Was brauchen kleine Kinder? Entwicklungsvoraussetzungen, Gefährdungspotenziale und Konsequenzen für Krisenintervention und Betreuung
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- Clara Schwarz
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1 Was brauchen kleine Kinder? Entwicklungsvoraussetzungen, Gefährdungspotenziale und Konsequenzen für Krisenintervention und Betreuung Ute Ziegenhain HzE-Jahrestagung Inobhutnahme und Unterbringung: Was brauchen kleine Kinder? LWL-Landesjugendamt Westfalen, Dortmund, 8. März, 2011 Gliederung Entwicklungspsychologische Grundlagen: Bindung und Trennung Entwicklungsrisiken Herausforderungen in der Arbeit mit misshandelten/vernachlässigten Kindern/Pflegekindern Förderung, Unterstützung, strukturelle Verbesserungen 1
2 Bedeutung von Bindung für die Entwicklung Emotionale Verfügbarkeit als zentrales Entwicklungsziel ( Felt Security ): Auswirkungen uneingeschränkte/ vorbehaltslose Bindungsbeziehung mit einer emotional verfügbaren, zuverlässigen und responsiven Bezugsperson Bedrohung der emotionalen Verfügbarkeit der Bindungsperson: Gefühle von Furcht und Ärger längere/dauernde Störung einer Bindungsbeziehung: Gefühle von Trauer und Verzweiflung John Bowlby ( ) 2
3 Bindung und Trennung Emotionale Verfügbarkeit als zentrales Entwicklungsziel ( Felt Security ): Auswirkungen die emotionale Verfügbarkeit der Bindungsperson ist bedroht in der frühen Kindheit: bei körperlicher Trennung bei älteren Kindern: bei gestörter Kommunikation aufgrund längerer Abwesenheit, emotionaler Zurückgezogenheit, Zurückweisung oder Drohung, verlassen zu werden/zu verlassen Bindungstheoretische Grundannahmen Alle Kinder entwickeln im Verlauf des ersten Lebensjahres eine oder mehrere enge Bindungen zu nahe stehenden Bezugspersonen, in der Regel die Eltern aber: auch Großeltern, Pflegeeltern, Erzieherin, etc. Bindungen sind dauerhafte und dyadische Beziehungen das Bindungssystem wird insbesondere in Situationen von Verunsicherung/Angst aktiviert 3
4 Bindungsperson: Quelle emotionaler Sicherheit und externer Hilfe zur Regulation Trennung, unvertraute Situation, (körperliche, emotionale) Überforderung Bindungsperson Belastetheit, Verunsicherung, (Herzfrequenz- Anstieg) Entlastung, Interesse an Erkundung (Absinken Herzfrequenz) Besonderheiten in der Entwicklungspsychologie der frühen Kindheit In der frühen Kindheit werden nahezu alle Erfahrungen durch die Eltern vermittelt und gesteuert Säuglinge und Kleinkinder sind gleichermaßen physisch wie psychologisch auf elterliche Fürsorge angewiesen There is no such a thing as a baby (Winnicott,1949) 4
5 Eltern als externe Regulationshilfe intuitive und kontinuierliche Regulation der wechselnden Erregungsniveaus und der emotionalen Befindlichkeit des Säuglings (elterliche Feinfühligkeit) dyadische Emotionsregulation (Sroufe, 1996) The infant s brain needs to feel felt by the caregiver (Siegel, 2001) Feinfühlige Eltern als Emotions-Coach ihrer Kinder 5
6 Psychobiologische Regulation in der Bindungsbeziehung: Elterliche Feinfühligkeit feinfühliges elterliches Verhalten beeinflusst Bindungssicherheit (mäßiger, aber zuverlässiger Prädiktor; dewolff & van IJzendoorn, 1997) Bindungssicherheit beeinflusst positive sozial-emotionale Entwicklung (Thompson, 1998; Weinfield et al., 1999) flexible und kompetente Bewältigungsstrategien im Ungang mit Stress und belastenden Lebensereignissen (Werner, 1990) Hochunsichere Bindung Bindungsperson als Quelle von Belastung und Stress keine adäquate Regulationshilfe extrem negativer psychobiologischer Zustand, der relativ zu den Entwicklungskompetenzen eines Säuglings und Kleinkindes nicht bzw. unzureichend selber regulierbar längerfristig unzureichende sozial-emotionale Erfahrungen unzureichende/fehlende Fähigkeit, Neues, und damit auch stressvolle emotionale Erfahrungen zu verarbeiten und zu meistern 6
7 Hochunsichere Bindung Hochunsichere Bindung Furcht als durchgängige Beziehungserfahrung - Furcht vor der Bindungsperson (direkte ängstigende Interaktionserfahrung) - Furcht der Bindungsperson (indirekte Auswirkung elterlicher traumatischer Beziehungserfahrung) Konflikt zwischen Bedürfnis nach Sicherheit durch die Bindungsperson und Furcht vor ihr Nowhere to go 7
8 Versagen der Bindungsperson als Quelle emotionaler Sicherheit und externe Hilfe zur Regulation Trennung, unvertraute Situation, (körperliche, emotionale) Überforderung Bindungsperson Belastetheit, Verunsicherung, (Herzfrequenz- Anstieg) Entlastung, Interesse an Erkundung (Absinken Herzfrequenz) Zwischenfazit: Trennung als zentrales bindungstheoretisches Thema Abwesenheit der Bindungsperson körperliche Abwesenheit psychologische Abwesenheit (im Sinne emotionaler Unzuverlässigkeit bzw. fehlender Feinfühligkeit) Drohung, verlassen zu werden Nowhere to go tiefgreifende Gefährdung der tatsächlichen und empfundenen Sicherheit 8
9 Gliederung Entwicklungspsychologische Grundlagen: Bindung und Trennung Entwicklungsrisiken Inpflegenahme/Inobhutnahme als umfassende Lebensveränderung Inpflegenahme bedeutet eine umfassende und radikale Lebensveränderung für ein Kind Trennung - von den leiblichen Eltern oder zumindest Kontakteinschränkung - ggf. Trennung von Geschwistern Anpassungsanforderung an - neue Bezugspersonen - neue Settings (z.b. Kita, Nachbarschaft) - sogar an andere Kulturen, andere Sprachen Sroufe, Egeland, Carlson & Collins, 2005; Weinfield, Sroufe & Egeland,
10 Gründe für die Fremdunterbringung Systematische Literaturrecherche ( ): Vernachlässigung: 18%-78% Emotionale Misshandlung: 8-77% Sexueller Missbrauch: 4-55% Körperliche Misshandlung: 6-48% Substanz- oder Alkoholmissbrauch der Eltern: 30-38% Abwesenheit Bezugsperson: % (Oswald, Heil & Goldbeck, 2009) Misshandlung und Vernachlässigung als charakteristische Erfahrung bei Pflegekindern Pflegekinder repräsentieren eine Gruppe von misshandelten/ vernachlässigten Kindern Ausnahme z.b. Kinder, die bereits mit der Geburt in eine Pflegefamilie kommen Misshandlung und Vernachlässigung lässt sich als destruktive Entgleisung einer sich entwickelnden Bindungsbeziehung umschreiben Schwer vernachlässigte früh misshandelte Kinder sind diejenigen Kinder, auf die die Bindungsstörungsdiagnosen nach ICD-10 in der kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis fast ausschließlich angewendet werden Ebenso werden Symptome Posttraumatischer Belastungsstörung bei misshandelten kleinen Kindern beobachtet bzw. bei Kindern, die Zeuge massiver Partnerschaftsgewalt waren (Osofsky, Cohen, & Drell, 1995; Zeanah, 1994; Zeanah&Scheeringa, 1996, 1997). 10
11 Bindungsstörungen (nach ICD-10) Bindungsstörung mit Enthemmung (F94.2) - relative Überaktivität des Bindungssystems Unvermögen differenziertes Bindungsverhalten gegenüber einer Bezugsperson zu zeigen keine exklusive Bezugsperson Bindungsstörung mit Enthemmung (F94.2) Kriterien entwickelt aus Forschung über Kleinkinder in Waisenhäusern bzw. Heimen erstaunlich konsistente Beschreibungen der Kernsymptome: - anklammernd, distanzlos, emotional flach, oberflächlich und wenig emotional bezogen oberflächlich warm (Levy, 1937) undifferenziertes Verhalten (Goldfarb, 1943, 1945) exzessives Bedürfnis nach Aufmerksamkeit (Goldfarb, 1943,1945 undifferenzierte Selbstpräsentation (Freud & Burlingham,1946) undifferenziert freundlich (Provence & Lipton, 1962) 11
12 Bindungsstörungen (nach ICD-10) Reaktive Bindungsstörung (F94.1) Hemmung von Bindungsverhalten: keine Nähe- und Kontaktsuche bei einer Bezugsperson unter Belastung Störung der sicheren Basis/destruktive Entgleisung einer etablierten Bindungsbeziehung Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) traumatische Ereignisse oder Ereignisse, die ein Trauma hervorrufen können: - aktuelle oder drohende Gefahr von Tod oder schwerer Verletzung oder Bedrohung der eigenen physischen Integrität oder der anderer - Ereignis wird von der betroffenen Person als hinreichend bedrohlich erlebt (intensive Angst, Hilflosigkeit, Entsetzen, Bewältigungsstrategien versagen; (American Psychiatric Association, 1994; Scheeringa & Gaensbauer, 2000) Traumatische Ereignisse bei Säuglingen und Kleinkindern: Misshandlung/Missbrauch Zeuge häuslicher Gewalt Zeuge von Partnerschaftsgewalt / Gewalt in der Nachbarschaft Unfälle Naturkatastrophen schmerzhafte medizinische Eingriffe höhere Entwicklungsrisiken bei beziehungsabhängigen Traumata (quantitativ und qualitativ; Typ 2-Traumata, Terr, 1995) 12
13 Entwicklungsrisiken bei Pflegekindern in Deutschland Inanspruchnahmepopulation KJPP Berlin, Fegert, 1998 > 1/4 der Pflegekinder erfüllten die Diagnose einer Bindungsstörung vs. < 1% Familienkinder Spezialsprechstunde für Pflegekinder, KJPP Ulm, Ziegenhain, Grasmann & Goldbeck; N=97, : > 90 Prozent der Kinder erfüllten die Kriterien für mindestens eine psychiatrische Diagnose 45% Hinweise auf eine Bindungsproblematik 24 % klinisch-relevante Bindungsstörung 11 % umschriebene Entwicklungsstörungen 33% unterdurchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit 20% körperliche Beschwerden DJI-Studie, Kindler et al., 43% klinisch bedeutsame Verhaltensauffälligkeiten (CBCL) 12, 5 % Posttraumatische Belastungsstörung (Schätzung auf Grundlage standardisierter klinischer Interviews und CBCL-Daten; Arnold, Rosner, Groh & DJI 2008) Ungenügende und belastende institutionelle Reaktionen wiederholte Betreuungswechsel: 20-40% meist verbunden mit vorübergehender Rückkehr in die Herkunftsfamilie; Terling, 1999; Clyman, Harden & Little, 2002) hohe Rate von Abbrüchen von Pflegebeziehungen mit negativen Entwicklungskonsequenzen für die Kinder (Rutter & O Connor, 1999) - gescheiterte Vollzeitpflegeverhältnisse: 20 40% (Baur et al., 1998) insbesondere, wenn keine klare Hilfeplanung (= Rückkehr in Herkunftsfamilie oder stabile Dauerpflege; Rutter & O Connor, 1999) 13
14 Gliederung Entwicklungspsychologische Grundlagen: Bindung und Trennung Entwicklungsrisiken Herausforderungen in der Arbeit mit misshandelten/vernachlässigten Kindern/Pflegekindern Gefahr der Kumulation von Entwicklungsrisiken bei Pflegekindern vor der Inpflegenahme: kritische Beziehungserfahrungen wie Vernachlässigung, Misshandlung, familiäre Gewalt Inpflegenahme: Abbruch/Auflösung der bisherigen Bindungsbeziehung ungenügende und belastende institutionelle Reaktionen instabile Pflegebeziehungen, rascher und häufiger Wechsel von Bezugspersonen erhöhtes Risiko von Entwicklungsproblemen folgende kritische Beziehungserfahrungen/ Beziehungswechsel treffen auf bereits stark beeinträchtigte Bewältigungs- /Regulationskompetenzen 14
15 Alter bei Trennung, soziale Entwicklungsmeilensteine und Anpassungskompetenzen/Verarbeitungsweisen mit 2-3 Monaten: soziale Revolution : Verarbeitung von Reizen nicht nur nach ihren physikalischen Merkmalen, sondern zunehmend auch nach Erfahrung und Bedeutung Zeichen: erstes soziales Widerlächeln (6 Wochen), mit 8-9 Monaten: Kommunikation über Objekte Zeichen: Joint Attention, Social Referencing, Fremdeln hohe (biologische) Bereitschaft sich zu binden; (sensomotorisch mit Eltern vertraut!) Personenpermanenz Langzeitgedächtnis wird aktiv, Fremdeln mit 12 Monaten: Aktive Aufmerksamkeitslenkung des Partners Zeichen: Zeige-, Verneinungsgeste, erste Wörter ab 18 Monaten: Entdecken des Ich, Partner wird als Person wahrgenommen Zeichen: Selbsterkennen im Spiegel, Symbolspiel, Trotz, Stolz, psychologische Prozesse im Anderen, sprachliche Kommunikation exklusive Bindung (Trennungsreaktionen/ -schmerz auf dem Höhepunkt) Trennungsschmerz, zunehmend verbale Erinnerung, Sprache als Hilfe bei neuer Beziehungserfahrung/ Veränderung Alter bei Trennung, soziale Entwicklungsmeilensteine und Anpassungskompetenzen/Verarbeitungsweisen ab ca. 36 Monaten: Gestalten eigener Vorstellungen in der Phantasie, Erweiterung der inneren psychischen Welt bei sich selbst und zunehmend auch bei anderen sowie der Regeln und Strukturen des sozialen Miteinanders (Theory of Mind) Zeichen: versucht Verhalten der Eltern zu beeinflussen, beginnt Kompromisse auszuhandeln zunehmend größere Gedächtniskapazität ( gestern, morgen ) intuitives Bewusstsein über eigene Wirkung auf andere, Auftauchen sekundärer Gefühlsqualitäten wie Scham und Schuld zielkorrigierte Partnerschaft : emotionale Grundsicherung wird durch psychologische Intimität ergänzt 15
16 Reaktivierung bisheriger und Beziehungserfahrungen und Alter bei Beginn der Pflegebeziehung ältere Kinder Kinder entwickeln wachsam-selbstbezogenes (warily self-reliant) Verhalten, vertrauen nicht darauf, dass die Pflegemutter emotional verfügbar ist, sie begegnen ihr eher mit Misstrauen und Ablehnung Pflegeeltern reagieren verunsichert, hilflos und ärgerlich ca. 2 bis 24 Monate Kinder sind eher vermeidend oder widerständig, wenn sie belastet sind sie kommunizieren damit, dass sie die Pflegemutter nicht brauchen bzw. dass diese sich nicht adäquat kümmert Pflegeeltern reagieren - so als ob das Kind sie nicht brauche (bei vermeidendem Verhalten) - ärgerlich (bei widerständigem Verhalten) jünger als 12 Monate Kinder tendieren zu sicherem Verhalten, wenn die Pflegemutter feinfühlig ist Pflegeeltern reagieren fürsorglich (Stovall & Dozier, 2000; Stovall-McClough & Dozier, 2004; Dozier, 2005; Schoiel, 2005) Beziehungsaufbau mit den Pflegeeltern: Pflegekinder gestalten die Interaktion entscheidend mit (Dozier) bisherige negative Beziehungserfahrungen werden in der neuen Beziehung reaktiviert - auch gegenüber prinzipiell feinfühligen und fürsorglichen Pflegeeltern Gefahr der Entwicklung von interaktiven Teufelskreisen 16
17 (Entwicklungs-) Herausforderungen für Pflegeeltern befremdliches, schwer interpretierbares Verhalten, wenn (emotional) belastet - z.b. unbeteiligt und/oder zurückweisend, abwehrend, ärgerlich) Verhaltensauffälligkeiten Regulationsprobleme (Verhalten, emotional physiologisch) keine/unzureichende Strategien im Umgang mit Stress Interne Bindungsrepräsentation der Pflegeeltern (Stovall & Dozier) Wenn die Pflegemütter eine sicher-autonome Bindungsrepräsentation hatten, entwickelten dies Kinder eine sichere Bindung zu ihr (statistisch bedeutsame Wahrscheinlichkeit) Wenn die Pflegemütter keine sicher-autonome Bindungsrepräsentation hatten, bestand ein statistisch bedeutsames Risiko, dass die Kinder eine hochunsicher-desorganisierte Bindung zu ihr entwickelten Kinder mit Misshandlungs-/Vernachlässigungserfahrungen bzw. mit hochunsicheren Bindungsvorerfahrungen können ihr Bindungsbedürfnis nicht organisieren, es sei denn, sie haben eine feinfühlige und fürsorgliche Bindungsperson 17
18 Gliederung Entwicklungspsychologische Grundlagen: Bindung und Trennung Entwicklungsrisiken Herausforderungen in der Arbeit mit misshandelten/vernachlässigten Kindern/Pflegekindern Förderung, Unterstützung, strukturelle Verbesserungen Systematische und spezifische Unterstützung von Pflegeltern Pflegeeltern benötigen Unterstützung für die (Re-) Interpretation kindlicher Signale (Verhaltensbeobachtung, entwicklungs(psycho(patho-) logisches Wissen) Strategien im Umgang mit Belastung beim Kind die Schaffung einer verlässlichen, vorhersagbaren Umgebung (Gefühls- und Verhaltenssicherheit entwickeln, Verhalten oder Ereignisse selbst verursachen und kontrollieren zu können Voraussetzung für die Fähigkeit, physiologische, emotionale und Verhaltensregulation zu entwickeln ) Dozier et al., 2002) 18
19 Bindungsförderung: Attachment and Biobehavioral Catch-Up, ABC (Dozier et al., 2002, 2005) Normalisierung der abweichenden physiologischen Regulationsprozesse Verständnis für /Umgang mit schwierigen/bizarren Verhaltensweisen der Kinder, die oft ungewollt ablehnendes Verhalten der Pflegeeltern auslösen Reflexion eigener (negativer) Kindheitserfahrungen der Pflegeeltern reflektiert, die feinfühliges Verhalten beeinträchtigen können Videofeedback Tagebuch zum Beziehungsaufbau (Stovall & Dozier, 2000) Rufen Sie sich bitte eine Begebenheit vom heutigen Tag ins Gedächtnis, wo das das Kind sich wehgetan hatte und beantworten Sie die folgenden Fragen: Was hat das Kind gemacht, um Sie auf sich aufmerksam zu machen? ALLES ZUTREFFENDE ANKREUZEN schaute mich an, um beruhigt zu werden verhielt sich, als ob nichts passiert wäre war ärgerlich/frustriert (stampfte z.b. mit dem Fuß auf, trat mit den Beinen) schaute mich ganz kurz an, schaute dann weg, und ging weg signalisierte mir, hochgenommen zu werden, streckte die Arme aus keine (Verhaltens-)zeichen, dass es zu mir wollte oder mich brauchte weinte, blieb wo es war, signalisierte nicht, dass es Nähe oder Kontakt wollte jammerte oder weinte kurz, setzte vorhergehende Aktivität fort, schaute nicht zu mir ging weg, war für sich wirkte unbeteiligt, cool rief nach mir kam zu mir weinte 19
20 Was war Ihre unmittelbare Reaktion? ALLES ZUTREFFENDE ANKREUZEN - umarmte oder hielt das Kind - streichelte seinen Rücken, Bauch, Kopf, etc. - küsste es - berührte das Kind nicht - sagte ihm, dass es aufstehen solle - sprach ernsthaft mit ihm - sagte gar nichts - setzte es in den Hochstuhl, Geh-Frei o.ä, - versorgte es (Pflaster etc.) - reagierte etwa wie alles o.k., Dir ist nichts passiert, oder sagte- ihm, dass es nicht traurig sein solle - nahm es hoch - sprach beruhigend zu ihm, Babysprache - gab ihm einen Klaps - lachte - ignorierte es - ging in einen anderen Raum Tagebuch Beziehungsaufbau (Stovall & Dozier, 2000) setzte es in einen anderen Raum Wie reagierte das Kind darauf? ALLES ZUTREFFENDE ANKREUZEN - war schnell beruhigt oder getröstet - stieß mich ärgerlich oder frustriert weg - stieß mit dem Fuß auf oder trat - beruhigte sich nicht, war schwer zu trösten - zeigte nicht, dass es meine Hilfe brauchte - wendete sich ab, wenn ich es hochnahm oder es ansprach - schmiegte sich an mich oder hielt sich an mir fest, bis es sich beruhigt hatte - ließ sich nicht ohne weiteres halten, blieb unglücklich (bog sich zurück, klemmte Arm zwischen seinen und meinen Körper) - hielt sich an mir fest oder lief hinter mir her, wenn ich es absetzte - wirkte unbeteiligt - spielte weiter, bemerkte mich nicht - schlug, trat nach mir - wendete sich ärgerlich oder frustriert von mir ab - ignorierte mich - wurde ruhig, begann dann wieder zu meckern/jammern - ging in einen anderen Raum Tagebuch Beziehungsaufbau (Stovall & Dozier, 2000) 20
21 Kreis der Sicherheit wie Eltern die Bedürfnisse des Kindes erfüllen (Marvin et al., 2000) ich brauche Dich, damit Du meinen Erkundungsdrang unterstützt pass auf mich auf hilf mir freu dich mit mir ich brauche Dich, damit Du... beschütze mich tröste mich freue Dich an mir ordne meine Gefühle mich willkommen heißt, wenn ich zu Dir komme Immer: Sei GRÖSSER, STÄRKER, KLÜGER und LIEBEVOLL Wenn immer möglich: Erfülle die Bedürfnisse des Kindes Wenn immer nötig: Übernimm die Führung Entwicklungspsychologische Beratung (Ziegenhain et al., 2004) Bindungstheoretisch begründete Förderung elterlicher Feinfühligkeit Vermittlung von Ausdrucks-, Belastungs- und Bewältigungsverhaltensweisen von Säuglingen und Kleinkindern (Brazelton, 1984; Als, 1982) verhaltensorientiert videogestützt ressourcenorientiert 21
22 Entwicklungspsychologische Beratung (Ziegenhain et al., 2004) Intervention Video-Sequenzen gelungener Interaktion Video-Sequenzen nicht gelungener Interaktion Anwesenheit des Kindes Videoaufnahme gemeinsamer Interaktion Bekenntnis (Commitment) der Pflegeeltern als zentraler Faktor für einen gelingenden Beziehungsaufbau und eine positive Entwicklung (Dozier) mindestens genauso relevant wie eine gute Bindungsbeziehung häufig erschwert durch zusätzliche emotionale Belastungen/Ängste sowohl bei Kindern als auch bei Pflegeeltern fehlende Unterstützung/unklare Perspektive 22
23 Konzeptueller und struktureller Nachbesserungsbedarf? normales, auch feinfühliges Elternverhalten ist nicht genug: Problemspezifische und entwickungsadäquate Betreuung und Förderung Eltern auf die spezifischen Herausforderungen mit belasteten Pflegekindern vorbereiten und kontinuierlich begleiten und unterstützen (Re-) Interpretation kindlichen Ausdrucksverhaltens Strategien im Umgang mit Belastung beim Kind Schaffung einer verlässlichen, vorhersagbaren Umgebung Entwicklung von Gefühls- und Verhaltenssicherheit, Verhalten oder Ereignisse selbst verursachen und kontrollieren zu können (Dozier et al., 2002) Konzeptueller und struktureller Nachbesserungsbedarf? Trennungen/Betreuungswechsel vermeiden jede erneute Trennung erhöht das Risiko von Entwicklungsschädigungen beim Kind (Bereitschaftspflege!?) sie trifft auf bereits beeinträchtigte Bewältigungs- und Regulationskompetenzen beim Kind (hochunsichere Bindungsvorerfahrungen, Misshandlung, Vernachlässigung) Zeit schafft Fakten: Entscheidungen müssen entwicklungsangemessen und zeitnah erfolgen rasche und verbindliche Perspektivenklärung regelhafte, standardisierte und interdisziplinäre Diagnostik systematische und interdisziplinäre Hilfeplanung zeitnahe Hilfeplangespräche wenn Trennung, dann kindgerecht: Übergänge 23
24 Strukturelle Überlegungen Arbeit mit der Herkunftsfamilie Chance, mögliche Rückkehroption fachlich angemessen abzuklären (auch wenn das Kind in einer Pflegefamilie lebt) (Verhalten von Eltern während Inpflegenahme wichtiger Prädiktor!) Einschätzung der Erziehungsfähigkeit der Herkunftseltern Risikoeinschätzung gemäß derzeitigem Forschungsstand: Elterliche Beziehungs- und Erziehungskompetenzen Qualität bisheriger elterlicher Kompetenzen Qualität gegenwärtiger elterlicher Kompetenzen Wissen über Entwicklung und Erziehungseinstellungen Persönlichkeitsmerkmale und eigene Bindungsvorerfahrungen der Eltern Ausmaß der Kindeswohlgefährdung Qualität elterlicher Kompetenzen über die Zeit und unter Stress 24
25 Fazit: Pflegekinder brauchen mehr als adäquates Elternverhalten Man hat mir gesagt, ich solle mich wie eine ganz normale Mutter verhalten aber dann habe ich gemerkt, dass Laura kein normales Kind ist Es gibt keine großen Entdeckungen und Fortschritte, solange es noch ein unglückliches Kind auf Erden gibt. Albert Einstein * 1889 Ulm Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 25
26 Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm Steinhövelstraße Ulm ulm.de/kjpp Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Jörg M. Fegert 26
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