- sind wir soweit? Dr. med. Brigitt Steinegger Präsidentin Vereinigung Winterthurer Psychiater (VWP)
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- Walter Scholz
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1 Die psychiatrische Patientenverfügung als Instrument zur Selbstbestimmtheit - sind wir soweit? Dr. med. Brigitt Steinegger Präsidentin Vereinigung Winterthurer Psychiater (VWP) Fall 1: 30-jährige Frau Tumorerkrankung mit 17J. - Behandlung - Rückfall - Lebermetastase - Behandlung Nach 9 Jahren Tumor im Dickdarm: Op, Chemotherapie, Bestrahlung, Nebenwirkungen Pat. macht Patientenverfügung, Urteilsfähigkeit zum Zeitpunkt der Erstellung vom HA bescheinigt, lehnt lebensverlängernde Massnahmen ab, Bilanz 15 Monate später: Bewusstlosigkeit - Notfallstation - Tumorableger im Gehirn Pat. verweist auf Patientenverfügung - hält daran fest Bewusstseinsverlust - künstliche Ernährung oder Tod 1
2 Fall 2: 30-jährige Frau schwere Anorexie seit 17. Altersjahr mehrfache Klinikaufenthalte, Spezialstationen, langjährige ambulante Behandlungen Gewicht mehrmals lebensbedrohlich tief, Zwangsernährung Pat. erstellt PPV, Urteilsfähigkeit zum Zeitpunkt des Verfassens bestätigt, lehnt Zwangsernährung bei lebensbedrohlichem Untergewicht ab, Bilanz 15 Monate später: FU, lebensbedrohliches Untergewicht Pat. verweist auf PPV, hält daran fest, nimmt keine Nahrung zu sich Bewusstseinsverlust künstliche Ernährung oder Tod Übersicht: Geschichtlicher Überblick Gesetzliche Grundlagen Stand der Forschung Vorstellung eigene Studie Schlussfolgerungen 2
3 Geschichtlicher Überblick: 1969 USA: erstes Konzept PV («living will» ), Sterbewunsch 1976 und 1990 USA: Recht auf Stellvertreter bei Urteilsunfähigkeit, Recht auf verbindliches Einhalten einer PV, auch wenn Tod Folge 1982 USA: erste psychiatrische PV, «psychiatrisches Testament» (Szasz) 1993: Einführung psych. Testament in Deutschland; 2009: Patientenverfügungsgesetz 2013: Inkrafttreten ESR (ZGB Art ), PV gesetzlich verankert (ZGB Art ); med. Massnahmen bei psych. Störung und Behandlung ohne Zustimmung (ZGB Art ) Gesetzliche Grundlagen: Zustimmung bzw. Ablehnung bestimmter medizinischer Massnahmen Verfügung zum Zeitpunkt von Urteilsfähigkeit für den Fall einer möglichen Urteilsunfähigkeit Bezeichnung einer Vertrauensperson möglich, die stellvertretend bespricht und entscheidet 3
4 Somatische PV «end of life» Situation Ablehnung lebensverlängernder Massnahmen bisher meist gesund unbekannte zukünftige Situation Psychiatrische PV chronische, oft phasenweise E. Zustimmung bzw. Ablehnung bestimmter Massnahmen ähnliche Krankheitsphase erlebt bekannte Situation Form: schriftlich verfasst, datiert, handschriftlich unterzeichnet Vorlagen zulässig (Mustervorlagen z.b. bei Pro Mente Sana und Sanatorium Kilchberg) Gültigkeit nicht befristet, regelmässige Überprüfung mit Datierung und Unterschrift empfehlenswert Zugriff muss gewährleistet sein, Eintrag auf Versichertenkarte möglich. Ärzte verpflichtet zur aktiven Abklärung der Existenz. Ärzte mit wenigen Ausnahmen verpflichtet, der Verfügung zu entsprechen. Abweichung muss schriftlich festgehalten und begründet werden. 4
5 Spezielle Regelungen in der Psychiatrie (ZGB Art ) Verminderte Durchschlagskraft im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung (FU): Art. 433: «Der Behandlungsplan wird der betroffenen Person zur Zustimmung unterbreitet. Bei einer urteilsunfähigen Person ist eine allfällige Patientenverfügung zu berücksichtigen» Urteilsfähigkeit muss beim Verfassen gegeben sein: Gültigkeit! Empfehlung zur ärztlichen Bestätigung «Fähigkeit zu vernunftgemässem Handeln» - Nachdenken über Krankheit und Behandlung - Erkrankung und Behandlungsmöglichkeit erfassen, Informationen verstehen - Tragweite der Verfügung verstehen - Auswirkungen auf best. Krankheitssituation abschätzen, verstehen 5
6 «vernunftgemäss» ist nicht zwingend «vernünftig» Entstehung möglicher medizinisch-rechtlich-ethischer Dilemmata Medizinisch-ethische Richtlinien SAMW (2013) Grad der Gültigkeit einer PV steigt: klare Formulierung kurzer Abstand seit Verfassung gute Antizipation der zukünftigen Situation Werthaltung des Verfassers, Verständnis Lebensqualität 6
7 Forschung zur PPV Erwartungen hoch: Autonomie und Empowerment (Befähigung zu selbstbestimmtem Leben) fördern Beziehungen Patienten-Angehörige-Fachpersonen verbessern Toleranz für Patientenautonomie fördern Klinikeinweisungen/ Hospitalisationstage verringern Kernanliegen: Reduktion von Zwangseinweisungen und Zwangsmassnahmen Wichtige Resultate: fördert Empowerment Patienten erstellen klinisch sinnvolle Verfügungen Ablehnung einzelner Massnahmen (z.b. einzelne Medikamente), sehr selten vollständige Verweigerung der Behandlung Wahl bevorzugter Medikamente führt zu erhöhter Verschreibung derselben und besserer Complience (Bereitschaft zur Mitarbeit) Zwangseinweisungen/-behandlungen deutlich reduziert, sofern PPV mit (geschulter) Vertrauensperson gemeinsam erstellt 7
8 Hürden für Anwendung Aus Patientensicht: Mangel an Kenntnis Mangel an Unterstützung beim Ausfüllen wenig Kontakt zu möglichen Vertrauenspersonen Angst vor negativen Folgen Aus Behandlersicht: Besorgnis Ablehnung sinnvoller Behandlung Unklare/wenig bekannte Gesetzesgrundlage Ethische Entscheidungskonflikte Einschränkung eigene Behandlungsautonomie Wichtigster Wirkfaktor: Förderung des therapeutischen Bündnisses Drei zentrale Punkte: 1. Gemeinsames Verfassen: Patient geschulter Patientenfürsprecher klinisch tätige Fachperson 2. Befürwortung der PPV durch Fachpersonen 3. Einsatz eines geeigneten Stellvertreters 8
9 Eigene Studie (Sanatorium Kilchberg): Studienziele: 1. Untersuchung von Haltung, Bekanntheit, Verbreitung und Akzeptanz der PPV bei klinisch tätigen Fachpersonen 2. Standortbestimmung deutsche Schweiz 3. Erlangung möglicher Anhaltspunkte für die Implementierung der PPV Studiendesign: - Anonyme zweizeitige Umfrage - Vier klinisch tätige Fachgruppen: Psychiater Psychologen Pflegefachleute Peers - 16 allgemeine Fragen zur PPV - 3 fiktive Fallbeispiele 9
10 Resultate: (574 erfasste Rückläufe): Bekanntheit: PPV ist allgemein wenig bekannt (unter 50%) Verbreitung: noch geringer Akzeptanz: sehr hoch (76-88%) Haltung der Berufsgruppen kongruent Fallbeispiele: hohe Akzeptanz NB: Je unklarer Rechtslage und je stärker ausgelöstes ethisches Dilemma, desto weniger Zustimmung und mehr Kommentare Schlussfolgerungen: Positive Haltung aller Fachgruppen Profit von guten Forschungsresultaten Reduzierte Durchschlagskraft unter FU Bedingungen: PPV soll dem Patientenwillen entsprechen und von Experten als sinnvoll und umsetzbar akzeptiert werden 10
11 Empfohlene Schritte: Schaffung von Angeboten zur gemeinsamen Erarbeitung der PPV (Patienten, geschulte Patientenfürsprecher, Fachpersonen) Schaffung von Angeboten zur besseren Bekanntheit Unterstützung der Patienten bei Suche nach geeigneten Vertretungspersonen 11
12 Die psychiatrische Patientenverfügung als Instrument zur Selbstbestimmtheit - sind wir soweit? 12
13 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 13
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