Wissenswert. Wernher von Braun. ein Porträt zu seinem 100. Geburtstag. Von Dirk Lorenzen. Freitag, , Uhr, hr2-kultur

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1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Dr. Karl-Heinz Wellmann Wissenswert Wernher von Braun ein Porträt zu seinem 100. Geburtstag Von Dirk Lorenzen Freitag, , Uhr, hr2-kultur Moritz Pliquet Zitator: Moritz Stoepel COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.

2 Seite 2 O-Ton 1, Neil Armstrong: "It's one small step for man... one giant leap for mankind. Es war ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein Riesensprung für die Menschheit. Die Worte, die der erste Mensch auf dem Mond zur Erde gefunkt hat, sind legendär. Die Landung von Apollo 11 machte zwei Personen unsterblich den Astronauten Neil Armstrong und Wernher von Braun, den aus Deutschland stammenden Physiker und Ingenieur, ohne den die US-Weltraumbehörde NASA den Flug zum Mond kaum geschafft hätte. Was da im Juli 1969 kulminierte, hatte seine Anfänge mehr als vier Jahrzehnte zuvor in Berlin genommen. O-Ton 2, Wernher von Braun: Ich bekam zur Konfirmation von meiner Mutter nicht die üblichen Paar lange Hosen und eine Uhr, sondern ein astronomisches Fernrohr. Meine Mutter war immer schon große Amateurastronomin gewesen und sie hat in mir irgendwie die Liebe für Astronomie erweckt. So bekam ich also im Alter von ich glaube 14 Jahren ein Fernrohr. Vom Fernrohr zur Rakete war es auch für den jungen Wernher von Braun nur ein kleiner Schritt, der allerdings später zum Riesensprung für die Raumfahrt werden sollte. O-Ton 3, Wernher von Braun: Ich habe dann so ein astronomisches Monatsblatt gehabt, ich glaube, das hieß Sternbüchlein. Das kam jeden Monat heraus. Da erschien eines Tages im Jahr 1925 oder 26 ein Artikel, dass ein deutscher Professor namens Oberth behauptet hätte, man könnte mit einer Rakete zum Mond fahren. Das regte mich furchtbar auf. In dem Artikel stand drin, dass dieser Oberth ein Buch geschrieben hätte, 'Die Rakete zu den Planetenräumen', und dass da alle Einzelheiten drin stünden. Daraufhin habe ich mir als Pennäler dieses Buch besorgt von der nächsten Bücherei.

3 Seite 3 Die Abenteuerlust des Schüler bekommt aber einen herben Dämpfer: Denn das Buch von Hermann Oberth, einem Raumfahrt-begeisterten Lehrer aus Siebenbürgen, wimmelt nur so von Formeln und Gleichungen. Wernher von Braun, der zuvor sogar wegen schlechter Noten in Mathematik und Physik nicht versetzt worden ist, widmet sich diesen Fächern intensiv. Ende der 20er Jahre ist Raumfahrt in Deutschland sehr populär. Ausflüge ins Weltall sind oft Thema in den Medien, Vereine widmen sich der Raumschifffahrt, es gibt spezielle Zeitschriften, und viele Menschen träumen von einer Reise in den Weltraum. Auch der Regisseur Fritz Lang trägt mit seinem Film Die Frau im Mond zur Euphorie bei der Streifen entsteht unter fachlicher Beratung durch Hermann Oberth, der seine Gage prompt in Raketenexperimente einer Gruppe von Raumfahrtenthusiasten in Berlin investiert. O-Ton 4, Wernher von Braun: Gleich nach dem Abitur wandte ich mich an den Raketenschriftsteller Willy Ley, der mit Oberth damals Verbindung hatte, und sagte ihm, ich würde gerne Oberth kennenlernen und helfen, wie auch immer ein Abiturient so einem Mann helfen kann. Das hat dann der Willy Ley arrangiert und ich habe dann Oberth tatsächlich im Jahr 1930 bei seinen allerersten Versuchen in der Chemisch-Technischen Reichsanstalt in Plötzensee bei Berlin helfen können. Die Gruppe experimentiert mit kleinen Motoren und bastelt Raketen, die manchmal mehr als tausend Meter hoch fliegen. Wernher von Braun, damals noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, ist bald der führende Kopf der Gruppe und es dauert nicht lange, bis das Militär auf die Raketenaktivitäten aufmerksam wird und dem leicht anarchischen Treiben ein Ende setzt. Den begabten Köpfen der Raumfahrtenthusiasten bietet fortan das Heereswaffenamt beste Bedingungen: gute technische Ausstattung und ein großes Testgelände außerhalb Berlins, wo

4 Seite 4 die Raketenexperimente nicht viel Aufsehen erregen nehmen die Ingenieure das Versuchsgelände Peenemünde auf der Insel Usedom in Betrieb. Wernher von Braun, der aus Begeisterung für den Weltraum eine Mondrakete bauen wollte, steht plötzlich einem der wichtigsten Waffenprojekte des Dritten Reiches vor. Am 3. Oktober 1942 startet in Peenemünde eine Rakete, genannt Aggregrat-4. Diese Rakete steigt fast 85 Kilometer auf, bevor sie zurück in die Ostsee stürzt. Damit hat sie die offizielle Grenze zum Weltraum durchstoßen es ist die Geburtsstunde der Raumfahrt. Unter dem Propaganda-Namen V2 geht die Rakete in die Serienproduktion, und ihre Abschusseinheiten bombardieren unter anderem London und Antwerpen. Dass er dafür bei sich keinerlei Verantwortung sah, machte Wernher von Braun viele Male deutlich, so auch in einem Gespräch im Jahr O-Ton 5, Wernher von Braun: Das große Problem liegt darin, dass gewöhnlich die friedliche der Zivilisation dienende Anwendung einer neuen Entwicklung, ob das nun Atomenergie, Raketentechnik oder Fliegerei ist, spielt gar keine Rolle, so eng durchflochten ist mit ihrer möglichen militärischen Anwendung, dass es kaum möglich ist zu sagen, das eine darf man machen und das andere darf man nicht machen, weil derjenige, der an der eigentlichen Arbeit saß, kaum die Linie ziehen kann. Wernher von Braun war kein strammer Nazi, auch wenn er Mitglied von NSDAP und SS gewesen ist saß er sogar kurz in Haft, weil man ihm Wehrkraftzersetzung vorwarf. Doch Wernher von Braun war, wie viele Menschen damals, ein Opportunist, der sich mit dem Regime zu arrangieren wusste. Er stützte das System, das ihm den Bau von Raketen ermöglichte. Was die Nazis mit seinen Raketen anstellten, das interessierte ihn nicht seine Rechtfertigungen klingen zum Teil reichlich zynisch. O-Ton 6, Wernher von Braun: Sie haben dasselbe Problem bei einem ganz gewöhnlichen Küchenmesser. Mit einem

5 Seite 5 Küchenmesser können sie ein Stück Fleisch schneiden, was sie aufessen. Aber sie können damit auch einen Menschen umbringen. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, ein Küchenmesser zu bauen ist unmoralisch, weil es als eine Mordwaffe verwendet werden kann, können wir zurück in die Höhlen kriechen. So geht das einfach nicht. Dass Tausende Zwangsarbeiter bei der V2-Produktion unter entsetzlichen Bedingungen zu Tode kamen und dass bei den Bombenattacken zahlreiche Opfer zu beklagen waren, nahm Wernher von Braun als vermeintlich unabwendbar hin. Für diese Haltung hatte der amerikanische Satiriker und Songschreiber Tom Lehrer in den 60er Jahren nur beißenden Spott übrig: (Musik freistehend bis kurz nach 45'' Instrumentalpassage, dann bei 49'' ganz wegblenden) Übersetzung: "Wenn die Raketen erst einmal gestartet sind, wen kümmert's dann, wo sie runterkommen? Dafür bin ich nicht zuständig." Von Braun sei zwar eine Legende, aber er hänge seinen Mantel nach dem Wind. Aber sagt nicht, er sei scheinheilig man nennt ihn besser 'unpolitisch'. sang der US-Satiriker Tom Lehrer in diesem Chanson, und lag damit recht nahe bei der Wahrheit. Nach Kriegsende begaben sich der V2-Konstrukteur und viele seiner Mitarbeiter gezielt in amerikanische Gefangenschaft. Das US-Militär war sehr am Wissen der Raketenbauer interessiert. Der beginnende Kalte Krieg sorgte dafür, dass die Verflechtungen mit dem Nazi-Regime für die Amerikaner allenfalls noch eine untergeordnete Rolle spielten. O-Ton 7, Wernher von Braun: Am Schluss bin ich in einem Internierungs- und Befragungslager in Garmisch- Partenkirchen gelandet. Da haben wir die ersten amerikanischen Wissenschaftler

6 Seite 6 kennengelernt und sind schnell in tiefe Fachgespräche versunken. Aus dieser Geschichte ergab sich ein Vertragsangebot, zunächst für ein Jahr nach Amerika zu gehen. Zwar nahmen von Braun und mehr als hundert seiner Mitarbeiter 1946 in New Mexico die Raketentests wieder auf. Doch seine Karriere geriet ein wenig ins Stocken. Die deutsche Herkunft wirkte sich nun doch hinderlich aus. Zudem arbeiteten in den USA mehrere Gruppen an Raketen die Luftwaffe, das Heer und auch die Marine hatten jeweils eigene Programme entwickelt, um in den Weltraum vorzustoßen. Als Folge davon geriet die Sowjetunion technisch in Führung. Zehn Jahre nach Kriegsende wird Wernher von Braun jedoch US-Staatsbürger. Durch viele populäre Artikel, Vorträge und Fernsehauftritte wird der charismatische Ingenieur zudem einem breiten Publikum bekannt. Schließlich arbeitet er am Raketenforschungszentrum des Heeres in Huntsville, Alabama, wo er die Redstone entwickelt, die erste Atomrakete der USA. Atmo 1: Sputnik-Piepen Am 4. Oktober 1957 sorgt der Start des ersten künstlichen Satelliten für weltweites Aufsehen. Das nervtötende Sputnik-Piepen trifft Wernher von Braun und die Amerikaner ins Mark. An jenem Tag ist der designierte Verteidigungsminister Neil McElroy zufällig zu Besuch bei Wernher von Braun in Huntsville. Von Braun verlangt von ihm freie Bahn für seine Projekte und verspricht, binnen sechzig Tagen einen Satelliten zu starten. McElroy muss seine Vereidigung wenige Tage später abwarten. Dann schickt er Wernher von Braun ein Telegramm, das genau drei Worte umfasst. Zitator: Legen Sie los!

7 Seite 7 Gut drei Monate nach Sputnik starten die USA mit Explorer-1 ihren ersten Satelliten mit einer von Wernher von Braun konstruierten Rakete. Dabei profitiert der Ingenieur von den Fehlschlägen seiner inneramerikanischen Konkurrenz. Denn rund zwei Monate zuvor ist die Vanguard-Rakete der Marine Sekunden nach dem Start explodiert vor versammelter Weltpresse und live im Fernsehen übertragen. Den Raketenforschern des Heeres nutzt diese peinliche Vorstellung der Marine, und von Braun ist von da an die treibende Kraft im US- Weltraumprogramm. Unermüdlich arbeitet er an neuen Projekten, er zeichnet Konstruktionspläne und versucht die Idee bemannter Flüge zu Mond und Mars noch populärer zu machen. Atmo 2: Start Wostok-1 russischer Kommentar, Startgeräusch Der 12. April 1961 gibt seiner Karriere die alles entscheidende Wende denn dass der erste Mensch im All ein Russe ist, das schockiert die Amerikaner noch viel mehr als der Sputnik- Start dreieinhalb Jahre zuvor. Juri Gagarin umkreist einmal die Erde und die USA sind, wie die Weltöffentlichkeit erkennt, im Weltraum nur zweite Wahl. Als dann auch noch die vom amerikanischen Geheimdienst initiierte Invasion auf Kuba misslingt, braucht der junge Präsident John F. Kennedy dringend ein Erfolgserlebnis. Am 25. Mai 1961 nur sechs Wochen nach dem Flug Juri Gagarins schwört er die Amerikaner auf den Mondflug ein. O-Ton 8, John F. Kennedy: I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the earth. Zitator:

8 Seite 8 Ich glaube, diese Nation sollte sich dem Ziel verschreiben, vor dem Ende dieses Jahrzehnt einen Menschen auf dem Mond zu landen und ihn wieder sicher zurück zur Erde zu bringen. Das ist die wirklich große Stunde Wernher von Brauns. Endlich darf er umsetzen, wovon er Jahrzehnte lang geträumt hat. Und er hat fast unbegrenzte Mittel zur Verfügung: In den 60er Jahren verfügt die NASA zeitweise über gut vier Prozent des gesamten US-Haushalts. Wernher von Braun ist der große Stratege, der das Projekt voran treibt. Im Forschungszentrum in Huntsville sind jetzt mehr als 5000 Menschen tätig, insgesamt dürften bis zu Personen direkt oder indirekt am Apollo-Programm mitgewirkt haben. O-Ton 9, Wernher von Braun: Ich habe zehn Abteilungsleiter. Der eine ist der Chef des Konstruktionsbüros, einer leitet die Steuerungsentwicklung, der Dritte die Erprobungsabteilung, ein anderer hat die ganze Aerodynamik und Windkanäle unter sich, ein anderer betreibt unseren Schießbetrieb in Cape Canaveral in Florida und so weiter. Diese zehn Abteilungsleiter sind also mein ganz unmittelbarer Stab, mit denen ich jede Woche eine Konferenz habe, wo wir unseren Hauptarbeitsplan durchsprechen und wo auch Krisen und Problem besprochen werden. Wernher von Braun war nie Direktor der NASA und auch nicht der Chefkonstrukteur der Mondrakete. Aber er wusste, wie man solch ein komplexes Projekt angeht, er wusste die richtigen Leute an die richtigen Stellen zu setzen, und er konnte seine Mitarbeiter motivieren. Ohne ihn, da sind sich viele Beobachter einig, hätten die Amerikaner das von Kennedy ausgegebene Ziel nie geschafft. Atmo 3, Funkverkehr bei der Landung von Apollo Six forward, thirty seconds, forty feet down, two and a half, contact right, OK, engines stop. Houston, Tranquility Base here, the eagle has landed.

9 Seite 9 [bleibt zu hören] Am 20. Juli 1969 setzt die Landefähre von Apollo 11 im Mare Tranquilitatis auf, im Meer der Ruhe. Atmo 3, Funkverkehr bei der Landung von Apollo 11 Roger. Tranquility, we copy. You are on the ground. We are breathing again. Thanks a lot! 500 Millionen Menschen weltweit, so wird geschätzt, blicken gebannt auf das flimmernde Fernsehbild in schwarz-weiß. Etwas unscharf lässt sich erkennen, wie eine Person in klobiger weißer Montur ungelenk eine kleine Leiter hinunter krabbelt. Dann der Moment, an dem Wernher von Braun und alle anderen den Atem anhielten. O-Ton 10, Funkverkehr beim Ausstieg von Neil Armstrong: I step off the LM now... It's one small step for a man, one giant leap for mankind. Für Wernher von Braun ist dieser kleine Schritt vor allem eines: der Sieg seines Lebens. Was einst irgendwo auf Berliner Brachflächen begonnen hatte, was ihm falsche Kompromisse mit dem Dritten Reich abverlangt, was ihn Jahrzehnte im wahrsten Wortsinne getrieben und beschäftigt hat, all das ist plötzlich erreicht. Menschen betreten den Mond. Wernher von Braun sieht damit allerdings nur eine Zwischenetappe erfolgreich absolviert. O-Ton 11, Wernher von Braun: Wir glauben, dass eine bemannte Landung auf dem Planeten Mars noch genügend Aufgaben

10 Seite 10 in sich birgt, dass es nicht vor 1982 oder vielleicht 1985 verwirklicht werden kann. Man könnte die Sache zwar vielleicht beschleunigen, wenn man unbedingt wollte, aber die Sache lässt sich ohne Zweifel besser machen, wenn wir uns etwas mehr Zeit nehmen.

11 Seite 11 Doch den großen Visionär und Organisator hatte sein politisches Gespür verlassen. Mit Apollo 11 war das prestigeträchtige Ziel erreicht die Sowjets waren im All geschlagen. Politik und Öffentlichkeit verloren alsbald das Interesse am Mond und an großen Raumfahrtabenteuern. Wernher von Brauns Marspläne galten plötzlich als Fantasterei stattdessen arbeitete die NASA an der Raumstation und am Space Shuttle. So hat Wernher von Braun nach Apollo die NASA tief enttäuscht verlassen. Im Juni 1977 ist er im Alter von 65 Jahren in einem Vorort von Washington gestorben.