2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung

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1 DOKUMENTATION Fortbildungsangebot zum ESF- Programm 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Zum Programm Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen 14. November 2011 Programm Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen gefördert von:...eine Chance durch Europa! Programmagentur der Stiftung SPI

2 Impressum Herausgeber Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Bernhard-Weiß-Str. 6, Berlin Internet: Sozialpädagogisches Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) Königstraße 36 B, Berlin Tel.: Fax: Internet: Autorinnen und Autoren Hinweis: Die Verantwortung für die einzelnen Beiträge sowie die Urheberrechte liegen bei den jeweiligen Autorinnen und Autoren. Redaktion Karin Wagnitz-Brockmöller, Regionale Fortbildung Berlin Sabine Hellmuth-Preß, Sozialpädagogisches Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg Fotos Winnie Mahrin, Berlin Gestaltung und Bearbeitung Bernd Mahrin, Berlin Winnie Mahrin, Berlin Gefördert durch den Europäischen Sozialfonds ESF 2

3 DOKUMENTATION Fortbildungsangebot zum ESF- Programm 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung zum Programm Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen Arbeit an wesentlichen Themenfeldern 14. November

4 Inhalt 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Inhalt Impressum 2 Inhaltsverzeichnis 4 Begrüßung Sabine Hellmuth-Preß Sozialpädagogisches Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg (SFBB) Karin Wagnitz-Brockmöller Regionale Fortbildung Berlin (SenBJW) Grußwort Marina Koch-Wohsmann Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Berlin, Abteilung Schule Vortrag Zur Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen, Herausforderungen für Schulpädagogik und Sozialarbeit Prof. Dr. Hurrelmann Hertie School of Governance Berlin Foren Forum 1 Moderation Praxisbeispiele Berufsorientierung / Duales Lernen Prof. Dr. Meier, Universität Potsdam Dr. Kerstin Schulenburg Tag der Berufsorientierung Biesalski-Schule, Sonderpädagogisches Förderzentrum/Ziegner Berufsbildung ggmbh Berufsorientierung an einer Gemeinschaftsschule Nikolaus-August-Otto-Gemeinschaftsschule/Nachbarschaftsheim Schöneberg e.v Forum 2 Moderation Praxisbeispiele Forum 3 Moderation Praxisbeispiele Forum 4 Moderation Praxisbeispiele Elternbildung / Elternbeteiligung Prof. Dr. Sacher, a.d., Universität Erlangen Barbara Tennstedt Elternseminare am Übergang Wolfgang-Borchert-Schule, ISS / Gesellschaft für sozialkulturelle Arbeit e.v. Aktiv rund um Eltern Paul-Dohrmann-Schule, Sonderpädagogisches Förderzentrum/ Pestalozzi-Fröbel-Haus Genderarbeit PD Dr. Cornelißen, DJI München Jetti Hahn Traumzeit - Mädchenangebote im Snoezeleraum 10. Schule, Sonderpädagogisches Förderzentrum / Kiek in e.v. Väter-Söhne-AG Schule in der Köllnischen Heide, Grundschule/AspE e.v. Gesundheitsförderung Prof. Dr. Paulus, Leuphana Universität Lüneburg Stefan Kontny Yogakurse für Grundschüler Zürich-Grundschule/Fipp e.v. Gestaltung einer aktiven Pause Wilhelm-Busch-Grundschule/DRK Berlin Nord-Ost e.v Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

5 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Inhalt Forum 5 Moderation Praxisbeispiele Forum 6 Moderation Praxisbeispiele Forum 7 Moderation Praxisbeispiele Forum 8 Moderation Praxisbeispiele Forum 9 Moderation Praxisbeispiele Forum 10 Moderation Praxisbeispiele Gewaltprävention Prof. Dr. Möller, Hochschule Esslingen Angelika Monath Soziales Lernen Katharina-Heinroth-Schule, Grundschule/Nachbarschaftsheim Schöneberg e.v. Anti-Mobbing-Training ISS an der Haveldüne/GSJ ggmbh Interkulturelle Öffnung Prof. Dr. Gaitanides, a.d., Universität Frankfurt Bettina Schäfer Interkulturelle Trainingseinheiten Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule/SOS BAZ Berlin Mondfest Feldmark-Schule, Grundschule/Spik e.v. Kooperation Prof. Dr. Speck, Universität Oldenburg Sybille Weißer-Straht Beratungsteam OSZ- Recht/Modul e.v. Partizipation Prof. Dr. Opp, Universität Halle Jutta Weimar KaTs - Klassen als Teams 7. ISS an der Ringstraße/K.I.D.S. e.v. Schuldistanz Herr Rademacker, DJI München, a.d Ilona Böttger Sozialpädagogische Schuldistanziertenarbeit Röntgen-Schule, ISS/Förderverein der Röntgen-Schule e.v. Komm an Schule am Königstor, ISS/Stützrad e.v. Übergänge Grundschule - Oberschule Prof. Dr. Beelmann, Fachhochschule Bielefeld Britt Hartmann Gestaltung des Übergangs GS - ISS Jean-Krämer-Schule, ISS/Horizonte e.v Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 5

6 Ankunft 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

7 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Ankunft 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 7

8 Begrüßung Karin Wagnitz-Brockmöller und Sabine Hellmuth-Preß 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Entwicklung und Durchführung des Tandemfortbildungsprogramms zum ESF-Programm Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen Sabine Hellmuth-Preß Karin Wagnitz-Brockmöller Pädagogische Mitarbeiterin am Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin- Brandenburg (SFBB) Königstraße 36 B, Berlin Tel Überregionale Koordinatorin für das Programm Jugendsozialarbeit an Integrierten Sekundarschulen und Berufsschulen, Regionale Fortbildung Berlin (SenBJW) berlin-brandenburg.de Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

9 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Begrüßung Karin Wagnitz-Brockmöller und Sabine Hellmuth-Preß 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 9

10 Grußwort Marina Koch-Wohsmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Marina Koch-Wohsmann Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, Berlin (SenBJW) Abteilung Schule Grusswort Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie zu unserer zweiten Schulartübergreifenden Fachtagung und bedanke mich herzlich bei den Veranstalterinnen Frau Hellmuth-Press und Frau Wagnitz-Brockmöller, die mit viel Engagement dieses besondere Format der heutigen Großveranstaltung konzipiert und organisiert haben. Ich freue mich sehr, Ihnen heute die neue Broschüre der Senatsverwaltung vorstellen zu können. Gerade noch rechtzeitig ist es anlässlich des fünfjährigen Jubiläums erfolgreicher Jugendsozialarbeit gelungen, die Broschüre Chancen für alle fünf Jahre Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen zu veröffentlichen. Die ersten 500 Exemplare werden heute Vormittag angeliefert und liegen im Foyer für Sie bereit. Weitere Broschüren werden zentral an alle Berliner Schulen, Jugendämter und schulpsychologischen Beratungsstellen verteilt. Die nun vorliegende Broschüre zur Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen bietet Ihnen und der Öffentlichkeit einen anschaulichen Praxiseinblick in die schulspezifischen Angebote und Zielsetzungen der Schulsozialarbeit an den unterschiedlichen Schularten und -standorten in Berlin. Ich danke allen hier im Saal, die mit Ihrer Fachkompetenz die positive Bilanz des Programms Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen möglich gemacht haben. Einen besonderen Dank geht an alle Autorinnen und Autoren der in der Broschüre enthaltenen 13 Praxisbeispiele. Diese Praxisbeispiele wurden nach ihren Arbeitschwerpunkten, den Schularten und Bezirken ausgewählt und repräsentieren exemplarisch das Programm der Jugendsozialarbeit an den Berliner Schulen. Herzlichen Dank an Frau Them und Frau Morf von der Programmagentur SPI, die unter Verzicht auf Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

11 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Grußwort Marina Koch-Wohsmann schon geplante Urlaubstage maßgeblich an der Gestaltung der Broschüre gearbeitet haben. Über die positive Bilanz und die Erfolge der Jugendsozialarbeit an den einzelnen Schulen hinaus lassen sich positive strukturelle Veränderungen bilanzieren. Deutlich wird, dass die nunmehr fünfjährige Laufzeit des Programms Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen zu einer Verstetigung der Kooperation zwischen Trägern der freien Jugendhilfe und den Schulen geführt hat. Die Jugendsozialarbeit ist an den Berliner Schulen nicht mehr weg zu denken, so Prof. Dr. E. Jürgen Zöllner, Senator für Bildung, Jugend und Familie in der Pressemitteilung vom letzten Freitag. Die professionell durchgeführte soziale Arbeit an Schule steht für eine intensive und systematische Kooperation von Schule und Jugendhilfe, mit der die gemeinsame Verantwortung für die Entwicklung und den Schulerfolg aller Schülerinnen und Schüler umgesetzt wird. Aktuell gibt es Anlass zu Optimismus für eine nachhaltige Weiterentwicklung und Ausweitung der Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen. Im Zusammenhang mit dem Bildungs- und Teilhabepaket hat der Berliner Senat einen weiteren Schwerpunkt zur Förderung der Jugendsozialarbeit an Schulen gesetzt und ca. 4,5 Mio. für die Beschäftigung weiterer Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen zusätzlich zum bisherigen Programm in den Entwurf des Haushaltsplans 2012/13 aufgenommen. Damit können jetzt alle Schulen, die über 225 lernmittelbefreite Schülerinnen und Schüler betreuen - erstmals auch Gymnasien - an dem erfolgreichen Programm teilnehmen. Gegenwärtig kommen zu den bereits 188 beteiligten Schulen zusätzlich 77 weitere Schulen, die mit schulbezogener Jugendsozialarbeit ausgestattet werden können. Die Bandbreite der sozialpädagogischen Angebote für Schülerinnen und Schüler bietet zahlreiche Unterstützungsmöglichkeiten zur persönlichen Weiterentwicklung bis hin zur Bewältigung aktueller Lebensschwierigkeiten. Diese Bandbreite findet sich auch in der heutigen Tagung wieder. Es werden Themen in den Foren diskutiert, die in der Berliner Jugendsozialarbeit besondere Relevanz haben: 1. Berufsorientierung/Duales Lernen 2. Elternbildung/Elternbeteiligung 3. Genderarbeit 4. Gesundheitsförderung 5. Gewaltprävention 6. Interkulturelle Öffnung 7. Kooperation 8. Partizipation 9. Schuldistanz 10. Übergänge Grundschule Oberschule Ich wünsche uns allen einen anregenden Fachtag, mit vielen interessanten Diskussionen und Impulsen für die weitere gemeinsame Arbeit an den Berliner Schulen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 11

12 Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Hertie School of Governance Berlin Die Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen Herausforderungen für Schulpädagogik und Sozialarbeit Kinder und Jugendliche sind gesellschaftlichen Veränderungen unmittelbar ausgesetzt. Ihre soziale Rolle ändert sich ständig, weil sich das soziale, kommunikative, ökonomische und ökologische Umfeld für die gesamte Spanne der Persönlichkeitsentwicklung wandelt. Folgende Faktoren sind besonders zu nennen: Die Auflösung sozialer Bindungen im Familienleben, die Erwachsenen freie und lockere Formen von Partnerschaft ermöglicht, aber auch viele Bedürfnisse nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit verletzt. Kinder sind heute Anhängsel der Partnerbeziehungen ihrer Eltern und sie werden von deren Unsicherheit und Unbeständigkeit getroffen, ohne auf sie gestaltend einwirken zu können. In Europa liegt die Scheidungsquote inzwischen bei rund 40 Prozent der Ehebeziehungen. Die wachsende Bedeutung der Freizeit, die zugleich die Erwartung an Erlebnis und Erfahrung steigert und den Hunger nach körperlichen und geistigen Grenzüberschreitungen erhöht. Kinder und Jugendliche, die sich in einer besonders formativen Phase der Persönlichkeitsentwicklung befinden, sind hiervon stark betroffen. Das Vordringen der Medien mit ihren Informationsmöglichkeiten, aber auch ihrem Informationsüberschuss, ihrer Förderung von passiven Verhaltensweisen, erhöhter Sensationserwartungen und ihre Betonung des Außernormalen, die gerade Kindern eine realistische Einordnung und Erprobung eines Weltbildes erschwert Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

13 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Die Intensivierung und Verdichtung der Leistungsanforderungen und Qualifikationsprozesse, die sich in einer Verlängerung der schulischen und beruflichen Ausbildung und in einem Aufschaukeln von Abschlusserwartungen ausdrückt. Schon sehr früh fühlen sich heute Kinder durch eine lange Kette von Qualifikationsanforderungen innerlich bedroht, in die sie mit dem Grundschulalter eintreten. Schon früh strahlt die Unsicherheit auf sie zurück, später vielleicht keinen Arbeitsplatz zu erhalten oder unzureichend qualifiziert zu sein. Bei 15 % struktureller Arbeitslosigkeit eine sehr reale Furcht. Die Zunahme von kulturellen und sozialen Spannungsfeldern im Alltag unserer Gesellschaft, die sich durch das Öffnen der Schere zwischen Arm und Reich ebenso ausdrückt wie durch die Entfremdung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen und unterschiedlicher Kulturen. Die Maßstäbe für die ethische und religiöse Orientierung, aber auch die alltägliche soziale Orientierung im Umgang miteinander, gehen verloren. Weil Kinder und Jugendliche Suchende nach Sinn und Perspektive sind, verarbeiten sie diese Entwicklung intensiv. Kindheit heute bedeutet, in einer ungesicherten sozialen Bindung aufzuwachsen, in einer Wettbewerbsgesellschaft zu leben, in der allein individuelle Leistung und sonst gar nichts zählt, in einer Freizeitwelt zu sein, die durch den Konsum und durch kommerzielle Wettbewerbsprozesse gekennzeichnet ist. Kindheit bedeutet auch, der zunehmenden Verstädterung ausgesetzt zu sein, die Verknappung von Spiel- und Freiflächen zu erleben und zu erfahren, dass das unmittelbare Wohnumfeld als Lebens-, Spiel- und Erfahrungsraum nicht zur Verfügung steht. Kindheit bedeutet heute auch, auf eine ökologische Umwelt angewiesen zu sein, die belastende und schädigende Wirkungen haben kann. Kinder gehen mit den alltäglichen Anforderungen, die denen der Erwachsenen so ähnlich geworden sind, spontaner und unverstellter um als ältere Menschen. Sensibel und empfindlich wie sie sind, spiegeln sie in ihrem Gesicht, ihrer Haut und ihrem Verhalten die Anspannungen und Unzulänglichkeiten des alltäglichen Lebens, die wir Erwachsenen oft nicht mehr in der gleichen Intensität erfahren und erleben. Sie zeigen uns unverstellt, wie ihre Lebenswelt und ihre Umwelt auf sie wirken und wo sie diese Umwelt herausfordert und überfordert. So gesehen sind Kinder soziale, kulturelle und auch gesundheitliche Seismografen, die Erwachsene in aller Deutlichkeit auf die Unzulänglichkeiten der Lebensorganisation hinweisen. Kinder sind in die Alltagsvollzüge der Erwachsenengesellschaft voll mit einbezogen, aber sie haben noch nicht die Verdrängungsmechanismen zur Verfügung, mit denen die Älteren sich ihre Welt erträglich machen. Deswegen sind die Lösungen der Kinder für die eigene Lebensgestaltung mitunter spontaner, unbefangener und einfallsreicher als die von Erwachsenen, deswegen sind aber auch oft ihre Leiden viel stärker, weil sie sie unvorbereitet und unbeeinflussbar treffen. Deutschlands Kinder leben in einer Vier-Fünftel-Gesellschaft Empirische Untersuchungen wie die 2. World Vision Kinderstudie zeigen: Der jüngsten Generation in Deutschland geht es nach eigener subjektiver Einschätzung mehrheitlich gut. Das ist sowohl der repräsentativen Befragung von Sechs- bis Elfjährigen als auch den ausführlichen Portraits einzelner 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 13

14 Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Kinder zu entnehmen. Das selbst eingeschätzte Wohlbefinden der Kinder in Deutschland ist insgesamt erfreulich hoch und Zeugnis einer guten bis sehr guten Lebensqualität. Das ist das positive Ergebnis unserer Studie. Doch es gibt auch ein negatives Ergebnis: Nicht alle Kinder fühlen sich in den verschiedenen Bereichen, die für ihr Leben wichtig sind, gleichermaßen wohl. Die Situation in Freizeit und Freundeskreis wird von über einem Zehntel der Kinder bemängelt, etwa ein Fünftel von ihnen äußert sich kritisch zur elterlichen Zuwendung und zu den Freiheiten, die ihnen im Alltag gewährt werden. Fast ein Drittel der befragten Kinder sind mit ihrer Situation in der Schule unzufrieden. Dieses Empfinden, dass an wichtigen Stellen im eigenen Alltag etwas nicht stimmt, geht bei vielen Kindern mit der Erfahrung von unangenehmer Einschränkung und empfindlicher Armut einher. Viele dieser Kinder beklagen, dass die Eltern nicht in dem Maße für sie da sind, wie sie es sich wünschen. Kindheit in Deutschland findet, wie unsere Studie zeigt, unter ungleichen Bedingungen statt. In vielen Bereichen gibt es eine erschreckend große Kluft zwischen den Lebensbedingungen der Mehrheit und denen einer Minderheit. Eine Teilgruppe der Kinder, zusammengenommen etwa 20 Prozent, nimmt nach den Ergebnissen unserer Studien entweder die vorhandene Armut ihres Elternhauses als persönliche Ausgrenzung wahr oder fühlt sich vernachlässigt und nicht hinreichend von den Eltern unterstützt. Häufig kommt in der Wahrnehmung der Kinder beides zusammen. Armut trifft auch Kinder, deren Eltern sich liebevoll und mit großem persönlichen Einsatz um sie kümmern, die aber trotzdem nicht in der Lage sind, alleine und ohne gesellschaftliche Unterstützung ihren Kindern die Chancen zu bieten, die andere ganz selbstverständlich nutzen können. Fehlende elterliche Fürsorge kommt auch dort vor, wo das Einkommen keine oder nur wenig Sorgen bereitet, aber entweder die Zeit nicht reicht, weil ein Elternteil als Alleinerziehender die Verantwortung tragen muss oder der eigene Alltag aus sonstigen Gründen als unbefriedigend empfunden wird. Nach den World Vision Kinderstudien leben die Kinder in Deutschland in einer sozial gespaltenen Vier- Fünftel-Gesellschaft. Für die große Mehrheit der Kinder sind die Grundbedürfnisse der Entwicklung sichergestellt, aber eine Minderheit von etwa einem Fünftel hat dafür nur eine eingeschränkte Garantie. Diese Kinder sind von jenen finanziellen wie kulturellen und sozialen Ressourcen, die sie für eine gute Entwicklung ihrer Persönlichkeit und ihrer Kompetenzen benötigen, zumindest teilweise ausgeschlossen. Sie leben nicht in absoluter Armut, sie haben das Nötigste zum Leben, aber ihr Wohlbefinden ist trotzdem in wichtigen Bereichen deutlich eingeschränkt. Gerade weil sie in einer saturierten Gesellschaft aufwachsen, erfahren sie schmerzlich, was es in unserer Zeit bedeutet, am relativen Wohlstand kaum teilzuhaben und im Vergleich zu Anderen benachteiligt zu sein. Wie immer bei subjektiven Befindlichkeiten ist es der Vergleich mit den Anderen, der den entscheidenden Maßstab für das Wohlbefinden abgibt. Die Kinder täuschen sich nicht. In allen hoch entwickelten westlichen Gesellschaften ist objektiv eine Zunahme von ökonomischer und sozialer Ungleichheit zu beobachten. Diese Entwicklung ist in Deutschland durch die Arbeitsmarktengpässe der letzten zehn Jahre und außerdem durch die Finanzund Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 extremer geworden. Sozioökonomische Ungleichheiten haben sich auch in den reichen Gesellschaften verschärft. Die sichtbarsten Zeichen hierfür sind die hohe Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

15 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann (Dauer-) Arbeitslosigkeit und der große Anteil von Menschen, die zur Sicherung ihres Lebensunterhalts auf (teilweise ebenfalls dauerhafte) staatliche Transferleistungen angewiesen sind. Diese Entwicklung hat vor den Familienhaushalten in Deutschland nicht halt gemacht. Ihnen geht es heute im Vergleich zum allgemeinen Lebensstandard, also relativ betrachtet, schlechter als vor 20 oder 30 Jahren. Unsere Studie spiegelt diese Tendenzen aus der Sicht der Angehörigen der jüngsten Generation. Sie geben uns auf ihre Weise zu verstehen, dass sie ungleiche Kindheiten erleben, und zwar in Gestalt einer Kluft zwischen einer (glücklicherweise sehr großen) Mehrheit und einer (anwachsenden) Minderheit, zwischen einer Vier-Fünftel- und einer Ein-Fünftel-Gesellschaft. Sie erleben damit auf ihre persönliche Weise, was die Ergebnisse der Sozialforschung dokumentieren: Ökonomische Ungleichheit geht immer mit sozialer und kultureller Ungleichheit einher und trifft in Zeiten der Krise immer diejenigen Bevölkerungsgruppen am stärksten, die ohnehin am Rande der Gesellschaft stehen. Dazu gehören Kinder, weil sich ökonomische Ungleichheiten direkt auf das Familienleben auswirken, von dem sie als unterstützungsbedürftige kleine Menschen absolut abhängig sind. Haben ihre Eltern keinen Zugang zu den notwendigen finanziellen Ressourcen, um die Familie am Laufen zu halten, etwa weil sie arbeitslos geworden sind oder nach der Trennung eines Elternpaares eine Geldquelle ausfällt, dann spüren Kinder das unmittelbar. Sie spüren es nicht nur finanziell, sondern wie ihre Antworten zeigen auch an der sozialen Schlechterstellung im Alltag mit spürbaren Diskriminierungen. Die Lebenssituation der Jugendlichen Das Jugendalter beginnt in den westlichen Gesellschaften so früh wie noch nie, aber es hat kein eindeutig markiertes Ende mehr. Der traditionell typische und bis 1960 auch immer noch mehrheitlich zu beobachtende Übergang vom Jugendalter in das Erwachsenenalter war durch die Übernahme der Erwerbstätigkeit und das Eintreten in ein Familienleben mit eigenen Kindern charakterisiert. Die beiden Meilensteine Berufsübernahme und Heirat, die den Eintritt in das gesellschaftliche Leben markierten, werden heute von den meisten Jugendlichen entweder sehr spät, manchmal erst im vierten Lebensjahrzehnt, oft aber gar nicht passiert. Das Jugendalter, zur Mitte des vorigen Jahrhunderts als eine Übergangszeit zwischen der abhängigen Kinderzeit und der selbstständigen Erwachsenenzeit entstanden, ist heute zu einem langgestreckten Lebensabschnitt von im Durchschnitt 15 Jahren geworden. Es hat seinen eigenen Wert und seinen eigenen sozialen Rhythmus, es unterscheidet sich in vielen Facetten (private Lebensgestaltung, Konsumverhalten, Lebensstil) nicht mehr vom Erwachsenenleben. Umgekehrt legen viele Erwachsene Wert darauf, sich so wie Jugendliche zu verhalten und damit die Offenheit des Lebens, die auch sie zunehmend erfahren, als eine Herausforderung zu begreifen, die kreativ gestaltet werden kann. Das Jugendalter ist keine Übergangsphase mehr, sondern ein Lebensabschnitt eigener Dynamik. Auffällig bei der Mehrheit der Jugendlichen ist ihr Bildungsehrgeiz. Die meisten wollen das Abitur schaffen. Hinter dieser Bildungsinvestition steht die Bereitschaft, fast alle Bereiche der privaten Lebensführung so zu gestalten, dass der Schul- und Ausbildungserfolg hierunter nicht leidet. So gesehen haben wir es in Deutschland heute mit einer sehr disziplinierten jungen Generation zu tun. Sie will durch eigenen Einsatz mindestens die Position im Leben sicherstellen, die sie bei ihren Eltern erlebt. Dazu muss sie, das 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 15

16 Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung ist ihr voll bewusst, deutlich höhere Bildungsinvestitionen tätigen als Vater oder Mutter dies mussten. Von Seiten der Eltern, an der sie sich als junge Generation eng und sympathisierend orientiert, fühlt sie einen Erwartungsdruck, aus ihrem Leben etwas zu machen. Man will sich heute als junger Mann und als junge Frau bewähren und man will die eigenen Eltern in ihren Zukunftsvorstellungen, die längst auch schon die eigenen geworden sind, nicht enttäuschen. Die überwiegend (klein-)bürgerlichen Lebensvorstellungen der Elterngeneration werden weitgehend geteilt. Allerdings: Diese Vorstellungen unter den heutigen schwierigen sozialen und beruflichen Bedingungen in das eigene Leben umzusetzen, erweist sich als ein Kraftakt. Die große Mehrzahl der jungen Leute stellt sich dieser Herausforderung und traut sich den Kraftakt zu und zwar meist recht selbstbewusst und erstaunlich unverkrampft. Jugendliche in Deutschland erweisen sich, so zeigen die Shell Jugendstudien, als krisenfest. Angesichts hoher Arbeitslosenzahlen, schwacher wirtschaftlicher Wachstumsraten, erheblicher beruflicher Einmündungsprobleme und der Aussicht auf allenfalls zeitlich befristete und oft auch in ihrem Stundenumfang eingeschränkte Arbeitsverträge ist das auffällig und überraschend. Vieles deutet darauf hin, dass dem Elternhaus dabei eine wichtige unterstützende Rolle zukommt. Die Beziehungen zu den Eltern sind sehr eng und fast schon freundschaftlich, die jungen Leute können sich auf die finanzielle und mentale Solidarität ihrer Mütter und Väter verlassen. Das gibt der Mehrheit diese erstaunliche Zuversicht, trotz ungünstiger Entwicklungen in Beruf und Wirtschaft darauf vertrauen zu können, genügend persönliche Spielräume und individuelle Entfaltungspotentiale zu haben, um sich irgendwie durch diese unsicheren Zonen hindurch zu lavieren und dem Ziel einer gesicherten Existenz näher zu kommen. Eine Minderheit, die diese Unterstützung der Herkunftsfamilie nicht in diesem Maße erfährt, steht deutlich verunsicherter da. Die sozialen Disparitäten verstärken sich Die krisenfeste Haltung mit einem Basisgefühl von Selbstwirksamkeit ist in der jungen Generation allerdings ungleich verteilt. Die Shell Jugendstudien legen starke soziale Disparitäten nach familiärer Herkunft offen: Der zuversichtliche und durchaus optimistische Pragmatismus gelingt den jungen Leuten am besten, die aus den beiden obersten sozialen Schichten kommen. Diese Jugendlichen haben sehr gute Chancen, erfolgreich anspruchsvolle schulische und berufliche Ausbildungsgänge zu durchlaufen oder haben diese bereits hinter sich gebracht. Sie spüren unterschwellig, wie sich ihre Position am Arbeitsmarkt in den letzten Jahren trotz der wirtschaftlichen Krise verbessert hat. Sie haben die innere Gewissheit, mit ihren Fähigkeiten und Potentialen in der Erwachsenengesellschaft erwünscht und im Berufsleben benötigt zu werden. Entsprechend groß sind ihre Zuversicht, ihr persönlicher Optimismus und ihre Zufriedenheit mit dem eigenen Leben und dem bisher Erreichten. In dieser Gruppe finden sich viele junge Männer und junge Frauen aus den gehobenen sozialen Schichten, aus Familien also, in denen die Eltern selbst einen sehr hohen Bildungs- und Ausbildungsgrad aufweisen und eine einflussreiche Rolle im Berufs- und Gesellschaftsleben spielen. Sollte doch noch ein Krisenfall in ihrer künftigen Laufbahn eintreten, so spüren diese jungen Leute, würde sie ihr Elternhaus unterstützen und auffangen. Das verschafft ihnen zusätzliche Sicherheit und macht sie noch selbstbewusster als sie es ohnehin schon sind Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

17 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Als skeptischer und weniger selbstsicher erweisen sich im Vergleich die Jugendlichen im Mittelfeld der sozialen Positionierung. Auch bei ihnen als Mittelschichtlern sind die Werte für die persönliche Zufriedenheit mit dem bisher Erreichten im positiven Bereich, es mischen sich allerdings einige zurückhaltende und skeptische Töne in ihre Selbsteinschätzung. Diese Gruppe kann nicht vollständig ausschließen, nicht doch irgendwann in eine prekäre wirtschaftliche und berufliche Lage zu geraten. Wirklich beeinträchtigen lassen möchten sich aber auch diese jungen Leute in ihrem Wohlbefinden nicht. Diese jungen Frauen und Männer reagieren mit Pragmatismus und Zuversicht auf die vor ihnen stehenden Herausforderungen, wenn auch nicht zu übersehen ist, dass sich einige Zweifel in ihre Selbstgewissheit einschleichen und der Pragmatismus oft ein wenig zerbrechlich und aufgesetzt erscheint. Ganz anders die Situation bei den jungen Menschen in Deutschland, die hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft weniger privilegiert sind. Sie stammen aus wirtschaftlich relativ armen Elternhäusern, in denen Vater und Mutter eine geringe oder gar keine Berufsausbildung haben, immer wieder von Arbeitslosigkeit bedroht oder manchmal schon seit Jahren aus dem Erwerbsleben ausgegliedert sind. Diese Jugendlichen haben Eltern, die ihnen wenig materielle Sicherheit versprechen können. In dieser Gruppe der Benachteiligten verändern sich die subjektiven Einschätzungen der Lebenslage. Hier begegnet uns der höchste Grad von Pessimismus im Blick auf die gesellschaftlichen Zukunftsperspektiven und die größte Skepsis bei der Einschätzung der persönlichen Chancen. Diesen jungen Leuten ist der für ihre Altersgenossen typische pragmatische Optimismus häufig abhanden gekommen. Ihre persönliche Zukunftssicht ist zwar ebenso wie bei den übrigen Jugendlichen positiver als ihre gesellschaftliche, aber dieses alles spielt sich auf einem deutlich niedrigeren Niveau ab als in den beiden etablierten Gruppen von Jugendlichen. Die sozial an den Rand gedrängten jungen Menschen spüren deutlich, in einer prekären Lebenslage zu stecken. Sie haben die stille Hoffnung, den Berufseinstieg trotz der Inflation von Bildungstiteln und den Umstrukturierungen auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, sind jedoch unsicher, ob sich ihre ohnehin eher moderaten beruflichen Wünsche verwirklichen lassen. In dieser Gruppe steigen deswegen die Werte für Angst und Unsicherheit, die trotz allem vorhandene Zuversicht wird durch Komponenten von Ohnmacht und Frustration durchlöchert. Man ahnt, zu den in der Gesellschaft Abgehängten zu gehören. Dass ihr Risiko einer dauerhaften Exklusion vom Arbeitsmarkt verhältnismäßig hoch ist, ist diesen Jugendlichen zumindest unterschwellig bewusst. Das kann zu Enttäuschungen und Belastungen des Selbstwertgefühls führen, und hieraus können sich wiederum Wut und Ärger, Aggression, Schlägereien und Übergriffe, Alkohol- und Drogenexzesse, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit entwickeln Problemverhaltensweisen, die in der breiten Öffentlichkeit und den Medien eine riesige Aufmerksamkeit finden und zu großer Irritation über die Jugend sowie zu Zweifeln an ihrer gesellschaftlichen Integration führen. Der große Teil der abgehängten Jugendlichen hält sich jedoch an die gesellschaftlichen Regeln. Obwohl diese Jugendlichen in der Gesellschaft nur wenige Chancen bekommen, ihre Situation zu verbessern, sind es doch nur wenige, die die Regeln nicht (mehr) akzeptieren, weil sich bei ihnen der Eindruck verfestigt hat, dass sie auch bei Einhaltung aller Regeln und trotz aller Anstrengungen nur weiter verlieren werden Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 17

18 Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Die individuelle Verantwortung für die eigene Bildungsbilanz steigt immer weiter an. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des schulischen Lernens haben sich in den letzten fünf Jahrzehnten deutlich verändert. Die soziologische Forschung spricht von einer Individualisierung der sozialen Strukturen in modernen westlichen Gesellschaften. Damit ist gemeint, dass solche Faktoren wie soziale Herkunft, Geschlecht, Religion und Ethnie nicht mehr so stark wie früher über einen Lebenslauf entscheiden, sondern stattdessen die von der einzelnen Person beeinflussbaren Faktoren der Lebensgestaltung. Dem individuellen Bildungsgrad kommt hierbei eine ungeheuer große Bedeutung zu. Nach gesellschaftlichem Verständnis haben Kinder und Jugendliche heute die individuelle Verantwortung für Erfolg oder Misserfolg ihrer schulischen Laufbahn ganz persönlich zu tragen. Ihr persönliches Leistungsverhalten entscheidet über ihre Position in Schule und Beruf, also über die Hierarchie von Belohnungen und Statuspositionen in der ganzen Gesellschaft. Jeder einzelne hat es nach dieser Leistungsphilosophie unserer Gesellschaft in seiner eigenen Hand, was aus ihm wird. Versagen gilt als ein individuell anrechenbares Verhalten ebenso wie Erfolg. Seit den 1950er-Jahren beobachten wir einen ständigen Anstieg der Anteile von Schülerinnen und Schülern eines Jahrganges, die in anspruchsvolle weiterführende Schulformen übergehen. Damit ist formal das Anspruchsniveau an Bildungsgänge und Qualifikationszertifikate angestiegen. Der Anteil der Realschülerinnen und Realschüler und der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten an der gesamten Schülerschaft in Deutschland hat sich von 1960 bis heute verfünffacht erwarben etwa sechs Prozent eines Jahrganges das Abitur, heute sind es etwa 35 Prozent. Ähnliches gilt für den mittleren Abschluss. Parallel zu dieser Expansion von anspruchsvollen Bildungsgängen und ihren Abschlüssen ist der Arbeitsmarkt geschrumpft. Er ist heute durch harte Verdrängungswettbewerbe und einen hohen Sockel von Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Die objektive Chancenstruktur für Jugendliche ist damit so beschaffen, dass nur ein Teil der jungen Generation Möglichkeiten für den Einstieg in anspruchsvolle Berufslaufbahnen hat, während ein anderer Teil am Arbeitsmarkt abgewiesen wird und das auch dann, wenn im Vergleich zu früheren Generationen ein anspruchsvoller Bildungsgang durchlaufen und ein hochwertiges Schulabschlusszeugnis erworben wurde. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die Elternhäuser heute so nervös auf Rückschläge in der Schullaufbahn und Rückstufungen in der Leistungskarriere ihrer Kinder reagieren. Zu Recht wittern Väter und Mütter hier eine Gefährdung ihres erreichten sozialen Status. Wenn ihre Kinder trotz formal höherer Schulabschlüsse und besserer Schulleistungen (zum Beispiel ausgedrückt durch ein viel günstigeres Zensurenniveau) keine aussichtsreichen beruflichen Laufbahnen einschlagen können, entsteht naturgemäß Statusangst. Diese Unruhe und Nervosität überträgt sich auf immer mehr Schülerinnen und Schüler, und zwar schon im Grundschulalter. Es bleibt den Kindern und Jugendlichen gar nichts anderes übrig, als sich auf die schulische Leistungstätigkeit wie auf eine industrielle, quasi den Gesetzen von Lohnarbeit folgende Arbeit einzurichten. Sie absolvieren diese schulische Lernarbeit mehr oder weniger zwanghaft und mechanisch. Der Lohn ist das Zeugnis mit dem Tauschwert für (vermeintlich) erfüllende Erlebnisse im späteren Leben, dem Erwachsenenleben. Wird aber ein Abschlusszeugnis mit hohem Tauschwert im Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

19 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Beschäftigungssystem nicht erreicht, dann sind Frustrationen für die Selbstdefinition und in der Folge Belastungen für Selbstwertgefühl und Gesundheit vorgezeichnet. Die Schulzeit kann unter diesen Umständen als eine verlorene Lebenszeit definiert werden, da sie den instrumentellen Wert des Zugangs zum Beschäftigungssystem nicht einlöst. Es lassen sich vier Werte- und Mentalitätstypen von Jugendlichen unterscheiden. Erstens können wir eine Leistungselite der selbstbewussten Macherinnen und Macher identifizieren. Sie bildet fast ein Drittel der Jugendpopulation, und zeichnet sich durch eine Synthese von alten und neuen Werten aus. Die Werte Fleiß und Ehrgeiz, Macht und Einfluss sowie Sicherheit erleben in dieser Gruppe eine Renaissance, sie werden mit den Selbstverwirklichungswerten Kreativität, Unabhängigkeit, Lebensgenuss und Lebensstandard kombiniert. Die Macher sind eine aufstiegsorientierte Gruppe von gleich vielen jungen Frauen und jungen Männern, die eine unbefangene Kombination von materialistischen und postmaterialistischen Orientierungen praktiziert. Die selbstbewussten Macherinnen und Macher verbinden Selbstverwirklichung mit Selbstdisziplin, sie haben keine Schwierigkeiten damit, über Fleiß und Disziplin zu materiellem Reichtum und Lebensgenuss zu kommen. Sie sind Nutzenkalkulierer, selbstbezogene und bedürfnisorientierte Umweltmonitoren, die wir in früheren Untersuchungen auch als Egotaktiker bezeichnet haben. Eine zweite herausragende und tonangebende Gruppe, die ebenfalls etwa ein Drittel der Population umfasst, haben wir als pragmatische Idealistinnen und Idealisten bezeichnet. In dieser Gruppe sind die Frauen eindeutig in der Überzahl. Im Unterschied zu den Machern kommen bei diesem Wertetyp humanistisch geprägte Motive für ein soziales Engagement ins Spiel, die sich vor allem auf jugendbezogene Themen in Freizeit und Schule richten, aber auch sozial bedürftige Gruppen mit einbeziehen. Die jungen Frauen repräsentieren diese konzentrierte Lebensführung der tonangebenden jungen Generation mit einem kräftigen Schuss Selbstbewusstsein und einer gestaltenden Aktivität in Schule, Beruf, Freizeit, Gemeinde und sozialen Organisationen besonders prägnant. Die tonangebende Mentalität ist eine Mischung aus wacher Umweltwahrnehmung und beherztem Ergreifen von Chancen der Umweltgestaltung. Diesen beiden selbstbewussten und erfolgreichen Gruppen stehen die zögerlichen, skeptischen, resignierten und unauffälligen Jugendlichen gegenüber, die keinen großen Erfolg in Schule und Ausbildung haben, dennoch nach Lebensstandard und Macht streben, sich aber duldsam und durchaus tolerant mit ihrer gegenwärtigen Lebenslage abfinden. Sie stellen etwa ein Fünftel der Population, unter ihnen sind in der Mehrzahl junge Frauen. Ebenfalls etwa 20 Prozent gehören zur vierten Gruppe, die wir als robuste Materialisten bezeichnet haben. In dieser Gruppe überwiegen zahlenmäßig die jungen Männer. Sie wollen Macht und Lebensstandard und einflussreiche Positionen mit Lebensgenuss verbinden, aber sie haben ein deutliches Gefühl dafür, dass ihre leistungsmäßigen und sozialen Kompetenzen hierfür bei weitem nicht ausreichen. Bei ihnen kommen Verlierer- und Versagerängste auf, es zeigen sich Dispositionen für unkontrollierte Aggression und Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. In dieser Gruppe ist das politische Interesse gleich Null, das soziale und zivile Engagement außerordentlich klein. Diese Gruppe steht am 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 19

20 Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Rande der bundesrepublikanischen Leistungsgesellschaft, wartet nur noch latent auf Angebote der Integration. Für alle Jugendlichen gilt: Der Schwerpunkt ihrer Zukunftswünsche liegt im Erfolg in der Leistungsgesellschaft, also überwiegend im beruflich-wirtschaftlichen Komplex. Alles in allem haben wir es mit einer interessanten, aber auch sehr eigenwilligen jungen Generation in Deutschland zu tun. Alle sind hoch leistungsmotiviert. Vor allem die jungen Frauen fallen durch ihren Ehrgeiz der Lebensplanung auf. Sie wollen Beruf und Karriere ebenso wie Familie, Partner und Kinder miteinander verbinden. Die jungen Männer ziehen nur zum Teil und nur zögerlich mit, sie kleben noch ängstlich an alten Geschlechtsrollen, glauben, ihnen stünde ein beruflicher Erfolg per Tradition ohnehin zu. Dadurch verschlechtern sie ihre Lage ungewollt immer mehr. Der verschärfte wirtschaftliche Wettbewerb vergrößert die soziale Kluft Jede Schule und jedes Unternehmen muss heute Interesse daran haben, die selbstbewussten Macherinnen und Macher als die Leistungselite und die künftigen Karriereträger für sich zu gewinnen. Die jungen Männer und ebenso vielen jungen Frauen lassen es sich gerne gefallen. Unter ihnen sind die Egotaktiker stark vertreten, hier werden auch schon einmal sehr selbstorientierte Strategien für die Durchsetzung eingesetzt, die Ellenbogen werden mitbenutzt. Die Unternehmen sehen das offenbar gern, diese Werthaltung ist sehr begehrt. Insgesamt aber sollte diese Gruppe stärker auf soziale Verantwortung und gemeinschaftliche Verpflichtung angesprochen werden. Angehörigen des zweiten Werte- und Mentalitätstyps, die pragmatischen Idealistinnen und Idealisten, sind mindestens ebenso interessant wie die Macherinnen und Macher. Diese Jugendlichen haben das gleiche Leistungspotenzial, gleichzeitig aber setzen sie sich aktiv für eine Humanisierung von Lebensbedingungen ein und engagieren sich im sozialen Bereich. Sie sind in der Lage, über den Tellerrand ihrer ganz unmittelbaren Interessen, auch ihrer Karriereinteressen, hinauszuschauen. Auch sie sind selbstbezogen, doch sie sind kluge Egoisten, die eine Bindung aus freier Entscheidung wählen können. Diese Gruppe der jungen Generation hat es verdient, intensiv umworben zu werden. Sie sind lange nicht so stark in Gefahr wie die Macher, in eine selbstverliebte und arrogante Position zurückzufallen. Die dritte Gruppe der Skeptiker und Unauffälligen ist anpassungsbereit und lässt sich für pragmatische und aussichtsreiche Angebote in Ausbildung und Beruf gewinnen. Allerdings müssen diese Jugendlichen direkt angesprochen werden, sie benötigen die beharrlich ausgestreckte Hand. Diese Jugendlichen sind integrationsbereit, sie sind auch fähig, Kompromisse für Ausbildung und Beruf einzuschlagen, aber sie brauchen hierbei eine aktive Unterstützung und Beratung. Ich denke, in den nächsten Jahren werden diese etwa 20 Prozent der jungen Generation viel stärker umworben werden müssen als bisher, denn von jetzt ab müssen wir ja nach demografischen Hochrechnungen mit einer deutlichen Verknappung des Nachwuchses am Ausbildungs- und Berufsmarkt rechnen. Dann sind diese Skeptikerinnen und Skeptiker möglicherweise die neue Begabungsreserve. Sie brauchen anschauliche und sehr persönliche Hilfen bei der Berufsorientierung. Die vierte Gruppe, die robusten, materialistisch orientierten Enttäuschten, sind am schwersten anzusprechen und nur mit Mühe für Ausbildung und Beruf zu gewinnen. Diese Jugendlichen sind durch Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

21 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann ihr niedriges Niveau von Leistungsfähigkeit und schulischer Abschlusskompetenz gekennzeichnet. Viele von ihnen haben sich in der Schule früh aufgegeben. Ihnen geht es psychisch und gesundheitlich nicht gut. Bei ihnen bündeln sich außerdem alle Probleme, die beim Kompetenzprofil der jungen Generation auftreten können: Die Schreib- und Rechentechniken sind gering, ebenso die kulturellen, naturwissenschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Kenntnisse; die Fähigkeit zur englischen Sprache ist gering ausgeprägt, auch die informationstechnischen Kompetenzen sind niedrig. Nicht nur im fachlichen Bereich, sondern auch im sozialen und persönlichen Bereich sind diese Jugendlichen weit zurück. Teamfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Freundlichkeit, Höflichkeit, Kontaktfähigkeit und Toleranz sind niedrig, und bei den persönlichen Kompetenzen fallen sie leider allzu oft durch Unzuverlässigkeit, geringe Lern- und Leistungsbereitschaft, niedrige Ausdauer, wenig Durchhaltevermögen und Belastbarkeit, unzureichende Sorgalt und Gewissenhaftigkeit, geringe Verantwortungsbereitschaft und Selbstständigkeit und ein unzureichendes Maß von Kreativität, Flexibilität und Selbstkritik auf. Folgerungen für Schulpädagogik und Schulsozialarbeit Welche Folgerungen ergeben sich aus dieser Bestandsaufnahme? Welche Herausforderungen stellen sich der schulischen und unterrichtlichen Lernarbeit und der sozialen Kompetenzförderung? Im Folgenden sollen einige wichtige Punkte herausgegriffen werden. 1. Kinder und Jugendliche haben unterschiedliche Biografien und Leistungsprofile. Es geht darum, sie genauesten zu identifizieren, um jeden einzelnen gezielt fördern zu können. Die Kinder- und Jugendstudien machen deutlich: Die jungen Leute sind leistungsorientiert und wollen gute Abschlüsse erreichen. Die Jugendlichen haben den Wunsch, in der beruflichen Ausbildung eine eigenständige und kreative Tätigkeit vollziehen zu können. Sie wollen mit den persönlichen Interessen und Neigungen in die berufliche Tätigkeit hineingehen können. Auch Aufstiegschancen und materielle Absicherung spielen eine Rolle, stehen insgesamt aber nicht an erster Stelle. Die meisten Jugendlichen wünschen sich freie und selbstbestimmte berufliche Tätigkeiten und die Möglichkeit, sich durch den Beruf in der Privatsphäre nicht vollständig einengen zu lassen. Auf die Kinder und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Elternhäusern auch aber nicht nur die mit einem Zuwanderungshintergrund müssen wir ab sofort in Bildung, Ausbildung und Beruf besonders achten. Viel stärker als bisher brauchen wir gezielte Kompetenzförderungen auf der Basis von präzisen Leistungs- und Sozialdiagnosen, umfassende Beratungs- und Coachingprozesse, verbunden mit spezifischen Impulsen für sozial Benachteiligte, die aber nicht diskriminieren dürfen. Immer sollte dabei an die durchaus vorhandenen Stärken und positiven Eigenschaften angeknüpft werden, die sensibel identifiziert werden müssen. In die Ausgangsdiagnose gehört die körperliche und psychische Dimension hinein. Neben den kulturellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des kognitiven Lernens sind unbedingt seine psychischen und physiologischen Fundierungen zu berücksichtigen. Ohne subjektive Leistungsmotivation und ohne die körperlich gegebene Bereitschaft, in der Schule zu lernen, lässt sich auf Dauer kein Schulerfolg erzielen. Gesundheitliche Störungen blockieren die schulische Arbeitsfähigkeit Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 21

22 Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung In den Gesundheitswissenschaften gehen wir heute von einem Gleichgewichtsmodell der Bestimmung des Gesundheitszustandes eines Menschen aus. Gesundheit ist danach die gelungene Balance zwischen den inneren Anforderungen von Körper und Psyche, die aufeinander abgestimmt werden müssen, und den äußeren Anforderungen der sozialen und physischen Umwelt, die ebenfalls miteinander harmonisiert werden müssen. Gelingt das komplexe Wechselspiel zwischen den inneren und den äußeren Anforderungen, dann kann immer nur vorübergehend und stets prekär das Stadium einer relativ hohen Gesundheit erreicht werden. Kommt es zu einem Übermaß von inneren und äußeren Anforderungen, denen die subjektiven Bewältigungsfähigkeiten im physiologischen, psychologischen und sozialen Bereich nicht entsprechen, dann rutscht die Balance zwischen Schutzfaktoren und Risikofaktoren ab, es kommt zu Veränderungen in Richtung einer relativen Krankheit. Der von der Weltgesundheitsorganisation Europa initiierte Jugendgesundheits-Survey, der in 35 europäischen Ländern aufeinander abgestimmt durchgeführt wird, zeigt ein ungeschminktes Bild vom gegenwärtigen Zustand der Gesundheits-Krankheits-Balance bei Schülerinnen und Schülern. Danach haben wir es heute in allen westlichen Ländern mit wenigen Infektionskrankheiten und im Vergleich zu älteren Generationen auch wenigen chronischen Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen zu tun. Viel stärker ist die Belastung durch Gesundheitsstörungen, die sich aus einer unausgeglichenen Balance zwischen inneren und äußeren Anforderungen, aus einer fehlenden Balance zwischen den Systemen Körper, Psyche, soziale Umwelt und physische Umwelt, ergeben. Insbesondere sind das Ernährungsverhalten, das Bewegungsverhalten und das Stressmanagement von Angehörigen der jungen Generation in einem unbefriedigenden Zustand, so dass es in der Folge zu psycho-somatischen, sozio-somatischen und öko-somatischen Störungen der Gesundheit kommt. Ziehen wir alle Ergebnisse unserer Studien zusammen, müssen wir bei etwa 20% der Schülerinnen und Schüler mit sehr starken Beeinträchtigungen der Gesundheit rechnen, die sich hemmend oder hindernd auf die schulischen Leistungsfähigkeit auswirken. Bildhaft kann man auch von einem hohen Entwicklungsdruck der Kinder und Jugendlichen sprechen. Die Anforderungen, das eigene Leben in Familie, Schule und Freizeit zu meistern, erscheinen ihnen sehr hoch, zugleich wird von ihnen eine höchst individuelle Gestaltung ihres eigenen Lebens erwartet. Eine Fülle von Entwicklungsaufgaben drängt sich in einer kurzen Zeit; die Pubertät verlagert sich gleichzeitig immer weiter im Lebenslauf nach vorne. Dieser hohe Entwicklungsdruck wird von einem Drittel der Jugendlichen durch problematische Formen der Auseinandersetzung mit den Anforderungen aufgefangen. Die unzureichende Bewältigung von psychischen Beanspruchungen und sozialen Anforderungen nimmt zu. Viele Kinder kommen mit sozialen Konflikten, seelischen Enttäuschungen und Versagenserlebnissen nicht zurecht. Sie reagieren entweder nach innen, nach außen oder sie weichen aus. Zur ausweichenden Komponente gehört der Konsum von psychoaktiven Substanzen. 2. Eine Schule muss ihre Schülerinnen und Schüler annehmen und mögen und diese Wertschätzung in ihrer gesamten Organisationskultur zum Ausdruck bringen. Alle Kinder und Jugendlichen benötigen eine Schule, die sie mit allen ihren Erfahrungen und Gegebenheiten annimmt. Schulisches Lernen ist im Idealfall ein Prozess, der enorme Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung mit sich bringt, weil er eine elementare Bestätigung und eine Erschließung neuer Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

23 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Welten mit sich bringt. Schulisches Lernen kann aber unter ungünstigen Bedingungen eine Belastung und Beeinträchtigung der weiteren Persönlichkeitsentwicklung bedeuten. Die Schule kann in diesem Sinne entweder eine Chance oder eine Belastung für die gesamte weitere Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung eines Schülers und einer Schülerin sein. Von dieser Entwicklung hängt die psychische und körperliche Gesundheit wesentlich ab. Unter diesem Blickwinkel ist die Gesundheit der Kinder eng mit der Qualität schulischer pädagogischer Arbeit verbunden. Dabei geht es sowohl um die so genannte Prozessqualität, die produktive und möglichst stressfreie Zusammenarbeit aller Beteiligten, und die Ergebnisqualität, das Erreichen eines optimalen individuellen Schulerfolgs für möglichst viele Schülerinnen und Schüler. Unsere Studien zeigen, dass der Schulfreude, zusammen mit der Einschätzung der eigenen schulischen Kompetenz, die entscheidende Vermittlerrolle zwischen den Merkmalen der Schule und der persönlichen Gesundheit zukommt. Schülerinnen und Schüler, die sich kompetent fühlen und sich in der Schule wohl fühlen, sind gegen die Folgen von Anforderungsstress gut geschützt. Die Ergebnisse weisen auf die Bedeutung der Schulkultur und des gesamten sozialen Klimas in der Schule für die intellektuellen Leistungen der Schülerinnen und Schüler hin. Wollen wir die schulische Leistungsfähigkeit verbessern, müssen wir also innerhalb der Schule besonders die Organisationskultur und die Umgangsformen verbessern. Gesundheit und Sicherheit sind im Zusammenhang mit dem Entwicklungsprozess zur gesundheitsfördernden Schule nicht nur ein Thema, mit dem sich die Schule neben anderen zusätzlich beschäftigt, sondern durchdringt die Schule als Ganzes und verändert sie in ihrem Charakter. Es geht um die Ausformung eines spezifischen Schulprofils und um die beständige Entwicklung einer gesunden Organisation. Dazu muss die Bereitschaft bestehen, die gesamte Qualität der Schulkultur in den Prozess mit einzubeziehen. Es gibt bereits viele Schulen, die beständig gesundheitsbezogene Projekte anbieten. In der Regel sind es dort einzelne Lehrkräfte, die Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung, teilweise auch Sicherheitsfragen, im Unterricht den Schülerinnen und Schülern nahe bringen, ohne dass jedoch die Schule davon besondere Notiz nimmt. Nur sehr wenige Schulen führen bereits gemeinsame, zeitlich und thematisch begrenzte gesundheitsbezogene Aktivitäten durch, an denen sich ein großer Teil der Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler oder gar die gesamte Schule beteiligt. Letztere sind auf einem guten Weg, durch die Summe der Aktivitäten und das gemeinsame Streben zu einer positiven Veränderung in ihrer Struktur, ihrer Organisation aber auch in ihrem Selbstverständnis zu gelangen. Zur Organisationsentwicklung in der Schule gehört zwingend die Bereitschaft auf Seiten der Schulleitung und des Lehrerkollegiums, sich selbst als Gesamtgestalter einer Dienstleistungsorganisation zu definieren. Dies bedeutet eine Abkehr von der Einstellung, Schule sei eine festgefügte Bildungsinstanz, in der Lehrkräfte eigenständig und rein selbstverantwortlich im Rahmen von Verordnungen und der Schulgesetzgebung Lehrinhalte an die Schülerinnen und Schüler vermitteln. Die Selbstdefinition als Organisation beinhaltet vielmehr einen regen Austausch über pädagogische Inhalte und Standards mit dem Ziel einer homogenen Gesamtstrategie. Wie im Vorherigen dargestellt, ist hiervon ein positiver Einfluss auf die Leistung der Schülerinnen und Schüler zu erwarten. Der Austausch von Informationen führt zudem zu einer lernenden Organisation, in der neue Aspekte und Inhalte sich verbreiten und zu einer Bereicherung und sukzessiven Anpassung an neue Aufgaben und Ziele führen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 23

24 Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Nur eine selbstständige Schule wird den heutigen selbstständigen Schülerinnen und Schülern gerecht. Nur eine autonom pädagogisch handlungsfähige Bildungsinstitution ist in der Lage, den veränderten Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden. So wichtig angesichts des noch immer unbefriedigenden Abschneidens der deutschen Schulen bei internationalen Leistungsvergleichen die Forderung ist, die Schulen in Deutschland sollten ihre Bemühungen verstärken, die fachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in den Schlüsselfächern zu verbessern, so wichtig ist dieser zweite, pädagogisch grundlegende Aspekt. Die traditionelle Schulorganisation in Deutschland ist hierfür nicht geeignet. Das Schulsystem in Deutschland trägt immer noch das Muster alter militärischer Organisation aus dem vorvorigen Jahrhundert, konzipiert nach der Idee, dass die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein reglementierbarer Akt sei, der staatlich überwacht und gesteuert wird. Schulen wurden zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in wohlmeinender Absicht in die hierarchischen Strukturen eines bürokratischen staatlichen Verwaltungssystems eingegliedert. Sie sind gewissermaßen die unterste Instanz eines Behördenapparates, die durch Weisungen von oben gesteuert werden soll. Eine solche Organisationsstruktur des Schulsystems ist von ihrem ganzen Aufbau her nicht in der Lage, sich flexibel den Aufgaben der Leistungs- und Sozialförderung der Schülerinnen und Schüler zu stellen. Wir brauchen Bildungseinrichtungen, die kompetent, sensibel und liebevoll auf die Bedürfnisse und die Lebenslage der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern eingehen. Das ist nur möglich, wenn jeder einzelnen Bildungsinstitution, jedem einzelnen Kindergarten und jeder einzelnen Schule, jeder Berufsbildungsstätte und jeder Hochschule, die notwendige Selbstständigkeit eingeräumt wird, um auf die Anforderungen zu reagieren, die sich spezifisch durch die Klientel ergeben, die sich für diese Einrichtung entscheidet. Die Bildungseinrichtungen brauchen dazu erstens eine finanzielle Budgetsicherheit, also einen eigenen finanziellen Verfügungsspielraum für alle zentralen und pädagogisch wichtigen Entscheidungen, zweitens die weitgehende Autonomie bei der Zusammensetzung ihres Fachkollegiums und drittens die entsprechende Freiheit der Definition ihres pädagogischen Arbeitsprogramms und ihrer didaktischen Konzeption und Förderphilosophie. Um auf die Klientel einzugehen, die sich an der Schule konkret einfindet, müssen die verantwortlichen Lehrkräfte in enger Abstimmung mit Eltern und Schülern ein jeweils spezifisches Förderprogramm von der Eingangsdiagnostik bis zum Schlusstest entwickeln können. Die Rolle des Staates wird dadurch nicht überflüssig, aber sie verändert sich deutlich. Die Schul- und Bildungsministerien sind nicht mehr die Kommandozentrale für die Steuerung der pädagogischen Abläufe in den einzelnen Bildungseinrichtungen, sondern die Rahmensetzer und fachlichen Supervisoren. Eine selbstständige, eigenverantwortliche Schule braucht eine rechtliche Sicherheit, zum Beispiel im Blick auf die Qualität und die Anerkennung, die sie ihren Schülerinnen und Schülern verleiht. Sie braucht einen finanziellen Rahmen, der berechenbar und dauerhaft ist. Sie benötigt Beratung und Begleitung durch Fachleute in Organisations- und Personalfragen. Die selbstständige Schule ist also nach wie vor auf den Staat angewiesen, aber nicht auf seine obrigkeitsstaatliche angemaßte Bevormundung, sondern seine Rahmen setzende und Prozesse strukturierende Hand Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

25 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann Schulen sind in organisationssoziologischer Sicht Dienstleistungseinrichtungen des Typs der people processing organizations. Sie sind soziale Systeme, die die Aufgabe der Beeinflussung und Veränderung persönlicher Kompetenzen ihrer Klienten haben. Ihr Auftrag ist die kognitive und soziale Bildung der Persönlichkeit von Schülerinnen und Schülern. Hierfür bekommen sie finanzielle Ressourcen in Form von Steuergeldern. Es handelt sich um einen komplexen Auftrag, da es wohl keine vielschichtigere Arbeit gibt als die, einen Menschen in der Entwicklung seiner persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten sensibel zu begleiten, ihn anzuregen und anzuleiten. Bildung und Erziehung setzen in einer offenen, demokratischen Gesellschaft mit großen Freiheitsspielräumen von Kindern und Jugendlichen hohe Professionalität bei Lehrerinnen und Lehrern voraus. Diese Professionalität kann sich aber nur entfalten, wenn die Arbeitsbedingungen, also die organisatorischen und ressourcenmäßigen Rahmengegebenheiten, stimmen. Die professionelle pädagogische Arbeit an der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler verlangt nach einer flexiblen Struktur der sozialen, inhaltlichen und zeitlichen Organisation von Bildung und nach intensiver Partizipation der Schülerinnen und Schüler. 4. Ohne eine nachhaltige Stärkung der Lehrkräfte können Schülerinnen und Schüler nicht gestärkt werden. Viele Lehrerinnen und Lehrer sind unter den heutigen Arbeitsbedingungen strukturell überfordert. Ein deutliches Signal hierfür sind die immer früher eintretenden Berentungen aus gesundheitlichen Gründen. Etwa die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer wird schon mit 60 Jahren in den Ruhestand versetzt, das Dienstalter von 65 Jahren erreicht praktisch kein Lehrer und keine Lehrerin. Damit liegen diese Werte unter den Durchschnittwerten in der öffentlichen Verwaltung. Lehrerinnen und Lehrer dürften damit unter denjenigen Berufsgruppen in Deutschland sein, die gesundheitsbedingt die höchsten Belastungen ausweisen. Noch problematischer sind die psychischen Belastungen. In vielen Untersuchungen wurden starker Zeitdruck, hohe Verantwortung sowie Überforderung durch Arbeitsmenge und komplizierte Aufgaben als besonders anspannend herausgearbeitet. Der Lehrerberuf ist ein komplexer Dienstleistungsberuf mit genau dem Profil von Belastungen, das hierfür charakteristisch und unvermeidbar ist. Die psychischen Belastungen kumulieren im Erschöpfungssyndrom (Burn-Out), das durch eine nachlassende Leistung bei eingeschränkter Wahrnehmung, angespanntem Verhalten und nachlassender Motivation bei zunehmender sozialer Isolation und emotionaler Verunsicherung gekennzeichnet ist. Die Folgen sind körperliche Krankheiten, psychosomatische Beschwerden, Rückenleiden, Muskelverspannungen und Missbrauch von Medikamenten und legalen und illegalen Drogen. Die pädagogische Arbeit des People Processing verlangt eine kontinuierliche, auf jedes Individuum ausgerichtete Konzentration mit hohem Einfühlungsvermögen. Die Vielzahl der Kontakte aber, die durch die heutige Unterrichtsorganisation im 45-Minuten-Turnus zustande kommt, bewirkt eine permanente soziale Überforderung und verunmöglicht enge persönliche Kontakte. Lehrkräfte erhalten auch nur selten direkte Rückmeldungen über ihren Erfolg. Die Anerkennung über die geleistete Arbeit gegenüber den Schülerinnen und Schülern erfolgt im Schulalltag nur selten und meist indirekt. Die Wertschätzung von Eltern wird oft erst nach dem Schulabgang der Kinder ausgesprochen. Im kollegialen Austausch ist 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 25

26 Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung ein Lob unüblich. Schließlich fehlt eine professionelle fachliche Supervision durch geschulte Kräfte, wie sie bei anderen Berufen in People Processing Organizations wie Ärzten, Sozialarbeitern, Pflegepersonal, Therapeuten und Beratern üblich und teilweise sogar vorgeschrieben ist. Ohne diese fachliche Überprüfung muss es zwangsläufig zu Fehleinstellungen kommen. Der Lehrerberuf ist in der Praxis ein Beruf mit einer starken Kommunikations- und Moderationskomponente. In Ausbildung und Praxis wird dieser Komponente aber wenig Rechnung getragen, hier wird nur auf die fachliche Seite Rücksicht genommen. Dadurch kommt es zu einer ständigen Spannung zwischen der fachsystematischen und der gruppendynamischen Kompetenz, die nur von wenigen Lehrkräften gut bewältigt werden kann. Schon aus diesen Erkenntnissen lässt sich schließen, dass eine Organisationsreform überfällig ist. Für Lehrerinnen und Lehrer geht es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Organisationsentwicklung und die Steigerung der Arbeitsplatzqualität der Schule, auch um eine Veränderung der Ausund Weiterbildung mit Training im sozialen Lernen. Wir stehen in Deutschland vor der Herausforderung, die veränderte Rolle der Eltern in der Erziehung ihrer Kinder endlich als Chance wahrzunehmen. In allen hoch entwickelten Ländern der Welt beobachten wir eine zeitliche Ausweitung der professionell geleiteten Erziehung gegenüber der Laienerziehung durch Mütter und Väter. Im internationalen Vergleich legen wir traditionell in Deutschland ein ungewöhnlich großes Gewicht auf die Laienerziehung durch Eltern, wie sich an der vorherrschenden Halbtagsschule und an der im Grundgesetz festgeschriebenen dominanten Rolle der Mütter und Väter für die Erziehung von Kindern ablesen lässt. Aber auch wir können den globalen Trend zur Auslagerung von Erziehungs- und Bildungsprozessen aus der Institution Familie in spezielle hierfür gesellschaftlich organisierte Systeme nicht aufhalten. Deshalb gehört einer gut gestalteten und mit der sozialen Umwelt eng verflochtenen Ganztagsschule die Zukunft. Sie kann aber nur betrieben werden, wenn die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer grundlegend hierauf umgestellt wird. 5. Schulpädagogik und Schulsozialarbeit sind in ihrer Kombination notwendig, um den pädagogischen Herausforderungen gewachsen zu sein. Kinder und Jugendliche brauchen die Schule heute sowohl als einen Lernort als auch als einen Lebensort. Sie können den unterrichtlichen Anforderungen nur folgen, wenn sie körperlich, psychisch und soziale dazu bereit sind. Lebensprobleme, also Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben, können direkt und indirekt zu Lernproblemen werden, wie jeder Lehrer und jede Lehrerin bei Krisen der Schüler im Elternhaus oder in der Freundschaftsgestaltung erfährt. Ein großer Teil der Elternschaft ist heute mit der Erziehung der eigenen Kinder und Jugendlichen überfordert auch aus diesem Grund wird die pädagogische Herausforderung an die Schule größer, nicht nur fachlich zu unterrichten, sondern auch zu bilden und zu erziehen. In dieser Situation bringt uns nur die enge Kooperation von Schulpädagogik und Schulsozialarbeit weiter. In das Kollegium einer Schule gehören nicht nur Lehrkräfte, sondern auch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, und möglichst darüber hinaus auch weitere für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen relevante Berufsgruppen. Hier besteht in Deutschland Nachholbedarf. Umso mehr ist zu begrüßen, dass jetzt an vielen Standorten Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in die Schularbeit einbezogen werden. Ursprünglich einmal als Nothelfer bei der Bewältigung von Gewalt- und Drogen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

27 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann problemen, Schulschwänzen und Psychokrisen gerufen, werden sie heute mehr und mehr zum festen Bestandteil des Kollegiums. Dieser Trend hat sich auch durch die verstärkte Einrichtung von Ganztagsschulen verstärkt. In diesen Schulen wird besonders deutlich, wie wenig sich Leben und Lernen voneinander trennen lassen, und gleichzeitig entstehen hier auch neue Möglichkeiten, in verschiedenen Feldern zusammen zu arbeiten. Denn in Ganztagsschulen pulsiert das Leben, kommen alle Alltagskonflikte und Entwicklungsstörungen zum Vorschein, die in der begrenzten Kommunikation der Halbtagsschule ausgeblendet werden können. Da geht ohne Schulsozialarbeit gar nichts. Schulsozialarbeit bildet eine Schnittstelle zwischen Schule und Jugendhilfe. Wir haben lange gebraucht, um diese beiden Arbeitsfelder zusammen zu führen. Zu unterschiedlich sind Ausbildung, Bezahlung, Organisationsstruktur und Organisationsziele der beiden Einrichtungen, als dass sie von heute auf morgen kooperieren könnten. Jahrzehntelang belauerten sich die beiden Berufsgruppen der Lehrer und der Sozialarbeiter und konnten aus ihren sich ergänzenden Arbeitsansätzen hier gezielte intellektuelle und kognitive Förderung mit Leistungsanspruch, dort gezielte soziale Förderung mit Anspruch auf Persönlichkeitsstärke kein Kapital schlagen. Das hat sich glücklicherweise durch viele konkrete Modellversuche, die inzwischen zu festen Strukturelementen geworden sind, geändert. Mit geholfen hat dabei die schrittweise Selbstständigkeit der Schulen und die Etablierung von Schulträgerschaften, die es geschafft haben, den unterschiedlichen Status und die verschiedenartige Arbeitsweise der beiden Berufsgruppen zu überwinden und sie zusammen zu führen. Heute wissen wir: Beide Berufsgruppen sind nur erfolgreich, wenn sie nicht gegeneinander, sondern miteinander an ihren Klienten arbeiten. Beide haben das Interesse, die Schülerinnen und Schüler zum Erfolg zu bringen. Dazu gehört beides: Die gelingende Entfaltung der Leistungspotentiale und die Stärkung der persönlichen sozialen Kompetenzen der Lebensführung. Dazu gehören präventive Ansätze, die dazu führen sollen, dass ein Schulversagen und Schulschwänzen gar nicht erst auftreten ebenso wie nachgelagerte Ansätze, die Schulschwänzer wieder an Schule und Unterricht heranführen und sie in die soziale Gruppe der Schulklasse re-integrieren. Die Schule als Teil des Bindungssystems gewinnt immer größere Bedeutung für die biografische Gestaltung des Lebenslaufs. Auch aus diesem Grund können wir es uns gar nicht mehr leisten, in den Schulen nur Lehrkräfte arbeiten zu lassen, die Fachleute für kognitives Training und intellektuelles lernen sind. Schulen sind Trainingsstätten für Persönlichkeiten geworden, und aus diesem Grund benötigen sie Fachleute, die andere als die kognitive Komponente beeinflussen können. Nur bei fester Verflechtung von Schulpädagogik und Schulsozialarbeit können die Effekte erzielt werden, die eine pädagogische Dienstleistungsorganisation hervorbringen kann. Nur dann ist neben Unterricht auch eine Beratung von Schülerinnen und Schülern, aber auch ihrer Eltern möglich. Das gleiche gilt für unterrichtbezogene Einzelfallhilfe, breit angelegte Nachhilfe, Angebote zum sozialen lernen und zum Kompetenztraining, Freizeit- und Betreuungsangebote und die Vernetzung der Schule mit allen wichtigen kommunalen Diensten. Nur eine Schule, die Schulsozialarbeit fest mit in ihr Schulprogramm aufgenommen hat, hat den Weg aus der traditionellen Unterrichtsschule heraus angetreten. An dieser Schule sind alle pädagogischen Fachkräfte damit beschäftigt, die Leistungs- und Persönlichkeitsent Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 27

28 Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung wicklung der Schülerinnen und Schüler zu optimieren. Schulsozialarbeit in der Schule ist ein Symptom für die einzig richtige, nämlich die umfassende Definition des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule als Haus des Lebens und Lernens Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

29 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Vortrag Prof. Dr. Klaus Hurrelmann 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 29

30 Mittagspause 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

31 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Mittagspause 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 31

32 Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prof. Dr. Bernd Meier Professor für Technologie und berufliche Orientierung Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Universität Potsdam Berufsfindung ein Problem des Einzelnen Berufsorientierung eine Aufgabe der gesamten Schule Duales Lernen zur Eröffnung neuer (Lern-)Zugänge Die Arbeits- und Berufswelt befindet sich in einem tief greifenden Umwälzungsprozess und die damit verbundenen Veränderungen lassen auch die Aufgaben von Schulen und den Lehrerberuf nicht unberührt. Berufsorientierung als Aufgabe der gesamten Schule und damit auch jeder einzelnen Lehrkraft ist anspruchsvoller und komplexer geworden. Über die Kategorie Beruf wird die Identität des Einzelnen im System der gesellschaftlichen Arbeitsteilung hergestellt. Der beziehungsweise dem Einzelnen obliegt das Problem der Berufsfindung. Aber auch die Lebenssituationen der jungen Generation unterliegen einem stetigen Wandel (vgl. Hurrelmann 2007). Vor allem verfügen viele Schülerinnen und Schüler nicht über hinreichende Berufswahlreife. Eine grundlegende Frage, die sich aus dieser Situation für die allgemeinbildende Schule, Bildungsträger und auch natürlich Eltern ableitet, lautet: Wie finden Jugendliche ihren Beruf und wie kann der Prozess der Berufsfindung wirkungsvoll unterstützt werden? Wie finden Menschen zu ihrem Beruf? differenzierte Theorien Das Interesse an Antworten auf die Frage: Wie finden Menschen zu ihrem Beruf? besteht seit Langem. Für den Übergang junger Menschen von der Schule in die berufliche Ausbildung - die so genannte erste Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

33 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen Schwelle - liegen verschiedene Berufswahltheorien als Vorhersage- und Erklärungsmodelle vor. Eine umfassende Theorie existiert hierzu nicht. Die vorliegenden Vorhersage- und Erklärungsmodelle sind in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen entwickelt worden und folgen damit auch verschiedenen erkenntnisleitenden Fragestellungen. Die Theorien sind auf einem hohen Abstraktionsniveau formuliert, schließen sich in ihren Erklärungen nicht aus und sind auch kaum empirisch widerlegbar. Für die Berufswahlvorbereitung der Jugendlichen in der Schule erscheinen verschiedene Theorien relevant: Berufswahl als Entwicklungsprozess: In welchem Zusammenhang stehen berufliche Entscheidungen mit der individuellen Entwicklung? Berufswahl als Entscheidungsprozess: Nach welchen Gesichtspunkten entscheidet die/der Einzelne zwischen beruflichen Möglichkeiten? Berufswahl als Allokationsprozess: Welche Sozialmechanismen bedingen die Verteilung der Berufswählerinnen und Berufswähler in die ver fügba ren beruflichen Positionen? Berufswahl als Interaktionsprozess: Wie beeinflussen die Wechselbeziehungen individueller und sozialer Faktoren die Be rufswahl? Diese Berufswahltheorien sind vor allem auf eine Effizienzsteigerung der institutionellen Berufsberatung gerichtet und sollen Vorhersagen und Falsifikationsmöglichkeiten im Prozess der Berufswahl bieten. Die Agentur für Arbeit beispielsweise will vor allem die aus dem individuellen Stand im Entscheidungsprozess resultierenden Informationsbedürfnisse zur Grundlage ihres beraterischen Handelns machen und die/den Einzelne/n in ihrem/seinem Entscheidungsprozess unterstützen. In der Reflexion eigener Berufsfindungsprozesse geht die Mehrheit der Menschen von einem Modell der rationalen Wahl aus. Das heißt, Berufswahl wird als Entscheidungsprozess angesehen, in dem individuelle Präferenzen gesetzt und Berufe hinsichtlich der Chancen zur Erfüllung dieser Präferenzen bewertet werden. Schließlich müssen die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt überprüft, die Entscheidung revidiert und irgendwann getroffen werden. Diese eher subjektive Auffassung führte auch zur Basis für erste Berufswahltheorien. Vor mehr als hundert Jahren kennzeichnete Frank Parsons drei Elemente, die für eine erfolgreiche Berufswahl ausschlaggebend sind: a. das Wissen über die Voraussetzungen, die eine Person mitbringt (z. B. Fähigkeiten, Interessen, Neigungen); b. das Wissen über die Anforderungen, die verschiedene Berufe stellen und die Möglichkeiten, die verschiedene Berufe bieten, c. die Zuordnung von Person und Beruf nach dem Prinzip der bestmöglichen Passung Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 33

34 Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Abb. 1: Berufswahl als Matchingprozess Diese Auffassung von Frank Parsons hat die Praxis der Berufsberatung und den Prozess der Theoriebildung maßgeblich beeinflusst. Schulische Berufsorientierung soll junge Menschen unterstützen im Prozess ihrer Berufs- und Lebensplanung. Dies geschieht in institutionell organisierten Lehr-Lern-Prozessen. Sie sind darauf gerichtet, dass Schülerinnen und Schüler bereit und in der Lage sind, sich mit beruflichen Anforderungen auseinander zu setzen, Entscheidungen im Rahmen der Arbeits- und Berufsfindung im Kontext des eigenen Lebensentwurfs individuell zu treffen, Beschäftigungschancen und Risiken einzuschätzen und dabei berufliche Alternativen einzubeziehen und Bewerbungsprozesse selbstständig zu gestalten. Wie sehen Lehrkräfte ihre Rolle im Prozess der Berufswahl? Ergebnisse empirischer Untersuchungen Zunächst sei eine Untersuchung aus den Land Brandenburg angeführt, die die Problemhaftigkeit der Gestaltung des Prozesses der Berufswahlvorbereitung verdeutlichen soll. Gefragt wurden Lehrkräfte, worin sie das vorrangige Ziel ihres Unterrichts zur Berufswahlvorbereitung ihrer Schülerinnen und Schüler sehen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

35 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen Ziele der Berufswahlvorbereitung (Meier, Bernd; 2001) Informieren über Ausbildungsberufe 88 % Überblick über Berufsfelder geben 86 % Bewerbungsprozess gestalten 77 % Berufsbildungswege aufzeigen 62 % Berufliche Alternativen entwickeln 53 % Wandel der Berufswelt aufzeigen 48 % Berufe mit Zukunft vorstellen 22 % Die Untersuchungen sind bereits 12 Jahre alt und insofern schwer mit den Ergebnissen der dann angeführten neueren Untersuchungen aus Berlin zu vergleichen. Sie zeigen jedoch einen hoffentlich aktuellen Trend in der Sicht auf die pädagogische Funktion von Berufsorientierungsmaßnahmen an der Schule. Als Fazit der Untersuchungen aus Brandenburg wird deutlich: Berufswahlvorbereitung wird vor allem als Institutionenkunde angelegt (Zöllner 1993, S. 15). Der Blick ist auf die Arbeitswelt gerichtet. Die Schülerinnen und Schüler sollen berufliche Anforderungen kennenlernen. Derartige Informationskonzepte über Berufsbilder gehen davon aus, dass es die wichtigste Aufgabe der Berufswahlvorbereitung im Unterricht ist, ausgewählte Ausbildungsberufe aus Industrie, Handwerk und Dienstleistung vorzustellen und Berufsbilder hinsichtlich der beruflichen Anforderungen zu analysieren. Auf dieser Basis wird es dann möglich, den Unterricht in drei aufeinander zeitlichen Folgen zu gliedern (vgl. auch PIC Modell preescreening in-depth-exploration choice von Gati & Asher 2000): Erste Stufe: Vorauswahl (eine relativ geringe Anzahl viel versprechender beruflicher Alternativen wird identifiziert) Zweite Stufe: Vertiefende Exploration (umfassende Informationen über die vermeintlich viel versprechenden beruflichen Alternativen werden gesammelt und die Passung zwischen persönlichen Voraussetzungen und beruflichen Anforderungen wird untersucht) Dritte Stufe: Auswahl (Vergleich von passenden beruflichen Alternativen und Erstellen einer Rangliste) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 35

36 Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Ein anderes Selbstverständnis zeigen die Befragungen von Lehrkräften im Rahmen qualitativer Untersuchungen an einer Berliner Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen im Jahre Diese Lehrkräfte stellen den Lernprozess mit dem Ziel der Entwicklung der Schülerpersönlichkeit konsequent in den Mittelpunkt. Von welchen Auffassungen lassen Sie sich zur Berufsorientierung in Ihrer pädagogischen Arbeit leiten? Item Ich konzentriere mich in erster Linie auf die Entwicklung der Ausbildungsreife der Lernenden (hierzu zähle ich: Zuverlässigkeit, die Bereitschaft zu lernen und Leistung zu zeigen, Verantwortungsbewusstsein, Durchhaltevermögen, Beherrschung der Grundrechenarten, Sorgfalt, Rücksichtnahme, Höflichkeit, Toleranz, die Fähigkeit zur Selbstkritik, Konfliktfähigkeit, Anpassungsfähigkeit) Ich arbeite mit den Lernenden in der Schülerfirma. Hier werden sie zielgerichtet an die Rangplatz Anforderungen der Arbeitswelt herangeführt. 2 Ich versuche, die Schüler zu befähigen, berufliche Anforderungen und die persönliche Eignung in Übereinstimmung zu bringen. 3 Ich befähige die Lernenden, den Berufswahlprozess zu gestalten. (hierzu zähle ich: Bewerbungsschreiben und Lebenslauf entwerfen, Testaufgaben lösen, Vorstellungsgespräche üben) 4 Ich konzentriere mich auf die Entwicklung der Berufswahlreife. (hierzu zähle ich: Selbsteinschätzungs- und Informationskompetenz) 5 Für die Berufswahlvorbereitung vermittle ich systematisch Wissen über eine Vielzahl von Ausbildungsberufen. 6 Ich analysiere mit den Lernenden Berufsbilder bezüglich der beruflichen und formalen Anforderungen. 7 Ich analysiere mit den Lernenden Berufsbiografien und gestalte Zukunftswerkstätten, so lernen sie sich auf die veränderte Berufswelt einzustellen. 8 Von Berufswahl können wir bei unseren Schülern nicht sprechen. Es ist bestenfalls eine Jagd nach dem Job. 9 1 Offensichtlich sehen die Lehrkräfte relativ einhellig die Entwicklung der Ausbildungsreife als ihre zentrale Aufgabe an. Die Arbeit mit Schülerfirmen als eine Form dualen Lernens favorisieren die Lehrkräfte dann offensichtlich als eine wirksame Methode, um Ausbildungsreife zu erreichen. Hier können sich die Lernenden in verschiedenen Rollen erproben, erleben selbst Stärken und Schwächen. Auf dem dritten Rangplatz folgen dann eher spezifische Aufgaben zur Berufswahlvorbereitung, die Ermittlung beruflicher Anforderungen und die Konfrontation dieser mit der persönlichen Eignung. Diese Auffassung, die auf der Matching-Theorie beruht, findet breite Akzeptanz Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

37 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen Biografische Berufswahlvorbereitung Das Konzept der biografischen Berufswahlvorbereitung ist keine Theorie der Berufswahl, sondern Orientierung für das didaktische Handeln in der Schule und im Unterricht. Auch biografische Berufs wahl vorbereitung betont die anzustrebende Passung zwischen Persönlichkeitseigenschaften der Berufswählerin/des Berufswählers auf der einen und den beruflichen Anforderungen auf der anderen Seite. Von besonderer Bedeutung ist, dass Berufswähler sich Klarheit über ihre eigenen Wünsche, Fähigkeiten und Ziele verschaffen und erkennen, dass sie mit der Berufsentscheidung wesentlich über ihre spätere Berufs- und Lebenszufriedenheit mit entscheiden. Das Konzept widmet sich vordergründig den Subjekten der Berufsorientierung - den Jugendlichen und stellt diese jeweils in ihren biografischen Kontext. Mit der Betonung von biografischen Kontexten wollen wir die Subjektposition der Berufswählerinnen und Berufswähler als Akteure stärken und neben äußeren Lebensdaten auch innere Entwicklungen, markante Lebensereignisse und deren Bewältigung in den Prozess der Berufsfindung einbeziehen. Im Unterschied zum Lebenslauf, der eher äußere Verläufe im Leben eines Menschen herausstellt, wie es beispielsweise der klassische Lebenslauf bei Bewerbungen zeigt, akzentuieren wir mit Biografie den Bezug auf die Lebensgeschichte eines jeden Individuums. Biografisches Konzept im hier gemeinten Sinn nimmt daher nicht nur das bisher gelebte Leben, sondern auch das zukünftige in den Blick. Individualisierung meint eben auch, dass Individuen heute keine vorgeformten Lebensentwürfe und Rollen mehr übernehmen können, sondern dass jede und jeder sich und seine Biografie selbst steuern und gestalten muss. Es geht also um Ansätze, die im Hinblick auf die Laufbahngestaltung den Versuch unternehmen, aus dem bisher Gewordenen Anhaltspunkte für eine Neugestaltung abzuleiten, d.h. also erworbene Erfahrungen zu verdeutlichen und zu nutzen. Im Mittelpunkt steht die Ausprägung von Kompetenzen, persönliche Ressourcen zu entdecken, zu aktivieren und zu nutzen. Daran anknüpfend können dann Kompetenzen ausgeprägt werden, um Lösungswege und berufliche Alternativen zu entwickeln und sich wenigstens vorläufig auf einen Weg festzulegen. Vor allem basierend auf entwicklungspsychologischen Konzeptionen sollte die individuelle Biografie der Schülerinnen und Schüler verstärkt berücksichtigt und die Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzepts ermöglicht werden. Schließlich zeigen die Ergebnisse der Berufsforschung nachhaltig, dass Prozesse der Berufswahl, Berufsplanungs-, und Berufseinmündungsprozesse eingebettet sind in das komplexe Setting biografischer Prozesse im Kontext jeweils spezifischer sozialer Herkunftsmilieus, sozialer Lebenslagen und sozialer Bildungsprozesse (Vgl. Witzel, Andreas / Bolder, Axel (Hrsg.) 2003; Lange, Ute; Harney, Klaus; Rahn, Sylvia; Stachowski, Heidrun (Hrsg.) 1999) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 37

38 Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Abb. 2: Ausbildungs- und Arbeitsplatzwahl In schulischen Lernangeboten geht biografische Berufswahlvorbereitung über die Betrachtung der eigenen bisherigen Biografie in Form biografischer Gespräche und Phasen der Berufsbiografie sowie das Nutzen von Gelegenheiten, persönliche Erfahrungen mit Menschen in anderen biografischen Phasen zu machen, hinaus. Schließlich darf Berufswahlunterricht sich nicht auf biografische Aspekte beschränken. Er muss insgesamt so umfassend sein, dass Schülerinnen und Schüler einen breiten Einblick in die Berufswirklichkeit (z. B. Ausbildungs- und Beschäftigungschancen) erhalten und im Hinblick auf die zu treffende Berufswahl Wertvorstellungen entwickeln. Es geht um Einsichten in das Zusammenspiel von Wertvorstellungen, Interessen, Fähigkeiten, Neigungen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren sowie um eine realistische Einschätzung der eigenen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten. Die curriculare Ausgestaltung der Berufswahl erfolgt dann unter Berücksichtigung verschiedener verhaltenswissenschaftlicher Ansätze auf mehreren Ebenen: Eine breite Information soll vermittelt werden über die allgemeine Wirtschaftslage, die regionale Wirtschaftsstruktur, die Struktur der Berufe, Arbeitsmarktlage, Verdienstmöglichkeiten, Ausbildungsstellensituation, die soziokulturellen und sozialpsychologischen Determinanten usw. (allokationstheoretischer Aspekt). Die Berufswahl soll als komplexer, mehrstufiger Entscheidungsprozess erlebt und bewusst werden (entscheidungstheoretischer Aspekt) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

39 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen Das berufliche Wissen, die individuellen Wertmaßstäbe und das Entscheidungsverhalten sollen in Relation zu den relevanten Interaktionspartnern (vorrangig Eltern, Gleichaltrige, Berufsberater/- innen, Lehrkräfte, Geschwister usw.) gesetzt werden (interaktionstheoretischer Aspekt). Die bei den Schülerinnen und Schülern vorhandenen Wünsche, Vorurteile, Hoffnungen und Ängste in Bezug auf Arbeit und Beruf müssen zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit Berufswahlfragen werden. Ziel dieser Auseinandersetzung muss sein, dass die Schülerinnen und Schüler aus einer Gegenüberstellung von sozialisationsbedingten Persönlichkeitsmerkmalen und von Ergebnissen der Analyse gesellschaftlicher Realität begründete Zielvorstellungen und Maßstäbe für die Selbsteinschätzung entwickeln. Hier nimmt das duale Lernen aber auch der systematische Unterricht im Fach Wirtschaft- Arbeit-Technik eine wichtige Rolle ein. Erfolgreiche Berufswahlvorbereitung muss drei Aspekte berücksichtigen und mitein ander sinnvoll verknüpfen: a) Voraussetzungen für die Entwicklung der Persönlichkeit und der Selbstbe urtei lungsfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler (Einschätzung eigener Ressourcen) schaffen, b) Vereinfachung des Zuganges zur komplexen Berufswelt (Orientierung über Arbeitsmarkt und Beruf), so dass die Schülerinnen und Schüler für sie wesentliche Informationen finden und bei ihren Entscheidun gen verwerten können, c) Gestaltung des langfristig angelegten Prozesses zur Berufsfindung (Organisation der Arbeits- und Berufsfindung). Duales Lernen und Berufsorientierung Voraussetzung für einen Reflexions- und Bewusstwerdungsprozess der Schülerinnen und Schüler und dafür, dass ihnen die Lebensbedeutung der Berufswahlproblematik bewusst wird, ist zunächst, dass sie die Schule als eine Institution erkennen, in der die eigenen Interessen noch am ehesten artikuliert, begründet und durchgesetzt werden können. Zugleich gilt es, schulische Wirklichkeit durch weitere Realitätsbezüge zu ergänzen. Schließlich benötigt ein tragendes berufliches Selbstkonzept neben den Eigenschaften, Interessen, usw. des Einzelnen Sachwissen und Erfahrungen aus und über die Arbeits- und Berufs welt. Das Sachwissen erreicht aber nur dann die angestrebte Wirksamkeit bei der Ent wicklung der Berufswahlkompetenz, wenn es in exemplarischer Form wiederkehrende Strukturen verdeutlicht und Grundeinsichten vermittelt, mit deren Hilfe die Arbeits- und Berufswelt begreifbar wird. Spezifische Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten können sein: Konfrontation mit der Außenwelt : Erkundungen, Befragungen, Hospitationen, Betriebspraktika (auch unter dem Vorbehalt, dass Erfahren noch nicht gleich Erkennen ist), Schülerfirmen, 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 39

40 Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Wochenendveranstaltungen, Aktivitäten im außerunterrichtlichen Bereich, Ferienprojekte, Projekte zusammen mit außerschulischen Gruppen, Projekte, Planspiele, Entscheidungstraining, Fallstudien u.ä. zur Initiierung von handlungsorientiertem Lernen, Einbeziehung von außerschulischen Personen: Eltern, Lehrlinge, Arbeitslose, Gewerkschaftsvertreter/-innen, Kammervertreter/-innen, Sozialpädagog/-innen aus der Jugendarbeit, Berufsschullehrer/-innen u.a., Zusammenarbeit mit außerschulischen Bezugsgruppen der Schülerinnen und Schüler : z. B. Jugendzentren, Clubs, Vereine Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

41 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 1 Berufsorientierung / Duales Lernen Literatur Bolder, Axel; Witzel, Andreas: Berufsbiographien - Beiträge zu Theorie und Empirie ihrer Bedingungen, Genese und Gestaltung. Opladen 2003 Gati, Itamar & Asher, I.: The PIC model for career decision making: Prescreening, In-depth exploration, and Choice. In: F. T. Leong & A. Barak (Eds.): Contemporary models in vocational psychology. Mahwah 2001, S Hurrelmann, Klaus: Lebensphase Jugend. Weinheim: Juventa Verlag 2007 (7. Auflage) Lange, Ute / Harney, Klaus / Rahn, Sylvia / Stachowski, Heidrun (Hrsg.): Studienbuch Berufliche Sozialisation - Theoretische Grundlagen und empirische Befunde zu Etappen der beruflichen Sozialisation. Bad Heilbrunn 1999 Meier, Bernd: Biografisch orientierte Berufswahlvorbereitung. -In: Schudy, J. (Hrsg.): Berufsorientierung in der Schule, Bad Heilbronn 2002 Meier, Bernd: Biografisch orientierte Berufswahlvorbereitung. In: Unterricht Arbeit und Technik 5 (2003) 16 Meier, Bernd: Wie finden Schülerinnen und Schüler ihren Beruf? In: Unterricht: Arbeit und Technik, 9 (2007) 35, S. Schober, Karen: Berufswahlverhalten. In: Kahsnitz, D., Ropohl, G., Schmid, A. (Hrsg.): Handbuch zur Arbeitslehre, München 1997 Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Berlin (Hrsg.): Duales lernen Handreichung. Berlin 2010 Zöllner, Hermann: Wenn Berufswahlvorbereitung die Schüler nicht erreicht. In: Pädagogik 45 (1993) 4, S Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 41

42 Forum 1 Praxisbeispiel Tag der Berufsorientierung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Herr Waschneck Schulsozialarbeiter, Helmut Ziegner Berufsbildung ggmbh Frau Neumann Lehrerin, Biesalski-Schule Biesalski-Schule Tag der Berufsorientierung Individualisierung prägt das Lernen an unserer Schule Schule mit dem Förderschwerpunkt Körperliche und motorische Entwicklung Grundschule, ISS und Berufsschule mit sonderpädagogischer Aufgabe Insgesamt etwa 210 Schülerinnen und Schüler mit chronischen Erkrankungen (Epilepsie, Muskeldystrophie), körperlichen Behinderungen (Cerebralparese, Kleinwuchs), Stoffwechselerkrankungen (Diabetes), Problemen in der Wahrnehmungsverarbeitung (ADS, ADHS) Durchführung der Berufsorientierung in SEK I beginnend mit der 7.Klasse Pro Schulhalbjahr jeweils eine Woche Berufswahlpass Stationsarbeit, Assessmentübungen: Feststellen der Stärken, Fähigkeiten, Schlüsselkompetenzen Betriebsbesichtigungen, OSZ, Berufsbildungswerke, überbetriebliche Ausbildungsträger Gespräche mit Auszubildenden, Ausbilderinnen und Ausbildern BIZ-Besuche Assessment-Center (intern und extern) Teilnahme am Girls Day/Boys Day Berufsorientierung Spiel das Leben Bewerbungstraining Praktika ab 8. Klasse Mitarbeit in der Schülerfirma Biesalski - Markt... Externer Lernort Helmut Ziegner Berufsbildung ggmbh : praktische Ausführung eines Arbeitsablaufes unter Anleitung des jeweiligen Ausbilders in den verschiedenen Ausbildungsberufen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

43 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 1 Praxisbeispiel Tag der Berufsorientierung Kooperationen Handwerkskammer Projekt BOB Integra Gebäudereinigung Debeka Residenz Dahlem Seniorenheim Behindertenwerkstatt BWB-Südwest/Nord OSZ Körperpflege Hotel Morgenland Deutsche Bahn Vertrag in Arbeit Mato Čujić, Gebäudereinigung GmbH Vertrag in Vorbereitung Campina GmbH Coeo ggmbh Einzelhandel Lebenswelten Restaurations GmbH Mosaik-Services Integrationsgesellschaft mbh Vereinigung für Jugendhilfe GmbH - Büro und Verwaltung, Gebäudereinigung Tag der Berufsorientierung Markt der Berufe Gründe für die Durchführung der Veranstaltung Schülerinnen und Schüler kennen nicht die Mannigfaltigkeit der verschiedenartigen Berufe und deren Inhalte Schülerinnen und Schüler überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse Schülerinnen und Schüler erhalten Orientierungshilfe durch das praktische Ausführen von Tätigkeiten und der Gespräche mit den Ausbildern und Azubis Betriebe lernen interessierte Schülerinnen und Schüler kennen, Kontakte werden aufgebaut und Schnuppertage, Praktika, Ausbildungsplätze können erfragt werden Teilnehmer/Teilnehmerinnen Schülerinnen und Schüler der 9. und 10.Klasse SEK I Schülerinnen und Schüler der einjährigen Berufsqualifizierenden Lehrgänge BQL VZ sowie die der zweijährigen Berufsqualifizierenden Lehrgänge mit dem Förderschwerpunkt Lernen BQL FL Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen der Pestalozzi-Schule (erstmalig) 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 43

44 Forum 1 Praxisbeispiel Tag der Berufsorientierung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Organisation Überlegungen zu: welche Berufe könnten in Frage kommen Berufswünsche von Schülerseite Kooperationspartner mit Ausbildungsberufen neue Berufe Berufe in Nischen Projektangebote wie FSJ und FÖJ Angebote der Behindertenwerkstätten Institutionen zur beruflichen Bildung Abb. 1: Laufzettel Abb. 2: Teilnahmebescheinigung, Variante I Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

45 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 1 Praxisbeispiel Tag der Berufsorientierung Abb. 3: Teilnahmebescheinigung, Variante II Erfolge Stärken des Selbstbewusstseins, der Kommunikationsfähigkeit und der sozialen Kompetenzen Übernehmen von Eigenverantwortung Treffen von Eigenentscheidungen für sich selbst Mut zum Eingestehen des Nichtkönnens Praktikumsplätze Ausbildungsplätze Arbeitsplätze Netzwerk Auswertung der Veranstaltung Änderungsvorschläge der teilnehmenden Betriebe, Institutionen, Kollegen etc. aufnehmen und in die bestehenden Unterlagen einarbeiten Überarbeitung des bestehenden Konzepts Auswertung der Ergebnisse auf den Laufzetteln durch den WAT- Lehrer: Welche Berufe kamen bei jedem Schüler in die engere Wahl Laufzettel in den Berufswahlpass Überlegung: Einführen einer Personalkarte für die nächste Veranstaltung Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 45

46 Forum 1 Praxisbeispiel Berufsorientierung an einer GemS 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Andrea Lehne Tandemlehrerin, Montessori Gemeinschaftsschule Berufliche Orientierung an einer Gemeinschaftsschule Karsten Hille Schulsozialarbeiter, Nachbarschaftsheim Schöneberg e.v. Allgemeine Informationen Aktuell 257 Schüler/innen, davon 94 ehemalige Hauptschüler/innen Gebundene Ganztagsschule 12 altersgemischte Klassen Träger der Schulsozialarbeit ist das Nachbarschaftsheim Schöneberg e.v., eine Personalstelle Vollzeit Schulsozialarbeit Schulsozialarbeit koordiniert alle Angebote der Übergangsbegleitung regelmäßiger Austausch mit den Klassenlehrer/inne/n und Lehrer/inne/n für WAT Passgenauer Zuschnitt der Angebote für jede/n Schüler/in regelmäßiger Kontakt zu den Jugendlichen Erfolge 38 % aller Abgänger/innen aus Klassenstufe 10 im Schuljahr 09/10 und 32 % im Schuljahr 10/11 verließen die Schule mit einem betrieblichen oder schulischen Ausbildungsplatz Nahezu alle anderen Schüler/innen (jeweils 4 % unklarer Verbleib) konnten in eine berufliche Vorbereitungsmaßnahme, Fachoberschule (OBF), Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), Bundeswehr oder weiterführende Schulen vermittelt werden. Aktivitäten Klassenstufe 7 bis 10 Betriebsbesichtigungen Intensive Einzelberatungen Ferienjobs in der Schule Berufserkundungen mit Kooperationspartnern Renovierungsjobs in der Schule Ottos Berufswahlpilot auf der Homepage der Schule Patenschafts-Projekte (Job-Paten, Ausbildungsbrücke) ab Klassenstufe 8 Girls Day und Boys Day für alle Schüler/innen ab Klassenstufe Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

47 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 1 Praxisbeispiel Berufsorientierung an einer GemS Klassenstufe 8 Schnupperpraktikum Potentialanalyse im Rahmen der Berufseinstiegsbegleitung Klassenstufe 9 Erster Kontakt zur Berufsberatung und BIZ-Besuch Bewerbungstraining Erstes Betriebspraktikum Praktische Berufsfelderprobung Berufseinstiegsbegleitung OSZ-Besuche, Ausbildungsmessen Klassenstufe 10 Teilnahme am Berliner Netzwerk für Ausbildung Zweites Betriebspraktikum / eventuell drittes Betriebspraktikum Einzelberatung durch den Berufsberater Informationselternabend zu den möglichen Wegen nach Beendigung der Schule 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 47

48 Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prof. Dr. Werner Sacher, a.d. Universität Erlangen Qualitätsstandards der Elternarbeit Nach den Begleituntersuchungen zur PISA-Studie beeinflusst die Familie die Lesekompetenz der Kinder mehr als doppelt so stark wie Schule, Lehrkräfte und Unterricht zusammen: Die Lesekompetenz hängt zu 31,0% von Faktoren der Schule, von den Lehrkräften und vom Unterricht ab, aber zu 66,1% von Faktoren der Familie. Ähnliches Gewicht hat der Einfluss der Familie bei der mathematischen und der naturwissenschaftlichen Kompetenz. (OECD 2001, S.356f.) Der Einfluss der Familie kann allerdings auch ein schädlicher sein, und er ist nicht gleichbedeutend mit dem Einfluss der Elternarbeit. Aber es stellt sich doch die Frage: Welche Art von Elternarbeit kann das Potenzial der Familie aktivieren und ggf. so stärken, dass die Kinder optimal gefördert werden? (Sacher 2009, S.7) Das Ziel der Elternarbeit Elternarbeit, die im oben definierten Sinne effektiv sein will, setzt zunächst einmal Verständigung über ihr Erfolgskriterium voraus. Elternarbeit ist zumindest noch nicht im vollen Umfang erfolgreich, wenn Eltern lediglich zahlreich zu entsprechenden Veranstaltungen in die Schule kommen und Eltern und Lehrkräfte einander freundlich und wohlwollend begegnen. Das Ziel der Elternarbeit muss es letztlich sein, die Lernerfolge und die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schülern zu optimieren. D. h. Elternarbeit ist erst dann in vollem Umfang erfolgreich, wenn sie bei den Schülerinnen und Schülern ankommt Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

49 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung Qualitätsstandards der Elternarbeit Die US-amerikanische National Parent Teacher Association hat 2007/2008 unter Berücksichtigung der weltweiten Forschung differenzierte Qualitätsstandards für Elternarbeit beschrieben (PTA 2007; PTA 2008). Die folgenden Ausführungen konfrontieren diese mit weiteren nationalen und internationalen Forschungsergebnissen. Qualitätsstandard 1: Klima des Willkommenseins An der Schule herrscht ein Klima, das allen Eltern den Eindruck vermittelt, willkommen zu sein. Alle Familien auch Migrantenfamilien und bildungsferne Familien fühlen sich als Teil einer Schulgemeinschaft, die von wechselseitigem Respekt geprägt ist und niemanden ausgrenzt. Sie werden zur aktiven Teilnahme am Schulleben ermutigt und dabei unterstützt, gute Beziehungen untereinander und zum Lehrerkollegium zu entwickeln. Die Verhältnisse an deutschen Schulen verhindern zu erheblichen Teilen die Entwicklung eines solchen Willkommens-Klimas : Viele Eltern in Deutschland zumal Migranten - fühlen sich nur unzureichend in die Schulgemeinschaft integriert und erfahren wenig Solidarität von der Gesamtelternschaft. Eine starke Mehrheit hat den Eindruck, dass sich die übrigen Eltern nur für ihre eigenen Kinder interessieren und einsetzen. Viele Schulen stellen zu hohe Ansprüche an das Bildungsniveau der Eltern. 15% der Eltern mit Hochschulreife oder Fachhochschulreife, aber 33% der Eltern mit Hauptschulbildung oder Hauptschulabschluss fühlen sich häufig oder fast immer mit den Aufgaben als Elternteil eines schulpflichtigen Kindes überfordert. (JAKO-O-Bildungsstudie 2010) Hilfe von Eltern wird in deutschen Schulen hauptsächlich in Randbereichen in Anspruch genommen - bei der Begleitung von Klassenfahren und Ausflügen, bei der Ausrichtung von Schulfesten usw., weniger aber in größerer Nähe zum Kerngeschäft der Schule im differenzierenden Unterricht, im Förderunterricht, bei Nachhilfemaßnahmen und schulischer Hausaufgabenbetreuung. Helfende Eltern fühlen sich deshalb schnell in der Rolle von weisungsgebundenen Handlangern der Lehrkräfte und nicht als geachtete Partner. Nicht selten auch wird Elternhilfe von Migranten und bildungsfernen Eltern weniger in Anspruch genommen, die sich dadurch ausgegrenzt fühlen. Insbesondere die Beziehung zwischen Migranten und Lehrkräften ist nicht frei von unterschwelligen Verunsicherungen: Migranten fühlen sich zu fast einem Viertel als unbequeme Bittsteller, wenn sie Kontakt mit Lehrkräften haben, und zu fast einem Fünftel gestehen sie, froh zu sein, wenn sie nichts mit Lehrkräften zu tun haben. Umgekehrt fühlen Lehrkräfte sich umso unsicherer in Gesprächen mit Eltern, je größer der Migrantenanteil an ihrer Schule ist: Der entsprechende Prozentsatz wächst von 11% in Schulen mit weniger als einem Drittel Migranten auf 40% in Schulen mehr als zwei Dritteln Migranten an. Oft werden Eltern dadurch ausgegrenzt, dass zu wenig Rücksicht auf ihre familiäre und ökonomische Situation genommen wird: Kostenpflichtige Veranstaltungen und Angebote der Schule können von Einkommensschwachen nicht wahrgenommen werden. Eltern, die in einem festen 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 49

50 Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Arbeitsverhältnis stehen, haben oft Schwierigkeiten, in der Kernarbeitszeit liegende Sprechstunden der Lehrkräfte zu besuchen. (Nicht zuletzt dies führt dazu, dass in Deutschland Elternarbeit letztendlich Mütterarbeit ist.) Drei Viertel der Eltern von Grund- und Hauptschüler/innen bekommen nie oder kaum jemals flexible Sprechzeiten angeboten, und bei Eltern von Realschüler/inne/n und Gymnasiast/inn/en sind es gar um die 90%! Kaum eine Schule bietet für Eltern-Lehrer-Kontakte eine zeitgleiche Kleinkinderbetreuung an, die es manchen Müttern erst ermöglichen würde, in die Schule zu kommen. Einige Maßnahmen zur Trendumkehr lassen sich unmittelbar aus diesen Problemanzeigen ableiten. Darüber hinaus kann auf vielen anderen Wegen das Willkommens-Klima verbessert werden: durch eine übersichtliche und ansprechende Gestaltung des Schulgeländes, des Empfangs- und Wartebereichs (Im Idealfall gibt es ein Elterncafe und/oder eine Elternbibliothek.) durch die freundliche Begrüßung und bereitwillige Information durch das Schulpersonal durch das Führen von Eltern-Lehrer-Gesprächen in einem wohnlich gestalteten, erwachsenengerecht möblierten und ruhig gelegenen Elternsprechzimmer (Nicht in leeren Klassenzimmern oder gar auf dem Flur!), wobei unnötige Störungen während des Gesprächs vermieden werden durch Gestaltung von Elternabenden als Begegnungsforen für Eltern durch Aktiveltern, Elternmentor/inn/en, Bildungspat/inn/en, Elternlots/inn/en und Stadtteilmütter aus verschiedenen Wohnvierteln und unterschiedlichen Herkunftsländern, welche sich beim Schuleintritt oder beim Übertritt um Eltern und Familien kümmern und sie dabei unterstützen, sich in der Schule ihrer Kinder zu orientieren und zu engagieren durch das Erbitten und bereitwillige Annehmen angebotener Hilfe von Eltern und Elternvertreter/ inne/n, im günstigsten Falle durch den Aufbau eines Netzwerkes freiwilliger Helfer/innen, das Eltern aller Wohngegenden, Bevölkerungsschichten und Herkunftsländer einbezieht durch die Achtung und Unterstützung der verschiedenen kulturellen und religiösen Traditionen und die Bekämpfung von Vorurteilen aufgrund von Religion, ethnischer Zugehörigkeit, Schichtzugehörigkeit, Familienstruktur und Behinderungen Qualitätsstandard 2: Effektiver und vielfältiger Informationsaustausch zwischen Eltern und Lehrkräften Familien und Lehrerkollegium tauschen regelmäßig und auf vielfältigen Wegen Informationen über alle wichtigen Angelegenheiten in der Schule und in der häuslichen Umgebung des Kindes aus. Im Lichte einschlägiger Forschungsergebnisse stellt sich die Situation an deutschen Schulen folgendermaßen dar: Die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften findet in Deutschland größtenteils im Rahmen der vorgeschriebenen Sprechstunden, Elternabende und Elternsprechtage statt. Darüber hinaus gehenden informellen Informationsaustausch etwa durch individuelle Briefe, durch Anrufe, s oder SMS und durch Gespräche bei zufälligen Begegnungen praktiziert nur eine Minderheit der Eltern und Lehrkräfte. Anstelle eines Informationsaustausches zwischen Lehrkräften und Eltern findet man oft nur einen einseitigen Informationsfluss von den Lehrkräften zu den Eltern: Informationen über die Leistun Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

51 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung gen der Kinder und ihr Verhalten im Unterricht werden von Lehrkräften häufiger gegeben und von den Eltern öfter erfragt als Informationen über den familiären Hintergrund, den sozialen Umgang und das außerschulische Verhalten der Kinder erbeten und angeboten werden. Die Kommunikation deutscher Eltern und Lehrkräfte ist häufig problemveranlasst und defizitorientiert. D. h. Eltern und Lehrkräfte nehmen oft erst Kontakt auf, wenn Kinder Probleme in der Schule haben oder bereiten. Diese Defizitorientierung verleiht den Kontakten und der Kommunikation aber ein psychologisch ungünstiges negatives Vorzeichen und ist zudem hochgradig riskant: Es ist nahezu unmöglich, einander in Situationen noch unvoreingenommen kennen zu lernen und Vertrauen aufzubauen, in denen schon Probleme zu bewältigen und Konflikte zu lösen sind. Wesentlich günstiger ist die Situation, wenn die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften etwas ganz Alltägliches ist und auch aus erfreulichem Anlass stattfindet z. B. weil das Kind bemerkenswerte Lernfortschritte gemacht, eine besonders intelligente Antwort gegeben, Zivilcourage gezeigt hat usw. Lehrkräfte und Eltern verharren oft in einer abwartenden Haltung: Sie informieren die andere Seite nur, wenn diese ausdrücklich darum bittet, und lassen es darauf ankommen, ob diese ihnen von sich aus wichtige Informationen gibt. Wünschenswert wäre es, Informationen auch dann zu geben, wenn sie nicht von der anderen Seite ausdrücklich erbeten werden, und benötigte Informationen im Bedarfsfall einzuholen, statt sich mit vorliegenden und spontan angebotenen Informationen zufrieden zu geben. Deutsche Lehrkräfte praktizieren zu wenig aufsuchende Elternarbeit. D. h. sie erwarten hauptsächlich, dass Eltern zu ihren Sprechstunden sowie zu Elternabenden, Elternsprechtagen, Elternabenden und anderen Veranstaltungen in die Schule kommen. Sie ergreifen aber nur selten Initiativen, von sich aus auf Eltern zuzugehen und Kontakt herzustellen etwa durch individuelle Briefe an Eltern, Anrufe bei ihnen, durch Ansprechen bei Begegnungen außerhalb der Schule, durch ausdrückliche Einladungen zu einem Gespräch oder gar durch Hausbesuche. Auch aus diesen Problemanzeigen lässt sich schon eine Reihe von Maßnahmen unmittelbar ableiten: Darüber hinaus sollte sichergestellt werden dass vielfältige Kommunikationswege genutzt werden: Sprechstundengespräche, Eltern-Lehrer- Schüler-Gespräche, Elternabende, Elternsprechtage bzw. Elternsprechabende, Elternstammtische, Begegnungen bei schulischen Veranstaltungen wie Schulfesten, Schulkonzerten, Schultheater, Ausstellungen, Hospitation von Eltern im Unterricht, Gespräche bei zufälligen Begegnungen außerhalb der Schule, Briefe, Telefonanrufe, s, SMS, die Schul-Homepage, Rundschreiben (sogenannte Elternbriefe), Hausbesuche, schriftliche Befragungen der Eltern, Rückmeldebögen usw. dass Eltern jederzeit unkomplizierten Zugang zur Schulleitung haben, und auch Vertreter der Schulleitung intensiven Kontakt mit Eltern halten (z. B. durch den Besuch von Klassenelternabenden) dass die Elternvertreter für alle Eltern leicht erreichbar sind: Günstig sind regelmäßige Sprechzeiten der Elternvertreter für die Schülereltern, am besten in einem eigenen Raum in der Schule. Zumindest sollten allen Eltern die Telefonnummern und ggf. die -Adressen der Elternvertreter bekannt sein Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 51

52 Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung dass Schulleitung und Elternvertreter Kontakte der Eltern untereinander organisieren besondere Kontaktveranstaltungen, Patenschaften, Helfer- und Besucherdienste, Nachbarschaftsnetzwerke, Fahrgemeinschaften usw. nach Möglichkeit auch den Sprachproblemen von Migranten Rechnung getragen wird, indem Informationsmaterial und Einladungen nach Möglichkeit mehrsprachig verfasst werden, oder dadurch, dass bei wichtigen Anlässen ein Dolmetscher zur Verfügung steht. Qualitätsstandard 3: Lern- und Erziehungskooperation von Eltern und Lehrkräften Eltern und Lehrkräfte bemühen sich gemeinsam um den Lernerfolg und die positive Entwicklung der Kinder. Sie erhalten und nutzen Gelegenheiten, ihre pädagogischen Kompetenzen zu verbessern, damit sie dieser Aufgabe möglichst effektiv nachkommen können. Über den Informationsaustausch zwischen Eltern und Lehrkräften hinaus bedarf es konkret verabredeter Zusammenarbeit zwischen ihnen sowohl der intensiven Unterstützung der Kinder beim häuslichen Lernen als auch der Kooperation von Eltern und Lehrkräften im Unterricht bei der Behandlung besonderer Themen, bei der Betreuung von Förder-, Nachhilfe- oder Hausaufgabengruppen, in Projekten und Arbeitsgemeinschaften und im binnendifferenzierten Unterricht. Bei der häuslichen Unterstützung der Kinder durch ihre Eltern sollte nicht inhaltliche Hausaufgabenhilfe im Mittelpunkt stehen, eher schon das Einüben von Lerntechniken und Lernstrategien. Entscheidend sind aber hohe, aber zugleich zuversichtlich ausgedrückte Leistungserwartungen der Eltern an ihre Kinder, ein autoritativer Erziehungsstil, der geprägt ist durch die Kombination von Liebe und angemessener Strukturierung des kindlichen Lebens, Gespräche mit ihnen über alle schulischen Belange und über das Leben generell und in der Grundschulzeit gemeinsames Lesen der Eltern mit den Kindern. Zahllose Untersuchungen und auch wieder die jüngsten Meta-Analysen von Jeynes (2011) zeigen, dass solch heimbasiertes Engagement der Eltern für die Schule und Bildung ihrer Kinder effektiver ist als ihr schulbasiertes Engagement, d. h. ihre Präsenz bei schulischen Veranstaltungen, Kontakte mit Lehrkräften in Sprechstunden und bei Sprechtagen, Hilfeleistungen für die Schule, Mitarbeit im Unterricht und bei unterrichtsunterstützenden Maßnahmen und Mitwirkung in Elterngremien. Oft wird in diesem Zusammenhang auch Erziehungsberatung und Elternbildung zu leisten sein. Damit sind zwar die meisten Schulen und Lehrkräfte überfordert. Aber sie sollten jedenfalls mit entsprechenden Anbietern am Ort und in der Region zusammenarbeiten und imstande sein, auf geeignete Ratgeberliteratur und Medien zu verweisen. Und sie sollten den Erwartungen vieler Eltern entgegenkommen, in Gesprächen mit Lehrkräften auch in allgemeineren pädagogischen Fragen Beratung zu erhalten. Qualitätsstandard 4: Ein Fürsprecher für jedes Kind! Familien werden darin bestärkt und dazu befähigt, Fürsprecher ihrer eigenen und anderer Kinder zu sein, dafür zu sorgen, dass Schülerinnen und Schüler gerecht behandelt werden und Zugang zu Lernangeboten erhalten, mit denen sie ihre Leistungen verbessern können. Starke Eltern, die als kompetente und engagierte Fürsprecher ihrer eigenen und anderer Kinder auftreten, entsprechen anscheinend nicht gerade dem Wunschbild deutscher Lehrkräfte: An deutschen Schulen erhalten Eltern recht wenig Hilfestellungen, das deutsche Schulsystem zu verstehen und für ihre Kinder optimal zu nutzen. Besonders Migranten, aber auch bildungsferne Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

53 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung Eltern sind auf solche Unterstützung angewiesen. Aufzuklären sind sie insbesondere über die Dreigliedrigkeit des Schulsystems, die Wertigkeit der verschiedenen Abschlüsse, die Bedingungen, welchen die Wahl einer Schullaufbahn unterliegt, und die Konsequenzen, die daraus resultieren. Sie sollten auch darüber informiert werden, welche Korrekturmöglichkeiten für Fehlentscheidungen es gibt und wie Abschlüsse auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt werden können. Unsere Forschungen zeigen aber, dass die weitere Gestaltung des Bildungsweges viel zu selten ein Thema von Eltern-Lehrer-Gesprächen ist besonders bei Migranten und bildungsfernen Eltern. Auch schulische Veranstaltungen, die über Bildungswege informieren, werden von vielen Schulen nicht so häufig angeboten, wie Eltern sich das wünschen. Ebenso werden deutsche Eltern durch die Schule und die Lehrkräfte ihrer Kinder nur unzureichend über berufliche Möglichkeiten ihrer Kinder informiert. Auch in den Sekundarschulen sind Berufswege nur selten Thema eines Eltern-Lehrer-Gesprächs oder einer Sonderveranstaltung. Damit fehlen vielen Eltern die Grundlagen dafür, mit ihren Kindern gemeinsam Zukunftsplanung zu betreiben. Eines besonderen Engagements ihrer Eltern bedürfen die Mädchen: Eltern von Söhnen engagieren sich nämlich stärker in der Schule und für die Schule ihrer Kinder als Eltern von Töchtern. Dieser Effekt zeigt sich nicht nur bei Kontakten, die problemveranlasst sein könnten, sondern auch bei anderen Formen des Elternengagements. Er tritt vor allem bei bildungsfernen Familien und bei Migranten auf. Geben deutsche Schulen Eltern schon recht wenig Hilfestellungen, das deutsche Schulsystem zu verstehen und für ihre Kinder optimal zu nutzen, so unternehmen sie erst recht nichts, um Eltern zu starken Fürsprechern ihrer Kinder zu machen, indem sie ihnen z. B. effektive Gesprächstechniken und Konfliktlösungsstrategien vermitteln, damit sie Lehrkräften, Schulverwaltungsbeamten und Politikern als kompetente Gesprächspartner gegenüber treten können. Lediglich Elternverbände bieten hin und wieder entsprechende Hilfen und Veranstaltungen an. Über die sich hier bereits abzeichnenden Handlungsmöglichkeiten hinaus legen sich folgende Maßnahmen nahe: Die Schule sollte Eltern insbesondere auch helfen, für ihr Kind Übergänge zwischen Schularten und -stufen und von der Schule ins Berufsleben sanfter zu gestalten, indem sie ausreichend Informationsveranstaltungen zu bevorstehenden Übertritten und Übergängen anbieten, Hinweise auf vorbereitende Maßnahmen gegeben, nach einem solchen Übergang besondere Maßnahmen in den Anfangsklassen ergreifen, Hospitationen in den aufnehmenden Institutionen und Betrieben organisieren usw. Schulen sollten Eltern über Angebote und Hilfen informieren, die sie und ihre Kinder in Anspruch nehmen können, z. B. wo sie Beratung erhalten, welche unterstützenden Dienste sie in Anspruch nehmen können und welche zusätzlichen Förder- und außerschulischen Lernmöglichkeiten für ihre Kinder es gibt. Die Schulen sollten die Eltern über ihre sich aus den Bundes- und Landesgesetzen ergebenden Rechte und Pflichten informieren. Das schließt ein, sie auch darüber aufzuklären, wie sie gegen 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 53

54 Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Entscheidungen der Schule und der Schulaufsicht vorgehen und wie sie bei Problemen und Konflikten ihre Position durchsetzen können! Die Schulen sollten Eltern ermutigen und befähigen, sich in der Öffentlichkeit für die erfolgreiche Arbeit von Schulen zu engagieren, also Eltern für politische Zusammenhänge sensibilisieren, Hearings und Diskussionen organisieren, sie dabei unterstützen, sich zu solidarisieren und sich öffentliches Gehör zu verschaffen. Die Stärkung der Eltern darf jedoch nicht auf Kosten der Selbstvertretungsansprüche der Schülerinnen und Schüler gehen. Die Hälfte der Grundschüler/innen und nur geringfügig mehr Sekundarschüler/innen möchten ihre Angelegenheiten in der Schule am liebsten mit den Lehrkräften alleine regeln. Die Kooperation zwischen ihren Lehrkräften und Eltern sollte also zumindest nicht über ihre Köpfe hinweg erfolgen, damit sie nicht Maßnahmen der Elternarbeit mit Misstrauen begegnen oder sie sogar unterlaufen. Über Eltern-Lehrer-Schüler-Gespräche hinaus besteht eine Vielfalt von Möglichkeiten, dem Selbstvertretungsanspruch von Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden und sie in die Kooperation zwischen ihren Eltern und Lehrkräften einzubeziehen durch Thematisierung der Kommunikation und Kooperation zwischen Schule und Elternhaus, durch von Schülerinnen und Schülern mit erarbeitete und mit getragene Schulvereinbarungen und Verhaltensverträge, durch gemeinsame Veranstaltungen für Eltern, Lehrkräfte und Schüler/innen, durch Hospitation und Mitarbeit von Eltern im Unterricht, durch Zusammenarbeit von Eltern- und Schülervertretern usw. (Vgl. dazu im Einzelnen Sacher 2009.) Qualitätsstandard 5: Macht teilen! Schule und Elternhaus sind gleichberechtigte Partner bei Entscheidungen, welche die Kinder und die Familien betreffen. Sie informieren einander über Grundsätze, Praktiken und Programme und gestalten sie gemeinsam. Diesbezüglich ist die Lage an deutschen Schulen zwiespältig: Elternvertreter/innen und Elternvertretungen sind in Deutschland mit verhältnismäßig vielen Rechten (sogenannten kollektiven Mitbestimmungsrechten) ausgestattet. Die individuellen Mitbestimmungsrechte für mandatslose Eltern sind jedoch sehr viel beschränkter. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die Schulwahl die Kinder, das Recht auf Auskunft über deren Lernfortschritte und auf Informationen über die Schulorganisation, über Aufnahme- und Übertrittsverfahren und Lehrpläne sowie auf das Recht, die Elternvertreterinnen und Elternvertreter zu wählen. Selbst Möglichkeiten individueller Mitbestimmung von Eltern, die innerhalb des geltenden Rechtsrahmens durchaus offen stehen, werden nicht genutzt. Nur ein Viertel der Eltern von Grundschülern und 10% der Eltern von Sekundarschülern werden mindestens gelegentlich von Lehrkräften um mündliche oder schriftliche Rückmeldungen gebeten. Nur wenige Lehrkräfte sind wenig bereit, Eltern an der Gestaltung ihres Unterrichts zu beteiligen: Auch wohlmeinende und sinnvolle Vorschläge werden leicht als unqualifiziertes Hineinreden abgetan. Fast 60% der Lehrkräfte wollen nicht, dass die Eltern ihnen Vorschläge zur Verbesserung der Schule machen, fast ein Drittel beachtet Vorschläge der Eltern nicht, und die Hälfte wünscht nicht, dass Eltern ihnen helfen (wobei die Verhältnisse jeweils in der Grundschule besser und in den Sekundarschulen deutlich ungünstiger sind) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

55 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung Die unzureichende individuelle Mitwirkung der Eltern an deutschen Schulen bedingt ein Verhältnis ungleicher Augenhöhe zwischen Eltern und Lehrkräften, wo Partnerschaft gefordert wäre. Die Asym metrie zwischen kollektiven und individuellen Mitwirkungsrechten ist zudem im Hinblick darauf problematisch, dass für den Schulerfolg die individuellen Mitbestimmungsrechte der Eltern sehr viel entscheidender sind als die kollektiven. (Damit soll die Bedeutung der letzteren nicht heruntergespielt werden. Sie ist aber hauptsächlich aus Grundsätzen der partizipativen Demokratie herzuleiten und weniger durch ihren Beitrag zum Bildungserfolg der Kinder zu begründen.) Defizite weist aber auch die kollektive Mitbestimmung der Eltern auf: Elternvertretungen an deutschen Schulen sind häufig nicht repräsentativ für die Elternschaft, deren Mandat sie ausüben. Eltern bildungsferner Schichten und Migranten sind zu wenig in Elterngremien vertreten. Zudem haben Elternvertreter/innen nur wenig Kontakt zu den Eltern, die sie eigentlich vertreten. Ein Viertel kennt die Elternvertreter/innen nicht einmal dem Namen nach, zwei Fünftel kennen sie nicht persönlich. Es kommt kaum vor, dass Elternvertreter/innen von Eltern um Hilfe gebeten werden. Ein Drittel der Eltern wurde noch nie vom Elternbeirat und fast zwei Drittel wurden noch nie vom Klassenelternsprecher kontaktiert - weder persönlich, noch schriftlich. Das rührt auch daher, dass sich Elternvertreter/innen in Deutschland aus einem falschen Rollenverständnis heraus primär als Helfer und Unterstützer der Schule und der Schulleitung sehen, weniger aber als Vertreter der Elternschaft. Die kollektive Mitbestimmung der Eltern kann in mehrfacher Hinsicht verbessert werden: Elternvertreter/innen sollten eine größere Zahl von Aktiv-Eltern gewinnen, die sie bei ihrer Arbeit unterstützen. So könnten sie Hilfeleistungen für die Schule größtenteils an diese delegieren und sich verstärkt um die Vertretung der nicht mandatierten Eltern kümmern, indem sie regelmäßige Sprechzeiten für sie anbieten, Veranstaltungen für sie organisieren, Befragungen durchführen usw. Um zu gewährleisten, dass die Interessen von Migranten angemessen vertreten werden, können Schulen auch innerhalb des geltenden Rechtsrahmens einen Migrantenbeirat einrichten, solange dieser nur beratende Funktion hat. Die Schule sollte es nicht darauf ankommen lassen, ob Eltern aus möglichst allen Gruppen für Gremien kandidieren und in sie gewählt werden. Vielmehr müssen Eltern mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und aus verschiedenen Wohngebieten ausdrücklich eingeladen werden, sich in der Schule zu engagieren und in Gremien mitzuwirken, um eine möglichst repräsentative Gremienzusammensetzung zu erreichen. Damit möglichst viele Eltern aus möglichst allen Schichten und Gruppen von ihrem individuellen und kollektiven Mitbestimmungsrecht Gebrauch machen können, müssen oft zunächst ethnische, kulturelle, religiöse und ökonomische Hindernisse für ein stärkeres Engagement der Eltern beseitigt werden, z. B. wirkliche oder vermeintliche Ausgrenzung, Sprachschwierigkeiten, fehlendes Verständnis für kulturelle und religiöse Differenzen usw. Viele Eltern sind oft deshalb nicht bereit, für Elterngremien zu kandidieren, weil sie sich nicht im Besitz der Kompetenzen sehen, die erforderlich sind, um ein solches Amt effektiv auszuüben. Eltern Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 55

56 Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung vertreter/innen (und solche, die es werden wollen) sollten deshalb in Teamentwicklung, Personalführung, Gesprächs- und Moderationstechniken und in Fragen des Schulrechts geschult werden. Entsprechende Maßnahmen und Veranstaltungen können von der Schulleitung und dem Elternbeirat gemeinsam organisiert werden. Anders als in Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, in den Niederlanden und in Großbritannien bieten die öffentlichen Hände in Deutschland leider weder entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten an, noch stellen sie Mittel dafür zur Verfügung. (Eurydice 1997, S.9ff.) Manchmal ist es aber möglich, das Veranstaltungsangebot von Elternverbänden zu nutzen. Aus der Überzeugung heraus, dass eine Partnerschaft mit starken Elternvertreter/inne/n fruchtbarer für alle Beteiligten ist, tun Schulen gut daran, neu gewählte Elternvertreter/innen mit Vertreter/inne/n von Behörden und anderen Einrichtungen am Ort, mit Politiker/inne/n, Unternehmer/ inne/n, Würdenträger/inne/n usw. bekannt zu machen. Vor allem neu gewählte Elternvertreter/innen müssen diese Kontakte oft erst knüpfen und sind insofern den Schulleitungen gegenüber im Nachteil, wenn diese sie nicht an ihren sozialen Netzwerken partizipieren lassen. Entsprechende Hilfe kann natürlich auch von anderen und früheren Elternvertreter/inne/n kommen. Die individuellen Mitbestimmungsmöglichkeiten aller Eltern lassen sich ebenfalls auf vielfältige Weise ausweiten sowohl im Hinblick auf Entscheidungen auf Schul-, als auch auf solche auf Klassen- und Individualebene (Sacher 2008a, S.212f.): Auf Schulebene können Eltern z. B. einbezogen werden in Entscheidungen über die Auswahl einer Partnerschule, die Organisation einer Mittagsbetreuung, Änderungen des Busfahrplans, den Pausenverkauf, die Anschaffung zusätzlicher Lernmittel, die Einführung von Schuluniformen usw. Auf Klassenebene können Eltern bei Entscheidungen über Ziele von Klassenfahrten, den in der Klasse zu verwendenden Taschenrechner, die Einführung neuer Lern- und Arbeitsformen (Wochenplanarbeit, Freiarbeit, Lernwerkstätten...), das Anlegen von Lerntagebüchern, Anschaffungen für die Klassenbibliothek u.v.a.m. mitreden. Auch auf Individualebene (d. h. wenn es um Entscheidungen geht, die nur das eigene Kind betreffen) kann häufig zumindest eine Mitentscheidung der Eltern ermöglicht werden, z. B. bei disziplinarischen Maßnahmen (Umsetzen eines Schülers auf einen anderen Platz, Festlegen einer Frist für das Nacharbeiten von Versäumnissen usw.), bei der Auswahl von zusätzlichem Übungs- und Nachhilfematerial, beim Setzen von Prioritäten im Zusammenhang mit auszugleichenden Leistungsdefiziten usw. Qualitätsstandard 6: Zusammenarbeit mit der Gemeinde und Region Eltern und Lehrkräfte arbeiten mit Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinde zusammen, um Schülerinnen und Schüler, Familien und Lehrkräfte mit Einrichtungen und erweiterten Lernangeboten der Gemeinde und mit Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Leben bekannt zu machen. Eine enge Kooperation der Schule mit örtlichen Einrichtungen, Betrieben und Vereinen ist im Hinblick darauf geboten, dass sich in einer zunehmenden Anzahl von Familien Probleme häufen: ökonomische Notlagen, geringes Bildungsniveau, gescheiterte Partnerbeziehungen, psychosoziale Folgeschäden, Drogenkonsum, Gewaltprobleme u.v.a.m. Unter solchen Umständen ist es beinahe zynisch und jeden Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

57 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung falls ineffektiv, nur auf die Schulprobleme der Kinder einzugehen. Schulprobleme haben für diese Familien oft nachrangige Bedeutung und sind auch nicht für sich alleine zu lösen. Vielmehr müssen solche komplexen Problemlagen in Netzwerkarbeit ganzheitlich angegangen werden. Hier ergibt sich folgendes Bild: Viele Schulen organisieren sich Unterstützung durch Partner am Ort finanzielle oder personelle Unterstützung, Unterstützung durch Sachspenden, Angebote von Praktika oder auch politischen Beistand. Ziemlich verbreitet sind ebenfalls - einer Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts zufolge (Behr-Heintze & Lipski 2005, S.17) - Kooperationen mit Firmen und Betrieben, Sportvereinen, Kirchen und Glaubensgemeinschaften, kulturellen Einrichtungen, Polizei, Feuerwehr, Gemeindeverwaltungen, Einrichtungen der Justiz usw., und häufig werden auch außerschulische Lernorte besucht. Die meisten Schulen holen zumindest gelegentlich Partner aus der Gemeinde oder Region in den Unterricht, die entweder ihre Einrichtung vorstellen oder als Experten bestimmte Themen übernehmen (z. B. Ärztinnen/Ärzte biologische und medizinische Aspekte des Sexualkundeunterrichts). Seltener sind engere und längerfristige Kooperationen. Weniger intensiv ist aber die Zusammenarbeit der Schulen mit sogenannten schulunterstützenden Diensten, d. h. mit Schulpsycholog/inn/en, Erziehungsberater/inne/n, Sozialarbeiter/ inne/n, Horten, Förderzentren, Mediationsstellen oder Schulstationen. Dem Deutschen Jugendinstitut zufolge kooperieren 21% der deutschen Schulen mit keinem, 18% lediglich mit einem einzigen dieser Partner. (Behr-Heintze & Lipski 2005, S.16) Möglichkeiten einer Kooperation mit Partnern in der Gemeinde und Region gehen jedoch weit darüber hinaus zumal, wenn sie darauf fokussiert sein sollen, auch die Eltern einzubeziehen: Eltern sollten durch die Schule über die Ressourcen der Gemeinde informiert werden. Dazu sammeln Vertreter/innen der Schule und Elternvertreter/innen Information über Einrichtungen, Dienstleistungen, Vereine, Jugendgruppen und Veranstaltungen in der Gemeinde und machen sie den Familien in geeigneter Weise bekannt im Idealfall mehrsprachig. Schulen sollten über solche Information hinaus auch immer wieder einmal Maßnahmen ergreifen, nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch ihre Eltern durch Kooperationsprojekte mit Ressourcen der Gemeinde und der Region in Kontakt zu bringen, so dass sie im Bedarfsfalle darauf zurückgreifen können. Schulen können zusammen mit Eltern, Schülerinnen und Schülern und lokalen/regionalen Partnern Dienstleistungen für die Öffentlichkeit erbringen - in Form von Hilfeleistungen beim Ausrichten von Festen, Ausstellungen und Aufführungen, in der Gestalt von Schülerprojekten (z. B. Einrichtung eines Cafés, einer Bücherei, eines Second-Hand-Shops, eines Service für Haushaltsreparaturen usw.) oder auch durch Kooperationen in größeren Gemeindeprojekten (z. B. Herrichten einer verwildernden Parkanlage, Renovierung eines Obdachlosenheims, Überholen einer Sportanlage, Sammeln von Sachspenden für Katastrophenopfer). Das Schwergewicht liegt hier darauf, dass Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte sich in die Gemeinde einbringen und sich 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 57

58 Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung für die Allgemeinheit engagieren gewissermaßen im Gegenzug dazu, dass sie bei anderen Gelegenheiten Ressourcen der Gemeinde nutzen und von ihr unterstützt werden. Schulen sollten sich überhaupt bemühen, Zentren des Gemeindelebens zu werden, deren Ressourcen durch lokale Institutionen, Vereine und Initiativen mit genutzt werden und in denen vielfältige kulturelle Aktivitäten stattfinden - Angebote der Erwachsenenbildung, Fort-, Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, Vorträge, Theateraufführungen und Konzerte für die Öffentlichkeit (nicht nur entsprechende Schulveranstaltungen). Schluss Im Allgemeinen bestehen in einer kleinen privaten Grundschule einer Vorstadt, die hauptsächlich von Kindern der gut situierten Mittelschicht besucht wird, günstigere Kooperationsmöglichkeiten zwischen Lehrkräften und Eltern als in einer Hauptschule im Brennpunktviertel einer Großstadt mit hohen Unterschicht- und Migrantenanteilen. Man könnte grundsätzlich vermuten, dass der Rechtsstatus einer Schule (öffentlich oder privat), ihre Organisationsmerkmale (Schulart und Schulstufe, Schulgröße, Klassenstärken, Anzahl der Klassen, in welchen Lehrkräfte eingesetzt werden, Geschlecht und Dienstalter der Lehrkräfte, Anteil voll- oder teilzeitbeschäftigter Lehrkräfte) und ihre Klientel (Anteile von Schülerinnen und Schülern aus den unterschiedlichen sozialen Schichten und Herkunftskulturen) schon weitgehend determiniert, in welchem Umfang eine Kooperation zwischen Schule und Elternhaus überhaupt möglich ist, so dass im ungünstigsten Falle für erfolgreiche Elternarbeit kein Handlungsspielraum mehr bleibt. Mehrebenenanalysen der Daten unserer Begleituntersuchung zu dem 2006/2007 durchgeführten Modellprojekt ergaben einerseits erwartungsgemäß, dass die Qualität der Beziehungen zwischen Schule und Elternhaus in der Tat signifikant vom Rechtsstatus, von den Organisationsmerkmalen und der Klientel der Schule abhängt. Andererseits zeigte sich aber, dass Maßnahmen der Elternarbeit einen weitaus stärkeren Einfluss auf die Beziehung zwischen Schule und Elternhaus haben als alle diese Faktoren (Sacher 2006). Es besteht also keinerlei Anlass, unter ungünstigen Bedingungen vorschnell zu resignieren und sich erst gar nicht um eine Intensivierung der Elternarbeit zu bemühen. Auch die Schwierigkeiten für effektive Elternarbeit, die aus dem hochdifferenzierten Fachlehrersystem in Realschulen und Gymnasien resultieren, sind nicht unüberwindbar: Zwar ist es natürlich für Lehrkräfte an diesen Schularten, die im Lauf einer Woche in einer ganzen Reihe von Klassen leicht einige hundert Kinder unterrichten, besonders schwierig, die Kooperation mit den Eltern ihrer Schülerinnen und Schüler zu organisieren. Ergebnisse unserer bayerischen Repräsentativuntersuchung zeigten jedoch, dass die aus solchen Bedingungen resultierenden Probleme durchaus zu bewältigen sind, wenn die Klassenleiter/innen ihre Funktion engagiert ausüben, d. h. wenn sie sowohl den Eltern ihrer Schülerinnen und Schüler zumindest einen ungefähren Überblick über deren Leistungs- und Persönlichkeitsentwicklung geben können als auch für die Fachlehrkräfte die wichtigsten Informationen über ihre Schülerinnen und Schüler, ihre Familien und ihre Freunde vorhalten (Sacher 2005, S.15) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

59 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 2 Elternbildung / Elternbeteiligung Literatur Behr-Heintze, A.; Lipski, J. (2005): Schulkooperationen. Stand und Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen Schulen und ihren Partnern. Schwalbach. Eurydice / Education Information Network in the European Community (1997): Elternmitwirkung in den Bildungssystemen der Europäischen Union. Unter Einbeziehung der EFTA/EWR-Staaten. Brüssel. JAKO-O-Bildungsstudie (2010): Eltern beurteilen Schule in Deutschland. [ Jeynes, W. H. (2011): Parental Involvement and Academic Success. New York and London: Routledge. OECD Organisation for Economic Cooperation and Development (2001): Lernen für das Leben. Erste Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA Paris. PTA / Parent Teacher Association (2007): National Standards for Family-School Partnerships. Chicago [Zitiert PTA 2007 ] [ PTA / Parent Teacher Association (2008): National Standards for Family-School Partnerships Assessment Guide. Chicago [Zitiert PTA 2008a ] [ Sacher, W. (2004): Elternarbeit in den bayerischen Schulen. Repräsentativ-Befragung zur Elternarbeit im Sommer Nürnberg (SUN Schulpädagogische Untersuchungen Nürnberg Nr. 23). Sacher, W. (2005a): Erfolgreiche und misslingende Elternarbeit. Ursachen und Handlungsmöglichkeiten. Erarbeitet auf der Grundlage der Repräsentativbefragung an bayerischen Schulen im Sommer Nürnberg (SUN Nürnberger Schulpädagogische Untersuchungen Nr. 24). Sacher, W. (2005b): Elternarbeit. Forschungsergebnisse und Empfehlungen. Zusammenfassung der Repräsentativ-Untersuchung an den allgemeinbildenden Schulen Bayerns im Sommer Nürnberg (SUN Nürnberger Schulpädagogische Untersuchungen Nr. 25). Sacher, W. (2006): Elternhaus und Schule: Bedingungsfaktoren ihres Verhältnisses, aufgezeigt an der bayerischen Studie vom Sommer In: Bildung und Erziehung 59, H.3, S Sacher, W. (2008a): Elternarbeit. Gestaltungsmöglichkeiten und Grundlagen für alle Schularten. Bad Heilbrunn. Sacher, W. (2008b): Schüler als vernachlässigte Partner der Elternarbeit. Forschungsbericht anstelle einer Abschiedsvorlesung. Nürnberg (SUN Schulpädagogische Untersuchungen Nürnberg, Nr. 29) Sacher, W. (2008c): Schülerorientierte Elternarbeit eine überfällige Korrektur. In: Schulleitung heute 2/2008, S.4-6; 18/2008, S.2-5; 20/2008, S.2-4. Sacher, W. (2009): Elternarbeit schülerorientiert. Grundlagen und Praxismodelle. Für die Jahrgänge 1 bis 4. Berlin. Werf, G. van der, u. a. (2001): Improving parental involvement in primary education in Indonesia. Implementation, effects and costs. - In: School effectiveness and school improvement, 12 (2001) 4, pp Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 59

60 Forum 2 Praxisbeispiel Elternseminare am Übergang 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Beate Kipp Lehrerin, Wolfgang-Borchert-Schule Elternseminar: Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus verbessern Frank Tripp Schulsozialarbeiter, Gesellschaft für soziokulturelle Arbeit e.v. Allgemeine Informationen Ort: Wolfgang-Borchert-Schule (Integrierte Sekundarschule, Spandau) Durchführungszeitraum: Mai/Juni, jeweils vor Beginn des neuen Schuljahres Umfang: Zwei Abende á zwei Zeitstunden Zielgruppe: Alle Eltern der neuen Siebtklässler/innen Anlass und Ziel Das Elternseminar Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus verbessern wird an der Wolfgang- Borchert-Schule seit 2008 (früher noch an der Wilhelm-Leuschner-Oberschule, Hauptschule) als Tandem-Projekt durchgeführt. Ziel des Seminars ist es, die Basis für eine positive Zusammenarbeit mit den Eltern zu legen, von der dann letztlich die Schülerinnen und Schüler unserer Schule profitieren sollen. Der Anstoß für die Entwicklung des Seminars ist der Umstand gewesen, dass wir die Elternarbeit, wie sie an den meisten Schulen (unsere eingeschlossen) existiert(e), für nicht förderlich für eine gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus halten. Daraus entwickelte sich der Grundgedanke, die Kommunikation auf völlig neue Füße zu stellen. Konzept Unsere Grundthese bei der Konzeption der Seminarinhalte war es, dass Kommunikation nur vor dem Hintergrund einer schon etablierten und als positiv erfahrenen Beziehung gelingen kann. Wir wollten uns lösen von der Praxis der meist anlassbezogenen Interaktion (wobei die meisten Anlässe dabei auch noch negativ konnotiert waren) und stattdessen die Basis für eine gute Zusammenarbeit schon im Vorfeld des Schulbesuchs der Kinder legen. Dem entsprechend erhalten die Eltern die Einladungen zu den Seminaren, sobald sie ihr Kind bei uns an der Schule angemeldet haben und der Schulplatz sicher ist. Die Durchführung erfolgt dann im Mai und im Juni, also bevor die Kinder bei uns eingeschult werden. Der wichtigste Punkt, den es bei diesem Seminar zu verstehen gilt, ist: Es geht um die Eltern und zwar nicht in erster Linie im Rahmen ihrer Funktion als Mutter oder Vater von Kind X, sondern als eigenständige Personen, mit eigenen Bedürfnissen und Wünschen, auch jenseits ihres Erziehungsauftrags. Dass es in einem Elternseminar um die Eltern geht, erscheint nur banal, wenn man sich nicht mit der geläufigen Praxis auseinander setzt. Dort werden Eltern nämlich seitens der Schule immer noch viel zu Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

61 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 2 Praxisbeispiel Elternseminare am Übergang oft als verlängerter Arm der Schule angesehen, der umzusetzende Aufträge von der Schule erhält. Daraus entsteht dann regelmäßig eine Einbahnstraßen-Kommunikation, in der sich die Eltern nicht ernst genommen und gehört fühlen und die Schule den Eltern mangelnde Kooperation vorwirft. Ablauf Zu Beginn des Seminars informieren wir die Eltern darüber, dass es an den zwei Abenden in erster Linie um sie gehen wird und erst in zweiter Linie um ihre Kinder. Das sorgt bei den Eltern oft für Verunsicherung. Denn einerseits erwarten sie eher so etwas wie eine frontal stattfindende Informationsveranstaltung und andererseits sind sie ja schließlich wegen ihrer Kinder gekommen. Diese Irritation verfliegt jedoch, sobald wir mit dem Seminar begonnen haben. Im Seminar setzen wir uns anhand verschiedener Methoden mit dem Erfahrungswissen, den Wünschen und den Erziehungskompetenzen der Eltern auseinander. Dabei wechseln wir oft zwischen Gruppenarbeit und der Besprechung der Ergebnisse im Plenum. Sollten Sie Interesse am genauen Ablauf des Seminars haben, können Sie sich gerne unter den angegebenen Kontaktdaten an uns wenden. Ergebnis Die Ergebnisse der Seminare sind sehr positiv, sowohl, was die direkten Rückmeldungen der Eltern angeht, als auch hinsichtlich der erlebten mittel- und langfristigen Vorteile für die eigene Praxis. Es tut den Eltern sichtlich gut, über ihre Erfahrungen, Wünsche und Kompetenzen berichten zu können. Nicht zu unterschätzen ist auch der Effekt, dass die Eltern nach Besuch des Seminars der neuen Schule deutlich positiver gegenüberstehen als davor. Dabei gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass der Übergang von der Grund- zur Oberschule für Eltern wie für Kinder oft ein von Ängsten und Ungewissheiten besetzter Prozess ist. Zudem weiß man, dass eine positive Einstellung der Eltern der neuen Schule gegenüber einen erfolgreichen Schulbesuch der Kinder erleichtert. Wir nutzen das Elternseminar zudem, um Werbung für eine Ferien-Freizeit zu machen, die sich ausschließlich an die neuen Siebtklässler/innen richtet. Dadurch haben die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit, ihre neue Schule schon vor Beginn des Schulüberganges kennen zu lernen. Kontakt: Fon: ; Mail: f.tripp@sozkult.de 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 61

62 Forum 2 Praxisbeispiel Aktiv rund um Eltern 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Tatjana Schulz Sozialpädagogin, Pestalozzi-Fröbel-Haus Paul-Dohrmann-Schule und künftige 35. Grundschule am Standort Reichenberger Kiez Team Aktiv für Eltern Allgemeine Informationen Die Paul-Dohrmann-Schule ist eine Kooperationsschule (Grundschule und Förderzentrum mit dem Schwerpunkt Lernen und Verhalten) im Kreuzberger Reichenberger Kiez, die von zurzeit 170 Schülerinnen und Schülern der Klassen 1-10 besucht wird. Es findet am Standort eine Umstrukturierung statt. Die benachbarte Grundschule und die Paul-Dohrmann-Grundschule fusionieren zu einer Grundschule, das Förderzentrum läuft aus. Seit Februar 2009 gibt es an der Paul-Dohrmann-Schule unser Team, das aktiv rund um Eltern ist. Idee und Ziele Das Team Aktiv für Eltern besteht aus mehreren Personen verschiedener kultureller Herkunft von verschiedenen Trägern im Kiez. Idee/Ziel des Teams ist, dass Eltern sich willkommen fühlen, gut Bescheid wissen können, was es für sie in der Schule an Angeboten gibt und welche Möglichkeiten sie haben, sich in Schule zu beteiligen, zu wirken oder eigene Interessen einzubringen. Ziel war gleichzeitig das Erarbeiten weiterer Angebote, die gerne von Eltern genutzt werden und natürlich auch der Aufbau von Kontakt mit Eltern. Alles von, für und mit Eltern versucht unser Team zu unterstützen, weil wir davon ausgehen, dass aktive Eltern (inner- und außerschulisch) dazu beitragen, die Bildung und das Wohlbefinden ihrer Kinder zu erhöhen. Zusätzlich achten wir als Team darauf, gutes Beispiel zu sein, was die Wertschätzung kultureller, sprachlicher, Erfahrungs- und Ideenvielfalt betrifft. Das zeigt sich z. B. in unserer engen Zusammenarbeit und Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

63 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 2 Praxisbeispiel Aktiv rund um Eltern darin, dass wir versuchen, in den uns möglichen Herkunftssprachen Einladungen und Flyer usw. anzubieten (kurdisch, türkisch, arabisch, deutsch). Wie machen wir das? Durch unsere Vernetzung und unser Engagement. Zentraler Bestandteil sind die wöchentlich stattfindenden Teamtreffen, die auch offen für andere Interessierte sind: Andere Träger, Vereine, Eltern sind selbstverständlich willkommen und können sich beteiligen. Hier geht es um die Auswertung von Ereignissen, Aktivitäten der letzten und Planung der nächsten Woche(n) sowie um neue Ideen, um das Verteilen von Aufgaben, um die allgemeine Zeitplanung und anderes. Von den Treffen werden Protokolle angefertigt und an den Schulleiter weiter gereicht, der dann seine Anmerkungen dazu geben kann. Unser Schulleiter unterstützt uns durchgängig sehr gut und steht hinter unseren Aktivitäten. Teilweise ist er selbst in den Teamsitzungen dabei, häufig begrüßt er persönlich die Referenten der verschiedenen Träger der Elterninfoveranstaltungen. In den sogenannten Montagsbriefen (Briefe vom Schulleiter, die für alle im Haus Tätigen im Lehrerzimmer hängen) steht oft Aktuelles von uns, so dass Lehrer und Erzieher ebenfalls informiert sind. Träger werden teilweise von ihm zu unserem Team geschickt. Wir versuchen, gemeinsam als Team bei verschiedensten Angeboten und Aktivitäten für, mit und von Eltern präsent zu sein: Neben den Teamtreffen versuchen wir an verschiedenen Aktivitäten gemeinsam teilzunehmen. Dazu gehören insbesondere das Frühstück im Elterncafe (alle vier Wochen, inzwischen mit hauptsächlicher Initiative einer engagierten Elternvertreterin), Themenveranstaltungen für Eltern (ebenfalls alle vier Wochen) sowie andere schulische Ereignissen, die wir auch mit Angeboten unterstützen. Unser Team veranstaltet für Kinder und ihre Eltern z. B. einen Bewegungsparcours mit Schminken als Abschluss an, legt die jeweils bedeutsamen Flyer der Träger, aber auch unserer innerschulischen Angebote aus und macht Angebote dadurch zugänglich. Bei Vernetzungstreffen der Kooperationspartner oder Veranstaltungen wie der heutigen beteiligen wir uns nach unseren Möglichkeiten auch. An der Gruppe Eltern helfen Eltern Meckerstunde (einmal im Monat), die aufgrund von Elterninitiative und aktiven Eltern fortgeführt wird, nimmt unterstützend neben einer unserer Stadtteilmütter auch die Schulsozialpädagogin teil. Hier können Eltern vertraulich und anonym ihr Herz ausschütten und Unterstützung von anderen Eltern, einer Stadtteilmutter und der Sozialpädagogin finden. Gemeinsam werden Lösungen und Wege gesucht, die für alle gut und umsetzbar sind. Es gibt aber auch verschiedene Aufgaben, die von den Einzelpersonen im Team übernommen werden: Das Elterncafeteam kümmert sich um eine kontinuierliche tägliche Anwesenheit im Elterncafe, begrüßt Eltern und Kinder am Morgen, leitet Eltern bei Fragen weiter, bereitet Feste und Einladungen vor, verteilt Einladungen, dolmetscht zum Teil (z. B. Lehrerbriefe für Eltern) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 63

64 Forum 2 Praxisbeispiel Aktiv rund um Eltern 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Die Stadtteilmütter kümmern sich in der Schule um das Stellen von Referent/inn/en, um Übersetzungen in die arabische und türkische Sprache, klären konkrete Unterstützungswünsche wie z. B. Begleitung zu Ämtern, Wegbegleitung und gehen darauf nach ihren Möglichkeiten ein. Auch bei erforderlicher Hilfe für Familien in Not kann bei ihnen angefragt werden. Sie können Familien zu Hause und im Alltag begleiten, wenn es um Kitasuche oder Schulplätze geht und sie können Familien über die Durchführung von Modulen in ihrer Erziehung stärken. Die Kolleginnen von Yekmal e.v. kümmern sich um das Stellen von Referent/inn/en und um Übersetzungen in die kurdische Sprache. Sie können im Kiez weiter helfen und stehen auch für Elternberatung in der Schule zur Verfügung. Die Schulsozialarbeiterin vom Pestalozzi-Fröbel-Haus kümmert sich um die Koordination/Begleitung des Teams. Sie achtet darauf, dass alle wichtigen Informationen zwischen Team und Schule fließen, steht für Elternberatung zur Verfügung, bringt Neuigkeiten ein, die schulische Prozesse betreffen (Gesamtelternvertretung, Gesamtkonferenz, aktuell: Fusion), vermittelt Wünsche von Eltern, Lehrkräften, Schulleitung an das Team. Sie achtet beispielsweise auch auf Protokolle, vermittelt Kontakte zwischen Lehrerinnen/ Lehrern und Stadtteilmüttern sowie zwischen Eltern und Stadtteilmüttern und kooperiert bei der Arbeit mit einzelnen Familien eng mit Stadtteilmüttern. Erfolge, Ausblick Die Frühstücke im Eleterncafé sind gut besucht, die Gruppe Eltern helfen Eltern - Meckerstunde wird von Eltern weiterhin gewünscht, es ist Interesse an Themenveranstaltungen vorhanden, wie sich aus einer Befragung ergab. Es gab aber sowohl sehr gut besuchte als auch fast gar nicht besuchte Infoveranstaltungen für Eltern (die Teilnehmerzahl reichte von 1 bis 40 Eltern, auf der letzten Infoveranstaltung waren 9 Elternteile). Das an das Sportfest angebundene Picknick läuft sehr gut, die Kontakte zwischen Eltern und Team sind Stück für Stück gewachsen. Es gibt immer mehr mutige, engagierte Eltern, die Aktivitäten einfordern und zunehmend selbst initiieren. Eltern fühlen sich bei uns willkommen. Wir wollen als Team weiter inner- und außerschulisch mit Eltern zusammen wirken und sie unterstützen. Kontakt: tatjanaschulz-tatjana@web.de Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

65 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 2 Praxisbeispiel Aktiv rund um Eltern 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 65

66 Forum 3 Genderarbeit 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung PD Dr. Waltraud Cornelissen Deutsches Jugendinstitut Genderarbeit 1. Genderansätze in der Schule Abb. 1: Anteile der Schülerinnen und Schüler an Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien 1960/61 bis 2007/08 (in %) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

67 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 3 Genderarbeit Abb. 2: Deutsche und ausländische Absolventinnen und Absolventen nach Abschlussarten und Anteilen in Deutschland im Entlassungsjahr 2006 (in % der gleichaltrigen Wohnbevölkerung) Mögliche Erklärungen für Leistungsdifferenzen Lernen im Alltag Lernen in der Schule Lernen im Unterricht Unfaire Leistungsbewertung Inwiefern könnte die Schule Mädchen benachteiligen? Die Leistungen von Mädchen werden abgewertet, z. B. fleißig, aber nicht intelligent. Eltern haben, bezogen auf ihre Mädchen, geringeren Ehrgeiz, entsprechend sehen sich auch Lehrpersonen nicht herausgefordert, Mädchen zu fördern. Mädchen werden selten ermutigt, sich in den Fächern Mathematik, Chemie und Physik zu profilieren. Ihre Kurswahlen bestätigen die alten Stereotype. Mädchen trauen sich selbst weniger zu und ihnen wird weniger zugetraut. Von Mädchen wird kooperatives Verhalten erwartet. Bei Jungen wird konkurrentes und aggressives Verhalten geduldet. Solche Vorwürfe lassen sich nur beschränkt wissenschaftlich bestätigen oder entkräften. Inwiefern könnte die Schule Jungen benachteiligen? Sie setzt falsche Maßstäbe, verlangt weibliche Fähigkeiten. Sie beurteilt ungerecht. Sie kann Jungen nicht hinreichend motivieren Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 67

68 Forum 3 Genderarbeit 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Sie lässt die besonderen grobmotorischen Bedürfnisse und die Probleme der Feinmotorik von Jungen außer Acht. Jungen brauchen Lehrer. Solche Vorwürfe lassen sich nur beschränkt wissenschaftlich bestätigen oder entkräften. Was kann die Schule tun? Bisherige Konzepte: Parteilichkeit zugunsten von Mädchen Reflektierte und kontrollierte Gleichbehandlung Parteilichkeit zugunsten von Jungen Managing Diversity Das Ziel von Managing Diversity: Möglichst allen Schülern und Schülerinnen in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit gerecht werden Maßnahmen der Mädchen- und Jungenförderung Getrennter Unterricht: Sachunterricht, Physik, Informatik, Werken, Sport, Fremdsprachen Jungen- und Mädchenkonferenzen oder geschlechterübergreifende Reflexion von Geschlecht 2. Notwendige Rahmenbedingungen Alle mitnehmen! Managing diversity lässt sich nicht mit einzelnen Projekten und kleinen Veränderungen erreichen. Notwendig ist eine Veränderung der Schulkultur mit neu auszuhandelnden institutionellen Arrangements und neuen Haltungen gegenüber Mädchen und Jungen. Die Schule muss der Vielfalt von Mädchen und Jungen gerecht werden und ihrer Heterogenität anerkennen. Niedrigschwelliger Zugang zur Supervision Die Individualisierung des Lernens muss vorangetrieben werden. Die Schule muss als Lern- und Lebensort von Schüler/innen und Lehrer/innen ernst genommen werden. Es muss finanzielle und organisatorische Spielräume geben, ein Schulleben zu entwickeln, in dem sich alle mit Respekt begegnen. Es muss Orte und Zeiten des zwanglosen Austausches von Lehrer/innen, Eltern und Schüler/innen geben. Auch Lehrer/innen muss es dabei gut gehen! 3. Wie weiter? Neuralgische Punkte von Geschlechtergerechtigkeit bleiben Unterschiede im Vorwissen, bezogen Interessen und Alltagserfahrungen Selbsteinschätzung, Bewertung und Benotung Disziplinierung im Unterricht Gewaltfreiheit, Auseinandersetzung mit Gleichaltrigen Jungen, Mädchen und Bewegung Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

69 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 3 Genderarbeit Mädchen- und Jungenförderung darf nicht gegeneinander ausgespielt werden. Etwa nach dem Motto: Früher brauchten wir Mädchenförderung, heute Jungenförderung. Eine Schule, die meint, sie könnte Kinder optimal fördern, indem sie Mädchen- und Jungenangebote an stereotypen Bildern von Mädchen und Jungen orientiert, greift zu kurz. Mädchen- und Jungenförderung lassen sich vereinbaren. Sie können sich wechselseitig stützen. Die Schule kann eine anregungsarme und Geschlechter stereotypisierende Lernumwelt von Schülern nicht ohne weiteres kompensieren. Sie kann aber aufzeigen, dass Respekt zwischen unterschiedlichen Geschlechtern und Ethnien möglich ist. Die Schule hat sich auf eine große Vielfalt von Mädchen und Jungen einzustellen und jedes/jeden möglichst weit in der Schullaufbahn zu fördern. Die Schule muss Mädchen und Jungen nicht nur in ihren Schulleistungen fördern, sondern auch in ihren sozialen Kompetenzen. Die Schule muss ihnen vielfältige Perspektiven für die Zeit nach der Schule eröffnen. Literatur Cornelissen, Waltraud (2011): Gendergerechte Ansätze in der Schule. Ein Schritt zu mehr Geschlechterdemokratie? In: Krüger, Dorothea (Hrsg.): Genderkompetenz und Schulwelten. Alte Ungleichheiten neue Hemmnisse. Reihe Kultur und gesellschaftliche Praxis, VS Wiesbaden, S Cornelissen, Waltraud (2006): Sind Jungen in der Schule benachteiligt? In: Erziehung und Wissenschaft in Niedersachsen, 2006, Heft 12, S , verfügbar über: dez06/24_25.pdf Cornelissen, Waltraud (2004): Einige Anmerkungen zur Debatte um die Benachteiligung von Jungen in der Schule. In: Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien 1/2004, S , Verfügbar über: Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 69

70 Forum 3 Praxisbeispiel Traumzeit - Mädchenangebote im Snoezeleraum 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Dana Fietz Schulsozialarbeiterin, Kiek in e.v. 10. Schule, Sonderpädagogisches Förderzentrum Traumzeit Mädchenangebote im Snoezeleraum Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

71 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 3 Praxisbeispiel Traumzeit - Mädchenangebote im Snoezeleraum 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 71

72 Forum 3 Praxisbeispiel Traumzeit - Mädchenangebote im Snoezeleraum 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

73 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 3 Praxisbeispiel Traumzeit - Mädchenangebote im Snoezeleraum 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 73

74 Forum 3 Praxisbeispiel Väter-Söhne-AG 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Khaled Abu-Attieh Sozialarbeiter, AspE e.v. Schule in der Köllnischen Heide Jenz Stürzkober Sozialarbeiter, AspE e.v. Sonnen-Grundschule Projekt: Väter-Söhne-AG Die Arbeitsgruppe Väter und Jungs in der Region Nord-Ost Die Arbeitsgruppe Väter und Jungs in der Region Nord-Ost gibt sich den Auftrag, Jungen aus der Kölnischen Heide auf ihrem komplizierten Weg zum Erwachsen werden zu unterstützen und - wo möglich - ihre Väter zu begleiten. Ende 2007 gründete sich die Gruppe mit männlichen Akteuren aus verschiedenen kommunalen Einrichtungen und freien Trägern aus der Region. Learning by doing war und ist Anspruch der Arbeitsgruppe, das heißt wir überlegen uns konkrete Angebote, Workshops und Veranstaltungen, um uns den Jungs zu nähern, auf hierbei gemachte Erfahrungen aufzubauen und sie in weitere Planungen mit einzubeziehen. Als männliche Pädagogen sehen wir hierbei unseren Auftrag, Problemfelder von Jungen immer praxisnah aufzugreifen, zu begleiten und zu entwickeln. Unser Anliegen ist es ebenso, Vätern mehr Zeit für gemeinsame Aktivitäten mit ihren Söhnen einzuräumen und sie zu ermutigen, aktiv bei uns mitzumachen. Unterstützung für unsere Arbeit bekommen wir von den einzelnen Einrichtungen und Quartiersmanagements der Regionen. Getreu dem Motto Think global, act local laden wir auch Träger aus anderen Regionen zur Zusammenarbeit ein Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

75 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 3 Praxisbeispiel Väter-Söhne-AG 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 75

76 Forum 4 Gesundheitsförderung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prof. Dr. Peter Paulus Zentrum für Angewandte Gesundheitswissenschaften Leuphana Universität Lüneburg Gesundheit der Schule Gesundheitsqualität, Schulqualität und schulbezogene Jugendhilfe Gesundheit, psychische Gesundheit und Bildungs-und Erziehungserfolge in Schulen Gesundheit wird hier im Sinne der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO 1948) verstanden als Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefin dens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen (ebd.). Die körperlichen Aspekte der Gesundheit (Bewegung, Übergewicht) oder auch soziale (Aggression und Ge walt) bestimmen die Diskussion, wenn es um die Gesundheit der Schule geht. Zunehmend ins Blickfeld gerät aber auch das geistige Wohlbefinden, die psychische Gesundheit. Schüle rinnen und Schüler, aber auch Lehrkräfte sind davon vermehrt betroffen. In einer durch schnittlichen Sekundarschule in Deutschland, die von 608 Schülerinnen und Schülern besucht wird und in der 35 Lehrkräfte arbeiten, leiden z. B. 133 an einer Essstörung (21,9 %), zeigen 137 psychische Auffälligkeiten (22,5 %), 58 davon haben ernsthafte psychische Probleme in Form von Angst, Störungen des Sozialverhaltens, Depression, ADHS (9,6 %), 164 haben psy chosomatische Beschwerden (27 %), 54 sind Opfer von Bullying (9 % bezogen auf die letzte Wo che) und 90 sind einmal oder häufiger Täter von Gewalthandlungen (14,9 %) (u.a. Ravens-Sieberer u.a. 2007; Robert Koch Institut 2008). Bei den Lehrkräften überfordern 11 sich per manent selbst (31 %), sind 10 burnout gefährdet (28,5 %), haben 12 psychosomatische Be schwerden (34 %), werden 8 aus krankheitsbedingten Gründen frühpensioniert (23 %), 5 da von aus Gründen der psychischen Gesundheit (Schaarschmidt 2005). Die psychische Gesund heit spielt in der Schule also eine nicht unbedeutende Rolle. Herausragend wird ihre Rolle aber, wenn sie im Kontext des Bildungs- und Erziehungsauftrags von Schule betrachtet wird, denn wie Fend (2006) anmerkt, erfüllt das Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

77 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 4 Gesundheitsförderung Bildungswesen ihre Aufgaben durch die Arbeit an der Seele des Menschen. Sie bearbeitet das Können und die Haltungen lernfähiger jun ger Menschen. [ ] Ihr Arbeitsfeld ist die psychische Verfassung, sind das Können, das Wissen wie auch die seelischen Einstellungen von Kindern und Jugendlichen. (S. 174). Die Lern- und Bildungserfolge der Schülerinnen und Schüler sind danach wesentlich mitbestimmt von ihrer psychischen Verfassung. Auch die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Lehrkräfte ist von Ihrer psychischen Verfassung maßgeblich beeinflusst. Schülerinnen und Schüler schätzen z. B. eine psychisch gesunde Lehrkraft, weil sie eine positive Lernatmosphäre verbreiten, interes santen und guten Unterricht machen kann und für ein positives psycho-soziales Klassenklima sorgt (Klusmann u.a. 2006). Für diese Zusammenhänge gibt es immer mehr empirische Be lege (zur Übersicht: Suhrcke & Neves 2011). Die Selbsteinschätzung des eigenen Wohlbefin dens, wozu auch das psychische Wohlbefinden zählt, korreliert signifikant mit den schuli schen Leistungen (Dür 2008). Damit eröffnen sich neue Perspektiven für die schulische Gesundheitsförderung, denn die psychische Gesundheit erscheint nun als eine Vorausset zung, dass z. B. die pädagogische Arbeit an der Seele der jungen Menschen auch gelingen kann. Die Förderung beziehungsweise der Erhalt der psychischen Gesundheit ist demnach wichtig für die schulischen Erfolge der Schülerinnen und Schüler. Moderierend wirksam sind die ungleich verteilten Lebensbedingungen, die die körperliche, psychische und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinflussen. Teufelskreis von gesundheitlicher, sozialer und bildungsbezogener Benachteiligung und die Gesundheitsfördernde Schule Alle verfügbaren Daten zeigen auf, dass ein Teufelskreis von sozialer Benachteiligung und Armut besonders, wenn sie Heranwachsende mit Migrationshintergrund betrifft sowie gesundheitlichen Belastungen und Bildungseinbußen entsteht, aus dem heraus die Schüler und Schülerinnen sich selbst nicht lösen können. Chancen zumindest der Verminderung der Auswirkungen solcher negativer Kreisprozesse sind auf verschiedenen Wegen möglich. Die schulische Gesundheitsförderung ist einer davon. Erfahrungen aus den letzten 20 Jahren zei gen, dass nur systemische und systematische Ansätze, die die gesamte Schule mit allen Beteiligtengruppen einbeziehen, die besten Chancen haben, die gesundheitlichen Beein trächtigungen zu minimieren beziehungsweise gesundheitliche Ressourcen aufzubauen (International Union for Health Promotion and Education 2008; 2009; Paulus, 2011a). Die gesundheitsför dernde Schule repräsentiert solch ein ganzheitliches sogenanntes Setting-Konzept. Auch gesund heitsökonomische Studien zeigen, dass neben gesundheitlichen Erfolgen im engeren Sinn sich solche Interventionen auch im weiteren Sinne rechnen. So haben z. B. schulbasierte Interventionsprogramme zur Reduktion von Bullying in der Schule einen Return on Invest ment (ROI) von 1 : oder Programme sozial-emotionalen Lernens zur Reduktion von Verhaltensauffälligkeiten sogar einen ROI von 1 : 83.73,wie Studien der London School of Economics zeigen (Knapp, McDaid & Parsonage 2011). Gute gesunde Schule und das integrierte schulische Gesundheitsmanagement als neue Entwicklung in der schulischen Gesundheitsförderung Seit einigen Jahren hat ein neues ganzheitliches Konzept der schulischen Gesundheitsförde rung an Bedeutung gewonnen, das der guten gesunden Schule (Paulus 2003; 2009; 2010b; 2011b). Dieser Ansatz 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 77

78 Forum 4 Gesundheitsförderung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung geht davon aus, dass die schulische Gesundheitsförderung im Dienste des Bildungs-und Erziehungsauftrags der Schule steht und Beiträge hierfür zu leisten hat. Nicht mehr Gesundheitsförderung steht im Zentrum, sondern Bildungsförderung durch Ge sundheit. Ein integriertes schulisches Gesundheitsmanagement ist hierfür entwickelt worden (Dadaczynski & Paulus 2011). Es beinhaltet die systematische Steuerung schulischer Prozesse unter Einbezug gesundheitswissenschaftlicher Erkenntnisse, integriert Gesundheitshandeln in die Alltagsroutinen und Gesundheitsförderung in den Schulentwicklungsprozess. Es um fasst Maßnahmen, die die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Schulmitglieder und des Schulsystems verbessern. Dieses Gesundheitsmanagement ist entwicklungsorientiertes Ma nagement ( Schulentwicklung ), eine Querschnittsaufgabe und umfasst Aufgaben der Per sonal-, Organisations Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

79 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 4 Gesundheitsförderung und Unterrichtsentwicklung. Zielgruppen sind die Beschäftigten (Lehr kräfte, nicht-unterrichtendes (sozial-pädagogisches) Personal), die Schülerinnen und Schüler, aber auch die Schulleitung selbst. Damit ist eine stärkere Orientierung an den schulischen Bildungs- und Erziehungszielen gegeben. Ein solchermaßen integriertes Gesundheitsmana gement hat aufzuzeigen, welchen Beitrag es leisten kann, damit Schule ihre pädagogische Agenda erfüllen kann. Mit Gesundheit gute Schule entwickeln ist die dazu passende Devise. Die gute gesunde Schule ist die dazu passende Schule. Sie lässt sich folgendermaßen be schreiben: Die gute, gesunde Schule ist eine Schule, die sich in ihrer Entwicklung klar den Qualitätsdimensionen der guten Schule verpflichtet hat und die bei der Verwirklichung ihres sich daraus ergebenden Erziehungs- und Bildungsauftrages gezielt Gesundheitsinterventio nen einsetzt. Ziel ist die nachhaltig wirksame Steigerung der Erziehungs- und Bildungsqualität der Schule (Paulus 2003). Zwei bundesweit verbreitete Schulprogramme Anschub.de Ein Programm für die gute gesunde Schule ( de) und MindMatters Mit psychi scher Gesundheit gute Schule machen ( verkörpern diesen An satz (Nieskens, Heinold & Paulus 2012; Paulus & Dadaczynski 2010). Integriertes schulische Gesundheitsmanagement und schulbezogene Jugendhilfe Das integrierte schulische Gesundheitsmanagement, das sich als Förderung der guten gesun den Schule versteht, weist große Parallelen zur Kinder- und Jugendhilfe allgemein und zur schulbezogenen im Besonderen auf (z. B. Förderung der individuellen und sozialen Entwick lung; Benachteiligungen vermeiden oder abbauen; positive Lebensbedingungen für die Schülerinnen und Schüler und ihre Familien schaffen; kinder- und familienfreundliche Um welt erhalten oder schaffen). Ebenso sieht es mit den fachlichen Standards aus: (a) Ressourcen orientierung in salutogenetischer Perspektive, (b) Empowerment und Partizipation sowie (c) Lebensweltorientierung und Integration sind im integrierten schulischen Gesundheitsmanagement, wie in der schulbezogenen Jugendhilfe programmatisch verankert. Das integrierte schulische Gesundheitsmanagement und die gesundheitsbezogene Jugend hilfe haben also gemeinsame Anknüpfungspunkte, die zum einen in der gesundheitlichen Si tuation der Kinder und Jugendlichen begründet sind, die eng verwoben ist mit den gesell schaftlich-kulturellen Wandlungsprozessen und zum anderen in der Fokussierung auf die so ziale Diversifikation, in der die gesundheitlichen Risiken und Bildungschancen ungleich ver teilt sind. Im Ergebnis ist allerdings festzuhalten, dass die Kooperation nicht nur quantitativ, sondern auch konzeptionell kaum entwickelt ist. Sie erreicht nicht beziehungsweise nur vereinzelt das professionelle Niveau, das der Umsetzung des Setting-Ansatzes der schulischen Gesund heitsförderung entspricht. Dafür sind generelle Probleme der Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe und Schule verantwortlich (u.a. fehlende Kooperationsvereinbarungen zwi schen Schule und Jugendhilfe; unterschiedliche Rollenvorstellungen von Lehrkräften und Schulsozialpädagoginnen, beziehungsweise -pädagogen, Statusdifferenzen, unterschiedliche Handlungslogiken). Weiterhin sind gesundheitsbezogene Interventionen in der Kinder- und Jugendhilfe weder individuell, strukturell noch konzeptionell ausreichend thematisiert und in ein Hand lungskonzept des integriertem schulischen Gesundheitsmanagements explizit integriert und sind damit nicht anschlussfähig mit dem schulischen Setting-Ansatz. Sie verbleiben vielmehr auf einer Ebene individueller Problemlagen und der damit oft einhergehenden Prävention gesundheitsschädigenden Verhaltens (Suchtprävention, Sexual- beziehungsweise AIDS Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 79

80 Forum 4 Gesundheitsförderung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prävention, be wegungs- und ernährungsbezogenen Prävention). Gesundheit wird nicht im Sinne des inte grierten Gesundheitsmanagements in einem salutogen geprägten Lebensweisen- beziehungsweise Le bensweltenansatz entfaltet. Auf strukturell-institutioneller Ebene wirkt sicher auch ein schränkend für eine integrative Konzeptentwicklung, dass Gesundheit und Gesundheitsför derung den Gesundheitsämtern fachlich zugeordnet sind (Paulus 2010a). Diese Potenziale sind also längst noch nicht entwickelt und deshalb auch kaum ausgeschöpft. Im Bereich der Bildungssettings Kindertageseinrichtungen und Schulen sind insbesondere im integrierten schulischen Gesundheitsmanagement und beginnend im KiTa-Bereich in jüngster Zeit vielfältige Entwicklungen in Gang gekommen, die eine Kooperation sinnvoll erscheinen lassen, wie die gute gesunde Schule: Eine Schule, die sich mit Gesundheit zu einer guten Schule entwickelt und die gute gesunde Kindertagesstätte: K!GG: Kita Gut & Gesund ( Nagel-Prinz-Paulus 2010). Literatur Dadaczynski, K. & Paulus, P. (2011). Gesundheitsmanagement in der guten gesunden Schule: Handlungsfelder, Prinzipien und Rolle der Schulleitung. In Dür, W. & Felder-Puig, R. (Hrsg.) Lehrbuch Schulische Gesundheitsförderung (S ). Bern: Huber Dür, W. (2008) Gesundheitsförderung in der Schule, Empowerment als systemtheoretisches Konzept und seine empirische Umsetzung, Bern 2008b Fend, H. (2006). Neue Theorie der Schule. Das Bildungswesen als institutioneller Akteur der Menschenbildung. Wiesbaden Klusmann, U.; Kunter, M.; Trautwein, U.; Baumert, J. (2006): Lehrerbelastung und Unter richtsqualität aus der Perspektive von Lehrenden und Lernenden. In: Zeitschrift für pädagogi sche Psychologie, 20 (3), Knapp, M., McDaid, D. & Paronsage, M. (2011).Mental health promotion and mental illness prevention: The economic case. London: Department of Health Nagel-Prinz, S. & Paulus, P. (Hrsg.) (2010). Mit Gesundheit geht es besser! Pädagogische Qualitätsentwicklung und Gesundheitsmanagement in KiTas neu denken. KiTa-Spezial, 2010, 3 (Gastherausgeber) Nieskens, B., Heinold, F.& Paulus, P. (2011). Gemeinsam(es) Lernen mit Gefühl. Eine Res source zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen in der Primarstufe. Lüneburg: Mind Matters Programmzentrum Paulus. P. (2003). Schulische Gesundheitsförderung vom Kopf auf die Füße gestellt. Von der Gesundheitsfördernden Schule zur guten gesunden Schule. In: Aregger, K.; Lattmann, U. (Hrsg.). Gesundheitsfördernde Schule eine Utopie? Konzepte, Praxisbeispiele, Perspektiven (S ). Luzern Paulus, P. (2009). Anschub.de ein Programm zur Förderung der guten gesunden Schule. Münster: Waxmann Paulus, P. (2010a). Gesundheitsförderung in Kooperation von Schule, Jugendhilfe und ande ren Partnern. In Sachverständigenkommission des 13. Kinder- und Jugendberichts (Hrsg.). Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen. Materialien zum 13. Kinder- und Jugendbericht (S ). München: DJI Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

81 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 4 Gesundheitsförderung Paulus, P. (Hrsg.) (2010b). Bildungsförderung durch Gesundheit. Bestandsaufnahme und Perspektiven für eine gute gesunde Schule. Weinheim: Juventa Paulus, P. (2011a). Schulische Gesundheitsförderung. In Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung (S ).Gamburg: Verlag für Gesundheitsförderung Paulus, P. (2011b). Schwerpunkthelft Schule Gesundheit Bildung (Gastherausgeber). Prävention, Zeitschrift für Gesundheitsförderung, 4 Paulus, P. & Dadaczynski, K. (2010). Psychische Gesundheit in der Ganztagsschule. Expertise im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. Ravens-Sieberer, U.; Ellert, U.; Erhart, M. (2007). Ge sundheitsbezogene Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. In: Bundesgesund heitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheits schutz 50, Robert Koch-Institut (2008). Lebensphasenspezifische Gesundheit von Kindern und Jugendli chen in Deutschland. Ergebnisse des Nationalen Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS). Berlin Schaarschmidt, U. (Hrsg.). (2005). Halbtagsjobber? Psychische Gesundheit im Lehrerberuf Analyse eines veränderungsbedürftigen Zustandes. Weinheim: Beltz. Suhrcke, M. & de Paz Nieves, C. (2011). The impact of health and health behaviours on edu cational outcomes in high-income countries: a review of the evidence. Copenhagen: WHO WHO (1948). Constitution. Geneva: World Health Organization 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 81

82 Forum 4 Praxisbeispiel Yogakurse für Grundschüler 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Tandemteam Frau Lahn, Erzieherin Frau Schröder, Lehrerin Zürich-Grundschule Kathrin Meyer, Sozialpädagogin Christian Brenner, Sozialpädagoge Fortbildungsinstitut für die Pädagogische Praxis Beispiel zum Thema Gesundheit an der Zürich-Grundschule Allgemeine Informationen zur Zürich-Grundschule 311 Schüler/innen, davon 54% Schülerinnen und 46% Schüler 1. Yoga für Grundschulkinder Yoga versucht, eine ganzheitliche Sichtweise auf Alltagssituationen erfahrbar zu machen, angenehme wie auch unangenehme. Die Kinder sollen offener für neue Gedanken und toleranter gegenüber anderen Menschen werden und lernen, Situationen anzunehmen, ohne alles gleich zu bewerten. Beim Yoga gibt es grundsätzlich keine Wertung es gibt kein Richtig oder Falsch. Durch Yogaübungen wird der Energiefluss in unserem Körper angeregt. Wir trainieren die Muskulatur und sind verantwortlich für unseren Körper. Yoga unterstützt, in den eigenen Körper hinein zu spüren, einen Bezug zu unseren Organen und deren Funktionen zu erhalten. Das Wort Yoga wird von dem Sanskrit Wort Yuj abgeleitet, das verbinden bedeutet. Yoga schafft eine Verbindung von Körper, Geist und Seele. Wie Kinder von Yoga profitieren können Kinder können bereits im Alter von drei Jahren mit Yoga beginnen. Yoga unterstützt ihre Körperhaltung, Beweglichkeit und die Verantwortung für ihren Körper Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

83 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 4 Praxisbeispiel Yogakurse für Grundschüler Durch Nachspüren und Wahrnehmungsübungen lernen Kinder, ihren Körper neu zu spüren und zu fühlen. Durch das Wecken der Sensibilität bleiben sie in Kontakt mit ihrer inneren Stimme. Sie können ihrem Körper vertrauen. Sie werden selbstsicherer, sind wenig aggressiv und gewalttätig. Im Kinderyoga wird vor allem auf spielerische Übungen und nicht auf Kraft- und Ausdauertraining Wert gelegt. Es hilft, Spannungen abzubauen (Faktoren wie Angst, Sorgen und Stress bewirken Verspannungen beziehungsweise Verkrampfungen der Muskulatur und beeinflussen gleichzeitig die Atmung). Durch nicht ausgedrückte Gefühle entstehen Anspannungen und Bauchschmerzen. Im Kinderyoga lernen Kinder, Spannungen abzubauen, sich selbst zu fühlen und wahrzunehmen, besonders auch im Bauchbereich. Yoga stärkt Kinder Sinn des Kinderyoga ist es, Kindern mehr Selbstwertgefühl, Willenskraft und Selbstentfaltung zu ermöglichen. Hierbei werden die Ideen der Kinder mit einbezogen. Dabei sind die Übungen immer spielerisch und nie leistungsorientiert. Yoga bietet gerade Kindern einen idealen Ausgleich zu Stress, Bewegungsmangel und kopflastigen Tätigkeiten. Es schenkt ihnen nicht nur eine gesunde Körperhaltung, Konzentrationsfähigkeit und Selbstbewusstsein, sondern auch viel Spaß. 2. Zielgruppe Das Yogaangebot ist an alle Kinder der Zürich-Grundschule gerichtet, wobei Kinder die z. B. übergewichtig sind oder offensichtlich an Bewegungsmangel leiden, gezielt auf das Angebot hingewiesen werden. Wichtig ist uns, dass die Kinder das Angebot gerne wahrnehmen und sich nicht gezwungen oder verpflichtet fühlen. 3. Umsetzung Bei der Umsetzung wird darauf geachtet, dass die Schülerinnen und Schüler ein angeglichenes Leistungsniveau haben und die Yogagruppe maximal von zehn Kindern besucht wird. Der Ablauf ist ritualisiert und beginnt mit einer Schweigeminute, wobei eine große Bauchklangschale zum Einsatz kommt. Danach werden leichte Aufwärmübungen gemacht, die mit dem Sonnengruß enden. Da Hatha-Yoga für die Kinder angeboten wird, wird nach jeder Übung/Position (Asana) eine kleine Pause gemacht. Hatha kommt aus dem Sanskrit und bedeutet Sonne und Mond, was bei den Übungen Anspannung und Entspannung entspricht. Bei vielen Asanas werden Tiere nachgemacht, z. B. die Kobra, der Skorpion oder die Heuschrecke. Bei manchen Übungen wird der Gleichgewichtssinn trainiert, z. B. Kopfstand oder der Baum (auf einem Bein stehend, die Hände gefaltet und nach oben gerichtet). Bei den Asanas ist jedes Kind auf seiner Matte und nach Möglichkeit mit geschlossenen Augen, damit sich die Schülerinnen und Schüler besser auf ihre Übung konzentrieren können und sich niemand beobachtet fühlt. Alle Positionen werden vom Yogalehrer vorgeführt und später gegebenenfalls korrigiert, wobei darauf geachtet wird, dass nur Asanas praktiziert werden, welche die Schülerinnen und Schüler auch nachma Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 83

84 Forum 4 Praxisbeispiel Yogakurse für Grundschüler 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung chen können. Gegen Ende der 60- bis 90-minütigen Yogaeinheit dürfen die Kinder nacheinander ihre Lieblingspositionen vormachen und so auch mal kurz Yogalehrer sein. Die Yogastunde endet entweder durch eine meditative Körpertraumreise oder durch eine Körperklangschalen-Meditation. Bei der Körperklangschalen-Meditation geht der Yogalehrer zu jeder Schülerin und jedem Schüler und setzt die Brust- und Bauchklangschale ein. 4. Kooperationspartner Klasse 2000 wurde Ende 2010 in der Zürichschule integriert. Das Motto von Klasse 2000 ist Stark und gesund in der Grundschule und bundesweit das größte Programm zur Gesundheitsförderung, Suchtund Gewaltvorbeugung an Grundschulen. Alternative Yogakurse, für Eltern und Kinder, werden in den Ferien beim Mehrgenerationenhaus IMA (Integrative Migrantenarbeit e.v) in der Flughafenstraße 21 angeboten. 5. Ergebnisse Die Kinder zeigen sich bei Yogaübungen, aber auch beim gemeinsamen Kochen, immer sehr interessiert, da die Kinder sich selbst dabei erfahren können. Bei Yogaübungen spüren und sehen die Kinder ihre eigenen Fähigkeiten aber auch Grenzen. Bereiten Kinder ihr eigenes Essen zu, schmecken auch Lebensmittel, die sonst eher gemieden werden. Neben Hunger ist auch gemeinsames Kochen der beste Koch. Das schönste Ergebnis war, dass die gemeinsamen Aktionen im Rahmen Bewegung und Ernährung den Kindern Spaß gemacht hat, wobei sie viel für sich gelernt haben. Auffällig war auch, dass sich durch Klangschalenmassage selbst die unruhigsten Kinder beruhigt haben und in der Lage waren, sich auf den Moment zu konzentrieren. 6. Ausblick Im Rahmen von WuV-Veranstaltungen (Wahlunterricht verbindlich) soll Yoga für Kinder weiterhin angeboten werden. Für die Zukunft ist auch geplant, Kinderkochkurse anzubieten oder eine Kombination aus Ernährung und Bewegung. Die unterschiedlichen Ernährungsangebote sollen hierbei den Kindern nahegebracht werden, z. B. Ayurveda, Vollwertküche, makrobiotische Ernährungslehre, Ernährung nach den Blutgruppen, Mittelmeerkost, Auch die Wirkungsweise der unterschiedlichen Nahrungsgruppen (Eiweiß, Kohlenhydrate, Fette, Mineralien, Spurenelemente, sekundäre Pflanzenstoffe) sollen spielerisch und an praktischen Beispielen mit den Kindern bearbeitet werden. Als Ziel soll zum Schuljahresende, gemeinsam mit den Kindern, ein Kochbuch erstellt werden Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

85 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 4 Praxisbeispiel Yogakurse für Grundschüler 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 85

86 Forum 4 Praxisbeispiel Projekt: Aktive Pause/Bewegungspause 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Christoph Bohne Schulsozialarbeiter, DRK Berlin Nord-Ost e.v. Wilhelm-Busch-Grundschule Projekt: Aktive Pause/ Bewegungspause Seit dem Schuljahr 2009/2010 gibt es an der Wilhelm-Busch-Grundschule das Projekt Die Aktive Pause. Ins Leben gerufen durch den Schülerrat, ist dieses Projekt mittlerweile aus unserer gebundenen Ganztagsschule nicht mehr wegzudenken und gehört zum festen Bestandteil des Schulalltags, somit zum Leben der Kinder. Die Aktive Pause möchte Kinder in Bewegung bringen, sie zu einem bewussten Umgang mit dem eigenen Körper und zu einer gesunden Lebensweise motivieren. Dadurch leistet dieses Projekt einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsförderung. Sich während der Schule aktiv zu bewegen, gewinnt vor dem Hintergrund veränderter Lebensbedingungen der Kinder in der Großstadt eine immer größer werdende Bedeutung. Die Kinder wachsen in einer Zeit auf, in der Angebote im öffentlichen Raum für eine sinnvolle Freizeitgestaltung immer stärker reduziert werden, nur noch begrenzte Bewegungs- und Entfaltungsräume zur Verfügung stehen sowie ein erhöhter Fernseh- und Computerkonsum einen großen Platz im Alltag der Heranwachsenden einnimmt. Auf dem Hintergrund dieser veränderten Lebenswelt soll die Aktive Pause ein Bestandteil mehrerer Projekte und Initiativen darstellen, um diesen veränderten Bedingungen des Heranwachsens im schulischen Kontext zu begegnen. Kinder wünschen sich interessante, abwechslungsreiche, aber auch sehr mannigfaltige Pausenangebote. Denn die Pause beinhaltet viel mehr als nur die Unterbrechung vom Unterricht. Aktive Pausen rhythmisieren den Schulalltag der Kinder, so dass die Kinder zwischen Aufnehmen und Verarbeiten einen gesunden Ausgleich finden können. Die Aktive Pause unterstützt das Spiel- und Bewegungsbedürfnis des Kindes, fördert die Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit und kann somit positiv auf den Unterricht und die Lernfähigkeiten von Schülerinnen und Schülern wirken. Diese sinnvolle Alternative zur herkömmlichen Pausengestaltung legt ihren Schwerpunkt auf offene Bewegungsangebote innerhalb des Schulgeländes. Neben der Herausgabe von Spielzeug gehören das Aufzeichnen von Hüpfspielen und die Initiierung von Pausenspielen zum festen Inhalt des Projektes. Mit der Einrichtung verschiedener Bereiche zur Entfaltung wie Plätze und Zonen für Groß und Klein, wird dazu beigetragen, die altersgemäßen Bedürfnisse der Schülerinen und Schüler zu berücksichtigen. Um eine zügige und reibungslose Ausgabe der Spielgeräte zu ermöglichen, werden die Spielgeräte an einem festen Platz verwahrt. Die Ausgabe des Spielzeugs erfolgt durch die Pädagoginnen und Pädagogen mit Unterstützung ausgewählter Schülerinnen und Schüler der vierten Klasse, die als Pausenbuddys Verantwortung übernehmen. Am liebsten beschäftigen sich die Kinder mit Stelzen, Kegelspielen, Hoola-Hoops, Springseilen, Frisbees und natürlich jeglicher Art von Bällen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

87 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 4 Praxisbeispiel Projekt: Aktive Pause/Bewegungspause Neben der Förderung der Wahrnehmungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie der motorischen Kompetenz der Schülerinnen und Schüler werden die Kinder so befähigt, Spiele selber zu gestalten und zu organisieren. Weiterhin soll die Aktive Pause durch die Bewegungsangebote eine sinnvolle Pausengestaltung und eine auf gemeinsames Spielen ausgerichtete Kontaktaufnahme fördern. Infolgedessen haben wir beobachtet, dass es durch die verschiedenen, sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten zu einem Rückgang von Gewaltvorfällen gekommen ist. Auch der Vereinzelung und dem Rückzug von Kindern auf dem Schulhof kann so begegnet werden. Zu Guter Letzt soll nicht unerwähnt bleiben, dass natürlich der Spaß und die Freude beim Spielen im Vordergrund stehen. Hier leistet dieses Projekt, als ein Baustein neben den vielen anderen Unterrichtsund freizeitbezogenen Angeboten, einen wesentlichen Beitrag im Schulleben zur Anregung der Kinder sich sinnvoll zu bewegen. Dadurch wird die Gesundheit der Kinder gefördert Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 87

88 Forum 5 Gewaltprävention 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prof. Dr. Kurt Möller Hochschule Esslingen Voraussetzungen und Ansatzpunkte von Gewaltprävention an Schulen (Kurzfassung) Einleitung Wer schul- und/oder sozialpädagogisch im Rahmen von Schule tätig ist und Gewaltprävention intendiert, muss sich fragen: Was muss ich wissen und kennen, damit ich dazu beitragen kann, Schule gewaltfreier zu machen? Stellt man diese Frage, so wird schnell klar, dass man ohne eine Klärung einiger Basics aus dem Bereich der Gewaltforschung nicht auskommt. Man muss sich wenigstens klar darüber werden, 1. was der Begriff Gewalt (zumindest für einen selbst) eigentlich umfasst, 2. welche Erscheinungsweisen wohlbegründet unter diesen Terminus subsumiert werden können, 3. wie sich das Ausmaß von Gewalt sowie ihre Entwicklung im Zeitverlauf an der eigenen Schule im Vergleich zu dem an anderen Schulen darstellt und 4. wo die Ursachen für Gewalt liegen, um ursachenbezogene statt nur symptomfixierte Gegenstrategien entwickeln zu können. Und noch eine weitere Frage sollte interessieren: 5. die nach den Ursachen von (relativer) Gewaltfreiheit: Was wissen wir eigentlich über Faktoren, die von vornherein Gewaltdistanz begünstigen, also Gewalt erst gar nicht aufkommen lassen oder zumindest zur Gewaltverringerung beitragen? Sich praxisrelevante Wissensbestände der Forschung zu diesen fünf Punkten zu verschaffen, scheint erforderlich, um auf ihrer Basis (im Folgenden in einem 6. Punkt) einige Ansatzpunkte für Gewaltprävention vorzuschlagen, also wenigstens ein paar Antwortansätze auf jene Frage zu bieten, die da heißt: Wie lassen sich gewaltprotektive bzw. -distanzierende Faktoren pädagogisch konstellieren? Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

89 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 5 Gewaltprävention Ad 1: Gewalt -Definitionen Gebräuchliche Definitionen von Gewalt sind unübersehbar zahlreich, und auch spezifisch sozialwissenschaftlich gefasste Gewaltbegriffe gibt es zu Hunderten. Wollen wir uns angesichts des Handlungsdrucks, ganz praktisch Gewaltprävention leisten zu wollen, diesbezüglich nicht in diversen Winkeln des akademischen Diskurses verlieren, so lässt das Ziehen eines Summenstrichs unter der Fülle an terminologischen Herangehensweisen bei Absehung vom Teilaspekt der Gewalt gegen Sachen und bei (nicht ganz unproblematischer) Fokussierung auf die sogenannte personale Gewalt die Bilanzierung zu: Zumeist wird Gewalt im Kern verstanden als illegitime physische und/oder psychische Schädigung der Integrität einer Person (wobei diese Schädigung auch dadurch erfolgen kann, dass Sachen, die dieser Person gehören, entwendet oder zerstört werden). Mobbing bzw. Bullying als vor allem im schulischen Bereichen aktuell höchst relevanter Teilaspekt meint dabei das über einen längeren Zeitraum betriebene Schikanieren und Drangsalieren, vor allem mittels Beleidigungen, Demütigungen, Gerüchtestreuen, Drohungen und Ausgrenzungen. Ad 2 und Ad 3: Ausmaße, Entwicklung und soziale Faktoren von Gewalt und Mobbing an deutschen Schulen a) Ausmaße Die Ausmaße sogenannter Jugendgewalt sind weniger dramatisch als vielfach angenommen, denn laut polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) sind nur 2,2% der Jugendlichen gewalttätig, laut Dunkelfeldstudien (z. B. Baier u. a. 2009) 13,5%; harte, strafrechtlich relevante Delikte wie schwere Körperverletzung, Waffengebrauch oder Erpressung kommen kaum vor (laut PKS nur 1,2% der Jugendlichen.), schon aber weniger harte physische Gewaltformen wie Schlagen und Treten (in Hessen z.b. prügeln sich nach einer landesweiten Studie ein Drittel der Schülerinnen und Schüler mindestens einmal während eines Jahres) und mehr noch verbale Attacken (über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler in Hessen beziehungsweise Sachsen nehmen sie mehrmals wöchentlich oder sogar täglich wahr; jeder zweite 15-/16-Jährige berichtet von Hänseleien und üblen Nachreden, die ihn im letzten Halbjahr getroffen haben; Baier u.a. 2009). Zu Mobbing: 4,3% werden wöchentlich Opfer von Hänseleien und üblen Nachreden; ignoriert (wie Luft behandelt): 1,6%; geschlagen/getreten: 1,2%; insgesamt sind ca. 5% wöchentlich von Bullying betroffen (= ca. eine/r pro Klasse); Als Täter/Täterinnen treten auf einmal beziehungsweise öfter pro Woche: 5%-9%; 2 bis 3 mal im Monat: 9% (Kl.5) bis 22% (Kl. 9); dabei 15-jährige Jungen bis zu über 30%. Insgesamt sind ca. ein Viertel der Jugendgewaltdelikte verortbar an Schulen beziehungsweise auf dem Schulweg Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 89

90 Forum 5 Gewaltprävention 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung b) Entwicklung Im Hellfeld der PKS-Daten zeigen sich ab 1998 bis 2009 folgende Trends: ein Rückgang der absoluten Zahlen der Jugendkriminalität (um 17,8%) auf knapp Tatverdächtige bei Rückgang der absoluten Zahlen der in Deutschland lebenden Jugendlichen um 9,7%; ein Anstieg der Tatverdächtigenbelastungszahlen (TVBZ) der Körperverletzungsdelikte (um rund 50%; ab 2007 allerdings mit kleinem Rückgang); ein Rückgang der Raubdelikte (um rund 23%); bei Mord/Totschlag nahezu gleiche (niedrige) TVBZn. Teils uneinheitliche Ergebnisse erbringt die empirische Längsschnitt-Forschung zum Dunkelfeld: laut Mansel/Hurrelmann (1998): erheblicher Anstieg von körperlicher Gewalt und Erpressung in allen Schulformen; laut Tillman u. a. (1999): erheblicher Anstieg körperlicher Gewalt nur in der Hauptschule, in anderen Schulformen konstant; laut Fuchs u.a. (2005): (Bayern): Bei den meisten Gewaltformen 2004 geringeres Niveau als 1994; Zunahme verbaler Gewalt (vor allem in Hauptschulen) , danach wieder Abschwächung; nach Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (Baier 2008) (in München, Stuttgart, Hannover und Schwäbisch Gmünd): Rückgang von Gewalt (von 20,1% der Jugendlichen, die mindestens eine Gewalttat per anno angeben, auf 17,2% = rund 1/6); Ähnliche Ergebnisse von Nicht-Anstieg (d. h. Rückgang beziehungsweise Stabilbleiben) bei Dünkel u. a. 2008; Baier u. a. 2009; Ribeaud/Eisner 2009; Streng Die Anzeigebereitschaft steigt (laut Opferbefragung zurzeit fast jede vierte Gewalttat), aber eine Brutalisierung der Taten ist nicht erkennbar; weder durch PKS-Daten, noch durch Verurteilten statisti ken (wo sich der Anstieg der PKS-registrierten Gewalt nicht niederschlägt), noch durch Dunkelfeldstudien, noch durch Daten der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (nach der zwischen die Zahlen folgenreiche Raufunfälle mit Frakturen um rund ein Drittel rückläufig sind); allenfalls ist eine Brutalisierung im Bereich der Mehrfachbeziehungsweise Intensivtäter registrierbar. c) Soziale Faktoren (Auswahl) Geschlecht: 3 bis 5,5 mal mehr Jungen sind Täter als Mädchen (z. B. Lösel/Bliesener 2003: 7,9% zu 1,6% treten/schlagen einmal pro Woche oder häufiger); Je härter die Gewalt ausfällt, umso größer ist der Jungen-Vorsprung. fast dreimal mehr Jungen als Mädchen sind (auch) Opfer von Gewalt. Als Entwicklungstendenz zeigt sich: Jungen sind immer noch zumeist Täter, aber Mädchen holen auf (nicht bei Raub, aber bei Körperverletzung) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

91 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 5 Gewaltprävention Alter: Die Gewaltspitze liegt zwischen 12 und 15 Jahren, vor allem in der 8./9. Klasse. Schulform, Schul- und Stadtgröße: Je niedriger die Schulform, desto häufiger kommt physische Gewalt vor. Keine relevanten Schulformunterschiede gibt es bei verbalen Aggressionen, Ignorieren Ausschließen u. ä. Kein nachgewiesener Zusammenhang besteht zwischen Gewalthäufigkeit und Schulgröße. Eher schwach ist ein Zusammenhang zwischen Stadtgröße und Gewaltneigung (Großstadt: 15%, Land: 13,2% Gewalttäter). Ethnie: Laut PKS sind ausländische Jugendliche deutlich stärker gewaltbelastet, aber ihr Vorsprung schmilzt zwischen 1998 und 2009 bei Körperverletzung vom 2,7-fachen aufs 2,5-fache, bei Raub vom 3,7-fachen aufs 3,4-fache. Nach verschiedenen Dunkelfeldstudien weisen Jugendliche mit Migrationshintergrund je nach Herkunftskultur bis zu 33% (IKG-Jugendpanel) beziehungsweise (Baier u. a. 2006) 50% bis ca. 100% höhere Prävalenzraten bei personaler Gewalt auf; Auch bei ihnen zeigt sich ein Rückgang bei Gewalt insgesamt zwischen 1998 und 2005/06, der aber geringer ausfällt als bei nicht-migrantischen Jugendlichen (Baier 2011). Das Wichtigste in diesem Kontext ist: Wenn Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund verglichen werden, die tatsächlich vergleichbare soziale Lagen und individuelle Lebenssituationen aufweisen (z. B. Hauptschulbesuch, Erfahrung elterlicher Gewalt, Vorhandensein gewaltbereiter Freunde, vor allem: Akzeptanz Gewalt legitimierender Männlichkeitsnormen), ergibt sich eine gleiche Gewaltbelastung (vgl. vor allem Baier u. a. 2006). Ad 4: Ursachen Die Ursachen von Gewalt sind multifaktoriell bestimmt. Besonders hohe Anfälligkeiten ergeben sich allerdings für (vor allem junge) Menschen, deren Erfahrungsmöglichkeiten in den zentralen Lebens- und Sozialisationsbereichen eingeschränkt sind; dies gilt vor allem für: Kontrollmangel beziehungsweise -verlust im Sinne eines Nicht-verfügen-Könnens über zentrale Lebensbedingungen, Fraglichwerden von systemischer und sozialer Integration, vor allem von Zugehörigkeit, Wertschätzung und Partizipation, Einschränkungen sinnlicher Erlebensweisen positiver Valenz (z. B. von Lebensfreude, positivem Körpererleben) und deren Verdrängung durch negativ getönte Gestimmtheiten, Unzureichende Sinnzuschreibungen und -erfahrungen sowohl in Hinsicht auf die eigene Existenz beziehungsweise Lebensführung als auch bezüglich der gesellschaftlichen Verhältnisse Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 91

92 Forum 5 Gewaltprävention 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Als Risikofaktoren wirken vor allem: familiäre Verhältnisse, die von Desorganisation, emotionaler Leere, Missachtung, Gewalt und rigiden Geschlechtsstereotypisierungen geprägt sind, Schul- und Bildungserfahrungen, die die dort betriebene Chancenverteilung als ungerecht, personal oder fraternal diskriminierend beziehungsweise benachteiligend, nicht oder kaum kompetenzförderlich, ja Selbstwert gefährdend interpretieren, Peergroup-Beziehungen, die uni- statt multiplex aufgebaut sind, alters- und geschlechtshierarchische Binnenstrukturen aufweisen, vornehmlich über Freund-/Feindstereotypen ihre Außenbeziehungen organisieren, vergeltungsorientierte Konfliktregelungsmechanismen bevorzugen, gewaltaffine Symboliken und Verhaltensweisen propagieren und von Geschlechterbildern geprägt sind, die männliche Hegemonie als Strukturprinzip gesellschaftlicher Geschlechter-Verhältnisse normalisieren (Möller 2011). Ad 5: Faktoren der Gewaltdistanz(ierung) in den Sozialisationsbereichen Jugendlicher Fast banal, jedenfalls hoch erwartungskonform fallen die (wenigen) forschungsgestützten Erkenntnisse aus, die es zu Faktoren der Gewaltdistanz(ierung) gibt. Im Einzelnen sind zu nennen: verlässliche und emotional positive Beziehungen zu den Eltern; sinnstiftende Schulerfahrungen mit der Möglichkeit zum Aufbau von Selbstwert; ausgrenzungs- und gewaltdistanzierende Haltungen des sozialen Umfelds, vor allem auch der Peers; Distanz zu Gewalt verherrlichenden Medien und Medienkompetenz; Entdeckungen biographisch neuartiger Quellen von Kontrollerleben und Integration außerhalb gewaltorientierter Cliquen und Szenen, insbesondere im Bereich von Arbeit und Beruf(sausbildung); Erleben persönlicher Wertschätzung und Liebe im Rahmen einer in der Regel gegengeschlechtlichen emotional tiefgehenden Partnerschaft; Verfügbarkeit über öffentlichen Raum und die Vermeidung territorialer Konflikte; Entwicklung gewaltferner geschlechtsspezifischer (insbesondere männlicher) Identität; politische und gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten; Zugewinn an personaler Kompetenz, vor allem in Hinsicht auf Affektkontrolle, Reflexionsvermögen, Empathie und verbaler Konfliktfähigkeit. Ad 6: Ansatzpunkte für Gewaltprävention in der Schule durch Schulentwicklung In der Konsequenz ergibt sich, Gewaltprävention an Schule nicht nur anlassbezogen und punktuell zu betreiben, sondern grundlegend in der Schulentwicklung zu verankern. Zu denken ist dabei vor allem an die in der folgenden Darstellung genannten Punkte Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

93 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 5 Gewaltprävention Leitlinie Herstellung einer motivierenden Lernkultur Förderung eines positiven schulinternen Sozialklimas Kooperation mit außerschulischen Partnern Umsetzungsmittel (Beispiele) Lebensweltbezug der Lerninhalte Fokussierung auf praktisches Handeln und Selbstwirksamkeitserfahrungen Schülerorientierter und an Identitätsentwicklung ausgerichteter Unterricht Gerechte Chancenstruktur Positive Anerkennungsmedien zu kompetenzbasierter Selbstwertstabilisierung auch für Leistungsschwächere und deren Ressourcen Stärkung sozialer Bindungen unter Schülerinnen und Schülern Haltungen der Akzeptanz und prinzipieller Wertschätzung zwischen Schülerschaft und Lehrkräften Förderung von Diskursivität, Partizipation und Verantwortung Vermeidung von Etikettierungen und Stigmatisierungen Produktiv-konstruktive Formen der Konfliktbearbeitung, z. B. Mediation Gemeinsame Etablierung von Regeln Verbindliche Interventionsregeln für das pädagogische Personal Klassen- und Schulregeln als verbindliche Verhaltensmuster Elternarbeit Gemeinwesen-/Stadtteilbezug Kooperation mit Vereinen, mit sozialen Einrichtungen (z. B. Jugendhilfe, Kindergarten) mit Wirtschaftsunternehmen Fazit 1. Gewaltprävention auch im Rahmen von Schule zu leisten, ist wichtig, ja unerlässlich. 2. Gewaltprävention muss als ursachenbezogene Strategie u. a. auch auf die kultur- und geschlechtsspezifischen Hintergründe von Gewaltakzeptanz bezogen sein. 3. Die Grundlinie von Gewaltprävention liegt dort, wo allen an Schule Beteiligten, insbesondere aber den Schülern und Schülerinnen Chancen und Optionen auf Lebensgestaltung eröffnet werden, also Kontrollerfahrungen, Integrationserfahrungen, positives sinnliches Erleben, Sinnzuschreibungen und genau darüber (und nicht zentriert auf entsprechende Trainings) die Entfaltung von Selbst- und Sozialkompetenzen. 4. Einzelne Projekte schulischer Gewaltprävention mögen vor allem sekundärpräventiv sinnvoll sein, dauerhaft wirksame Erfolge sind aber erst dann zu erwarten, wenn Gewaltprävention langfristig als Baustein von Schulentwicklung begriffen wird und sich in der Gestaltung der Strukturen und des Alltags von Schule niederschlägt. 5. Je mehr Ebenen Gewaltprävention in den Blick nimmt, mithin etwa die Ebene des Individuums, also der/des einzelnen Schülerin/Schülers und der einzelnen Lehrkraft, die Ebene der Klasse, die Ebene der Schule, die Ebene der Elternschaft, die Ebene des Gemeinwesens und die Ebene des Schulsystems, ja der Bildungspolitik, um so eher sind Erfolge zu erwarten Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 93

94 Forum 5 Gewaltprävention 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Sicher lässt sich von Vorsprüngen der einen oder anderen Schule in Sachen Gewaltprävention lernen. Modelle lassen sich aber nicht 1:1 übertragen. Maßnahmen der Gewaltprävention müssen vielmehr auf den konkreten Sozialraum vor Ort zugeschnitten werden am besten in Partizipation und in konstruktiver Zusammenarbeit aller an Schule beteiligten Gruppierungen. 7. Schulische Gewaltprävention erfordert eine Verbindung von schul- und sozialpädagogischen Kompetenzen und eine enge Zusammenarbeit des mit diesen Kompetenzen ausgestatteten Personals und zwar durchgängig im schulischen Alltag und nicht allein punktuell projektebezogen. Literatur Baier, D. (2008). Entwicklung der Jugenddelinquenz und ausgewählter Bedingungsfaktoren seit 1998 in den Städten Hannover, Müchen, Stuttgart und Schwäbisch Gmünd. KFN Forschungsbericht Nr Hannover Baier, D.; Pfeiffer, C.; Windzio, M. (2006). Jugendliche mit Migrationshintergrund als Opfer und Täter. In: Heitmeyer, W., Schröttle, M. (Hrsg.). Gewalt. Beschreibungen Analysen Prävention. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung 563. Berlin, Baier, D.; Pfeiffer, C.; Simonson, J.; Rabold, S. (2009). Jugendliche in Deutschland als Täter und Opfer von Gewalt. Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums der Innern und des KFN. Forschungsbericht Nr Hannover: Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen Dünkel, F.; Gebauer, D.; Geng, B. (2008). Jugendgewalt und Möglichkeiten der Prävention. Gewalterfahrungen, Risikofaktoren und gesellschaftliche Orientierungen von Jugendlichen in der Hansestadt Greifswald und auf der Insel Usedom - Ergebnisse einer Langzeitstudie 1998 bis Godesberg Fuchs, M. u.a. (2005). Gewalt an Schulen Wiesbaden: VS-Verlag Lösel, F.; Bliesener, T. (2003). Aggression und Delinquenz unter Jugendlichen. Neuwied: Luchterhand Mansel, J.; Hurrelmann, K. (1998). Aggressives und delinquentes Verhalten Jugendlicher im Zeitvergleich. Befunde der Dunkelfeldforschung aus den Jahren 1988, 1990 und In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 50, Möller, K. (2011). Gewaltaffine politische Haltungen bei Kindern und Jugendlichen. In: Deegener, G.; Körner, W. (Hrsg.). Gewalt und Aggression im Kindes- und Jugendalter. Ursachen, Formen, Intervention. Weinheim und Basel: Beltz, Polizeiliche Kriminalstatistik ( ). BKA: Wiesbaden Ribeaud, D.; Eisner, M. (2009). Entwicklung von Gewalterfahrungen Jugendlicher im Kanton Zürich. Oberentfelden: Sauerländer Streng, F. (2010). Gewalt und Fremdenfeindlichkeit in der Schule. Ergebnisse einer Replikationsstudie. In: Dölling, D.; Götting, B.; Meier, B.-D.; Verrel, T. (Hrsg.). Verbrechen Strafe Resozialisierung. Berlin: de Gruyter, Tillmann, K.-J. u.a. (1999). Schülergewalt als Schulproblem. Verursachende Bedingungen, Erscheinungsformen und pädagogische Handlungsperspektiven. Weinheim und München Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

95 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 5 Gewaltprävention 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 95

96 Forum 5 Praxisbeispiel Soziales Lernen 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Frau Beermann Tridemlehrerin, Katharina-Heinroth-Grundschule Frau Mintel Tridemerzieherin, Nachbarschaftsheim Schöneberg e.v. Soziales Lernen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

97 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 5 Praxisbeispiel Soziales Lernen 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 97

98 Forum 5 Praxisbeispiel Soziales Lernen 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

99 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 5 Praxisbeispiel Soziales Lernen 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 99

100 Forum 5 Praxisbeispiel Anti-Mobbing-Training 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Ralf Schmidt Schulsozialarbeiter, SchulWork Spandau Schule an der Haveldüne Anti-Mobbing-Training Das Training Das Anti-Mobbing-Training setzt sich, egal ob ein oder zwei Tage, aus folgenden Blöcken zusammen: Abb. 1: Ablauf des Anti-Mobbing-Trainings Bitte beachten: Nie ein Mobbingopfer oder eine/n Mobbinggeschädigte/n als Freiwillige/n für ein Spiel rund im die Betroffenheitssituation nehmen. Falls ein Anti-Mobbingtraining durchgeführt wird, weil ein aktueller Fall vorliegt, bitte den Tag vorher mit dem/der Geschädigten besprechen. Wir wollen keine traumatischen Erfahrungen hervorrufen. Beispiel für ein zweitägiges Anti-Mobbing-Training Ca. 26 Schüler Intention 1. Mobbingprozesse erkennen und thematisieren 2. Betroffenheit herstellen und möglichst Veränderungsprozesse in Gang zu setzen 3. Klassengemeinschaft/Sympathien stärken Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

101 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 5 Praxisbeispiel Anti-Mobbing-Training Erster Tag Intention Erste Öffnung für das Thema und eigene Definition der Gruppe Ziel Türöffner Was erwarte ich von dem Tag? Auflockerung Grenzen und Unterschiede von Mobbing, Konflikt und Streit ausarbeiten. Methodik Ansichtskarten oder ähnliche Spiele Spiel Zum Lachen bringen, Pärchenbildung Einer versucht immer, mit freundlichen Mitteln (ohne Körperkontakt) den anderen zum Lachen zu bringen. Der Andere versucht ganz, ganz ernst zu bleiben. Diskussion mit Hilfe von Eigenschaftskarten (Streit, Konflikt, Mobbingsituationen), die ausgelegt und verschiedenen Streitstufen zugeordnet werden sollen. Anschließende Konsensfindung über die Frage Was ist Mobbing? Definitionsfindung der Gruppe Aufklärung: Folgen von Mobbing Auflockern Geführte Reflexionsphase Rechtliche Folgen: Köperverletzung, Beleidigung usw. Seelische Folgen: Krankheiten Spiel Stand halten Pärchen stehen sich gegenüber und strecken die Arme aus. Die Handflächen berühren sich. Die Gegner versuchen sich aus dem Gleichgewicht zu bringen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 101

102 Forum 5 Praxisbeispiel Anti-Mobbing-Training 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Zweiter Tag Ziel Wahrnehmung der/des Anderen Türöffner Rollen- und Sichtwechsel Betroffenheitssituation herstellen Pause Verbalisierung der Betroffenheit Intention: Aufdeckung von Mobbing-Strukturen Rollenverdeutlichung beim Mobbing Hilfemöglichkeiten bei Mobbing entwickeln Auflösung der Anspannung Pause Stärkung der Klassengemeinschaft Methodik Wahrnehmung Durch den Raum laufen mit der Aufgabe verschiedene Gefühle darzustellen (Freude, Ärger, Wut etc.) Spiel: Alle stehen im Kreis und ignorieren den Freiwilligen in der Mitte Spiel: Ich komme auf eine Party und alle ignorieren mich Spiel: Ich komme auf eine Party und alle machen sich über mich lustig Kurzer Stuhlkreis Szenisches Spiel (typische Mobbingsituation auf dem Pausenhof darstellen und geführte Reflexion) Standbild: Opfer, Täter, Mitläufer beschreiben Standbild kommt aus der eigenen Erfahrung Veränderung des Standbildes durch Teilnehmer unter der Frage: Was kann ich am Standbild ändern, um zu helfen Spiel: Der böse Blick Zwei Spieler gehen wie im Westernduell mit bösen Blicken auf einander zu. Wer lacht, verliert. Spiel, zum Beispiel: Freundschaftsbrief Jeder hat einen Zettel auf dem Rücken. Der Rest der Klasse schreibt etwas Positives über den Träger auf diesen Zettel Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

103 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 5 Praxisbeispiel Anti-Mobbing-Training Literatur Taglieber, Walter (2005): Berliner Anti Mobbing Fibel, Berlin Gerlach, Nicole: Mobbing Ein Praxis- und Methodenhandbuch Alasker, Francoise D. (2003): Quälgeister und ihre Opfer. Mobbing unter Kindern und wie man damit umgeht Kasper, Horst (2003): Prügel, Mobbing, Pöbeleien. Kinder gegen Gewalt in der Schule stärken Kindler, Wolfgang (2002): Gegen Mobbing und Gewalt. Ein Arbeitsbuch für Lehrerinnen, Schülerinnen und Peergruppen Gilsdorf, R. ; Kistner, G. (2000): Kooperative Abenteuerspiele. Eine Praxishilfe für Schule und Jugendarbeit Gilsdorf, R. ; Kistner, G. (2001): Kooperative Abenteuerspiele II. Eine Praxishilfe für Schule und Jugendarbeit Kontakt: SchulWorkHavelduene@googl .com 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 103

104 Forum 6 Interkulturelle Öffnung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prof. Dr. Stefan Gaitanides, a.d. Universität Frankfurt Interkulturelle Öffnung von Schule und unterstützender Sozialpädagogik Einführung: Klärung von Grundbegriffen Bei aller Vieldeutigkeit und bei allen Differenzierungen, die die Begriffe Interkulturelle Orientierung, interkulturelle Kompetenz und Interkulturelle Öffnung im Verlaufe der sozialwissenschaftlichen und professionellen Debatte erfahren haben, lassen sich doch bestimmte Essentials herausfiltern. Interkulturelle Orientierung als Leitbild für die Organisationsentwicklung zielt letztlich auf die Erfüllung der menschenrechtlichen Orientierung des freiheitlich/demokratischen Rechts- und Sozialstaates. Daran angelehnt betrachtet es die von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Zuwanderungskommission ( Süssmuth-Kommission ) in ihrem Bericht von 2001 als Aufgabe von Integrationspolitik die gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unter Respektierung der kulturellen Vielfalt zu ermöglichen (Bericht, S. 200). Heterogene Lebensformen und -stile ebenso wie die Bildung kultureller Gemeinschaften sind verfassungsrechtlich geschützt solange sie nicht mit höherrangigeren Grundrechten kollidieren. Individuelle Freiheitsrechte haben einen höheren Rang als kulturelle Gruppenrechte. So beispielsweise auch im Falle der Schulen und der Kinder- und Jugendhilfe, wenn das Kindeswohl durch vorgebliche kulturell legitimierte Praktiken der Eltern gefährdet ist. Interkulturelle Kompetenz beinhaltet ein Set von analytischen, personalen, sozialen und handlungsorientierten Kompetenzen, die es ermöglichen in einer sozial und kulturell stark differenzierten Gesellschaft angemessen, erfolgreich und einer transkulturellen Ethik verpflichtet zu kommunizieren und kooperieren Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

105 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 6 Interkulturelle Öffnung Interkulturelle Öffnung (IkÖ): Dieser Begriff bezieht sich auf die Entwicklung einer inkludierenden Organisationskultur. Davon leiten sich strategische Ziele ab und ein auf Schlüsselprozesse fokussiertes Qualitätsmanagement zur Umsetzung dieser Ziele. Letzteres setzt im ersten Schritt eine kritische Bestandsaufnahme der Barrieren für Gruppen bestimmter Soziallagen und kultureller Orientierungen voraus, die Rezeption innovativer Konzepte, Methoden und Techniken zur Senkung der Zugangsschwellen und deren Passung an den spezifischen Kontext des Berufsfeldes und dessen Zielgruppe. Gleichwohl die angeführten Begriffe rein logisch umfassenderen Konzepten, wie dem des Diversity- Managements oder der inklusiven Arbeit (im erweiterten Sinne) subsumiert werden können, halten viele am wissenschaftlichen Diskurs beteiligte Autoren an diesen Begriffen aus zwei Gründen fest. Die Begriffswahl ermöglicht eine differenzierende Sicht auf die Gruppe der Zuwanderer und deren Kommunikations- und Interaktionsprobleme mit der Mehrheitsgesellschaft. Für die Beibehaltung des Aspektes Interkultur sprechen auch pragmatische Gründe. Diese Begrifflichkeit löst auf Grund der verständigungsorientierten Botschaft weniger psychologische Abwehr aus als beispielsweise das konfrontativere Label rassismuskritische (sozial)pädagogische Arbeit, gleichwohl die Wahrnehmung und Bearbeitung von Vorurteilen, Rassismus und Diskriminierung in der Agenda interkultureller Konzepte keineswegs ausgeklammert werden (s. u.). Zudem ist das interkulturelle Begriffstrio inzwischen von den wichtigen Akteuren in Politik und Gesellschaft weitgehend anerkannt und gibt den innovationsfreudigen Protagonist/inn/en legitimatorischen Rückenwind in Bereichen, die sich bisher den Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft viel zu wenig gestellt haben (siehe staatliche und kommunale Integrationspläne und -konzepte, die allesamt den Erwerb interkultureller Kompetenz und die IkÖ der Institutionen hohe Priorität einräumen). Im Weiteren sollen Leitlinien für ein Konzept interkultureller Öffnung skizziert werden. 1. Interkulturelle Orientierung des Leitbildes Man/frau braucht das Rad nicht völlig neu erfinden. Mittlerweile gibt es eine Fülle von einschlägigen Leitbildformulierungen, die sich an ähnlichen normativen Leitplanken orientieren, die allerdings auf das Aufgabenfeld des jeweiligen Berufsfeldes zugeschnitten werden müssen. Nichts ersetzt die diskursive Leitbildentwicklung im Mitarbeiterkreis. Nur durch die Herstellung eines Basis-Konsenses über gemeinsame Leitvorstellungen kann das Leitbild verinnerlicht werden und landet nicht in der Schublade. Wie wichtig ein gemeinsames Leitbild ist gerade zum Umgang mit dem Zuwanderungsthema, belegen die Erfahrungen des Referenten mit Teamkonflikten, die auf unterschwellige aber niemals grundsätzlich auf einer Metaebene diskutierten Dissens bezüglich der richtigen Integrationspolitik zurückgehen (Spannbreite zwischen kulturrelativistischen Multikulturalismus und Assimilation an die deutsche Leitkultur ). Bezüge zu einem Leitbild interkultureller Orientierung und Öffnung der Einrichtung Kultureller Pluralismus im liberal-demokratischen Verfassungsstaat, Vielfalt als Innovationsmotor und Voraussetzung für eine lebendige Demokratie Menschenrechte und Grundgesetz als unhintergehbare transkulturelle Wertebasis 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 105

106 Forum 6 Interkulturelle Öffnung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Gleichberechtigte Teilhabe aller an öffentlichen Gütern /Diskriminierungsverbot GG Art.3/Gleichbehandlungsgesetz ( ) Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Forum zur Bildung zur Bildung und Qualifizierung von Migrantinnen und Migranten (2002) Orientierung z. B. des KJHG an den besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnissen ( 9, Abs.1) Nationaler Integrationsplan von 2007, Integrationskonzepte der Länder (resp. zum Bildungsbereich), Leitlinien von Kommunen und Wohlfahrtsverbänden Dienstleistungsphilosophie (Bedarfsorientierung und Eingehen auf besondere Voraussetzungen der Adressaten) Leitmotive Interkultureller Pädagogik Nach meinem Verständnis muss sich die Interkulturelle Pädagogik an zwei Leitmotiven orientieren: erstens am Motiv der Gleichheit Gleichheit der Rechte, Gleichheit der Bildungs- und Sozialchancen, zweitens am Motiv der Anerkennung. Dies meint die Anerkennung von Lebensformen, kulturellen Symbolen, Überzeugungen, die für das Selbstverständnis anderer bedeutsam sind. Georg Auernheimer, Verfasser des Standardwerkes Einführung in die interkulturelle Pädagogik Verankerung der besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse im Leitbild Alle Kinder sind gleich, was ihre Rechte auf Entfaltung und Bildung, auf Identität und Schutz angeht. Und jedes Kind ist besonders, was seine Voraussetzungen, seinen Weltzugang, seine Erfahrungen angeht. Seine Besonderheit muss erkannt, seine Rechte anerkannt werden. Petra Wagner, Projekt Kinderwelten Vorurteilsbewusste Erziehung im Kindergarten 2. Personalentwicklung Anforderungsprofil (reflexive) Interkulturelle Kompetenz Dem interkulturellen Ansatz wurde in der Vergangenheit zu Recht oder zur Unrecht Kulturlastigkeit der Problemdiagnose und der davon abgeleiteten Handlungsorientierung zugeschrieben. Die Fokussierung auf kulturelle Aspekte abstrahiere von wichtigeren strukturellen (rechtlichen, politischen, sozialen) und sozialpsychologischen Ausgrenzungsmechanismen (Vorurteile, Stigmatisierung). Um diesen Verdacht auszuräumen haben Autoren, die trotz aller Kritik an diesem Begriff festhalten, das Adjektiv reflexiv hinzugefügt. Reflexiv meint das Bewusstmachen und Vermeiden der Kulturalisierungs- und Ethnisierungsfalle, der einseitigen Fokussierung auf kulturelle Aspekte. Was ist reflexive interkulturelle Kompetenz? Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, den einschlägigen sozialwissenschaftlichen Mainstream in zehn Thesen zu bündeln und zu konkretisieren. Vorausschickend muss gesagt werden, dass die angeführten Kompetenzziele in ihrer Vollständigkeit und Komplexität wohl von Niemandem erreicht werden können. Sie haben eher den Charakter von orientierenden Idealen, an die wir uns nur annähern können Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

107 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 6 Interkulturelle Öffnung 1. theoretische und selbstreflexive Auseinandersetzung mit einem statischen, totalisierenden und kollektivistischen Verständnis von Kultur/ Erarbeitung eines dynamischen, individualisierenden Kulturbegriffs z.b. Du als Türke = ethnisierende, kollektive Zuschreibung, Ignorierung individueller Selbstdefinition Kulturelle Orientierungssysteme sind historisch/gesellschaftlich wandelbar. Individuen übernehmen und verändern kulturelle Traditionen. Sie sind durch die kulturelle Tradition nur relativ geprägt und in sie nicht eingeschlossen. Ethnische und nationale Kollektive sind selten kulturell homogen. Die Grenzen und die Unterschiede zwischen den Kulturen sind je nach Wahl der Unterscheidungskriterien verschiebbar (Konstrukte). In der komplexen modernen Gesellschaft überschneiden und überlagern sich vielfältige (sub)kulturelle Bezüge (ethnisches, Lebensstil-Milieu, Schicht-, Berufs-, Betriebs-, Geschlechter-Kulturen, Generationsstile usw.) 2. Kenntnisse über Kulturstandards, die in der Interaktion auf beiden Seiten wirksam sein könnten/ Bewusstmachung ethnozentrischer Wahrnehmungs- und Deutungsmuster/ interkultureller Perspektivenwechsel/ Wissen um den hypothetisch/idealtypischen Charakter kultureller Deutungsmuster d. h. Offenheit für widerlegende Erfahrung Beispiel für ethnozentrische Verhaltensdeutung: Erwartung aktiver Erziehungspartnerschaft von Seiten der Schule und Deutung der wahrgenommenen Passivität als Desinteresse und Bequemlichkeit der Eltern. Es kann aber sein, dass diese die traditionelle Rollendefinition auf die Lehrer übertragen und sich aus Respekt gegenüber der alleinigen Kompetenz des Lehrers zurückhalten wie sie es aus ihrer Herkunftskultur kennen. Die Gründe können aber viel komplexer sein (s. u. Elternarbeit). Dies gilt es zu prüfen. 3. Spezifisches Wissensmanagement: Wo, durch wen kann ich mir einschlägiges Wissen aneignen, mich des Wissens anderer bedienen? Literatur, Expertenwissen, Arbeitskreise, Fachtagungen, nicht zuletzt: Klienten sind die besten Experten ihrer Lebenswelt 4. Vorurteilsbewusstheit : Erkennen der Strukturmuster von Vorurteilen/ Reflexion der psychologischen, sozial-psychologischen und/oder interessengeleiteten Funktion polarisierender und wertender Fremd- und Selbstbilder 63 Prozent der türkischen Eltern, die 2011 von Allensbach repräsentativ befragt wurden, sind der Meinung, dass viele Lehrer Vorurteile gegenüber Schülern aus Zuwandererfamilien haben (Demoskopisches Institut Allensbach 2011, S. 20). Ob es sich dabei um ein generalisiertes Metavorurteil handelt ( Alle Deutschen haben Vorurteile gegenüber Migranten! ), die durch einen besseren Kontakt von Elternhaus und Schule verringert werden könnten oder um die Verallgemeinerung konkreter Wahrnehmungen und Erlebnisse, bleibt dahingestellt. Dieser Eindruck mag auch entstehen durch die auch durch empirische Studien belegte Beobachtung, dass mitunter bei gleichem Leistungsstand bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund unterdurchschnittlich häufig eine Gymnasialempfehlung ausgesprochen 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 107

108 Forum 6 Interkulturelle Öffnung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung wird. Auch wenn dies oft mit der Sorge begründet wird, die Elternhäuser könnten die Kinder im Gymnasium weniger unterstützen, handelt es sich dabei um eine die/den einzelnen Schüler/ in und seine Familie diskriminierende, Stereotypisierung (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2007, S. 165). Eine Auswertung des Wissenschaftszentrums Berlin internationaler Studien über die psychosozialen Ursachen geringerer Schulerfolge von Migranten- und Kindern aus den unteren Sozialschichten verweist auf den herausragenden Faktor des Stereotype Threat. Stereotyp geringere Leistungserwartungen werden zur Self-fulfilling Prophecy, indem sie das Vertrauen der betroffenen Schülerinnen und Schüler in ihre Potenziale minimieren und damit die Leistungen und die Lernmotivation absenken (Schofield 2006, S.11). Das Thema Selbstreflexion von generalisierenden Zuschreibungen ist also von eminenter Bedeutung für eine gelingende interkulturelle Kommunikation und die Ausschöpfung der Potenziale der Elternhäuser wie der Schülerinnen und Schüler. 5. Reflexion des Einflusses des institutionell, gesellschaftlich, politisch usw. bedingten Machtgefälles auf die Interaktion (Experte/Laie, Dominanz der Mehrheitskultur, Etablierte/Außenseiter/ Ausschluss von der nationalen Wir -Gruppenidentität) Empowerment durch Kommunikation auf Augenhöhe, Ermöglichung von Selbstdarstellung und Ressourcenorientierung Ihr Muslime dürft ja nicht auf die Klassenfahrt 6. Multiperspektivische Sichtweise: Kultur ist nur ein Aspekt - neben Schicht/ Lebensstil-Milieu, Geschlecht, Generation, Minderheitenstatus, Sozialraum, individuelle Biographie (insbesondere Migrationsbiographie), institutioneller Kontext usw. / Individualisierende Wahrnehmung und Akzeptanz von Mehrfachzugehörigkeit 7. Sokratische Einstellung zum Stand des Wissens über den Anderen/die Andere: ( Ich weiß, dass ich nichts weiß! ) kompetenter Umgang mit Inkompetenz (Paul Mecheril) Manche (Sozial)Pädagog/inn/en, die sich ein rudimentäres Wissen angelesen haben und/oder eigene Erfahrungen generalisieren, meinen über die Familienkulturen ihrer migrantischen Gesprächspartner besser Bescheid zu wissen als diese selbst. Eine solche monologische Fremdetikettierung verstört das Gegenüber und blockiert die Bereitschaft zur Selbstoffenbarung. 8. Ambiguitätstoleranz: Unsicherheit, Ungewissheit, Mehrdeutigkeiten, Nichtwissen aushalten können, ja Nicht-Verstehen auch stehen lassen können/ Akzeptanz kultureller Verschiedenheit ohne Aufgabe professioneller und universalistischer ethischer Standards Ich bin wie ein Zirkel. Mit dem einen Fuß stehe ich fest auf dem Boden meiner persönlichen Werte, mit dem anderen wandere ich zwischen verschiedenen Welten. (Motto der Frankfurter Stadtverordneten Hilime Arslaner, frei nach Yunus Emre, anatolischer Sufi-Dichter, gest. 1321) 9. Pragmatische Kompetenz, Praktische Fantasie und Aushandlungsfähigkeit/ Erarbeitung intelligenter und kreativer Lösungen, die beiden Seiten Gewinn bringen oder zu tragfähigen Kompromissbildungen führen, ohne dass Kernidentitäten aufgegeben werden müssten, die schwer verhandelbar sind Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

109 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 6 Interkulturelle Öffnung Beispiel getrennt geschlechtlicher Sportunterricht im Schulcampus Rütli/Berlin: Mädchen lernen klettern an der Kletterwand der Turnhalle (pädagogische List: emanzipatorischer Effekt trotz Berücksichtigung konservativen Wunsch der Eltern nach Geschlechtertrennung) 10. Konflikt- und Dialogfähigkeit: Mit guten, möglichst transkulturellen Argumenten, Position beziehen können zu den Grenzen kultureller Toleranz (GG, Menschenrechte, Demokratie, Weltethos / H. Küng, usw.) respektvolle Einlassung auf die Argumente des Gegenübers bei Dissens (Diskursethik), sprachliche Verständigungsfähigkeit Differenzsensible Streitschlichterprogramme, Aktion Courage Schule gegen Rassismus, Klassenräte und partizipationsfördernde Ansätze, Übungen zur Demokratieerziehung mit Fokus auf Umgang mit Differenz (Ulrich u. a. 1997, Forschungsgruppe Jugend und Europa 1998, Ulrich 2000) Einstellung und Förderung von Personal mit Migrationshintergrund Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund verfügen zusätzlich zu der erforderlichen fachlichen Qualifikation meist über einen Vertrauensvorschuss bei der migrantischen Klientel und können diesen auch auf die Kolleginnen und Kollegen bzw. die Institution übertragen. Appelle der eigenen Leute auch konfrontative werden eher angenommen, und sie können als Rollenmodelle dienen, die den Spagat zwischen der Herkunftskultur und den Anforderungen der Einwanderungsgesellschaft gemeistert haben. Neben den muttersprachlichen Kenntnissen, die auch eine große Bedeutung für die Mitteilung von Emotionen haben, sind sie durch ihre Biographie mit der Lebenswelt der Zuwanderer relativ vertrauter. Kommunikationstheoretisch betrachtet bringen sie mithin besonders gute Voraussetzungen auf der Sach- und Beziehungsebene der Kommunikation mit sich. Dies gilt vor allem für die erste Generation aber auch für die zweite Generation der Kinder der Gastarbeiter und Flüchtlinge. Etwas abgeschwächt gelten die genannten Pluspunkte auch für migrantische Mitarbeiter anderer Ethnien, bei denen der Vertrauensbonus aus dem gemeinsame Migrations- und Minderheitenerleben resultiert. Die erleichterten Zugänge bedeuten aber nicht, dass sie automatisch zu besseren Resultaten der Interventionen führen. Neben den vorausgesetzten professionellen Kompetenzen müssen auch migrantische Mitarbeiter ihre interkulturelle Kompetenz weiterentwickeln. Das Inter bezieht sich dabei unter anderem auf die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und -reflexion eigener (sozio)kultureller Befangenheiten und zum (sozio)kulturellen Perspektivenwechsel. Nur dann können sie ihre kommunikative Brückenfunktion erfüllen hatten rund ein Viertel der Bildungsteilnehmer, aber nur 4,7% der pädagogisch tätigen Personen des formalen Bildungswesens einen Migrationshintergrund (Kuratorium Bildungsberichterstattung 2011, S. 77, Tab. D4-3A) Generell bin ich als Türkin und Schulleiterin (einer Offenbacher Schule) hier ein Vorbild. Ich denke, dass ich mit meiner Person das Selbstbewusstsein der Mädchen stärken kann. Als ich hier neu war, sagte ein albanisches Mädchen zu mir: Ich hätte nie gedacht, dass eine Türkin überhaupt Schulleiterin werden darf! Das ist das Wichtige: Wir müssen den Zuwandererkindern zeigen, dass sie nicht auf Friseurin, Kraftfahrzeugmechaniker oder Bürokauffrau beschränkt sind. Das versuche ich auch, den Eltern klarzumachen, besonders in Bezug auf die Mädchen. Da 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 109

110 Forum 6 Interkulturelle Öffnung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung herrscht doch noch oft die Meinung, dass Mädchen keine besondere Ausbildung bräuchten. (Interview Wiebke Rannenberg, Frankfurter Rundschau ) Interkulturelle Teamentwicklung Interkulturell zusammengesetzte Teams haben potenziell einen Problemlösungsvorteil gegenüber kulturell homogenen. Wobei mit unterschiedlichen kulturellen Orientierungen und Zugehörigkeiten nicht nur nationale Bezugsgruppen gemeint sind. Sie versammeln eine größere Vielfalt von Problemsichten wie von alternativen Lösungswegen und sie erreichen die Zielgruppe besser. Zudem haben interkulturelle Teams Vorbildcharakter, wenn es ihnen gelingt, ein Verhältnis des gegenseitigen Respekts und der Gleichberechtigung zu entwickeln. Wie aber die Erfahrung des Diversity-Managements mit heterogenen Teams zeigt, stellen sich die Synergieeffekte und reziproke Anerkennungsverhältnisse interkultureller Teams nicht naturwüchsig durch learning by doing together ein. Sie bedürfen eines expliziten Teamentwicklungsprozesses der sich an der Systematik des Diversity-Managements anlehnt. Dieses darf, um erfolgreich zu sein, auch die Machtproblematik nicht ausklammern. Machtprobleme ergeben sich, wenn die unterschiedlichen Sichten auf Probleme und Lösungsstrategien nicht gleichberechtigt ausgetauscht werden. Viele Lehrer/innen für Muttersprachen, Schulsozialarbeiter/innen und geschulte Mittler/innen mit Migrationshintergrund vermissen diese fruchtbare Kommunikation und Kooperation auf Augenhöhe. Auch quantitativ sind sie stark unterrepräsentiert und haben daher eine geringere Chance, mit ihrer Sichtweise durchzudringen (vgl. Gaitanides 2008b). Qualifizierung und Einsatz von interkulturellen MittlerInnen In den letzten Jahren hat es eine Reihe von Schulungen für Migrantinnen und Migranten mit guten Deutschkenntnissen und Bildungsvoraussetzungen gegeben, deren Fortbildungen als arbeitslos Gemeldete von der Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden. Sie erfüllen als Honorarkräfte eine wichtige Mittlerfunktion zwischen Elternhaus und Schule durch ihre Sprach- und Kulturmittlerfunktion und als Vertrauenspersonen. Sie sind allerdings kein Ersatz für sozialpädagogische Fachkräfte mit Migrationshintergrund und sollten eher eine fachlich angeleitete Ergänzungsfunktion haben ( Integrationslotsen, Stadtteilmütter, Migranten für Migranten usw.) (vgl. Gaitanides 2011). 3. IkÖ und Organisationsentwicklung einige wichtige Bausteine Deutschförderung und Mehrsprachigkeit als Ressource Empfehlungen und wissenschaftliche Positionen des vom Bund geförderten Projektes FörMig (Gogolin/ Neumann /Roth, Uni Hamburg) zum Zweitsprachenerwerb und bilingualer Beschulung Langfristiger sprachbewusster Unterricht in allen Fächern (immersives Lernen, d. h. im Lernkontext eingetauchtes Lernen) Bilinguale Alphabetisierung im Anfangsunterricht (vgl. KOALA koordinierte Alphabetisierung im Anfangsunterricht in NRW und Hessen), in das Unterrichtsprogramm integrierter, koordinierter Muttersprachenunterricht bilinguale Schulen als Wahlangebot Die Herausgeberinnen des Buches Streitfall Zweisprachigkeit kommen zu dem Resümee (Gogolin/ Neumann 2009): Die Interdependenzhypothese, die von der These ausgeht, dass der Erwerb der Schulsprache des Immigrationslandes durch den Erwerb der entwickelten Form der der Muttersprache be Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

111 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 6 Interkulturelle Öffnung günstigt wird, ist zwar umstritten beziehungsweise der wissenschaftliche Streit darüber noch nicht entschieden, aber es herrsche weitgehender Konsens darüber, dass die systematische Muttersprachenförderung den Erwerb der Zweitsprache nicht schadet (widerlegte Annahme der doppelten Halbsprachlichkeit ), Bilingualität die metasprachliche Reflexion stärkt und den Erwerb der Drittsprache erleichtert, hilft Identitätsbrüche zu abzufedern, die Beziehung der Kinder zur Familie festigt, die Eltern näher an die Schule heranrückt, horizontale und vertikale Mobilitätsperspektiven für die Zukunft offen hält. Niedrigschwellige interkulturelle Elternarbeit und -bildung Eine Studie des Referenten, die unter anderem die Partizipation von Migranteneltern an Elternabenden erforschen sollte, ergab eine Gemengelage aus sprachlichem und inhaltlichen Nichtverstehen (insbesondere der verwendeten Begriffe und Sachverhalte), Arbeitsbelastungen (insbesondere des deutschkundigen berufstätigen Elternteils), Erwartung von abwertender Kritik, emotionale Distanz zur Schule auf Grund eigener negativer Schulerfahrung (insbesondere bei den Eltern aus der zweiten Generation) und die schon oben erwähnte kulturelle vermittelte Delegation der schulischen Leistungserziehungsaufgaben. Keine der befragten Eltern nannte mangelndes Interesse als Grund für geringe Beteiligung (Gaitanides 2008). Niedrigschwellige Projekte der Elternarbeit und Elternbildung zeigen, dass der Graben überwunden werden kann. Die Eltern der jeweiligen Schulen werden in drei Sprachen eingeladen und in unterschiedlichen Räumen über die ausgewählten Themen und Anliegen informiert. Da die anwesenden Fachleute die Sprache der Eltern sprechen, werden die Inhalte von allen Teilnehmerinnen verstanden. Bei einer Befragung von Eltern mit Migrationshintergrund gaben viele an, dass sie bei herkömmlichen Elternabenden nur etwa zehn Prozent des Inhaltes verstanden hätten, und danach den Versammlungen ferngeblieben seien. Dieses Fernbleiben wurde von vielen Schulen als Desinteresse an der Erziehung der Kinder interpretiert was wiederum bei vielen Eltern mit Migrationshintergrund zu Unverständnis führte. (Multikulturelle Elternarbeit in Berlin Neukölln, Projekte des Vereins Aufbruch Neukölln e.v. Wichtig ist auch eine Willkommenskultur. Die Institutionenängste der Eltern können durch interkulturelle gestaltete Begrüßungsveranstaltung und Hausbesuche beim Schuleintritt verringert werden. Die Qualität des Erstkontaktes beeinflusst die spätere soziale Wahrnehmung erheblich. Berührungsängste insbesondere der schlecht deutsch sprechenden nachgereisten Ehegatt/innen können darüber hinaus durch in der Schule angesiedelte Sprachkurse ( Mama lernt Deutsch und Papa auch ), durch Elterncafés und die Einbeziehung von Multiplikator/innen aus Migrantenselbstorganisationen in die Organisation von Schulfesten abgebaut werden. Die Elternarbeit der Schule kann neuerdings auch von Familienzentren in benachteiligten Quartieren profitieren, die nach den Ansätzen der britischen Early-Excellence-Center konzipiert sind. Hier lernen die Eltern das Erziehungsalphabet und schärfen ihr Bewusstsein für die Wirkung familiärer Sozialisationsstile Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 111

112 Forum 6 Interkulturelle Öffnung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Revision der Curricula bezüglich Stereotypen und Mondialisierung Wie wichtig eine Schulbuchrevision ist, die Texte und Bilder nach abwertenden Stereotypen durchforstet, belegen erneut jüngere Untersuchungen: Kunz, Thomas (2009): Von Kopftüchern, Flaggen und Außenseitern. Fremdheitsbilder im Schulbuch in: Diehm, Isabell/ Gomolla, Mechtild/ Kunz, Thomas/ Özoguz, Aydan/ Tillmann, Klaus-Jürgen/ Walther, Christoph/ Weber, Martina) (Hg.): SCHÜLER. Wissen für Lehrer. MIGRATION, Seelze, S Georg-Eckert-Institut (2011): Keine Chance auf Zugehörigkeit? Schulbücher europäischer Länder halten Islam und modernes Europa getrennt. Ergebnisse einer Studie des Georg-Eckert-Instituts Braunschweig für internationale Schulbuchforschung zu aktuellen Darstellungen von Islam und Muslimen in Schulbüchern europäischer Länder 2011 ( In Holland wird schon seit 30 Jahren der Begriff der Mondialisierung des Curriculums für die Perspektivenerweiterung des Unterrichts verwendet. Dort werden beispielsweise Weltkarten aus anderer geografischer Perspektive miteinander verglichen (Es gibt auch andere Blickwinkel auf die Erde). Die Kreuzzüge werden aus christlichen und muslimischen Quellen betrachtet und die Zivilisationsentwicklung mit bereichernden Kulturkontakten in Verbindung gebracht (woher kommt die Rose, die Kartoffel, die bahnbrechende mathematische Erfindung der Null?). Pädagogische Devise ist: Das Ähnliche und nicht das Trennende herausarbeiten ohne die variablen Antworten der Menschheit auf die zentralen transkulturellen Probleme und Bedürfnisse auszublenden. Öffnung zum multikulturellen Stadtteil (Stadtteil-Kita/-Schule) Die Öffnung der Schule zum multiethnischen Stadtteil kann in zwei Richtungen erfolgen: Die Schule geht in den Stadtteil etwa durch Stadtteilerkundungen und Vereine, Initiativen und religiöse Gemeinschaften des Stadtteils nutzen die Räume in unterrichtsfreien Zeiten. Schulen mit Nachmittagsangeboten können Kooperationen z. B. mit Sportvereinen anbahnen. Die zivilgesellschaftlichen Akteure können für Elternbildungsveranstaltungen, die auf das Bildungsthema fokussieren, mobilisieren. Bisher geschieht dies eher im Kontakt mit den etablierten deutschen zivilgesellschaftlichen Akteuren. Ein proaktives Zugehen auf Migrantenorganisationen und Kooperationen ist eher selten zu beobachten (Ergebnis eines des Verbund-Projektes Zuwanderer in der Stadt, das die Partizipation von Migranten an den Projekten Soziale Stadt evaluiert hat Schader-Stiftung u.a. 2007). Dabei ist es wichtig auf eine egalitäre Kommunikationsstrategie zu achten, damit diese Organisationen sich nicht als Wasserträger für den kulinarischen Multikulturalismus instrumentalisiert fühlen. 4. Begünstigende strukturelle Rahmenbedingungen Die Chancen der Realisierung einer interkulturellen Öffnung der Schule wachsen mit der Umsetzung der in der Fachwelt favorisierten Reformkonzepte. Eine Schule, in der die Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Herkunft möglichst lange zusammenbleiben, in der nicht früh selektiert wird, die ihren pädagogisch-didaktischen Schwerpunkt auf individuelle Förderung und einen Ausbau der pädagogischen Vermittlung von Sozialkompetenzen und Persönlichkeitsentwicklung setzt, die präventiv auf den schwierigen Übergang zur Berufsausbildung vorbereitet und durch gruppenpädagogische Ganztagsangebote Gelegenheitsstrukturen zur Bildung interethnischen Freundschaftsnetze schafft, würde letztlich interkulturelle Ansätze in den Hintergrund rücken, wenn auch nicht überflüssig machen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

113 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 6 Interkulturelle Öffnung Um den Monolingualismus der deutschen Schule bezüglich der Herkunftssprachen zu überwinden, müssten auch rechtliche und strukturelle Voraussetzungen geschaffen werden: Durch die die Integration des Muttersprachenunterrichts in den Regelunterricht ohne zusätzlichen Belastungen in der Primarstufe und die Anerkennung der Herkunftssprachen als zweite oder dritte (notenrelevante) Fremdsprache in der Sekundarstufe. Diese Integration kann aber nur gelingen, wenn das dafür eingestellte Personal mit Migrationshintergrund das deutsche Bildungssystem kennt und beim deutschen Schulträger angestellt ist. 5. Stolpersteine und Hoffungsschimmer Vorläufig findet die Interessenartikulation der Zuwanderer durch den schwierigen Zugang zur Staatsbürgerschaft insbesondere durch den Ausschluss der doppelten Staatsbürgerschaft noch wenig Gehör. Gering ist auch der Einfluss der zivilgesellschaftlichen Verbände. Im Gegenteil, die Politik lässt sich von populistischen, fremdenfeindlichen und islamophoben Strömungen in die Defensive treiben. Wie die Resonanz des Sarrazin-Buches belegt, hat der populistische Trend zur Propagierung einer repressiven assimilativen Integrationspolitik inzwischen große Teile der Mitte der Gesellschaft erreicht. Mit der angeblichen Multikulti-Kuschelpädagogik soll Schluss sein. Ausdruck der von Zukunftsängsten in dieser krisengeschüttelten Zeit gespeisten Entwicklung ist auch die Boykottierung des inklusiven Projektes der Gemeinschaftsschule. Das Beispiel Hamburgs hat gezeigt, wie interessengeleitete Kampagnen die flächendeckende Einführung von zaghaften Schritten in Richtung Gemeinschaftsschule durch einen gut organisierte Kampagne verhindert werden kann. Die einflussreichen gehobenen Mittel- und Oberschichten verteidigen mit ihrem Kampf um die Festung Gymnasium ihre Privilegien. Wo sie ihn verlieren, droht die Abwanderung in Privatschulen. Letztlich kann das Bildungssystem die soziale Spaltung in Familien mit bildungsfördernden Ressourcen und solchen die weniger über ökonomisches, kulturelles und symbolisches Kapital verfügen, nicht wesentlich, auch nicht durch ein reformiertes Schulwesen, kompensieren. Die sozialen Schließungstendenzen verhindern auch bei guten Schul- und Ausbildungsabschlüssen chancengleiche Positionierung im Beschäftigungssystem (Beicht/Granato 2009). Bildung allein ist eben nicht die Lösung. Dies auch der Politik und der Wirtschaft ins Brevier geschrieben, die den schwarzen Peter für die Sozialintegration vor allem den Schulen zustecken. Mit der Beschreibung dieses Szenarios sollen die Möglichkeiten zur Ausschöpfung der dennoch vorhandenen Handlungsspielräume des Bildungssystems nicht klein geredet werden. Modellprojekte von Schulen, die vor Einführung der Modellphase vor dem Aus standen wie die Berliner Rütlischule, zeigen, dass eine Kehrtwende möglich ist. Dies setzt aber neben pädagogischen und organisatorischen Innovationen, die auch den Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft gerecht werden, ein Mehr an Ressourcen voraus, ohne die das Campus Rütli wohl auch nicht möglich gewesen wäre. Die demographische Entwicklung und der Fachkräftemangel lassen hoffen, dass unter dem zunehmenden Nachfragedruck der Wirtschaft in Zukunft mehr Geld für die Bildung in die Hand genommen wird und Reformen zügiger durchgeführt werden. Dies gilt respektive für die besondere Förderung von Schulen in benachteiligten Quartieren mit einem hohen Migrantenanteil. Damit würde eine Empfehlung der Kultusminister der Länder eingelöst, die im Nationalen Integrationsplan von 2007 ausgesprochen 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 113

114 Forum 6 Interkulturelle Öffnung 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung wurde. Überdurchschnittlich ausgestattete Magnetschulen in diesen Quartieren könnten auch dem ungebremsten Trend zur sozialen wie ethnischen Entmischung und Desintegration entgegenwirken. Literatur Beicht, Ursula; Granato, Mona (2009): Übergänge in eine berufliche Ausbildung. Geringere Chancen und schwierige Wege für junge Menschen mit Migrationshintergrund. In: Diskurs September 2009 ( Bericht der unabhängigen Kommission Zuwanderung (2001): Zuwanderung gestalten. Berlin Demoskomisches Institut Allensbach (2011): Bildungsambitionen und Erziehungsziele von Eltern in Deutschland. Eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Vodafone Stiftung ( Gaitanides, Stefan (2008): egal was für einen Hintergrund sie haben, es sind doch alles unsere Schüler. Schule und Familien mit Migrationshintergrund eine Gemeindestudie. Frankfurt am Main Gaitanides, Stefan (2008b): Interkulturelle Teamentwicklung Beobachtungen in der Praxis. In Auernheimer, Georg (Hrsg.)(2008): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität. Wiesbaden, S Gaitanides, Stefan (2011): Zugänge der Familienarbeit zu Migrantenfamilien. In: Fischer, Veronika; Springer, Monika (Hrsg.) (2011): Handbuch Migration und Familie. Schwalbach, Ts., S Gogolin, Ingrid/ Neumann, Ursula (Hrsg.) (2009): Streitfall Zweisprachigkeit The Bilingualism Controversy. Wiesbaden Konsortium Bildungsberichterstattung, herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (2007): Bildung in Deutschland Berlin Konsortium Bildungsberichterstattung, herausgegeben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (2011): Bildung in Deutschland Berlin Schofield, Janet Ward (2006): Migrationshintergrund, Minderheitenzugehörigkeit und Bildungserfolg Forschungsergebnisse der pädagogischen, Entwicklungs- und Sozialpsychologie. Berlin ( eu/zkd/aki/publications.de.htm) Schader-Stiftung, DST, GdW, DifU, InWIS (Hrsg.) (2007): Handlungsfeld: Stadträumliche Integrationspolitik Ergebnisse des Projektes Zuwanderer in der Stadt. Darmstadt Ulrich, Susanne/Henschel, Thomas R./ Oswald, Eva, Hrsg. Bertelsmann Stiftung (1997): Miteinander Erfahrungen mit Betzavta. Praxishandbuch für die politische Bildung. Gütersloh Forschungsgruppe Jugend und Europa, Hrsg. Bertelsmann Stiftung (1998): Eine Welt der Vielfalt. Praxishandbuch für Lehrerinnen und Lehrer. Gütersloh Ulrich, Susanne (2000): Achtung (+) Toleranz. Wege demokratischer Konfliktregelung. Praxishandbuch für die politische Bildung. Gütersloh Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

115 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 6 Interkulturelle Öffnung 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 115

116 Forum 6 Praxisbeispiel Interkulturelle Trainingseinheiten 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Neriman Korkmaz Schulsozialpädagogin, SOS BAZ Berlin Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule Projekt: Interkulturelle Trainingseinheiten unter dem Aspekt kultureller Differenzen (Fit-for-Life-Trainings) 1. Begriffsklärungen Interkulturell Reduziert, bezieht sich nicht nur auf Migrationshintergrund, sondern beinhaltet unter anderem Sozialisation, Machtverhältnisse, Behinderungen, Integrationsstatus, Außenseitersein von der Norm abweichen Lern- und Wissenslücken haben... Kulturelle Differenzen Was bringen die Schüler und Schülerinnen für besondere Eigenschaften mit, die sie zu Außenseitern und Außenseiterinnen oder Rebellen machen? 2. Zielgruppe für dieses Projekt Acht Schülerinnen aus den siebenten und achten Klassen (JüL-Klassen), die einerseits von Mobbing betroffen waren oder noch sind und/oder auch selber Schüler und Schülerinnen mobben. 3. Dauer des Projektes Ein Schulhalbjahr, einmal pro Woche jeweils 90 Minuten im Rahmen von MiA-Angeboten ( Mittwochs im Angebot, Pflichtfreizeitangebot). Schüler und Schülerinnen haben die Möglichkeit, ein Angebot für ein halbes Jahr zu wählen. Zu diesem Kurs sind die Schülerinnen entweder durch Klassenlehrer/innen oder durch die Sozialpädagogin selbst angeworben worden, da die beteiligten Schülerinnen mit gleichen oder ähnlichen Problematiken zu tun hatten und zum größten Teil schwer zu unterrichten waren. 4. Ziel des Projektes Die Schülerinnen zu sensibilisieren, Konflikte konstruktiv zu lösen Das Selbstwertgefühl zu stärken: Sich mit ihren Stärken und Schwächen auseinander zu setzen und damit ihrer persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten bewusst zu werden Eigene sowie die Grenzen anderer kennenlernen Die Trainerin / Schulsozialpädagogin entdeckt die Ressourcen der Schülerinnen, um sie auch während der Beratung und Unterstützung im Schulalltag zu stärken und zu fördern. Sich im Schulleben wiederfinden und wohl fühlen (Entwickeln einer Willkommenskultur) und sich damit als Person mit unterschiedlichen Bedürfnissen angenommen und respektiert fühlen 4.1. Ansatz bei diesem Projekt Ganzheitlich - neben eindeutigen, themenbezogenen Inhalten werden immer eine Vielzahl anderer Bereiche gestreift, z. B. gruppendynamische Prozesse wie: Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

117 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 6 Praxisbeispiel Interkulturelle Trainingseinheiten Meinungsbildung Die Übung der Diskussion Die Darlegung unterschiedlicher Standpunkte Angewandte Trainingseinheiten Abgewandelte Formen der zwölf Bausteine des Fit-for-Life-Trainings nach Prof. Gerd Jugert: Kommunikation Konflikte, Gewalt Gesundheit, Ernährung Freizeitgestaltung usw. Anti-Gewalt-Trainings: Formen von Gewalt Fördern von Konfliktfähigkeit in Gewaltsituationen usw. Interkulturelle Trainings: Andersartigkeit Fremd sein Außenseiter/in sein usw. 6. Angewandte Methoden Kennenlern-Übungen Rollenspiele Gegenseitige Interviews Mediationsübungen Übungen in Kleingruppen mit anschließenden Präsentationen, Feed-back-Kultur und Auswertungen Gesamtergebnis dieses Angebotes Die Schulsozialpädagogin/Trainerin lernt die Ressourcen der Schülerinnen kennen und fördert die Schülerinnen mit Hilfe aller beteiligten Lehrer/innen und Eltern gemeinsam. Unter anderem erfährt sie, dass alle beteiligten Schülerinnen in diesem Projekt mindestens ein Musikinstrument gespielt haben oder noch spielen. Sie spricht mit Klassenlehrer/inne/n und der Musiklehrer/inne/n darüber. Musiklehrer/ inne/n üben mit diesen Schülerinnen gemeinsam mehrere Musikstücke, und einige dieser Schülerinnen führen die eingeübten Musikstücke bei der Einweihungsfeier der neuen Schüler/innen der siebenten Klassen vor versammeltem Publikum in der Aula auf. Alle acht Schülerinnen sind inzwischen mit Hilfe aller beteiligten Unterstützer/innen gut in das Schulleben integriert und haben gute Freundschaften innerhalb der Schule geschlossen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 117

118 Forum 6 Praxisbeispiel Mondfest 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Stefanie Schmiereck Tridemlehrkraft, Feldmark-Grundschule Katrin Janot-Gotsch Tridemerzieherin, Feldmark-Grundschule Tobias Buchholz Schulsozialarbeiter, Sozialpädagogische Arbeit im Kiez (SPIK e. V.) Frau Loan Kulturdolmetscherin Interkulturelle Schulsozialarbeit Kulturmittlung an der Feldmark-Schule in Berlin-Hohenschönhausen Allgemeine Informationen zur Feldmark-Schule 440 Schülerinnen und Schüler Was wird gemacht? Vietnamesische und russische Kulturmittlung mittels regelmäßiger Sprechstunden-Angebote durch Muttersprachlerinnen in der Räumlichkeiten der Schulsozialarbeit. Durchführung vietnamesischer Mondfeste Der Anteil der Schüler/innen mit Migrationshintergrund liegt an Hohenschönhausener Grundschulen bei ca. 35 %, wobei der Großteil davon aus vietnamesisch-stämmigen Elternhäusern kommt. Die zweitgrößte Gruppe bilden Kinder aus russischen Herkunftsfamilien. Die zentrale Frage bei der Entwicklung des Praxisbeispiels war: Wie können Eltern, die keine, schlechte oder nur marginale Erfahrungen mit schulischer Bildung in Deutschland gemacht haben, stärker in die Aktivitäten von Schule einbezogen werden und ihre Kinder wirkungsvoll unterstützen? Nahziel bei der Kulturmittlung wie auch bei der Ausrichtung der Mondfeste ist es, die entsprechenden Elternhäuser über die Mitwirkung an schulischen Veranstaltungen aktiv am Schulgeschehen zu beteiligen. Sie sollen erfahren, dass sie den Schullalltag aktiv mitgestalten können und dabei in Kontakt mit den Lehrkräften, Erzieher/innen und den Eltern der anderen Kinder kommen. Mittelfristig sollen die Kontaktaufnahme und die Zusammenarbeit von Eltern und Schule in Erziehungsfragen verbessert werden. Das langfristige Ziel besteht darin, auch Eltern mit Migrationshintergrund für die Partizipation im Rahmen der schulischen Gremienarbeit zu gewinnen (Elternsprecher, Gesamtelternvertretung, Schulkonferenz). Kulturmittlung Der Träger der Schulsozialarbeit hält an der Schule ein vietnamesisches beziehungsweise russisches Kulturmittlungs-Angebot in der Form offener Sprechstunden für die Schüler, Eltern (Familien) sowie für das pädagogische Personal der Schule vor. Das Ziel der Kulturmittlung geht dabei weit über reine Über Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

119 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 6 Praxisbeispiel Mondfest setzungstätigkeiten hinaus. Bei der Kulturmittlung können Eltern und Lehrer gegenseitiges Verständnis entwickeln und ihren Horizont bezüglich der je unterschiedlichen kulturellen Normen und Werte erweitern. Mondfeste Das Mondfest zum Herbstbeginn ist ein traditionelles Fest in Vietnam, bei dem die Kinder mit Naschereien und Überraschungen beglückt werden. Im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung werden folgende Inhalte verfolgt. Vermittlung der vietnamesischer Traditionen und Kultur: Die Feste und Rituale des vietnamesischen Kalenders werden an der Schule bekannt gemacht. Die Wertschätzung und Anerkennung anderer Menschen und Gebräuche werden kommuniziert und als integraler Bestandteil des Schulalltags erfahrbar gemacht. Für wen wird es gemacht? Die Zielgruppe der Kulturdolmetscherin sind das pädagogische Personal der Feldmark-Schule, die Schüler/innen und deren Eltern beziehungsweise Familien mit vietnamesischem oder russischem Familienhintergrund. Eingeladen zum Mondfest werden alle Kinder, die die Schule besuchen, deren Eltern und Familien sowie das Schulpersonal. Wie wird es gemacht? Kulturmittlung Feste Kulturmittler-Sprechstunden durch Muttersprachlerinnen (vietnamesisch, russisch) an der Schule zu verbindlichen Zeiten (freitags 9 bis 11 Uhr). Neben der klassischen Übersetzertätigkeit werden bei der Kulturmittlung kulturell unterschiedliche Erwartungen an Schule und Elternhaus bezüglich der Schulbildung verdeutlicht, um so kulturell bedingte Missverständnisse zu erkennen beziehungsweise diesen im Idealfall vorzubeugen. Die Kulturmittlerinnen vermitteln in schulischen Elterngesprächen und zeigen dabei Möglichkeiten für einen respektvollen Umgang mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Neben den angebotenen Sprechstunden beteiligen sie sich auf Nachfrage an der schulischen Gremienarbeit und bei Elterntreffen der Schulsozialarbeit. Eltern von Schüler/innen mit Migrationshintergrund lernen so die Erziehungs- und Bildungsziele der deutschen Schule besser kennen. Sie werden informiert über die unterschiedlichen Bildungsmöglichkeiten und Bildungsgänge. Überdies werden sie über die elterlichen Anforderungen informiert und den Beitrag, den sie leisten müssen. Das Augenmerk ist dabei aber nicht auf die Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit Migrantenfamilien gerichtet, sondern auf die Gelingens-Faktoren: Was trägt dazu bei, dass Eltern mit Migrationshintergrund die schulischen Angebote besser nutzen? Mondfeste Zweimal schon wurde an der Feldmark-Schule, finanziert aus Mitteln des Jugend- und des Kulturamts, ein vietnamesisches Mondfest gefeiert Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 119

120 Forum 6 Praxisbeispiel Mondfest 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Der Ablauf Etwa einen Monat vor dem eigentlichen Fest wurden alle vietnamesischen Eltern einzeln, schriftlich und zweisprachig zu einem Elterntreffen an der Feldmarkschule durch den Schulsozialarbeiter eingeladen. Ebenfalls bei der Durchführung des Elterntreffens beteiligt war die vietnamesische Kulturdolmetscherin, die auch ansonsten die Kommunikation zwischen Schule und diversen Elternhäusern begleitet. Es wurde dabei über das Vorhaben des Mondfestes informiert und die Eltern um deren Mitwirkung gebeten. Diverse Eltern erklärten sich bereit, aktiv an der Vorbereitung und der Durchführung des Festes mitzuwirken. Die zugesagte Unterstützung reichte dabei von der Zubereitung traditioneller vietnamesischer Speisen über die Betreuungsarbeit mit Kindern für kulturelle Darbietungen bis hin zur Gästebetreuung während des Festes. Während des vietnamesischen Mondfestes konnten so landestypische Speisen und Getränke sowie Kaffee und Kuchen serviert werden. Durch Kindergruppen wurden traditionelle vietnamesische Gesänge und Tänze dargeboten und es wurde eine Dia-Show über Vietnam gezeigt. Höhepunkt der Feier war der Auftritt einer traditionellen Drachentanz-Gruppe, die es den anwesenden Gästen ermöglichte, zum Abschluss der Vorführung selbst auf der Bühne mitzuwirken. Mit wem wurde es gemacht? Öffentlichkeitsarbeit für die Veranstaltung über die Gesamtelternvertretung (GEV) Betreuung eines Kinderchores / einer Kindertanzgruppe durch den Betreuungsbereich der Schule (Hort) Bereitstellung der Räumlichkeiten und der technischen Ausstattung durch die Schulleitung Bereitstellung gastronomischer Gerätschaften zur Bewirtung der Gäste durch den Betreuungsbereich der Schule Bereitstellung von zusätzlichem Betreuungspersonal während der Durchführung durch den Betreuungsbereich der Schule und durch Mitarbeiter des Trägers der Schulsozialarbeit. Erfolge Das erste Mondfest wurde von cirka 350 Personen besucht, die in etwa zu gleichen Teilen vietnamesischer und deutscher Herkunft waren. Für die Durchführung weiterer Mondfeste an diversen Schulen wurden im Folgejahr höhere Mittel bewilligt, so dass das Angebot um eine vietnamesische Theatergruppe erweitert werden konnte, die regelmäßig unter Anleitung an der Schule probt und beim Mondfest auftritt. Zahlreiche und intensive Kontakte zu einzelnen Elternhäusern wurden durch die Vorbereitung und Durchführung der Mondfeste initiiert und konnten zum Teil auch aufrechterhalten werden. Die vietnamesischen Elterntreffen der Schulsozialarbeit mit der Kulturdolmetscherin wurden in der Folge besser besucht. Kontaktaufnahmen zu vietnamesischen Elternhäusern gestalten sich seitdem einfacher. Vorbehalte konnten reduziert werden. Ausblick Das Angebot der Kulturmittlung wie auch die Ausrichtung der Mondfeste werden aus Mitteln bestritten, die nur für bestimmte Zeiträume durch bezirkliche Behörden bewilligt wurden. In beiden Fällen ist Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

121 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 6 Praxisbeispiel Mondfest es beabsichtigt, die Angebote auch zukünftig vorzuhalten. Da es sich nicht um regelfinanzierte Angebote handelt, bemüht sich der Träger fortlaufend um Finanzierungsmöglichkeiten für das Konzept der Kulturmittlung an Schulen. Aufgrund der durchweg positiven Erfahrungen mit der Ausrichtung des vietnamesischen Mondfestes soll das Angebot der russischen Kulturmittlung ebenfalls durch die Ausrichtung eines landestypischen Festes an der Feldmark-Schule erweitert werden. Kontakt: spik-schulsozialarbeit@gmx.de 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 121

122 Forum 7 Kooperation 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prof. Dr. Karsten Speck Universität Oldenburg Kooperation zwischen Mythos und Wirklichkeit Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

123 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 7 Kooperation 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 123

124 Forum 7 Kooperation 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

125 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 7 Kooperation Literatur Speck, K.; Olk, T.; Böhm-Kasper, O.; Stolz, H.-J.; Wiezorek, C. (Hrsg.) (2011). Ganztagsschulische Kooperation und Professionsentwicklung. Studien zu multiprofessionellen Teams und sozialräumlicher Vernetzung. Beltz Juventa 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 125

126 Forum 7 Praxisbeispiel Beratungsteam 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Iris Pezenburg Lehrerin, OSZ- Recht Beratungsteam am Oberstufenzentrum (OSZ) Recht Behruz Modaresi Schulsozialarbeiter, Modul e.v. Allgemeine Informationen zur Schule Das Oberstufenzentrum Recht ist eine berufsbildende Schule in Berlin-Charlottenburg, die ca Schülerinnen und Schüler im Berufsfeld Wirtschaft und Verwaltung im Voll- und Teilzeitunterricht ausbildet. Das Kollegium besteht aus etwa hundert Lehrerinnen und Lehrern, sechs Referendarinnen und Referendaren, zwei Praktikantinnen und Praktikanten und einem Schulsozialarbeiter. Untergliedert ist das OSZ in drei Abteilungen, die Berufsschule, das Gymnasium und die Berufsfachschule. In den beiden letztgenannten Zweigen überwiegen die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund bei weitem. Weiterhin zeichnen sich diese Zweige durch einen hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern aus, die aus sozial schwachen und bildungsfernen Haushalten stammen. Bildungsgänge am OSZ Recht Berufsvorbereitung Berufsqualifizierender Lehrgang (BQL VZ) Einjährige kaufmännische Berufsfachschule Berufsausbildung Dreijährige Berufsfachschule für Bürokaufleute (vollschulisch) Berufsschule in der dualen Berufsausbildung für: Rechtsanwalt- und Notarfachangestellte Justizfachangestellte Service-/Fachkräfte für Schutz und Sicherheit Studierfähigkeit Berufliches Gymnasium Einjährige Fachoberschule Das Beratungsteam Bereits im Jahr 2007 wurde der Schule ein Sozialarbeiter für ein Jahr zugeteilt. Ebenso lange blieb der Sozialarbeiter, der ein Jahr später seinen Dienst aufnahm. Beide sollte die Arbeit des KvK-Teams (Klärung von Konflikten) unterstützen, das sich im Jahr 2003 gegründet hatte. Lehrerinnen und Lehrer der Schule hatten sich zur Gründung dieses Teams entschlossen, da die Verhaltensauffälligkeiten der Schülerinnen und Schüler in den Jahren zuvor bereits zugenommen hatte. Sie hatten das Konzept des Trainingsraumes aufgegriffen, an die Bedürfnisse der Schule angepasst und weiterentwickelt. Die Zusammenarbeit mit den Sozialarbeitern war auf Grund ihres kurzen Einsatzes hier an der Schule leider nicht nachhaltig Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

127 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 7 Praxisbeispiel Beratungsteam Zu Beginn des Schuljahres 2009 übernahm Herr Modaresi die Aufgaben der Sozialarbeit und griff vornehmlich erst dort ein, wo der größte Bedarf bestand: in der Berufsfachschule. Er baute dabei nicht nur den Kontakt zu einzelnen problematischen Schülerinnen und Schülern auf, sondern begann gleich zu Beginn des Schuljahres den Dialog mit den einzelnen Klassen (17 Klassen in der Berufsfachschule). Ziel in Absprache mit der Abteilungsleitung war es nicht nur, ausschließlich dem Lehrer bei Problemen zur Seite zu stehen, sondern den Schülerinnen und Schülern beziehungsweise den Klassen dabei zu helfen, ihr Ziel zu erreichen. Das Ziel, das Erreichen des Schulabschlusses oder die Verbesserung der Noten wird leider oft durch verfehltes Sozialverhalten in Frage gestellt. Daher stellt der Schulsozialarbeiter die Präventionsarbeit in den Vordergrund. Im Rahmen der Präventionsarbeit hat Herr Modaresi verschiedene Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer und für die Schulleitung angeboten. Die Veranstaltungen wurden gut besucht: Gruppendynamische, präventive Arbeit und Konfliktmanagement Konfrontation und entwicklungsorientierte Pädagogik, Fallbeispiele und kollegiale Fallbesprechungen Praktische Übungen zur Förderung eines guten Klassenklimas Herr Modaresi hat im Laufe der Zeit ein Netzwerk für die Schülerinnen und Schüler geschaffen, das diese optimal betreuen kann. Schullaufbahnberater, Hilfe bei schulischen und privaten Problemen (Beratungslehrer, Drogenbeauftragter) und ein sozialer Trainingsraum unterstützen seine Arbeit. Aus Sicht der Abteilungsleitung und der Lehrer und Lehrerinnen entlastet Herr Modaresi die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern. Probleme werden professionell mit ihnen aufgearbeitet oder durch das Netzwerk aufgefangen. Diese Arbeit kann ein/e Lehrer/in in der Regel weder auf Grund ihrer/seiner Ausbildung noch zeitlich gewährleisten. Abb. 1: Das Beratungsteam 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 127

128 Forum 8 Partizipation 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prof. Dr. Günther Opp Universität Halle Die Pädagogen haben kein Herz... Warum Schulen Positive Peerkulturen brauchen Vor einigen Jahren zeigte die ARD den Film Wut (2006). Der Film löste damals eine heftige Diskussion über Gewalt und die Integrationsprobleme von Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus. Der Hauptdarsteller des türkischen Jugendlichen Oktay Özdemir äußerte in einer Fernsehdiskussion, dass der Alltag auf den Straßen viel dramatischer sei als seine Gesprächspartner glauben würden. Er fasste sein Statement, dass die Pädagogen die Situation nicht wirklich verstehen, in der bemerkenswerten Äußerung zusammen: Sie (die Pädagogen) haben kein Herz! Natürlich ist dies eine Überspitzung, die die engagierte Arbeit vieler Pädagoginnen und Pädagogen diskreditiert. Und natürlich ist dies eine unzutreffende Pauschalisierung. Trotzdem trifft diese Äußerung ein tendenzielles pädagogisches Problem, nämlich die Gefahr einer Entfremdung der Pädagogik von ihrer Klientel, die ich in den Dimensionen von Verständnis und Anerkennung betrachten will. Ich möchte die Diskussion dieser These durch Überlegungen zu einer innovativen schulpädagogischen Praxis unter dem Begriff der Positiven Peerkultur ergänzen. Verständnis Sprechen Kinder in der Schule über ihre Sorgen? und Kennen Lehrpersonen die Sorgen der ihnen anvertrauten Schüler? fragte Olga Jaumann (1995) in einem Beitrag über die Perspektiven der Grundschulpädagogik. Man könnte natürlich zurückfragen, ob Kinder in der Schule über ihre Sorgen sprechen müssen? Sollen Lehrerinnen und Lehrer Vertrauenspersonen für die Kinder und Jugendlichen sein, die Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

129 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 8 Partizipation sie unterrichten? Ich denke, dass diese Fragen zentrale Widerspruchsverhältnisse des schulischen Alltagshandelns und ein quasi historisches Dilemma der Schulpädagogik markieren. Die zentrale Aufgabe der Schule war immer die Vermittlung von Wissen. Die Lehrerinnen und Lehrer... haben ein Bild vom Kind als solches und ein Erziehungsziel, das ihnen zeigt, wie das Kind werden soll. Sie begleiten das Kind daher nicht auf seinem individuellen Weg, sondern erziehen es auf dieses Ziel hin. (ebd., 185) Unter der Voraussetzung mehr oder weniger vergleichbarer Lebensverhältnisse und einer nahezu homogenen Elternschaft sowie unter der Bedingung gesellschaftlicher Zustimmung zu ihrer zentralen Vermittlungsfunktion konnten sich Schulen auf Unterricht und Wissensvermittlung konzentrieren. Problematisch wird dies in Zeiten einer multikulturellen Gesellschaft mit sich immer weiter ausdifferenzierenden Formen familiärer Lebenshintergründe, kultureller Praktiken und Lebensstilen. Die Pluralisierung der Lebensarten verschärft sich durch die Spaltungseffekte forcierter Armutsentwicklungen und ihrer Folgen für Kinder und Jugendliche (UNICEF 2010). Der Schule kommt die Aufgabe der Integration einer immer heterogeneren Schülerschaft zu. Gleichzeitig vervielfältigt sich die schulpädagogische Ausgangslage durch familiäre Neubestimmungen der Erziehungsaufgabe im Sinne unterschiedlichster Erziehungsstile und erweiterter Partizipationsrechte der Kinder und Jugendlichen in ihren Familien. Diese Herausforderungen sind allein durch den Rückbezug auf Unterrichtsfunktionen und den Verweis auf schulische Normen nicht zu lösen, sondern erfordern neue pädagogische Selbstbeschreibungen. Die Situation verschärft sich durch die breite Infragestellung des Geltungsanspruchs der Pädagog/inn/en auf die Deutungshoheit bei der Interpretation schulischer Konfliktsituationen. Hinzu kommt, dass die Schulen in Folge der Verinselung kindlicher Lebenswelten die sozialen Fähigkeiten, die der Gruppenalltag und der Unterricht benötigen, bei ihren Schülerinnen und Schülern nicht mehr einfach voraussetzen. Anders formuliert fällt den Schulen in wachsendem Maße die Aufgabe zu, die sozialen Voraussetzungen schulischer Wissensvermittlung, die Struktur des Sozialen im Pädagogischen, die sie für ihre Alltagspraxis benötigen, selbst zu schaffen. Diese Ausgangslage fordert von den Schulen intensive Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichsten Lebenserfahrungen und Herausforderungen des Alltags von Kindern und Jugendlichen. Nolens volens müssen sich die Lehrpersonen mit den Sorgen der ihnen anvertrauten Schülerinnen und Schüler und mit Lebenswelten, die ihnen häufig selbst fremd sind, beschäftigen. Kinder und Jugendliche wollen sich wahrgenommen, ernstgenommen und verstanden fühlen. Heranwachsende fordern von den Schulen mehr Mitbestimmungsrechte (World Vision 2007, 135 ff.). Die Ergebnisse der World-Vision- Studie zeigen auch, dass sich über ein Drittel der befragten Kinder in ihren Schulen sozial unzureichend integriert fühlen. Nur eine Minderheit von 38 Prozent der Kinder aus der untersten Herkunftsschicht fühlen sich angemessen integriert (ebd., 145 ff.). Verständnis und sich-verstanden-fühlen sind aber die Grundlagen gelingender sozialer Inklusion. Anerkennung Unter Verweis auf den Theoriezusammenhang des Symbolischen Interaktionismus beschreibt Axel Honneth (1994) die Teilhabe am gesellschaftlichen Handeln oder die Erfahrungen der Anerkennung in 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 129

130 Forum 8 Partizipation 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung einem sozialen Kooperationszusammenhang als grundlegende Dimension der Subjektwerdung und Identitätsbildung. Sozialität ist die Grundlage auf der der Einzelne zum Individuum wird. Dabei unterscheidet Honneth die gesellschaftlichen Anerkennungsformen der Liebe und Freundschaft (subjektive Bedürfnisse und Affekte), der Rechtsverhältnisse (moralische Zurechnungsfähigkeit) und der Solidarität und Wertegemeinschaften (spezifische Fähigkeiten und Eigenschaften von Individuen beziehungsweise ihre jeweiligen Leistungen). Diese betrachtet er als... intersubjektive Bedingungen [...], unter denen menschliche Subjekte zu jeweils neuen Formen der positiven Selbstbeziehungen gelangen können. Der Zusammenhang, der zwischen der Erfahrung von Anerkennung und dem Zusichselbstverhalten besteht, ergibt sich aus der intersubjektiven Struktur der persönlichen Identität: die Individuen werden als Person allein dadurch konstituiert, dass sie sich aus der Perspektive zustimmender oder ermutigender Anderer auf sich selbst als Wesen zu beziehen lernen, denen bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten positiv zukommen. Der Umfang solcher Eigenschaften und damit der Grad der positiven Selbstbeziehungen wächst mit jeder neuen Form von Anerkennung, die der einzelne auf sich selbst als Subjekt beziehen kann: so ist in der Erfahrung von Liebe die Chance des Selbstvertrauens, in der Erfahrung von rechtlicher Anerkennung die der Selbstachtung und in der Erfahrung von Solidarität schließlich die der Selbstschätzung. (Honneth 1992, 277 f.) Die Negation von Anerkennung zeigt sich in Formen verweigerter Anerkennung als Missbrauch, Vergewaltigung und Entrechtung. Balzer und Ricken (2010, 62) sprechen von einer Doppelrolle der Anerkennung... einerseits scheint sie als fehlende Anerkennung der Grund gesellschaftlicher Ungleichheit und Marginalisierung zu sein, andererseits scheint sie zugleich als Inbegriff der pädagogischen Strategie auch der Weg der (Auf-)Lösung eben dieser Probleme zu sein. Anerkennung ist in diesem Sinne weit mehr als eine nebulöse Wertschätzung. Die Erfahrung wechselseitiger Anerkennung in Gemeinschaften ist die Voraussetzung gelingender Selbstverhältnisse des Menschen. Sie umfassen aber immer auch Nichtanerkennung und stimulieren neben affirmativen Prozessen in umfassender Weise auch Verhaltensänderungen und Konfliktlösungen, die mehr Kooperation ermöglichen und damit wiederum mehr Anerkennung in Aussicht stellen. Dazu gehören die Neuaushandlung und -formulierung von Normen des Zusammenleben sowie situative Um- und Neustrukturierungen, die jeweils für sich wieder die Chancen sozialer Kooperation erhöhen. Dabei bleibt das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft kritisch. Anerkennungsprozesse sind nicht machtfrei. Genauso, wie sie Freundschaft und Inklusion ermöglichen, können sie auf ihrer Rückseite auch Feindschaftskonstellationen mitführen. Die Aushandlungsprozesse, die sich um Anerkennung und Nichtanerkennung ranken, bieten den beteiligten Individuen immerhin die Chance der Nichtanerkennung und Zurückweisung der normativen Zumutungen der Gemeinschaft. Daraus ist nicht abzuleiten, dass pädagogische Orte zu Orten der Anerkennung gemacht werden müssten. In der wechselseitigen Verweigerung und Gewährung von Anerkennung, die den schulischen Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

131 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 8 Partizipation Alltag durchziehen, sind die Schulen immer schon Orte bedeutsamer Anerkennungs- und Nichtanerkennungserfahrungen. Unter Bezugnahme auf Anerkennungsvorstellungen ist pädagogisches Handeln... insgesamt [als] fürsorgliches, aber deswegen notwendigerweise auch ambivalentes, d.h. sowohl bestätigendes als auch negierendes, ermöglichendes als auch einschränkendes und sowohl unterstützendes als auch disziplinierendes Handeln zu begreifen... (Balzer/Ricken 2010, 70). Das zieht die Notwendigkeit nach sich, die pädagogisch-methodischen Voraussetzungen und strukturellen Rahmenbedingungen solcher partizipatorischen Aushandlungsprozesse zu skizzieren. Dadurch würden... die Paradoxien des bestätigenden und stiftenden Charakters von Anerkennung mit dem bejahenden und negierenden Grundzug des pädagogischen Handelns [offen gelegt,]... den/die anderen anzuerkennen als jemanden, der sie/er schon ist, und zugleich als jemanden zu adressieren, der er/sie noch nicht ist... (ebd., 71). Damit sind die sozialisatorischen Grundlagen des Erwerbs der Kompetenzen kooperativer Kultur im Wesentlichen umrissen. Anerkennung und Nichtanerkennung sind dabei spiegelbildliche Verwandte von Inklusion und Exklusion. All dies sind Herausforderungen, die Fragen nach neuen pädagogischen Handlungsalternativen und didaktisch-methodischen Erweiterungen der Schulpraxis in Kooperation mit anderen pädagogischen Professionen generieren. Positive Peerkultur im schulischen Kontext Versuchen wir, die zwei Diskussionspunkte des pädagogischen Verständnisses und der Anerkennung zusammenzubringen, dann geht es im Kern um reflexive Aushandlungen der Divergenz zwischen Eigen- und Fremdperspektive. Dabei ist einerseits die konstruktivistische Prämisse des potenziellen Nichtoder Missverstehens ein funktionaler Zugang zum Verstehen der Subjektivität von Schülerinnen und 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 131

132 Forum 8 Partizipation 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Schülern. Andererseits gibt es einen engen Zusammenhang zwischen subjektiven Verständniszugängen, Anerkennung und fürsorglicher Praxis. Im Folgenden soll dies als pädagogisch-methodisches Problem im Zusammenhang mit dem Konzept Positiver Peerkultur diskutiert werden. Grundsätzlich ist von einer starken Bedeutung der Peergruppe als Entwicklungskontext für Kinder und Jugendliche auszugehen. Im Bezug auf die schulische Alltagspraxis ist vor allem die Schulklasse als sozialer Ort gemeinsamer Lebenserfahrung zu betrachten, als quasi natürliche Peergruppe und zentraler Ressourcenpool für mögliche Freundschaftsbeziehungen. Die entwicklungsspezifische Bedeutsamkeit der Beziehungserfahrungen in Peergruppen (Youniss 1994; Krappmann/Oswald 1995) findet ihre Bestätigung in der aktuellen Kindheits- und Jugendforschung. Der Blick richtet sich dabei immer mehr auf die positiven Potenziale der Peergruppe (Peerkultur). Die formalen Voraussetzungen für die Entwicklung Positiver Peerkulturen (Opp/Unger 2006; Opp/Teichmann 2008) sind einerseits eine eigene Zeit und eigener Ort, die Kindern und Jugendlichen zur Verfügung gestellt werden, um ihre Differenzen, Konflikte, Erwartungen an andere und ihre Hoffnungen und gegenseitigen Enttäuschungen miteinander auszuhandeln und zu lösen. Wir verknüpfen dies mit der theoretischen Vorstellung, dass die Peergruppe starke pädagogische Effekte erzielen kann, sofern es uns gelingt, mit und für die Kinder eine Diskurskultur zu entwickeln, die von Solidarität, Empathie und gegenseitiger Hilfe durchzogen ist. Zu diesem Zwecke erweitern wir klassische Konzepte des Klassenrats. Die Idee Positiver Peerkultur beruht auf dem Vertrauen in die Fähigkeiten und Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen, trotz belasteter Lebenswelten die alltäglichen Herausforderungen ihres Lebens meistern zu können. Das Ziel ist, ihnen einen Ort zu geben, an dem sie sich sicher fühlen können, Hilfe erfahren, aber auch Verantwortung für sich und andere übernehmen lernen. Kerngedanke des Konzeptes ist die gemeinsame Entwicklung einer Kultur im Sinne Freuds (1938, 122 ff.), in der der Schwächere vor dem Stärkeren durch die Gemeinschaft geschützt ist. Der praktische Ausgangspunkt Positiver Peerkulturansätze sind die kommunikativen Routinen und Rituale eines Gesprächskreises, der es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, ihre eingebrachten Themen so selbstständig wie möglich selbst zu thematisieren. Die Lehrerinnen moderieren das Gespräch und übernehmen so die Verantwortung für die kulturelle Rahmung des Gesprächskreises. Sie behalten eine Ressourcenfunktion, wenn die Schülerinnen und Schüler Hilfe brauchen, und übertragen nach Möglichkeit die Moderationsfunktion in den Gesprächskreisen den Schülern. Die traditionelle Lehrerrolle rückt tendenziell zugunsten der Schüleraktivität und verantwortung in den Hintergrund. In diesen Gesprächskreisen erhalten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich authentisch über eigene und gemeinsame Erfahrungen auszutauschen und Konflikte innerhalb einer ritualisierten Gesprächskultur im Gruppenkontext auszuhandeln. Die Praxisebene ist durch einen strukturierten Ablauf und Sicherheit gebende Gesprächsregeln (Rituale) gekennzeichnet: Wir lassen uns gegenseitig ausreden. Wir machen uns nicht über andere und ihre Themen lustig. Was besprochen wird, behandeln wir vertraulich Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

133 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 8 Partizipation Ablauf einer Gruppensitzung 1. Begrüßung, Wiederholung der Gesprächsregeln und Rückblick auf vorherige Sitzung 2. Positivrunde (Lob) 3. Vorstellung von Problemen und Themen reihum 4. Gemeinsame Diskussion und Beratung im Hinblick auf ein gewähltes Thema 5. Festhalten und Abstimmen über Vereinbarungen, Lösungen und Beschlüsse 6. Abschlussrunde und Feedback Entscheidend ist, dass der Fokus dieser Gesprächsrunden nicht auf Konfrontation, sondern auf Hilfe liegt. Darüber hinaus muss die Zugehörigkeit zur Gruppe auch bei kritischer Themenlage allen Akteuren zugesichert sein. Nur wer sich einer Gemeinschaft zugehörig fühlt, übernimmt auch Verantwortung für sich und andere. Konfliktlösungen zu finden, ist nicht nur eine individuelle Verantwortung. Die Gruppe ist immer aufgefordert, Mitverantwortung bei der Suche nach Lösungen für individuelle Probleme zu übernehmen und dem/der betroffenen Schüler/in Hilfestellungen bei der Umsetzung gemeinsam erarbeiteter Lösungsansätze zu bieten (Fürsorge). Die ist die Grundlage erlebter Fairness. Dabei ist nicht zu übersehen, dass das Individuum zur Gruppe in einem prinzipiellen Spannungsverhältnis steht. Schülerinnen oder Schüler, deren Verhalten diskutiert wird, haben grundsätzlich das Recht, eigene Bewertungen der Situation einzubringen und sich den Lösungsvorschlägen der Gruppe zu verweigern. Die Schülerinnen und Schüler erfahren nicht nur Interesse, Empathie sowie soziale Unterstützung und Wertschätzung durch ihre Peers. Sie sind aufgefordert, andere in gleicher Weise zu unterstützen, wie ihnen selbst von Anderen Hilfe angeboten wird (Reziprozität der Hilfe). Im Rahmen dieser Gesprächsrunden erhalten die Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, aktiv partizipierend an der Gestaltung ihres gemeinsamen Alltags mitzuwirken (Partizipation). Schlussbemerkungen Die formalen Bildungsanforderungen stehen in einem brisanten Verhältnis zu den lebensweltlichen Erfahrungen vieler Kinder und Jugendlicher. Die Gefahr, dass das Eine gegen das Andere ausgespielt werden könnte, zeigt sich im Chancengleichheitsdilemma des deutschen Bildungssystems. Angesichts der wachsenden Heterogenität in unseren Schulen ist nicht damit zu rechnen, dass sich soziale Inklusion quasi von selbst ergibt, weil die Kinder die gleiche Klasse oder Schule besuchen. Fremdheit und Differenz müssen bearbeitet werden. Dies erfordert Zeit, einen Ort und einen Rahmen (Rituale), in dem die notwendigen Aushandlungsprozesse stattfinden und strukturiert werden können. Letztendlich geht es um die Entwicklung einer Kultur der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kulturellen und biographischen Erfahrungen, Ansprüchen und Erwartungen. Ein Klassenrat, der sich konzeptionell an der Vorstellungen Positiver Peerkultur orientiert, ist dafür ein praxisnaher Vorschlag. Positive Peerkulturpraxis ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, mehr voneinander zu erfahren und dadurch ihre Verständniszugänge zueinander zu erweitern. Auch Lehrerinnen und Lehrer haben 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 133

134 Forum 8 Partizipation 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung die Chance, durch Zuhören und in der Moderation der Gruppensitzung neue Einblicke in den Gruppenalltag, die Gruppendynamik und die individuellen Entwicklungsherausforderungen einzelner Schülerinnen und Schüler zu gewinnen. Diese aber erfahren wechselseitig, was sie sich voneinander wünschen und erwarten. In der Aushandlung dieser gegenseitigen Ansprüche und Erwartungen entwickelt die Gruppe in einem partizipatorisch-demokratischen Prozess die Normen, die sie für ihr Zusammenleben im schulischen Kontext braucht. Im Gruppenkontext können diese Normen in einem offenen Veränderungsprozess weiter entwickelt werden. Das beinhaltet auch die Aushandlung von Widersprüchen und Spannungen zwischen den Normen der Peergruppe und der Institution Schule. Für die Professionellen aber ist das Konzept Positiver Peerkultur ein Praxisvorschlag, der neue Rollenbeschreibungen erfordert und Machtverhältnisse verändert, insbesondere die positive Kraft der Peergruppe nützen will. Das erzeugt Ängste und fordert die Bereitschaft, neue schulische Alltagspraktiken zu erproben und zu entwickeln. Wechselseitiges Verständnis und entwicklungsstärkende Anerkennungsverhältnisse könnten dadurch befördert werden. Pädagogen brauchen ein Herz! mehr noch, sie brauchen auch eine Peerkultur, die ihre alltäglichen Bemühungen unterstützt und befördert. Literatur Balzer, N.; Ricken, N.: Anerkennung als pädagogisches Problem. Markierungen im erziehungswissenschaftlichen Diskurs. In: Schäfer, A.; Thompson, C. (Hrsg.): Anerkennung. Paderborn, Schöningh 2010, Freud, S.: Das Unbehagen in der Kultur. 6. Auflage, Original 1938, Frankfurt 1956 Honneth, A.: Kampf um Anerkennung. Frankfurt, Suhrkamp 1992 Jaumann, O.: Perspektiven der Grundschulpädagogik. In: Behnken, I.; Jaumann, O. (Hrsg.): Kindheit und Schule. Kinderleben im Blick von Grundschulpädagogik und Kindheitsforschung. Weinheim, Juventa 1995, Krappmann, L.; Oswald, H.: Alltag der Schulkinder. München 1995 Opp, G.; Teichmann, J. (Hrsg.): Positive Peerkultur - Best Practices in Deutschland. Bad Heilbrunn, Klinkhardt 2008 Opp, G.; Unger, N. (Hrsg.): Kinder stärken Kinder. Positive Peer Culture in der Praxis. Hamburg, Edition Körber 2006 UNICEF: The children left behind. Innocenti Research Center. Research Card 9. Florenz 2010 World Vision Deutschland e.v. (Hrsg.): Kinder in Deutschland World Vision Kinderstudie. Hurrelmann, K.; Andresen, S. und TNS Infratest Sozialforschung. Frankfurt/M., Fischer 2007 Youniss, J.: Soziale Konstruktion und psychische Entwicklung. Frankfurt Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

135 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 8 Partizipation 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 135

136 Forum 8 Praxisbeispiel Schülerexperten im Morgenband Kl Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Carola Hoppe Vertrauenslehrerin, 7. ISS in der Ringstraße Birgit Warner Schulsozialarbeiterin, Leben Lernen e.v. Rüdiger Herde Schulsozialarbeiter, K*I*D*S e. V. Projekt KaTs Klassen als Teams Die Schule Aus der Fusion der Werner-Stephann-Schule (Hauptschule) und der Dag-Hammarskjöld-Oberschule (Realschule) ging 2010 die ISS an der Ringstraße hervor. Am Standort an der Ringstraße befinden sich zurzeit der 7. und 8. Jahrgang als ISS-Klassen und der 9. und 10. Jahrgang als Realschulklassen. Insgesamt sind dort 450 Schüler/innen. Die Schule befindet sich in Berlin-Tempelhof. Die von der Werner-Stephan-Schule mitgebrachte Tradition von Schülerbeteiligung (Streitschlichter/ innen, Vertrauensschüler/innen, Schüler/innen-Aufsichten) wird an der neuen ISS fortgesetzt. Das Projekt Kurz nach den Sommerferien 2011 machten einige Lehrer/innen, die Schulsozialarbeiter/innen sowie 25 Schüler/innen der 8. bis 10. Jahrgangsstufe gemeinsam eine dreitägige Ausbildung in Methoden zum Sozialen Lernen. Als externer Ausbilder konnte Günther Hennig gewonnen werden, der über vielfältige Erfahrung in der Lehrerausbildung sowie als Mitarbeiter von Lions Quest verfügt. Schon in der zweiten Schulwoche begann das Projekt KaTs Klassen als Teams an der 7. ISS. Die nun zu Schülerexpert/inn/en ausgebildeten älteren Schüler/innen gestalten zweimal pro Woche immer dienstags und donnerstags in den neuen 7. Klassen die 20-minütige Eingangsphase. Hierzu gehen sie in kleinen Teams ohne Begleitung Erwachsener in die Klassen. In spielerischen Übungen werden Themen bearbeitet wie Kennenlernen und Kontakt aufnehmen Ich und die anderen Fremd sein anders sein dazu stehen wir Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

137 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 8 Praxisbeispiel Schülerexperten im Morgenband Kl. 7 Mein Zuhause meine Familie Freundschaft Clique Konflikte lösen Ziele Ziel des Projektes ist, die Klassengemeinschaft zu stärken, Toleranz zu üben, Teamarbeit zu fördern und ein freundliches Klima in den Klassen zu unterstützen, was eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches gemeinsames Lernen ist. Auch die Schülerexpert/inn/en erwerben in diesem Projekt wichtige soziale Kompetenzen, die sie für ihren Beruf qualifizieren beispielsweise Präsenz vor der Klasse, Durchsetzungsvermögen, eigenverantwortliches Handeln, Team- und Kompromissfähigkeit sowie Umgang mit Kritik und Misserfolgen. Begleitung durch die Schulsozialarbeit Das Projekt wird von den Schulsozialarbeiter/innen Birgit Warner (Leben Lernen e. V.), Rüdiger Herde und Anke Simon (beide K*I*D*S e.v.) begleitet. Konkret bedeutet das: Kontinuierlich die Eingangsphasen vorzubereiten Sich jeden Montag während der zweiten großen Pause mit den Expert/inn/en zu treffen, um sie auf die jeweilige Woche vorzubereiten. Sie bekommen einen schriftlichen Ablaufplan für jede Einheit. Am Dienstag und Donnerstag jeweils ab 7:45 Uhr (15 Minuten vor Beginn der Eingangsphase) für die Expert/inn/en zur Verfügung zu stehen. Gelegentlich fehlen Schüler/innen und die Teams müssen umgestellt werden. Einzelne Schüler/innen müssen noch auf den Stoff vorbereitet werden. Während der Eingangsphase auf den Fluren bereit zu stehen und die Expert/inn/en gegebenenfalls zu unterstützen Regelmäßiges Coachen der einzelnen Teams Regelmäßige Rückkoppelung mit dem Team 7 (Klassenlehrer/innen) Erfolge Die Schülerexpert/inn/en kommen regelmäßig und sind außerordentlich zuverlässig. Einzelne Schüler/innen machen enorme Fortschritte im Auftreten und werden spürbar selbstsicherer. Die Expert/inn/en unterstützen sich gegenseitig innerhalb ihres Teams. Sie lernen, mit ihren Stärken und Schwächen umzugehen. Stolpersteine Die Expert/inn/en wollen den Stoff schnell vermitteln und sind dadurch zu ungenau in den Arbeitsanweisungen bzw. vergessen, den Sinn der Übungen zu vermitteln. Sie werden manchmal von den Siebtklässlern wenig ernst genommen und können sich dann schwer durchsetzen. Konflikte innerhalb des Teams Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 137

138 Forum 9 Schuldistanz 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Hermann Rademacker Deutsches Jugendinstitut München, a.d. Schuldistanz Historische Vorbemerkung Schulversäumnisse sind in Deutschland Thema seit Anfang 90er Jahre. Gab es vorher keine? Nicht die Schule, wo die jungen Menschen fehlten, sondern die Jugendhilfe, in deren Angeboten der berufsbezogenen Jugendhilfe sie auftauchten, machte Schulversäumnisse zu einem öffentlichen Thema. Jugendhilfe schafft Sondereinrichtungen für Schuldistanzierte: Gefährliche Parallelität der Interessen von Jugendhilfe und Schule zur Einrichtung neuer ausgrenzender Formen der Beschulung in Einrichtungen der Jugendhilfe I. Wo liegt das Problem? 1. Seit 20 Jahren kaum verändert: 15% eines Altersjahrgangs bleiben ohne Ausbildung 2. Quote der Schulabgänger ohne Abschluss sinkt auf heute unter 8% 3. Beide Quoten markieren Bestwerte in der Geschichte des Bildungswesens und sind heute(!) Krisenindikatoren Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

139 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 9 Schuldistanz Scheitern und Gelingen im Übergang Wer hat die größten Schwierigkeiten? Abb. 1: Ausbildungsbeteiligung nach Schulabschluss und Klarheit des Berufswunsches für November 2004, 2005 und 2006 (in %) (Quelle: DJI-Übergangspanel 2008) Scheitern und Gelingen im Übergang Wer bleibt schließlich ohne Ausbildung? die 15% Das Risiko, ohne Ausbildung zu bleiben ist höher bei Jugendlichen mit schlechten Bildungsvoraussetzungen (Schulabschluss, Noten) mit niedrigem Bildungs-, Berufs- und Erwerbsstatus der Eltern mit Migrationshintergrund (bei Kontrolle anderer Faktoren) nur, wenn Einreise nach dem 6. Lebensjahr die als junge Frauen sehr früh ein Kind haben die in Wohnregionen mit hoher Einwohnerdichte (Berlin?) leben ohne Berufswunsch am Ende der Schulzeit (vgl. BMBF 2008, DJI Panel) die drei Monate nach Schulabschluss nicht wieder in einer Bildungseinrichtung/-maßnahme sind die eine Ausbildung abgebrochen haben (BIBB Report 6/2008) Abb. 2: Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten (Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 139

140 Forum 9 Schuldistanz 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung II. Was wissen wir über Schulversäumnisse? 1. Auch bei Kontrolle von Merkmalen der sozialen Herkunft gibt es einen statistisch signifikanten negativen Zusammenhang zwischen dem Umfang der Schulversäumnisse und den Schulleistungen (Coleman,J.; Hoffer,Th.; Kilgore, S. 1982). Was ist die Ursache, was die Wirkung? Wird Schule gemieden, weil mangels Leistung die Schulerfolge und die damit verbundene Anerkennung ausbleiben? Oder sind die ausbleibenden Leistungen Folge der gehäuften Schulversäumnisse? 2. Der Anteil von Jugendlichen mit häufigen Schulversäumnissen (mehr als 5 Tage im Halbjahr) ist höher, wenn die Familien von Arbeitslosigkeit betroffen sind oder Sozialhilfe empfangen. wenn die Jugendlichen nicht mit beiden Elternteilen zusammen leben. bei Inkonsistenz des elterlichen Erziehungsverhaltens. wenn die Jugendlichen Gewalt in der Familie erleben (sowohl als Opfer wie auch beobachtete Partnergewalt). (Wilmers, N., Greve, W. 2002, KFN Report Psychologie 27) 3. Zusammenhänge zwischen Schulversäumnissen und Kriminalität sind vielfach belegt. Es handelt sich nicht um eine Beziehung von Ursache und Wirkung. Die Frage lautet eher: Gibt es gemeinsame Ursachen für Schulversäumnisse und andere Formen devianten Verhaltens? Was bleibt: Schulversäumnisse sind ein Risikomarker! 4. Gehäuftes Schulschwänzen hat nachhaltige Folgen im Lebensverlauf (Geburtskohorten ). Schwänzer sind häufiger beteiligt an Schwarzfahren, Kaufhausdiebstählen, Konsum von Haschisch, Marihuana und anderen Drogen in einer schlechten oder sehr schlechten wirtschaftlichen Lage ledig oder geschieden, etwas seltener verheiratet Ihre Arbeitslosigkeit liegt aber erst in den jüngsten Kohorten deutlich über der der Nichtschwänzer. (Wagner/Dunkake 2010) 5. Auch die Schule hat Einfluss eine hohe Kontrolldichte von Schulversäumnissen durch Lehrer korreliert mit geringeren Schulversäumnisse insgesamt und auch einem niedrigeren Anteil der Mehrfachschwänzer (mehr als 5 Tage im Halbjahr). (Baier, D., Pfeiffer, C., Simonson, J. & Rabold, S. (2009), KFN FB Nr.107) Aber eine hohe Kontrolldichte durch Lehrer geht mit einer hohen Schulattraktivität einher. (Wilmers, N., Greve, W. 2002, KFN Report Psychologie 27, S.409) Kontrolle von Schulversäumnissen und ein positives Schulklima sind kein Widerspruch! Auch Ganztagsangebote können helfen. Wenn sie an der Schule nicht verfügbar sind, kann auch Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

141 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 9 Schuldistanz die Vermittlung durch die Schule nützlich sein (Hort, Jugendverbände, Sportvereine ). Die Wahrnehmung solcher Angebote kann den Schulbesuch und die Schulleistung verbessern. 6. Gestörte Beziehungen zur Schule werden durch Schulversäumnisse weiter belastet oder sind die Folge von Schulwechseln, Klassenwiederholungen, Abstiegskarrieren im gegliederten Schulsystem (Quote Aufstiege : Abstiege = 1:8) Mobbing oder Außenseiterrolle in der Schule; Schulklima Sozialen Belastungen in der Familie und in der Lebenswelt (z. B. Entstrukturierung des Alltags durch Arbeitslosigkeit der Eltern) Zugehörigkeit zu schulaversiven Peer Groups aber auch Aufgaben in der Familie (z. B. Geschwisterbetreuung) Erwerbsarbeit Geringschätzung von Schulbildung in der Herkunftsfamilie Zwischenbilanz Der regelmäßige Schulbesuch ist in unserer Gesellschaft Bedingung der Wahrnehmung des Rechts auf Bildung für jede/n jungen Menschen. Bedingung der Entwicklung des gesellschaftlichen Bedarfs an Bildung und Kompetenz für die Bewältigung der Herausforderungen der Globalisierung und des sozialen Wandels. Er ist zugleich Ausdruck einer individuellen Kompetenz der Selbstkontrolle, die nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch für die Lebensbewältigung im Alltag gefordert ist. Schulversäumnisse markieren deshalb ein individuelles Risiko für das Gelingen der gesellschaftlichen Integration des Einzelnen wie auch der Wohlfahrt der Gesellschaft insgesamt. Bildung ist heute wichtigste Ressource der Lebensbewältigung Der regelmäßige Schulbesuch ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für das Gelingen von Bildung. In den Konzepten zum Abbau von Schulversäumnissen sollte deshalb das Ziel gelingender Bildung im Vordergrund stehen und die Schülerin/der Schüler dafür gewonnen werden, dies als ein wesentliches eigenes Interesse zu erkennen. Eine Schule, die den Schulbesuch ihrer Schüler kontrolliert, nimmt sich selbst und ihre Schüler ernst eine Schule, die das nicht tut III. Bausteine für ein Konzept Die Erfassung des Schulbesuchs Nutzung der EDV kann hilfreich sein Regelmäßige Auswertung der erhobenen Daten durch die zuständigen Lehrkräfte im Hinblick auf Auffälligkeiten Identifizieren von Handlungsanlässen aus der Häufigkeit und Verteilung von Schulversäumnissen Wann werden wir tätig? 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 141

142 Forum 9 Schuldistanz 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Aufklärung der Hintergründe dieser Auffälligkeiten. Bei Bedarf schulische und außerschulische Fachkräfte hinzuziehen. Pädagogischen Handlungsbedarfs einschätzen Bei Bedarf: Helferkonferenz wird tätig. Ergebnis: Bildungs- und Förderplan Damit dies alles mit vertretbarem Aufwand funktionieren kann, sollte das Konzept die Struktur des Netzwerkes der schulischen und außerschulischen Partner beschreiben, die bei Bedarf für die Erarbeitung der Bildungs- und Förderplanung unterstützend und beratend tätig werden. Dazu können gehören Beratungslehrer, Schulpsychologischer Dienst, Schulsozialarbeit, außerschulische Partner der Jugendhilfe (ASD, HzE), Ordnungsamt (Bußgeldverfahren). Für die Umsetzung kommen zusätzlich in Betracht Betriebe (für besondere Praktika), Vereine und Freizeitangebote, Gesundheitsdienste, Berufsberatung (z. B. Berufseinstiegsbegleiter). Die Einbeziehung der Eltern ist wichtig. Wer macht es? Wie passiert es (Vorladung oder Hausbesuch)? Dieses Netzwerk braucht ein Ansprechpartnersystem. Man muss wissen, was man voneinander erwarten kann. Es darf nicht immer wieder vorkommen, dass Beteiligte mit Erwartungen konfrontiert werden, denen sie nicht entsprechen können oder wollen. Je mehr Erfahrung aus der Zusammenarbeit vorliegt, desto besser klappt es. Diese Erfahrung sollte die Grundlage für die Fortschreibung des Konzeptes sein. In diesen Abläufen sollte der Einsatz von Ordnungs- und Zwangsmaßnahmen immer mit bedacht und erwogen werden. Aber diese Maßnahmen sollten sich nicht verselbständigen, sondern dem Ziel der Gewinnung der jungen Menschen für den Schulbesuch dienen. Literatur Baier, D., Pfeiffer, C., Simonson, J. & Rabold, S. (2009): Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt : Erster Forschungsbericht zum gemeinsamen Forschungsprojekt des Bundesministeriums des Innern und des KFN (KFN-Forschungsbericht; Nr.: 107). Hannover: KFN. Coleman,J.; Hoffer,Th.; Kilgore, S. (1982): High School Achievement, New York: Basic Books BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.): BIBB REPORT 2. Jahrgang, Heft 6, Oktober 2008 BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (2008) (Hrsg.) Von der Hauptschule in Ausbildung und Erwerbsarbeit: Ergebnisse des DJI-Übergangspanels. Bonn, Berlin Dunkake, Imke; und Wagner, Michael, 2010: Zum Wandel des Schulschwänzens und seine Folgen für den weiteren Lebensverlauf. S In: Ricking, Heinrich; Schulze, Gisela C. (Hg.). Förderbedarf in der emotionalen und sozialen Entwicklung. Bad Heilbrunn. Klinkhardt. Wilmers, N., Greve, W. (2002) Schwänzen als Problem. Psychologische Perspektiven auf Bedingungen und Konsequenzen von Schulabsentismus. Report Psychologie, 27, Vortragsfolien auf Anfrage: rademacker@t-online.de Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

143 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 9 Schuldistanz 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 143

144 Forum 9 Praxisbeispiel Sozialpädagogische Schuldistanziertenarbeit 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Alfred Kleinert Sozialpädagoge, Förderverein der Röntgen-Schule e.v. Detlef Pawollek Schulleiter, Röntgen-Schule Sozialpädagogische Schuldistanziertenarbeit (SDA) Konzeptionelle Sozialpädagogik an der Röntgen-Schule, ISS Vorstellung der Schule 439 Schüler/innen (davon 393 nicht-deutscher Herkunft [ndh]), 43 Lehrer/innen (davon 2 ndh), 395 Schüler/innen mit Lernmittelbefreiung, Lage im Randbereich von Nordneukölln auf Treptower Gebiet (von Einwohnern Neuköllns Einwohner in Nordneukölln, davon 75% mit Einkommen unter (Bundesarmutsgrenze ), Anteil von Migrantinnen und Migranten 52%, bei den unter 18jährigen 82%. Bezirkshaushalt Mill., davon Transferausgaben 416 Mill. = 59 %, dem Investitionen von 9 Mill. = 1% des Gesamthaushaltes gegenüber stehen. Arbeitslosensteigerung gegenüber 1994 um 24%. (Datenquelle: Soziostrukturdaten des Bezirkes Neukölln, Stand September 2011) Seit 2003 konzeptionelle Sozialpädagogik an der Schule: Drei-Säulen-Modell, Sozialpädagogische Schuldistanziertenarbeit seit 2003, Elternarbeit seit 2006 Sozialpädagogik der Schule Jährliche Meldungen zwischen 56 und 78 Jugendlichen, hauptsächlich in den Klassenstufen 8 und 9, bei fast jeder und jedem der gemeldeten Schüler/innen spielt Schuldistanziertheit eine Rolle. Derzeitige Tendenz Vermehrte Meldungen in Klassenstufe 7, Hintergrund hier sind zunehmend psychische Erkrankungen und entsprechend verschleppte oder unerledigte Abklärungsdiagnostik, Ankunft nicht schulsozialisierter Jugendlicher und Eltern ndh mit einhergehender Überlastung des angesprochenen Personals Regelhafte Herangehensweise der Sozialpädagogischen Schuldistanziertenarbeit Meldung via schulinternen Meldebogen (= Arbeitsauftrag), Datenerfassung via Schülerakte (erste Vorsortierung eines möglichen Bedarfs), Feststellung der Ansprechpartner/innen (=Kooperationspartner/ innen), Einbindung der Eltern durch Anschreiben und persönliche Verbringung desselben (Milieuerfassung), oft hier ein erstes Elterngespräch, spätestens (wenn nicht Totalverweigerung des Elternhauses erfolgt, was bei etwa 3% der Fälle vorkommt) in den miteinander vereinbarten Zeiten (Sprechstunden an den beiden Schulstandorten), unter Hinzuziehung des/der Jugendlichen, je nach Gesprächs- oder Prozessverlauf: Einbindung von Lehrer/in, RSD, Schulpsychologie, PSD, KJGD, DTZ, Ansprache von Trägern der freien Jugendhilfe oder Hinweise auf Selbsthilfesysteme, Hilfe- oder Helferkonferenzen = gemeinsamer Abgleich zu leistender Arbeit, Klärung und Absprache der Aufgabenfelder und Leistung der entsprechenden Arbeit Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

145 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 9 Praxisbeispiel Sozialpädagogische Schuldistanziertenarbeit Defizite Grundschulüberkommenheiten als da sind: Unterschichtgegebenheiten von materieller und seelischer Armut (in der Regel seit früher Kindheit verinnerlichte Beliebigkeitsmodelle ohne Grenzziehungen und Strukturbildung), Schuldistanz in hohem Maße, psychische Erkrankungen und unerledigte Abklärungs-Diagnostik, Milieuschädigungen, andere ungenügende Bildungsvoraussetzungen (hier sind in der Regel nicht die Lehrer/innen verantwortlich zu machen, sondern eine verfehlte Schul- und Strukturpolitik), fehlende (wirksame) Projekte, die die betroffenen Schüler/innen (vorübergehend) aufnehmen und wieder in reguläre Alltagsbezüge bringen (etwa: funktionierende ambulante Klein- und Fördergruppen für ein halbes Schuljahr); grundlegend: Strukturänderungen, die eine Schule überhaupt erst in die Lage versetzten, effektiv auf die Voraussetzungen für Bildungsgeschehen einzuwirken, wie: ein eigenes Budget für die Bildung eines passgenauen Kollegiums, weit reichende Entscheidungshoheiten für ein zu bildendes Leitungskollegium, eine entsprechende Personaldecke und ein ebensolcher Sachmittelstandard Fazit Die Probleme von Schuldistanziertheit sind ein Teilbereich struktureller Probleme dieser Gesellschaft. Im Allgemeinen liegt ein ökonomisches und (Unter-)Schichtproblem, nicht vordergründig ein kulturelles oder ethnisches zu Grunde. Tritt letzteres (vor allem in früher Kindheit) hinzu, wird eine Problembewältigung zunehmend erschwert. Zudem ist in der Regel eine Trennungsproblematik innerhalb der Familien (aus Sicht der Schüler/innen: Mutter/Vater) eine gravierende Bürde für die Heranwachsenden, auf die häufig mit Verweigerungs- und Übersteigerungshaltungen vor dem Hintergrund dieser Belastungsstruktur reagiert wird. Alle reaktive Arbeit ist letztendlich ein Abarbeiten an Symptomen, bringt keine grundlegende Änderung. Hier sind strukturelle Veränderungen und der politische Wille dazu gefragt, ansonsten wird die derzeitige ansatzweise Schulstrukturreform nicht greifen. Kontakt: foerderloewenstein@yahoo.de ( z.hd. Herrn Kleinert) Die Konzeptionen der Sozialpädagogik der Röntgen ISS zum 3-Säulen-Modell finden sich unter à Sozialpädagogik Anmerkungen zum Thema Schuldistanz aus Sicht der Schulleitung, Detlef Pawollek Das Programm Jugendsozialarbeit an Schulen bietet Schulen die Möglichkeit, mithilfe einer Mitarbeiterin / eines Mitarbeiters der Sozialpädagogik eine Schnittstelle zwischen Schule, Jugend, Familie und Gemeinwesen zu bilden. Die Kurzdarstellung von Herrn Kleinert verdeutlicht, dass die Schulsozialpädagogik an Schule (SPAS) grundsätzlich vor dem Hintergrund des jeweiligen Sozialraums zu betrachten ist. In der Frage der Schuldistanz ist dies von großer Bedeutung, da die Zahl der Milieuschädigungen steigend ist. Sowohl die Elternhäuser als auch die Schülerinnen und Schüler leiden mehrheitlich unter den milieubedingten psychischen Belastungen. In Bezirken oder Stadtteilen hoher Arbeitslosigkeit sind die Vergleichswerte entsprechend höher Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 145

146 Forum 9 Praxisbeispiel Sozialpädagogische Schuldistanziertenarbeit 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Schulen benötigen daher eine SPAS im Allgemeinen und eine Schuldistanziertenarbeit im Besonderen: Eine SPAS, die Managementaufgaben übernimmt und als Schnittstelle zwischen Schule, Jugend, Sozialraum fungiert. Die Zahl der eingehenden Fälle von Seiten der Lehrerschaft wird erfasst und hinsichtlich der Erfordernisse weitergeleitet. Die Schuldistanziertenarbeit kann keine eigenen Hilfen anbieten, sie kann aber durch ihre Arbeitsweise den direkten Kontakt zu Familien und Institutionen suchen und sie auf ihren Wegen begleiten. Die Organisation der Jugendsozialarbeit an Schulen betrachte ich als ein Aufgabengebiet der Schulleitung beziehungsweise der erweiterten Schulleitung. Neben der inhaltlichen Verankerung im Kollegium sollte die Leitungsebene die konzeptionelle Arbeit mittragen und durch den eigenen Blick auf selbige verstehen und mitgestalten. Erwähnenswert ist auch die Autorisierung der Mitarbeiter durch die Leitungsebene. Die Gremienmitarbeit (z. B. AG 78 u. ä.), Veröffentlichungen, kritische Auseinandersetzungen mit Institutionen sind nicht selten politischer Natur. Eine Schule muss daher in ihrer Arbeitsweise abgestimmt agieren, um auf die Erfordernisse des politischen Raumes reagieren und Angebote bereitstellen zu können. Auf der anderen Seite braucht die SPAS die Stärkung durch die Leitungsebene, da nur so notwendige Veränderungsprozesse kraftvoll angeschoben werden können. Die Schuldistanziertenarbeit als Teilbereich der SPAS ist in der beschriebenen Weise eine Managementaufgabe, eine Querschnittsaufgabe. So vielfältig wie die Ursachen für Schuldistanz ist auch die Bewältigung derselben. Ein eindimensionaler Blick und der verzweifelte Versuch, aus eigener Kraft heraus ein schuldistanziertes Kind zum Schulbesuch zu ermuntern, sind unter den beschriebenen Umständen zum Scheitern verurteilt Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

147 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 9 Praxisbeispiel Sozialpädagogische Schuldistanziertenarbeit 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 147

148 Forum 9 Praxisbeispiel Komm an 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Petra Gätzschmann Tandemlehrerin, Schule am Königstor Schulbezogene Jugendsozialarbeit im Projekt Komm an! Felix Zimmer Sozialarbeiter, Stützrad e.v. 1. Ausgangslage Im Schuljahr 2010/11 nahmen acht Schülerinnen und Schüler am Projekt teil. Sieben Schülerinnen und Schüler konnten in die Regelklasse reintegriert werden, einer wird an eine neue Schule angebunden. Für das neue Schuljahr 2011/12 richtet sich Komm an! an sieben bis neun schuldistanzierte Jugendliche des 7. und 8. Jahrgangs 2. Zielstellung Das Projekt beinhaltet folgende Zielstellungen: Förderung schulischer Handlungskompetenzen Verringerung von aktiver und passiver Schuldistanz Stärkung der emotionalen und sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler Unterstützung der Jugendlichen bei der Bewältigung von Alltagsproblemen Unterstützung der Jugendlichen bei der Entwicklung von Lebensperspektiven 3. Arbeitsweise 3.1. Zugang Feste Gruppe von sieben bis neun schuldistanzierter Schülerinnen und Schüler Über die Teilnahme entscheidet eine Arbeitsgruppe (Schulleitung, Klassenleiterteam und Sozialpädagog/inn/en). Auswahlkriterium ist ein Schuldistanzbogen. Zustimmung der Eltern zur Teilnahme an dem Projekt ist Voraussetzung Förderplan Für jede Schülerin und jeden Schüler wird ein Förderplan erstellt, welcher mit Klassenlehrer/innen und Eltern besprochen wird. Ziele, Teilziele und Aufgaben werden dokumentiert und überprüft Methoden Das Projekt arbeitet mit folgenden methodischen Konzepten: Schülercoaching Förderung der schulischen Grundlagen Sozialpädagogische Gruppenarbeit Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

149 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 9 Praxisbeispiel Komm an Elternarbeit Kooperation mit Lehrkräften Kooperation mit anderen Fachkräften Angebote werden während der Unterrichtszeit alternativ zum Regelunterricht durchgeführt. Jede/r Teilnehmer/in erhält zwischen drei und fünf Stunden sozialpädagogische Betreuung. Sechs Wochenstunden werden für Elternarbeit, Kooperation mit anderen Fachkräften, schriftliche Beurteilungen und Mitwirkung an schulinternen Konferenzen veranschlagt. Methodisch sehen die Bausteine, wie folgt aus: Schülercoaching Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten ein individuelles Verhaltenstraining, das insbesondere zur Verringerung von aktiver und passiver Schuldistanz dient. Konkrete Zielstellungen werden erarbeitet und dokumentiert, sowie der Stand der Zielerreichung kontrolliert. Zeitlicher Rahmen: Eine Wochenstunde pro Schüler/in Förderung der schulischen Grundlagen Wiederherstellung der Motivation bei Schülerinnen und Schülern Besondere Förderung in der Festigung von Arbeitstechniken Zeitlicher Rahmen: Eine Wochenstunde pro Schüler Sozialpädagogische Gruppenarbeit Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutieren gemeinsam mit der/dem Gruppenleiter/in den Stand ihrer Zielstellungen und suchen gemeinsam nach Lösungen im Zuge der angestrebten schulischen Reintegration. Zeitlicher Rahmen: Ein Termin pro Schüler Elternarbeit Elternarbeit dient insbesondere der Stärkung der elterlichen Kompetenzen zur Unterstützung der schulischen Belange ihrer Kinder. Kooperation mit anderen Fachkräften Dient zur Entlastung der Lehrkräfte Termine mit Jugendämtern werden wahrgenommen, schriftliche Beurteilungen werden gestellt, Vermittlung der Schülerinnen und Schüler in weiterführende Hilfen 3.4. Rahmenbedingungen Schülerbezogene Angebote finden in den Räumen der Schulsozialarbeit statt. Die Schülerinnen und Schüler werden in dieser Zeit vom Unterricht freigestellt. Interesse an dreiwöchigen Lehrer-Sozialarbeitergesprächsrunden, um höchstmögliche Transparenz und Wirksamkeit zu erzielen Elterngespräche finden in der Schule oder im Elternhaus statt Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 149

150 Forum 10 Übergänge Grundschule - Oberschule 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Prof. Dr. Wolfgang Beelmann Professur für Entwicklungspsychologie, Psychologische Diagnostik/Intervention Fachhochschule Bielefeld Psychologische Übergangsforschung: Eine differenzielle Betrachtung kindlicher Adaptationsprozesse im Kontext des Übergangs von der Grundschule zur weiterführenden Schule I. Einführung: Was kennzeichnet Übergänge? Das Charakteristische an Übergängen ist: auf der einen Seite die Ablösung von einem alten vertrauten Status und auf der anderen Seite das Hineinfinden in einen neuen, noch wenig vertrauten Status (vgl. Pinquart & Grob, 2008). Vielfach wird im Zusammenhang mit Übergängen die Metapher einer Brücke verwandt: Ein Ufer, welches man verlässt. Das andere Ufer, welches noch nicht ganz erreicht ist. Man befindet sich in einer Situation des Dazwischen. Brücken können nun aber recht unterschiedlich ausfallen: Bild I: Bild II: stabile Brücke, strahlt Festigkeit/Sicherheit aus, sozialer Kontakt abenteuerlich, etwas improvisiert, unberechenbar, beängstigend Übergänge markieren eine Veränderung der sozialen und materiell-physikalischen Umwelt. Übergänge ermöglichen einen Zugang zu neuen Lebensbereichen (Umweltwechsel, Umwelterweiterung) und erfordern damit auch die Erschließung neuer Lebensbereiche. Übergänge lösen eine große Veränderungsdynamik aus, da in den Übergangsphasen besonders viele neue Anforderungen in einem kurzen Zeitraum zu bewältigen sind ( Herausforderung, Belastung) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

151 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 10 Übergänge Grundschule - Oberschule Übergänge erfordern von der Person: die Aneignung neuer Verhaltensweisen den Erwerb neuer Kompetenzen die Übernahme neuer Rollen In der Psychologie werden Übergangsphasen beschrieben als Zeiten: besonderer Labilität vermehrter Offenheit für neue Impulse beschleunigter Entwicklung erhöhter Störanfälligkeit und Vulnerabilität Übergänge besitzen einen bivalenten Charakter. Je nachdem, wie die äußeren Veränderungen erlebt und verarbeitet werden, können sich folgende Verlaufsrichtungen zeigen: 1) Übergänge bergen die Gefahr des Scheiterns in sich und können krisenhafte Entwicklungsverläufe auslösen oder begünstigen. 2) Durch die Konfrontation mit neuen Anforderungen im Kontext des Übergangs können Impulse für persönliche Weiterentwicklung und für Kompetenzzuwachs ausgelöst werden. Interindividuelle Unterschiede im Verlauf und bei den Folgen eines Übergangs sind mit einer Vielzahl von strukturellen, sozialen und personalen Faktoren verbunden. Wie werden Struktur- und wie Personenmerkmale betrachtet? Bei der wissenschaftlichen Betrachtung von Übergängen liegt der Schwerpunkt des Erkenntnisinteresses häufig entweder: mehr auf den äußeren Strukturen eines Übergangs oder mehr auf dem Verhalten und Erleben der betroffenen Personen. Neuere Forschungsansätze legen bei der Analyse von Übergängen Modellvorstellungen zugrunde, die von einem komplexen Wechselwirkungsprozess zwischen: einem sich entwickelnden Individuum und einer sich im Zuge des Übergangs verändernden Umwelt ausgehen. Demnach sind bei der Betrachtung von Übergängen Verlaufsprozesse auf zwei Ebenen zu berücksichtigen: 1) Veränderungen des äußeren Lebenskontextes im Zuge des Übergangs 2) Verlauf der Bewältigungs- und Anpassungsleistungen der betroffenen Personen Veränderung oder Akzentuierung von Unterschieden im Übergangsprozess? Eine zentrale Frage der psychologischen Übergangsforschung lautet: Verändert sich der Mensch in Übergangsphasen aufgrund der neuen Erfahrungen? oder Ist eher davon auszugehen, dass in Übergangsphasen bereits zuvor bestehende Verhaltenstendenzen nur deutlicher hervortreten? In der wissenschaftlichen Diskussion zu dieser Frage werden zwei gegensätzliche Grundpositionen vertreten (vgl. Caspi, 2000): 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 151

152 Forum 10 Übergänge Grundschule - Oberschule 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Veränderungshypothese Veränderungen auf der Ebene des äußeren Lebenskontextes werden nahezu gleichgesetzt mit Veränderungen auf der Personenebene. Grundannahme: In Zeiten dynamischer Veränderungen des Lebenskontextes (Übergänge) verändern sich auch die betroffenen Personen bedeutsam. 2. Akzentuierungshypothese In Zeiten dynamischer Veränderungen des Lebenskontextes ist eher eine Betonung bestehenden Persönlichkeitsdispositionen als eine Veränderung zu erwarten. Grundannahme: Ein Übergangsereignis bringt das bestehende Person-Umwelt Passungsgefüge aus dem Gleichgewicht. Die betroffene Person greift bei der Reorganisation dieses Passungsgefüges eher auf das vertraute Verhaltensrepertoire zurück, als aufwendig neue Reaktionsweisen zu entwickeln. II. Empirische Befunde zum Übergang Grundschule weiterführende Schule Welche Anforderungen und Problembereiche kennzeichnen den Übergang? Welche Adaptationsprozesse zeigen sich beim Übergang? Abb 1: Langzeitstudie zu den zentralen Bildungsübergängen im Kindesalter Welche Verläufe zeigen sich bei Übergängen im Kindesalter? Empirische Grundlage der Studie Die Ergebnisse basieren auf testpsychologischen Untersuchungen und Befragungen von insgesamt N = 180 Kindern sowie deren Eltern und jeweiligen Pädagogen (N = 60 pro Übergang) Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

153 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 10 Übergänge Grundschule - Oberschule Abb. 2: Zwei-Ebenen-Verlaufsmodell des Übergangs II Anforderungen und Problembereiche beim Übergang zur weiterführenden Schule 1. Soziale Prozesse innerhalb der Schülergruppe Intensive Prozesse der Gruppenbildung, Rollenfindung und Statusbestimmung Unsicherheiten bestehen im Hinblick auf Akzeptanz durch die neuen Mitschüler und in Bezug auf das Schließen neuer Freundschaften. Die größten Unsicherheiten gibt es bei den Kindern, die bei Schulbeginn noch niemanden in der Klasse kannten. Die sozialen Prozesse verlaufen für die Schüler sehr unterschiedlich und wirken sich auf den individuellen Lernprozess aus: Die meisten Kinder haben einige Wochen nach dem Übergang neue Freundschaften aufgebaut. Es gibt es aber auch Schüler/innen, die sich in einer Randposition befinden = große psychische Belastungen. 2. Schüler/in-Lehrer/in-Beziehung Für die Schülerinnen und Schüler ist es von großer Bedeutung, eine/n Lehrer/in zu finden, der/dem sie vertrauen können und der ein offenes Ohr für ihre Probleme/Anliegen hat. Kinder berichten hier von positiven Erfahrungen, aber auch von Mängeln und Enttäuschungen. Einigen Schülerinnen und Schülern fällt auch die Umstellung auf männliche Pädagogen schwer. Es bestehen Probleme im Umgang mit dem Fachlehrerprinzip: Problematisch ist dabei eine zu große Anzahl wechselnder Lehrer/innen beziehungsweise ein zu geringer Stundenanteil der Klassenlehrerin / des Klassenlehrers Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 153

154 Forum 10 Übergänge Grundschule - Oberschule 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Veränderte Lern- und Leistungsanforderungen Die allgemein höheren Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler machen sich bereits früh nach dem Wechsel bemerkbar: Umstellung auf die große Zahl neuer Fächer Deutlicher Anstieg der Hausaufgaben (verbunden mit Freizeiteinschränkungen) Bedeutung der Klassenarbeiten (besonders der ersten) im Hinblick auf Selbstkonzept und Status in der Klasse Erste Noteneinbrüche bei Klassenarbeiten (besonders bei Gymnasiasten, Realschülern) Angst, Leistungsanforderungen nicht zu genügen; Hohes Ausmaß an psychischer Belastung 4. Merkmale der schulischen Lernumwelt Schwierigkeiten mit der ungewohnten Größe und schwer durchschaubaren Struktur der neuen Schule Probleme mit der ungewohnt hohen Anzahl an Mitschüler/inne/n in der Klasse beengte und unfreundlich gestaltete Klassenzimmer und Schulhöfe Belastungen aufgrund eines längeren Schultages, eines längeren Schulweges und früheren Aufstehens 5. Eltern-Kind-Beziehung Eltern begleiten in der Regel den Übergang ihres Kindes in die neue Schule mit großer innerer Beteiligung. Dabei bestehen deutlich gestiegene elterliche Erwartungen hinsichtlich der schulischen Karriere des Kindes. Affektwirksamkeit von schulbezogenen Diskrepanzwahrnehmungen Diskrepanzen beziehungsweise Übereinstimmungen zwischen elterlichen Leistungserwartungen (Sollvorstellungen/Ambitionen) und dem kindlichen Schulerfolg (Ist-Zustand, Noten) wirken sich auf die emotionale Eltern-Kind-Beziehung aus: Positive Affekte (Stolz, Freude), wenn das Kind den Erwartungen entspricht Emotionale Distanzierung, wenn das Kind die Erwartungen nicht erreicht Welche Adaptationsprozesse zeigen sich beim Übergang? Zentrale Fragestellungen der Studie 1) Löst das Übergangsereignis ähnliche Reaktionen bei den betroffenen Kindern aus oder lassen sich unterschiedliche Verlaufsformen kindlicher Anpassung (Verlaufstypen) identifizieren? 2) Welche personalen und sozialen Merkmale üben auf den kindlichen Anpassungsprozess einen eher förderlichen und welche einen eher hemmenden Einfluss aus? Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

155 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 10 Übergänge Grundschule - Oberschule Abb. 3: Zwei-Ebenen-Verlaufsmodell des Übergangs III Abb. 4: Anpassungsprobleme von Kindern (Elternsicht) 2011 Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 155

156 Forum 10 Übergänge Grundschule - Oberschule 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Abb. 5: Charakterisierung unterschiedlicher Verlaufstypen (Übergang zur weiterführenden Schule) III. Zusammenfassung und Implikationen Bei Übergängen handelt es sich um komplexe Prozessabläufe bei denen sowohl strukturelle Merkmale als auch personale und soziale Faktoren eine Rolle spielen. Fortlaufende Wechselwirkungen zwischen einem sich entwickelnden Individuum in einer sich verändernden Umwelt Erfordernis einer differenziellen Übergangsforschung: Bei etwa Dreiviertel der Kinder kann der Effekt einer Stabilität/Akzentuierung des Verhaltens im Übergangsprozess beobachtet werden. Dabei stabilisieren/akzentuieren sich: a) bei einer Teilgruppe Fähigkeiten/Kompetenzen (52%) und b) bei einer anderen problematische Verhaltensweisen (21%). Demgegenüber finden sich aber auch Verlaufsformen, die deutliche Veränderungen bei den betroffenen Kindern sichtbar werden lassen (bei gut 25 % der Kinder): a) Veränderungen in eine eher bedenkliche Richtung stehen im Zusammenhang mit spezifischen Risikofaktoren/-konstellationen. b) Positive Veränderungsprozesse stehen in Beziehung mit bestimmten protektiven Faktoren/ Konstellationen. Relevante Einflussfaktoren im Zusammenhang mit der Bewältigung des Übergangs Grundschule weiterführende Schule (vgl. Beelmann, 2002) a) Ebene der sozialen Kontextmerkmale: das Ausmaß des sozialen Unterstützung seitens der Lehrer und Eltern und die Integration in die Gruppe der Peers Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

157 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Forum 10 Übergänge Grundschule - Oberschule b) Ebene der Personenmerkmale: das Ausmaß an sozial-emotionaler Kompetenzen und die Fähigkeit zur Flexibilität im Denken und Wahrnehmen Allgemeines Ziel professioneller Intervention und Begleitung ist es, auf der Basis belastbarer empirischer Befunde im Hinblick auf den jeweiligen Übergang die jeweils spezifischen Risikofaktoren auszuschalten beziehungsweise zu minimieren und protektive Faktoren auf- bzw. auszubauen. Für einen differenziell ausgerichteten Ansatz psychologischer und pädagogischer Intervention und Begleitung bieten sich folgende Ansatzpunkte im Kontext des Übergangs Grundschule weiterführende Schule: Differenzieller Ansatz der Intervention/Begleitung Wolfgang Beelmann, 2011 Übergangsgestresste Geringe Motivation im Hinblick auf den bevorstehenden Übergang klären und Befürchtungen ansprechen Soziale Vernetzung der Schülerinnen und Schüler der neuen Schulklassen bereits vorab unterstützen Kinder gezielt informieren und vorbereiten im Hinblick auf Anforderungen und mögliche Probleme beim Übergang Risikokinder Förderunterricht (Nachholen des nicht hinreichend beherrschten Lernstoffs der Grundschule) Lehrer-Schüler-Eltern-Gespräche zur Verbesserung der Beziehungen Gezielte Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen (z. B. Gruppentrainingsprogramme zur Förderung der Wahrnehmung und des Ausdrucks eigener Emotionen im sozialen Kontext) IV. Literatur Beelmann, W. (2002). Entwicklungsrisiken und -chancen bei der Bewältigung normativer sozialer Übergänge im Kindesalter. In C. Leyendecker & T. Horstmann (Hrsg.). Große Pläne für kleine Leute. Grundlagen, Konzepte und Praxis der Frühförderung (2. Aufl.), S , München: Ernst Reinhardt. Beelmann, W. (2006). Normative Übergänge im Kindesalter. Anpassungsprozesse beim Eintritt in den Kindergarten, in die Grundschule und in die weiterführende Schule. Hamburg: Kovac. Beelmann, W. & Rosowski, E. (Hrsg.) (2011). Übergänge im Lebenslauf bewältigen und förderlich gestalten. Münster: Lit Verlag. Caspi, A. (2000). The child is the father of the man: Personality continuities from childhood to adulthood. Journal of Personality and Social Psychology, 24, Pinquart, M. & Grob, A. (2008). Soziale Übergänge von der Kindheit bis in das frühe Erwachsenenalter. In R. K. Silbereisen & M. Hasselhorn (Hrsg.). Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich C, Serie V, Bd. 5, S , Göttingen: Hogrefe. Schumacher, E. (Hrsg.) (2004). Übergänge in Bildung und Ausbildung. Gesellschaftliche, subjektive und pädagogische Relevanzen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Silbereisen, R. K. & Noack, P. (2006). Kontext und Entwicklung. In W. Schneider & F. Wilkening (Hrsg.). Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich C, Serie V, Bd. 1 (S ). Göttingen: Hogrefe Regionale Fortbildung Berlin und SFBB 157

158 Forum 10 Praxisbeispiel Gestaltung des Übergangs GS - ISS 2. Schulartübergreifende Tandem-/Tridemfachtagung Daniela Cesar da Silva Schulsozialarbeiterin, Horizonte ggmbh Henrik Nitsch Mittelstufenkoordinator, Jean-Krämer-Schule Wittenau Übergangsgestaltung Wechsel von der Grundschule zur Oberschule Abb. 1: Teilschritte der Übergangsgestaltung an der Jean-Krämer-Schule Wittenau Regionale Fortbildung Berlin und SFBB

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