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Guido Koenig
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1 Die Entdeckung von Hasskriminalität findet in den USA in den 1980er Jahren statt Als hate crime werden Straftaten bezeichnet, die nur deshalb gegen eine Person begangen werden, weil diese Person einer Gruppe (ethnisch, religiös, sexuelle Orientierung, national, behindert, Geschlecht, ehemalige Kriegsteilnehmer etc.) angehört (und weil diese Gruppe für minderwertig gehalten wird) Anti-Hass Strafrecht entsteht in Form von Strafschärfung als Konsequenz von besonderen Strafzumessungsregeln einer Qualifizierung zu einem selbständigen Straftatbestand Kriminologie II WS Page 1

2 Auseinandersetzungen in Nordamerika Was kann Strafschärfungen für Gedanken begründen? Besondere Betonung der Meinungsfreiheit Verletzung der Bürgerrechte (Ungleichbehandlung, Diskriminierung, ) Vorläufer: Bürgerrechtsbewegung der 1950er, 1960er Jahre Verfolgung rassistischer Gewalt (Mord) als Verletzung von Bürgerrechten Kriminologie II WS Page 2

3 Vorgaben der Europäischen Union Rahmenbeschluss 2008/913/JI zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Öffentliche Aufstachelung zur Gewalt oder Hass gegen eine durch Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe oder gegen ein Mitglied der Gruppe Öffentliches Billigen, Leugnen, grobes Verharmlosen von Völkermord (Rom-Statut) gegen eine Gruppe oder Einzelperson, wenn geeignet zur Aufstachelung zu Gewalt oder Hass Öffentliches Billigen von Verbrechen nach der Charta des Internationalen Militärgerichtshofs 1945 Berücksichtigung von Motiven der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus in der Strafzumessung Kriminologie II WS Page 3

4 Hasskriminalität und Hassstrafrecht in Deutschland Ausgangspunkte im 19. Jahrhundert (1) Politische Motive (Umsturz) sind ehrbare Motive (2) 130 StGB Klassenkampf-Tatbestand Aufstachelung zum Hass zwischen gesellschaftlichen Klassen Kriminologie II WS Page 4

5 Verschiebungen 19. Jahrhundert: Klassenkampf 1960er Jahre: Neo-Nationalsozialismus 1990er Jahre: Fremdenfeindlichkeit Kriminologie II WS Page 5

6 Reformen Neuausrichtung des Volksverhetzungstatbestandes ( 130 StGB) Störung des öffentlichen Friedens Angriff auf die Menschenwürde durch Aufstachelung zu Gewalt, Hass gegen Teile der Bevölkerung Billigung, Leugnung nationalsozialistischer Verbrechen Billigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft Neuausrichtung des Volksverhetzungstatbestandes 2015 durch Aufstachelung zu Gewalt, Hass gegen Teile der Bevölkerung Durch Aufstachelung zu gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Gruppe Kriminologie II WS Page 6

7 Fremdenfeindlichkeit und Strafzumessung 46: Bei der Zumessung der Strafe wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Zu berücksichtigen sind namentlich Beweggründe und Ziele 46 wurde nunmehr im Hinblick auf die Berücksichtigung von Motiven ergänzt, indem (zur Klarstellung) eingefügt wird: besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Ziele und Motive Kriminologie II WS Page 7

8 Wieviel Hasskriminalität gibt es? USA Hate Crime Statistic Act 1990 FBI wird zur systematischen statistischen Erfassung von Hasskriminalität verpflichtet Aufnahme von wahrgenommener Hassmotivation in nationale Opferbefragungen Deutschland (PKS erfasst Motive nicht) Statistische Erfassung von Kriminalität, die mit politischem Extremismus zusammenhängt (politische Kriminalität) Verfassungsschutz (Gewalt- und Propagandadelikte, Anti- Semitismus) Ab 1990: Erweiterung zur Erfassung von anderen Motiven (insbesondere Fremdenfeindlichkeit) Kriminologie II WS Page 8

9 Probleme statistischer Erfassung Kriterien Verwendung von Symbolen, Hassmotiven, Hasssprache Zugehörigkeit zu extremistischen Gruppen Problem gleichmäßiger Erfassung Opferbefragungen Wahrnehmung/Einstellungen Kriminologie II WS Page 9

10 Welche Art von Daten stehen zur Verfügung? Polizeidaten zu rassistischer/hassgewalt Schweden, Dänemark, Finnland, Deutschland, Österreich, Grossbritannien, Frankreich, Spanien, Niederlande Seit den 1990er Jahren Einige Statistiken enthalten Differenzierungen entsprechend Opferkategorien (beispw. antisemitische Gewalt) Opferbefragungen Längsschnitterfassung durch Opferbefragungen nur in Grossbritannien (British Crime Survey, European Crime Survey 2005) Ansonsten: lokale Studien Populationsdaten zu ethnischen Minderheiten Existieren nicht Kriminologie II WS Page 10

11 Inzidenz Die Inzidenz von Hassgewalt gemessen an Hand von Polizeidaten - ist niedrig Der Anteil von Hassgewalt an polizeilich registrierter Gewaltkriminalität liegt in Europa zwischen 0,01 und 0,5% Die meisten Hassdelikte entfallen in Deutschland auf Propagandadelikte Kriminologie II WS Page 11

12 Hassdelikte Deutschland 2015 (rechtsextremistische Straftaten) Quelle. Verfassungsschutzbericht 2015 Kriminologie II WS Page 12

13 Hassdelikte Deutschland 2015 (rechtsextremistische Gewalttaten) Quelle. Verfassungsschutzbericht 2015 Kriminologie II WS Page 13

14 Fremdenfeindliche Straftaten Gewalt und Brandstiftung linke Y-Achse, Tötungsdelikte rechte Y-Achse Kriminologie II WS Page 14

15 Hassgewalt (Opfergruppen) 2015 Gewaltdelikte 2015 insgesamt: Fremdenfeindlich Antisemitisch Rassistisch Religion Sexuelle Orientierung Behinderung Kriminologie II WS Page 15

16 Defizite in Daten Keine Polizeidaten zu Gewalt gegen Minderheiten in und durch Institutionen (Polizei, Gefängnisse) Keine Polizeidaten zu Pogromen oder pogromähnlichen Situationen Kriminologie II WS Page 16

17 Europäischer Crime Survey 2005 Telefon Survey Alle alten Mitgliedsländer der EU Ausgewählte neue Mitgliedsländer Ca Zufallsstichproben pro Land Erstmalig aufgenommene Items Immigranten Hasskriminalität Kriminologie II WS Page 17

18 Prävalenz Viktimisierung (letzte 12 Monate) Deutschland , , ,1 15, ,3 2,6 2,6 0 0,3 3,6 3,4 1,5 2,4 1,6 0,7 4,7 3,9 1,6 1,6 3,1 3,3 PKW-Diebstahl Diebstahl aus PKW Motorraddiebstahl Fahrraddiebstahl Einbruch Raub Diebstahl Sexualdelikt Körperverletzung Insgesamt Insgesamt Niedersachsen 2012 Immigranten Einheimische Kriminologie II WS Page 18

19 Prävalenz Viktimisierung (5 Jahre und alle Straftaten) Österreich Italien Deutschland Frankreich England Niederlande Belgien Spanien Griechenland Dänemark Finnland Schweden Irland Portugal Ungarn Immigranten Einheimische Kriminologie II WS Page 19

20 Täter insbesondere Junge Männer Aus benachteiligten Gruppen Ohne Zugehörigkeit zu organisiertem Rechtsextremismus mit Gewaltbiographie erscheinen als Tatverdächtige von Hassgewalt Kriminologie II WS Page 20

21 Warum so viel Aufmerksamkeit für den Hass? Hasskriminalität die gab es eigentlich schon immer; ihre Ungeheuerlichkeit war allerdings bislang nicht erkannt worden Anthony Dillof, Putting Hate in Its Place: The Codification of Bias Crime Laws in a Model Penal Code, Buffalo Criminal Law Review 2000, S. 342 Kriminologie II WS Page 21

22 Gegenläufige Tendenzen Rechtspolitische Sensibilisierung für bestimmte Motive/Motivationen Hass, Diskriminierung Entlastung des Rechtshilfeverkehrs von der Berücksichtigungsfähigkeit politischer Motive Politische Straftaten (und Auslieferung) Kriminologie II WS Page 22

23 Was erklärt die zunehmende Sensibilisierung? Opferperspektiven (Mobilisierung) Anerkennung der Opfer und Opferwürde Die Liste umfasst damit alle uns derzeit bekannten Todesopfer rechtsextremer, rassistischer und menschenfeindlicher Gewalt, denen wir mit der Nennung ihres Namens (soweit möglich) ein Stück Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen, Aktion "Mut gegen rechte Gewalt", Stern und Amadeu-Antonio-Stiftung UN: Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power (1985) Zeichen der Solidarität mit den Opfern Antidiskriminierungspolitik Interessierte Gruppen Kriminologie II WS Page 23

24 Hasskriminalität und Zugehörigkeitskonflikte Hasskriminalität ist Ausdruck von Zugehörigkeitskonflikten Reduktionistisch und dichotom wir und sie Wir-Gruppen-Prozesse Eskalation Polarisierung Kriminologie II WS Page 24

25 Warum entstehen Zugehörigkeitskonflikte? Konflikte um Macht und Teilhabe Konkurrenz um Ressourcen und Güter Unsicherheit und Angst (der Individualisierungsverlierer) Identität und Werte Kriminologie II WS Page 25

26 Hasskriminalität und andere Kriminalität Wo liegen die Unterschiede? Motive können Anspruch auf Legitimation (Geltung einer anderen Ordnung) enthalten Neutralisierungstechniken (Neutralisierung des Stigmas der Gewalt) Bequeme Feinde (die sich selbst ausgrenzen) Opfernarrative (Verteidigung und Vergeltung) Motive können einen Appell an Solidarität enthalten Unter Gleichgesinnten Hieraus kann eine besondere Gefährlichkeit entstehen Solidarisierung, Rekrutierung, Terror (Schrecken) Kriminologie II WS Page 26

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