Forum Erziehungshilfen

Größe: px
Ab Seite anzeigen:

Download "Forum Erziehungshilfen"

Transkript

1 26. Jg. H Forum Erziehungshilfen Vormundschaften/Pflegschaften in den Erziehungshilfen Außen vor und mittendrin: Vormundschaft als Kooperationspartnerin in HzE Elternkontakt als Gestaltungsaufgabe für Vormundschaft Leaving Care und Vormundschaft Junge Menschen und ihre Rechte in den Vormundschaften Masernschutzgesetz Neue Rechtsgrundlagen und Unsicherheiten (Re-)Konstruktionsprozesse der»schwierigen«herausgegeben von der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen

2 IGFH- VERANSTALTUNGEN Fortbildungen Wenn nichts mehr geht schwer erreichbare Jugendliche in den Erziehungshilfen Köln ab 280,- unter der Leitung von Holger Wendelin Biographiearbeit mit Kindern und Jugendlichen Hannover ab 295,- unter der Leitung von Maria Krautkrämer-Oberhoff Weiterbildung Sozialpädagogische Familiendiagnosen Berufsbegleitende Weiterbildung (Zertifikatskurs) 3 Module ; ; 3. Modul wird bekannt gegen Bremen ab 1.395,- unter der Leitung von Stephan Cinkl Weitere Informationen erhalten Sie über unsere Website über Frau Sabine Isenmann, Tel.: , tagungen@igfh.de über unseren Fortbildungs-Newsletter igfh@igfh.de Lizenziert für Robin Loh

3 Forum Erziehungshilfen 26. Jahrgang 2020, Heft 2 Inhalt Zu diesem Heft Jacqueline Kauermann-Walter, Stefan Wedermann Kommentar Wir müssen mal über die Mitte reden Friedhelm Peters Thema: Vormundschaften/ Pflegschaften in den Erziehungshilfen Überblick: Vormundschaft/Pflegschaft in HzE Außen vor und mittendrin. Die Vormundschaft als Kooperationspartnerin in den Erziehungshilfen Jacqueline Kauermann-Walter und Stefan Wedermann Die Gestaltung von Kontakten zwischen Eltern und Kind pädagogische Herausforderung und rechtliche Rahmung für die Vormundschaft Katharina Lohse, Henriette Katzenstein Fallbeispiel aus ombudschaftlicher Beratung Peter Schruth Junge Menschen und ihre Rechte in den Vormundschaften ein Kommentar zur Partizipationsdebatte in der Kinder- und Jugendhilfe Wolfgang Schröer Magazin Klatsch und Tratsch Tagungshinweise Nachrichten und Stellungnahmen Materialien Aufgespießt: Der andere Hohlspiegel Tagungsberichte Forschungsnotiz Portrait: Beate Naake IGfH-Informationen Internationales Vormundschaft (für umf) in den Niederlanden Robin Loh Diskussion Der Konstruktionsprozess der Schwierigen das Beispiel der sogenannten Systemsprenger*innen Friedhelm Peters Vormundschaft für junge Geflüchtete in der Heimerziehung Andreas Meißner Zugänge junger Menschen zur digitalen Welt und die Rolle der Vormund*innen Daniel Hajok Vormundschaft und Leaving Care über das zu frühe Ende einer Beziehung Britta Sievers Gute Vormundschaft aus der Sicht von jungen Menschen, die selbst eine*n Vormund*in hatten Robert Wepner, Laura Brüchle Systemsprenger*innen verstehen (und erst dann handeln) eine österreichische Studie oder wie man geschlossene Unterbringung auch in Deutschland vermeiden kann Peter Kramlinger, Stephan Cinkl Rechtsfragen Masernschutzgesetz Juliane Meinhold Literatur Besprechung Bibliografie Vorschau Impressum Jahrgang 2020, HEFT 2 65

4 Editorial Vormundschaften/Pflegschaften in den Erziehungshilfen Die Vormundschaft und Pflegschaft ist strukturell eng mit den Erziehungshilfen verwoben wobei Verwobenheit einen Zustand beschreibt, der sich in der Praxis nur selten findet. Es gibt in Deutschland ca Vormundschaften/ Pflegschaften und viele der betroffenen jungen Menschen leben in den Erziehungshilfen. Sind Eltern nicht in der Lage die Sorge ihres Kindes zu übernehmen z. B. durch Abwesenheit oder Entzug der elterlichen Sorge durch das Familiengericht erhält das Kind einen Vormund. Eine geeignete Person soll sodann zur Übernahme der Vormundschaft in der Familie oder im Umfeld gefunden werden. Sollte dies nicht möglich sein, so erhält das Kind eine/n Amtsvormund*in, Berufsvormund*in eine/n Vereinsvormund*in oder eine/n ehrenamtlichen Vormund*in, die/der die Sorge übernimmt. Vormünder*innen handeln dann an Eltern statt und beantragen die Hilfen für den jungen Menschen und haben eine Schlüsselrolle im Hilfeprozess. Sie haben die Pflicht, die Pflege und Erziehung des Kindes zu fördern und zu gewährleisten, hierzu gehören auch die (Mit-) Auswahl der Pflegeeltern oder der stationären Einrichtung. Die Alltagsgestaltung/-sorge übernehmen die Pflegeeltern oder Bezugsbetreuer*innen. Die/der Vormund*in muss aber bei allen tiefgreifenden Entscheidungen einbezogen werden und hat einmal im Monat persönlich Kontakt zum Kind/Jugendlichen. Vormünder*innen sind vergleichsweise sehr präsent, so bereiten sie das Hilfeplangespräch mit vor oder treffen Entscheidungen über z. B. Teilnahmen an Klassenfahrten. Es gibt jedoch nur punktuellen fachlichen Austausch zwischen den Professionen. In der Fachdiskussion wird die Kooperation zwischen Vormundschaft/Pflegschaft und Erziehungshilfen vornehmlich in der Pflegekinderhilfe diskutiert jedoch mit deutlichem Fokus auf die Rolle und Rechte der Pflegeeltern. Diese Schwerpunktausgabe möchte sich explizit mit der Schnittstelle Erziehungshilfen und Vormundschaft aus einer sozialpädagogischen Perspektive annähern. Die Debatte zu Vormundschaft wird gegenwärtig fast ausnahmslos aus einer rechtlichen Perspektive geführt. Doch Vormundschaften umfassen jedoch auch sozialpädagogisches Handeln. Das Heft möchte exemplarisch verschiedene Arbeitsfelder der Erziehungshilfen und ihre sozialpädagogischen Bezüge zur Vormundschaft erörtern. In einem einführenden Überblickskasten wird im Heft wird zunächst ein orientierender Überblick bezüglich der Vormundschaft/Pflegschaft gegeben. Anschließend kartieren Jacqueline Kauermann-Walter und Stefan Wedermann die Herausforderungen der Kooperation zwischen Erziehungshilfen und Vormundschaft in der Pflegekinderhilfe und Heimerziehung. Katharina Lohse und Henriette Katzenstein nähern sich dem Thema Umgang und Kontakt von Eltern zu ihren Kindern, die in einer Pflegefamilie leben und eine*n Vormund*in haben. Andreas Meißner widmet sich der Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Geflüchtete in der Heimerziehung und arbeitet hier praxisnah die Rolle der Vormünder*innen in diesem Arbeitsfeld heraus. Daniel Hajok plädiert dafür, dass Vormünder*innen ein digitales Recht auf Zugang zur Onlinewelt für ihre Mündel_innen respektieren und fördern müssen. Britta Sievers überträgt Einsichten aus der Careleaver-Forschung und Praxisentwicklung im Übergang auf die Vormünder*innen und zeigt wie diese die jungen Menschen vorbereiten und unterstützen können. Laura Brüchle und Robert Wepner, die einen Vormund hatten, geben Einblicke, was sie als Betroffene unter guter Vormundschaft verstehen. Peter Schruth stellt pointiert einen Fall aus dem Bundesnetzwerk Ombudschaft vor, der auch die kritischen Momente in der Vormundschaft sichtbar macht, die u. a. durch die Machtkonzentration bei der/dem Vormund*in entstehen können. Wolfgang Schröer wendet sich in einem eher grundsätzlichen Beitrag der Partizipation in der Vormundschaft zu und macht deutlich, dass Partizipation nicht nur Beteiligung an Verfahren bedeutet, sondern auch die Konstitution von Strukturen und Institutionen in der Vormundschaft selbst hinterfragt werden muss. Jacqueline Kauermann-Walter, Stefan Wedermann 66 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

5 Kommentar Wir müssen mal über die Mitte reden... Eigentlich wollte ich den Kommentar zum Thema der Jubiläen dieses Jahres schreiben die zahlreichen Geburts- und Gedenktage und vor allem über den, den man am liebsten vergessen machen würde: 15 Jahre Hartz IV Gesetzgebung! Dabei hat sie wie keine andere Reform Deutschland sozialpolitisch grundlegend verändert. Durch die Hartz-Gesetze wurde der größte Niedriglohnsektor innerhalb der EU geschaffen, wurden Lohnersatzleistungen (Arbeitslosenhilfe, die zwischen 53 und 57 Prozent des letzten Nettolohns betrug) abgeschafft und in eine Fürsorgeleistung (ALG II) umgewandelt. Statt kollektiver statuserhaltender Rechte führte dies vor allem zur weitgehenden Individualisierung von Ansprüchen und Soziallagen und zur Schaffung von mehr Ungleichheit per Gesetz (Christoph Butterwege). Darüber wollte ich also schreiben, aber dann kam der 05. Februar und der Tag der Wahl des thüringischen Ministerpräsidenten. Gewählt wurde im dritten Wahlgang nur um daran zu erinnern Thomas Kemmerich (FDP), dessen Partei mit 5.0 Prozent gerade so in den Landtag gekommen war, mit den Stimmen von FDP, CDU und AfD. Protest erhob sich quer durch die Republik und viele Menschen gingen demonstrierend auf die Straße, denn hier war in der Tat ein rechtes Bubenstück inszeniert. Interessant aber wie darüber gesprochen und kommuniziert wurde: Einerseits wird darauf hingewiesen, dass man ca. 25 Prozent der AfD-Wähler*innen nicht ausschließen dürfe/ könne, die AfD ja gewählt und Wahl eben Wahl sei, so funktioniere Demokratie nun mal. Die Mehrheit jedoch ist empört, auch wenn die Sachverhalte naturalisiert werden ( Dammbruch ). Die Rechte dagegen jubelt. Es zeige sich; welche Macht die patriotische Bewegung mittlerweile hat, es gehe um einen politischen Wandel im Land. Bald gebe es eine andere Stimmung. Und darauf könnt ihr euch freuen. Alice Weidel spricht vom Schmieden einer bürgerlichen Allianz, Götz Kubitschek von einem strategisch-taktischen Meisterstück usw. (s. dazu mehr: TAZ v , S.4). Neben diesen mehr oder weniger erwartbaren Reaktionen beunruhigt aber der überwiegende Rekurs der politischen Sprecher*innen auf die Mitte: Der Ministerpräsident Kemmerich spricht vor der Presse von einer Minderheitsregierung aus der Mitte des Parlaments. Der FDP-Vize W. Kubicki betonte zunächst: Ein Kandidat der demokratischen Mitte hat gesiegt ähnlich auch anfänglich FDP-Chef Lindner. Noch deutlicher der Ex-Staatssekretär (!) und Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), der gratuliert und twittert: Deine Wahl als Kandidat der Mitte zeigt noch einmal, dass die Thüringer Rot-Rot-Grün abgewählt haben (vgl. Sächsische Zeitung v , S.3). Hier wird eine Logik der Mitte inszeniert, die als politische Metapher jeden Wandel stillstellen will und dabei so tut, als sei Mitte eine geometrische oder gar gesellschaftliche Realität. Mitte ist aber ein Konstrukt, ein soziokultureller Entwurf und eine politische Vokabel, die wie wir jetzt gesehen haben nahezu beliebig gefüllt wird, aber i.d.r. die sozialen Koordinaten nach rechts verschiebt. Wie weit das schon geschehen ist, zeigen nicht nur die Vorgänge um die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen, sondern zeitgleich auch die an sich relativ bedeutungslose, aber symbolisch aufgeladene Ordensverleihung durch die Organisatoren des Dresdner Opernballs an den ägyptischen Diktator Al-Sisi, die erst nach massiven Protesten und Fernbleiben verschiedener Stars zurückgenommen wurde. Und dass die auf Teile der Fachbasis gestützten Versuche seitens landesjugendamtlicher Verwaltungen gerade jetzt in Thüringen und Sachsen geschlossene Unterbringung (GU) einzuführen etwas mit der Rechtsentwicklung zu tun haben, würde von diesen sicherlich zurückgewiesen, verstehen sie sich doch als Vertreter*innen des Faktischen, das akzeptieren müsse, dass es GU nun mal gebe und für wenige manchmal rassistisch untermalte Fälle auch geben müsse. Das sei Ultima Ratio. Ich befürchte, die Jugendhilfe ist in der Mitte nicht nur Thüringens und Sachsens angekommen. Friedhelm Peters, friedhelm.peters@ehs-dresden.de 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 67

6 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Überblick: Vormundschaft/Pflegschaft in HzE Was ist Vormundschaft/Pflegschaft? Pflege und Erziehung der Kinder sind das Recht und die Pflicht der Eltern. Wenn Eltern nicht mehr in der Lage sind, ihre Rechte und Pflichten auszuüben, muss der Staat den Schutz der Kinder/Jugendlichen gewährleisten. An die Stelle der Eltern tritt dann ein*e Vormund*in, die/der die Erziehung des Kindes sicherzustellen und seine Rechte wahrzunehmen hat. Vormünder*innen tragen persönliche Verantwortung für die Erziehungsbedingungen, für alle wesentlichen Entscheidungen und für die altersgemäße Beteiligung des Kindes/Jugendlichen in allen wichtigen Entscheidungen. Welche rechtlichen Grundlagen gibt es? Das Vormundschafts- und Pflegschaftsrecht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Die Regelungen zur Vormundschaft finden sich in den 1773 bis 1895 BGB, die zur Pflegschaft in den 1909 bis 1921 BGB. Auch das SGB VIII enthält Vorschriften zur Vormundschaft ( 53 bis 58), die verfahrensrechtlicher Natur sind. Formen der Vormundschaft Es gibt vier Formen der Vormundschaft in Deutschland: ehreamtlicher Vormund (Vorrang); Berufsvormund (Einzelvormund), Amtsvormund (Jugendamt) und Vereinsvormund. Es hat eine lange Tradition, dass Vormundschaften/Pflegschaften nicht nur durch Jugendämter, sondern auch durch privatrechtlich strukturierte Vereine respektive ihrer Mitarbeiter*innen sowie berufliche und ehrenamtliche Einzelvormünder*innen geführt werden. Allerdings ist deren Bestellung durch die Familiengerichte durchaus ausbaufähig. Die meisten Vormundschaften/Pflegschaften werden als Amtsvormundschaften und -pflegschaften geführt. Es wäre wünschenswert, mehr Vielfalt in der Vormundschaft zu ermöglichen. Wie viele Mündel sind in stationären Hilfen? Die wenigen vorhandenen Daten (vgl. Laudien 2016) zeigen, dass ein Großteil (Zahlen aus 2016) der jungen Menschen unter Vormundschaft in Pflegefamilien ( Kinder, Destatis 2018a) und in Jugendhilfeeinrichtungen ( Kinder, Destatis 2018b) leben. Mutmaßlich gibt es nur vereinzelt Kinder/Jugendliche, die eine*n Vormund*in oder Ergänzungspfleger*in haben und mit ihren Eltern zusammenleben. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass ca Kinder in Deutschland aktuell eine*n Vormund*in oder Ergänzungspfleger*in haben. Etwa 85 Prozent der Vormundschaften/Pflegschaften werden als Amtsvormundschaft und -pflegschaft geführt (vgl. Elmauer/Kauermann 2016). Unterschiede zwischen Vormund*in und Ergänzungspfleger*in? Die/der Vormund*in hat die Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes inne, einschließlich der gesetzlichen Vertretung. Dagegen hat ein*e Pfleger*in/Ergänzungspfleger*in nur in einem bestimmten Wirkungskreis das zu vertreten. Entzieht das Familiengericht Eltern einen Teil der elterlichen Sorge, wird für den entzogenen Teil ein*e Ergänzungspfleger*in bestellt, der/die z. B. das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder die Gesundheitsfürsorge innehat. Weitere ausführliche Informationen über die Vormundschaft in der Kinder- und Jugendhilfe unter: Literatur Elmauer, E./Kauermann-Walter, J. (2016): Vormundschaften beim Verein nicht nur für unbegleitete ausländische Minderjährige. In: Das Jugendamt, Heft 3, S Destatis (2018a): Vollzeitpflege (Zahlen 2016). URL: > Kinder-Jugendhilfe > Vollzeitpflege, [Stand: ] Destatis (2018b): Heimerziehung, sonstige betreute Wohnform (Zahlen 2016). URL: > Kinder-Jugendhilfe > Heimerziehung, [Stand: ] Laudien, K. (2016): Warum die Vormundschaft mehr Forschung braucht und was eine Befragung von Kindern und Jugendlichen unter Vormundschaft aussagen kann. In: Das Jugendamt, Heft 2, S Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

7 Kauermann-Walter, Wedermann AuSSen vor und mittendrin Außen vor und mittendrin Die Vormundschaft als Kooperationspartnerin in den Erziehungshilfen Jacqueline Kauermann-Walter, Stefan Wedermann Die Vormundschaft ist eng mit dem Alltag der Pflegekinderhilfe und Heimerziehung verwoben. Es gibt jedoch bisher kaum eine systematische Betrachtung der Vormundschaft als wichtige Akteurin in den Erziehungshilfen. Der Beitrag gibt hierzu mit Fokus auf die drei Themenfelder Rollen- und Aufgabenklärung, Hilfeplanung und Beteiligung einen ersten Überblick und arbeitet strukturelle Herausforderungen für die Kooperation in der Praxis heraus. Die Vormundschaft ist eine der ältesten Aufgaben im deutschen Kinder- und Jugendhilferecht und hat in den letzten Jahrzehnten aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Entwicklungen eine enorme Wandlung erfahren (vgl. Oberloskamp 2017). Die wenigen Zahlen zur Vormundschaft zeigen, dass ein erheblicher Anteil (2018: Amtsvormundschaften) der jungen Menschen in Pflegefamilien oder der Heimerziehung leben (siehe Infokasten). Nicht nur die hohe Fallzahl zeigt die Bedeutung der Vormundschaft, sondern auch die Pflicht die Pflege und Erziehung des Kindes zu fördern und zu gewährleisten Veit (2019) dokumentiert die besondere Verantwortung der Vormund*innen im Hilfesetting. So entscheidet sie/er u. a. über den Lebensmittelpunkt und damit über die Platzierung in einer Einrichtung oder Pflegefamilie (vgl. LVR, LWL 2013). Zudem ist der/die Vormund*in in die Hilfeplanung einzubeziehen, er/sie bereitet das Hilfeplangespräch mit dem Kind/Jugendlichen vor, hat für die Beteiligung des jungen Menschen Sorge zu tragen und seine Rechte ggf. auch durchzusetzen (ebd.: 36). Angesichts ihres Stellenwertes ist es erstaunlich, dass in der Fachdiskussion zur sozialpädagogischen Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe die Befassung mit der Vormundschaft erst langsam ihren Niederschlag findet (vgl. Bundesforum Vormundschaft 2019). Da der Großteil der jungen Menschen unter Vormundschaft außerhalb der Familie in einer Pflegefamilie oder Jugendhilfeeinrichtung lebt, fokussiert dieser Beitrag diese beiden Unterbringungsformen. Im Hinblick auf das Thema Kooperation werden exemplarisch drei Handlungsfelder Rollen- und Aufgabenklärung, Hilfeplanung und Beteiligung herausgestellt, die zentral für die Zusammenarbeit sind und gleichsam charakteristisch für Überlappungen und nicht eindeutig voneinander abgrenzbare Bereiche zwischen den Professionen Vormundschaft, Pflegekinderhilfe und Heimerziehung sind. Rolle und Aufgaben: Wer macht eigentlich was? Mit der 2011 in Kraft getretenen Vormundschaftsrechtsreform ist im Hinblick auf Rollenklarheit und klar definierte Verantwortungsbereiche der Abstimmungsbedarf zwischen dem/der Vormund*in, Fachkräften in der Heimerziehung und dem Pflegekinderdienst wie Pflegeeltern notwendiger geworden (DI- JuF 2015). Die Aufgabenabgrenzung und das Zusammenwirken der beteiligten Akteur*innen gehören zum Alltagsgeschäft, stellen aber zugleich hohe Anforderungen an ihre Ausgestaltung. Das erzeugt nicht selten Konflikte, denn die unterschiedlichen Aufgaben, Rollen und Funktionen bedeuten auch, dass 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 69

8 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Vormund, Fachkräfte und Pflegeeltern hinsichtlich der Beurteilung der Ausgestaltung der Hilfe unterschiedliche Meinungen vertreten können. Dabei haben Vormund*innen eine rechtlich starke Position und können diese letztlich auch durchsetzen. Insofern ist es wichtig, zwischen den Akteur*innen zu klären, wer welche Aufgaben mit welchem Auftrag übernimmt und wie die Rollen im Hilfeprozess ausgestaltet werden. In der Pflegekinderhilfe gibt es hierzu bereits eine Fachdebatte (siehe hierzu das Dialogforum Pflegekinderhilfe; näher unter de), im Kontext der Heimerziehung taucht das Thema Vormundschaft jedoch bisher seltener auf. Perspektive Pflegekinderhilfe Nicht selten kommt es in der Praxis zu Rollenkonflikten und Abgrenzungsproblemen, denn es zeigt sich, dass es Pflegeeltern und -kindern oft schwer fällt, Rolle und Aufgaben des/ der Vormund*in von denen der Fachkräfte des Pflegekinderdienstes (PKD) bzw. der weiteren Professionellen zu unterscheiden. Der/ die Vormund*in trägt die Verantwortung für die Entwicklung und Erziehung der Kinder/ Jugendlichen, der PKD hat die professionelle Unterstützung, Beratung und Begleitung der Pflegefamilie zu leisten und die Pflegeeltern die Pflege- und Erziehungsaufgaben im Alltag. Die Pflegeeltern haben gegenüber dem/der Vormund*in keine unabhängige Rechtsstellung. Pflegeeltern müssen vielfach verhandeln, was ihre Entscheidungsbefugnisse in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind, in Abgrenzung zu Entscheidungen von erheblicher Bedeutung, die nur der/die Vormund*in treffen kann. Erziehung passiert in Alltagssituationen, deshalb ist es für Pflegeeltern wichtig zu wissen, welche Aufgaben und Kompetenzen der/die Vormund*in hat und wer im Konfliktfall entscheidet. Im Alltag müssen Pflegeeltern handlungsfähig sein und wissen, welche Entscheidungen sie selbst treffen können (orientierungsstiftend vgl. KVJS 2019). Es hat sich als hilfreich erwiesen, bereits in der Vorbereitung von Pflegeeltern durch den PKD über Rolle, Aufgaben und Funktion des/der Vormund*in zu informieren auch in Abgrenzung zu den Aufgaben des PKDs (vgl. Erzberger, Katzenstein 2018 für eine Übersicht). Dennoch sind damit Rollenvermischungen nicht ausgeschlossen. Diese können sich dadurch ergeben, dass die Fachkräfte des PKDs nicht in der Frequenz in Kontakt mit dem Kind/Jugendlichen und den Pflegeeltern sind, wie es der/die Vormund*in ist (i.d.r. monatlich). Gelingende und befriedigende Regelungen setzen voraus, dass der/die Vormund*in in seine/ ihre Entscheidung die Sichtweise der Pflegeeltern und die fachliche Einschätzung der Fachkräfte des PKDs einbezieht. Eine wichtige Rolle spielen zudem die leiblichen Eltern, die im Gefüge der Aufgaben- und Rollenklärung berücksichtigt werden müssen. Perspektive Heimerziehung In einem Fachgespräch mit der IGfH-Fachgruppe Heimerziehung im November 2019 zum Thema Vormundschaft wurde die Zusammenarbeit als wichtiges Thema benannt. Die Einrichtungen erleben die Zusammenarbeit als unbestimmt und vornehmlich als zu übergriffig seitens der* Vormund*in oder als Fehlen eines wichtigen Partners im Hilfeprozess. Eine gute Zusammenarbeit von Heimerziehung und Vormund*innen sei eher selten. Die Kooperation von Sozialen Diensten und Vormundschaft ist ähnlich unbestimmt und oft konflikthaft, wird jedoch schon seit längerem fachlich diskutiert (vgl. BAG der Landesjugendämter 2005). In Baden-Württemberg wurde 2011 ein Muster für eine Kooperationsvereinbarung von Sozialen Diensten und Amtsvormundschaften ausgearbeitet (AG AV BaWü 2011). Für den Bereich Vormundschaften und Heimerziehung scheint dies ebenfalls notwendig zu sein, wobei eine dialogische Verständigung über die Zusammenarbeit und Rollen im Fokus stehen sollte (vgl. van Santen/Seckinger 2003). Zum Aufbau einer guten Zusammenarbeit von Vormundschaft und Heimerziehung könnte bspw. ein erstes Gespräch bei der Aufnahme des jungen Menschen in der Wohngruppe stattfinden. Hier sollte geklärt werden, welche Aufgaben von wem übernommen werden, welche Rolle der/die Vormund*in hat und wie bspw. Entscheidungen im Hinblick auf Risikoverhalten des jungen Menschen getroffen werden oder wie sich die Elternarbeit gestalten lässt. Hilfeplanung: gemeinsame Verantwortung? Die Hilfeplanung nach 36 SGB VIII ist das zentrale Instrument, um Bedarfe dialogisch zu 70 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

9 Kauermann-Walter, Wedermann AuSSen vor und mittendrin identifizieren und Hilfen gemeinsam auszuloten. Die Forschung zeigt, dass das Hilfeplangespräch gerade von jungen Menschen ausgesprochen hochschwellig erlebt wird. Für eine gelingende Einbeziehung junger Menschen sind altersgerechte Methoden in der Vorbereitung wie zur Beteiligung essenziell (Pluto/ Seckinger 2006). Es gibt deutliche Hinweise für einen Qualifizierungsbedarf in der Hilfeplanung, der sich an alle Akteur*innen richtet. Auch dem/der Vormund*in kommt eine zentrale und aktive Rolle zu, die Hilfebedarfe und Entwicklungsperspektive des jungen Menschen in der Hilfeplanung deutlich zu machen. Dies gilt im Besonderen für den Übergang ins Erwachsenenleben (vgl. hierzu auch Sievers i. d. h.). Zudem ist offenbar die Einbeziehung der Eltern in die Hilfeplanung eine Leerstelle. Perspektive Pflegekinderhilfe Im Idealfall sind in die Hilfeplanung neben der Fachkraft des PKDs, den Pflegeeltern und dem/der Vormund*in auch die Eltern einbezogen. Der Soziale Dienst lädt zu den Gesprächen ein und moderiert diese. Der PKD bereitet die Hilfeplangespräche mit der Pflegefamilie vor, der/die Vormund*in steht an der Seite des jungen Menschen und bereitet diesen auf das Gespräch vor (vgl. zu Hilfeplanung mit Pflegefamilien Schrapper 2014). In der Praxis blicken Fachkräfte der Pflegekinderhilfe auf sehr unterschiedliche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Vormund*innen im Rahmen der Vor- und Nachbereitung von Hilfeplangesprächen. Als gelungen wird die Kooperation beschrieben, wenn die Fachkräfte hinsichtlich der Einschätzung der Entwicklung des Kindes in der Pflegefamilie und der Perspektivklärung aktiv von dem/der Vormund*in einbezogen werden und sie ihre fachliche Sicht auf der Grundlage der Begleitung des Pflegeverhältnisses einbringen können. Nicht selten stehen aber hierfür die zeitlichen Ressourcen nicht zur Verfügung. Das Thema Umgangskontakte wird regelmäßig in Hilfeplangesprächen aufgerufen. Regelungen zu Umgangskontakten des Kindes zu den Eltern werden häufig als sehr konflikthaft beschrieben. Die Fachkräfte haben den Eindruck, dass bei einer diesbezüglichen Entscheidung die Belange der Pflegefamilie wie die fachliche Einschätzung des PKDs keine angemessene Berücksichtigung finden. So ist nicht transparent, auf welcher Grundlage über den Umgang, seine Art, seine Ausgestaltung entschieden wird. Pflegeeltern erleben die Kontakte oft als belastend und fragen, welche Relevanz der Kindeswille und das Kindeswohl bei der Entscheidung über die Umgangsfrage haben (vgl. Lohse; Katzenstein i. d. h.). Ein Aspekt, der sowohl von Seiten der Fachkräfte des PKDs wie der Vormund*innen thematisiert wird, ist die systematische Beratung und Begleitung der Eltern. Wer bereitet beispielsweise mit ihnen das Hilfeplangespräch vor? Fungiert der Allgemeine Soziale Dienst als Unterstützer für die Eltern? Gelingende Hilfeplanung muss die Perspektive der Eltern einbeziehen. Perspektive Heimerziehung Sehr engagierte Vormund*innen bereiten die Hilfeplangespräche intensiv mit dem jungen Menschen, der Einrichtung und teilweise auch mit den Eltern vor. Der Einbezug der Eltern wird hier als besonders wichtig beschrieben, da die Eltern für die Kinder von besonderer Bedeutung sind und bleiben. Der geteilte Eindruck aus der Praxis ist aber eher, dass Vormund*innen ihre Rolle nur unzureichend ausfüllten, da die Einrichtungen die Vorbereitung der Hilfeplangespräche allein übernehmen und die Vormund*innen wenn überhaupt über ihr Kommen hinaus sich kaum im Hilfeplangespräch einbringen würden. Auch junge Menschen berichten teilweise, dass Vormund*innen sie nicht aktiv in der Hilfeplanung unterstützten 1. In der Rollen- und Aufgabenklärung sollten die Formen der Zusammenarbeit im Hilfeplanverfahren und die gegenseitigen Erwartungen im Gefüge Vormund Einrichtung Kind mit Eltern geklärt werden. Die besondere Stellung des/der Vormund*in birgt u. a. die Chance, die Beteiligungsrechte der jungen Menschen in der Hilfeplanung tatsächlich umzusetzen. So sollte es keine Hilfeplanung ohne den jungen Menschen und nach Möglichkeit auch nicht ohne die Eltern geben. Insgesamt wird dringend empirische Forschung über Rollen- und 1 Vgl. hier Abschlussbericht Vormundschaft im Wandel. Die Ausgestaltung von Vormundschaftsprozessen aus Mündelperspektive in Vorbereitung. URL: projekte-5/vormundschaften-im-wandel-die-ausgestaltung-von-vormundschaftsprozessen-ausmuendelperspektive, Stand: Jahrgang 2020, HEFT 2 71

10 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Aufgabenverständnis der Vormund*innen in der Hilfeplanung benötigt. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen: Das Wie ist die Frage! Die Frage ist nicht, ob Vormundschaft und Erziehungshilfen Kinder und Jugendliche beteiligen sollten. Wir haben keine Wahl! als Grundrechtsträger haben sie Beteiligungsrechte. Aufgabe von Vormundschaft und Erziehungshilfen ist es, hierfür entsprechende Ermöglichungsstrukturen zu schaffen, damit Kinder und Jugendliche Einfluss auf ihren Lebensverlauf nehmen können (vgl. Schröer i. d. h.). Perspektive Pflegekinderhilfe Die Beteiligung von Kindern/Jugendlichen, die in Pflegefamilien leben und unter Vormundschaft stehen, ist anspruchsvoll, bewegt sie sich doch in einem Spannungsfeld von unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Rollen (siehe oben). Hier ist es wichtig, Kindern/Jugendlichen einen roten Faden durch diese Komplexität an die Hand zu geben, sie über Vormundschaft und über ihre Rechte zu informieren. Voraussetzung dafür ist, dass die beteiligten Fachkräfte zunächst selbst die Gestaltung der Beteiligung klären müssen. Aus Sicht der Vormund*innen sind personelle Kontinuität und regelmäßige persönliche Kontakte zum Kind/Jugendlichen Faktoren, die Beteiligungsprozesse stützen. Eine vertrauensvolle Beziehung ermöglicht es den Kindern/Jugendlichen, auch ambivalente Gedanken und Gefühle zu äußern. Besonders sensibel gilt es auf Loyalitätskonflikte der Kinder/Jugendlichen zu reagieren, wenn es z. B. um ihre Wünsche und die Entwicklung in der Pflegefamilie geht. Für den PKD ist u. a. der Prozess der Vermittlung eines Kindes in eine Pflegefamilie ein zentraler Bereich, in dem es in der Kooperation mit dem/der Vormund*in um das Thema Beteiligung geht. So gilt es, den Übergang des Kindes in die Pflegefamilie so zu gestalten, dass seine Bedürfnisse nach Sicherheit und altersgerechter Mitwirkung gewährleistet werden. Darüber hinaus spielt auch das Thema Fortführung und Gestaltung der Kontakte zu den Eltern des Kindes eine große Rolle. Beobachtbar ist insgesamt eine Diskrepanz zwischen einer positiven Grundhaltung hinsichtlich der Beteiligung des Kindes und ihrer Umsetzung in praktisches Handeln. Perspektive Heimerziehung Die Beteiligung der jungen Menschen in der Vormundschaft im Kontext der Heimerziehung wird in der Praxis als unzureichend erlebt. So haben die jungen Menschen zwar ein Mitspracherecht bei der Auswahl des/der Vormund*in, dieses wird aber faktisch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nicht angewendet und auch bei jungen Menschen ohne Fluchthintergrund kann dieses Recht stärker umgesetzt werden (vgl. zu Vormundschaft für junge Geflüchtete in der Heimerziehung Meißner i. d. h.). Die Aufklärung über Rechte sowohl in der Vormundschaft als auch der Kinder- und Jugendhilfe ist für ihre Beteiligung entscheidend, wird aber sehr unterschiedlich bis unzureichend ausgestaltet. Eine Studie zeigt, dass 31,7 Prozent der befragten jungen Menschen nicht wissen, warum der/die Vormund*in wichtig ist (Laudien 2016). Es fehlt bisher an unabhängigen Beschwerdestellen in der Vormundschaft zum Schutz von Kinderrechten, die für eine gelebte Beteiligung wichtig sind (vgl. Equit et al. 2017) und die u. a. Impulse zur Weiterentwicklung geben können. Eine unmittelbare Beteiligung der jungen Menschen in der Ausgestaltung der Vormundschaft kommt nur selten vor. Es wird zwar über das Kind, seine Situation und seine Entwicklung gesprochen, aber die altersgerechte, direkte Einbeziehung und das Erfragen von Wünschen und Erwartungen an Vormund*innen finden selten Platz. Ein Erwartungsgespräch könnte für die parteiliche Ausgestaltung der Vormundschaft im Sinne des Kindes ein Fundament legen und besondere Sensibilisierungshinweise für eine gute Beziehungsgestaltung offenlegen. Kooperation schafft Verbindung Vormund*innen sind wichtige Akteur*innen in den Erziehungshilfen, befinden sich formal also mittendrin im Erziehungshilfegeschehen. Allerdings weisen die drei exemplarisch herausgegriffenen Themen Rolle/Aufgaben, Hilfeplanung und Beteiligung eher darauf hin, dass es sich in der Praxis bei den Beteiligten um ein Nebeneinander-Agieren handelt. Ziel ist, gemeinsam für ein gutes Aufwachsen der Kinder/Jugendlichen zu sorgen. Kooperation ist deshalb ein Schlüsselthema der Vormundschaft als Profession in den Erziehungshilfen, 72 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

11 Kauermann-Walter, Wedermann AuSSen vor und mittendrin da sie eine Verbindung zwischen den an der Erziehung Beteiligten herstellt. Gemeinsam entwickelte Aufgabenbeschreibungen, Kooperationsvereinbarungen, Standards in der Zusammenarbeit sind als Instrumente der Gestaltung der Zusammenarbeit hilfreich. Fachliche Differenzen und Konflikte sind damit zwar nicht auszuschließen, denn diese ergeben sich meist erst vor dem Hintergrund der konkreten Lebenssituation des Kindes/Jugendlichen. Aber sie tragen zur Verhaltenssicherheit und Rollenklarheit der Beteiligten bei. Die Chance dieses Diskussionsprozesses liegt insbesondere darin, das jeweils andere Arbeitsfeld, seine Spezifika, besser kennen und einschätzen zu lernen. Praxisforschung fördert Qualifizierung Die Betrachtung der Vormundschaft verdeutlicht, dass die Vormundschaft mittendrin ist, aber in der fachlichen Weiterentwicklung außen vor. Dies trifft auch insgesamt für die (Praxis-)Forschung in der Vormundschaft zu. Die verschiedenen strukturellen Herausforderungen in der Kooperation zeigen auf, dass es z. B. zur Einbeziehung der Eltern in und durch die Vormundschaft Methoden der Beteiligung oder auch Platzierungspraxen, Wissen und Qualifizierung braucht, jedoch es bisher kaum Praxisentwicklungsprojekte dazu gibt. Die Fachkräfte in den Erziehungshilfen und Vormundschaft sind auf eine gemeinsame Weiterentwicklung angewiesen, um die Erziehung des jungen Menschen in gemeinsamer Verantwortung zu fördern und zu gewährleisten wir brauchen also mehr Forschung für eine besser Vormundschaft in den Erziehungshilfen. Literatur AG AV BaWü (2011): Muster Kooperationsvereinbarung zwischen den Arbeitsbereichen Amtsvormundschaften/-pflegschaften und dem Sozialen Dienst, URL: [Stand: ] BAG der Landesjugendämter (2005): Arbeits- und Orientierungshilfe für den Bereich der Amtsvormundschaften und -pflegschaften. URL: [Stand: ] Bundesforum Vormundschaft (2019): Einwurf zum Prozess Mitreden Mitgestalten zur Vorbereitung einer SGB VIII-Reform: Unterbringung außerhalb der eigenen Familie: Kindesinteressen wahren Eltern unterstützen Familien stär- ken. URL: [Stand: ] Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (2015) (Hg.): Weiterdenken in der Pflegekinderhilfe. Texte von Praktiker*innen. Equit, C./Flößer, G./Witzel, M. (Hg.) (2017): Beteiligung und Beschwerde in der Heimerziehung. Grundlagen, Anforderungen und Perspektiven. Frankfurt am Main. Erzberger, Ch./Katzenstein, H. (2018): Vormundschaft in der Pflegekinderhilfe, Kooperation und Ehrenamt, Expertise für das Dialogforum Pflegekinderhilfe. KVJS (2019): Anlage zur Orientierungshilfe Rahmenbedingungen in der Vollzeitpflege gemäß 33 SGB VIII Entscheidungsbefugnisse von Pflegepersonen Angelegenheiten des täglichen Lebens ( Alltagssorge ) in Abgrenzung zu Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung. URL: [Stand: ] Landesjugendamt Rheinland; Landesjugendamt Westfalen (2013): Arbeits- und Orientierungshilfen Qualitätsstandards für Vormünder. URL: de, [Stand: ] Laudien, K. (2016): Warum die Vormundschaft mehr Forschung braucht und was eine Befragung von Kindern und Jugendlichen unter Vormundschaft aussagen kann. In: Das Jugendamt, Heft 2, S Pluto, L./Seckinger, M. (2006): Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Hilfeplanung Erfahrungen aus Deutschland. In: Sozialmagazin, Heft 12, Seite Oberloskamp, H. (2017): Vormundschaft, Pflegschaft und Beistandschaft für Minderjährige. München. Santen van, E./Seckinger M. (2003): Kooperation: Mythos und Realität einer Praxis. Eine empirische Studie zur interinstitutionellen Zusammenarbeit am Beispiel der Kinder- und Jugendhilfe. Verlag Deutsches Jugendinstitut. Schrapper, Ch. (2014): Öffentliche Erziehung an privaten Lebensorten? Zur Hilfeplanung in der Arbeit mit Pflegefamilien. In: Pflegekinder Heft 2, S Veit, B. (2019): Ausgewählte Fragen an die Reform. Vortrag zum 2. Diskussionsteilentwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschaftsrechts vom auf der Tagung Starke Vormundschaft, Starke Kinder. In: Das Jugendamt, Heft 7-8, S Jacqueline Kauermann-Walter, Fachreferentin für Kinder- und Jugendhilfe, Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Gesamtverein, kauermann@skf-zentrale.de Stefan Wedermann, Referent, Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen, stefan.wedermann@igfh.de 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 73

12 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Die Gestaltung von Kontakten zwischen Eltern und Kind Pädagogische Herausforderung und rechtliche Rahmung für die Vormundschaft Katharina Lohse, Henriette Katzenstein Umgangsrecht beschreibt den Anspruch auf Umgang eines minderjährigen Kindes mit seinen Eltern und jedes Elternteils mit dem Kind. Das Familiengericht kann allerdings über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung näher regeln. Wird hier das vollständige Recht der elterlichen Sorge entzogen, betrifft dies auch das Umgangsbestimmungsrecht. Vormund*innen regeln dann auch den Umgang des Kindes mit seinen Eltern. Die Autorinnen gehen im nachfolgenden Beitrag den Herausforderungen für die Vormund*innen nach, die viel mehr einen komplexen Prozess der Umgangsgestaltung nahelegen als einen einmaligen Akt der Bestimmung. Die Bestimmung des Umgangs durch Vormund*innen Laut Gesetz hat der Vormund oder die Vormundin das Recht und die Pflicht, den Umgang zu bestimmen (s. Abschnitt 2.). Den Umgang bestimmen das klingt nach einer einmaligen Festlegung, einer schnell zu erledigenden Angelegenheit. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt jedoch, in welch komplexen Spannungsfeldern sich die Bestimmung des Umgangs abspielt: Gefragt nach einer Fallschilderung 1 zum Thema Elternkontakt, berichtet eine Vormundin: Ich habe drei Jahre lang auf dem Sofa gesessen! Die Pflegefamilie und auch der anfangs etwa 12-jährige Junge waren angespannt, unbefangene Gespräche kaum möglich. Irgendwann der Zufall spielte mit entdeckten jedoch der inzwischen 15-Jährige und die Vormundin ein gemeinsames Hobby: das Kochen. Sie kochten bei weiteren Treffen für sich und die Pflegeeltern und kamen ins Gespräch. Der Junge offenbarte seinen Wunsch nach Kontakt mit der Mutter, begleitet bitte (!) durch die Vormundin. 1 Das Beispiel wurde von einer Vormundin im Rahmen einer Fortbildung berichtet. Die Kollegin war vor ihrer mehrjährigen Tätigkeit als Vormundin langjährig im ASD tätig gewesen. Die Pflegeeltern erwiesen sich als wenig offen für diesen Wunsch wie sollte ein Kontakt also auf den Weg gebracht werden? Die Vormundin sprach mit der Kollegin vom Pflegekinderdienst. Eigentlich, so diese, sei sie ja selbst für die Anbahnung der Kontakte zu Eltern zuständig. Aber sie befürwortete schließlich doch den Wunsch des Jungen nach Unterstützung durch seine Vormundin. Die Pflegeeltern wehrten sich zwar gegen den Kontakt zwischen Mutter und Jugendlichem, ein gemeinsames Gespräch mit den beiden Fachkräften, die an einem Strang zogen, konnte vorsichtiges Einlenken bewirken. Bei den ersten Besuchen war der Jugendliche auf der Fahrt zur Mutter sehr aufgeregt. Und dann die Unsicherheit, wie sich Mutter und Sohn, die sich fremd geworden waren, begegnen sollten? Was sollte man ganze eineinhalb Stunden miteinander anfangen? Die Vormundin entlastete beide die Treffen könnten so lange dauern, wie es gerade passe und tatsächlich, das war unterschiedlich, mal waren 10 Minuten genug, mal reichte die vorgesehene Zeit gar nicht. Auf den Rückfahrten war der Jugendliche entspannt und glücklich. Auch die Pflegeeltern gaben ihren Widerstand auf. Nicht in jedem Fall führen Elternkontakte zur Entspannung. Kinder und Jugendliche entwickeln diesbezüglich auch sehr unterschied- 74 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

13 Lohse, Katzenstein Eltern-Kind-Kontakte liche Wünsche. 2 Betrachtet werden soll hier jedoch nicht der Wunsch dieses Jugendlichen, sondern das Handeln der Vormundin. Der Terminus Umgangsbestimmung erfasst nicht, wie sie sich im Feld bewegt. Sie beobachtet, sie trifft keine Bestimmungen, die Machtkämpfe auslösen könnten. Sie wartet auf eine Gelegenheit, auf eine Tür zum Kontakt mit dem Jugendlichen. Erst als diese sich öffnet und die Pflegefamilie sie schon als langjährige, respektvolle Begleiterin erlebt hat, beginnt sie die Situation zu gestalten. Vom Wunsch des Jugendlichen ausgehend, setzt sie sich mit dem Pflegekinderdienst in Verbindung. Gemeinsam bereiten sie das Gespräch mit den Pflegeeltern vor und sind bereit, sich nach den Vorstellungen des Jugendlichen und nicht nach der festgelegten Zuständigkeit zu richten. Die Vormundin kontaktiert schließlich die Mutter. Sie passt die Begleitung der Treffen zwischen Mutter und Jugendlichem ihrem Zeitbudget an, indem sie sie im Rahmen ihrer vorgesehenen (monatlichen) Kontakte zum Jugendlichen wahrnimmt. Die Umgangs bestimmung als komplexer Auftrag Deutlich wird, wie komplex der Auftrag der Vormundschaft in Bezug auf Eltern-Kind-Kontakte tatsächlich ist: Nach der ihnen gesetzlich zugeschriebenen Rolle sollen Vormund*innen das ihnen anvertraute Kind beteiligen und dessen Interessen unabhängig wahrnehmen. 3 Die Interessen eines Kindes sind ihm aber nicht ins Gesicht geschrieben und zudem dicht verwoben mit den Interessen, Haltungen und Wünschen seiner Erziehungspersonen, seiner Eltern und weiterer bedeutungsvoller Erwachsener. Deshalb wird häufig im Zusammenhang mit Umgangsentscheidungen über die Frage des manipulierten oder autonomen Willens eines Kindes diskutiert (vgl. Peschel-Gutzeit 2014). Die Frage der Beeinflussung von Kindern spielt nicht nur bei Trennungseltern, sondern auch in der stationären Kinder- und Jugendhilfe eine Rolle. Gekränkte Eltern, die die Pflegemutter schlecht reden oder ein Erzieher, der seine schlechte Meinung über den Vater durchscheinen lässt, kommen auch hier vor und können zu Loyalitätskonflikten und großer innerer Not führen. 4 Allerdings fließen in die Willensbildung bei Kindern die Haltungen und Befindlichkeiten derjenigen Erwachsenen, mit denen sie zusammenleben, und derjenigen, die für sie emotional bedeutungsvoll sind, ein. Für die Vormundschaft heißt das vor allem, dass eine schlichte Befragung eines Kindes oder Jugendlichen in aller Regel noch keine bedeutsame Beteiligung bei der Umgangsbestimmung darstellt. Vielmehr geht es um ein vorsichtiges Herantasten an das Kind und dessen Situation. Es geht darum, mit dem Kind oder Jugendlichen Räume zu schaffen, in denen Wünsche und Willen des Kindes oder Jugendlichen überhaupt entstehen, sich verändern und bewusst werden können. Der Junge im obigen Beispiel konnte den Wunsch, seine Mutter zu sehen, möglicherweise erst entwickeln bzw. äußern, als die Situation in der Pflegefamilie sich entspannt hatte und die Vormundin für ihn zur verlässlichen Ansprechpartnerin geworden war. Zum Entstehen solcher Räume gehören jedoch nicht nur Geduld und Sensibilität für das Kind oder den Jugendlichen, sondern auch eine wache Wahrnehmung und ein offenes Ohr für die Umgebung, v.a. für die Pflegeeltern oder Erzieher*innen in der Einrichtung. Obwohl die Pflegeeltern im obigen Beispiel zunächst eine Atmosphäre schaffen, in der Kontakt zum Jungen gar nicht möglich wird, lässt sich die Vormundin nicht in Gegensatz zu ihnen bringen, sondern respektiert sie und beobachtet. So gelingt es ihr mit der Zeit, Akzeptanz zu erlangen und Bewegung in die Situation zu bringen. Mit Geduld, Beobachtungsvermögen, sensibler Kommunikation, Flexibilität und Absprachen, die niemanden übergehen, gelingt der Vormundin im Zusammenspiel mit dem Pflegekinderdienst in diesem Beispiel schließlich ein kleines Kunststück: eine kooperative Anbahnung des Umgangs zwischen dem Jugendlichen und seiner Mutter, die die Beziehungen aller Beteiligten respektiert. Die rechtliche Rahmung Wie stellt sich diese vormundschaftliche Aufgabe der Umgangsbestimmung aus rechtli- 2 Pierlings/Reimer 2015: 245 ff. 3 Etwa: Hoffmann, 55 SGB VIII Rn. 41; s. auch die Klarstellung im 2. Diskussionsteilentwurf 1791 BGB-E Amtsführung des Vormunds. 4 Zu Loyalitätskonflikten im Kontext von Pflegefamilien s. bspw. Wiemann, 9f. Im Kontext von Hochstrittigkeit wird die Bedeutung von Loyalitätskonflikten aus Kindersicht bei Fichtner u. a., 140 ff. beschrieben Jahrgang 2020, HEFT 2 75

14 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe cher Sicht dar? Lange war in der juristischen Diskussion unklar, ob das Umgangsbestimmungsrecht überhaupt ein entziehbarer Teil der elterlichen Sorge ist, das auf eine/n Ergänzungspfleger*in bzw. Vormund*in übertragen werden kann. 5 Im Jahr 2016 hat der BGH das Umgangsbestimmungsrecht dann eindeutig als integralen Bestandteil der Personensorge definiert und damit die Befugnis des Vormunds oder der Vormundin zur Umgangsbestimmung anerkannt: [ ] mit der vollständigen Entziehung der elterlichen Sorge [wird] zugleich das Umgangsbestimmungsrecht entzogen und steht sodann dem bestellten Vormund zu. Dieser regelt mithin auch den Umgang des Kindes mit seinen Eltern. 6 Ausgleich zwischen Rechten von Eltern und Kind sowie Interessen der Pflegeeltern Bei der Umgangsbestimmung haben Vormund*innen das Recht des Kindes auf Umgang mit seinen Eltern zu beachten. Ebenso haben sie das Recht und die Pflicht der Eltern zum Umgang mit ihrem Kind, die ihnen unabhängig vom Sorgerecht zustehen, 7 in den Blick zu nehmen ( 1684 Abs.1 BGB). Zudem sind bei der Umgangsgestaltung Rechtspositionen und Interessen der Pflegeeltern 8 zu beachten. Auch Pflegeeltern können sich grundsätzlich auf den Schutz der Familie nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK berufen, sofern eine enge Beziehung zwischen den Pflegeeltern und dem Kind entstanden ist (etwa wenn das Kind gegen ihren Willen zu seinen Eltern zurückgeführt werden soll). 9 Auch ergibt sich aus der Wohlverhaltenspflicht der Eltern ( 1684 Abs. 2 S. 1 BG), dass die Umgangskontakte zwischen 5 Ablehnend: OLG Karlsruhe , 18 UF 58/13, FamRZ 2014, 1378; OLG München, , 33 UF 1745/10, JAmt 2011, 165; OLG Stuttgart, 14. August 2014, 11 UF 118/14, JAmt 2014, 654; befürwortend: OLG Frankfurt, , 3 UF 251/14, FamRZ 2016, 246; , 4 UF 54/15, FamRZ 2016, 68; vgl. auch Heilmann BGH XII ZB 47/15. 7 BVerfG NJW 2008, Das Recht und die Pflicht zur Umgangsbestimmung steht Vormund*innen auch im Falle der Unterbringung des Kindes in einer Einrichtung zu. Diese werden in der Praxis aber meist als weniger konflikthaft erlebt. 9 EuGMR /06, FamRZ 2012, 429. Kind und Herkunftseltern so zu gestalten sind, dass dies mit dem Familienleben in der Pflegefamilie vereinbar ist. Im geplanten Vormundschaftsrecht ist entsprechend ein ausdrückliches Gebot an Vormund*innen enthalten, bei Entscheidungen die Belange der Pflegeeltern, wie z. B. der Wunsch, mit dem Kind in den Urlaub zu fahren, zu berücksichtigen ( 1797 Abs. 1 BG- B-E). Erzieher*innen in einer Einrichtung oder sonstigen Wohnform sollen Pflegeeltern gleichstehen ( 1797 Abs. 3 BGB-E). 10 Auf Seiten des Kindes ist zudem insbesondere zu beachten, dass, wenn eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie absehbar nicht erreichbar ist, für es eine auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet wird ( 37 Abs. 1 S. 4 SGB VIII) was ggf. einen besonderen Schutz seiner Beziehung zu den Pflegeeltern bedeuten kann 11 Aber auch in dieser Situation ist die Arbeit mit den Eltern grundsätzlich fortzusetzen, gerade wenn das Kind den Kontakt zu ihnen wünscht. Es geht also bei der Umgangsbestimmung auch aus rechtlicher Sicht darum, mit allen Beteiligten eine tragfähige Vereinbarung hinsichtlich der Häufigkeit, der Dauer und des Ortes der Umgänge zwischen Kind und Eltern zu treffen und stets im Blick zu behalten, ob Anpassungen erforderlich sind. 12 Die Umgangsbestimmung ist daher auch aus rechtlicher Sicht nicht mit einer einmaligen Entscheidung erledigt, sondern eine kontinuierliche Gestaltungsaufgabe. Umgangsbestimmung als Kooperationsaufgabe Nicht nur muss bei der Umgangsbestimmung zwischen den Betroffenen Ausgleich geschaffen werden, es sind auch mehrere professionelle Dienste und Fachkräfte beteiligt ASD, ggf. Pflegekinderdienst und/oder Heimerzieher*innen. Kooperation kann entlasten, sie birgt aber auch Reibungspotenzial. Bekanntermaßen stellen sich zudem Spiegelphänomene ein Konflikte der Beteiligten übertragen sich ins Helfer Diskussionsteilentwurf zur Reform des Vormundschaftsrechts, OLG Koblenz UF 418/16, FamRZ 2017, Abzugrenzen ist die Umgangsbestimmung von der Umgangspflegschaft ( 1684 Abs. 3 S. 3 BGB) sowie der Umgangsbegleitung ( 1684 Abs. 4 S. 3 und 4 BGB). 76 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

15 Lohse, Katzenstein Eltern-Kind-Kontakte system. 13 Von dort wirken sie zurück. Unreflektiert wirken sich solche Dynamiken schädigend auf Befinden und Entwicklung des betroffenen Kindes/Jugendliche*n aus, obwohl meist jeder* Professionelle überzeugt ist, selbst im Sinne des Kindeswohls zu handeln. Ein erster wichtiger Schritt zu einer guten Kooperation ist Rollenklarheit. Hierfür kann das Recht ein guter Ausgangspunkt sein und Leitfragen für eine Kooperationsvereinbarung hergeben: Wer ist wie für die Umgangsbestimmung zuständig ( 1800 S. 1 BGB)? Wer wirkt wie daraufhin, dass die Pflegeperson oder die in der Einrichtung für die Erziehung verantwortlichen Personen und die Eltern zum Wohl des Kindes/Jugendlichen zusammenarbeiten ( 37 Abs. 1 S. 1 SGB VIII)? Wer wirkt wie daraufhin, dass durch begleitende Beratung und Unterstützung der Familien die Beziehung des Kindes zur Herkunftsfamilie gefördert wird ( 37 Abs. 1 S. 3 BGB)? Die Zuständigkeitsklärung ergibt allerdings noch nicht, wer eigentlich für die Moderation des Prozesses in der Vorbereitung des Hilfeplangesprächs zuständig ist. Wer sorgt vorsichtig und schrittweise dafür, den Eltern die Perspektive des Kindes oder den Pflegeeltern die Sichtweise der Eltern nahezubringen und begleitet ihre Auseinandersetzung damit? Steht für diesen sensiblen Prozess überhaupt Zeit zur Verfügung? Wie können die unterschiedlichen Interessenlagen und Befindlichkeiten zusammengeführt werden? Der Verweis auf Hilfeplangespräche greift hier zu kurz. Das beschriebene Praxisbeispiel zeigt, dass die Zusammenführung schon im alltäglichen fachlichen Handeln angelegt werden muss. Kindeswohl und -wille als Maßstab Bei aller Betonung notwendigen Ausgleiches: Den zentralen Maßstab der Umgangsbestimmung bildet wie bei allem vormundschaftlichen Handeln das Wohl des Kindes. Von besonderer Bedeutung ist hierbei der Wille des Kindes, dessen Beachtung bzw. die Auseinandersetzung mit ihm ein elementarer Bestandteil kindeswohlgerechten Handelns ist. Es ist anerkannt, dass selbst ein manipulierter, den Umgang ablehnender Wille eines Kindes beachtlich sein und zu einem Umgangsausschluss führen kann, weil das Übergehen des Willens des Kindes, das Erleben seiner Selbstunwirksamkeit enorm belastende 13 Klinkhammer/Prinz, 196 f. Folgen für die weitere Entwicklung eines Kindes haben kann. 14 Zudem gilt für Vormund*innen, dass sie das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem, verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen haben, sich mit ihm in es betreffende Angelegenheiten besprechen und Einvernehmen mit ihm anstreben sollen ( 1626 Abs. 2 BGB). Kurzes Fazit Aus rechtlicher und aus fachlich sozialpädagogischer Sicht ist die Umgangsbestimmung kein einmaliger Akt, sondern eine komplexe Gestaltungsaufgabe. Vormund*innen haben dabei die Interessen aller Beteiligten sensibel in den Blick zu nehmen sowie auch die Kooperation mit Diensten des Jugendamts und Fachkräften der Hilfen zur Erziehung. Zentraler Maßstab für das Handeln des Vormunds oder der Vormundin bleiben aber die Interessen und insbesondere der Wille des Kindes oder Jugendlichen. Vormund oder Vormundin sind vielmehr auf sensible Kommunikationsprozesse angewiesen, um Interessen und insbesondere dem Willen des Kindes/Jugendlichen Räume zu schaffen. Literatur Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (2018): Zweiter Diskussionsteilentwurf des Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschaftsrechts, abrufbar unter: bmjv.de > Themen > Familie und Partnerschaft > Vormundschaft Fichtner, J./Dietrich, P. S./Halatcheva, M./Hermann, U./Sandner, E. (2010): Kinderschutz bei hochstrittiger Elternschaft. Wissenschaftlicher Abschlussbericht. Deutsches Jugendinstitut. Hoffmann, B. (2019): 55 SGB VIII. In: Münder u. a., Frankfurter Kommentar, 8. Aufl., Nomos, Baden- Baden. Klinkhammer, M./Prinz, S. (2017): Rolle und Aufgabe der Umgangsbegleitung. In: Klinkhammer, M. (Hg.): Handbuch Begleiteter Umgang. Köln. Bundesanzeiger Verlag. Peschel-Gutzeit, L. (2014): Die Bedeutung des Kindeswillens. S Wiemann, I. (1999): Kontakte von Pflegekindern zu ihren Angehörigen. Kindeswohl, S Katharina Lohse, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.v., lohse@dijuf.net, Henriette Katzenstein, Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft, Henriette.katzenstein@vormundschaft.net 14 BVerfG BvR 3326/14; BVerfG BvR 1547/16, Rn Jahrgang 2020, HEFT 2 77

16 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Vormundschaft für junge Geflüchtete in der Heimerziehung Andreas Meißner Der/die Vormund*in spielt im Leben von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten ebenso wie die Betreuung in Rahmen der Jugendhilfe eine zentrale Rolle. Es soll im Folgenden aufgezeigt werden, welche Besonderheiten die beteiligten Fachkräfte zu beachten haben und dass eine gute Kooperation zwischen den handelnden Personen zu einer guten Entwicklung der jungen Menschen beitragen kann. Mahmoud kam vor einem halben Jahr nach einer monatelangen Flucht aus dem Irak nach Deutschland. Da er 16 Jahre alt ist und ohne Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte eingereist ist, wurde er vom Jugendamt gemäß 42a SGB VIII in Obhut genommen und kam in eine Clearingstelle für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Aufgrund seiner Minderjährigkeit wurde ihm ein Amtsvormund zur Seite gestellt, der nun so wurde ihm von einer Sprachmittlerin übersetzt gleiche Rechte und Pflichten habe wie seine Eltern und eine wesentliche Rolle in seinem weiteren Leben spielen solle. Die Institution der Amtsvormundschaft musste von der Sprachmittlerin umschrieben werden, da Mahmoud etwas Vergleichbares aus seinem Herkunftsland nicht kannte. Er hatte Sorge, dass seine noch im Irak lebenden Eltern nun durch eine fremde Person ersetzt werden sollten. Andererseits war er aber auch froh, dass nun offensichtlich ein für ihn positiver Prozess in Gang kam. Vom Vormund wurde ein Asylantrag gestellt und nach drei Monaten wurde Mahmoud in ein betreutes Jugendwohnen nach 34 SGB VIII verlegt. Zu seiner Bezugsbetreuerin und einer arabisch sprechenden Kollegin baute er relativ schnell eine vertrauensvolle Beziehung auf und fragte die beiden schließlich nach ein paar Wochen, warum nicht eine von ihnen die Vormundschaft für ihn übernehmen könnte. Er fände sie nett und sie wüssten am besten über ihn Bescheid. Der Amtsvormund sei zwar auch nett, aber nicht immer vor Ort und manchmal schwer zu erreichen. Die Betreuerinnen versuchten Mahmoud zu erklären, warum sie als Angestellte des betreuenden Trägers keine Vormundschaft übernehmen könnten. Mahmoud war verwirrt. Andere junge Geflüchtete, die schon länger in Deutschland waren, hatten ihm zwar schon erklärt, wie das System von Jugendhilfe und Vormundschaft funktioniert, dennoch verstand er zu diesem Zeitpunkt nicht, warum die Betreuerinnen hier einen Interessenkonflikt haben könnten. Die Betreuerin schlug Mahmoud daraufhin vor, sich um eine*n ehrenamtliche*n Vormund*in oder eine*n Vereinsvormund*in zu bemühen. In den Hilfen zur Erziehung für unbegleitete minderjährige Geflüchtete spielen mindestens drei wesentliche Instanzen ein Rolle: das Jugendamt, die Betreuungseinrichtung und der/die Vormund*in. Die an sie gestellten Herausforderungen sind in Teilen ähnlich wie in der Arbeit mit hier aufgewachsenen jungen Menschen. Sie müssen aber auch besonderen Anforderungen, z. B. bzgl. Kommunikationsproblemen, Rassismus und digitaler Elternarbeit gerecht werden, sowie ausländer- und asylrechtliches Fachwissen haben. Unterschiedliche Vormundschaftsformen Für junge Geflüchtete ist es zunächst schwer 78 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

17 meissner Vormundschaft für junge Geflüchtete zu verstehen, wer im Hilfesystem welche Rolle spielt und wer welche Rechte und Pflichten hat. Daher sollte von Beginn an oberstes Ziel sein, sie über die Zuständigkeiten der handelnden Personen und das Konstrukt Vormundschaft aufzuklären, dabei auch mögliche Sprachbarrieren zu bedenken zumal man davon ausgehen muss, dass die Institutionen Vormundschaft und Jugendhilfe, wie sie in Deutschland organisiert werden, in den Herkunftsländern anders funktionieren. Auch wenn natürlich jede*r Vormund*in ihr/ sein Amt individuell und unterschiedlich ausgestaltet, so gibt es doch einige Besonderheiten bei den jeweiligen Vormundschaftsformen, die sich generalisieren lassen: Bei Amts-, Vereins- und Berufsvormund*innen ist davon auszugehen, dass sie das nötige Fachwissen (z. B. bzgl. Asyl- und Ausländerrecht) haben, um die Minderjährigen bestmöglich zu unterstützen. In der Praxis haben sie allerdings aufgrund hoher Fallzahlen nicht immer die nötige Flexibilität und Zeit, sich intensiv mit ihrem Mündel zu befassen. Außerdem sind sie als Mitarbeitende des Jugendamtes Teil einer Behörde. Manche Mündel sind dadurch irritiert und es fällt ihnen schwer zu glauben, dass ihr*e Amtsvormund*in dennoch immer unabhängig in ihrem Sinne entscheiden wird. Für Vereins- und Berufsvormund*innen trifft die Problematik der hohen Fallzahlen ebenfalls zu, sie laufen jedoch nicht Gefahr, als Teil des Systems Jugendamt gesehen zu werden. Ehrenamtliche Vormund*innen können ein größeres individuelles Engagement an den Tag legen und investieren zumeist mehr Zeit in die Unterstützung ihres Mündels, verfügen aber nicht immer über das nötige Hintergrundwissen, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Es ist schwer, bereits kurze Zeit nach der Einreise zu erkennen, welche Vormundschaftsform für den jungen Menschen eher geeignet ist. Daher sollte ein Wechsel des/der Vormund*in unter Abwägung rechtlicher und pädagogischer Gesichtspunkte jederzeit möglich sein. Klare Rollenverteilung und Kooperation als Grundlage der Zusammenarbeit Unabhängig von der Form der Vormundschaft sollten folgende Schwerpunkte in der Zusammenarbeit zwischen Vormund*in und Jugendhilfeeinrichtung stets gewährleistet werden: Kooperation, intensive Kommunikation, das Bestreben im besten Interesse des jungen Menschen zu handeln und gegenseitige Wertschätzung. Um dies zu erreichen, ist es zunächst äußerst wichtig, dass die Verantwortlichen der Jugendhilfeeinrichtung den Vormund*innen die üblichen Abläufe und Regeln ihrer Einrichtung transparent darlegen, damit diese einschätzen können, ob die Einrichtung die Richtige für ihr Mündel ist. Darüber hinaus können auf diesem Wege spätere Unzufriedenheiten vermieden werden. Der/die Vormund*in wiederum sollte seine/ ihre Erwartungen und Kapazitäten zu Beginn der Zusammenarbeit darstellen, damit die Jugendhilfeeinrichtung diese in ihrem Arbeitsalltag soweit möglich berücksichtigen kann. Die Rollenverteilung muss ebenfalls offen besprochen und dem jungen Menschen dargelegt werden. Der/die Vormund*in handelt als parteiische*r Interessenvertreter*in seines/ihres Mündels und hat neben der unterstützenden auch eine überwachende Funktion. Sollten Jugendamt oder Betreuungseinrichtung gegen das Wohl seines/ihres Mündels handeln, ist es seine/ihre Aufgabe entsprechend zu intervenieren. Er/sie sollte allerdings beachten, dass bei einer Beschwerde des Jugendlichen über eine bestimmte Verhaltensweise der Betreuenden oder des Jugendamtes zunächst immer das gegenseitige Gespräch gesucht wird, um abzuklären, wie die andere Seite zu der Beschwerde steht, welche Motive des jungen Menschen dahinterstehen könnten und wie gegebenenfalls pädagogisch interveniert werden kann. Der/die Jugendliche wiederum sollte sich bei Beschwerden über seinen/ihre Vormund*in (ggf. mit einer Person seines/ihres Vertrauens) an das Jugendamt, Vormundschaftsgericht oder eine Ombudsstelle wenden. Die übliche Aufgabenteilung zwischen Vormund*in und Jugendhilfeeinrichtung trennt in Entscheidungen, die die Dinge des alltäglichen Lebens des Minderjährigen betreffen und die innerhalb der Einrichtung entschieden werden, sowie formelle Angelegenheiten, die von dem/der Vormund*in zu entscheiden sind. In der Praxis hat sich diese Aufteilung bewährt. Der/die Vormund*in unterschreibt den Handyvertrag oder willigt in Operationen und therapeutische Maßnahmen ein. Er/sie ist auch für das Betreiben des ausländer- oder asylrechtlichen Verfahrens zuständig. Um in 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 79

18 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe diesen Angelegenheiten eine einheitliche Vorgehensweise abzustimmen und dem jungen Menschen diese zu kommunizieren, ist es unerlässlich, dass sowohl die stetige als auch die anlassbezogene Kommunikation zwischen Betreuungseinrichtung und Vormund*in gut funktionieren. Aus Sicht des Autors hat sich bewährt, dass die Betreuenden für bestimmte Ämterangelegenheiten eine Unterschriftsvollmacht von dem/der Vormund*in bekommen, damit sie diese*n bei vorher abgestimmten Terminen vertreten können. Anforderungen an die Hilfekonferenz Ein zentraler Aspekt der Unterstützungsleistungen nach 27 SGB VIII ist die regelmäßig stattfindende Hilfekonferenz, in der über die weitere Ausgestaltung, Fortführung oder Beendigung der Hilfe entschieden wird. Zuvor werden von der Betreuungseinrichtung unter Einbeziehung des Minderjährigen Entwicklungsberichte verfasst, die auch der/die Vormund*in zur Vorbereitung auf die Hilfekonferenz erhält. Es ist sinnvoll, dass sich Vormund*in, Betreuende und Mündel vor jeder Hilfekonferenz zu einem ruhigen Gespräch, ggf. mit Sprachmittlung, zusammenfinden, um zu besprechen, welche Aspekte bei der Hilfekonferenz zur Sprache gebracht und welche Ziele zukünftig verfolgt werden sollen. Das Setting der Hilfekonferenz soll allen Beteiligten eine partizipative Teilnahme ermöglichen. Im Vorfeld muss daher vor jeder Hilfekonferenz mit jungen Geflüchteten geklärt werden, ob ein Sprachmittler hinzugezogen werden muss. Auch wenn die jungen Menschen schon einigermaßen gut deutsch sprechen, kann die Sprachmittlung hilfreich sein, da sie sich detaillierter und tiefgründiger einbringen können. Im Übrigen besteht ansonsten die Gefahr, dass von den am Tisch sitzenden Fachkräften mehr über den/die Unterstützungsempfänger*in gesprochen wird als mit ihm/ihr. Sowohl Vormund*in als auch Betreuende müssen darauf achten, dass konsequent übersetzt wird, damit eine angemessene Kommunikation gewährleistet ist. Denn eine Hilfekonferenz, bei der der/die wichtigste Teilnehmer*in nur die Hälfte verstanden hat oder nicht in der Lage ist, sich adäquat zu äußern, kann nicht wirklich partizipativ sein. Sollte keine Sprachmittlung verfügbar oder gewünscht sein, ist es hilfreich, langsam und einfach zu sprechen und sich durch Rückfra- gen bei dem jungen Menschen zu versichern, ob er wirklich alles verstanden hat. Die Rolle der Herkunftsfamilie und digitale Elternarbeit Unbegleitete minderjährige Geflüchtete sind oft von einem dichten Helfernetzwerk umgeben, welches eine entscheidende Rolle in ihrem Leben im Exil spielt. Doch was ist eigentlich mit den leiblichen Eltern oder anderen nahen Verwandten? Selbst wenn Mutter, Vater, Onkel, Schwestern oder Großeltern sich nicht in Deutschland aufhalten, haben viele unbegleitete Minderjährige doch regelmäßigen Kontakt zu ihnen. Es ist selbstverständlich, dass die Familie versucht, auf das Leben ihrer Kinder oder Enkel Einfluss zu nehmen. Ebenso berichten die Minderjährigen ihren Verwandten, wie sich ihr Leben im Exil gestaltet. Welche Erfahrungen und Informationen dabei ausgetauscht werden, ist für Betreuende und Vormund*innen nicht immer ersichtlich. Es bleibt oft im Dunklen, welche Erwartungen und Hoffnungen die Familie an ihr Kind überträgt. Es ist oft nicht klar, ob der/die Jugendliche wirklich offen seine/ihre Wünsche, Träume, Schwierigkeiten und Herausforderungen an seine/ihre Verwandten kommuniziert. Die in einem anderen Land lebenden Angehörigen in eine Hilfemaßnahme miteinzubeziehen, ist eine große Herausforderung. Eltern- und Familienarbeit ist aber ein wesentlicher Aspekt in der Jugendhilfe und dies muss auch bei unbegleiteten Minderjährigen gelten. Schließlich greift die Betreuungseinrichtung hier in die Erziehung ihres Kindes ein und der/die Vormund*in übernimmt sogar elternähnliche Rechte und Pflichten. Digitale Elternarbeit nimmt daher in der Arbeit mit jungen Geflüchteten einen zunehmenden Stellenwert ein. Wenn eine Kontaktaufnahme mit Einverständnis des jungen Menschen möglich ist, sollte mit allen zur Verfügung stehenden technischen und sprachlichen Mitteln versucht werden, die Eltern einzubinden. Es ist zu empfehlen dabei sehr behutsam vorzugehen, da zumeist eher wenige Informationen über die Geschichte und Qualität des Familiensystems und etwaige innerfamiliäre Belastungen vorliegen. Grundsätzlich sollte aber immer davon ausgegangen werden, dass die Familie eine wichtige und stützende Funktion für die Kinder und Jugendlichen hat. 80 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

19 meissner Vormundschaft für junge Geflüchtete Unterstützung nach der Jugendhilfe In den meisten Herkunftsländern der jungen Geflüchteten tritt wie in Deutschland mit dem 18. Geburtstag die Volljährigkeit ein 1. Junge Geflüchtete stehen ab diesem Tag allerdings oft vor neuen, schwierigen Herausforderungen. Sie müssen ihr asyl- oder aufenthaltsrechtliches Verfahren und alle sonstigen Behördenangelegenheiten nun selbstständig betreiben. Nicht immer wird eine längerfristige Fortführung der Jugendhilfe bewilligt, selbst wenn diese dringend geboten scheint. Junge Geflüchtete, die durch eine*n ehrenamtliche*n Einzelvormund*in begleitet wurden, berichten immer wieder davon, dass diese*r insbesondere nach dem offiziellen Ende der Vormundschaft eine wichtige Funktion in ihrem Leben übernommen hat. Viele Ehrenamtliche bleiben auch nach dem Ende der Vormundschaft mir ihrem ehemaligen Mündel in Kontakt und können diesen unterstützen, wenn die anderen Hilfeleistungen beendet wurden. Vorurteile und Rassismus Ein wichtiger, aus Sicht des Autors in der Praxis oft noch unterbeleuchteter Faktor, der auf die Qualität der Arbeit aller beteiligten Unterstützer*innen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss hat, sind die individuellen und in Teams existierenden Vorurteile und Rassismen. Es ist davon auszugehen, dass alle jungen Geflüchteten Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen machen. Betreuende und Vormund*innen, die selbst der weißen Mehrheitsgesellschaft angehören (wie auch der Autor dieses Textes), machen diese Erfahrungen nicht und laufen Gefahr, deren Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Entwicklung der jungen Geflüchteten zu unterschätzen. Außerdem haben auch Fachkräfte und Ehrenamtliche in der sozialen Arbeit Vorurteile und Stereotype im Kopf. Aus diesen Gründen ist es wichtig, sich als Fachkraft und Ehrenamtlicher z. B. in entsprechenden Sensibilisierungsseminaren mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Spaß und Humor Bei allen Schwierigkeiten und ernsthaften Herausforderungen, vor denen junge Geflüchtete und ihre Vormund*innen und Betreuenden 1 Ausnahmen sind hier z. B. Guinea oder Togo, wo die Volljährigkeit mit dem 21. Geburtstag beginnt stehen, sollte allerdings eines nicht zu kurz kommen: der gemeinsame Spaß und das gemeinsame Lachen. Ein, den nötigen Respekt zeigender humorvoller Umgang miteinander kann entlastende Wirkung für junge Menschen haben, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden. In gemeinsamen Gesprächen sollte auch gemeinsam gelacht werden, wenn es angebracht ist. Es bietet sich in diesem Zusammenhang an, dass die Jugendhilfeeinrichtung zu Feiern und Festen die Vormund*innen einlädt, damit man sich auch in ungezwungener Atmosphäre austauschen und Zeit miteinander verbringen kann. Mahmoud hat nach mehreren gedolmetschten Gesprächen verstanden, warum die Betreuerin die Vormundschaft für ihn nicht übernehmen kann. Er hat nach zehn Monaten in Deutschland eine ehrenamtliche Einzelvormundin über ein professionell organisiertes Vormundschaftsnetzwerk an die Seite gestellt bekommen. Die ersten Kennenlerntreffen hatten die beiden in der Jugendhilfeeinrichtung, die für Mahmoud mittlerweile ein Schutzraum geworden ist. Es war für ihn hilfreich, dass seine Bezugsbetreuerin bei diesen ersten Treffen auch anwesend war. Seine Einzelvormundin ist mittlerweile mit großem Engagement bei der Sache. Auch wenn es Mahmoud immer noch am liebsten hat, dass sie ihn besucht, haben sie schon gemeinsame Unternehmungen außerhalb seiner Betreuungseinrichtung gemacht. Die Vormundin tauscht sich regelmäßig mit den Betreuerinnen über die Entwicklung von Mahmoud aus und stellt mit Freude fest, dass der Jugendliche immer mehr Vertrauen zu ihr entwickelt. Sie hat mit Unterstützung der Betreuerinnen beim Jugendamt beantragt zu prüfen, ob ihm eine Hilfe nach 35a SGB VIII zustehen könnte, da seine psychische Verfassung aufgrund der Erlebnisse und fortwährenden Konflikte in seinem Herkunftsland manchmal sehr schlecht ist und eine posttraumatische Belastungsstörung und Depressionen vermutet werden. Mittlerweile sind sie und die Betreuerinnen sogar mit Mahmouds Eltern via Skype in Kontakt getreten um ihnen zu erklären, welche Unterstützung ihr Sohn in Deutschland erhält und wie sein weiterer Lebensweg aussehen könnte. Andreas Meißner, Pädagogischer Leiter des Betreuten Jugendwohnens bei Evin e.v. in Berlin, andreas.meissner@evin-ev.de 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 81

20 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Zugänge junger Menschen zur digitalen Welt und die Rolle der Vormund*innen Daniel Hajok Die fortschreitende Digitalisierung der Lebenswelten junger Menschen konfrontiert Amts- und Vereinsvormund*innen immer mehr mit der Frage, wann und vor allem wie sie ihren Mündel*innen Zugang zur Onlinewelt eingestehen und damit ein digitales Recht von Heranwachsenden respektieren. Da mittlerweile bereits Kinder das Smartphone als Onlinezugang präferieren, läuft für die Vormund*innen so zeigt der nachfolgende Beitrag viel Verantwortung zusammen. Ein paar Vorbemerkungen... Immer häufiger werde ich von pädagogischen Fachkräften aus den stationären Hilfen auf ein Thema aufmerksam gemacht, das sich mit den vorverlagerten Zugängen junger Menschen zur Welt digitaler Medien zu einem richtigen Problem auswächst: Einerseits haben viele Fachkräfte in den Hilfen endlich erkannt, dass sie den betreuten Kindern und Jugendlichen wie in anderen Lebensbereichen auch bezüglich des Medienumgangs eine angemessene Entwicklung ermöglichen müssen. Das bedeutet für viele ganz praktisch, die von den Betreuten mitgebrachten unkontrollierten Medienzugänge zu geregelten und begleiteten Handlungsräumen zu machen sowie bestehende Benachteiligungen bei den digitalen Zugängen nicht fortzuführen (oder gar erst aufkommen zu lassen). Andererseits bleiben den Betreuten zuweilen digitale Zugänge verwehrt, die ihre Gleichaltrigen in richtigen Familien längst etabliert haben. Gar nicht so selten ist hier die Konstellation, dass Vormund*innen sich nicht im Stande sehen, mit ihrer Unterschrift die Verantwortung für Mobilfunkverträge zu übernehmen bzw. für das, was ihre Mündel*innen mit ihren mobilen Alleskönnern alles anstellen können. Digitale Rechte von Kindern und Jugendlichen Gleich ob in Händen leiblicher Eltern oder unter den Fittichen von Vormund*innen Kinder und Jugendliche haben auch bezüglich ihrer Medienzugänge Rechte. Diese wurden bereits in der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) von 1989 aufgegriffen und sind im Rahmen der Sofia-Initiative für die digitale Welt konkretisiert worden (vgl. Council of Europe 2019). Minderjährigen werden damit auch im digitalen Raum weitreichende Rechte zugestanden und zwar nicht nur auf Schutz und Sicherheit (Art. 3 UN-KRK), Privatsphäre und Datenschutz (Art. 16), sondern auch auf Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 13), Bildung und Medienkompetenz (Art. 28), Vereinigung und Teilhabe (Art. 15), uneingeschränkten und gleichberechtigten Zugang zur digitalen Welt (Art. 2, 17) (mehr unter Die Kinderrechtskonvention war 2018 auch der zentrale LINK für die von der Jugend- und Familienministerkonferenz beschlossenen Strategie für eine zeitgemäße und effektive Weiterentwicklung des Jugendmedienschutzes, bei der Förderung, Schutz und Teilhabe gleichrangig verankert sind, um jungen Menschen eine unbeschwerte Teilhabe auch im digitalen Raum zu gewährleisten (vgl. JFMK 2018). Die Regelungen des Sozialgesetzbuches etwa zur Förderung und erzieherischen Schutz ( 1, 14 SGB VIII) werden indes schon länger hinsichtlich ihrer spezifischen Herausforderungen für Medienbildung und Medienerziehung gelesen (vgl. Schäfer 2014). 82 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

21 hajok Zugänge junger menschen zur digitalen welt Geht es um das Recht auf Zugang zur digitalen Welt, dann stellt sich zunächst die Frage, inwieweit junge Menschen es hierzulande aktuell wahrnehmen (bzw. ihre Erziehenden es ihnen einräumen). Ein paar Fakten: Im Alter von sechs, spätestens sieben Jahren haben hierzulande die meisten Kinder bereits Zugang zu Tablet, Smartphone, PC/Laptop, digitalen Spielen. Mit acht Jahren ist die Mehrheit regelmäßig im Internet unterwegs, mit zwölf sind es schon fast alle. Einmal online, sind die mit Abstand meisten Kinder bei auch YouTube aktiv, mit zehn Jahren bei WhatsApp, mit 13 bei Instagram und mit 14 auch bei Snapchat. Ein eigenes Smartphone, das quasi uneingeschränkten Zugang zu allem ermöglicht, haben die meisten im Alter von knapp zehn Jahren (vgl. Berg 2019, MPFS 2019). Man muss nun nicht unbedingt das Recht auf diskriminierungsfreie Medienzugänge so auslegen, dass das, was sich gerade die meisten einer Alterskohorte zu eigen gemacht haben, das Maß aller Dinge ist. Jedenfalls sollte jungen Menschen ein gleichberechtigter Zugang zu den (kollektiv angeeigneten) digitalen Handlungs- und Erfahrungsräumen grundsätzlich nicht verwehrt werden, weil sie, ihre Eltern oder ihr*e Vormund*in einen bestimmten religiösen, sozialen, ethnischen etc. Hintergrund haben. Neulich, bei einer Veranstaltung für Fachkräfte und Sprecher*innen auf den Wohngruppen hat mich eine 13-Jährige mit Nachdruck auf ihren Fall hingewiesen: Ein Smartphone darf sie zwar haben, WhatsApp aber nicht. Da führt bei ihrem Vormund kein Weg hinein. Sie fühlt sich nicht nur abgehängt sie ist es auch! Vom Klassenchat bekommt sie wichtige Infos nur bruchstückhaft mit. Die Nutzung von Instagram, dem anderen riskanten Austauschdienst unter dem Dach der Facebook Inc., ist ihr indes nicht untersagt worden. Es ist dies durchaus als Anzeichen zu deuten, dass es auch bei ihrem Amtsvormund Unsicherheiten, vielleicht auch fehlendes Wissen um die spezifischen Risiken der Dienste gibt. Und das ist nur einer der Aspekte, die es bei der Perspektive von Vormund*innen im Kontext von Digitalisierung zu berücksichtigen gilt. Perspektive der Vormund*innen Amts- und Vereinsvormund*innen gewährleisten die gesetzliche Vertretung für Minderjährige und übernehmen elterliche Funktionen für die Kinder von Eltern, die nicht oder nicht allein für ihre Kinder sorgen können. Sie sind verantwortlich für angemessene Erziehungsbedingungen und die Förderung der Entwicklung ihrer Mündel*innen und müssen diese Aufgabe auch hinsichtlich der neuen Möglichkeiten und erweiterten Risikolagen in der digitalen Welt (vgl. Hajok 2019a) tragen. Angesicht von 25 bis 50 (teilweise noch mehr) zu vertretenen Mündel*innen, im Sinne des Kinder- und Jugendschutzes unzureichend regulierter digitalen Welten und verbreiteter rechtlicher Unklarheiten (digitale Kinderrechte, Haftung gesetzliche*r Vertreter*in etc.) ist bei vielen die Bereitschaft zur persönlichen Verantwortungsübernahme allerdings nicht allzu groß. Die konkrete pädagogische und erzieherische Begleitung des Medienumgangs der Mündel*innen erfolgt zwar weniger durch die Vormund*innen selbst, sondern durch die (zur Erziehung beauftragten) Fachkräfte in den Hilfeeinrichtungen bzw. Erziehungsstellen. Die Nutzung der beliebtesten Onlinedienste (s.o.) durch Minderjährige (bzw. unter 16-Jährige) setzt aber schon regelmäßig das Einverständnis des/der gesetzlichen Vertreter*in voraus, wenn man die eilig an die DSGVO angepassten AGBs der Dienste richtig liest. Ebenso ist der Abschluss eines Prepaid-Vertrages in der Regel erst ab 16 möglich. Für alle anderen Verträge akzeptieren DSL- und Mobilfunkanbieter ohnehin nur Volljährige. Eltern, Vormund*innen und andere Erwachsene sind dann die eigentlichen Vertragspartner*innen und überlassen Minderjährigen den Zugang zur Onlinewelt bzw. die Endgeräte, allen voran das Smartphone, das längst der präferierte Internetzugang ist (vgl. MPFS 2019). Bereits bei der Erteilung ihres Einverständnisses haben Vormund*innen nur vermeintlich leichtes Spiel. Einerseits können sie die Nutzung der beliebten Dienste ihren Mündel*innen bereits im Grundschulalter kaum noch vorenthalten zu schnell steigt mit der Smartphone-Dichte der Druck, etwa sich am Klassenchat zu beteiligen. Andererseits sind Unsicherheiten geradezu evoziert, wenn bereits bei WhatsApp unterschiedliche Freigaben kursieren: Die ab 16 in den AGBs rückt schnell in ein komisches Licht, wenn WhatsApp im Google Play Store mit ab 0 und in Apples App Store mit 12+ gelabelt ist. Und wer weiß schon von den ab 16 bei YouTube 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 83

22 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe und der erforderlichen (aber nicht kontrollierten) Erlaubnis Erziehungsberechtigter? Bei den Mobilfunkverträgen ist für Amtsvormund*innen (die oft auch die Vermögensfürsorge innehaben) die eigene Unterschrift gefragt, während Vereinsvormund*innen zuweilen andere Wege nehmen. Ein Abteilungsleiter eines großen Trägers berichtet telefonisch: Von seinen Kolleg*innen unterschreibe keine/r(!) einen Mobilfunkvertrag. Zu groß sei das Risiko und es eigentlich auch kein Problem (mehr), da sich im Umfeld der Mündel*innen immer(!) Erwachsene mit entsprechender Bereitschaft finden. Pflegeeltern etwa seien sowieso näher an der Alltagssorge dran und könnten den Umgang mit mobilen Endgeräten auch besser kontrollieren. Die Sicht von Erziehungsbeauftragten Unter pädagogischen Fachkräften hat sich in den letzten Jahren die Gewissheit eingestellt, dass den Betreuten in den Einrichtungen und Erziehungsstellen auch im Hinblick auf die Zugänge zur digitalen Welt eine angemessene pädagogische und erzieherische Begleitung zuteil werden muss. Von einigen Landesjugendbehörden mittlerweile ohnehin für die Erteilung einer Betriebserlaubnis vorausgesetzt, stricken nicht wenige Kinder- und Jugendhilfeträger längst an eigenen Medienkonzepten oder setzen diese bereits praktisch um. Sie lassen Fachkräfte zu Medienberater*innen fortbilden, handeln mit den betreuten Kindern und Jugendlichen individualisierte und schriftlich fixierte Mediennutzungsverträge auf.. Doch was nützt es, wenn die Einrichtung das erste Smartphone mit Eintritt in die weiterführende Schule vorsieht, die Vormundschaft das richtige Alter aber erst sehr viel später sieht? In meinen Fortbildungen für Fachkräfte aus den Hilfen werde ich regelmäßig gefragt, wann denn das richtige Alter für das Smartphone eigentlich sei. Ich gebe die Frage meist zurück in die Runde und bekomme irgendwas zwischen zehn Jahren und nie zu hören. Und dann sage ich: Wenn das Kind damit kompetent umgehen kann. Ich habe dabei die vielzitierten Konzepte von Medienkompetenz im Hinterkopf, meine damit also einen kundigen, (be-)nutzenden, gestaltenden und kritischen (vgl. Baacke 1997) bzw. sachgerechten, selbstbestimmten, kreativen und sozial verantwortlichen Umgang (vgl. Tulodziecki 1997) oder schlicht, dass die Heranwachsenden auch mit den mobilen Alleskönnern in der Hand souverän durchs Leben gehen können (vgl. Schorb & Wagner 2013) und bei all den neuen Möglichkeiten geschickt um die Risiken herum navigieren. Kaum gesagt (und gedacht), stellt sich dann schnell die Einsicht ein, dass die Heranwachsenden erst einen gewissen Entwicklungs- und Kompetenzstand als Basis für die Fähigkeit zum verantwortungsvollen Medienumgang erreicht haben müssen und darauf abzielend präventive Maßnahmen und Aufklärung vor(!) den Zugängen zur digitalen Welt pädagogisch zu setzen sind (Handyführerschein, Nutzungsvereinbarungen etc.). Eine besondere Herausforderung sehen die Fachkräfte darin, dass die Betreuten neben den typischen Problemlagen (konfliktbehaftete Eltern-Kind-Beziehungen, Gewalterfahrungen etc.) immer häufiger auch problematische Medienerfahrungen mitbringen (vgl. Hajok 2019b). Ist das auf den Medienumgang bezogene Handeln mit einem Medienkonzept (oder schriftlich fixierten Regeln) bereits auf feste Füße gestellt, dann ist es für die Fachkräfte in Hilfeeinrichtungen ein großes Problem, wenn den Betreuten hier formal ein Smartphone zwar zusteht, sie die sorgeberechtigten Eltern zum Abschluss eines Mobilfunkvertrages gewinnen können, die Vormund*innen aber nicht. Werden nun keine anderen gangbaren Wege im Sinne der Mündel*innen gefunden, liegt die Benachteiligung auf der Hand. Es gibt nur eine Konsequenz Orientiert an dem, was aktuell an digitalen Zugängen selbstverständlich und für eine angemessene Persönlichkeitsentwicklung angezeigt ist (und sie nicht hemmt oder beeinträchtigt), muss Kindern und Jugendlichen in Hilfeeinrichtungen ein altersangemessener und diskriminierungsfreier Zugang zur digitalen Welt ermöglicht werden gleich ob von leiblichen Eltern oder Vormund*innen gesetzlich vertreten. Was in welchem Alter wie genutzt werden darf ergibt sich aus meiner Sicht am besten aus wohl überlegten medienpädagogischen Konzepten und klaren Regeln, die von Fachkräfte ohne Wenn und Aber an den digitalen Rechten von Kindern und Jugendlichen (UN-KRK) und den gesetzlichen Bestimmungen zu Förderung und Schutz (SGB VIII, JuSchG, JMStV) zu orientieren sind. 84 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

23 hajok Zugänge junger menschen zur digitalen welt Für die praktische Arbeit vor Ort stehen den Fachkräften zur Umsetzung der Rechte auch im digitalen Raum längst etablierte medienpädagogische Zugänge zur Verfügung, die sich im Spannungsfeld eines bewahrenden, aufklärenden, zu Handeln und Reflexion anregenden sowie reparierenden Handelns bewegen (vgl. Süss et al. 2013). Medienerzieherisch sind zeitlich und inhaltlich klar geregelte digitale Medienzugänge anzuraten, die an Entwicklungsstand und medienbezogenen Kompetenzen und Vorlieben der betreuten Heranwachsenden orientiert sind. Mit schriftlich fixierten Mediennutzungsvereinbarungen, die auch aufklärerische Aspekte beinhalten und von den (Bezugs-)Betreuer*innen und Betreuten auf Augenhöhe ausgehandelt werden (siehe bspw. Mediennutzungsvertrag.de), ist vieles schon getan (vgl. Hajok 2019b). Sofern die Vormund*innen hier nicht aktiv mit einbezogen werden, sollten sie zumindest Kenntnis von den Vereinbarungen haben. Wenn sie wissen, wie die Nutzung der beliebten Dienste durch ihre Mündel*innen und die Zugänge zur digitalen Welt im Hinblick auf Teilhabe und Schutz konkret geregelt sind, erleichtert ihnen das durchaus die Entscheidung, ihr Einverständnis für die Nutzung von Onlinediensten zu geben und Mobilfunkverträge für ihre Mündel*innen abzuschließen. Hinsichtlich der heute so wichtigen Nutzung eines Smartphones durch Minderjährige stellt sich für die Vormund*innen wie für Eltern vor allem die Frage nach den (Aufsichts-)Pflichten gesetzlicher Vertreter*innen. Hier gilt im Grundsatz nichts anderes als bei den anderen Dingen mit potenzieller Gefährlichkeit (vgl. DIJuF 2018). Demnach kann Minderjährigen auch ein onlinefähiges multifunktionales Endgerät zur Nutzung überlassen werden, wenn vom bestimmungsgemäßen Gebrauch auszugehen ist. Dieser liegt im Falle eines Smartphones und der Nutzung von Onlinediensten eben nicht in den Grenzüberschreitungen (Nutzung strafrechtlicher oder jugendschutzrelevanter Inhalte, Mobbing, Grooming, Hetze im Netz etc.), sondern in der aktiven Teilhabe von Heranwachsenden an Austausch und Vernetzung, Information und Orientierung, Spaß und Unterhaltung in der digitalen Welt. Über den bestimmungsgemäßen Gebrauch haben der/die gesetzliche*r Vertreter*in bzw. die zur Erziehung beauftragten Personen, denen entsprechende Aufsichtspflichten übertragen worden sind, zu wachen und entsprechende Aufsichtsmaßnahmen zu ergreifen (ebd.). Vormund*innen und pädagogische Fachkräfte sind also angesprochen. Literatur Berg, A. (2019): Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt. Berlin: BITKOM. Baacke, D. (1997): Medienpädagogik. Grundlagen der Medienkommunikation, Tübingen. Council of Europe (2019): Leitlinien zur Achtung, zum Schutz und zur Verwirklichung der Rechte des Kindes im digitalen Umfeld. Empfehlung CM/Rec (2018)7 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten. Berlin: Stiftung Digitale Chancen. DIJuF (2018): Rechtsgutachten vom Mobilfunkvertrag bei Minderjährigen. In: Das Jugendamt, Heft 6, S Hajok, D. (2019a): Verändertes Heranwachsen mit den Risiken der Onlinewelt. Fakten und Möglichkeiten von Prävention. In: ZJJ Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, Jg. 30, Heft 4, S Hajok, D. (2019b): Herausforderungen für die Kinder-, Jugend- und Erziehungshilfen: Pädagogische Fachkräfte im Spannungsfeld digitaler Medien. In: TPJ Theorie und Praxis der Jugendhilfe, Heft 24, S JFMK (Jugend- und Familienministerkonferenz) (2018): Bund-Länder-Eckpunktepapier Kinderund Jugendmedienschutz als Aufgabe der Jugendpolitik. Beschluss vom 3./4. Mai JFMK: Kiel. MPFS (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) (Hrsg.) (2019): KIM-Studie Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger in Deutschland. Stuttgart: mpfs. Schäfer, K. (2014): Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe in der Medienerziehung junger Menschen. In: Jugendhilfe, Jg. 52, Heft 1, S Schorb, B./Wagner, U. (2013): Medienkompetenz Befähigung zur souveränen Lebensführung in einer mediatisierten Gesellschaft. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche. Eine Bestandsaufnahme. Berlin: BMFSFJ, S Süss, D./Lampert, C./Wijnen, C. W. (2013): Medienpädagogik. Ein Studienbuch zur Einführung. 2. Auflage. Wiesbaden: SpringerVS. Tulodziecki, G. (1997): Medien in Erziehung und Bildung. Grundlagen und Beispiele einer handlungs- und entwicklungsorientierten Medienpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Daniel Hajok, Kommunikations- und Medienwissenschaftler, Honorarprofessor an der Universität Erfurt und Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM), akjm.de 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 85

24 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Vormundschaft und Leaving Care über das zu frühe Ende einer Beziehung Britta Sievers Der vorliegende Beitrag stellt das Ende der Vormundschaft bei Erreichen der Volljährigkeit in den Kontext des Übergangs junger Menschen aus stationären Hilfen (sog. Care Leaver). Die Autorin diskutiert, in welcher Weise Vormund*innen gute Übergänge unterstützen und die Weichen für eine längerfristige Begleitung ihrer (ehemaligen) Mündel stellen können. Die Beendigung der Vormundschaft erfolgt mitten im Prozess des Übergangs in junge Erwachsenenleben die Care Leaver verlieren mit dem 18. Geburtstag eine*n Interessenvertreter*in, eine*n Ratgeber*in und eine potenziell stützende Beziehung. Da auch die meisten stationären Hilfen mit dem Erreichen der Volljährigkeit oder im Jahr danach beendet werden, bedeutet dies ein doppeltes Hilfeende. Viele junge Volljährige müssen bereits kurz nach ihrem 18. Geburtstag komplett auf eigenen Beinen stehen. Dabei konstatierte schon der 15. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2017) eine Reihe von Defiziten in der Praxis der Übergangsbegleitung in Deutschland, z. B. die zu frühe Beendigung von Hilfen, eine fehlende bedarfsgerechte Hilfe- und Übergangsstruktur sowie eine unzureichende Information von Care Leavern über ihre Rechte auf Unterstützung in der Kinder- und Jugendhilfe und über nachgehende Dienste. Nachfolgend soll vertieft werden, welchen Beitrag Vormund*innen zu nachhaltig positiv verlaufenden Übergängen leisten können. In ihrer Rolle als gesetzliche*r Vertreter*in und über die persönliche Beziehung zum Mündel können sie wichtige Aspekte in den Hilfeprozess einbringen, die Beteiligung des jungen Menschen stärken und die Durchsetzung seiner Interessen und Rechtsansprüche einfordern. Vorbereitung des Übergangs/ Hilfeplanung Es gibt in der Praxis der stationären Hilfen keine allgemeingültigen Standards zur Vorbereitung junger Menschen auf ihr Leben als eigenständige junge Erwachsene. Care Leaver in der Jugend- und Wohnungslosenhilfe in Karlsruhe (Sievers 2019: 23ff.) benannten rückblickend unter anderem die Aspekte lebenspraktische Fähigkeiten, Umgang mit Behörden, Kenntnisse über die eigenen Leistungsansprüche und Umgang mit Geld als bedeutsam. Neben diesen konkreten Themen und Fertigkeiten, die sich einüben lassen, wurde von den Care Leavern zudem die Entwicklung von Zukunftsvorstellungen für das eigene Leben als wichtig benannt. Angesichts schwieriger familiärer Ausgangssituationen, zum Teil wechselvoller Biografien und wenig Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten empfanden es die jungen Menschen als große Herausforderung, z. B. eine berufliche Orientierung für sich zu finden. Die Hilfeplanung wurde als weitgehend fremdbestimmt erlebt und manche fühlten sich in eine bestimmte Richtung gedrängt. Zudem berichteten nicht wenige Care Leaver von Phasen psychischer Belastung und Labilität bis hin zu größeren Krisen unterschiedlicher Ursachen. In der Praxis der Übergangsvorbereitung lässt sich eine starke Fokussierung auf das Einüben von Haushaltsfertigkeiten feststellen, denen 86 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

25 Sievers Vormundschaft und Leaving Care auch von den Kostenträgern bei der Prüfung eines Anspruchs gem. 41 SGB VII große Bedeutung beigemessen wird. Viele junge Menschen kommen mit Entwicklungsverzögerungen in stationäre Hilfen und brauchen einfach Zeit, Rückhalt und Begleitung, um emotionale Stabilität zu erreichen und in eine gefestigte Lebenssituation als junge Erwachsene hineinwachsen zu können. Was kann der/die Vormund*in tun? Dem jungen Menschen Gehör verschaffen, z. B. bei Konflikten und im Prozess der Hilfeplanung in der Hilfeplanung auf realistische und konkrete Zielvereinbarungen achten, auch im Hinblick auf den Antrag gem. 41 SGB VIII alle Aspekte der Vorbereitung des jungen Menschen im Blick behalten Freiräume zum Einüben von Verantwortungsübernahme ermöglichen Fehler machen ist normal! Bildungsvorstellungen und -ziele des jungen Menschen in den Hilfeplan aufnehmen mit Blick auf den Auszug/das Hilfeende die Existenzsicherung mit betrachten Informationsmaterialien über Rechte und Leistungsansprüche zur Verfügung stellen Recht auf Hilfe gem. 41 SGB VIII Stationäre Hilfen werden in Deutschland überwiegend mit der Volljährigkeit beendet. Zudem stellt sich die Gewährung von Hilfe gem. 41 SGB VIII regional sehr unterschiedlich dar (Nüsken 2008), denn es gibt keine einheitlichen Standards für dessen Anwendung. Der Kinder- und Jugendbericht (2017) stellt fest, dass die Praxis der Antragstellung auf Hilfen für junge Volljährige als formales Nadelöhr fungiert und Care Leaver eher Bittsteller als Anspruchsberechtigte seien. In der Praxis müssen junge Menschen einen Hilfebedarf nach 18 meist umfassend begründen und sich gegenüber Kostenträgern rechtfertigen. Hier befinden sich Care Leaver häufig in einem Dilemma. Entwickeln sie sich positiv und wachsen in ihrer Eigenständigkeit, wird die Hilfe mangels Bedarf eingestellt, da eine regelhafte Unterstützung ab 18 Jahren nicht der Normalvorstellung der Jugendhilfe entspricht. Bei Krisen, Durchhängern oder Abbrüchen besteht das Risiko, dass die Hilfe aufgrund mangelnder Mitwirkung beendet wird, da starke und dezidierte Mitwirkungserwartungen an die jungen Menschen bestehen. Wird ein Antrag auf Hilfe gem. 41 SGB VIII nicht bewilligt, stehen die Chancen für die Durchsetzung des Rechtsanspruches aufgrund des Machtgefälles zwischen dem Jugendamt und dem jungen Menschen schlecht. Mangels Unterstützer*innen und Rücklagen haben sie kaum eine Chance, ein Rechtsmittelverfahren materiell und emotional durchzustehen. Was kann der/die Vormund*in tun? Den jungen Menschen vor dem 18. Geburtstag über seine Rechte gem. 41 SGB VIII informieren den Hilfebedarf herausarbeiten und gemeinsam mit dem jungen Menschen den konkreten Antrag auf Hilfe gem. 41 SGB VIII vorbereiten ggf. ergänzende Gutachten einholen (Schule, Therapeut*in, andere) das letzte Hilfeplangespräch vor der Volljährigkeit nutzen, um den Antrag zu stellen und auch aus Sicht des Vormunds zu begründen sich im Jugendamt für die Wichtigkeit einer nahtlosen Fortführung einsetzen den jungen Menschen über seinen Anspruch auf einen Beistand bei Behördengängen gem. 13 (4) SGB X informieren prüfen ob der/die (ehemalige) Vormund*in in dieser Rolle z. B. zum HPG mitgehen könnte Rechtsmittelverfahren und weitere Unterstützer*innen aufzeigen, z. B. Ombudsstellen Existenzsicherung nach dem Hilfeende Die finanziellen Ressourcen von Care Leavern am Beginn ihrer Eigenständigkeit sind sehr begrenzt. Viele fühlen sich nur unzureichend auf den selbstständigen Umgang mit Geld vorbereitet und manche Care Leaver verlassen die Jugendhilfe bereits mit Schulden (Sievers 2019: 26). Mehrere Faktoren tragen dazu bei, dass die materielle Lebenssituation von Care Leavern nach dem Hilfeende in der Regel extrem prekär ist. Zum einen führt die Kostenbeteiligung gem. 93 Absatz 4 SGB VIII dazu, dass junge Menschen während der Hilfe keinerlei Rücklagen bilden können, um z. B. die Kaution für die erste eigene Wohnung selbst zu bezahlen. Erwirtschaften sie eigenes Einkommen, müssen 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 87

26 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe sie hiervon 75 Prozent an das Jugendamt abgeben. Zudem erleben fast alle Care Leaver nach dem Ende der stationären Hilfe eine Finanzlücke von mehreren Monaten, die sie mangels Rücklagen nicht selbst überbrücken können (Sievers/Thomas 2016: 21). Die Jugendhilfe wird z. B. oftmals nach Erreichen eines Schulabschlusses im gleichen Monat eingestellt und viele Care Leaver müssen zur Überbrückung Leistungen nach SGB II beziehen. Grundsätzlich müssen fast alle Care Leaver ihren Lebensunterhalt nach dem Hilfeende aus mehreren Finanzquellen (vgl. Sievers/Thomas 2019) bestreiten, was verschiedene Anträge, zu beschaffene Unterlagen und Bearbeitungszeiten bei Behörden bedeutet. Bis öffentliche Leistungen bewilligt werden, vergehen oft Monate, da z. B. Auskünfte der Herkunftseltern zu beschaffen sind, was für die jungen Menschen oftmals mit emotionalen und/oder praktischen Problemen verbunden ist. Diese Existenzlücke nach dem Ende der Jugendhilfe ist strukturell angelegt, da rechtskreisübergreifendes Denken und Arbeiten der verschiedenen Behörden bisher kaum praktiziert wird und Vorleistungsregelungen wie im 43 SGB I nicht genutzt werden. Selbst wenn junge Menschen beim Hilfeende in eigenen Wohnraum entlassen werden, führen finanzielle Engpässe (z. B. eine Strom-Nachzahlung) mangels Rücklagen schnell zu Schulden. In einer solchen Situation emotional stabil zu bleiben und z. B. weiter einer Ausbildung nachzugehen, stellt für Care Leaver eine große Herausforderung oft Überforderung dar. Ist keine Nachbetreuung vorhanden, die solche Krisen auffängt, wird vieles wieder aufs Spiel gesetzt, was der junge Mensch in der stationären Hilfe für sich erreichen konnte. Was kann der/die Vormund*in tun? In der Hilfeplanung darauf achten, dass der Umgang mit Finanzen eingeübt wird eine ggf. vorhandene Schuldenproblematik vor dem Hilfeende angehen Mündel/Träger/Pflegefamilie bei Ansparmodellen unterstützen bei der 75 Prozent-Kostenbeteiligung gem. 94 SGB VIII Absatz 6 den Spielraum in Satz 2 ausloten: Es kann ein geringerer Kostenbeitrag erhoben oder gänzlich von der Erhebung des Kostenbeitrags abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. Denkbar wäre hier z. B. die Heranführung eines schwer zu motivierenden Jugendlichen an eine Tätigkeit oder Ausbildung als Hilfeplanziel zu benennen. Bei der Berechnung des Kostenbeitrags auf die Anwendung der Berechnungsgrundlage des Vorjahres bestehen (anstelle des laufenden Monats) mehrere Gerichte haben entschieden, dass 93 Abs. 4 SGB VIII auch bei der Kostenbeteiligung junger Menschen anzuwenden ist. Lückenlose Finanzierung nach dem Hilfeende sicherstellen keine Existenzlücke riskieren! Im Sinne der Nachhaltigkeit geleisteter Hilfen dafür eintreten, dass die Jugendhilfe erst dann beendet wird, wenn der Lebensunterhalt aus anderen Finanzquellen gesichert ist, z. B. über Anwendung der Vorleistungsregelung ( 43 SGB I) Information und Beratung des jungen Menschen zu Leistungsansprüchen und Anlaufstellen Unterstützung mit Anträgen und Formularen Bearbeitung von Anträgen bei anderen Behörden beschleunigen: z. B. bei Leistungen nach SGB II bei Bedarf bescheinigen, dass es nicht möglich ist bei den Eltern zu wohnen. Bei Leistungen nach BAB/BAföG ggf. bescheinigen, wenn keine Auskünfte von den Eltern eingeholt werden können zum Beispiel wegen familiärer Zerrüttung, Gewalt o.ä. Positiver Abschiedsprozess, Nachbetreuung und stützende Netzwerke In der Befragung von Ehemaligen in Karlsruhe (oben) wurden als positive Faktoren für einen guten Abschiedsprozess vor allem vorhandener Wohnraum und eine geklärte Perspektive im Hinblick auf die Ausbildung benannt. Wichtig war den Care Leavern, dass ihre Betreuer*innen ihnen die Bewältigung des Lebens im eigenen Wohnraum zutrauten und dass es ein Abschiedsritual gab. Es wurden aber auch zahlreiche negative Erfahrungen thematisiert, wie z. B. Druck gegen den eigenen Willen ausziehen zu müssen, das Ende bedeutsamer Beziehungen in der Wohngruppe oder Pflegefamilie und/oder die Angst vor dem Alleinwohnen. Viele Care Leaver hatten während der Hilfe zahlreiche Zuständigkeitswechsel 88 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

27 Sievers Vormundschaft und Leaving Care und Hilfestationen erlebt und keinen in irgendeiner Form geordneten Prozess des Übergangs. Konflikte und Einrichtungsverweise z. B. bergen nach Eintritt der Volljährigkeit ein hohes Risiko der Hilfebeendigung mangels Mitwirkung am Erreichen der Hilfeplanziele. Auch eine Nachbetreuung wird dann oftmals nicht mehr gewährt. Einer längerfristig angelegten Begleitung mit dem Ziel einer nachhaltigen Absicherung von erreichten Fortschritten kann jedoch eine Schlüsselfunktion für das Ankommen in einer gefestigten Lebenssituation als junger Erwachsener zugeschrieben werden. Dies sollte mit ausreichenden zeitlichen Ressourcen ausgestattet sein, um neben alltagspraktischen Themen und Behördenfragen auch ausreichend Raum für Gespräche und emotionalen Rückhalt zu ermöglichen. In der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe wird die Nachbetreuung bisher meist nur als auslaufende Hilfe gesehen und in der Regel nur für drei bis maximal sechs Monate gewährt. Wenn junge Menschen eine Nachbetreuung ablehnen und zunächst auf eigenen Beinen stehen wollen, sollte ihnen die Botschaft vermittelt werden, dass die Tür für eine Rückkehr offen bleibt, falls sich Pläne nicht wie erwartet realisieren lassen. Was kann der/die Vormund*in tun? Eine kontinuierliche stützende Beziehung anbieten ggf. über verschiedene Hilfestationen hinweg. Den jungen Menschen auch bei Schwierigkeiten, Rückschritten und Abbrüchen nicht aufgeben, sondern ihm/ihr immer wieder neu mit der Frage begegnen: Wo stehst Du jetzt? Wo geht es hin? den Erhalt langfristig stützender Beziehungen fördern, z. B. indem an der Klärung familiärer Beziehungen gearbeitet wird und/oder in den HPGs konkrete Vereinbarungen zum Erhalt von bedeutsamen Kontakten zu Personen aus dem sozialen Umfeld des Mündels getroffen werden einen positiven Abschiedsprozess aus der Kinder- und Jugendhilfe unterstützen vorausschauend vor dem 18. Geburtstag ein stützendes Netzwerk um den jungen Menschen herum aufbauen. Wer kommt als Unterstützer in Frage? Patenschaften, Lotsen, ehemalige Pflegeeltern? die Wichtigkeit einer längerfristigen Nachbetreuung im Jugendamt vermitteln bei Bedarf Anregung einer gesetzlichen Betreuung in Erwägung ziehen, die nach Eintritt der Volljährigkeit die notwendigen Hilfen organisiert den jungen Menschen über Hilfsangebote, Beratungsstellen und Care Leaver-Vernetzungen informieren Möglichkeiten der ehrenamtlichen oder bezahlten weiteren Begleitung durch den/ die Vormund*in ausloten Fazit Das Ende der Zuständigkeit des/der Vormund*in mit dem 18. Geburtstag wäre für Care Leaver weniger folgenreich, wenn die Jugendhilfepraxis es als selbstverständlich erachten würde, die jungen Menschen länger zu begleiten. Da dies noch nicht der Fall ist, sollte während der noch laufenden Vormundschaft alles dafür getan werden, dass der junge Mensch so gut wie möglich auf seine Eigenständigkeit vorbereitet wird und die Weichen für weitergehende Hilfsangebote über das 18. Lebensjahr hinaus gestellt sind. Care Leavern sollte vermittelt werden, dass sie ein Recht auf Unterstützung haben und auch Wege der Durchsetzung aufgezeigt werden. Bei einer positiven Beziehung zum/zur Vormund*in können Care Leaver sehr von einer ehrenamtlichen oder bezahlten Fortführung der Begleitung nach Eintritt der Volljährigkeit profitieren. Literatur Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2017): 15. Kinder- und Jugendbericht, Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin. Nüsken, D. (2008): Regionale Disparitäten in der Kinder- und Jugendhilfe. Eine empirische Untersuchung zu den Hilfen für junge Volljährige. Münster. Sievers, B./Thomas, S. (2019): Durchblick. Infos für deinen Weg aus der Jugendhilfe ins Erwachsenenleben. (Broschüre für Care Leaver). 4. Auflage. Frankfurt und Hildesheim. Sievers, B. (2019): Care Leaver in der Jugend- und Wohnungslosenhilfe in Karlsruhe. Ergebnisse einer Adressat_innenbefragung und Ansatzpunkte für die Praxisentwicklung. Frankfurt am Main. Sievers B./Thomas, S. (2016) Dokumentation des Care Leaver Hearings am 12. Mai 2016 im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Frankfurt und Hildesheim. Britta Sievers, ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin der IGfH im Care-Leaver-Projekt von IGfH/ Universität Hildesheim, 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 89

28 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Gute Vormundschaft aus der Sicht von jungen Menschen, die selbst eine*n Vormund*in hatten Robert Wepner, Laura Brüchle Im folgenden Beitrag berichten Robert Wepner und Laura Brüchle, die beide außerhalb der Herkunftsfamilie aufgewachsen sind, von ihren Erfahrungen mit Vormundschaften und wie sie die Beziehung zu ihren Vormünder*innen jeweils erlebt haben. Darauf aufbauend, formulieren die jungen Menschen Erwartungen an eine gute Ausgestaltung von Vormundschaft und skizzieren Anforderungen an eine tragfähige Beziehung zwischen Vormund*in und Mündel. Gute Vormundschaft aus Sicht von Robert Wepner Mein Name ist Robert, noch bin ich 22 Jahre alt und studiere derzeit Wirtschaftswissenschaften. Zu Beginn meiner Karriere als Pflegekind, die schon mit meiner Geburt begann, lebte ich mit meinem Pflegevater und meinen drei Halbgeschwistern zusammen. Ab meinem fünften Lebensjahr hatte ich dann auch eine Pflegemutter und zwei weitere Stiefgeschwister. Sie alle schenkten mir ein Familienleben, ein behütetes Zuhause und viele Emotionen. Wie in jeder anderen Familie auch gab es Streits und Meinungsverschiedenheiten, aber auch umso mehr schöne Momente zusammen, emotionale Wärme und Unterstützung. Dennoch musste ich etwa bis zu meinem siebten Lebensjahr an den Wochenenden zu meiner leiblichen Mutter. Diese Besuche verliefen immer gleich: Tagsüber war die Welt in Ordnung, nachts kam der Teufel aus ihr heraus. Obwohl ich des Öfteren von der Polizei aus der Wohnung geholt worden bin, entschied sich das Familiengericht nicht gegen die Besuche. Nach jedem Besuch fühlte ich mich aufgewühlt und wütend. Es lag also an meinen Pflegeeltern dies wieder gerade zu biegen. Dieser und allen anderen Aufgaben kamen sie immer nach! Doch für meine Pflegeeltern war es ein langer Kampf zu erreichen, dass ich nicht mehr meine leibliche Mutter besuchen musste. Immer wieder wurde ich daraufhin in den Kontrakt- und Hilfeplangesprächen, die bei mir alle 9 Monate stattfanden, dazu befragt, ob ich denn nun Kontakt zu meiner leiblichen Mutter haben möchte. Für ein Kind ist diese Entscheidung aber nicht so einfach zu treffen. Als ich mich innerhalb eines Kontraktgesprächs dann aber ganz klar gegen einen Kontakt ausgesprochen habe, wurde dies auch sofort belohnt. Das Protokoll von diesem Gespräch wurde im Nachhinein nämlich nicht an meine Adresse gesendet, sondern an die Adresse meiner leiblichen Mutter. Nicht schlimm, ich bekam ja eine Packung Kekse im Nachgang. In der Regel sollen Kontrakt- oder Hilfeplangespräche monatlich stattfinden dem stimme ich zu. Doch in meinem Fall waren die Gespräche alle 9 Monate schon zu viel. Heute bin ich aber dankbar, dass ich meinen Vormund in dieser Zeit kennengelernt habe. Er gab mir immer das Gefühl, auf meiner Seite zu stehen und mich vor der Sozialpädagogin zu verteidigen, die am Rumheulen war. Beispielsweise, weil ich mir vorgenommen hatte, einen 2,0er-Schnitt in der Schule zu erreichen, im darauffolgenden Kontraktgespräch jedoch nur eine 2,6 vorweisen konnte und das Ziel verfehlte. Statt ermutigende Worte zu bekommen, ritt sie darauf herum, dass meine schulischen Leistungen nun wirklich nicht gut sind. Als mein Vormund sich dann ganz klar auf meine Seite stellte und seine sozialpädagogische Kollegin in die Schranken wies, hatte ich in ein Freund gefunden. Im Allgemeinen will ich festhalten, dass Vor- 90 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

29 Wepner, Brüchle Gute Vormundsschaft mundschaften im Hintergrund ablaufen müssen! Entschuldigungen für die Schule, Zeugnisse oder andere Dokumente vom Jugendamt unterschreiben zu lassen, führt bei so manch einem Lehrer zu komischen Blicken. So kann es gerne mal passieren, dass man sich vor der gesamten Klasse rechtfertigen muss, wieso denn nun das Jugendamt die Zeugnisse (etc.) unterschreibt. Teure Klassenfahrten, Schullandheim und Abschlussfahrten: Jede einzelne Rechnung beim Jugendamt vorzulegen und dann im besten Fall auch noch ein spezielles Zahlungsverfahren mit der Schule zu vereinbaren, führte bei mir dazu, dass ich auf solche Projekte verzichtete. Es hätte gerade noch gefehlt, wenn mich ein Jugendamtsmitarbeiter begleitet hätte. Unangenehm! In diesem Punkt gäbe es für mich eine ganz einfache Lösung: Die Pflegeeltern als Mittelsmann. Es muss doch möglich sein, dass das Jugendamt für die Kosten aufkommt, ohne mit der Schule in Kontakt treten zu müssen. Auch nach der Vollendung meines 18. Lebensjahres unterstützte mich mein Vormund bei der Frage, ob ich mein Erbe ausgezahlt bekommen möchte oder weiterhin in der Jugendhilfe verweilen möchte, dafür aber mein Erbe verfällt. In meinem Fall war es keine schwere Entscheidung. Ich hatte ja das Glück, Pflegeeltern zu haben, die tatsächlich meine Eltern waren. Auch die Kostenheranziehung traf mich. Ich entschied mich dann gegen die Jugendhilfe nach Volljährigkeit. Im Nachhinein muss ich sagen: Krasse Entscheidung! Hätte ich Pflegeeltern gehabt, welche mich mit der Volljährigkeit vor die Türe setzen, wäre die Situation nicht die gleiche gewesen. Gute Vormundschaft aus Sicht von Laura Brüchle Mein Name ist Laura, ich bin 21 Jahre alt und studiere im siebten Semester soziale Arbeit. Meine Jugendhilfegeschichte begann mit 6 Jahren als ich in eine Pflegefamilie kam. Dort ging es manchmal ganz schön rund, weswegen ich mit 13 Jahren in eine Wohngruppe mit 10 Jugendlichen kam. Meine Vormündin bekam ich ungefähr mit 11 Jahren. Meiner Meinung nach ist eine gute Beziehung von Vormund*in und Mündel*in unabdingbar! Dies braucht jedoch Zeit und funktioniert nicht mit Druck: Der Beziehungsaufbau mit meiner Vormündin dauerte beispielsweise über ein Jahr, da ich ständig Angst hatte, dass sie mich bei allem überprüfen müsste und deshalb vom Jugendamt geschickt wurde. Zu einer guten Vormundschaft zählt für mich nicht nur die Erledigung von den Besuchsdiensten und Hilfeplangesprächen, sondern der Kontaktaufbau hin zu einer persönlichen Ebene. Vormund*innen sollten auf gar keinen Fall reine Unterschriftenvormund*innen sein! Er*Sie sollte hinter mir stehen und für mich Partei ergreifen können! Dies bedeutet auch, Zugang zu dem zu haben, was das Mündel bewegt, welche Themen er*sie gerade hat, was das Mündel ausmacht und wo die Talente liegen. Nur so kann sich der*die Vormund*in für die Interessen des Jugendlichen einsetzen. Außerdem sollte der Vormund verstehen, dass Jugendliche sich auch nicht bei allen Problemen sofort und immer an ihn wenden. Bei guter Beziehung zwischen Vormund*in und Mündel steht deshalb das Mündel im Fokus und sollte vom Vormund in alle in alle Prozesse mit eingebunden werden. Der Vormund sollte beispielsweise immer wieder erklären, wie Entscheidungsprozesse im Jugendamt ablaufen. Wichtig ist auch, dass nicht nur die Jugendhilfeeinrichtung die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zum Vormund haben, sondern auch das Mündel immer die Möglichkeit hat, sich bei Gesprächsbedarf an ihre/seine Vormundschaft zu wenden. Für mich war es immer sehr wichtig zu erfahren, warum beispielsweise Anträge für Freizeitangebote beispielsweise des Öfteren abgelehnt wurden oder wie das Jugendamt aufgebaut ist. Da ich mit 16 einem Nebenjob nachging, musste ich von meinem Gehalt 75 Prozent abgeben. Ich wendete mich sauer an meine Vormundin und wir legten gemeinsam Widerspruch ein. Wichtig war für mich bei diesem Prozess zu wissen, dass ich überhaupt die Möglichkeit dazu habe und welche Argumente ich zum Behalten meines Geldes heranziehen könnte. Meine Vormundin hat es geschafft, eine solche Ebene zu schaffen, die sich oftmals nicht angefühlt hat, als wäre es eine Arbeit, die abgeleistet werden muss. Häufig waren unsere Treffen mit einem langen Spaziergang oder einem Besuch bei unserem Lieblings-Italiener verbunden. Somit entwickelte sich schnell eine Beziehung, bei der ich mich auf Treffen gefreut habe und es als schade empfand, als diese Zeit endete. So ein gutes Verhältnis ist wahrscheinlich nicht selbstverständlich, aber ich bin mir sicher dass jeder Jugendliche ein Interesse daran hat die Zeit mit der Vormundschaft so angenehm wie möglich zu gestalten Jahrgang 2020, HEFT 2 91

30 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Fallbeispiel aus ombudschaftlicher Beratung Peter Schruth Die Gefahr einer zu engen Absprache zwischen Einrichtung und Vormund*in beschreibt das folgende Fallbeispiel aus der ombudschaftlichen Praxis: Aufgrund des Sorgerechtsentzugs der leiblichen Eltern lebte Anja (12 Jahre alt, Name anonymisiert) seit 2011 bei ihrer Großtante. Nach vielen Jahren mit der Großtante wurde sie Anfang 2019 in einer Jugendhilfeeinrichtung stationär untergebracht. Vor der stationären Unterbringung liegt eine Vorgeschichte, die von einer unzureichenden Zusammenarbeit zwischen Vormund, Jugendamt, Anja und der Großtante geprägt ist, woraus Unzufriedenheit bei Anja und der Großtante wuchs: Nachdem bspw. nach mehrwöchigem Aufenthalt in einer Tagesklinik bei Anja ADHS diagnostiziert wurde, forderte die Großtante ein Zweitgutachten ein. Dieses wurde drei Mal vom Vormund abgelehnt. Daraufhin wurde eine familiengerichtliche Entscheidung zur Ersetzung der Unterschrift des Vormunds beantragt, die der Vormund nur deshalb unterschrieb, um so die Einschätzung der Großtante eine drohende gerichtliche Entscheidung gegen ihn abzuwenden. In einer zweiten klinischen Untersuchung wurde dann ADHS bei Anja ausgeschlossen. Im ombudschaftlichen Beratungsgespräch im August 2019 berichtete die Tante, dass sie den Eindruck habe, das Jugendamt versuche bei ihr eine Kindeswohlgefährdung nachzuweisen, um Anja weiterhin stationär versorgen zu können. Auch die letzte Hilfekonferenz sei aus ihrer Sicht nicht gut gelaufen. Der Hilfeplan sei bereits vorgefertigt gewesen. Im Sommer 2019 wurde nach einer Vereinbarung zwischen Einrichtung und Vormund ein Umgangsstopp der gesamten Familie mit Anja ausgesprochen, welcher ebenso die Ferienzeiten mit Anja und die wöchentlichen Telefonate mit der Großtante umfasste, hierzu wurde Anjas Handy eingezogen. Eine Beteiligung von Anja an den Hilfekonferenzen fand bisher nicht statt. Die Sozialarbeiterin vom ASD des Jugendamtes hat Anja nie gesehen. Schließlich ein weiterer Schulterschluss zwischen Vormund und Einrichtung aus Sicht der Großtante zu Lasten von Anja: Nachdem sie etwas unfreundlich beim Essen in der Einrichtung ist, entsteht eine verbale Auseinandersetzung mit ihrer Betreuerin. Sie wird in ihr Zimmer geschickt, wobei die Betreuerin ihr folgte. Anja hätte darum gebeten, dass sie die Tür schließe, was die Erzieherin verneinte. Der Streit eskalierte, der Einrichtungsleiter habe Anja gedroht, sie an der Schule abzumelden und sie in einer geschlossenen Heimeinrichtung unterzubringen. Auch sei der Vormund der Meinung, Anja sei nicht beschulbar. Aus ombudschaftlicher Sicht sollte erreicht werden, dass Anja endlich in der Hilfekonferenz beteiligt und gehört wird und sowohl gegen die Verfügung des Vormunds eingeschritten wird, Anja habe ihr Handy abzugeben, als auch gegen die behauptete Berechtigung der Einrichtung, alle Telefonate mithören zu dürfen. Anwaltlich sollte gegen den Vormund vorgegangen und für seine Entlassung gerichtlich gesorgt werden. Das nach der Betriebserlaubnis erforderliche Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren in der Jugendhilfeeinrichtung sollte geprüft und eingefordert sowie wegen der rechtswidrigen Betreuungspraxis die Einrichtungsaufsicht ( 45 ff. SGB VIII) eingeschaltet werden. Anja hat daraufhin im familiengerichtlichen Verfahren eine Verfahrensbeiständin erhalten, die nach einem Gespräch mit Anja in der Einrichtung den Eindruck einer Kindeswohlgefährdung gewonnen hat und für einen schnellen Einrichtungswechsel eintrat. Der Vormund selbst hat sich nun mit der Bitte an die Rechtspflegerin des Familiengerichts gewandt, einen Vormundswechsel einzuleiten. In der Schule hat Anja mittlerweile eine gute Freundin gefunden, deren Familie Anja als Pflegekind aufnehmen würde. Peter Schruth, Vorstandsmitglied des Vereins zur Förderung des Bundesnetzwerks Ombudschaft und des BRJ e.v und Beirat am runden Tisch Heimerziehung, peter.schruth@t-online.de 92 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

31 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Junge Menschen und ihre Rechte in den Vormundschaften Ein Kommentar zur Partizipationsdebatte in der Kinder- und Jugendhilfe Wolfgang Schröer Der nachfolgende Kommentar ruft dazu auf, Beteiligung in den Vormundschaften umzusetzen, wie es rechtlich gefordert ist, und noch einmal genauer zu betrachten, dass hinter der Diskussion um Partizipation mehr steckt als nur ein Verfahren zur Beteiligung von jungen Menschen. Inzwischen bekommt man auf Tagungen Zwischenapplaus, wenn man etwas launig sagt, man könne ja ein Jahr auf das Wort Partizipation verzichten, und dann noch hinzufügt: Vielleicht würde dies dann der Beteiligungskultur helfen. Zweierlei steht aus meiner Sicht dahinter: Erstens scheint Partizipation für einige zu einem sog. buzzword geworden zu sein. Bezeichnet werden damit Begriffe, die verschiedene Stimmungslagen verbinden sowie normative Erwartungen bündeln und damit einen Trend formieren, ohne dass damit an sich schon etwas geklärt ist. Die Menschen bleiben also häufig bei der Rede von Partizipation mit einer normativen Aufforderung zurück, die sie kaum in Bezug zu ihrem Alltag fassen (können). Zweitens und gleichzeitig nahezu dem gegenläufig drückt sich darin eine Ungeduld aus. Es kann doch nicht sein möchten viele sagen, dass wir noch immer oder immer wieder über Partizipation reden. 30 Jahre Kinder- und Jugendhilfegesetz und 30 Jahre UN-Kinderrechtekonvention liegen hinter uns und damit 30 Jahre eindeutige gesetzliche Aufforderungen zur Beteiligung und Methodenentwicklung doch eine nachhaltige Umsetzung, die auch von den jungen Menschen im Alltag erlebt wird, kann kaum beschrieben werden. Mitunter liegt auch ein verkürztes Verständnis von Partizipation vor, das davon ausgeht, man könnte entscheiden, wo Partizipation junger Menschen angebracht sei und wo nicht. Dies kann dazu führen, dass an den Stellen, an denen es z. B. die Verfahrenseffizienz in den Vormundschaften erlaubt, diese partizipativ geöffnet werden, ansonsten eben nicht. Eine solche Praxis entspricht nicht den Kinderrechten sowie den Rechten von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe. Denn Partizipation basiert grundsätzlich auf eigenständigen Rechten von jungen Menschen. Insgesamt ist in diesem Zusammenhang zu beobachten, dass die Diskussion um Partizipation mitunter zuerst den zweiten Schritt macht, bevor sie den ersten Schritt tut. Was ist damit gemeint? Es wird der zweite ohne den ersten Schritt gemacht, wenn allein darauf fokussiert wird, dass junge Menschen an Verfahren und an Entscheidungsprozessen etc. beteiligt werden müssen. Es wird von den bestehenden Verfahren und Organisationsformen der Vormundschaften ausgegangen und reflektiert, wie die jungen Menschen mit ihren Rechten in diese Verfahren geholt werden können. Automatisch entsteht dann die Frage, ob die jungen Menschen dieses können und wollen. Junge 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 93

32 THEMA Vormundschaften/Pflegschaften in der Jugendhilfe Menschen kommen so schnell in eine Beweispflicht, ob sie zur Beteiligung in der Lage und einer Entscheidung,gewachsen seien. Die Fragen nach der jeweils individuellen Angemessenheit der Beteiligungsverfahren ist ohne Zweifel wichtig, doch gerade diese fordert einen anderen Blickwinkel. Zunächst ist in einem ersten Schritt zu fragen, welche sozialen, persönlichen und politischen Rechte junge Menschen haben. Hier rücken Rechte wie die körperliche Integrität, die Informationsrechte in unterschiedlichen Sprachen und Kommunikationsformen (Inklusion), Rechte auf Gleichbehandlung etc. in den Vordergrund. Man könnte hier eine ganze Reihe aufzählen, die sich nicht nur unmittelbar auf Partizipation beziehen. Diese Rechte sind in Bezug auf die unterschiedlichen Lebensalter durchzubuchstabieren und jeweils diversitätssensibel auszuformulieren. Auf dieser Grundlage sind dann in Auseinandersetzung mit diesen Rechten die Organisationsformen, Verfahren etc. der Vormundschaften nach Möglichkeit partizipativ mit jungen Menschen zu entwickeln. Notwendig ist also zunächst eine Vergewisserung über die Rechte der jungen Menschen vor jeder Beratung, Entscheidung etc. Es ist die Frage, welche Rechte junge Menschen mit in die Vormundschaft und auch Kinder- und Jugendhilfe bringen und wie diese in den entsprechenden Organisationsformen und Verfahren gestärkt und verwirklicht werden können. Es werden nur wenige Fachvertreter*innen heute öffentlich bezweifeln, dass Partizipation pädagogisch sinnvoll ist. Doch Partizipation ist nicht allein pädagogisch zu begründen. Sie hat sich auch nicht pädagogisch zu beweisen, sondern junge Menschen haben eigenständige Rechte auch vor jeder Vormundschaft und Pädagogik. Damit soll nicht gesagt werden, dass in den Vormundschaften und im pädagogischen Handeln heute die Rechte der jungen Menschen generell nicht respektiert werden. Aber es gilt durchgehend anzuerkennen, dass die Rechte der jungen Menschen ein zentraler Ausgangspunkt der Vormundschaften sind und es entsprechend auch nicht möglich ist, vor den konzeptionellen und praktischen Spannungsfeldern, die sich dabei ergeben, auszuweichen. Dies bedeutet: Vormundschaften müssen sich erst einmal vergewissern, welche persönlichen, sozialen und politischen Rechte jun- ge Menschen haben. Diese Klärung müsste Grundlage ihrer Konzeptualisierungen, ihres Handelns und der Gestaltung ihrer Verfahren und Organisationsformen sein. In der Pointe wird die Beweispflicht umgekehrt. Nicht die jungen Menschen müssen belegen, dass mit ihnen Partizipation möglich ist und sie auch darüber hinaus Rechte haben, sondern die Vormundschaften und pädagogischen Organisationen müssen zeigen, wie sie die Rechte der jungen Menschen verwirklichen, anerkennen, stärken und die jungen Menschen geradezu auffordern, sie einzufordern. Sie sind in der Begründungspflicht, wenn sie diese aus pädagogischen, psychologischen oder insgesamt sozialisationsbezogenen Gründen begrenzen. Gleichzeitig ist verfahrensbezogen und pädagogisch differenziert zu diskutieren, wie Spannungsfelder zwischen den Rechten der jungen Menschen und dem Auftrag der Vormundschaften bearbeitet und unter der Wahrung und Beteiligung der unterschiedlichen Rechte der Akteur*innen geklärt werden können (Peters 2019). So wird in unterschiedlichen Kontexten bspw. darauf hingewiesen, dass das Recht [ ] ein Potenzial habe, unser Verständnis für den kommunikativen Sozialraum zu deformieren, in dem Kinder einen Eigenwillen entwickeln können, der dafür notwendig ist, um überhaupt als rechtlich relevanter Akteur mit einer bestimmten Position auftreten zu können. Wenn Kinder und ihre familialen Bezugspersonen vor dem Recht nur noch als Träger individueller Rechte gesehen werden, wird dies [ ] gerade Kindern nicht gerecht. Das Recht hat demnach dann paradoxale Folgen, wenn es dazu animiert, die kindliche Abhängigkeit von anderen, zu denen starke affektive Bindungen bestehen, und die kommunikative Herausbildung ihres Eigenwillens nicht als konstitutive Merkmale ihrer Entwicklung zu autonomen Subjekten zu begreifen (Sutterlüty 2017: 78f.). Diese Hinweise könnten nun vorschnell argumentativ genutzt werden, die eigenständigen Rechte junger Menschen in ihrer sozialen Verwirklichung zu begrenzen. Doch die Zusammenhänge sind vielschichtiger und die Spannungsfelder nicht auflösbar. Sie erscheinen für pädagogisches und soziales Handeln mit jungen Menschen konstitutiv. So sind Vormundschaften und letztlich pädagogische Prozesse zur Ermöglichung autonomer Lebensführung 94 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

33 Schröer Rechte in den Vormundschaften ebenfalls darauf angewiesen, dass sich junge Menschen in der Kindheit und Jugend eben auch als eigenständige rechtliche Akteur*innen erfahren können. Zudem ist die Formulierung eines eigenständigen Rechtsstatus darum zentral, um einen Machtausgleich in den Vormundschaften rechtlich zu begründen. Grundsätzlich weist Friederike Wapler auf diese Spannungsfelder in den Rechtswissenschaften hin: Es halten heute Gesetz und Rechtswissenschaft [ ] am Kindeswohlbegriff fest, während sich parallel ein Diskurs über die Grund- und Menschenrechte des Kindes entwickelt hat, dessen Verhältnis zum Kindeswohlbegriff klärungsbedürftig ist (Wapler 2017: 15). Schließlich ist diese Diskussion auch für die Weiterentwicklung des Kinder- und Jugendhilferechts von grundlegender Bedeutung: In seinen Untersuchungen zur Geschichte der Kinder- und Jugendpolitik in Deutschland hat Walter Hornstein darauf hingewiesen, dass in der Weimarer Republik kein Rechtssystems für den gesellschaftlichen Teilbereich Jugend verabschiedet wurde, das durchaus vergleichbar mit der Entwicklung des Arbeitsrechts zur Regelung der Rechtsposition des Arbeitnehmers gegenüber Betrieb und Staat gewesen wäre. Wirklichkeit wurde ein Jugendhilferecht, das den Maßnahmen von Erziehungsinstitutionen eine gesetzliche Grundlage geben sollte (Hering/Münchmeier 2000: ) und den Pfad für eine protektionistische Jugendpolitik bis heute ebnete: Entstanden ist es in der Weimarer Republik in der Diskussion um das damalige Reichsjugend- Wohlfahrtsgesetz [ ] Gesiegt hat die Fraktion, die Jugendpolitik als Hilfepolitik für die Jugend verstanden hat [ ] Und seit der Zeit [ ] ist Jugendpolitik konzentriert auf diesen Aspekt der Hilfe (Hornstein 2004, S. 47). Christoph Sachße (2018) arbeitet in seiner Studie zur Vergesellschaftung und Verrechtlichung von Erziehung in Deutschland zwischen 1870 und 1990 ebenfalls heraus, dass der Fokus auf der Frage lag, wie Erziehung aus einem rechtsfreien, von Ungleichheit und Abhängigkeit geprägten Raum (Sachße 2018: 313) in einen wohlfahrtstaatlichen Organisations- und Regulationskontext überführt werden kann. Nur langsam sei die Geschichte der Verrechtlichung von Erziehung im 20. Jahrhundert bestimmt von einer sukzessiven Ankoppelung an die herrschenden gesellschaftlichen Prinzipien von individueller Rechtssubjektivität, Freiheit und Gleichheit (ebd.). Das geltende Kinder- und Jugendhilfegesetz stärkt zwar den Status des jungen Menschen durch eine Reihe von Beteiligungsrechten. In gewisser Hinsicht sind diese Beteiligungsrechte aber weiterhin in der Logik eines zweiten Schrittes entworfen und mehr reflexive Gegengifte (Beck 1994) in der Verrechtlichung von Erziehung denn aus einer eigenständigen rechtlichen Stellung des jungen Menschen formuliert. Letztlich ist die Formulierung unterschiedlicher Beteiligungsrechte im SGB VIII ein erneuter Versuch gewesen, zwischen den unterschiedlichen politischen Positionen zu vermitteln und gleichzeitig die Kinder- und Jugendhilfe weiter an die herrschenden gesellschaftlichen Prinzipien von individueller Rechtssubjektivität, Freiheit und Gleichheit (Sachße) anzukoppeln. Dieser historische Prozess ist in der aktuellen SGB VI- II-Reform weiter zu stärken, um nicht nur mehr Partizipation zu fordern, sondern eigenständige Rechte von jungen Menschen zu formulieren und Beteiligung nachhaltig umzusetzen. Literatur Beck, U. (1988): Gegengifte Die organisierte Unverantwortlichkeit. Frankfurt a.m.: Suhrkamp. Hering, S./Münchmeier, R. (2000): Geschichte der sozialen Arbeit. Juventa: Weinheim und München. Hornstein, W. (2004). Jugendpolitik wider ihren Ruf verteidigt. Walter Hornstein im Gespräch mit Werner Schefold und Wolfgang Schröer. In DISKURS, Nr. 2, S Peters, F. (2020): Der ambivalente Ruf nach Beteiligung. In: v. Wölfel, U./Redmann, B. (Hg.): Bildung am Rande. Warum nur gemeinsam mit Adressat_ innen in der Jugendhilfe Bemächtigungsprozesse initiiert werden können. S , Beltz Juventa: Weinheim und Basel. Sachße, C. (2018): Die Erziehung und ihr Recht. Vergesellschaftung und Verrechtlichung von Erziehung in Deutschland Beltz Juventa: Weinheim und Basel. Sutterlüty, F. (2017): Normative Paradoxien der rechtsstaatlichen Sorge um das Kindeswohl. In: Sutterlüty, F./Flick, S. (Hg.): Der Streit um Kindeswohl. S , Beltz Juventa: Weinheim und Basel. Wapler, F. (2017): Das Kindeswohl: individuelle Rechtsverwirklichung im sozialen Kontext. Rechtliche und rechtsethische Betrachtungen zu einem schwierigen Verhältnis. In: Sutterlüty, F./Flick, S. (Hg.): Der Streit um Kindeswohl. S , Beltz Juventa: Weinheim und Basel. Wolfgang Schröer, Professor für Sozial- und Organisationspädagogik an der Universität Hildesheim, Vorsitzender des Bundesjugendkuratoriums, schroeer@ uni-hildesheim.de 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 95

34 Magazin Klatsch und Tratsch Happy Birthday, Kurt Hekele! Am 4.4. ist Kurt Hekele 80 geworden. Der Vorstand der IGfH und die Redaktion ForE wünschen dazu Alles Gute. Kurt Hekele war der IGfH langjährig verbunden u. a. als Delegierter, auch als Regionalmoderator im INTEGRA- Projekt ( ) und h.a. als Berater beim VSE Celle tätig (vgl. ausführlich das Portrait: Kurt Hekele sich treu bleiben in der Veränderung in ForE 2/2004). Überregional ist Kurt Hekele vor allem durch das Konzept Sich am Jugendlichen orientieren (Basistexte Erziehungshilfen, Juventa Verlag) bekannt, das er gemeinsam mit anderen aus der Praxis des VSE heraus entwickelt hat. Ab Sommersemester 2020 wird Dr. Remi Stork eine Professur an der FH Münster im Fachbereich Sozialwesen antreten. Schwerpunkt seiner Lehre und Forschung werden die Hilfen zur Erziehung sein. Remi Stork promovierte zum Thema Partizipation in der Heimerziehung und war zwölf Jahre lang Referent für Grundsatzfragen der Jugendhilfe und Familienpolitik in der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Tagungshinweise Fachtagung der Erziehungshilfefachverbände Das Grundrecht auf Wohnen (auch) eine Frage der Kinder- und Jugendhilfe, in Frankfurt Im Laufe des Jahres 2018 waren in Deutschland Menschen ohne Wohnung. Diese Zahlen gab die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) im November 2019 heraus. Neben kinderreichen Familien und Alleinerziehenden, alten Menschen, behinderten Menschen und Mitbürger*innen mit Migrationshintergrund, die Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt haben, ist auch der Blick auf junge Menschen alarmierend. Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit von jungen Menschen in Deutschland sind kein Randphänomen. Expert*innen gehen aktuell davon aus, dass in Deutschland junge Menschen bis 26 Jahren ohne festen Wohnsitz leben, davon ca Minderjährige. Sie schlafen bei Freunden auf dem Sofa oder auf der Straße und leben unter extrem schwierigen Bedingungen, oft in starken Abhängigkeiten, die nicht selten mit Ausbeutungs- verhältnissen einhergehen. Viele dieser jungen Menschen haben Jugendhilfe-Erfahrungen (ambulant oder stationär), viele wurden ohne Wohnung und gesicherte Existenz aus der Jugendhilfe entlassen, einige haben nach der Jugendhilfe nie eine feste Wohnung gefunden bzw. diese durch eine fehlende Nachbetreuung wieder verloren. Nicht wenige sind aus Einrichtungen der Jugendhilfe aufgrund der rigiden Settings verwiesen worden oder geflohen. Junge Wohnungslose werden oft nicht von der Jugendhilfe erreicht, da die Schwellen zu hoch sind oder Hilfen am individuellen Bedarf der jungen Menschen vorbeigehen. Was fachpolitisch fehlt, ist ein breiter Diskurs zur Weiterentwicklung der Wohnungsbaupolitiken und der Familien- wie Jugendhilfe vor dem Hintergrund der Wohnungslosigkeit. Der schon zum achten Mal gemeinsam von den Fachverbänden der Erziehungshilfen ausgerichtete Fachtag versucht erste gemeinsame Positionsbestimmungen mit Fachleuten und Betroffenen zu diesen Fragen zu eröffnen. Mit einer aus der Tagung hervorgehenden Frankfurter Erklärung der Erziehungshilfefachverbände soll Einfluss genommen werden auf die Bundes-, Länder- und Kommunale Ebene und es sollen (gesetzgeberische) Handlungsnotwendigkeiten aufgezeigt werden. Fachvorträge, Diskussionsrunden, Praxisbeispiele und Zwischenrufe von Betroffenen sind u. a. zu folgenden Themen geplant: Entstehung, Verlauf und Struktur von Wohnungslosigkeit und Strategien zu ihrer Vermeidung (Jutta Henke, GISS Bremen) Stadt- und Quartiersentwicklung der Zukunft Die Rolle von Wohnungsunternehmen und -genossenschaften als Partner*innen der Sozialen Arbeit (Alexander Rychter, Vorstand Verband der Wohnungswirtschaft im Westen) Infrastrukturen und Übergänge absichern Junge Menschen und Familien im Kontext von Erziehungshilfen und Wohnungspolitiken (Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Bundesjugendkuratorium/Universität Hildesheim) Jugendliche auf der Straße? Zwischenruf aus der Sicht von jungen Menschen (Andre Neupert und Junge Erwachsene, MOMO, Berlin Pilotprojekt RESPEKT 100(8) Häuser! (Roland Meier, Diakoniewerk Duisburg) Veranstalter sind die Erziehungshilfefachverbände AFET, BVkE, EREV und IGfH. 96 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

35 Magazin Anmeldung über Evangelischer Erziehungsverband e.v. (EREV) > Fortbildungen > 2020 > Nr > Anmelden Rückfragen an Carola Schaper, Nachrichten und Stellungnahmen Stellungnahme der IGfH zur Abfrage des BMFSFJ zum Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher Bereits zum vierten Mal hat das BMFSFJ u. a. Verbände und Träger der Kinder- und Jugendhilfe eingeladen, den Fragenkatalog zur Erstellung des Berichts der Bundesregierung zu dem Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher zu beantworten. Die IGfH hat in ihrer Stellungnahme gemeinsam mit Flüchtlingsorganisationen erneut darauf hingewiesen, dass zur systematischen Erfassung der Situation von umf in Deutschland und der Evaluation des 42a SGB VIII das Abfrageverfahren nach wie vor ungeeignet ist. Für eine angemessene Berichterstattung ist nach Auffassung der IGfH und ihrer Partner*innen eine unabhängige und längerfristige Rechtswirkungsforschung erforderlich. Zur Erstellung eines Berichts über die Lebenssituation von umf, auf die sich insbesondere Gesetze des Asyl- und Aufenthaltsrechts auswirken, sowie zur Ausgestaltung einer weiterführenden kinder- und jugendgerechten Politik wird ein langfristig angelegter und partizipativer Forschungs- und Berichtsansatz auf Basis einer verlässlichen Datengrundlage benötigt. In der Antwort auf die vierte Abfrage des BMFSFJ zum Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher hebt die IGfH nochmal hervor: Kinderrechte und Kinderschutzstandards müssen für geflüchtete Kinder und Jugendliche ohne Einschränkung gelten! Geprüft werden muss, ob die vorläufige Inobhutnahme nach 42a SGB VIII zurückgenommen werden muss bzw. kann, insbesondere im Hinblick auf ein inklusives SGB VIII. Eine spezifische Inobhutnahme für umf mit eigenen Standards u. a. im Kindeswohl ist nicht zu akzeptieren! Die Unterbringung von umf, unter ihnen besonders Schutzbedürftige, in sog. AnkER Zentren ist nicht vereinbar mit der UN-Kinder- rechtskonvention und dem Kindeswohl (siehe Stellungnahme zu AnkER Zentren 2018 und Juliane Meinhold in einem aktuellen Fachbeitrag (Forum Erziehungshilfen, 5/2019). Die Änderungen in 44 AsylG-E sind hierfür nicht ausreichend und werden im Übrigen durch das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht konterkariert! Schutz, Zugang zu Bildung und Versorgung und gesellschaftliche Teilhabe bleiben verwehrt! Durch die aktuell existierenden gesetzlichen Regelungen im 42a SGB VIII und die eingeschränkte Gewährungspraxis der Hilfen für junge volljährige Geflüchtete erleben umf derzeit eine hohe Anzahl verunsichernder Übergänge im Rahmen der Jugendhilfe. Alle jungen Volljährigen müssen Zugänge zu weiterführenden Hilfen haben und einen Anspruch auf Begleitung beim Übergang ins Erwachsenenleben haben. Angesichts der Entwicklungen hin zu einem inklusiven SGB VIII wäre es an der Zeit, dass die Jugendhilfe sich offensiv für einheitliche rechtliche Regelungen für alle jungen Menschen einsetzt. Letztlich geht es nicht nur um eindeutige, verlässliche rechtliche Regelungen zum Schutz der jungen Geflüchteten, um die Abschaffung von Sonderregelungen und um die Stärkung des Primats der Jugendhilfe für ihre originäre Zielgruppe, sondern auch um ein humaneres Reden über und Handeln mit den jungen Menschen. Zur vollumfänglichen Stellungnahme igfh.de > Stellungnahmen > Stellungnahme der IGfH zur Abfrage des BMFSFJ Positionspapier des Verbundprojekts FosterCare zum Thema Schutzkonzepte in der Pflegekinderhilfe In einem neuen Positionspapier zum Thema Kinderrechte in der Vollzeitpflege Reformbedarf zur Verwirklichung von Schutzkonzepten in der Infrastruktur der Pflegekinderhilfe kommen Vertreter*innen des Projekts Foster- Care zu dem Schluss, dass die fachliche Entwicklung von Schutzkonzepten in der Pflegekinderhilfe und ihre rechtliche Verankerung im SGB VIII bisher nur unzureichend umgesetzt sind. Um diese Infrastrukturlücke in der Pflegekinderhilfe zu verbessern, hat das Projekt die Grundlagen des SGB VIII zum Thema Kinderschutz mit Blick auf die Besonderheiten der Vollzeitpflege analysiert und mit Expert*innen und unterschiedlichen Akteur*innen diskutiert Jahrgang 2020, HEFT 2 97

36 Magazin Auch die Erfahrungen von jungen Menschen sind in die Analyse eingeflossen. Während beispielsweise im Bereich stationäre Hilfen/Heimerziehung die Organisationen in der Verantwortung benannt sind, zeigt sich für den Bereich der Pflegekinderhilfe ein Defizit an rechtlicher Kodifizierung mit Blick auf die Besonderheiten der Vollzeitpflege. Das Projekt sieht hier insbesondere das Jugendamt gefordert, die Breite der Akteur*innen im Bereich Pflegekinderhilfe in die Entwicklung eines Schutzkonzeptes einzubinden und diese explizit von den Kinderrechten her zu konzipieren, bspw. Pflegefamilien, Vormundschaften, Pflegekinderdienste, Psychotherapie etc., aber auch alle weiteren familialen und sozialen Beziehungen der jungen Menschen in ihrer Lebenswelt Vor diesem Hintergrund werden folgende Empfehlungen zur gesetzlichen Novellierung gemacht: Es ist z. B. in 37 SGB VIII festzuhalten, dass es die Verantwortung der Jugendämter ist, Schutzkonzepte für die Infrastruktur der Pflegekinderhilfe zu entwickeln. Indem die Pflegekinderhilfe explizit in 79a SGB VIII aufgenommen wird, ist dafür Sorge zu tragen, dass Schutzkonzepte im Rahmen der Qualitätsentwicklung fortgeschrieben und evaluiert werden. In 33; 44; 45 SGB VIII ist festzuhalten, dass die Pflegefamilien in den Kontext der Schutzkonzepte eingebunden sind mindestens Beschwerdeverfahren für die jungen Menschen in der Infrastruktur vorhanden sein müssen und die Pflegeltern in den Auswahlverfahren entsprechend informiert und qualifiziert werden müssen. Zudem ist den Pflegeltern ein Beratungsrecht in 8b SGB VIII einzuräumen. In 27 SGB VIII ist jungen Menschen bei einer Fremdplatzierung ein eigenständiges Interessenvertretungsrecht einzuräumen und abzusichern. In 36 ist festzuhalten, dass die jungen Menschen in Hilfeplangesprächen über ihre Rechte regelmäßig und altersgerecht informiert werden. Es muss sichergestellt werden, dass die jungen Menschen Beschwerdeverfahren und soweit vorhanden Ombudsstellen kennen oder/und ihnen eine kontinuierliche Ansprechperson zur Verfügung gestellt wird, die von den jungen Menschen ausgewählt werden kann. ( ) Schließlich wäre es insgesamt für die Stärkung der Kinderrechte auch über die Pflegekinderhilfe hinaus ein wichtiges Signal, wenn 1 Abs. 3 SGB VIII nicht als soll, sondern als uneingeschränkte Verpflichtung formuliert wäre, die nicht primär auf Institutionen beschränkt ist. Das Verbundprojekt FosterCare wird an der Stiftung Universität Hildesheim, dem Universitätsklinikum Ulm Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie sowie der Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut umgesetzt. Es wird in der Förderlinie Forschung zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in pädagogischen Kontexten aus Mitteln des BMBF gefördert. Weitere Infos unter Quelle: Fegert, J. M./Gulde, M./Henn, K./Husmann, L./ Kampert, M./Rusack, T./Schröer, W./Wolff, M./Ziegenhain, U. (2020): Positionen. Kinderrechte in der Vollzeitpflege Reformbedarf zur Verwirklichung von Schutzkonzepten in der Infrastruktur der Pflegekinderhilfe. Online-Publikation (Open Access), DOI: /080. Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim. Weitere ausführliche Veröffentlichungen und Positionierungen zum Thema Schutz- und Beteiligungsrechte von Pflegekindern sind im späten Frühjahr aus dem Dialogforum Pflegekinderhilfe zu erwarten: AGJ veröffentlicht neue Positionierungen zur Ganztagsbildung, politischen Bildung sowie zum SGB VIII-Reformprozess Positionspapier Kind- und jugendgerechte Ganztagsbildung Im Positionspapier zu einer kind- und jugendgerechten Ganztagsbildung werden Leitlinien zur inhaltlichen Qualität von Angeboten zur Ganztagsbildung beschrieben und sieben Gelingensbedingungen einer guten Ganztagsbildung formuliert: Neben verlässlichen Rahmenbedingungen und Strukturen für Kinder und Jugendliche, Fachkräfte und Eltern braucht es Kooperationen und Vernetzungsangebote im Sozialraum und eine bessere Qualifizierung des professionellen und ehrenamtlichen Personals. Politisch und Engagiert: Für eine Stärkung der europäischen Idee in der Kinder- und Jugendhilfe Empfehlungen der AGJ Die AGJ ist der Auffassung, dass eine Stärkung der europäischen Idee auf der lokalen Ebene ansetzen muss, wo sich die Lebenswelten und der Alltag der Menschen abspielen und wo politische Entscheidungen konkret werden. Mit diesen Empfehlungen möchte die AGJ sowohl 98 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

37 Magazin eine Argumentationshilfe bei der Implementation europäischer Projekte liefern als auch konkrete Handlungsoptionen für eine stärkere europäische Ausrichtung der Kinder- und Jugendhilfe aufzeigen. Gesellschaftliche Anerkennung und Aufwertung der Sozialen Berufe in der Kinder- und Jugendhilfe Fachkräfte gewinnen, Qualität erhalten und verbessern! Mit diesem Positionspapier bezieht die AGJ zur aktuellen Debatte um die Aufwertung der Sozialen Berufe aus kinder- und jugendhilfepolitischer Sicht Stellung. Mit dem Ziel, eine höhere gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung der hier Beschäftigten zu erreichen, werden Strategien der Bundesregierung zur Aufwertung der Sozialen Berufe diskutiert und zentrale Forderungen der AGJ in diesem Bereich formuliert. Jugendgerechte Bildungslandschaften in ländlichen Räumen Die AGJ fokussiert hier auf Herausforderungen und Potenziale ländlicher Bildungsräume und auf den Beitrag, den Kinder- und Jugendarbeit hier leistet kann. Das Thema Bildungslandschaften wird in diesem Kontext erneut fachpolitisch thematisiert sowie Handlungsaufforderungen und Positionen zur Schaffung jugendgerechter Bildungslandschaften in ländlichen Räumen formuliert. Prävention im Sozialraum und Inklusion Der Vorstand der AGJ hat nun eine zweite zusammenführende Stellungnahme auf Grundlage der letzten beiden AGJ-Vorabkommentierungen zu den Themen Prävention im Sozialraum und Inklusion im Rahmen des SGB VIII Dialogprozesses verabschiedet. Außerdem wird zu einzelnen Äußerungen von Mitgliedern der Bundes-AG SGB VIII: Mitreden Mitgestalten in den jeweiligen thematischen Sitzungen Stellung bezogen. Die AGJ verbindet hiermit das Bestreben, einen stärkeren dialogischen Austausch in den Prozess einzubringen. Alle Stellungnahmen online unter: > Positionen > Aktuell Gesetz zur Verbesserung der Hilfen für Familien bei Adoption Der Deutsche Bundestag hat am 29. Januar 2020 in erster Lesung den Entwurf des Geset- zes zur Verbesserung der Hilfen für Familien bei Adoption (Adoptionshilfe-Gesetz) beraten. Außerdem fand am eine Anhörung im Familienausschuss zum Adoptionshilfegesetz statt, zu der auch PFAD, der Bundesverband für Adoptions- und Pflegekinder e.v., eine Stellungnahme veröffentlicht hat. Mit dem Adoptionshilfe-Gesetz soll der Koalitionsvertrag umgesetzt werden, indem das Adoptionswesen modernisiert wird und die Strukturen der Adoptionsvermittlung verbessert werden. Der Gesetzentwurf stützt sich auf die Erkenntnisse des Forschungs- und Expertiseprozesses zum Bereich Adoption, die in der letzten Legislaturperiode gewonnen werden konnten. Gesetzesentwurf online unter: tag.de/dip21/btd/19/167/ pdf Quelle: heute im bundestag, Kurzmeldung vom > 28. Januar 2020 > Mehr Hilfen für Familien bei Adoptionen Infos des Familienausschuss unter cvid/ Stellungnahme PFAD e.v. online unter pfad-bv.de > Aktuelles > Anhörung zum geplanten Adoptionshilfegesetz Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Kinder psychisch und suchtkranker Eltern Am 22. Juni 2017 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung beauftragt, für einen befristeten Zeitraum eine interdisziplinäre und interministerielle Arbeitsgruppe einzurichten. Die Arbeitsgruppe sollte einvernehmlich Maßnahmen vorschlagen, die die Situation von Kindern mit psychisch und suchterkrankten Eltern verbessern. Am 16. Dezember 2019 wurde der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe dem Deutschen Bundestag zugeleitet. Die Empfehlungen der AG beziehen sich auf vier Kernthesen: I. Kernthese: Die Leistungen sind sowohl individuell als auch am Bedarf der Familie ausgerichtet flächendeckend auf- und auszubauen und für die betroffenen Kinder über alle Altersgruppen hinweg und ihre Eltern zugänglich zu machen. II. Kernthese: Präventive Leistungen sollten für Kinder und Jugendliche aller Altersgruppen sowie für deren Familien zugänglich sein. III. Kernthese: Um komplexen Bedarfslagen eines oder mehrerer Familienmitglieder gerecht zu werden, müssen die bestehenden Hilfs- und Unterstützungsangebote besser ineinandergreifen Jahrgang 2020, HEFT 2 99

38 Magazin IV. Kernthese: In den örtlichen und regionalen Netzwerken müssen Lotsen die Zugänge zu (weiteren) Hilfen und jeweils bedarfsgerechten Unterstützungsmaßnahmen an den Schnittstellen unterschiedlicher Leistungssysteme erleichtern. Es werden insgesamt 19 Empfehlungen ausgesprochen. Einige Empfehlungen beziehen sich direkt auf das SGB VIII: So soll die Alltagsunterstützung durch die Kinder- und Jugendhilfe verbindlicher als einklagbarer Rechtsanspruch ausgestaltet werden. Dies kann durch Integration des Normgehalts von 20 SGB VIII in den Katalog der Hilfen zur Erziehung gemäß 27 ff. SGB VIII als neue Hilfeart erreicht werden. Die Möglichkeit der Kombination mehrerer Hilfen miteinander, wenn dies dem Bedarf der Familie am besten entspricht, ist davon unberührt. [Empfehlung Nr. 1] Weiterhin soll ein unmittelbarer (ohne Behördengang und Antragstellung) und flexibler Zugang zu diesen Angeboten ermöglicht werden: Dies kann durch eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Ausnahmeregelung des 36a Abs. 2 SGB VIII auf die Hilfeart Alltagsunterstützung erreicht werden. 36a Abs. 2 Satz 1 SGB VIII lässt abweichend vom Entscheidungsprimat des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe eine unmittelbare Inanspruchnahme bei der Erziehungsberatung und damit vergleichbaren ambulanten Hilfen zu. Ergänzend soll klargestellt werden, dass in den nach 36a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII mit den Leistungserbringern zu schließenden Vereinbarungen insbesondere auch die Verfügbarkeit der Hilfe geregelt werden soll. Damit kann sichergestellt werden, dass Alltagsunterstützung durch Familienbegleiter*innen, Paten/ Patinnnen oder andere unterstützende Dienste kontinuierlich und flexibel im Hinblick auf schwankende Bedarfslagen der Familien zur Verfügung stehen. D. h., die Leistungserbringer stellen sicher, dass die Angebote durchgängig, in unterschiedlicher an die aktuelle Bedarfslage angepasster Intensität und vor allem in Akutsituationen schnell und direkt in Anspruch genommen werden können. [Empfehlung Nr. 2] Weiterhin soll Bedarfsgerechtigkeit und Qualität der Angebotsstruktur durch verbindliche Sozialplanungs- und Qualitätsentwicklungsvorgaben gesichert werden. Dies kann durch eine Verpflichtung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, im Rahmen seiner Planungs- verantwortung ( 80 SGB VIII) Maßnahmen zur Sicherstellung der Bedarfsgerechtigkeit und Qualität von Hilfsangeboten mit niedrigschwelligen Hilfezugängen zu ergreifen, erreicht werden. [Empfehlung Nr. 4) Und schließlich wird vorgeschlagen, für Kinder und Jugendliche durch Streichung des Erfordernisses des Vorliegens einer Not- und Konfliktlage ( 8 Abs.3 SGB VIII) einen bedingungslosen elternunabhängigen Anspruch auf Beratung durch die Kinder- und Jugendhilfe zu etablieren. Dies würde dazu führen, dass die Beratungsstelle oder das Jugendamt nicht mehr zuerst prüfen muss, ob eine Not- und Konfliktlage vorliegt, bevor es dem Kind oder dem Jugendlichen unabhängig von den Eltern hilft. [Empfehlung Nr. 5] Zum Bericht mit dazugehörigen Anlagen: sentation-des-abschlussberichts/ Materialien Neuveröffentlichung zu Geschwisterbeziehungen und Fremdunterbringung Im SPI-Materialienband 13 Geschwister im Blick Mit komplexen Beziehungen umgehen dokumentieren Christian Schrapper und Michaela Hinterwälder ein Praxisforschungsprojekt zum Fallverstehen von Geschwisterbeziehungen. Fachkräften bietet er ein Set an Methoden und Instrumenten zu sozialpädagogisch-diagnostischen Arbeitsweisen. Ziel des Praxisforschungsprojektes war die Entwicklung und Erprobung eines Verfahrens, das ermöglicht, Geschwisterbeziehungen individuell einzuschätzen. Die Fragestellung, was fremduntergebrachte Kinder und Jugendliche einander als Geschwister bedeuten, ist in der Jugendhilfe systematisch bisher nicht im Blick. Familiale Zusammenhänge werden am Rande festgehalten, der Fokus liegt auf dem Einzelfall. Ohne ein Verstehen der bisherigen Lebensgeschichte, der prägenden Erfahrungen von jungen Menschen kann eine stationäre Hilfe zur Erziehung jedoch kaum gelingen. Bestellung unter: dagogik/publikationen/geschwister-im-blick Tagungsberichte Bericht über die Tagung des Redaktionsbeirats von Forum Erziehungshilfen von Januar 2020 in Frankfurt am Main Der Redaktionsbeirat hat getagt, Forum Erzie- 100 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

39 Magazin hungshilfe ist 25 Jahre alt geworden, Redaktion und Beirat machen weiter Freitagmittag, ein schlichter Sitzungssaal im Gewerkschaftshaus Frankfurt, geschäftiges Treiben zwischen Kaffeetassen, Laptops und herzlichen Begrüßungsumarmungen. Die Redaktion hat ihre Arbeit vom Vormittag beendet und die zahlreichen Beiratsmitglieder im Alter zwischen 25 und 75 Jahren (geschätzt) freuen sich zunächst darüber, den Ort des Geschehens überhaupt gefunden zu haben. Die jährlich im Januar stattfindenden 2-tägigen Sitzungen des Redaktionsbeirats dienen sowohl dem fachlichen Austausch aller Beteiligten und dem Aufspüren neuer Themen als auch der Rückmeldung der Beiratsmitglieder an die Redaktion über die Hefte des jeweiligen Jahrgangs. Josef Koch eröffnete die diesjährige Beiratssitzung mit dem Schwerpunktthema des ersten Tages Menschenrechte und Kinderrechte als,kompass für die Soziale Arbeit Leitlinien für sozialpädagogisches Handeln in Organisationen. Hierzu referierte und diskutierte mit uns Prof. Dr. Katja Neuhoff von der Hochschule Düsseldorf. Sie fundierte ihren Vortrag anhand des Ansatzes von Sylvia Staub-Bernasconi, Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession, und entwickelte hieraus einen interdisziplinären Handlungsansatz zur Bildung von Kindern über Menschenrechte (Recht, Ethik und Politik). Sozialer Arbeit käme dabei die Aufgabe zu, durch Sehen, Urteilen und Handeln eine Menschenrechtspraxis zu implementieren, die u. a. über eine Einschränkung der adultentischen Dominanzkultur in der Gesellschaft zu erreichen sei. Diese Entwicklung gelte es in der Sozialen Arbeit u. a. durch Powersharing, Ermächtigung der Kinder und ihre konsequente Beteiligung an allen sie betreffenden Entscheidungen zu befördern. Das Ziel hierbei wäre die Realisierung einer Menschenrechts- und Kinderrechtspraxis in Organisationen. Die Entwicklung entsprechender Leitlinien in den Organisationen wäre ein erster Schritt hierzu. Die sich anschließende lebhafte Diskussion reichte von eher grundsätzlichen Aspekten wie,die Kinderrechtedebatte führe zur Individualisierung und habe damit eine Entsolidarisierung zur Folge über,die Machtstrukturen in der Gesellschaft, die die Kinderrechte einschränkten bis hin zu den zahlreichen konkreten Projekten und Veranstaltungen der IGfH. Diese beinhalten u. a. die Kinder- und Elternpartizipation; die Kooperation mit Ombudsstellen und schließlich die zähe, aber notwendige Arbeit an und Konzeptentwicklung zu demokratischen Strukturen in den Hilfen zur Erziehung. Nach dem Abendessen riss das Schauspiel Frankfurt mit The FE.MALE TRAIL. Ein Nick Cave- Abend mit Text und Musik von Katharina Bach und ihrer Band bitchboy alle aus den Sesseln. Nach der begeisternden Vorstellung lud Josef Koch alle Redaktions- und Beiratsmitglieder zu einem kleinen Sektempfang in die,panorama Bar des Schauspielhauses, um 25 Jahre Forum Erziehungshilfe zu würdigen. Er dankte allen zumeist langjährigen Mitwirkenden für ihre Artikel, Kommentare, Forschungsberichte, Portraits, Themenvorschlänge, Rückmeldungen zu den Heften, Diskussionsbeiträge, kurzfristig erstellten Texte, Beiträge zu Studienreisen und allem, was zum Gelingen der Fachzeitschrift beiträgt. Das konnten die Anwesenden so nicht ohne Erwiderung im Hinblick auf Josefs eigenes, unermüdliches Schaffen für die Zeitschrift als Schriftführer stehen lassen. Josef Koch spinnt die Fäden für Vernetzung, moderiert kontroverse Diskussionen im Redaktionsbeirat und findet gütliche Regelungen, um viele Aktive bei der Stange zu halten. Der zweite Tag stand wie gewohnt zunächst im Zeichen der Rückschau auf die fünf Hefte des vergangenen Jahres. Dazu gab Dr. Kristin Teuber (SPI) zunächst ihre Einschätzung und Bewertung des Jahrgangs, um in die Diskussion einzuführen. Die beiden Hefte,Wer weiß was? Wissensdynamiken zwischen Praxis und Forschung (H. 2/19) und,zwang, Anpassung, Unterwerfung Einsprüche und Widersprüche (H. 4/19) fanden bei Kristin Teuber herausragenden Zuspruch. Die Beiträge wären pointiert, hochaktuell, ohne allerorts diskutierte Themen erneut nachzuzeichnen. Die Beiratssitzung endete mit der Sammlung von Ideen für zukünftige Hefte. Liebe Lesende, Sie können gespannt auf den neuen Jahrgang sein. Luise Hartwig, Bericht zur Fachtagung Unbegleitete geflüchtete Mädchen in erzieherischen Hilfen, in Frankfurt a.m. Geflüchteten Mädchen* und jungen Frauen* in der öffentlichen und fachpolitischen Debatte mehr Gewicht zu verleihen, Fluchtursachen, -erfahrungen und die Situation nach Ankunft in Deutschland bzw. im Jugendhilfesystem in den Blick zu nehmen, das war das Anliegen der Fachtagung Unbegleitete geflüchtete 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 101

40 Magazin Mädchen in erzieherischen Hilfen, die von stattfand. Damit lud die inhaltlich und organisatorisch verantwortliche IGfH-Fachgruppe Mädchen und Frauen nach zwei Jahren zum Wiederaufgreifen einer gender- bzw. mädchen*spezifischen Perspektive auf geflüchtete junge Menschen in der Jugendhilfe ein. Dementsprechend formulierten Prof in Hannelore Häbel in ihrem Einstiegsvortrag sowie Prof in Kerima Kostka, die moderierend durch die Tagung führte, zu Beginn auch den durchaus hohen Anspruch der Tagung: im Diskurs um geflüchtete Kinder und Jugendliche weiterhin und hartnäckig für die geschlechtsspezifischen Bedarfe und Benachteiligungen unbegleiteter geflüchteter Mädchen* sensibilisieren, auf systematische Ausblendungen hinweisen und Handlungsaufträge für die Praxis sowie für Verwaltung und Politik aus dem Erfahrungsaustausch ableiten. Über zwei Tage hinweg diskutierten dann rund 50 engagierte Fachkräfte, Praktiker*innen und fachpolitische Vertreter*innen. Die Tagung fand ihren inhaltlichen Auftakt mit einem Vortrag von Prof in Alexandra Geisler (IUBH University of Applied Sciences Campus Berlin) zum Thema Unbegleitete geflüchtete Mädchen in erzieherischen Hilfen: Marginalisierung oder Exotisierung in Theorie und Praxis. Die Komplexität der Situation und die Vielschichtigkeit der Bedarfe von unbegleiteten minderjährige geflüchteten Mädchen* zu sensibilisieren erfordert besondere Vorsicht vor voreiligen Rück- bzw. dann auch Kurzschlüssen: sog. Othering- bzw. Veranderungs -Prozesse entstehen dann, wenn Kontexte, Hintergründe falsch oder vorschnell eingeschätzt werden, weil Fachkräfte nicht ausreichend im Umgang mit Diversität, Gender* und struktureller Diskriminierung qualifiziert sind, bzw. wirkmächtige Bilder von Flucht, ordnungspolitische Diskurse in Verbindung mit kulturalisierten Geschlechter*- bildern im pädagogischen Handeln nicht reflektiert werden. Unter dem Label die Flüchtlinge, so Geisler, werden handlungsfähige Menschen mit unterschiedlichen Biografien, Fluchterfahrungen, Wissen, Bewältigungsstrategien, Lebensweisen, kulturellen Identitäten etc. gefasst. Moderiert von Vertreter*innen aus der Fachgruppe Mädchen und Frauen fand im Anschluss an den Fachinput dann ein Austausch zu Praxiserfahrungen in offenen Arbeitsgruppen statt, bei dem es um die Dimensionen Fluchtursachen Aufgespießt Zur Rezension bestellt: Stefan Lenz/Friedhelm Peters (2019): Kompendium integrierte flexible Hilfen. Bausteine einer lebensweltund sozialraumorientierten Reform der Kinder- und Jugendhilfe. An alle Rezensent*innen geliefert: Elizabeth Shaw: Der kleine Angsthase. Hat der Verlag die Corona-Epidemie vorausgesehen? und Fluchterfahrungen, (Berufs-)Bildung und Leaving Care bzw. Übergänge in Volljährigkeit und Sexualität und Partnerschaft. Im Vordergrund stand dabei um die Frage, ob und wenn ja, wie sich diese oder andere Themen im pädagogischen Alltag aus Sicht der Fachkräfte noch einmal spezifisch für junge Mädchen* darstellen. Dies führte dann im weiteren Fachaustausch der AGs zu einer produktiven Reflexionsfolie und half, die Erfahrungsberichte der Teilnehmer*innen im Hinblick auf fluchtbedingte, allgemein jugendspezifische und mädchen*- bzw. geschlechtsspezifische Bedarfe/Herausforderungen zu strukturieren. Viele Bedarfe geflüchteter Mädchen* gelten allgemein für Mädchen* in Hilfen zur Erziehung bzw. erfordern eine geschlechtersensible, parteiliche Haltung von Fachkräften. Dennoch: Fluchtursachen und Erlebnisse während der Flucht in Verbindung mit der Kategorie 102 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

41 Magazin Frau*/Mädchen* gehen für junge Frauen* oft mit spezifischen Lebenslagen einher, die trotz aller individuellen Brechungen von jungen Frauen* oft andere Überlebens- und Bewältigungsstrategien erfordern. Für ein (An-)Erkennen von (auch) geschlechts- bzw. mädchenspezifischen Bedarfen seitens der Fachkräfte, die die Lebenslage geflüchtetes Mädchen* mitbringen kann (aber nicht zwingend muss), sensibilisierte insbesondere Prof in Luise Hartwig (FH Münster) mit ihrem Vortrag zum Thema Fachliche Anforderungen an eine mädchen*- bzw. gendergerechte Arbeit in den erzieherischen Hilfen. Machtmissbrauch, Krieg und Armut sind nicht geschlechtslos, sondern gehen für Mädchen* und junge Frauen* mit geschlechtsspezifischer Gewalt und Ausschlüssen von gesellschaftlicher Teilhabe einher (bspw. durch Zwangs- oder Zweckheirat zum Schutz oder aus finanziellen Gründen, verdeckte und ausbeuterische Abhängigkeits- und/oder Pflegeverhältnisse während und nach der Flucht, Familialisierung und/oder sexuelle Ausbeutung aber durch auch die fehlende Anerkennung der Schutzbedarfe von Mädchen* in Sammelunterkünften oder sog. AnKER-Zentren bspw. nach Ankunft in Deutschland). In einem dritten und letzten Fachvortrag Zum rechtlichen Status unbegleiteter geflüchteter Minderjähriger argumentierte Nerea González Méndez de Vigo (ehemals BumF e.v.), dass Mädchen* und Frauen* vor, auf und während der Flucht sich in ihrem ganz eigenen Krieg befänden, der an Geschlecht und Macht anknüpft. Gerade im Hinblick auf das Asylverfahren finden jedoch geschlechtsspezifische Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen, die nicht im Herkunftsland, sondern während oder nach der Flucht passieren, häufig zu wenig Anerkennung. Die rechtlichen Strukturen rund um das Asylverfahren tragen damit auch zur Ausblendung der Bedarfe und Erfahrungen der geflüchteten Mädchen* bei. Doch auch jenseits der Mädchen*-Thematik bot der Vortrag von González Méndez de Vigo einen praxisnah aufbereiteten Überblick zu aktuellen rechtlichen und migrationspolitischen Entwicklungen bzw. Verschärfungen. Klar traten hier die aktuellen Ambivalenzen in der Kinder- und Jugendhilfe mit Blick auf umf und die Haltung von Fachkräften zum Vorschein: Einerseits wird die Kinder- und Jugendhilfe als klar zuständig benannt, was Schutzauftrag, Betreuungs- und Integrationsleistungen betrifft. Andererseits sieht sie sich mit einem gesellschaftlichen Diskurs konfrontiert, der zunehmend durch eine ablehnende und kriminalisierende Haltung gegenüber jungen Geflüchteten und einer rigiden Einwanderungspolitik geprägt ist. Im Anschluss an die Fachinputs und die Erfahrungsberichte aus den AGs herrschte ein großes Interesse zur Diskussion der sozialpädagogisch-parteilichen und rechtlichen Unterstützung der jungen Menschen. In drei Reflexionsrunden wurden die Erfahrungsberichte vom ersten Tag analysiert, Reflexionsebenen und Wissensbausteine aus den Vorträgen aufgegriffen und dies im Hinblick auf strukturelle und fachliche Anforderungen an die Kinder- und Jugendhilfe diskutiert: Wie müssen Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe (Finanzierung, Hilfeplanung usw.) gestaltet sein, um mädchen*gerechte Arbeit zu realisieren und das noch einmal mit spezifischem Blick auf die Bedarfe geflüchteter Mädchen*? Welcher Fachkompetenz und Qualifikation der Mitarbeitenden bedarf es hier? Wo und wie entstehen Bedarfe oder auch Diskriminierungserfahrungen erst aufgrund von bspw. Hilfe- und/oder Gesetzesstrukturen bzw. migrationspolitischen Entwicklungen in Deutschland? Wie müssen Sozialraumorientierung und Netzwerkarbeit gestaltet sein, wo gibt es hier Schnitt-, aber auch Leerstellen? Mit ersten Antworten auf diese Fragen und Ideen für ein weiterführendes Forderungspapier ging es dann in die Abschlussdiskussion mit Vertreter*innen aus den AGs und dem Plenum. Der Verlauf der Diskussionen zeigte: Geflüchtete junge Mädchen* sind in erster Linie Kinder und Jugendliche. Es bedarf dennoch einer intersektional erweiterten Perspektive bzw. diversitätsbewussten Haltung von Fachkräften, die auf Machtverhältnisse, Gewaltund Diskriminierungserfahrungen reflektiert, die sich aus der Wechselbeziehung zwischen individueller Biografie und Kategorien sozialer Ungleichheit wie bspw. Geschlecht sowie den strukturellen bzw. migrationspolitischen Rahmenbedingungen in Deutschland ergeben können aber nicht zwingend müssen. Von Fachkräften erfordert dies unter anderem, dass sie in der Lage sind, ihre eigene Haltung, ihren pädagogischen Alltag bzw. vor allem die Alltagssituation der jungen Menschen systematisch auf Unterschiedlichkeit und Machtverhältnisse und sich daraus ergebende spezifische Bedarfe z. B. im Hinblick auf Geschlecht zu reflektieren. Hierzu braucht es Kenntnisse über lokale und globale Strukturen, politische 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 103

42 Magazin Diskurse und rechtliche Rahmenbedingungen bzw. damit einhergehende, strukturell verankerte Macht- und Dominanzverhältnisse aber vor allem auch Zeit, Ressourcen und starke Netzwerke, um sich über das Alltagsgeschäft hinaus zu informieren, zu solidarisieren, auszutauschen und Gehör zu verschaffen. Die zweite Fachtagung Unbegleitete geflüchtete Mädchen in erzieherischen Hilfen war ein solcher Resonanz- und Austauschraum, auf dessen Nachhall wir jedenfalls gespannt sein dürfen. Das Tagungsprogramm und weitere Informationen finden Sie auf der Webseite: tagung-unbegleitete-gefluechtete-maedchen Lisa Albrecht, wissenschaftliche Referentin der IGfH, Abschlusskonferenz des Projekts Netzwerk Kinder von Inhaftierten am in Berlin Das Projekt Netzwerk Kinder von Inhaftierten kvi 1 geht auf das Engagement von treffpunkt e.v. in Nürnberg und dort insbesondere auf die Initiative der Geschäftsführerin Hilde Kugler zurück, die früher selbst in einer JVA gearbeitet hat und sich seit nunmehr 30 Jahren um das Schicksal von Kindern Inhaftierter kümmert. Unterstützt wurde das Projekt vom Paritätischen Gesamtverband und finanziert von der Stiftung Deutsche Jugendmarke (s. Ein zehnköpfiger Beirat hat das Projekt begleitet. Ca. 30 Teilnehmer*innen aus Justiz und Jugendhilfe trafen sich zu dieser Abschlusskonferenz in der Bayerischen Landesvertretung. In Fachbeiträgen von Claudia Kittel (Deutsches Institut für Menschenrechte), Justina Dzienko (Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern) und Jörg Jesse, einem Mitautor der Empfehlungen des Europarats zum Thema, wurden zunächst verschiedene Etappen der Bearbeitung des Themas als Rahmung des Projekts vorgestellt: Die UN-Kinderrechtskonvention (1989) insbes. Art. 3 und S. lien/netzwerk.html 2 S. a. Judith Feige: Kontakt von Eltern zu ihren inhaftierten Eltern Einblicke in den deutschen Justizvollzug, hrsg. vom DIM, 2019: institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_ Die Coping-Studie zur Situation von Kindern Inhaftierter, die in Schweden, Rumänien, England und Deutschland 2012 durchgeführt wurde und in der treffpunkt e.v. für Deutschland federführend tätig war. 3 Die Empfehlung CM/Rec (2018)5 zu Kindern Inhaftierter des Ministerrats des Europarats vom 4. April 2018, der insgesamt 56 Einzelempfehlungen zur Stärkung der Rechte der Kinder inhaftierter Eltern umfasst. 4 Den Abschlussbericht Kinder von Inhaftierten der AG des Strafvollzugsausschusses der Justizministerkonferenz, der im September 2019 vorgelegt wurde und von der Justizministerkonferenz auf ihrer Herbstsitzung 2019 zur Kenntnis genommen wurde. Dieser Bericht bezieht sich unmittelbar auf die Empfehlung des Europarats. In Deutschland sind ca Kinder und Jugendliche von der Inhaftierung eines Elternteils betroffen. Das Ergebnis der Coping-Studie war, dass drei Viertel von ihnen z.t. gravierende negative Folgen aus dieser Erfahrung davontragen. Die Inhaftierung eines Elternteils ist also eine erkennbar in vielen Dimensionen sehr belastende Situation für junge Menschen: in der Beziehung zu ihren Elternteilen, in den Kontakten zum inhaftierten Elternteil, in Beziehung auf Stigmatisierungen und den Umgang in ihren peer-bezügen und institutionellen Bezügen (Kita, Schule, Jugendhilfe ). Daraus ergibt sich ein dringender Handlungsbedarf, der zumindest die beiden Bereiche Justiz und Kinder- und Jugendhilfe fordert. Im Hinblick auf den Strafvollzug gibt es teils sehr engagierte Wahrnehmungen der Probleme und vielfältige Anstrengungen im Rahmen der engen Grenzziehungen zu neuen Lösungen und Konzepten zu kommen. Aber es gibt natürlich auch Widerständigkeiten, Beharrlichkeiten eingefahrener Routinen. Die Anstrengungen beziehen sich vor allem auf die Zeitdauer und -flexibilität von Besuchen, auf die Arrangements der Besuchsabläufe, auf die Frage, was denn getan werden kann, damit die Kinder bei den upload/publikationen/analyse/analyse_kinder_ Inhaftierter_barrierefrei.pdf 3 S. ergebnisse.html 4 ma/16808edc9b 104 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

43 Magazin Besuchen auch mit ihren Interessen zur Geltung kommen, auf die Möglichkeit von Kindern, mit inhaftierten Elternteilen zu telefonieren... Aber es gibt natürlich viele Notwendigkeiten, die nicht von den JVAs primär gestaltet werden können, sondern bei denen die Kinder- und Jugendhilfe konkret gefordert ist: kindgerechte Informationen für Kinder 5, Vorbereitungen und Begleitungen von Elternkontakten in JVAs, Beratungsarbeit, peer-gruppen-angebote Das Projekt Netzwerk Kinder von Inhaftierten hat sehr überzeugende Pionierarbeit für die bereichsübergreifende Kooperation von Justiz und Jugendhilfe geleistet. Es war ein wichtiger Schritt nach vorne im Hinblick auf das, was sich in den letzten Jahren europaweit, aber auch in Deutschland zur Frage der Rechte von Kindern Inhaftierter entwickelt hat. Und dennoch bleiben es, wie Jörg Jesse es formulierte, immer noch weite Wege vom Konjunktiv zur Tat. Die Vernetzungsstruktur von bisher 89 Kooperationspartner*innen, der Newsletter (3 x jährlich), die Projektdatenbank (derzeit 182 Projekte) und die Beratungsarbeit all das sind wichtige Impulse im Engagement für die Stärkung der Rechte von Kindern Inhaftierter, die fortgesetzt werden müssen. Dies muss auf Dauer gestellt werden als Teil der bundesweiten Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe sprich als Teil einer Infrastrukturförderung aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes. Gegen Ende der Veranstaltung wurde hervorgehoben, dass auch die BAG Landesjugendämter und die Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) sich mit Empfehlungen und Beschlüssen in diese notwendige Diskussion einbringen müssen. Regionale Disparitäten und nicht zur Verfügung gestellte Mittel für niedrigschwellig erreichbare Unterstützungsangebote im Umfeld und im Kontext von JVAs sind die insbesondere zu überwindenden Hürden auf dem vor uns liegenden Weg. Was nicht Thema war, aber m.e. bedenkenswert ist: Nehmen wir in den Hilfen zur Erziehung eigentlich die spezifische Situation von Kindern Inhaftierter wahr und geben die notwendige Unterstützung? Bisher scheint mir 5 Die Bundeszentrale für politische Bildung hat z. B. in ihrem Portfolio das empfehlenswerte Buch Im Gefängnis aus dem Klett-Cotta Verlag; Band ihrer Schriftenreihe das Thema auch in diesem Arbeitsfeld noch nicht so richtig angekommen zu sein. Norbert Struck, norbert-struck@t-online.de Forschungsnotiz Das Forschungsprojekt Aufwachsen und Alltagserfahrungen von Jugendlichen mit Behinderung Seit Inkrafttreten des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen 2017) im Jahr 2009 ist Inklusion nicht mehr nur eine gesellschaftliche Herausforderung, sondern auch rechtlich bindend. Inklusion beschränkt sich dabei nicht auf den schulischen Bereich (Art. 24 UN -BRK), sondern umfasst auch die Teilhabe am politischen bzw. öffentlichen Leben (Art. 29) sowie die Teilhabe an Kultur, Erholung, Freizeit und Sport (Art. 30). Dazu sollen die unterzeichnenden Staaten zudem Daten sammeln, anhand welcher die im Übereinkommen geforderten Belange durchgesetzt werden können (Art. 31). Der momentan laufende Bundesteilhabesurvey geht einen wichtigen Schritt zur Schaffung von Daten für die Lebenswelten der Bevölkerung mit Behinderung ab 16 Jahren (Schröder u. a. 2017). Im Rahmen dieses Surveys werden zwischen 2018 und 2020 im Auftrag des BMAS etwa Personen befragt (ebd.), jedoch bleiben Fragen zu den altersspezifischen Belangen Jugendlicher offen. Andere Forschungsprojekte zu Jugendlichen mit Behinderungen beschränken sich derzeit hauptsächlich auf den Bildungsbereich oder auf die Förderung bzw. Rehabilitation aus dem jeweiligen Strang der etablierten Sonderpädagogiken (Gaupp 2017). Für die allgemeine insbesondere quantitative Jugendforschung gilt die Zielgruppe der Jugendlichen mit Behinderung häufig als schwer erreichbar oder nicht befragbar, was mitunter mit dem Fehlen geeigneter Instrumentarien und Methoden begründet wird (Schütz u. a. 2017). Gleichwohl wird Wissen über soziale Beziehungen, die Freizeitgestaltung oder Verselbstständigung Jugendlicher mit Behinderungen benötigt, um weitere Schritte für Inklusion und Teilhabe einzuleiten. Diese Forschungslücke versucht die derzeit am Deutschen Jugendinstitut laufende und 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 105

44 Magazin wortung der Fragebogen auf die persönlichen Assistenzen der Jugendlichen zurückgegriffen werden (vgl. Brodersen u. a. 2019). Insgesamt wird die Studie von mehreren Fragen geleitet, die bislang nicht in der gängigen Forschungsliteratur beantwortet wurden. Neben soziodemografischen Daten und Angaben zu Formen der Behinderung fokussiert die Untersuchung vier in der Jugendforschung gängige Themenfelder: Freizeit, Freundschaften und Peerbeziehungen, Autonomie und subjektive Zufriedenheit. Bei der Entwicklung der Fragen wurde darauf geachtet, Themen und Diskussionen innerhalb der Jugendforschung aufzugreifen. Der Fragebogenentwicklung ging daher eine Sichtung und Analyse der Erhebungsinstrumente anderer, großer Jugendstudien voran (z. B. Shell-Jugendstudie, KiGGS, AID:A, Jugend.Leben oder der Jugendstudie Baden-Württemberg), um die Anschlussfähigkeit an aktuelle Diskussionen in der Jugendforschung gewährleisten zu können. Gleichzeitig wurden inhaltliche Anpassungen vorgenommen, die die Besonderheiten des Aufwachsens und Alltagserlebens zielgruppenspezifisch aufgreifen. Neben Fragen zum außerschulischen Zeitbudget, das beispielswiese durch therapeutische oder medizinische Termine eingeschränkt sein kann, werden kulturelle, mediale und sportliche Freizeitaktivitäten abgefragt. Auch die Feriengestaltung und der Einbezug in inklusive bzw. behinderungsspezifische Freizeitangebote findet Beachtung. Es ist zu erwarten, dass mit den erhobenen Daten Erkenntnisse zur Nutzung von institutionellen Angeboten bzw. Bedarfen gewonnen werden und daraus Hinweise für die Fachpraxis abgeleitet werden können, wie entsprechende Angebote passgenau entwickelt oder Teilnahmebarrieren abgebaut werden können. Sowohl in der Freizeitgestaltung als auch im schulischen Kontext sind für Jugendliche Peerbeziehungen von zentraler Bedeutung. Besonders interessiert hier die Zusammensetzung des Freundeskreises. Dabei sind mögliche Auswertungsperspektiven nicht nur das Vorhandensein bzw. das Knüpfen von Freundschaften, auch mögliche negative bzw. diskriminierende Erfahrungen und deren Quellen sind Bestandteil der Befragung. Zunehmende Autonomie ist ein wichtiges Kennzeichen des Jugendalters. Möglicherweise wird diese Entwicklung bei Jugendlivon der Baden-Württemberg Stiftung finanzierte Jugendstudie Aufwachsen und Alltagserfahrungen von Jugendlichen mit Behinderung zu schließen. Aus der Grundhaltung, Jugendliche mit Behinderungen zunächst als Jugendliche und nicht als behinderte junge Menschen zu betrachten, wird der Blick auf die persönlichen Erfahrungen von Jugendlichen mit Behinderungen in ihren außerschulischen Alltagswelten gerichtet. In dieser Studie werden Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) in mindestens einem der Bereiche Sehen, Hören, Sprache, Lernen, körperliche und motorische Entwicklung, emotionale und soziale Entwicklung sowie geistige Entwicklung befragt. Zu jedem der Förderbereiche soll eine ausreichend große Fallzahl in die Stichprobe aufgenommen werden, um Binnenvergleiche und Differenzierung nach den festgestellten Förderbedarfen vornehmen zu können. Die Rekrutierung erfolgt über 60 Förderschulen und 30 inklusive Regelschulen in den drei Bundesländern Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen; insgesamt sollen etwa Jugendliche an der Befragung teilnehmen. Gleichzeitig gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass aufseiten der Jugendlichen individuelle Möglichkeiten zur Befragungsteilnahme durchaus unterschiedlich sind, sodass für diese Jugendstudie umfangreiche methodische Anpassungen vorgenommen wurden. Aufbauend auf den Erkenntnissen der zweijährigen DFG-geförderten Methodenstudie zur Entwicklung inklusiver quantitativer Forschungsstrategien in der Jugendforschung am Beispiel von Freundschaften und Peerbeziehungen von Jugendlichen mit Behinderungen ( wurden Befragungsinstrumente entwickelt, durch die möglichst viele Jugendliche an der Erhebung beteiligt werden können: Ein standardisierter Paper-Pencil-Fragebogen im Klassensetting, persönlich-mündliche oder telefonische Interviews mit Varianten des Fragebogens, die teilweise komplexitätsreduziert sowie individuell situativ kürzbar sind. Dabei gilt stets, den Befragungsmodus an die spezifischen Bedarfe, Fähigkeiten und Ressourcen der befragten Jugendlichen anzupassen, d. h., es können Mittel der unterstützen Kommunikation zum Einsatz kommen, Interviews in Deutscher Gebärdensprache geführt werden oder bei der Beant- 106 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

45 Magazin chen mit Behinderung jedoch durch Schwierigkeiten mit Mobilität, Barrieren in der Mediennutzung, finanzielle Restriktionen oder auch (Über-)Fürsorglichkeit von Familienmitgliedern und anderen Erwachsenen eingeschränkt. Die Ablösung von der Familie und die Hinwendung zu Peers auch im Bereich Sexualität und Partnerschaft stellt sich möglicherweise bei Jugendlichen mit Behinderung anders dar. Zuletzt sind Zufriedenheit und subjektives Wohlergehen ein wichtiger Themenbereich der Studie. Die Befragung zielt nicht nur auf die Erfassung der Alltags- und Freizeitpraxen der Teilnehmenden ab, sondern die Jugendlichen werden in Ergänzung dazu jeweils um eine subjektive Positionierung zu ihren Angaben gebeten. Darüber hinaus werden Fragen zur beruflichen Zukunftsgestaltung Aufschluss darüber geben, ob und inwieweit die befragten Jugendlichen mit Behinderung ihre Zukunft optimistisch oder eher pessimistisch einschätzen. Durch diese Befragung wird die Lebenssituation Jugendlicher mit Behinderung erstmals überregional aus dem Blickwinkel der Jugendforschung beleuchtet. Diese Jugendstudie legt somit einen wichtigen Grundstein in der Sozialberichterstattung, die bislang diese Personengruppe kaum fokussiert, und kann die gesellschaftliche Sensibilisierung für die Belange von Jugendlichen mit Behinderung steigern. Binnendifferenzierungen nach Kategorien wie Region (städtisch/ländlich), Wohn- bzw. Schulformen sowie Form der Beeinträchtigung lassen tieferliegende Bedarfe erkennen, die einen möglichen Ansatzpunkt für Veränderungsprozesse bilden. Auch bereits erreichte Erfolge hinsichtlich Inklusion und Gleichberechtigung können abgebildet werden. Die Frage, in welchen Lebensbereichen Teilhabe bereits möglich ist oder aber Barrieren bestehen, dient vor allem der Weiterentwicklung jugend-, sozial- und inklusionspolitischer Konzepte, beispielsweise von inklusiven Schul- und Unterrichtsformen und Unterstützungsleistungen für Jugendliche mit Behinderung und ihre Angehörige. Weitere Informationen zum Projekt Aufwachsen_mit_Behinderung Literatur Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen (Hrsg.) (2017): Die UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Amtliche, gemeinsame Übersetzung von Deutschland, Österreich, Schweiz und Lichtenstein. Berlin. Brodersen, F./Ebner, S./Schütz, S. (2019): How to? Methodische Anregungen für quantitative Erhebungen mit Jugendlichen mit Behinderung. Erkenntnisse aus dem Projekt Inklusive Methoden. München. Gaupp, N. (2017): Diversitätsorientierte Jugendforschung Überlegungen zu einer Forschungsagenda. In: Soziale Passagen, 9. Jg., Heft 2, S Schröder, H./Steinwede, J./Schäfers, M./Kersting, A./ Harand, J. (2017): Repräsentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Zwischenbericht. Schütz, S./Brodersen, F./Ebner, S./Gaupp, N. (2017): Wie inklusiv ist die empirische Jugendforschung? Aktuelle deutsche Jugendstudien und die Dimension Behinderung. In: Laubenstein, D./Scheer, D. (Hrsg.): Sonderpädagogik zwischen Wirksamkeitsforschung und Gesellschaftskritik. Bad Heilbrunn, S Jahrgang 2020, HEFT 2 107

46 Magazin Portrait Portrait: Beate Naake Beate Naake ist Professorin für Recht und Verwaltung an der Evangelischen Hochschule Dresden und Mitglied im Vorstand des Deutschen Kinderschutzbundes Bundesverband e. V. (DKSB). Wir treffen uns bei Kaffee und Kuchen in ihrem Büro in der Hochschule für ein ausführliches Interview. Kennengelernt haben wir uns vor Jahren bei der Emeritierung von Ullrich Gintzel und danach immer mal wieder Gelegenheiten wahrgenommen, uns zu treffen und auszutauschen. Beate Naake ist am in Riesa in Sachsen auf die Welt gekommen. Ihre ältere Schwester war da schon 6 Jahre alt, ihre jüngere Schwester vervollständigte 1975 die Familie Naake. Die Mutter war zunächst Kindergärtnerin ihren Studienwunsch konnte sie sich vorerst nicht erfüllen, da sie hierfür kein Stipendium bekam. Erst nach ihrer Heirat hat sie ab 1968 an der Pädagogischen Hochschule Dresden studieren können und wurde nach Abschluss des Studiums Lehrerin an einer Polytechnischen Oberschule in Dresden. Der Vater war zunächst Maurer, hat aber später an einer Abendschule das Abitur nachgemacht, dann in Leipzig studiert und seinen Abschluss als Bauingenieur gemacht. Die Familie lebte zunächst in Riesa. Als Beate 2 Jahre alt war, ist die Familie in ein Haus am Stadtrand von Dresden gezogen, wo Beate dann aufgewachsen ist und eine sehr glückliche Kindheit verlebt hat. Schon mit 8 Wochen kam sie in eine Krippe, später ging sie in den Kindergarten sie hat also entschieden frühe Jugendhilfe-Erfahrungen gemacht. Und sie erinnert sich an eine sehr, sehr nette Erzieherin in ihrem Kindergarten. Nachmittags hat sie aber sie meiste Zeit in der häuslichen Umgebung mit ihren Schwestern und den Nachbarkindern verbracht wurde sie dann eingeschult. Auch hier ging sie nachmittags nicht in den Hort, sondern nach Hause der Hort war für die armen Mitschüler, die dort hin mussten - sodass ihre gute Spielkindheit am dörflichen Stadtrand weiterging. Die häusliche Umgebung bot noch einen besonderen Reiz durch ein mit der Familie befreundetes älteres Ehepaar, das Beate quasi als Enkelersatz in sein Herz geschlossen hatte. Für Beate ein Großelternzusatz, von dem sie viel Zuwendung, Anregung und Unter- stützung erhielt. Zu ihrem großen Glück waren das völlig konkurrenzfreie Arrangements sowohl im Hinblick auf die beiden Familien wie auch im Hinblick auf ihre beiden Schwestern. Klein und zierlich wie sie am Anfang der Schulzeit war, fühlte sie sich in der Schule oft überfordert. Ein Lehrerinnen-Wechsel trug mit dazu bei, dass sich das änderte. Ab da war die Schule kein Problem mehr und alles wurde besser. Ab der 5. Klasse gab Beate dann bereits Nachhilfestunden: sie konnte gut erklären. In ihrer Klasse waren relativ viele Heimkinder aus einer nahe gelegenen Einrichtung. Sie erinnert sich noch an eine Szene, die sie damals sehr berührt hatte: Eine Mutter wartete an einer Haltestelle in der Nähe der Schule, nur um ihre 3 Kinder, die im Heim untergebracht waren, mal aus der Ferne sehen zu können. Beate fand das entwürdigend und ungerecht. Erst bei einem viel späteren Klassentreffen hat sie dann Berichte von Gewalt und Übergriffen in dem Heim erfahren. Damals hatte sie davon noch nichts mitbekommen beendete sie dann die POS und wechselte für zwei Jahre bis zum Abitur auf die Erweiterte Oberschule: ein totaler Glücksfall für sie! Ihre junge Lehrerin kam aus der studentischen Opposition in Jena. Ihr war das Medizinstudium verweigert worden und so hatte sie Russisch und Englisch für das Lehramt studiert. Sie sprühte vor Engagement für Freiheit, Demokratie und Offenheit und hielt die Schüler*innen zu kritischem Denken an. Auch der Zusammenhalt unter den Schüler*innen war eng und von häufigen Demo-Teilnahmen mitbestimmt. Dadurch erlebte Beate die Wendezeit als eine ganz tolle Zeit. Ihre Eltern waren in den Bewegungen nicht aktiv beteiligt, standen ihr aber aufgeschlossen gegenüber. Ihre Mutter blieb Lehrerin, der Vater hatte auch nach kurzen Friktionen bald wieder eine feste Stelle als Bauingenieur gefunden: Glück gehabt! So stand Beate nach dem Abi, 1991, vor einer Situation völliger Wahlfreiheit. Sie entschied sich gegen ihren alten Berufswusch, Mathematiklehrerin zu werden. Nach einem 8-wöchigen Praktikum in einer Hamburger Anwaltskanzlei (Hamburg war Partnerstadt Dresdens) entschied sie sich für ein Jura-Studium an der neu aufgebauten TU Dresden eine Option, auf die sie zu DDR-Zeiten niemals gekommen wäre legte sie dann ihr 1. Staatsexamen ab und arbeitete danach am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- Gesellschafts- und Wirtschafts- 108 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

47 Magazin recht hat Beate ihr 2. Staatsexamen abgelegt und ließ sich in einer Bürogemeinschaft als Rechtsanwältin für Arbeits- und Sozialrecht nieder. Im selben Jahr sind sie und ihr Mann in ein Haus in Dresden gezogen, das sie sich mit viel Eigenarbeit und viel Familienunterstützung ausgebaut hatten. Zum Haus gehört Beates heiß geliebter wilder Garten, der ein gutes Stück ihrer Lebensqualität ausmacht kam dann Elsa auf die Welt, ihr folgte Tobias 2007 und mit etwas Abstand 2013 Stella. Schon seit etwa 1998 hatte Beate immer mal wieder Lehraufträge unter anderem für die Evangelische Hochschule Dresden (ehs) übernommen. Das hatte ihr gleich Spaß gemacht, die alte Freude am Lehren war sofort wieder erwacht. Später übernahm sie auch einige Lehrverpflichtungen in berufsbegleitenden Studiengängen. Auch in der Konfrontation mit den rechtlichen Unterstützungsbedarfen, die die Studierenden aus der Praxis an sie herantrugen, erweiterte sie ihre Rechtsgebiete immer wieder. Ab 2003 übernahm sie dann auch vermehrt Mandate aus im Bereich Pflege- und Krankenversicherungsrecht. Sie engagierte sich ehrenamtlich in HARTZ-IV-Beratungen, bei einem Frauenbildungszentrum und dem Ortsverband Dresden des DKSB und machte wichtige, aber auch bedrückende Erfahrungen mit Menschen, denen durch die gesellschaftlichen Umbrüche manchmal früh jede Lebensperspektive verloren gegangen zu sein schien wurden dann an der ehs Professuren ausgeschrieben, u.a. eine Juraprofessur. Seit 2008 ist sie jetzt hier Professorin und die Arbeit speziell die Lehre - macht ihr Spaß! Für die ehs leitet sie auch das Weiterbildungsinstitut SOFI. Über diese Tätigkeit gab es eines Tages einen Kontakt zu Heinz Hilgers, dem Präsidenten des DKSB, der für eine Veranstaltung als Referent gewonnen worden war. Sie fand ihn und sein Engagement so beeindruckend, dass sie dann auch Mitglied im DKSB-Ortsverband Dresden wurde. Irgendwann wurde sie dann von Heinz Hilgers angefragt, ob sie sich nicht vorstellen könne, im Bundesvorstand des DKSB mitzuarbeiten. Sie fand das sofort spannend. Sie befand sich gerade zum ersten Mal in ihrem Leben in einer Elternzeit nach der Geburt von Stella im Januar 2013 und sagte zu. Im Mai 2013 war ich dann in München dabei, als Beate in den Bundesvorstand gewählt wurde zur Erheiterung aller immer mal wieder mit Stella auf dem Arm. Ihr Glück war, dass sowohl die Hochschule wie auch ihre Familie sie bei der Arbeit und der Inanspruchnahme, die ein solches Amt mit sich bringt, kräftig unterstützt haben. Die Hochschule erkannte die Synergieeffekte dieses Engagements an und die Kinder fanden die zeitweiligen Familienausflüge nach Berlin, wenn Beate in die Bundesgeschäftsstelle musste, recht spannend. Im DKSB verfasst Beate Stellungnahmen, insbesondere zu familienrechtlichen und -gerichtlichen Fragestellungen im Gesetzgebungsverfahren und vertritt den Verband in der National Coalition, die sich für die Umsetzung der UN -KRK einsetzt. In ihrer Auseinandersetzung mit den verschiedensten Praxiserfahrungen hat sich in ihr die Überzeugung gefestigt, dass Recht einen hohen Gebrauchswert für die Soziale Arbeit haben kann, auch wenn für manche werdende Fachkräfte die Zugänge zunächst recht sperrig erscheinen. Die zu überwinden zu helfen ist ihre Berufung als Hochschullehrerin für das Recht der Sozialen Arbeit und immer wieder im Zentrum: die Rechte von Kindern! Norbert Struck 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 109

48 IGFH-Informationen Plattform für eine innovative Kinder- und Jugendhilfe in Zeiten von Corona Unter steht Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe ab sofort eine neue Online-Plattform zur Verfügung: Forum Transfer enthält aktuelle Hinweise und Empfehlungen sowie fachlich systematisierte Beispiele guter Praxis, wie die Arbeitsfähigkeit der Kinder- und Jugendhilfe in der Situation der Corona-Pandemie aufrechterhalten und auch für die Zeit danach weiterentwickelt werden kann. Als Kommunikationsbörse basiert die Plattform darauf, dass Fachkräfte ihre Erfahrungen, neue Ansätze und Methoden als Beispiele einbringen. Das Institut für Sozialpädagogische Forschung (ism) in Mainz hat die Plattform zusammen mit Kolleg*innen und weiteren Expert*innen der Kinder- und Jugendhilfe von der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH), dem Deutschen Institut für Jugendhilfe- und Familienrecht (DIJuF) und der Universität Hildesheim aufgebaut. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) unterstützt und fördert die Plattform. Ein zentrales Kennzeichen der Kinder- und Jugendhilfe ist, dass sie in all ihren Handlungsfeldern auf sozialen Kontakten und Interaktionen aufbaut. In der aktuellen Situation ist allerdings die Veränderung der Sozialkontakte der einzige wirksame Weg zur Eindämmung der Corona-Pandemie, mit erheblichen Auswirkungen für die Arbeitsweisen der Kinder- und Jugendhilfe. Die Kinder- und Jugendhilfe muss sich daher auch neu erfinden. Sie eröffnet viele Wege, um junge Menschen und Familien weiter gerade jetzt in der Corona-Zeit in den ganz unterschiedlichen Lebenslagen zu unterstützen und in Krisen zu intervenieren. Dabei entstehen an vielen Orten neue Ansätze und wertvolle Methoden, Verfahren und auch Richtlinien vielfach digital, aber nicht nur. Gerade jetzt, in diesen Corona -Zeiten, benötigen Fach- und Leitungskräfte der Kinder- und Jugendhilfe Austausch und Unterstützung, um rasch neue Ansätze erproben zu können und Erfahrungen miteinander zu teilen. Nicht an jedem Ort muss alles neu erfunden werden. Deshalb startete am die Kommunikations- und Transferplattform www. forum-transfer.de mit aktuellen Hinweisen und Empfehlungen sowie fachlich systematisierten Beispielen guter Praxis, wie die Arbeitsfähigkeit der Kinder- und Jugendhilfe unter den Bedingungen der Corona -Pandemie und für die Zeit bis zu einer wiederkehrenden Routine gesichert und weiterentwickelt werden kann. Die Themen und Felder der Kinderund Jugendhilfe, zu denen Sie hier Informationen finden, werden schrittweise ausgeweitet und kontinuierlich mit Inhalten gefüllt. Dazu brauchen wir Ihre Mithilfe! Liebe Fachkräfte und Verantwortliche in der Kinder- und Jugendhilfe, machen Sie mit! Bitte nutzen Sie als Fach- oder Leitungskraft die Plattform als Kommunikationsbörse, indem Sie uns Ihre Hinweise und drängendsten Fragen mitteilen. Schicken Sie uns Beispiele guter Praxis, Ihre Tipps, Hinweise auf Methoden und Verfahren und Ihre Erfahrungen, damit wir diese anderen Kolleg*innen zur Verfügung stellen können. Gestalten Sie die Plattform mit, um gemeinsam für die jungen Menschen und Familien eine krisenfeste Kinder- und Jugendhilfe abzusichern und zu schaffen! Schreiben Sie an forum-transfer.de. In einem Newsletter, für den Sie sich anmelden können, werden wir Sie regelmäßig über neu eingestellte Informationen informieren. Machen Sie bitte aktiv mit! Zusammen finden wir neue Lösungen und zeigen, was wir fachlich können. Wir können viel voneinander und miteinander lernen. Gemeinsam sind wir schneller und besser auch über die aktuelle Krise hinaus. Eine eigene, vor der Transfer-Webseite publizierte Zusammenstellung der IGfH zum Themenkreis Jugendhilfe und Corona, die auch am in einem ForE Online Sondernewsletter publiziert wurde, findet sich nun auch online auf folgender Infoseite der IGfH: Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

49 internationales Vormundschaft (für umf) in den Niederlanden Robin Loh In diesem Beitrag liegt der Fokus auf Vormundschaft in den Niederlanden für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Die Arbeit der Vormundschaft wird basierend auf einem Interview vorgestellt. Der Bereich Vormundschaft hat in den letzten Jahren europaweit an Bedeutung gewonnen, auch durch die minderjährigen geflüchteten Kinder und Jugendlichen, die ohne Begleitung ihrer Sorgeberechtigten Schutz in Europa such(t)en. Trotz europaweiter und damit grenzen-überschreitender Relevanz haben die Vormund*innen (guardians) oder gesetzlichen Vertreter*innen (legal representatives) je nach Land unterschiedliche Aufträge und Funktionen. 1 Europaweit gibt es somit keine einheitliche Definition und Handhabe für Vormundschaft (guardianship). Ziel des European Guardianship Network (EGN) ist es deshalb, die interdisziplinäre Zusammenarbeit von nationalen wie europäischen Akteuren*innen im Bereich Vormundschaft für umf zu fördern und zur Qualitätsentwicklung bzw. zum Wissens- und Erfahrungsaustausch beizutragen. Seit 2019 gehört auch das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft dem Netzwerk an. 2 Tin Verstegen ist Leiter von Nidos, einer Organisation, die für sämtliche Vormundschaften unbegleiteter Minderjähriger in den Niederlanden zuständig ist und gleichzeitig das EUgeförderte Projekt zum Aufbau eines European Guardianship Network koordiniert. Mit ihm sprach Robin Loh aus Deutschland: 1 vgl. FRAU (Hrsg.) (2015): Guardianship systems for children deprived of parental care in the European Union, S Webseite des EGN: Materialien online unter: eu/ Kurzinterview mit Tin Verstegen Interviewer: Herr Verstegen, wer übernimmt in den Niederlanden die Vormundschaft für unbegleitete Minderjährige? Verstegen: In den Niederlanden übernimmt grundsätzlich Nidos die Vormundschaft für unbegleitete Minderjährige, eine Organisation, die sich aus qualifizierten Vormund*innen zusammensetzt. Das Familiengericht bestellt Nidos als Vormund*in, sobald ein*e unbegleitete*r Minderjährige*r in den Niederlanden einreist. Somit stehen wir den jungen Menschen vom ersten Tag an als Vormund*in zur Verfügung. Mittlerweile sind wir für über 4000 Kinder und Jugendliche zuständig. I: Und gibt es bestimmte Voraussetzungen, um bei Ihnen Vormund*in zu werden? V: Ja, sämtliche Vormund*innen müssen zumindest einen Bachelor in Sozialer Arbeit vorweisen. Zusätzlich zum Bachelor bieten wir für unsere Mitarbeitenden im ersten Jahr einen viertägigen Kurs zum Thema Auslandsrecht und eine zehntägige Indoor-Fortbildung ( methodology of Nidos-guardianship ) an. Darüber hinaus bieten wir spezialisierte Kurse, z. B. zu Kinderhandel und sexuellem Kindesmissbrauch, an. I: Und wie kann man sich die Arbeit eine*r Vormund*in bei Nidos vorstellen? V: Die Vormund*innen haben dieselben Aufgaben und Pflichten wie Eltern in den Niederlanden. Sie 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 111

50 internationales sind die rechtlichen Vertreter*innen. Sie kümmern sich darum, dass die Minderjährigen ggf. eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt erhalten und gut auf das Interview beim Dutch Immigration Office vorbereitet werden. Sie achten auch darauf, dass ihre Mündel adäquat untergebracht, sie medizinisch versorgt sind und vom ersten Tag an die Schule besuchen. Des Weiteren sind sie dafür verantwortlich, dass ihre Familie wo möglich beteiligt wird und sich die Minderjährigen gut in die Gesellschaft integrieren. I: Das hört sich nach viel Verantwortung an. Und für wie viele Minderjährige ist ein*e Vormund*in zuständig? V: Eine Vollzeitkraft ist für 20 Kinder zuständig. Der oder die Vormund*in pflegt mindestens einmal im Monat Kontakt zum Kind. Neben den Kontakten zum Kind steht der oder die Vormund*in als fallverantwortliche Person ( case manager ) im regelmäßigen Austausch mit der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt, der Schule, den Sozialarbeiter*innen in den Einrichtungen/den Pflegeeltern und dem Immigration Officer. Die Vormund*innen arbeiten auch im Team. Sie diskutieren ihre Entscheidungen mit ihren Kolleg*innen, berichten ihren Vorgesetzten und schaffen somit Transparenz. I: Sehr interessant. Nun mal eine ganz andere Frage: Haben Sie auch unterschiedliche Formen von Vormundschaft wie in Deutschland? V: Nein, in den Niederlanden gibt es nur diese Form der Vormundschaft. I: Und gibt es Unterschiede in der Vormundschaft von unbegleiteten Minderjährigen und niederländischen Minderjährigen? V: Nein, hier gibt es keine Unterschiede. Es gelten dieselben Kinderrechte für Minderjährige, unabhängig ihrer Herkunft. Für die niederländischen Minderjährigen sind lokale Organisationen zuständig. Wir sind für alle unbegleiteten Minderjährigen zuständig, die in die Niederlande kommen. Es gelten aber dieselben Rechte und Pflichten. I: Nun noch eine abschließende Frage zum European Guardianship Network. Warum braucht es dieses Netzwerk und worin liegen die Vorteile einer Mitgliedschaft? V: Wir sind der Auffassung, dass Vormund*innen in ganz Europa voneinander lernen können. Die Führung der Vormundschaft von sowohl starken als auch schutzbedürftigen Kindern braucht besondere Expertise. Hierzu zählt beispielsweise auch kulturelle Sensibilität. Es ist sehr hilfreich, dass wir das Rad nicht immer wieder neu erfinden müssen. Es ist gut zu wissen, was gut und was weniger gut läuft. Durch unsere Erfahrungen können wir der Europäischen Kommission mitteilen, was im Bereich Vormundschaft in den jeweiligen Ländern passiert und was ggf. über Bestimmungen durch die EU geregelt werden muss. Des Weiteren wurden einige Tools und Handlungsempfehlungen entwickelt, von denen Vormund*innen in ganz Europa profitieren. Es ist gut, dass eine Organisation wie EGN diese Informationen bündelt und Qualifizierungen dort anbietet, wo sie gebraucht werden. Und schließlich sind die Treffen des European Guardianship Network ein Ort, wo man sich inspirieren lassen kann und neue Ideen und Unterstützung erhält. Wir können gemeinsam dafür sorgen, dass unsere Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit erhalten, sich ihren Potenzialen entsprechend zu entwickeln! Ausblick Das Interview zeigt anhand der Vormundschaft in den Niederlanden, wie unterschiedlich die Vormund*innen arbeiten. So sind Vormund*innen in den Niederlanden für nur 20 Kinder und Jugendliche zuständig, sind aber auch als case manager fallverantwortlich und übernehmen Aufgaben, die in Deutschland vorwiegend Mitarbeitende im Allgemeinen Sozialen Dienst übernehmen. Deutschland hebt sich durch die vielfältige Vormundschaft mit ihren vier Säulen (Amts-, Vereins-, Berufsund ehrenamtliche Vormundschaft) und durch die Möglichkeit einer Pflegschaft hervor. Nicht ganz unumstritten ist die Frage der Qualifikation von Vormund*innen als Voraussetzung zur Führung einer Vormundschaft. Seien wir gespannt, wie sich die Vormundschaft in Europa weiterentwickelt und welchen Beitrag das European Guardianship Network hierzu leistet. Robin Loh, Referent im Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft, robin.loh@vormundschaft.net 112 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

51 Diskussion Der Konstruktionsprozess der Schwierigen das Beispiel der sogenannten Systemsprenger*innen Friedhelm Peters Der nachfolgende Beitrag geht der Frage nach, auf welchen Konstruktionskonzepten die Rede von den sogenannten Systemsprenger*innen basiert. Die Konstitutionsprozesse einer neuen, abweichenden Identität der kritischen Soziologie und Kriminologie werden als Blaupausen für die Zuschreibungen und Karrieren der Rede von den Systemsprenger*innen benannt und der Autor zeigt die Funktionsweisen dieser Konstruktionen. Er sieht die Reklamation der Kinder- und Jugendhilfe für eine universelle Zuständigkeit in Krisen als Motor der immer wieder mit neuen Begrifflichkeiten auftauchenden Konstruktion der sogenannten Schwierigen. Definitionen abweichenden Verhaltens Erinnerung an Erkenntnisse der Etikettierungsansätze Ein Blick in die interaktionstheoretisch fundierte Kriminologie hilft zum Verständnis dessen, was heute in den sogenannten Systemsprenger*innen-Debatten vor sich geht. Howard S. Becker und Edwin Lemert gehören mit zu den ersten, die den Gesichtspunkt des,labelns zur Geltung und zum Kriterium von Devianz gemacht und zugleich ein spezifisches Karrieremodell eingeführt haben: Soziopathisches Verhalten ist Abweichung, die effektiv mißbilligt (sic!) wird (Lemert 1951: 23) bzw. Devianz ist nicht die Qualität einer Handlung, die eine Person ausführt, sondern vielmehr eine Konsequenz dessen, daß (sic!) andere Regeln und Sanktionen gegenüber einem,missetäter anwenden [ ]; abweichendes Verhalten ist Verhalten, das die Leute so etikettieren (Becker 1963: 9). Unter dem Begriff der sekundären Devianz (Lemert 1974) bzw. der devianten Karriere (Becker) sowie einem daran orientierten Verlaufsmodell fehlgeschlagener Interaktionen zwischen,abweichendem und diversen Umwelten werden Verläufe, die typische Stadien devianter Entwicklung bezeichnen, vorgestellt. Das Karrieremodell, der beruflichen Laufbahn nachgebildet, geht davon aus, [ ], daß (sic!) sich Verhaltensmuster in geordneter Abfolge entwickeln (Becker 1963: 23), wobei sich die Zuweisung eines devianten Status und der Erwerb entsprechender Qualifikationen bzw. Kompetenzen idealerweise verbinden. Dieser Ablauf [ ] wird entscheidend über die Zuschreibung und Sanktion durch signifikante andere [ ] und im besonderen (sic!) durch die offiziellen Kontrollinstanzen beeinflußt (sic!). Die Etikettierung und Sanktionierung einer [...]Verhaltensweise als,deviant wird zur Grundlage von Typisierungen und Erwartungen gegenüber dem so Definierten, die es diesem unmöglich machen, sich in der Interaktion mit anderen so zu verhalten,,als ob nichts geschehen wäre (Keckeisen 1974: 38). Lemert und in der Folge auch die anderen Karrieremodelle beschreiben den Konstitutionsprozess einer neuen, abweichenden Identität in der Sequenz von primärer Abweichung, gescheiterter Normalisierung und reaktiv sozialer Stigmatisierung. Lemert betont ausdrücklich, dass normalerweise zunächst versucht wird, die aus der primären Abweichung resultierenden Differenzen zwischen Individuen (oder Individuen und Kontrollin Jahrgang 2020, HEFT 2 113

52 diskussion mal wechseln (vgl. Rätz 2016:43), sie kulminieren aber immer wieder in der Annahme einer Unerziehbarkeit / Persönlichkeitsstörung bzw. Unerreichbarkeit und/oder Gefährlichkeit bzw. Gefährdetheit nebst strukturell immergleichen Forderungen, wie mit solchen Kindern umzugehen sei, nämlich sie an gesonderten Orten unterzubringen, wo sie dies wechselt auch manchmal einer Zwangserziehung unterworfen, als abnorme Personen psychiatrisch behandelt, inhaftiert oder in bootcamp-ähnlichen Einrichtungen diszipliniert werden sollen (vgl. Oelkers et al. 2013:161, FN 2). Doch zurück zur Konstruktion der sogenannten Systemsprenger*innen : Die Quintessenz der Argumentation bei Baumann u. a. ist nuancierend in den unterschiedlichen Veröffentlichungen entsprechend unterschiedlicher Zwecke im Prinzip immer gleich: Im Vordergrund stehen Personen, die die Praxis vor besondere Herausforderungen stellen, und die im ersten Schritt als Gruppe adressiert werden, da Einzelphänomene nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit rechnen können. Junge Menschen, die Systeme sprengen, zeigen aus der Sicht der Hilfesysteme oft gewaltförmige oder verfestigte selbst- und fremdverletzende Verhaltensmuster und/oder Drogen- und Substanzmissbrauch, massiv distanziertes und aversives Verhalten oder schwerste traumatische Erlebnisse auf. [...] Aus psychologischer bzw. psychiatrischer Perspektive weisen sie häufig Mehrfachdiagnosen auf [ ]. Es handelt sich um junge Menschen, die im besonderen Maße den,klassischen Risikofaktoren der Entwicklung ausgesetzt sind (Bolz/Albers/ Bauman 2019: 297). Nachdem so die Zielgruppe definiert und deren primäre Devianz unter Rückgriff auf Psychiatrie und Resilienzforschung,erklärt ist (vgl. Baumann 2016), erfolgt die Beschreibung der Verfestigung abweichenden Verhaltens nach obigem Muster: Systemsprenger*innen sind ein Hochrisiko-Klientel, welches sich in einer durch Brüche geprägten negativen Interaktionsspirale mit dem Hilfesystem, den Bildungsinstitutionen und der Gesellschaft befindet und dieses (Verhältnis F.P.) durch als schwierig wahrgenommene Verhaltensweisen aktiv mitgestaltet (Baumann 2014: 162). In diesem Prozess erfolgt über verschiedene Eskalationsstufen bei Baumann (2014) alltägliche Verhakung Konflikthäufung Verhärtung Konflikt-Ausstanzen F.P.) [ ] im Kontext bestehender Statusbeziehungen zu bewältigen. Diesen Vorgang nennt Lemert,Normalisierung. Er umfasst Interaktionen, in denen die auftretenden Differenzen [ ] wechselseitig als akzeptierte Variationen innerhalb des [...] Regelsystems bestätigt werden (Keupp 1972: 166). Erst wenn Abweichungen nicht mehr unter,normale Interaktionen subsumiert werden, tritt u.u. abhängig auch von den aktivierbaren Ressourcen der Stigmatisierungsprozess ein. Entscheidend in diesem Modell ist die Unterstellung einer primären, individuell (hier kommt dann im Jugendhilfekontext prominent die Psychiatrie ins Spiel) oder aus sozialen Verhältnissen zu erklärenden Abweichung, die sodann zu negativen Reaktionen führt. Wie im Alltagsverständnis wird im Kontext der Jugendhilfe implizit und intuitiv auf diese Modelle zurückgegriffen. Zur Verdeutlichung des Gemeinten greife ich im Folgenden auf Veröffentlichungen M. Baumanns zurück, der neben M. Schwabe einer der führenden Protagonisten der Systemsprenger*innen-Debatten ist 1. Wie eine homogene Gruppe aus der Organisationsperspektive erfunden wird Für die Konstruktion der Schwierigen im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere für die sog. Systemsprenger*innen, ist unschwer zu erkennen, dass die oben referierten Ansätze die,blaupause darstellen, nach der vorgegangen wird. Bevor darauf eingegangen wird, sei noch erwähnt, dass die Bezeichnungen für diese Kinder/Jugendlichen in den letzten 150 Jahren zwar manch- 1 Als Quellen dienen Baumann 2012 sowie diverse Powerpoint-Folien. Es handelt sich hierbei um vier Powerpoint-Präsentationen, die ohne viel Suchaufwand im Internet zu finden sind: 1.) Baumann (o.j.): Die,Schwierigsten - zwischen allen Stühlen? Die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe/Erziehungshilfe, o.o., o.j. 2.) Baumann (o.j.): Von der Kompetenz, ein Systemsprenger zu sein... Herausforderungen und Zumutungen für den Sozialraum,inklusive? o.o.; o.j. 3.) Baumann (2014b): Von der Kompetenz ein Systemsprenger zu sein Fallverstehen und daraus erwachsende Konsequenzen für die Gestaltung von Hilfeprozessen und Settings für Hoch -Risiko-Klientel in der Jugendhilfe, Vortrag beim ASD Stuttgart. 4.) Baumann (2016): (Schul-)Systemsprenger?, Düsseldorf, 9/ Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

53 Diskussion weitung Zuspitzung Aufgeben/Ausstoßen genannt eine zunehmende Pathologisierung und Problemverschiebung in Richtung eines,schwierigen Falls, der nicht mehr tragbar ist. Obgleich,aufgeklärte Vertreter*innen dieser Debatten zu sogenannten Systemsprenger*innen wie Baumann ausdrücklich betonen, dass der Begriff,Systemsprenger keine Eigenschaft der so bezeichneten Kinder/Jugendlichen beschreibe, es sich auch nicht um eine medizinische Diagnose, sondern um die deskriptiv gemeinte Bezeichnung eines Verhältnisses zwischen Kindern/Jugendlichen und dem Hilfe- oder Bildungssystem handle, scheint mir der Begriff relativ eindeutig aus der Perspektive der Organisationen formuliert negativ zuschreibend zu sein und entsprechend zu funktionieren:,systemsprenger*in ist eindeutig jemand, der oder die Regeln und Routinen einer gegebenen Organisation aus deren Sicht praktisch in bestimmten Hinsichten stark,stört, der/die ggf.,aussortiert wird und dem/der die Bezeichnung,Systemsprenger*in auf Grund realer Machtkonstellationen ggf. in einem interorganisatorischen Zusammenspiel angeheftet wurde. Systemsprenger*innen sind ein Hochrisiko-Klientel (s.o.). Kein*e Jugendliche*r bezeichnet sich selbst so, und trotz der relativierenden Einlassungen wirkt der Begriff,naturalisierend und schreibt fehlende Passungsverhältnisse zwischen Hilfeangeboten und Interaktionen von jungen Menschen als feststehende Eigenschaften der Person zu: Der/die so Bezeichnete ist bzw. wird ein*e Systemsprenger*in, weshalb man schlussfolgern kann: Organisierte soziale Kontrolle konstituiert soziale Ereignisse als,delinquenz. Dies geschieht durch einen Prozess von,inter-aktionen, die Handlungen bzw. Personen als,objekt präparieren [ ] und die durch ihre gesprochenen und geschriebenen Texte,eine Geschichte erzeugen. Diese, eine Person mittels Etikettierungen verdinglichende Geschichte, wird von Instanzenvertreter*innen (und Soziolog*innen),delinquente Karriere genannt (Cremer-Schäfer 2019: 142). Hier zeigt sich im Detail, wie die Institutionen den Gegenstand ihrer praktischen Maßnahmen in dem ganz handfesten Sinn (erzeugen), dass [ ] die Institutionen unabhängig vom Willen und Bedürfnis der Betroffenen diejenigen auslesen, unter die Lupe nehmen, klassifizieren und gegebenenfalls Maßnahmen unterwerfen, die ihnen aufgrund wessen auch immer verdächtig geworden, aufgefallen sind. Dass dies auch ohne und gegen den Willen der so zum Objekt Gemachten geschehen kann und geschieht, macht deutlich, dass diese Interventionen [ ] auf Macht beruhen. Unabhängig von den Absichten der Praktiker üben die Interventionen Herrschaft über die Betroffenen aus. Sie sind eine Form sozialer Kontrolle (Keckeisen, 1974: 9ff.; Hervorh. im Orig.). Warum sich die Konstruktion so hartnäckig hält Warum die Konstruktion der Schwierigen sich so hartnäckig hält, liegt evtl. daran, dass hier ein Grundmuster der Kinder- und Jugendhilfe immer wieder aktiviert wird: die Reklamation ihrer universellen Zuständigkeit in der Krise. Ihre fürsorgepädagogische Legitimation erhält die Jugendhilfe nämlich dadurch, dass sie Problemdiskurse individueller Abweichung im Spannungsverhältnis zur Sorge um eine Destabilisierung gesellschaftlicher Institutionen (oder gar: der Gesellschaft ) mitproduziert oder aufgreift und sich dadurch zugleich ihren eigenen Legitimations- und Handlungsbedarf schafft. Der fürsorgepolitische Diskurs präsentiert und begründet jene Problemfelder und reagiert zugleich auf diese, indem er seine eigenen Bearbeitungsmodi und -angebote als Sinndomäne mitliefert. Systematisch gesehen generiert sich jene Zuständigkeit als Handlungen erlaubende Differenz zwischen Krisendiagnose und pädagogischem Versprechen: Denn erst durch die genau kalkulierte Spannung von Bedrohung und Verheißung entsteht ( ) jene Dringlichkeit des Anliegens, der Verantwortung des Erziehungssystems und die Größe der Aufgabe (Behnisch 2008: 26). Die damit zugleich mögliche Selbstheroisierung der eigenen Tätigkeiten scheint überdies noch in den gewählten Bezeichnungen des Klientels auf. Literatur Baumann, M. (2012): Kinder, die Systeme sprengen. Wenn Jugendliche und Erziehungshilfe aneinander scheitern. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Baumann, M. (2014a): Jugendliche Systemsprenger zwischen Jugendhilfe und Justiz (und Psychiatrie). In: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe (ZJJ), Heft 2, S Becker, H.S. (1973): Außenseiter. Zur Soziologie abweichenden Verhaltens. Frankfurt/Main: Fischer 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 115

54 diskussion vianz. In: Lüderssen, K./Sack, F. (Hrsg.): Seminar: Abweichendes Verhalten I: Die selektiven Normen der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S Oelkers, N./Feldhaus, N./Gaßmöller, A. (2013): Soziale Arbeit und Geschlossene Unterbringung Erziehungsmaßnahmen in der Krise? In: Böllert, K./ Alfert, N./Humme, M. (Hrsg.): Soziale Arbeit in der Krise. Wiesbaden: VS-Verlag, S Quensel, S. (1970): Wie wird man kriminell? In: Kritische Justiz, S. 377 ff. (frei zugänglich unter: Quensel_S_375.pdf; Zugriff am ). Rätz, R. (2016): Was tun, wenn Kinder und Jugendliche und Erziehungshilfen aneinander scheitern? Aktuelle Studienergebnisse. In: Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.): System sprengen verhindern. Wie werden die Schwierigen zu den Schwierigsten? Aktuelle Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe, 103. Berlin: Selbstverlag, S Schwabe, M. (2014):,Systemsprenger/innen sind unterschiedlich und brauchen unterschiedliche sozialpädagogische Settings und Haltungen. In: Sozialmagazin 39, H. 9/10, S Friedhelm Peters, TB (englischsprachiges Original: 1963; zahlreiche Neuauflagen). Behnisch, M. (2008): Von der pädagogischen Landnahme zur rassischen Ausmerze. Jugendpolitik und Jugendfürsorge im Rheinland Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau, 56, S Bolz, T./Albers, V./Baumann, M. (2019): Professionelle Beziehungsgestaltung in der Arbeit mit,systemsprengern. In: unsere jugend, 71. Jg., S Cremer-Schäfer, H. (2019): Cicourel, Aaron V.: The social organization of juvenile justice, In: Schlepper, C./Wehrheim, J. (Hrsg.): Schlüsselwerke der Kritischen Kriminologie. Weinheim, Basel: Beltz- Juventa, S Cremer-Schäfer, H./Steinert, H. (1998): Straflust und Repression. Zur Kritik der populistischen Kriminologie. Münster: Westfälisches Dampfboot. Keckeisen, W. (1974): Die gesellschaftliche Definition abweichenden Verhaltens. Weinheim: Juventa. Keupp, H. (1972): Psychische Störungen als abweichendes Verhalten. München, Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg. Lemert, E. M. (1951): Social Pathology New York, London, Toronto: McGraw Hill. Lemert, E. M. (1974): Der Begriff der sekundären Dewww.gut-boeddeken.de Gut Böddeken Büren-Wewelsburg Tel.: Anerkannter Träger der freien Jugendhilfe 116 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

55 DISKUSSION Systemsprenger*innen verstehen (und erst dann handeln) Eine österreichische Studie oder wie man geschlossene Unterbringung auch in Deutschland vermeiden kann Peter Kramlinger, Stephan Cinkl In Österreich gibt es keine geschlossene Unterbringung (GU) wie in Deutschland. Dies führt aus Sicht der Autoren des Beitrags dazu, dass bei scheiternden Betreuungen mehr Mühe darauf verwendet wird, passende Angebote zu konstruieren. Gegenstand des Beitrages ist ein Praxisforschungsprojekt des Landes Oberösterreich zu den Selbstdeutungen von Systemsprenger*innen unter der Fragestellung, welche konzeptionellen Weiterentwicklungsnotwendigkeiten ambulanter oder stationärer Jugendhilfeangebote sich aus ihnen ergeben. Vorbemerkung: Systemsprenger*innen und geschlossene Unterbringung Spätestens seit dem gleichnamigen Film von Nora Fingscheidt ist der Begriff Systemsprenger*innen ein Synonym für unbändige Kinder und Jugendliche, die das Kinder- und Jugendhilfesystem und ihre Professionellen so an seine Grenzen bringen, dass sie nicht mehr ausgehalten und betreut werden können. Wenn diese Kinder so stark Grenzen verletzen, sogar Grenzen sprengen, müssten ihnen auch Grenzen in einem solchen Ausmaß gesetzt werden, dass sie den Hilfeangeboten nicht entkommen können, so die Apologeten geschlossener Unterbringung. Wenn man stattdessen davon ausgeht, dass das Jugendhilfesystem an Systemsprenger*innen scheitert, weil angemessene Hilfen nicht zur Verfügung stehen, stellt sich die Frage, worin der konkrete Hilfebedarf genau besteht. Wenn man weiterhin berücksichtigt, dass der wichtigste Wirkfaktor für Erziehungshilfen die Beteiligung der Betroffenen ist (Schmidt et.al. 2002), erscheint es naheliegend, den Hilfebedarf auf Basis der Selbstdeutungen der Kinder und Jugendlichen zu bestimmen. Bemerkenswert (und erklärungsbedürftig 1 ) ist, dass 1 Eine Ursache könnte darin liegen, dass selbstdeutungsbasierte Ansätze den Nachteil haben, dass selbstdeutungsbasierte Untersuchungen als Basis betroffenenorientierter Konzeptentwicklung in Deutschland weitgehend fehlen sieht man von der frühen Studie von Mollenhauer und Uhlendorff (1992), in der auch nicht von Systemsprenger*innen, sondern von Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen die Rede war, und der Einzelfallstudie von Cinkl (2017) ab. Ausgangssituation der Studie und Fragestellung Ausgangssituation der Studie war die Einschätzung der Abteilung Kinder- und Jugendhilfe der Landesregierung Oberösterreichs, dass Mädchen und Jungen, die einen äußerst intensiven Betreuungsbedarf aufweisen, dem in den bestehenden Einrichtungen kaum entsprochen werden kann, tendenziell jünger werden. Die Zielgruppe wurde definiert für die Altersgruppe der 10- bis 13-jährigen Kinder, die vom Referat Volle Erziehung beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung betreut werden 2. Die Abteilung sie institutionelle Konflikte und Logiken sowie die professionelle Selbstgenügsamkeit (Cinkl/ Krause 2011:.148) herausfordern. 2 Kinder und Jugendliche werden immer dann vom Referat Volle Erziehung betreut, wenn sie... auf Grund ihres Sozialverhaltens eine besonders 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 117

56 DISKUSSION Kinder- und Jugendhilfe hatte für die Studie 25 Kinder und Jugendliche erfasst, für die im Rahmen einer Fortbildung mit Stephan Cinkl Sozialpädagogische Diagnosen (Uhlendorff 1997, Cinkl/Uhlendorff 2003) erstellt werden sollten, um bei der Konzeptentwicklung das, was Kinder und Jugendliche in solchen prekären Lebenssituationen wünschen und was sie brauchen, zu berücksichtigen. Bei den Sozialpädagogischen Diagnosen handelt es sich um ein für die Erziehungshilfen entwickeltes selbstdeutungsbasiertes Verfahren, das von Klaus Mollenhauer und Uwe Uhlendorff ab Anfang der 90er-Jahre entwickelt wurde: Es beruht auf leitfadengestützten Interviews, die auch genutzt werden können, die jungen Menschen hinsichtlich ihres Entwicklungsstandes einzuschätzen. Dazu dient das Modell der Bildungsetappen 3 (Uhlendorff 1997). Außerdem können die erzählten biografischen Erfahrungen einer Klassifikation der Herkunftserfahrungen (Mollenhauer/Uhlendorff 1992: 102) zugeordnet werden. Aus dieser lassen sich heilsame Tätigkeiten (ebenda) ableiten, die im sozialpädagogischen Alltag umgesetzt werden können. Daran anknüpfend wurde folgende Fragestellung formuliert: Welche notwendigen konzeptionellen Weiterentwicklungsnotwendigkeiten ambulanter oder stationärer Jugendhilfeangebote ergeben sich aus den Selbstdeutungen und Lebensthemen von Kindern und Jugendlichen mit besonders intensivem Betreuungsbedarf für die Kinderund Jugendhilfe Oberösterreichs? Im Rahmen der Fortbildung konnten dann mit 14 der 25 jungen Menschen Interviews geführt und Sozialpädagogische Diagnosen erstellt werden. intensive sozialpädagogische Betreuung bedürfen (Oö.KJHG 2014). 3 Das Modell der Bildungsetappen beruht theoretisch auf verschiedenen entwicklungspsychologischen Theorien, die im Rahmen einer empirischen Grundlagenuntersuchung von jungen Menschen in den Erziehungshilfen genutzt wurden, um auf der Basis leitfadengestützter Interviews typische Entwicklungsschwierigkeiten zu identifizieren. Diese konnten zu Entwicklungsetappen mit jeweils typischen Entwicklungsaufgaben, deren Bewältigung durch sozialpädagogische Angebote unterstützt werden kann, zusammengefasst werden. Das Modell der Bildungsetappen hat große praktische Relevanz, etwa wenn es um die Frage geht, ob ein Kind gruppenfähig ist oder ein Jugendlicher schon in eine eigene Wohnung ziehen kann. Forschungsdesign zur Beantwortung der Fragestellung In Bezug auf die Stichprobe fiel auf, dass die Jungen deutlich in der Überzahl waren (neun Jungen gegenüber fünf Mädchen); das Durchschnittsalter betrug 12,7 Jahre. Die Fragestellung wurde mit Hilfe folgender Arbeitsschritte beantwortet: Die Interviews wurden transkribiert, die Lebensthemen diagnostiziert, Entwicklungsaufgaben auf der Basis der Einordnung in die Bildungsetappen formuliert und es wurden die Herkunftserfahrungen klassifiziert. Für die 14 Interviews wurden Fallskripte erstellt, die unter den o.g. Fragestellungen zusammenfassend ausgewertet wurden. Lebensthemen Klara Meine Herkunftsfamilie kenne ich kaum. Ich wäre ihr gerne näher. Ich weiß wirklich nicht, warum ich ins Heim gekommen bin. Irgendwie glaube ich, dass ich daran schuld war. Ich habe wenige Erwartungen an andere Menschen und ich sage nicht immer, was ich will. In der Schule komme ich ganz gut zurecht. Ich möchte eine gute Ausbildung und später eine gute Arbeit bekommen. In der Gruppe fühle ich mich wohl. Wenn ich meine Ruhe haben will, dann gehe ich in mein Zimmer. Ich habe nur zu wenigen Menschen eine enge Beziehung. Ich habe Humor. Ich kann manche Dinge wirklich gut ich singe z. B. sehr schön Kinder darf man nicht anschreien, erniedrigen und man muss mit ihnen darüber sprechen, was sie bedrückt. Die Lebensthemen der jungen Menschen Sozialpädagogische Diagnosen Bei den Lebensthemen handelt es sich um die sprachliche Verdichtung der wesentlichen Interviewaussagen hinsichtlich der Lebenswelt der jungen Menschen (Mollenhauer 1989). Sie zeigen an, womit die Kinder und Jugendlichen intensiv beschäftigt sind und geben Hinweise für die notwendigen Schwerpunkte der professionellen Betreu- 118 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

57 Diskussion ung. Als Beispiel die Lebensthemen von Klara (13) 4 : Unter den Lebensthemen fanden sich am häufigsten Themen, die die Herkunftsfamilie einschließlich der Geschwisterbeziehungen betrafen. Bei acht der 14 jungen Menschen war der Wunsch, wieder in ihrer Herkunftsfamilie zu leben, stark ausgeprägt. Intensiv in ihren Lebensthemen war etwas mehr als die Hälfte der jungen Menschen mit ihren Vätern beschäftigt, dabei lediglich zweimal mit einer negativen Konnotation. Die Hälfte der jungen Menschen benennt in den Lebensthemen einschneidende biografische Erfahrungen (Paarkonflikte einschließlich häuslicher Gewalt, Tod naher Angehöriger, eigene Gewalterfahrungen) ein Beispiel: Es war schlimm zu sehen, wie mein Vater meine Mutter verletzt hat. Elf junge Menschen beschrieben in ihren Lebensthemen ihre Beteiligung an aktuellen Konflikten in ihren Herkunftsfamilien und mit anderen jungen Menschen. Alle jungen Menschen nennen in 16 Lebensthemen vielfältige körperbezogene Interessen und Hobbys. Viele Tätigkeiten lassen sich als spontane Bewältigungs- oder Selbstheilungsversuche biografischer Erfahrungen oder aktueller Schwierigkeiten deuten. Familiäre Herkunftserfahrungen Mollenhauer und Uhlendorff (1992:102) unterscheiden vier Typen von Herkunftserfahrungen: 1. Frühkindliche und kindliche Vernachlässigung, 2. Abschieben und mangelnde Verlässlichkeit in sozialen Beziehungen, 3. Ambivalenz von Loslösung und Anklammerung und 4. Gewalterfahrungen, sexueller Missbrauch und Familienchaos. In zwei Fällen beschrieben die jungen Menschen Vernachlässigungserfahrungen, die durch die fehlende Präsenz der Eltern verursacht wurden. In fünf Fällen wurden die jungen Menschen Opfer von körperlicher Misshandlung, in drei Fällen mussten sie häusliche Gewalt miterleben. In sechs Fällen waren die Herkunftserfahrungen dem Typus Abschieben und mangelnde Verlässlichkeit in sozialen Beziehungen zuzuordnen. Zur Veranschau- 4 Bei Klara handelt es sich um ein Pseudonym. Es wurden markante Details weggelassen oder verändert, um mögliche Wiedererkennungseffekte auszuschließen. lichung zwei Beispiele: Häusliche Gewalt Und dann habe ich die Mama und den Papa schreien gehört. Dann bin ich rausgekrabbelt aus meinem Bett und wollte in der Küche nachschauen. Und da hat mein Papa meine Mama geschlagen. Am Kopf Blut überall. Körperliche Misshandlung Ich kann mich nur noch erinnern, dass wir ausgehen wollten. Und ich hatte noch meinen Fuß in der Tür gehabt. Sie hat voll die Tür zugeschmissen, dass ich mir meinen Fuß verstaucht habe. Und dann bin ich draußen am Boden gelegen. Dann hat mich die Mama getreten und angespuckt. Entwicklungsstand nach dem Modell der Bildungsetappen Mit Hilfe der Interviews lässt sich der Entwicklungsstand der jungen Menschen feststellen (Uhlendorff 1997). Ein Vergleich zwischen dem Entwicklungsalter und dem nominellem Alter ergab folgendes Bild: In Bezug auf ihre Zeitkonzepte waren fast alle jungen Menschen noch stark auf ihre biografischen Erfahrungen fixiert. Ihre Körperlichkeit war noch sehr egozentrisch, d. h., es wurden Hobbys und Interessen genannt, die ohne andere Körper ausgeübt werden können, oder die jungen Menschen konnten ihre Antriebe noch nicht kontrollieren. Auch im Sozialverhalten zeigte sich ein vorwiegend egozentrischer Weltbezug, d. h., andere Menschen werden noch nicht unabhängig von den eigenen Intentionen und Bedürfnissen wahrgenommen; Interaktionen werden vorwiegend konfliktbehaftet und aggressionsgeladen beschrieben und kaum sprachbezogen vor allem bei den Jungen. Die wichtigste Entwicklungsaufgabe für fast alle jungen Menschen bestand darin, Sprache als wichtigste Interaktionsform zu akzeptieren. Erfahrungen mit dem Schulsystem Die Erfahrungen mit dem Schulsystem spielten in den Erzählungen der jungen Menschen insgesamt keine herausragende Rolle. Das Verhältnis zu den Lehrer*innen wurde tendenziell als gut bewertet, stärker wurden Leistungsprobleme benannt und Unterstützungsbedarfe artikuliert. Insgesamt ließe sich sagen, dass die jungen Menschen anscheinend mehr inhaltlich-fachliche Unterstützung als Hilfe bei der schulischen Konfliktbewältigung benötigen Jahrgang 2020, HEFT 2 119

58 diskussion Erfahrungen mit dem Jugendhilfesystem Die Professionellen bleiben in den Beschreibungen blass, nur in drei Fällen erschienen sie als signifikante Andere. Viermal wird als Veränderungserwartung formuliert, nicht angeschrien zu werden, fünfmal, dass die Betreuer*innen nicht so streng sein sollen. Die Betreuung wurde vorwiegend unter dem Aspekt der Regelpädagogik beschrieben, Beziehungsarbeit und Fürsorge kamen kaum zur Sprache. Die stationäre Jugendhilfe wurde insgesamt als ein Regelsystem mit fehlenden partizipativen Elementen erlebt. Praktische Schlussfolgerungen Da die Mehrzahl der jungen Menschen wieder in ihrer Herkunftsfamilie leben wollte, sollte verstärkt über intensive ambulante Betreuungssettings nachgedacht werden. Auch nach schwierigen Betreuungsverläufen können ambulante Angebote überraschend schnell zum Erfolg führen (Cinkl 2017). Aufgaben einer intensiveren Eltern- und Familienarbeit sollten die Bearbeitung heftiger Eltern- bzw. Paarkonflikte sein und der Einbezug der Väter. Da die Hälfte der jungen Menschen in den Lebensthemen einschneidende biografische Erfahrungen benannte, die offenbar noch nicht verarbeitet sind, sollte der Biografiearbeit mehr Gewicht gegeben werden. Spezifizierung der Leibeserziehung hin zu Angeboten, die Zusammenspiel, Kooperation und körperliche Achtsamkeit in Bezug auf den Anderen betonen. Außerdem können spezifische körperbezogene Tätigkeiten einen heilsamen Charakter beispielsweise bei Kindern mit Gewalt- oder Vernachlässigungserfahrungen haben (Mollenhauer/Uhlendorff 1992: 102). Förderung der Konfliktfähigkeit durch soziale Gruppenarbeit, da fast alle jungen Menschen starke aktuelle Konflikte in ihren Herkunftsfamilien und mit anderen jungen Menschen beschrieben. Qualifizierung der Professionellen: Da nur viermal Betreuer*innen als signifikante Andere genannt wurden, kann man davon ausgehen, dass die Professionellen sich nicht genügend als alternative Bindungsfiguren präsentieren. Hilfreich wäre hier die Vermittlung fundierter Kenntnisse der Bin- dungstheorie und Selbsterfahrung zur Reflexion der eigenen Beziehungsfähigkeit. Konzeptentwicklung der stationären Einrichtungen: Die Interviewaussagen legen nahe, dass in der Erziehung zum Brav - sein zu sehr auf Anpassungsleistungen orientiert wird. Hier wäre eine Akzentverschiebung von der Regel- zur Beziehungspädagogik wünschenswert. Was ist seit der Präsentation der Studie passiert? Im Frühjahr 2015 wurde von der Abteilung Kinder- und Jugendhilfe OÖ (KJH) in Kooperation mit den Betreiber*innen stationärer Einrichtungen das Projekt Wie Beteiligung in sozialpädagogischen Wohngruppen gelebt werden kann gestartet. Ziel ist der systematische Auf- und Ausbau der Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen sowie deren Eltern. Durch die beteiligten Kinder und Jugendlichen entstand der Name Moverz als Bezeichnung für dieses Projekt. Herzstück des Prozesses sind die Projektgruppen, bestehend aus je einer sozialpädagogischen Wohngruppe, einer Prozessbegleitung 5 und einem Buddy 6. In regelmäßigen Treffen werden, in der Regel über einen Zeitraum von zwei Jahren, praxisrelevante Zugänge zur Beteiligung erarbeitet und umgesetzt. Im Fokus stand in einer ersten Projektphase der Lebensalltag der Kinder und Jugendlichen in den sozialpädagogischen Einrichtungen. In einer nächsten Etappe sollen nun von Jänner 2019 bis Ende 2020 weitere Wohngruppen dabei unterstützt werden, Partizipation mit den Kindern und Jugendlichen sowie ihren Familien in Kooperation mit den fallführenden Behörden konsequent und nachhaltig zu leben. Für die beteiligten Kinder und Jugendlichen (Buddys) gibt es seit Oktober 2018 einen eigens für das Projekt initiierten Lehrgang Peer Education, der sowohl die Persönlichkeitsentwicklung als auch klassische Qualifizierung und die Initiierung von Empowermentprozessen zum Ziel hat. 5 Professionist*in mit theoretischer wie praktischer Expertise im Bereich Beteiligung 6 Jugendliche*r mit praktischer Erfahrung im Beteiligungsprozess 120 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

59 diskussion Bedeutung der Studie für die deutsche Diskussion Das wichtigste Argument gegen geschlossene Unterbringung ist ethischer Natur, denn geschlossene Unterbringung ist eine Menschenrechtsverletzung. Die österreichische Studie macht darüber hinaus deutlich, dass eine betroffenenorientierte sozialpädagogische Diagnostik zu offenen Hilfen führen kann. Für Deutschland wären ähnliche Studien wünschenswert. Fortbildungs- und Beratungserfahrungen einer der Autoren (S.C.) bestätigen das Ergebnis der Studie, dass überraschend häufig ambulante Angebote sinnvoll erscheinen, wobei körperliche Misshandlungserfahrungen einen besonderen Arbeitsschwerpunkt darstellen sollten. Wie in Österreich fehlen in Deutschland weitgehend spezialisierte Hilfen, beispielsweise im Rahmen der aufsuchenden Familientherapie (AFT), wobei die Einbeziehung der Väter und der Geschwister besonders sinnvoll wäre, wenn es darum ginge, den Wunsch der jungen Menschen nach Rückkehr in die Herkunftsfamilie ernst zu nehmen. Dazu müsste die Betroffenenorientierung auf die gesamte Familie ausgedehnt werden, etwa durch die Sozialpädagogischen Familiendiagnosen (Cinkl/Krause 2011). Der wichtigste erste Schritt betroffenenorientierter Konzeptentwicklung wäre u.e. die weitere Stärkung von Clearingmodellen auf der Basis betroffenenorientierter sozialpädagogischer Diagnostik. Einen beispielhaften Rahmen für ein solches Modell hat die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie mit dem Modellprojekt für Kinder und Jugendliche mit komplexem Hilfebedarf 7 geschaffen. Das Potenzial des Modells der Bildungsetappen im Rahmen von Clearingprozessen bestünde v.a. darin, gruppenbezogene Lernprozesse in Bezug auf soziale Konfliktbewältigung sprachlich und körperbezogen (Lernen von Zwischenleiblichkeit ) zu initiieren. Hier wären v.a. allem die Jungen Adressaten, weil sie ihre Schwierigkeiten häufiger aggressiv 7 Das Modellprojekt ist mit zwei Sozialarbeiterinnenstellen ausgestattet, die Berliner Jugendämter in Hinblick auf geeignete und notwendige Hilfen beraten. ausdrücken. Hilfreich wäre es, Systemsprenger*innen in Zukunft als Kinder und Jugendliche mit komplexem Hilfebedarf (Berlin) oder einem äußerst intensiven Betreuungsbedarf (Oberösterreich) zu bezeichnen, weil damit deutlich gemacht werden würde, dass ihre Lebenserfahrungen und Lebensumstände schwierig waren und sind und nicht ihr Verhalten. Literatur Cinkl, S. (2017): Und da hörte ich eben, dass die Kinder dort gebrochen werden : Vermeidung geschlossener Unterbringung durch Betroffenenbeteiligung eine Einzelfallstudie. Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH), Theorie-Praxistransfer 2. Frankfurt am Main. Cinkl, S./Krause, H.-U. (2011): Praxishandbuch Sozialpädagogische Familiendiagnosen. Verfahren Evaluation Anwendung im Kinderschutz. Opladen und Farmington Hills. Cinkl, S./Uhlendorff, U. (2003): Sozialpädagogik, Professionalität und Diagnostik. Ein Erfahrungsbericht. In: Zeitschrift für Jugendkriminalrecht und Jugendhilfe, Hannover: Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen e.v.; 14; Nr. 4; S Institut für soziale Arbeit (2009): Wirkungsorientierte Jugendhilfe Bd. 9. Praxishilfe zur wirkungsorientierten Qualifizierung der Hilfen zur Erziehung. Münster. Mollenhauer, K. (2004): Brief an Jürgen Blandow aus dem Jahre In: Krumenacker, F.-J.: Sozialpädagogische Diagnosen in der Praxis. Erfahrungen und Perspektiven. Weinheim und München, S Mollenhauer, K./Uhlendorff, U. (1992): Sozialpädagogische Diagnosen I Über Jugendliche in schwierigen Lebenslagen. Weinheim und München. Schmidt, M./Schneider, K./Hohm, E./Pickartz, A./ Macshenaere, M./Petermann, F./Flosdorf, P./ Hölzl, H./Knab, E. (2002): Effekte erzieherischer Hilfen und ihre Hintergründe. Schriftenreihe des BMFSFJ, Band 219. Stuttgart. Uhlendorff, U. (1997): Sozialpädagogische Diagnosen III Ein sozialpädagogisch-hermeneutisches Diagnoseverfahren für die Hilfeplanung. Weinheim und München. Stefan Cinkl, Dipl.-Psychologe, Familientherapeut, Supervisor, scinkl@t-online.de Peter Kramlinger, Institut für Bildung und Qualifizierung, Sozialwirt, Akademischer Supervisor, Wissenschaftlicher Referent, Peter.Kramlinger@ooe.gv.at 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 121

60 Rechtsfragen Masernschutzgesetz Juliane Meinhold Am gilt das Masernschutzgesetz. Der Beitrag skizziert hierzu neue rechtliche Grundlagen und noch auftretende Rechtsunsicherheiten.Die Bundesregierung formuliert im Gesetzesentwurf: Ziel des Gesetzes ist es, einen besseren individuellen Schutz insbesondere von vulnerablen Personengruppen sowie einen ausreichenden Gemeinschaftsschutz vor Maserninfektionen zu erreichen. Der Fokus liegt hierbei insbesondere bei Personen, die regelmäßig in Gemeinschafts-und Gesundheitseinrichtungen mit anderen Personen in Kontakt kommen. Damit werden vor allem auch jene Personen von einem Gemeinschaftsschutz profitieren, die auf Grund ihrer gesundheitlichen Verfassung eine Schutzimpfung nicht in Anspruch nehmen können. (Deutscher Bundestag Drs. 19/13452, ). Die wesentlichen gesetzlichen Neuregelungen finden sich im Infektionsschutzgesetz in der neuen Fassung (IfSG n.f.). Dies regelt, welche Personen einer Nachweispflicht eines Masernimpfschutzes unterliegen, wie und von wem das überprüft wird und welche Konsequenzen bei Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben greifen. Betroffene Personengruppen sind insb. Kinder/Jugendliche und tätige Personen, die im Kontext der Betreuung von Kindern/Jugendlichen arbeiten oder kontinuierlich in Berührung stehen. Zielgruppe des Gesetzes sind auch medizinisches Personal und alle untergebrachten und tätigen Menschen in Asyl- und Flüchtlingsunterkünften. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes im Sinne einer faktischen Impfpflicht für bestimmte Personengruppen als unverhältnismäßiger Eingriff steht im Raum und wird möglicherweise in der Zukunft über das Bundesverfassungsgericht geklärt. Dies steht aber aktuell dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht entgegen. Vielfältige Umsetzungsfragen in der Praxis müssen beantwortet werden, um Rechtssicherheit für Einrichtungen und betroffene Personen im Umgang mit den gesetzlichen Vorgaben herzustellen. Dies gilt insbesondere für die Jugendhilfe. Laut Gesetz werden alle nach 1970 geborenen Personen erfasst, die in einer Gemeinschaftseinrichtung nach 33 Nummer 1 bis 3 IfSG betreut oder tätig werden: Kindertageseinrichtung, Hort, Kindertagespflege gemäß 43 Abs.1 SGB VIII (im Rahmen der erlaubnispflichtigen Kindertagespflege), Schule, sonstige Ausbildungseinrichtungen, in denen überwiegend minderjährige Personen betreut werden oder Personen, die bereits vier Wochen in einer Gemeinschaftseinrichtung nach 33 Nummer 4 IfSG (Heim) betreut werden und dort tätig sind. Gemeinschaftseinrichtungen bzw. Heime im Sinne dieses Gesetzes sind Einrichtungen, in denen überwiegend Säuglinge, Kinder oder Jugendliche betreut werden. Zu unterscheiden ist, ob Kinder und Jugendliche schon vor dem in der Betreuung sind oder ob sie neu ab dem in die Betreuung einmünden. Die gleiche Unterscheidung gilt für dort tätige Personen: Alle Personen, die am bereits in den betroffenen Einrichtungen betreut werden oder tätig sind, haben einen Nachweis eines Masern(impf)schutzes bis zum Ablauf des vorzulegen. Alle anderen Personen, die ab dem in ein Betreuungsverhältnis einmünden oder in den Einrichtungen tätig werden, müssen vor dessen(tatsächlichem) Beginn den Nachweis erbringen. Personen, die ab dem neu in die Betreuung eines Heimes einmünden, müssen spätestens acht Wochen nach Beginn der Betreuung den Nachweis erbringen. Personen, die keinen ausreichenden Nachweis erbringen, dürfen weder in den betroffenen Einrichtungen betreut, noch in diesen tätig werden. Das gilt jedoch nicht für die Kinder, die einer gesetzlichen Schul- oder Unterbringungspflicht unterliegen. Falls ohne einen ausreichenden Nachweis betreut oder eine Person trotzdem tätig wird, können Bußgelder sowohl für die betroffenen Personen als auch für die Einrichtungen drohen. Die Benachrich- 122 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

61 Rechtsfragen tigungspflicht an das Gesundheitsamt besteht in Bezug auf die Personen, die trotz fehlenden Nachweises oder auf Grund erst verzögerter Impfmöglichkeit betreut werden (insbesondere bei Schulpflicht, Unterbringungspflicht) oder die schon vor dem betreut werden bzw. tätig sind und den Nachweis nicht innerhalb der Frist erbringen (können). Die Rechtsunsicherheiten ergeben sich u. a. an folgenden Stellen und können hier nur angedeutet werden: Welche Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe fallen ganz konkret unter diese Regelungen? Ungeklärt ist dies beispielsweise für Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit, Tagesgruppen gemäß 32 SGB VIII, Beratungsstellen unter Einbeziehung verschiedener Professionen z. B. aus dem medizinischen oder therapeutischen Bereich. Wer ist tätige Person? Dafür, dass in einer Einrichtung anwesende Personen unter die Masernimpfpflicht fallen, dürfte es erforderlich sein, dass diese Personen regelmäßig (nicht nur für wenige Tage) und nicht nur zeitlich ganz vorübergehend (nicht nur jeweils wenige Minuten, sondern über einen längeren Zeitraum) tätig sind. (BMG FAQ unter: de/impfpflicht/faq-masernschutzgesetz.html, zuletzt aufgerufen: :39 Uhr, im Folgenden FAQ BMG). Das Gesetz schränkt die Impfpflicht nicht auf Personen ein, die bestimmte Tätigkeiten ausüben. Es ist davon auszugehen, dass der Impfpflicht nicht nur das Personal mit Lehr-, Erziehungs-, Pflegeoder Aufsichtstätigkeiten unterfällt, sondern z. B. auch Geschäftsführer*innen, Mitarbeiter*innen in der Verwaltung, Küche, im Transportwesen, z. B. Fahrdienste, oder bei der (Gebäude-)Reinigung etc., freie Mitarbeiter*innen und Honorarkräfte, Auszubildende, ehrenamtlich Tätige (FAQ BMG), Personen während eines Praktikums (FAQ BMG), Freiwillige (z. B. BFD, FSJ), Leiharbeiter*innen. In der Regel nicht erfasst sind (auf den Einzelfall abstellen) Postbot*innen, Fahrradkuriere, anliefernde Caterer diese werden sich in der Regel nur wenige Minuten in betroffenen Einrichtungen aufhalten und fallen demnach nicht unter die Impfpflicht. Was ist unter gesetzlicher Unterbringungspflicht zu verstehen? Ein fehlender Nachweis führt nicht zum Betreuungsverbot, wenn die betroffene Person einer gesetzlichen Unterbringungsverpflichtung unterliegt ( 20 Abs.12 S.3 IfSG). Erste Ausführungen dazu werden ausführlich in der Stellungnahme des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) gemacht. Demnach ist die gesetzliche Formulierung nicht eindeutig. Es ist davon auszugehen, dass eine staatliche Unterbringungspflicht gemeint ist. Dies betrifft insbesondere die Fälle der Inobhutnahme gemäß 42 SGB VIII als auch die stationäre Unterbringung gemäß der 27, 34, 35a Abs.2 Nr.4 SGB VIII. Allerdings bleibt im Einzelfall zu bewerten, wann die Unterbringungspflicht einsetzt: Eine staatliche Unterbringungsverpflichtung wird neben der Inobhutnahme jedenfalls dann anzunehmen sein, wenn den Eltern die elterliche Sorge für ihr Kind entzogen, ein*e Vormund*in bestellt und eine stationäre Hilfe i.s.d. 27, 34 SGB VIII beantragt wird. In diesen Fällen wird aber in aller Regel auch der/ die Vormund*in über die (ggf. nachzuholende) Impfung zu entscheiden haben, sodass diese Konstellation in der Praxis weniger Probleme bereiten sollte. Problematischer erscheinen die Konstellationen, in denen für ein Kind der Bedarf an einer stationären Unterbringung nach 27 ff SGB VIII besteht und die Eltern mit dieser Hilfe auch einverstanden sind, zu diesem Zweck ihr Kind aber nicht impfen lassen möchten. (vgl. Stellungnahme de/homepage.html des DIJuf 2020). Daneben stellen sich z. B. Fragen der Auswirkung auf den Rechtsanspruch zur Förderung in einer Kindertageseinrichtung oder arbeitsrechtliche Auswirkungen auf sich anbahnende oder bestehende Arbeitsverhältnisse. Quellen & Informationen: Bundesgesundheitsministerium: gesundheitsministe rium.de/impfpflicht/faq-masernschutzgesetz.html Paritätischer Gesamtverband: der-paritaetische.de/ schwerpunkt/masernschutzgesetz/ Stellungnahme DIJuF vom : dijuf.de/ homepage.html. dijuf.de/homepage.html Juliane Meinhold, Referentin für Kinder- und Jugendhilfe beim Paritätischen Gesamtverband, jugendhilfe@paritaet.org 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 123

62 literatur Christoph Sachse (2018): Die Erziehung und ihr Recht Vergesellschaftung und Verrechtlichung von Erziehung in Deutschland Weinheim/Basel: Beltz Juventa. ISBN , 340 S., 39,95. Christoph Sachse, emeritierter Hochschullehrer der Universität Kassel, hat hier eine Studie zur Entwicklung von Jugendhilferecht und Familienrecht im Spannungsverhältnis zum Ausbuchstabieren von Grundrechten in (West-)Deutschland vorgelegt, die an seine vorherigen Arbeiten vor allem mit Florian Tennstedt anknüpft, aber doch einen neuen, fokussierten und detailreichen Blick auf die Entwicklungen von Jugend- und Familienrecht erarbeitet. Einleitung (Kap. 1) und Epilog (Kap. 8) rahmen fünf chronologisch sich auf das Jugendrecht und das Familienrecht beziehende Kapitel: 2. Die Anfänge: Private und öffentliche Erziehung im Deutschen Kaiserreich 3. Expansion und Stagnation: Das Recht der öffentlichen Erziehung Familienrechtsreform : Die Beharrung des Alten 5. Familienrechtsreform : Die Dynamik des Neuen 6. Neugestaltung des Rechts der öffentlichen Erziehung : das sozialdemokratische Projekt und sein Scheitern 7. Neugestaltung des Rechts der öffentlichen Erziehung : Christdemokratische Erfolge Schon die Kapiteltitel machen deutlich, dass es sich hier um eine einerseits rechtshistorische, zum anderen aber auch politikwissenschaftlich ausgerichtete Untersuchung handelt. Christoph Sachse hat sich in jedem Kapitel tief in verschiedenste Archive eingearbeitet und nicht nur publizierte Literatur für seine Arbeit verwendet. Das macht das Buch ausgesprochen wertvoll. Am Ende des Epilogs resümiert Sachse noch einmal den Ausgangspunkt dieses Prozesses so: Die Geschichte der Erziehung in Deutschland im 20. Jahrhundert ist eine Geschichte von Verrechtlichung und Vergesellschaftung. Familienerziehung zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Erziehung in einem rechtsfreien, von Ungleichheit und Abhängigkeit geprägten Raum. Und auch die zu ihrer Absicherung und Kontrolle entwickelten Maßnahmen öffentlicher Erziehung fanden im rechtsfreien Raum statt: in einem,besonderen Gewaltverhältnis, in dem bürgerliche Rechte und Freiheiten nicht oder nur eingeschränkt galten. (S. 313) Den Prozess selber beschreibt er dann so: Der Prozess der Vergesellschaftung der Erziehung verlief zyklisch. Er wurde vorangetrieben von den konträren Familienkonzepten des,katholizismus und des,sozialismus, der auf Erhaltung und Bewahrung ausgerichteten katholischen Familienlehre und dem auf Reform, Umgestaltung und Demokratisierung drängenden Familienkonzept der Sozialdemokratie. Unter dem Druck gesellschaftlichen Wandels mussten beide Seiten im Verlauf ihrer jahrzehntelangen Auseinandersetzung Konzessionen machen. Die Sozialdemokratie hat ihr Konzept vom eigenständigen Erziehungsauftrag der Jugendhilfe und der daraus resultierenden familienkritischen Ausrichtung öffentlicher Erziehung aufgegeben und ist auf das Konzept der Familienorientierung der Jugendhilfe eingeschwenkt. Die Konservativen auf der anderen Seite haben ihre grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber einer Expansion öffentlicher Erziehung revidiert und sind auf die Linie des Ausbaus familienergänzender und -unterstützender öffentlicher Hilfen und Angebote eingeschwenkt. Der jahrzehntelange,widerstreit hat damit letztlich einen Grundkonsens über die gesellschaftliche Rolle der öffentlichen Erziehung Raum gegeben, der sich erstmalig bei der Verabschiedung des KJHG-SGB VIII manifestiert hat und auch in der Folge Bestand hatte. (S. 314) Insofern ist diese Arbeit Christoph Sachses eine hervorragende historisch-politische Hinführung zu den Grundlinien des SGB VIII, die vieles transparent macht, was heute wieder an den Grenzlinien subjektiv einklagbarer Kinderrechte, pflichtgebundenen Elternrechten im Hinblick auf Pflegefamilien und Fragen des Kinderschutzes ausgefochten wird. Im Hinblick auf manche Diskussionen zum professionellen Selbstverständnis Sozialer Arbeit möchte ich vor allem auf den Exkurs: Das Bewahrungsgesetz (S. 104) hinweisen. Dass Soziale Arbeit in ihrer Geschichte alles andere als eine Menschenrechtsprofession war, 124 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

63 literatur wird hier besonders eindrücklich deutlich. Nachdem das Fürsorgerecht die öffentliche Zwangserziehung Minderjähriger regulierte, wollten Vertreter*innen der Sozialen Arbeit allen voran Agnes Neuhaus vom Katholischen Fürsorgeverein für Mädchen und Frauen dem heutigen SKF, der auch heute noch eine Agnes Neuhaus Medaille verleiht auch für Erwachsene die Möglichkeit fürsorglichen Freiheitsentzugs durchsetzen, eine Zwangserziehung für Erwachsene. Der Deutsche Verein richtete sodann 1922 eine Kommission zur Prüfung der Frage der Versorgung asozialer Personen kurz: die Verwahrungskommission ein, die sodann einen Entwurf eines Verwahrungsgesetzes erarbeitete. Die AWO ließ sich nicht lumpen und erarbeitete einen eigenen Entwurf für ein Bewahrungsgesetz. Beide Entwürfe schildert Sachse mit den Worten von Detlef Peukert: Dem Reichstag lagen also zwei Entwürfe vor, die in schiefer Schlachtordnung miteinander konkurrierten: der Entwurf des Deutschen Vereins hielt die Verwahrlosungskriterien möglichst weit, engte aber den Zweck der Bewahrung auf den Schutz der Person ein. Hingegen hielt die Arbeiterwohlfahrt die Verwahrlosungskriterien relativ eng, um demgegenüber den Zweck der Bewahrung durch den Hinweis auf die Gemeinschaftsschädlichkeit nicht nur auszuweiten, sondern auch perspektivisch zu verschieben. (S. 107) Vom breiten Konsens der sozialfürsorgerischen Akteur*innen (nur die KPD lag quer), den grundrechtlichen Spannungen bei Versuchen fürsorglicher Einsperrung jenseits von Straftaten und den Widerständigkeiten der Finanzministerien, lässt sich m. E. einiges lernen für den aktuell immer wieder nötigen Widerstand gegen die geschlossene Unterbringung in der Kinder- und Jugendhilfe. Es gab nur zwei Fragen, die mir nach der Lektüre blieben: Warum hat Christoph Sachse keinen Bezug zu den grundlegenden Arbeiten zur Vergesellschaftung von Erziehung von Gunnar Heinsohn und Rolf Knieper (Theorie des Familienrechts Geschlechtsrollenaufhebung, Kindesvernachlässigung, Geburtenrückgang; 1976) genommen? Sie bilden in einer weiteren patriarchatshistorischen, bevölkerungspolitischen und soziologischen Perspektive eine aufklärende Ergänzung zu Sachses Arbeit. Und warum thematisiert Christoph Sachse die Aktivitäten z. B. von Polligkeit und Muthesius im Nationalsozialismus nicht deutlicher. Beide sind Akteure vor 1933 und nach 1945, kommen aber mit dem blassen Hinweis auf S. 122 davon: Ihre Verstrickungen in den Nationalsozialismus suchten sie tunlichst zu verniedlichen oder zu verschweigen. Insofern meine Empfehlung für s Studium: ergänzend lesen: Manfred Kappeler: Der schreckliche Traum vom vollkommenen Menschen Rassenhygiene und Eugenik in der Sozialen Arbeit. Ansonsten: ein spannendes, detailreiches Grundlagenbuch für die Kinder- und Jugendhilfe. Norbert Struck, norbert-struck@t-online.de Bibliografie Achterfeld, Susanne (2019): Das Migrationspaket 2019 eine Herausforderung für die Jugendhilfe. In: Das Jugendamt 92 (11), S Albus, Stefanie (2019): Teilhabeeinschränkungen reloaded. Zu alten und neuen (gesetzlichen) Benachteiligungen von Kindern und Jugendlichen in der Jugendhilfe. In: neue praxis. Zeitschrift für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Sozialpolitik 49 (4), S Aust, Andreas (2006): Armut trotz Prosperität. Befunde zur sozialen Ungleichheit in Deutschland auf Grundlage der Paritätischen Armutsberichte. In: Sozialwissenschaftliche Literatur Rundschau, Bd. 79, S Bastian, Pascal; Schrödter, Mark (2019): Risikodiagnostik durch Big Data Analytics im Kinderschutz. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, S Beckmann, Janna; Lohse, Katharina (2019): Was können wir aus Kinderschutzverläufen lernen? Kernaussagen aktueller Fallanalysen. In: Das Jugendamt. Zeitschrift für Jugendhilfe, S Beckmann, Janna et al. (2019): Ärztliche Versorgung Minderjähriger nach sexueller Gewalt ohne Einbezug der Eltern und Möglichkeiten zur Einbeziehung des Jugendamts. In: Das Jugendamt 92 (2), S Beutler, Christine et al. (2019): Vormundschaften: Auswirkungen der rechtlichen Rahmenbedingungen auf die Beziehung zwischen Amtsvormünder/innen und ihren Mündeln. In: Das Jugendamt,92 (7;8), S Busch-Geertsema, Volker; Henke, Jutta; Steffen, Axel (2019): Wohnungslosigkeit in Deutschland Jahrgang 2020, HEFT 2 125

64 Literatur In: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.v. 99 (11), S Conen, Marie-Luise (2019): Ohne Herkunftseltern geht es nicht. In: ZKJ Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 14 (9;10), S Dittmann, Eva; Müller, Heinz (2019): Zweite Runde, neuer Anlauf?! Die SGB-VIII-Reform und die Kinder- und Jugendhilfe der Zukunft. In: Themenheft (Hg.): Unsere Jugend (9), S Du Carrois, Michael (2019): Die Abgrenzung familienähnlicher Formern der Heimerziehung von der Vollzeitpflege. In: Blickpunkt Jugendhilfe 24 (5), S Galli, Folco (2019): Neue Beiträge zur Geschichte der Heimerziehung. In: #prison-info (1), S. 39. Gruber, Katharina (2019): Abschiebungen, Soziale Arbeit und Community Organizing. Wege aus dem Spannungsfeld. In: Forum Sozial. Die Berufliche Soziale Arbeit. (3), S Grünenwald, Christoph; Rössel, Max (2019): Leistungsgewährung nach 35a SGB VIII auf Stand der Reformstufe 3 des Bundesteilhabegesetzes. In: Das Jugendamt 92 (12), Hagemann, Philipp; Modde, Dorothea (2019): Die große Vormundschaftsreform. In: ZKJ Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 14 (2), S Hammerschmidt, Peter; Hans, Anne; Oechler, Melanie; Uhlendorff, Uwe (2019): Heimerziehung in der Adenauer Ära Über die Heimreformdiskussionen und Reformblockaden. In: neue praxis, S Hinrichs, Knut (2019): Die Stärkung präventiver, sozialräumlicher Angebote im Kinder- und Jugendhilferecht gemeinsam mit den oder auf Kosten der Hilfen zur Erziehung? In: Evangelische Jugendhilfe 96 (2), S Klug, Christina; Sierwald, Wolfgang (2019): Von der Heimeinrichtung in die Eigenständigkeit. Handlungsbefähigung und Auszugserleben von Care-LeaverInnen. In: Unsere Jugend, S Knodel, Heinricht (2019): Wohnung erhalten, statt Wohnungslose unterbringen: das Projekt FAWOS. In: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.v. 99 (11), S Knuth, Nicole; Schmidt, Holger (2019): Elternpartizipation in der Heimerziehung gewollt und trotzdem nicht selbstverständlich? In: Evangelische Jugendhilfe 96 (2), S Kupffer, Samuel (2019): Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten. Rechtliche Rahmenbedingungen und praktische Umsetzung. In: Das Jugendamt 92 (11), S Lüders, Christian (2019): Hilfe durch Zwang? Professionelle Sorgebeziehungen im Spannungsfeld von Wohl und Selbstbestimmung. In: ZKJ Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 14 (9;10), S Panse, Petra (2019): VIELFALTer : Berufliche Integration von Menschen mit Behinderung Zertifiziertes Projekt des Diakoniewerkes Osterburg. In: Evangelische Jugendhilfe 96 (2), S Pluto, Liane (2019): Entwicklungen in der Hifeplanung und Beteiligung von Kindern und Jugendlichen aus der Sicht von stationären Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung und Jugendämtern. In: Das Jugendamt 92 (9), S Rau, Thea et al (2019): Zukünftige Zielgruppen für stationäre Einrichtung der Jugendhilfe. Ergebnisse einer empirischen Befragung zu den Bedarfen in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Das Jugendamt 92 (9), S Schönecker, Lydia (2019): Auswirkungen des BTHG auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen. In: heilpädagogik.de 34 (3), S Schrödter, Mark; Freres, Katharina (2019): Bedingungslose Jugendhilfe. In: neue praxis, Bd. 3. S Themenheft (2019): Bilderflut, die nicht nur Kinoleinwände sprengt Der Film Systemsprenger und seine Geschichten. In: EREV Theorie und Praxis der Jugendhilfe (28), S Themenheft (2019): Freundschaft, Liebe und Sexualität in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Unsere Jugend, 6. Themenheft (2019): Freundschaft, Liebe und Sexualität in der Kinder- und Jugendhilfe, u. a. mit Schumann, Kerstin : Geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe und die Geschlechtervielfaltsperspektive. In: Unsere Jugend, 6, S Themenheft (2019): Grenzen überschreiten, u. a. mit Huber, Sven: Grenzen Grenzbearbeitung Heimerziehung. In: Sozialpädagogische Impulse, 4, S Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

65 Literatur Themenheft (2019): Im Fokus Radikalisierung und Extremismus. In: Forum Jugendhilfe, 2. Themenheft (2019): Im Fokus Rechte von Kindern und Jugendlichen im digitalen Raum. In: Forum Jugendhilfe, 1. Themenheft (2019): Leaving care und dann, u. a. mit Karpenstein, Johanna: Zur Situation von ehemals minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen. In: Jugendhilfe, 6, S Themenheft (2019): Neuer Autoritarismus Schwarze Pädagigik 2.0? Punitive Tendenzen in Familie, Schule und Kinder- und Jugensarbeit, u. a. mit Cremer-Schäfer, Helga: Wer ist interessiert an und anfällig für Punitivität? Bemerkungen zu Unterschieden und Verwandtschaften von Herrschaftstechniken. In: Widersprüche, 154, S Themenheft (2019): Perspektiven. Mädchen* und junge Frauen* nach der Flucht. In: Betrifft Mädchen 32 (3). Themenheft (2019): Qualität. u. a. mit Winkler; Michael: Qualität Überlegungen zu einem überbeanspruchten Begriff. In: Sozialpädagogische Impulse (3), S Themenheft (2019): Standorte der Mädchen*arbeit. Erfahrungen Konzepte Pädagogik. In: Betrifft Mädchen 32 (4), S Themenheft (2019): Trauma in Zeiten globaler Selbstoptimierung. In: Widersprüche, 152). Themenheft (2019): Verselbstständigung Wege aus der Kinder- und Jugendhilfe. In: Jugendhilfe, 4. Themenheft (2019.): Im Fokus (Junge) islamische Akteure in der Kinder- und Jugendhilfe. In: Forum Jugendhilfe, 4. Wendelin, Holger (2019): Zwischen Konsoldierung und Einhegung: Auslandsmaßnahmen der Jugendhilfe und die SGB VIII-Reform. In: ZKJ Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 14 (9;10), S Wiesner, Reinhard (2019): Von der Inobhutnahme in die Anschlusshilfe. In: ZKJ Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 14 (11), S Zinsmeister, Julia; Kliemann, Andrea; Bernhard, Katja (2019): Kinder schützen. Mitarbeinde vor Vorverurteilung bewahren (Teil 1). In: ZKJ Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe 14 (2), S ; Teil 2 in: ZKJ 14 (3), S Ich bin laut. Ich bin wütend. Ich brauche dich. Hilfe schaffen, um das Leben zu schaffen. Für fordernde Kinder und Jugendliche. Informiere dich unter Erzieher und Sozialpädagogen (m/w/div) gesucht bewirb dich jetzt! 2 6. Jahrgang 2020, HEFT 2 127

66 Impressum Herausgeberin: Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) Sektion Bundesrepublik Deutschland der Fédération Internationale des Communautés Educatives (FICE) e.v. Redaktion: Prof. Dr. Claudia Daigler, Esslingen; Prof. Dr. Diana Düring, Jena, Dr. Thomas Drößler, Dresden; Prof. Dr. Werner Freigang, Neubrandenburg; Prof. em. Hannelore Häbel, Tübingen; Valentin Kannicht, Leipzig; Josef Koch (verantwortlich), Frankfurt a.m.; Prof. Friedhelm Peters, Dresden; Prof. Dr. Nicole Rosenbauer, Dresden; Dirk Schäfer, Bonn; Tina Stremmer, Dortmund; Juliane Meinhold, Berlin; Norbert Struck, Berlin; Lydia Tomaschowski, Berlin; Lisa Albrecht, Frankfurt a.m.; Jenna Vietig, Bonn, Prof. Dr. em. Peter Schruth, Berlin. Redaktionsbeirat: Inga Abels, Bonn; Prof. Dr. em. Ullrich Gintzel, Dresden; Nerea González Méndez de Vigo, Berlin; Dr. Matthias Hamberger, Tübingen; Prof. Dr. Luise Hartwig, Münster; Lucas-Johannes Herzog, Stuttgart; Claudia Porr, Mainz; Prof. Dr. Reinhold Schone, Münster; Dr. Kristin Teuber, München; Wolfgang Trede, Böblingen; Dr. Monika Weber, Münster; Prof. Dr. Holger Wendelin, Bochum; Prof. Dr. Norbert Wieland, Münster; Prof. Dr. Annegret Wigger, St. Gallen (Schweiz); Prof. Dr. Hans-Dieter Will, Erfurt; Prof. Dr. Michael Winkler, Jena; Prof. Dr. Mechthild Wolff, Landshut. Redaktionsanschrift: Josef Koch, IGfH-Geschäftsstelle, Galvanistraße 30, Frankfurt a. M., Tel: +49(0)69/ , Fax: +49(0)69/ , Manuskripte werden jederzeit als Ausdruck und Datei an die Redaktion erbeten. Es werden nur Originalbeiträge angenommen. Für unverlangte Sendungen wird keine Haftung übernommen. Rücksendung erfolgt nur, wenn entsprechendes Rückporto beiliegt. Verlag: Julius Beltz GmbH & Co. KG, Juventa, Werderstraße 10, Weinheim Forum Erziehungshilfen erscheint fünfmal jährlich, jeweils im Februar, April, Juli, September und Dezember. Unter finden Sie ein Gesamtregister der Zeitschriftenbeiträge. Preise und Bezugsbedingungen: Jahresabonnement EUR 38,, Studierende (gegen Vorlage einer Studienbescheinigung) EUR 31,, Einzelheft EUR 10, (jeweils zzgl. Versandspesen). Der Gesamtbezugspreis (Abonnementspreis plus Versandspesen, Inland EUR 5,50) ist preisgebunden. Abbestellungen spätestens 6 Wochen vor Jahresabonnementsende. Für Mitglieder der IGfH ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Ein Probeabonnement umfasst 3 Hefte zum Preis von EUR 17,30 frei Haus. Anzeigen: Claudia Klinger, Julius Beltz GmbH & Co. KG, Postfach , D Weinheim, Tel.: 06201/ , Fax: 06201/ , anzeigen@beltz.de Fragen zum Abonnement und Einzelheftbestellungen: Beltz Medien-Service, Postfach , D Weinheim, Tel.: 06201/ , Fax: 06201/ , medienservice@beltz.de Das Forum Erziehungshilfen wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Titelfoto: Getty/Images FatCamera Printed in Germany ISSN Diesem Heft liegt das Programm der IGfH-Jahrestagung 2020 in Kooperation mit der Fachhochschule Potsdam bei, die von in Vorschau Potsdam stattfindet. Heft 3/2020 von Forum Erziehungshilfen erscheint im Juli 2020 und hat das Schwerpunktthema Parteilichkeit heute. Mit Beiträgen u. a. von Friedhelm Peters, Ruth Seyboldt, Helga Cremer-Schäfer, Melanie Plößer und Susanne Maurer. 128 Beltz Juventa FORUM ERZIEHUNGSHILFEN Lizenziert für Robin Loh

67 Der - Newsletter Gibt Antworten: Was bewegt die Soziale Arbeit? Wie entwickelt sich die Sozialpolitik? Was passiert in der Gesellschaft? Welche Konferenzen und Weiterbildungen gibt es? Und empfiehlt Ihnen: Neue Portale im Netz Praxismaterialien print und digital Neuerscheinungen Jetzt kostenlos abonnieren Ein weiter Blick in die Soziale Arbeit neben einem fokussierten Themenheft Wissenschaft und Praxis zueinander gebracht 6 x jährlich Gewinnspiel mit Buchverlosung JUVENTA

Inhalt. Rechtsgrundlagen im SGV VIII Perspektivenplanung in der Hilfeplanung Die Herkunftsfamilie Die Pflegefamilie

Inhalt. Rechtsgrundlagen im SGV VIII Perspektivenplanung in der Hilfeplanung Die Herkunftsfamilie Die Pflegefamilie 9. Gemeinsamer Kinderschutztag für Jugendämter und Familiengerichte am 8. März 2017 in Schwetzingen Kinder in Pflegefamilieneine zeitlich befristete oder eine dauerhafte Lebensperspektive für die Kinder

Mehr

VORMUNDSCHAFT/ PFLEGSCHAFT FÜR PFLEGEKINDER

VORMUNDSCHAFT/ PFLEGSCHAFT FÜR PFLEGEKINDER VORMUNDSCHAFT/ PFLEGSCHAFT FÜR PFLEGEKINDER Wundertüte e.v. - Martina Scheidweiler 21.2.2013 Realität von Pflegekindern Elternrolle fällt auseinander Biologische Eltern Soziale Eltern Finanzielle Eltern

Mehr

Das Pflegekind und seine Entwicklung im Blick behalten Rollen und Aufgaben in der Kooperation von ASD, PKD und Vormund

Das Pflegekind und seine Entwicklung im Blick behalten Rollen und Aufgaben in der Kooperation von ASD, PKD und Vormund Das Pflegekind und seine Entwicklung im Blick behalten Rollen und Aufgaben in der Kooperation von ASD, PKD und Vormund Fachkräfte zwischen Unterstützung und Kontrolle der Pflegefamilie Dr. Thomas Meysen

Mehr

Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK)

Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) am 26./27.Mai 2011 in Essen TOP 6.1 Aufgaben im Rahmen von Vormundschaft insbesondere bei Hilfen zur Erziehung (Grüne Liste) Beschluss: 1. Die JFMK stimmt dem

Mehr

Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft

Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft Einwurf zum Prozess Mitreden Mitgestalten zur Vorbereitung einer SGB VIII-Reform: Unterbringung außerhalb der eigenen Familie: Kindesinteressen wahren Eltern unterstützen

Mehr

Das Vormundschaftsgesetz und seine Folgen für die Praxis von Pflegefamilien und Erziehungsstellen

Das Vormundschaftsgesetz und seine Folgen für die Praxis von Pflegefamilien und Erziehungsstellen Vormünder als Ressource nicht als Belastung. Das Vormundschaftsgesetz und seine Folgen für die Praxis von Pflegefamilien und Erziehungsstellen Henriette Katzenstein, Deutsches Institut für Jugendhilfe

Mehr

Leistungsfähige Pflegekinderdienste: Qualitätskriterien und finanzielle Steuerung

Leistungsfähige Pflegekinderdienste: Qualitätskriterien und finanzielle Steuerung Leistungsfähige Pflegekinderdienste: Qualitätskriterien und finanzielle Steuerung Prof. Dr. Klaus Wolf Universität Siegen Forschungsgruppe Pflegekinder Vorbemerkungen Leistungsfähige Pflegekinderdienste:

Mehr

Zusammenwirken von Familiengericht und Jugendamt in der Pflegekinderhilfe

Zusammenwirken von Familiengericht und Jugendamt in der Pflegekinderhilfe Kooperation im Kinderschutz 6. Gemeinsamer Kinderschutztag für Jugendämter und Familiengerichte des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales, des Justizministeriums und des Ministeriums für Arbeit und

Mehr

Unser Kind lebt in einer Pflegefamilie

Unser Kind lebt in einer Pflegefamilie Unser Kind lebt in einer Pflegefamilie Freistaat Sachsen Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales IMPRESSUM Herausgeber: Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales Abteilung 4 - Landesjugendamt

Mehr

Amtsvormundschaften und Pflegschaften

Amtsvormundschaften und Pflegschaften LANDKREIS VORPOMMERN-GREIFSWALD Amtsvormundschaften und Pflegschaften Die Amtsvormünder des Landkreises Vorpommern-Greifswald informieren www.kreis-vg.de Vorwort Die Erziehung eines Kindes ist wohl die

Mehr

Prof.Dr.Dr.h.c.Reinhard Wiesner Übergänge in den Hilfen zur Erziehung

Prof.Dr.Dr.h.c.Reinhard Wiesner Übergänge in den Hilfen zur Erziehung Prof.Dr.Dr.h.c.Reinhard Wiesner Übergänge in den Hilfen zur Erziehung Jahrestagung der Träger und Leiter/-innen von Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung und sonstigen betreuten Wohnformen am 15. und

Mehr

Reform des Vormundschaftsrechts NACH DER REFORM IST VOR DER REFORM

Reform des Vormundschaftsrechts NACH DER REFORM IST VOR DER REFORM Reform des Vormundschaftsrechts NACH DER REFORM IST VOR DER REFORM Gliederung A. Einleitung, Problemstellung B. Gesetzliches Grundkonzept und Reformbedarf C. Die Reform von 2011 D. Der Diskussionsteilentwurf

Mehr

Publikationsplanung der IGfH 2018/2019. Eigenes Publikationsverzeichnis mit 80 Titeln anfordern: Verlagsverzeichnis 2018/2019 der IGfH:

Publikationsplanung der IGfH 2018/2019. Eigenes Publikationsverzeichnis mit 80 Titeln anfordern: Verlagsverzeichnis 2018/2019 der IGfH: Publikationsplanung der IGfH 2018/2019 Eigenes Publikationsverzeichnis mit 80 Titeln anfordern: Verlagsverzeichnis 2018/2019 der IGfH: igfh@igfh.de Publikationsplanung der IGfH 2018/2019 Forum Erziehungshilfen

Mehr

DIJuF Interaktiv Stand: Entwurfsfassung für 2017

DIJuF Interaktiv  Stand: Entwurfsfassung für 2017 DIJuF Interaktiv www.kijup-sgbviii-reform.de Stand: 31.8.2016 SYNOPSE zur Arbeitsfassung/Diskussionsgrundlage zur Vorbereitung eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Ausschnitt), 23.8.2016

Mehr

4. Statement: Pflegekinder mit Behinderung

4. Statement: Pflegekinder mit Behinderung 4. Statement: Pflegekinder mit Behinderung Expert_innenworshop -Stand und Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe aus Perspektive der Kommunen- 02. Dezember 2018 Sylvia Chebila / Jugendamt Mannheim Sachgebietsleiterin

Mehr

Das Kindeswohl als Maßstab für die Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen zum Begleiteten Umgang

Das Kindeswohl als Maßstab für die Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen zum Begleiteten Umgang Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung Landesjugendamt Das Kindeswohl als Maßstab für die Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen zum Begleiteten Umgang Handreichung Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses

Mehr

Stärkung der Personensorge 27. UND 28. SEPTEMBER 2018

Stärkung der Personensorge 27. UND 28. SEPTEMBER 2018 1 Stärkung der Personensorge 27. UND 28. SEPTEMBER 2018 Ausgestaltung der Personensorge 2 1793 Aufgaben des Vormunds 1629 Vertretung des Kindes 1626 Abs. 2 Fähigkeiten beachten 1800 Umfang der Personensorge

Mehr

Standards in der Zusammenarbeit zwischen Vormundschaft RSD

Standards in der Zusammenarbeit zwischen Vormundschaft RSD Standards in der Zusammenarbeit zwischen Vormundschaft RSD gemeinsame Absprachen und Hausbesuche bei mdj. Mütter, Austausch von Informationen bei Anträgen auf Sorgerechtsentzüge den Bereich Vormundschaft

Mehr

Umgang mit der Umgangsregelung wer hat was zu sagen?

Umgang mit der Umgangsregelung wer hat was zu sagen? Umgang mit der Umgangsregelung wer hat was zu sagen? Hessischer Fachtag für Fachkräfte der Pflegekinderhilfe Fachkräfte zwischen Unterstützung und Kontrolle der Pflegefamilie Darmstadt, 10. Oktober 2013

Mehr

Traumhochzeit versus Hochstrittigkeit Standards in den Kooperationen von Vormundschaft und RSD Schnittstellen und Stolpersteine

Traumhochzeit versus Hochstrittigkeit Standards in den Kooperationen von Vormundschaft und RSD Schnittstellen und Stolpersteine Traumhochzeit versus Hochstrittigkeit Standards in den Kooperationen von Vormundschaft und RSD Schnittstellen und Stolpersteine 2011 waren wir auch bereits verheiratet haben gemeinsam gewirtschaftet, gearbeitet

Mehr

Brennpunkte in der Bereitschaftspflege Perspektivklärung Umgangskontakte Vermittlungsentscheidung

Brennpunkte in der Bereitschaftspflege Perspektivklärung Umgangskontakte Vermittlungsentscheidung Brennpunkte in der Bereitschaftspflege Perspektivklärung Umgangskontakte Vermittlungsentscheidung Judith Pierlings Hochschule Düsseldorf; Forschungsgruppe Pflegekinder Siegen Katharina Lohse Deutsches

Mehr

Verwandten- Netzwerkpflege sowie bedarfsgerechte Angebotsformen der PKH

Verwandten- Netzwerkpflege sowie bedarfsgerechte Angebotsformen der PKH Expert_innenworkshop Dialogforum PKH 3.12.2018 Verwandten- Netzwerkpflege sowie bedarfsgerechte Angebotsformen der PKH Statement 2 Andreas Sahnen, SGL PKD Jugendamt Düsseldorf Gliederung 1. Verwandten

Mehr

Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Forum 2 Prof. Dr. Petra Mund, KHSB 2 Im Kontext von Beteiligung und Beschwerde stellen sich viele Fragestellungen:

Mehr

Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe und der Erziehungsstellen

Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe und der Erziehungsstellen Vom Kind aus denken! Inklusives SGB VIII Einordung der Überlegungen und Entwürfe der Bundesregierung zur Weiterentwicklung und Steuerung der Kinder- und Jugendhilfe Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe

Mehr

Juristische Perspektiven auf Verbleib und Rückkehr

Juristische Perspektiven auf Verbleib und Rückkehr Juristische Perspektiven auf Verbleib und Rückkehr IGfH Bundestagung Bereitschaftspflege 19./20. April 2018 in Bonn Dr. Thomas Meysen SOCLES International Centre for Socio-Legal Studies, Heidelberg/Berlin

Mehr

PERSPEKTIVPLANUNG FÜR DAS KIND, ELTERNARBEIT, FREMDUNTERBRINGUNG ( 37 SGB VIII) Wie ist mein Jugendamt gut aufgestellt?

PERSPEKTIVPLANUNG FÜR DAS KIND, ELTERNARBEIT, FREMDUNTERBRINGUNG ( 37 SGB VIII) Wie ist mein Jugendamt gut aufgestellt? PERSPEKTIVPLANUNG FÜR DAS KIND, ELTERNARBEIT, FREMDUNTERBRINGUNG ( 37 SGB VIII) Wie ist mein Jugendamt gut aufgestellt? 37 DER RÜCKFÜHRUNGSPARAGRAPH: 37 SGB VIII NOCH NIE GEHÖRT? 37 - Zusammenarbeit bei

Mehr

Beteiligung und Beschwerde in der stationären Kinder- und Jugendhilfe Hinweise zu den gesetzlichen Anforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten

Beteiligung und Beschwerde in der stationären Kinder- und Jugendhilfe Hinweise zu den gesetzlichen Anforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten und Beschwerde in der stationären Kinder- und Jugendhilfe Hinweise zu den gesetzlichen Anforderungen und Umsetzungsmöglichkeiten Der Gesetzgeber hat mit dem Bundeskinderschutzgesetz den Schutz und die

Mehr

Gemeinsame Stellungnahme

Gemeinsame Stellungnahme Gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes (DCV) e.v. des Sozialdienstes katholischer Frauen Gesamtverein (SkF) e.v. des SKM Katholischer Verband für soziale Dienste in Deutschland e.v. und

Mehr

Gelingende Kooperation im Kinderschutz. - Aus Fehlern lernen -

Gelingende Kooperation im Kinderschutz. - Aus Fehlern lernen - Gelingende Kooperation im Kinderschutz - Aus Fehlern lernen - Christine Gerber, Jugend- & Sozialamt Frankfurt NZFH/DJI 15. Oktober 2014 Kooperation & Vernetzung als zentrale Strategie zur Qualitätsentwicklung

Mehr

Schutz des Pflegekindes: Rechtliche Anforderungen und fachlicher Alltag

Schutz des Pflegekindes: Rechtliche Anforderungen und fachlicher Alltag Schutz des Pflegekindes: Rechtliche Anforderungen und fachlicher Alltag Kinder in Pflegefamilien Förderung Beteiligung Schutz Dr. Thomas Meysen Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF)

Mehr

Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe und der Erziehungsstellen

Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe und der Erziehungsstellen Vom Kind aus denken! Inklusives SGB VIII Einordung der Überlegungen und Entwürfe der Bundesregierung zur Weiterentwicklung und Steuerung der Kinder- und Jugendhilfe Weiterentwicklung der Pflegekinderhilfe

Mehr

Dr. Dag Schölper. Fachreferent & stellvertretender Geschäftsführer des BUNDESFORUM MÄNNER Interessenverband für Jungen, Männer und Väter e.v.

Dr. Dag Schölper. Fachreferent & stellvertretender Geschäftsführer des BUNDESFORUM MÄNNER Interessenverband für Jungen, Männer und Väter e.v. ein Kommentar Dr. Dag Schölper Fachreferent & stellvertretender Geschäftsführer des BUNDESFORUM MÄNNER Interessenverband für Jungen, Männer und Väter e.v. Zweck von Recht und Gesetzgebung Das Recht ist

Mehr

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Deutschland Alternativen für die Unterbringung: Gastfamilien Alternativen zur Amts-, Berufs- und Vereinsvormundschaft: Ehrenamtliche Vormundschaft 12.04.2018 Dr.

Mehr

Partizipation und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Erziehungshilfe - Einführung ins Tagungsthema-

Partizipation und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Erziehungshilfe - Einführung ins Tagungsthema- Partizipation und Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Erziehungshilfe - Einführung ins Tagungsthema- Praxistag am 10.04.2013 in Herrenberg Gültstein Warum Beteiligung wichtig ist: Beteiligung ist

Mehr

Vormundschaftliche Vertretung. Fachtag Update Recht , Bonn

Vormundschaftliche Vertretung. Fachtag Update Recht , Bonn Vormundschaftliche Vertretung Fachtag Update Recht 13.02.2017, Bonn Rückschau Der Bundesgesetzgeber hat (erst) 2005 mit einer Neuformulierung des 42 SGB VIII im Rahmen des so genannten Kick Kinder- und

Mehr

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Statistisches Bundesamt Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Pflegschaften, Vormundschaften, Beistandschaften, Pflegeerlaubnis, Sorgerechtsentzug, Sorgeerklärungen 2016 Erscheinungsfolge: jährlich Erschienen

Mehr

Input für den Aktionstag des Aktionsbündnisses Kinder mit Behinderungen in Pflegefamilien am 29. August 2014 in Bremen

Input für den Aktionstag des Aktionsbündnisses Kinder mit Behinderungen in Pflegefamilien am 29. August 2014 in Bremen Input für den Aktionstag des Aktionsbündnisses Kinder mit Behinderungen in Pflegefamilien am 29. August 2014 in Bremen Dr. Thomas Meysen, Fachliche Leitung, Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht

Mehr

Vormundschaften für Kinder und Jugendliche in der Stadtgemeinde Bremen (Große Anfrage der Fraktion der CDU)

Vormundschaften für Kinder und Jugendliche in der Stadtgemeinde Bremen (Große Anfrage der Fraktion der CDU) Mitteilung des Senats an die Stadtbürgerschaft vom 26. Mai 2009 Vormundschaften für Kinder und Jugendliche in der Stadtgemeinde Bremen (Große Anfrage der Fraktion der CDU) Die Fraktion der CDU hat folgende

Mehr

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Mädchen im Blick. Thematische Einführung. Lydia Tomaschowski

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Mädchen im Blick. Thematische Einführung. Lydia Tomaschowski Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Mädchen im Blick Thematische Einführung Lydia Tomaschowski Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) Bundesweiter Fachverband für Erziehungshilfen

Mehr

Kinder und Jugendhilfe in Deutschland. Das Jugendamt

Kinder und Jugendhilfe in Deutschland. Das Jugendamt Kinder und Jugendhilfe in Deutschland Das Jugendamt Normative Grundlegung Erziehungsanspruch junger Menschen und öffentliche Kinder- und Jugendhilfe Grundgesetz - GG Art 6 Abs. 2 Satz 1 GG: Erziehung =

Mehr

ANHÖRUNG ZUR AUSWAHL DES VORMUNDS IM JUGENDAMT UND ERSTER KONTAKT AG 10 FRIEDHELM GÜTHOFF DKSB LV NRW MEIN FOKUS

ANHÖRUNG ZUR AUSWAHL DES VORMUNDS IM JUGENDAMT UND ERSTER KONTAKT AG 10 FRIEDHELM GÜTHOFF DKSB LV NRW MEIN FOKUS ANHÖRUNG ZUR AUSWAHL DES VORMUNDS IM JUGENDAMT UND ERSTER KONTAKT AG 10 FRIEDHELM GÜTHOFF DKSB LV NRW MEIN FOKUS Perspektiven Fazit: Herausforderung für die Vormundschaft PERSPEKTIVE Beteiligung Anhörung

Mehr

Leistungsbeschreibung. Erziehungsstellen. LWL Heilpädagogisches Kinderheim Hamm Lisenkamp Hamm

Leistungsbeschreibung. Erziehungsstellen. LWL Heilpädagogisches Kinderheim Hamm Lisenkamp Hamm LWL Heilpädagogisches Kinderheim Hamm Lisenkamp 27-59071 Hamm www.lwl-heiki-hamm.de Leistungsbeschreibung Erziehungsstellen LWL Heilpädagogisches Kinderheim Hamm Lisenkamp 27 59071 Hamm E-Mail: lwl-heikihamm@lwl.org

Mehr

vormund_broschuere_akz :38 Uhr Seite 1 Dein Vormund vertritt dich D i e I n f o r m a t i o n s b r o s c h ü r e

vormund_broschuere_akz :38 Uhr Seite 1 Dein Vormund vertritt dich D i e I n f o r m a t i o n s b r o s c h ü r e vormund_broschuere_akz 19.12.2005 17:38 Uhr Seite 1 Dein Vormund vertritt dich Die Informationsbroschüre vormund_broschuere_akz 19.12.2005 17:38 Uhr Seite 2 Diese Broschüre ist eine Publikation der Internationalen

Mehr

Fit for Jugendhilfe. Rechtsgrundlagen

Fit for Jugendhilfe. Rechtsgrundlagen Fit for Jugendhilfe Basisinformationen für Quereinsteiger aus anderen Systemen und Rechtskreisen Rechtsgrundlagen Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) - Kinderund Jugendhilfe Bürgerliches Gesetzbuch

Mehr

Die Rechtsstellung von Pflegeeltern

Die Rechtsstellung von Pflegeeltern Ringvorlesung Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege am 12. November 2014 in Holzminden Die Rechtsstellung von Pflegeeltern, Doktorandin am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik, München

Mehr

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Statistisches Bundesamt Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Pflegschaften, Vormundschaften, Beistandschaften Pflegeerlaubnis, Sorgerechtsentzug, Sorgeerklärungen 2015 Erscheinungsfolge: jährlich Erschienen

Mehr

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Statistisches Bundesamt Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Pflegschaften, Vormundschaften, Beistandschaften Pflegeerlaubnis, Sorgerechtsentzug, Sorgeerklärungen 2014 Erscheinungsfolge: jährlich Erschienen

Mehr

Alle(s) zum Wohl des Kindes - Zusammenarbeit von

Alle(s) zum Wohl des Kindes - Zusammenarbeit von Alle(s) zum Wohl des Kindes - Chancen und Grenzen der Zusammenarbeit von Familiengericht und Jugendamt Das Pflegekind und seine Bezugspersonen Besonderheiten im Bindungs- und Beziehungserleben von Pflegekindern

Mehr

Britta Sievers (IGfH) & Severine Thomas (Uni Hildesheim) Deutscher Kinder- und Jugendhilfetag

Britta Sievers (IGfH) & Severine Thomas (Uni Hildesheim) Deutscher Kinder- und Jugendhilfetag Universität Hildesheim & Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH, Frankfurt) www.careleaver-online.de (Pixaby 569130_1920) Care Leaver haben Rechte! Erfahrungen aus Beteiligungsworkshops

Mehr

Ombudschaften. auch nützlich für. Jugendhilfeausschüsse & Jugendämter

Ombudschaften. auch nützlich für. Jugendhilfeausschüsse & Jugendämter Ombudschaften auch nützlich für Jugendhilfeausschüsse & Jugendämter Bernd Hemker 01.10.2014 Aktuelle Anfragen: Darf mein Taschengeld vom Wohngruppenleiter gekürzt werden, bloß weil ich Mist gebaut habe?

Mehr

Herzlich Willkommen. Workshop 4 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Pflegefamilien

Herzlich Willkommen. Workshop 4 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Pflegefamilien Herzlich Willkommen Workshop 4 Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Pflegefamilien Chancen und Grenzen familiärer Netzwerke bei der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und

Mehr

Stellungnahme zu den Eckpunkten des Bundesjustizministeriums vom für die weitere Reform des Vormundschaftsrechts

Stellungnahme zu den Eckpunkten des Bundesjustizministeriums vom für die weitere Reform des Vormundschaftsrechts BAG KiAP Siedlerstr. 21 76865 Rohrbach Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Mohrenstraße 37 10117 Berlin Dr. Johannes Rupp Vorsitzender Siedlerstr. 21 76865 Rohrbach Tel. 06349 1020 FAX

Mehr

Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe. Dr. Hans-Jürgen Schimke

Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe. Dr. Hans-Jürgen Schimke Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen in der Kinder- und Jugendhilfe 1. Komplex: Allgemeine Fragen des Beteiligungsrechts von Kindern und Jugendlichen Grundprobleme der Beteiligung von Kindern

Mehr

Ombudsstellenin der Kinderund Jugendhilfe. -Qualitätsstandards und Entwicklungsperspektiven - September 2018

Ombudsstellenin der Kinderund Jugendhilfe. -Qualitätsstandards und Entwicklungsperspektiven - September 2018 Ombudsstellenin der Kinderund Jugendhilfe -Qualitätsstandards und Entwicklungsperspektiven - September 2018 Ein Begriff Zwei Diskurse Ombudschaftim Bereich Rechte junger Menschen und ihrer Familien in

Mehr

DIE VORMUNDSCHAFTSREFORM AUS DER SICHT VON PFLEGEKINDERN UND -ELTERN. Prof. Dr. Barbara Veit Georg-August-Universität Göttingen

DIE VORMUNDSCHAFTSREFORM AUS DER SICHT VON PFLEGEKINDERN UND -ELTERN. Prof. Dr. Barbara Veit Georg-August-Universität Göttingen DIE VORMUNDSCHAFTSREFORM AUS DER SICHT VON PFLEGEKINDERN UND -ELTERN Prof. Dr. Barbara Veit Georg-August-Universität Göttingen EINLEITUNG BEDARF DER PFLEGEKINDER Sicherheit, Stabilität und Kontinuität

Mehr

Veranstaltungsprogramm

Veranstaltungsprogramm Veranstaltungsprogramm AT 4220/18 VORMUNDSCHAFT UND PFLEGSCHAFT GEM. 1773 FF. BGB - Modul 1 Rechtliche und sozialpädagogische Kompetenzen für die Vertretung und Interessenwahrnehmung Minderjähriger 17.10.2018.

Mehr

Hilfen zur Erziehung. 27 ff. SGB VIII

Hilfen zur Erziehung. 27 ff. SGB VIII Hilfen zur Erziehung 27 ff. SGB VIII Spezifische rechtliche und pädagogische Merkmale der Hilfen zur Erziehung (HzE) HzE wird - als Leistung der Jugendhilfe - von KlientInnen freiwillig in Anspruch genommen

Mehr

Genehmigung der Taufe eines Pflegekindes Bestimmung des religiösen Bekenntnisses

Genehmigung der Taufe eines Pflegekindes Bestimmung des religiösen Bekenntnisses Genehmigung der Taufe eines Pflegekindes Bestimmung des religiösen Bekenntnisses Viele Pflegeeltern stellen sich die Frage, ob sie die Religion ihres Pflegekindes bestimmen oder eventuell ändern können.

Mehr

Die Kinder und Jugendlichen werden im Alltag je nach Entwicklungsstand und Alter beteiligt.

Die Kinder und Jugendlichen werden im Alltag je nach Entwicklungsstand und Alter beteiligt. KONZEPTPAPIER BETEILIGUNG VON KINDERN UND JUNGENDLICHEN IN DEN WAB-GRUPPEN Stand: 01.04.2016 1. GRUNDSÄTZLICHES Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist wesentlicher Bestandteil des Kinderschutzes

Mehr

LVR-Landesjugendamt. Junge Kinder in den Angeboten der stationären Erziehungshilfe

LVR-Landesjugendamt. Junge Kinder in den Angeboten der stationären Erziehungshilfe Junge Kinder in den Angeboten der stationären Erziehungshilfe Rahmenbedingungen und fachliche Grundlagen der Angebote mit Plätzen für junge Kinder zur Erteilung der Betriebserlaubnis nach 45 SGB VIII in

Mehr

Die insoweit erfahrene Fachkraft nach SGB VIII auch für uns?

Die insoweit erfahrene Fachkraft nach SGB VIII auch für uns? Die insoweit erfahrene Fachkraft nach SGB VIII auch für uns? Möglichkeiten und Grenzen von Kooperation Evelyn Theil Schabernack e.v. Güstrow Bundeskinderschutzgesetz Artikel 1: Gesetz zur Kooperation und

Mehr

Junge Kinder in Einrichtungen der stationären Erziehungshilfe

Junge Kinder in Einrichtungen der stationären Erziehungshilfe Junge Kinder in Einrichtungen der stationären Erziehungshilfe Eine Studie des Forschungsverbundes TU Dortmund/DJI gefördert durch die Landesjugendämter Rheinland und Westfalen Lippe Junge Kinder in Einrichtungen

Mehr

Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Dipl. Päd. Andreas Meißner Evin e.v. Graefestr Berlin

Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Dipl. Päd. Andreas Meißner Evin e.v. Graefestr Berlin Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Dipl. Päd. Andreas Meißner Evin e.v. Graefestr. 26 10967 Berlin andreas.meissner@evin-ev.de Begriffsklärung UMF Ein Begriffsungetüm, das nach Klärung

Mehr

Anhörung im BMFSFJ Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und

Anhörung im BMFSFJ Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Anhörung im BMFSFJ 30.06.2015 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher Rahmen Anwesend ca 40 Verbände und Organisationen

Mehr

Stand: Kinder- und Jugendhilfe in der 19. LP

Stand: Kinder- und Jugendhilfe in der 19. LP Stand: 26.04.2018 Kinder- und Jugendhilfe in der 19. LP Koalitionsvertrag 19. LP: Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe INHALT Wirksames Hilfesystem: Unterstützung der elterlichen Erziehungsverantwortung

Mehr

Bundeskinderschutzgesetz und das Fachkonzept Sozialraumorientierung

Bundeskinderschutzgesetz und das Fachkonzept Sozialraumorientierung Bundeskinderschutzgesetz und das Fachkonzept 8 a SGB VIII Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung 3 KKG Rahmenbedingungen für Netzwerkstrukturen im Kinderschutz 4 KKG Beratung und Übermittlung von Informationen

Mehr

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe wissen.nutzen. Statistisches Bundesamt Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Pflegschaften, Vormundschaften, Beistandschaften, Pflegeerlaubnis, Sorgerechtsentzug, Sorgeerklärungen 2017 Erscheinungsfolge:

Mehr

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Statistisches Bundesamt Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Pflegschaften, Vormundschaften, Beistandschaften Pflegeerlaubnis, Sorgerechtsentzug, Sorgeerklärungen 2013 Erscheinungsfolge: jährlich Erschienen

Mehr

Brandenburgisches Oberlandesgericht. Beschluss

Brandenburgisches Oberlandesgericht. Beschluss 10 WF 238/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht 2 F 795/05 Amtsgericht Strausberg Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss In der Familiensache betreffend das Kind F F, hier: wegen der Festsetzung

Mehr

Wir machen Sie fit für die Zukunft Seite 1 von 5 Seiten RA Torsten G. Blach. Einführung ins KJHG

Wir machen Sie fit für die Zukunft Seite 1 von 5 Seiten RA Torsten G. Blach. Einführung ins KJHG Seite 1 von 5 Seiten RA Torsten G. Blach Einführung ins KJHG 1. Ziele des KJHG: Richtziel... 2. Aufgaben des KJHG: Leistungen Definition: Andere Aufgaben Definition: 3. Leistungsberechtigte des KJHG: 4.

Mehr

UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE IN DER KINDER- UND JUGENDHILFE

UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE IN DER KINDER- UND JUGENDHILFE UNBEGLEITETE MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE IN DER KINDER- UND JUGENDHILFE WIE IST DIE KINDER- UND JUGENDHILFE AUFGESTELLT? Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz ggmbh (ism) Flachsmarktstr. 9 55116

Mehr

Grußwort. des rheinland-pfälzischen Justizministers. Dr. Heinz Georg Bamberger. anlässlich. der 2. Bundestagung. zur interdisziplinären Zusammenarbeit

Grußwort. des rheinland-pfälzischen Justizministers. Dr. Heinz Georg Bamberger. anlässlich. der 2. Bundestagung. zur interdisziplinären Zusammenarbeit Grußwort des rheinland-pfälzischen Justizministers Dr. Heinz Georg Bamberger anlässlich der 2. Bundestagung zur interdisziplinären Zusammenarbeit im Familienkonflikt am Montag, 6. Dezember 2010 in Mainz

Mehr

Gemeinsame Verantwortung für Kinder Einfluss und Möglichkeiten des Vormunds

Gemeinsame Verantwortung für Kinder Einfluss und Möglichkeiten des Vormunds Gemeinsame Verantwortung für Kinder Einfluss und Möglichkeiten des Vormunds Hamburg, den 10.09.2014 Vormundschaft für Kati Meier Vormünder ab 2008 bis 2010: Großeltern Svenja und Peter Meier Mutter: Karla

Mehr

Der Allgemeine Sozialdienst

Der Allgemeine Sozialdienst Der Allgemeine Sozialdienst Was tun, bevor das Kind in den Brunnen fällt? Der Allgemeine Sozialdienst als Anlaufstelle für Familien mit Kindern in schwierigen Lebenssituationen oder erzieherischen Problemen

Mehr

Sorgerecht und Sorgepflicht

Sorgerecht und Sorgepflicht Sorgerecht und Sorgepflicht Struktur und Ausgestaltung der elterlichen Sorge und deren Folgen im Alltagsbezug Gretel Diehl Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Artikel 6 Grundgesetz (1) Ehe und Familie

Mehr

Anforderungen an die qualitative Weiterentwicklung der Vollzeitpflege. Prof. Dr. Werner Freigang Hochschule Neubrandenburg

Anforderungen an die qualitative Weiterentwicklung der Vollzeitpflege. Prof. Dr. Werner Freigang Hochschule Neubrandenburg Anforderungen an die qualitative Weiterentwicklung der Vollzeitpflege Prof. Dr. Werner Freigang Hochschule Neubrandenburg Erste Zwischenbilanz des Modellprojektes Weiterentwicklung. Projektstandorte Förderung

Mehr

Brandenburgisches Oberlandesgericht. Beschluss

Brandenburgisches Oberlandesgericht. Beschluss 9 AR 8/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht 019 Amtsgericht Schwedt (Oder) ED 29/07 Amtsgericht Eberswalde - Familiengericht - Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss In der Unterbringungssache

Mehr

1. Rechtslage vor und nach dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am

1. Rechtslage vor und nach dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1. Rechtslage vor und nach dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1.7.1998 2. Entwicklung der Rechtslage bis heute unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG 3. Ausgewählte Lösungsvorschläge

Mehr

Kinder in Pflegefamilieneine zeitlich befristete oder eine dauerhafte Lebensperspektive für die Kinder

Kinder in Pflegefamilieneine zeitlich befristete oder eine dauerhafte Lebensperspektive für die Kinder Kinder in Pflegefamilieneine zeitlich befristete oder eine dauerhafte Lebensperspektive für die Kinder Rechtliche Situation- Status Quo und Perspektive I Materiellrechtlich 1. Rechte der Pflegeeltern (während

Mehr

Die Ersetzung der Einwilligung in die Adoption

Die Ersetzung der Einwilligung in die Adoption Die Ersetzung der Einwilligung in die Adoption Rechtslage und Reformbedarf PD Dr. Friederike Wapler Humboldt Universität zu Berlin Ersetzung der Einwilligung eines Elternteils ( 1748 BGB) Fallgruppen:

Mehr

Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (umf) in Dresden 2014

Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (umf) in Dresden 2014 Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (umf) in 2014 Das. Inhaltsüberblick 1. Rechtsgrundlagen 2. Inobhutnahmen umf in 3. Verfahrensweise 4. Wichtige Kooperationspartner 5. Beendigung

Mehr

Kinder im Exil Vollzeitpflege von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Netzwerk: Standards und Praxis -

Kinder im Exil Vollzeitpflege von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Netzwerk: Standards und Praxis - Kinder im Exil Vollzeitpflege von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Netzwerk: Standards und Praxis - Fachveranstaltung: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.v. 29./30., Erkner

Mehr

Beschwerden in der Kinder- und Jugendhilfe Chancen und Herausforderungen für die Professionalität

Beschwerden in der Kinder- und Jugendhilfe Chancen und Herausforderungen für die Professionalität Beschwerden in der Kinder- und Jugendhilfe Chancen und Herausforderungen für die Professionalität 4. Berufskongress des DBSH und der KHSB, 09.09.2016 Stefan Anacker, DRK-Kreisverband Berlin-Nordost e.v.

Mehr

Materialien für die interne Evaluation zum Berliner Bildungsprogramm

Materialien für die interne Evaluation zum Berliner Bildungsprogramm Materialien für die interne Evaluation zum Berliner Bildungsprogramm Aufgabenbereich C1 Pädagoginnen und Pädagogen gestalten eine Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit Eltern. AB C1: Bildungs- und

Mehr

Bundesforum Vormundschaft & Pflegschaft 1. bis 3. Dezember 2010 in Dresden. Arbeitsgruppe 9 Umgangspflegschaft Donnerstag, 2.

Bundesforum Vormundschaft & Pflegschaft 1. bis 3. Dezember 2010 in Dresden. Arbeitsgruppe 9 Umgangspflegschaft Donnerstag, 2. Bundesforum Vormundschaft & Pflegschaft 1. bis 3. Dezember 2010 in Dresden Arbeitsgruppe 9 Umgangspflegschaft Donnerstag, 2. Dezember 2010 Zeitablauf: Ablauf der Arbeitsgruppe 10:45 bis 12:30 Uhr (1 ¾

Mehr

JH Leistung im Zwangskontext: ein im System des Kinderschutzes angelegter Gestaltungsraum. 1666a, 1666 BGB 8a SGB VIII 1 ff KKG

JH Leistung im Zwangskontext: ein im System des Kinderschutzes angelegter Gestaltungsraum. 1666a, 1666 BGB 8a SGB VIII 1 ff KKG Kontext: Wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist, hat das Jugendamt die Aufgabe, die Gefährdung durch Hilfen zur Erziehung abzuwehren. Wenn es nicht gelingt, die Eltern von einer freiwilligen Annahme solcher

Mehr

PFLEGEKINDER MIT BEHINDERUNG IN DER FRÜHFÖRDERUNG

PFLEGEKINDER MIT BEHINDERUNG IN DER FRÜHFÖRDERUNG PFLEGEKINDER MIT BEHINDERUNG IN DER FRÜHFÖRDERUNG Zugänglichkeit und Barrieren Zum Referenten Heinz Kuhn, Sonderschullehrer 77933 Lahr, Werderstr. 41 07821-908348 Aktiv im Bundesverband behinderter Pflegekinder

Mehr

Fachliche Grundlagen der Beratungstätigkeit. des Landesjugendamtes. zur Verfahrensweise im Rahmen. der Begleitung und Förderung

Fachliche Grundlagen der Beratungstätigkeit. des Landesjugendamtes. zur Verfahrensweise im Rahmen. der Begleitung und Förderung Referat Hilfen zur Erziehung Hans Wittwer - Str. 6 16321 Bernau Fachliche Grundlagen der Beratungstätigkeit des Landesjugendamtes zur Verfahrensweise im Rahmen der Begleitung und Förderung von Eltern mit

Mehr

Einbeziehung Ehrenamtlicher am Beispiel des PRAXISFORUMS. Ehrenamtliche Vormünder... eine ungenutzte Ressource

Einbeziehung Ehrenamtlicher am Beispiel des PRAXISFORUMS. Ehrenamtliche Vormünder... eine ungenutzte Ressource Einbeziehung Ehrenamtlicher am Beispiel des PRAXISFORUMS Ehrenamtliche Vormünder... eine ungenutzte Ressource Konzept des Praxisforums Zusammenarbeit der Landesjugendämter in NRW mit Trägern der Jugendhilfe,

Mehr

Leistungsvereinbarung

Leistungsvereinbarung Leistungsvereinbarung Einrichtung: (Name, Adresse) Ort der Leistungserbringung: Einrichtungsart: Angebotene gesetzl. Leistungen: SGB VIII Anzahl Gruppen und Plätze 1. Gesamteinrichtung 1.1 Art der Gesamteinrichtung/Leistungsbereich/Grundstruktur

Mehr

Vom Störfaktor zur Ressource

Vom Störfaktor zur Ressource Vom Störfaktor zur Ressource Partizipation von leiblichen Eltern Köln, 15.4.16 11 Mein Blickwinkel Praktikerin mit über 20jähriger Erfahrung als Leiterin eines Freien Trägers in der PKH Vorstand Kompetenz-

Mehr

Zwang und Kontrolle in der Kinder- und Jugendhilfe - Zentrale Aussagen der AGJ-Expertise

Zwang und Kontrolle in der Kinder- und Jugendhilfe - Zentrale Aussagen der AGJ-Expertise Prof. Dr. Reinhold Schone FH Münster Zwang und Kontrolle in der Kinder- und Jugendhilfe - Zentrale Aussagen der AGJ-Expertise Vortrag beim Fachgespräch der Diakonie am 26. Februar 2009 in Berlin Reinhold

Mehr

Vortrag für die Jahrestagung des LVR zum Thema Rechtsverhältnisse im Pflegekinderwesen. Gila Schindler, Rechtsanwältin, Heidelberg

Vortrag für die Jahrestagung des LVR zum Thema Rechtsverhältnisse im Pflegekinderwesen. Gila Schindler, Rechtsanwältin, Heidelberg Vortrag für die Jahrestagung des LVR zum Thema Rechtsverhältnisse im Pflegekinderwesen Gila Schindler, Rechtsanwältin, Heidelberg Begriff der Pflegeperson Unterscheidung der Pflegeverhältnisse Die Pflegeerlaubnis

Mehr

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe

Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe wissen.nutzen. Statistisches Bundesamt Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe 2017 Erscheinungsfolge: jährlich Erschienen am 13. September 2018 Artikelnummer: 5225123177004 Ihr Kontakt zu uns: www.destatis.de/kontakt

Mehr

Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung

Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung Die Arbeit in Mutter-Kind-Einrichtungen: Eine fachliche und persönliche Herausforderung In Mutter-Kind-Einrichtungen leben heute Frauen, die vielfach belastet sind. Es gibt keinen typischen Personenkreis,

Mehr

Stärkung der Rechte der Pflegeeltern in Gerichtsverfahren

Stärkung der Rechte der Pflegeeltern in Gerichtsverfahren Stärkung der Rechte der Pflegeeltern in Gerichtsverfahren Zum 01.09.2009 tritt das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) in Kraft.

Mehr