treibhauspotenzials bei 7 kg CO 2 -eq/(ew CSB a) liegt. Damit verursacht die Kläranlage im Beispiel trotz einer guten Energiebilanz THG-Emissionen von ungefähr 700 t CO 2 -Äquivalenten pro Jahr. Der Beitrag der direkten Prozessemissionen [N 2 O aus der Belebung: 9,1 kg CO 2 -eq/(ew CSB a)] ist dabei substantiell und sollte demnach bei vergleichbaren Betrachtungen immer mitberücksichtigt werden. 5 Ausblick Schlamm behandlung Klärschlamm entsorgung Nettobilanz Die vorliegende Arbeit beschreibt eine Methodik zur ganzheitlichen Bilanzierung des Energiebedarfs der Abwasserreinigung. Aufbauend auf den Definitionen der Ökobilanz nach ISO 14040/44, erfasst diese Methode systematisch alle relevanten Beiträge zum Verbrauch an Primärenergie. Neben den üblichen Größen wie Strom- und Wärmebedarf kann so auch der indirekte Energiebedarf über Chemikalienverbrauch oder Transporte berücksichtigt und in einem gemeinsamen Indikator dargestellt werden. Zudem besteht die Möglichkeit, über eine Erweiterung der Systemgrenzen auch Sekundärprodukte der Abwasserreinigung (Strom und Wärme aus Faulgasnutzung, Nährstoffe, Brennstoffe) in die Bilanz aufzunehmen. Gerade vor dem Hintergrund zunehmender Forderungen nach Rückgewinnung von Energie und Nährstoffen aus Abwasser und Klärschlamm bietet dieser Ansatz die Möglichkeit, verschiedene Strom Wärme Fällmittel Polymer Transport Brennstoffersatz Wärmeüberschuss Wärmegewinn Stromgewinn Abb. 2: Primärenergieaufwand pro Einwohnerwert und Jahr für eine M odellkläranlage mit EW Treibhauspotential [kg CO2 eq/(ewcsb*a)] Schlamm behandlung Klärschlamm entsorgung Nettobilanz Netto Prozessemissionen Strom Wärme Fällmittel Polymer Transport Brennstoffersatz Wärmeüberschuss Wärmegewinn Stromgewinn Abb. 3: Treibhauspotenzial pro Einwohnerwert und Jahr für eine Modellkl äranlage mit EW Netto Verfahrensalternativen in ihren Auswirkungen auf die Kläranlagen abzubilden und miteinander zu vergleichen. Neue Konzepte für energie-neutrale oder energie-positive e können damit ganzheitlich beurteilt werden. Über eine Erweiterung der Bilanz auf andere Umweltwirkungen wie die Emission von Treibhausgasen ( carbon footprint ) lassen sich zudem Verlagerungen von Umweltwirkungen aufzeigen, die durch die Einführung neuer Technologien entstehen können (Beispiel: Errichtung einer vierten Reinigungsstufe führt zu besserer Ablaufqualität, aber erhöhtem Energieverbrauch und THG-Ausstoß). Der Ökobilanz-Ansatz ist prinzipiell geeignet, auch den Vergleich von systematischen Ansätzen in der Abwasserreinigung (zum Beispiel zentrale oder dezentrale Systeme) in einer konsistenten Methodik zu ermöglichen. Damit steht ein geeignetes Werkzeug für aktuelle und zukünftige Fragestellungen im Bereich der Nachhaltigkeit in der Siedlungswasserwirtschaft zur Verfügung. Literatur [1] Haberkern, B., Maier, W., Schneider, U.: Steigerung der Energieeffizienz auf kommunalen Kläranlagen. Text 11/08, Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau, 2008, fpdf-l/3347.pdf [2] ISO 14040/44: Environmental management Life Cycle Assessment, Genf, 2006 [3] Klöpffer, W., Grahl, B.: Ökobilanz (LCA): Ein Leitfaden für Ausbildung und Beruf, Wiley-VCH, Weinheim, 2009 [4] ATV-A 131: Bemessung von einstufigen Belebungsanlagen, Hennef, 2000 [5] Umberto Software für das betriebliche Stoffstrommanagement, Version Umberto 5.0, Institut für Umweltinformatik GmbH und Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH, Heidelberg/Hamburg, 2005 [6] Ecoinvent: Ecoinvent Centre, ecoinvent data v2.0. ecoinvent reports No. 1 25, Swiss Center for Life Cycle Inventories, Dübendorf/ Schweiz, 2007 [7] Remy, C.: Ökobilanz von konventionellen und Trennsystemen für die kommunale Abwasserreinigung, Dissertation, TU Berlin, 2010, [8] Ökobilanzielle Betrachtung von Entsorgungsoptionen für Klärschlamm im Land Schleswig-Holstein, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH, Studie im Auftrag des Ministeriums für Umwelt, Natur und Forsten des Landes Schleswig-Holstein, Heidelberg, 2002 [9] VDI-Richtlinie 4600: : Kumulierter Energieaufwand Begriffe, Definitionen, Berechnungsmethoden, VDI Verlag, Düsseldorf, 1997 [10] Climate Change 2007: Synthesis Report, Contribution of Working Groups I, II and III to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC, Genf/Schweiz, 2007 [11] Handbuch Energie in Kläranlagen, Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 1999 Autoren Dr.-Ing. Christian Remy Dipl.-Ing. Boris Lesjean Dipl.-Ing. Andreas Hartmann Kompetenzzentrum Wasser Berlin ggmbh Cicerostraße 24, Berlin christian.remy@kompetenz-wasser.de A
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