Erasmus in Istanbul - Ein Semester zwischen den Kontinenten 1. Vorwort

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1 Erasmus in Istanbul - Ein Semester zwischen den Kontinenten 1. Vorwort Niemand weiß genau wie viele Menschen in Istanbul leben, aber geht man von den offiziellen Zahlen aus, so wäre bereits der europäische Teil mit etwa 8,5 Mio. Einwohnern nach Moskau die zweitgrößte Stadt Europas. Nimmt man den asiatischen Teil mit hinzu, so liegt die Zahl der Einwohner bei rund 15 Mio. und schlägt damit Moskau um Längen. Istanbul ist ein Potpourri von Kulturen und Weltanschauungen und unter den Erasmuszielen das wohl exotischste, wenn man dieses an den Unterschieden der heimischen und der dortigen Kultur festmacht. Im Folgenden möchte ich meine Erfahrungen von der Idee über die Umsetzung bis hin zur Rückkehr darlegen. Auf was zu achten ist und warum es sich definitiv lohnt den Schritt nach Istanbul zu wagen.

2 2. Vor der Abreise steht die Entscheidung und Planung Schon vor dem Beginn des Studiums war ich mir ziemlich sicher alles daran zutun um ein Semester im Ausland verbringen zu können, doch bei der Frage wo dies stattfinden solle, war ich noch nicht so weit. Die Entscheidung kam recht spontan, als ich die Liste der möglichen Ziele durchblätterte - Istanbul. Mich reizte die Ferne, nicht unbedingt die geographische, umso mehr jedoch die kulturelle. Die Herausforderung in einem komplett ungewohntem Umfeld zu leben und damit zurechtzukommen. Eine andere Mentalität und Einstellung zum Leben, als auch zum Studieren. Der Bewerbungsprozess war dann recht unkompliziert und simpel. Die bereitgestellten Formulare, die auf der Website des International Office zum Download bereitstehen, ausfüllen und dann Daumen drücken und auf eine Zusage hoffen. Diese kam dann einige Monate später und konkrete Fragen stellten sich mir in Bezug auf die Umsetzung des Vorhabens. Viel ist allerdings nicht zu erledigen. Der Erasmus-Koordinator, Herr Tekce, wird sich mit euch in Kontakt setzen und euch die nötigen Formulare bezüglich Kurswahl und Einschreibung zuschicken. Studenten der BWL/VWL dürfen aus dem Katalog des BWL Instituts, des VWL Instituts, sowie des Politik Instituts wählen. Hier ist eine Vorabauswahl zu treffen. Nach Möglichkeit erkundigt ihr euch am besten Voraus bei den Professoren der CAU. Herr Prof. Wolf ist zuständig für die BWL Kurse. Alle anderen gehen direkt über den Lehrstuhl des betroffenen Instituts. Angekommen in Istanbul kann die Wahl jedoch immer geändert werden. In Bezug auf die Zulassung zu den bestimmten Kursen besteht kein Grund zur Sorge, da Erasmusstudenten mit Vorzug behandelt werden. Es kann jedoch dazu kommen, dass Kurse aufgrund mangelnder Nachfrage nicht stattfinden. Achtung: Seit dem letzten Jahr ist es von Nöten ein Visum für die Türkei zu beantragen. Dies war zwar vorher schon Pflicht, aber früher konnte man dies umgehen indem man nach 90 Tagen einmal aus- und wieder einreiste. Die neue Regelung beinhaltet allerdings ausschließlich 90 Tage innerhalb von 180 Tagen, die bei einem Semester nicht ausreichen. Ebenfalls wird das Visum seit dem letzten Jahr von der Uni kontrolliert ohne dieses wird einem das Studium verwehrt. Das Visum gibt es in jeder Botschaft der Türkei. Wer seinen Wohnsitz in Schleswig-Holstein oder Hamburg hat, der muss sich an das Türkische Konsulat in Hamburg wenden (achtet bei der Wahl des Tages auch auf muslimische Feiertage). Die Botschaft verlangt folgende Dokumente: Reisepass, der mindestens noch 6

3 Monate nach Ablauf des Visums gültig ist, die Zusage der Marmara Universität sowie der CAU, die Bestätigung über einen Auslandskrankenkassenschutz sowie Passbilder. Für aktuelle Anforderungen besucht bitte die Website des Konsulats. Es dauert etwa 14 Tage, bis ihr euren Reisepass mit Visum wieder in der Hand haltet und dann kann es auch losgehen. 3. Ankunft und die ersten Tage Der Flughafen, den ihr anfliegt, macht ihr am besten vom Preis abhängig. Im Grunde genommen kommt man von beiden gut ins Zentrum. Der anfänglich wichtigste Schritt ist die Wohnungssuche. Hier gibt es nicht den einen richtigen Weg. Ich schlage vor, dass ihr die ersten Tage in ein Hostel geht oder - um direkt in die Kultur abzutauchen und sofort einen Ansprechpartner zu haben - versucht privat irgendwo unterzukommen. Couchsurfing würde sich da anbieten, ist allerdings Geschmackssache. Bei der Wahl des Stadtteils kommt es darauf an, was ihr wollt und wie ihr euch das Semester vorstellt. Die meisten Austauschstudenten der Marmara Universität lassen sich in Kadiköy nieder, dem modernen Subzentrum des asiatischen Teils der Stadt. Hierfür spricht die gute Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz, die vielen Ausgehmöglichkeiten und die Lage zur Uni. Hier ist allerdings zu beachten, dass sich das International Office, das VWL Institut und der Sprachkurs am Göztepe Campus befinden, wo hingegen das BWL Institut auf dem Anadolu Hisari Campus untergebracht ist. Die Fahrtzeit mit öffentlichen Verkehrsmitten von Campus zu Campus beträgt etwa 1 ½ Stunden. Von Kadiköy zum Göztepe Campus beträgt die Fahrtzeit 20 Minuten, zum Anadolu Hisari etwa eine Stunde. Zur Rushhour können sich die Fahrtzeiten verdoppeln. Alternativen können der konservativere und günstigere Stadtteil Üsküdar sein oder eben die europäische Seite, wo sich Touristen tummeln und das Nachtleben tobt. Vor Abreise könnt ihr bereits Besichtigungstermine für WG-Zimmer vereinbaren. Nötig ist dies allerdings nicht, denn dies lässt sich auch gut vor Ort regeln. Vor dem Anmieten eines Zimmers vor der Ankunft ohne Besichtigung rate ich ab, da es einige schwarze Schafe, die den großen Reibach machen wollen, gibt. Lasst euch auch in der Uni blicken und sagt Bescheid, dass ihr angekommen seid. Hier bekommt ihr auch einen Schrieb, dass ihr eingeschrieben seid um das sog. Akbil zu

4 bekommen, welches ihr benötigt um die öffentlichen Verkehrsmittel vergünstigt zu nutzen. Sobald ihr eine Wohnung habt, aber spätestens einen Monat nach Einreise, könnt und müsst ihr euch einen Termin bei der Ausländerpolizei machen um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Hier kommen auch nocheinmal um die 70 hinzu und ihr werdet die türkische Bürokratie kennenlernen. Auch wenn man einen festen Termin hat, kann der Besuch dort den ganzen Tag dauern. Desto früher ihr euren Termin macht, desto besser, da der Ansturm nachdem alle Erasmusstudeten angekommen wird riesengroß wird und ihr ohne die Aufenthaltsgenehmigung das Land nicht verlassen könnt. Viele konnten aus diesem Grund über Weihnachten nicht nachhause oder an Reisen ins Ausland teilnehmen. Wer clever ist, der macht den Termin bereits in Deutschland und gibt irgendeine Istanbuler Adresse an. Ich habe meine nie geändert, weise aber darauf hin, dass ihr das offiziell nicht dürft. Wenn das alles erledigt ist, dann fahrt ihr am besten auf die Prinzeninseln und genießt das schöne Wetter. 4. Lebenshaltungskosten Wider meiner Erwartungen ist das Leben in Istanbul nicht günstig, aber wenn man auf sein Geld achtet kommt man sehr gut über die Runden. Der größte Kostenpunkt ist wohl die Miete, die mit TL zu Buche schlägt (1 entspricht etwa 2.35TL). Hier kommt es in erster Linie auf die Lage an, was ja nun nichts Neues ist. Die Preise für Lebensmittel variieren stark. Gemüse und Obst sind günstiger, insbesondere auf den Wochenmärkten, die ein Erlebnis für sich sind. Milch- sowie Fleischprodukte sind etwas teurer. Die kleinen Läden und Straßenstände, die in erster Linie Fastfood verkaufen sind i.d.r. günstig. Satt kann man ab 2-3 TL werden. Wer allerdings in westlichen Ketten oder Restaurants geht zahlt gern ein Vielfaches. Vorsicht ist insbesondere in den touristischen Gegenden geboten. Extrem teuer, im Vergleich zu Deutschland, sind alkoholische Getränke. Knapp 2 wird man für ein Bier im Supermarkt los und einheimische Spirituosen fangen bei etwa 20 an. Eine Schachtel Zigaretten kostet inzwischen 3, das Essen in der Mensa umgerechnet 45 Cent, wobei Vegetarier in der Mensa nicht fündig werden. Aktivitäten und Unterhaltung sind meist günstiger. Eine Kinokarte kostet bspw. Rund 4. Am Ende des Monats hat man etwa so viel ausgegeben wie in Deutschland. Ein

5 kleines Polster für außergewöhnliche Aktivitäten oder Reisen im In- und Ausland ist allerdings nicht verkehrt. 5. Die Lehre und die Universität Die Marmara Universität ist mit ihren etwa Studenten nach der Istanbul Universität die zweitgrößte des Landes. Sie ist über die gesamte Stadt verteilt, wobei die für mich relevanten Institute, wie bereits erwähnt, auf der asiatischen Seite der Stadt waren. Was das BWL Institut angeht kann es inzwischen zu Änderungen gekommen sein, da es geplant ist diesen auf die europäische Seite zu verlegen. Die Lehre unterscheidet sich von der heimischen. Die Vorlesungen finden in kleineren Gruppen als in Kiel statt, so dass etwa Studenten eine Veranstaltung besuchen. Übungen hatte ich keine. Wenn etwas angewendet werden soll findet dies in den Vorlesungen statt. Man muss mehr Kontinuität an den Tag legen, da häufig Hausarbeiten verlangt werden. Weiter gibt es in fast allen Fächern eine Anwesenheitspflicht. Durch die kontinuierliche Leistungsabfrage kommt es am Ende des Semesters jedoch zu weniger Stress, denn diesen hat man gut verteilt über das gesamte Semester welcher sich jedoch gut bewältigen lässt. Ferner gibt es Midterm Klausuren, die im November stattfinden und i.d.r. 40 Prozent der Semesternote ausmachen. In einigen Fächern kommt es auch zu der Bewertung der Mitarbeit während der Vorlesung und es wirkt sich schnell negativ aus, wenn man einige Male nicht dort war. Diese von Fach zu Fach unterschiedlichen Besonderheiten und Anforderungen erfahrt ihr am einfachsten von euren türkischen Kommilitonen. Wer in der Türkei Bücher kauft wird schief angesehen. Rund um den Campus gibt es Copyshops, die jedes von den Professoren empfohlene Buch als Kopie haben. Diese bekommt man für einen Bruchteil des Originalpreises. Ob man diesen Schritt geht oder die Arbeit des Autors würdigt sei jedem selbst überlassen. Ebenso gibt es zu den meisten Fächern selbstgebaute Skripte, die es in den besagten Copyshops zu kaufen gibt. Die Marmara Universität bietet neben den Kursen in englischer Sprache auch Kurse auf Deutsch an, zu denen ich leider keine persönlichen Erfahrungen habe. Viele Kommilitonen haben sich jedoch über das schwerverständliche Deutsch der Professoren

6 beschwert, schnitten aber dennoch ziemlich gut bei den Klausuren ab. Insbesondere das Fach Kosten und Leistungsrechnung soll hier relativ gut zu meistern sein. Das Englisch meiner Professoren war ausreichend gut. Bei meinen Mitstudenten gab es hier und da noch einige Lücken, so dass gelegentlich ins Türkische gewechselt wurde. Ich habe die Fächer Econometrics 1 (als Ökonometrie), International Trade (als Reale Außenwirtschaft), Management Philosophy (als Unternehmensethik), Organizational Behavior (als WBWL), sowie Topics in electronic Business (ebenfalls als WBWL) belegt und hoffe bei all diesen auf die Anrechnung, zu der ich bisher jedoch leider noch nichts sagen kann. All diese Fächer sind im Grunde genommen empfehlenswert und werden jedes Wintersemester angeboten. Der Türkischkurs bietet eine grobe Übersicht über die Sprache. Von Vorteil wäre es jedoch bereits die Grundlagen zu lernen, denn das, was man in dem Anfängerkurs lernt reicht kaum aus um die Sprache wirklich anzuwenden. Das Nötigste lernt man auf der Straße, wer jedoch tiefer in die Sprache eintauchen möchte oder seinen Profilierungsbereich abdecken will, der ist mit diesem Sprachkurs gut bedient. 6. Ein paar kleine Tipps zu Aktivitäten Gerade im Sommer bieten sich die Prinzeninseln zum Ausspannen und Baden an. Geht man nicht auf die Hauptinsel, sondern bleibt auf einer der kleinen kann man einige Strände finden, die man ganz für sich alleine hat. Wer sich Istanbul mal von oben anschauen möchte, aber keine drei Stunden am Galataturm anstehen will, der geht zum Valide Han (relativ leicht über Google Maps zu finden), welches sich beim großen Bazar befindet. Dort steht tagsüber ein älterer Mann, der einen für 1-2 Lira für einen Cay durch die Katakomben bis aufs Dach führt. Nur mit dem einen oder anderen Einheimischen muss man sich den Blick über das Goldene Horn und die Stadt teilen. Genial! Mein Highlight war eine Reise in den Iran. Ich kann jedem nur dazu raten über seinen Schatten zu springen und den Iran zu bereisen. Das Bild, welches man im Kopf hat, wird sich sicherlich nicht bestätigen. Ein herzlicheres Volk habe ich bisher noch nicht kennengelernt.

7 7. Vor und nach Abreise Auch die schönste Zeit hat irgendwann mal ein Ende und der Ruf der Heimat wird immer lauter. Wenig organisatorisches kommt hier auf euch zu. Nach den Klausuren am Ende des Semesters müsst ihr euren Studentenausweis abgeben. Ohne dies, wird die Universität laut eigener Aussage kein Transcript of Records ausstellen. Bei der Abgabe lasst ihr euch dann noch die Cofirmation of Attendance unterschreiben, die das Internation Office verlangt und dann könnt ihr nachhause. Das Transcript of Records wird euch, wenn alles glatt läuft, nach Kiel geschickt und ihr müsst euch um die Anrechnung kümmern. Fächer der BWL bei Herr Prof. Wolf und alle anderen bei dem jeweiligen Dozenten. 8. Résumé Ich kann jedem, der Istanbul in Erwägung zieht nur bestärken den Schritt zu wagen. Die Stadt ist so facettenreich, die Menschen sehr herzlich und gastfreundlich und Langeweile kann kaum aufkommen. Zwar kann es Tage geben, an denen man mal genug hat von der türkischen Mentalität, die wohl gerade für Deutsche sehr gewöhnungsbedürftig sein kann, denn feste Regeln kennt diese kaum, aber wenn man sich auf das Abenteuer Istanbul einlässt wird man mit ziemlicher Sicherheit immer wieder zurückkommen. Euch viel Spaß!