Interview mit Prof. Dr. Robert Jütte Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin, Robert-Bosch-Stiftung Stuttgart. Thema: Die Homöopathie

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1 Interview mit Prof. Dr. Robert Jütte Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin, Robert-Bosch-Stiftung Stuttgart Thema: Die Homöopathie Prof. Dr. Jütte war im Rahmen eines Stiftungsvortrages von der Bürger-Stiftung-Grafenau eingeladen, einen Vortrag über die Homöopathie zu halten. Wir durften ihm vorab einige Fragen stellen. 1) Homöopathie Viele Menschen denken da an Pflanzenheilkunde. Aber eigentlich hat das damit nicht unbedingt etwas zu tun, richtig? Die Homöopathie wird zwar zu den naturheilkundlichen Verfahren gerechnet, ist aber im traditionellen Sinne keine Naturheilkunde, weil sie eben nicht nur pflanzliche Mittel verwendet. Der homöopathische Arzneimittelschatz umfasst auch giftige Metalle, beispielsweise Gold, Silber, Arsen oder sogar Magnetismus. 2) Wie genau funktioniert die Homöopathie? Die Homöopathie ist eine Heilweise, die auf dem Ähnlichkeitsprinzip beruht. Das bedeutet: Ähnliches soll mit Ähnlichem behandelt werden. Von diesem Grundsatz ausgehend hat man getestet, ob gewisse Substanzen beim gesunden Menschen ein Symptom hervorrufen, das ähnlich dem eines Kranken ist. Das können körperliche aber auch psychische Symptome sein. Das ist im Übrigen ein wesentlicher Unterschied zur Schulmedizin: Diese wird am Kranken getestet, homöopathische Mittel hingegen am Gesunden. Des Weiteren ist das Besondere an der Homöopathie die individuelle Arzneimittelwahl. Wenn Sie etwa ein Schnupfensymptom haben, werden Sie nicht das gleiche Mittel bekommen, das ein ähnlicher Patient auch bei einem Schnupfensymptom bekommt, sondern ein Mittel, das genau auf Sie zugeschnitten ist. Es kommt auf die ganz feine, individuelle Symptomatik an. Der Arzt wird sich also nicht nur für Ihren Schnupfen interessieren, sondern auch für Ihr Schlafmuster oder andere Beschwerden. Und davon ausgehend erfolgt die Arzneimittelwahl. 3) Homöopathie zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass Stoffe verdünnt verabreicht werden teilweise so weit verdünnt, dass der Stoff rein rechnerisch gar nicht mehr in dem Präparat vorhanden ist. Wie soll dieser dann noch seine Wirkung entfalten? Die Dosierungsfrage ist für Hahnemann im Grunde genommen zweitrangig gewesen. Aber wenn ich natürlich hochgiftige Stoffe verabreiche, wie zum Beispiel Tollkirsche, dann kann ich das nicht in einer Tinktur geben, denn der Patient würde tot umfallen. Also ist Hahnemann auf die Idee gekommen zu verdünnen. Und er hat festgestellt: Je mehr er verdünnt, desto höher ist die Arzneimittelwirkung. Das wird heute bestritten Obwohl wir heute ja aus der Nanotechnologie wissen, dass auch kleinste Mengen eine unglaubliche Wirkung haben können. Ob die in den Größenordnungen in der sich die Homöopathie abspielt, eine Rolle spielt, das ist in der Forschung umstitten. Da sind Physiker offener als Mediziner.

2 4) Sie sagen, die Arzneien werden am Gesunden getestet. In England gab es letztes Jahr die Aktion der Kampagne There's nothing in it. Hunderte gesunde Briten zogen in Apotheken, kauften homöopathische Mittel und nahmen diese in Überdosis ein aber nichts geschah. Wie erklären Sie sich das? Natürlich fallen die Leute nicht tot um. In der Homöopathie finden diese Prüfungen normalerweise verblindet statt. Das heißt, derjenige, der geprüft wird, weiß nicht, ob er ein Placebo bekommt oder eine homöopathische Arznei. Und wir wissen durch die Placebo- Forschung: Wenn ich etwas nehme und weiß, ich bin in einer Versuchssituation, dann treten Symptome auf. Allgemein Müdigkeit, Kopfschmerz... das nimmt man nicht weiter ernst. Entscheidend ist bei den Prüfungen herauszufinden, ob ungewöhnliche Symptome auftreten. Und wenn diese Symptome mit denen übereinstimmen, die auch andere festgestellt haben, dann spricht einiges dafür, dass das nur von dem Arzneimittel herrühren kann, während es in der Placebo-Gruppe nicht auftritt. Hier gibt es durchaus seriöse Versuche, die zeigen, dass es interessante, auffällige Befunde gibt und zwar nur in den Gruppen, die auch das Arzneimittel bekommen haben. Solche publikumswirksamen Aktionen hingegen sagen da wenig aus. Ich habe auch mal in einer Fernsehsendung neben einer kritischen Wissenschaftsjournalistin gesessen, die ein Buch für die Stiftung Warentest geschrieben hat. Sie wollte vor laufender Kamera ein homöopathisches Mittel aus der Handtasche ziehen und schlucken. Da musste ich dann einfach sagen: Frau Kollegin, lassen Sie diese Taschenspielertricks. Es sagt nichts über die Homöopathie aus. 5) Die Stoffe in homöopathischen Arzneien werden teilweise fünfzigtausendfach verdünnt. Letztendlich hat der Patient doch ein Mittel, in dem nur Zucker und Wasser steckt. Ist das nicht ein Placebo? Man darf es sich nicht so einfach machen zu sagen, Homöopathie ist gleich Placebo. Allerdings: Selbst wenn es ein Placebo wäre, was ist denn falsch daran? Es funktioniert. Und die Patienten glauben daran. Außerdem muss man festhalten: Die neuere Forschung zeigt, dass bei jeder Therapie ein Placebo-Effekt da ist und zwar relativ groß. Es gibt beispielsweise Studien zu Antidepressiva, die beweisen, dass die eigentliche Medikamentenwirkung nur bei einem Drittel liegt. Das andere Drittel ist der Placebo-Effekt und das letzte Drittel macht der natürliche Heilungsverlauf aus. Das heißt: Zwei Drittel eines wirklich hochwirksamen Medikamentes ist gar nicht das Medikament. Ich finde daher, man muss diesen Konflikt etwas tiefer hängen und sagen: Wir alle müssen diesen Placebo-Effekt zum Wohle des Patienten nutzen. 6) Sie sind Medizin-Historiker und haben sich in Ihrem Leben auch viel mit der sogenannten Schulmedizin beschäftigt... Ich beschäftige mich nicht nur historisch mit der Schulmedizin, ich bin auch im Vorstand des wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer tätig und bin praktisch an allen gesetzeswirksamen Leitlinien, Richtlinien und Empfehlungen, die der Beirat auf den Weg bringt, beteiligt. Die Richtlinien, die die Bundesärztekammer ertlässt, sind für jeden Arzt verbindlich und diese Richtlinien können ja nicht von Funktionären erarbeitet werden, sondern von Wissenschaftlern. Hier bin ich schon seit über 10 Jahren tätig und man akzeptiert mich - obwohl ich sozusagen ein Institut vertrete, das sich die Homöopathie auf die Fahne geschrieben hat.

3 7) Wie sind Sie auf das Thema Homöopathie gekommen? Die Robert Bosch Stiftung hat vor etwa 35 Jahren das Institut für Geschichte der Medizin gegründet. Ziel war es, die Sammlung zur Geschichte der Homöopathie, die Robert Bosch selbst nach Stuttgart geholt hat, zu bewahren und zu erschließen. Bevor man diese Idee hatte, war der Leiter dieser Forschungsstelle ein homöopathischer Arzt. Das Problem ist: Wenn man sich mit der Homöopathie beschäftigt, dann ist man entweder ein Anhänger oder ein Gegner. Entweder glaube ich an die Homöopathie dann bin ich Homöopath. Oder ich glaube nicht daran dann bin ich Schulmediziner. Und das ist natürlich für die Leitung einer solchen Sammlung nicht besonders hilfreich, denn man wird immer in eine Ecke gedrängt. Deswegen hat die Robert Bosch Stiftung gesagt: Wir nehmen keinen Mediziner, sondern einen neutralen Historiker. So sah ich mich bei meiner Berufung auch: Als Historiker, losgelöst von allen Grabenkämpfen, die es um das Thema gibt. Als ich vor 25 Jahren die Leitung übernahm, hatte ich keine Ahnung von Homöopathie, aber inzwischen habe ich mich so eingearbeitet, dass ich weltweit als Autorität auf dem Gebiet gelte. 8) Und sind Sie inzwischen überzeugt von der Homöopathie? Ich bin davon überzeugt, dass es einen Pluralismus in der Medizin geben muss. Dafür kämpfe ich. Ich bin Sprecher eines Arbeitskreises Pluralismus in der Bundesärztekammer, wo sich Vertreter der Schulmedizin leider viel zu wenige mit Vertretern der Komplementärmedizin über die Heilung von Patienten unterhalten und nicht darüber, was richtig und was falsch ist. Das ist manchmal nicht leicht, weil sofort diese ideologischen Grabenkämpfe auftauchen. Es gibt viele Heilmethoden, die nicht immer wirken. Vor allem, wenn der Patient austherapiert ist, wenn es sich um Befindlichkeitsstörungen oder chronische Krankheiten handelt. Vielleicht sind homöopathische Mittel nicht immer die Mittel der ersten Wahl, aber sie sollten in Erwägung gezogen werden. 9) Nutzen Sie selbst homöopathische Mittel? Ich habe auch selbst die Homöopathie ausprobiert. Zuerst in einem Fall, bei dem ich mit der Schulmedizin nicht weiter gekommen bin. Hier hatte ich auch ein positives Erlebnis. In einem anderen Krankheitsfall hatte ich zuerst ein homöopathisches Mittel genommen bin dann aber erst wieder durch die Schulmedizin geheilt worden. Also eine gemischte Erfahrung wie sie aber auch üblicherweise auftritt. Und diese bestätigt: Die Homöopathie ist nicht generell bewiesen. Aber bei bestimmten Krankheitsbildern ist bewiesen, dass sie genau so gut ist, wie die Schulmedizin, in manchen Fällen sogar besser. Gerade bei Hautkrankheiten hat die Homöopathie erstaunliche Heilungserfolge, die mehr als Zufall sein müssen, davon bin ich überzeugt. Ein Beispiel: In meinem Bekanntenkreis gab es jemanden, der an einer Schuppenflechte litt. Sie war aufgrund einer Arzneimittel-Nebenwirkung entstanden und konnte weder durch Absetzen des Medikamentes, noch durch die Gabe eines anderen Mittels in den Griff bekommen werden. Ich rief dann einen Freund an: Einen indischen Homöopathen, der zusammen mit einem Schulmediziner ein Buch über Hautkrankheiten geschrieben hatte, und bat um eine Ferndiagnose. Homöopathen machen das an sich ungern, aber in dem Fall ging es ja nicht anders. Er schlug mir ein Mittel vor und ich empfahl dem Bekannten diese Globulli zu nehmen. Er war sehr skeptisch. Und heute ist er geheilt. 10) Gibt es auch Krankheiten, die man mit homöopathischen Mittel nicht behandeln kann?

4 Man kann mit der Homöopathie nicht sämtliche Krankheiten heilen. Beispielsweise Krebs. Das funktioniert nicht. Ein Arzt, der heute etwas verabreicht, muss genau wissen, was funktioniert und was nicht - Im Unterschied zu Hahnemann, der den Anspruch hatte, alles heilen zu können. 11) Ist die Wirkungsweise homöopathischer Mittel nachweisbar? Wir wissen nicht das Wirkprinzip. Aber wir haben genügend Studien, die zeigen: Insbesondere in der Praxis erzeugt die Homöopathie Heilwirkung. Und das haben die Patienten erkannt. Und es gibt ja auch genügend Ärzte. Ich meine, das sind ja nicht nur ein paar Spinner die das machen. Allein in Indien gibt es homöopathische Ärzte. Die spinnen ja nicht alle. Und auch die Bevölkerung ist nicht blöd. In Indien kann der Patient zwischen Schulmedizin, indischer Medizin und Homöopathie wählen. Und er weiß sehr genau, wann er zu welchem Arzt gehen muss. Dieses dreigeteilte Medizinsystem, das es in Indien gibt, wünsche ich mir auch für die Bundesrepublik. Das heißt, im Gesundheitsministerium muss es drei Abteilungen geben: Jeweils eine für indische Medizin, für Schulmedizin und für Homöopathie. Und der Staat sorgt dafür, dass alle eine vernünftige Ausbildung haben und nicht über ihre Kompetenz hinaus behandeln. Der Patient trifft die Entscheidung. Und das ist mein Credo als Wissenschaftler und Historiker: Wir sollten es nicht den Ärzten alleine überlassen, zu entscheiden. 12) Viele Menschen sind heute skeptisch gegenüber der westlichen Medizin, bezeichnen ihre Ärzte gar als medikamentengläubig und suchen nach Alternativen. Was glauben Sie, woher die Skepsis rührt? Es ist Vieles, was da zusammenkommt. Einmal sind es die fehlenden Erfolge der Schulmedizin, insbesondere bei chronischen Krankheiten. Oder denken Sie an Rheuma. Eine weit verbreitete Volkskrankheit, wo die Schulmedizin nichts Überzeugendes zu bieten hat. Oder Tinitus. Da gibt jeder Hals-Nasen-Ohrenarzt zu: Es gibt kein überzeugendes Verfahren. In anderen Fällen kommt es auch vor, dass der Patient die Schulmedizin ausprobiert, dann aber mit Nebenwirkungen zu kämpfen hat. Und Sie dürfen auch nicht außer Acht lassen: Ein homöopathischer Arzt nimmt sich mindestens eine Stunde Zeit, um die Symptome ganz individuell zu erfassen, insbesondere bei der ersten Behandlung, bevor er die Diagnose stellt. Ich sage: Das ist die halbe Therapie. Jeder Patient beklagt sich, dass Ärzte nie Zeit haben zuzuhören insbesondere Kassenpatienten. Deswegen geht man entweder zum Heilpraktiker oder zum Komplementärmediziner, weil man da das Gefühl hat, der hört wenigstens zu. Und wir wissen aus der Placebo-Forschung, dass das Zuhören und der enge Arzt- Patientenkontakt für den Heilungserfolg unabdingbar ist. 13) Noch eine Frage in eigener Sache: Sie werden gleich einen Stiftungsvortrag halten, den die Bürger-Stiftung-Grafenau organisiert hat. Wie kam es zu der Zusammenarbeit? Frau Dr. Satrapa-Schill, aus dem Vorstand der Bürger-Stiftung-Grafenau, und ehemalige Bereichsleiterin in der Robert Bosch Stiftung, kenne ich schon so lange ich bei der Robert Bosch Stiftung bin, sprich 24 Jahre. Sie hatte mich schon letztes Jahr gefragt, ob ich einen Vortrag zum Thema Homöopathie dem Herzensanliegen von Robert Bosch halten kann. Da habe ich natürlich gerne zugesagt.

5 Prof. Dr. Jütte, Vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führte Rebekka Hüsgen-Lieb für die Bürger-Stiftung-Grafenau.