Fortbildungsreihe Genetik 2014 Modul 3 praktische Fälle. Stephan Becher,

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1 Fortbildungsreihe Genetik 2014 Modul 3 praktische Fälle Stephan Becher,

2 Gentest 1 Einleitung 2 Versichereungsmedizinische Apekte 3 Einfache Fälle 4 Komplizierte Fälle 2

3 Formen von Gentests Chromosomenanalyse (Trisomie 21) Genproduktanalyse Molekulargenetische Test Hepatitis PCR (Darstellung des Virusgenoms) fällt nicht unter das Bestimmungsverbot 3

4 Gesetzliche Regelung Entgegennahmeverbot Verwendungsverbot beinhaltet die Verwendung über die gesamte Vertragsdauer Durchführungsverbot Mitteilungsverbot die Mitteilung von Ergebnissen oder Daten aus bereits durchgeführten genetischen Untersuchungen verlangen oder die Ergebnisse verwenden oder entgegennehmen 4

5 Erlaubtes Underwriting Lebensversicherung Summe Prädiktiv Diagnostisch < EUR Nicht erlaubt erlaubt > EUR erlaubt erlaubt Berufs-, Erwerbsunfähigkeits-, Unfall- und Pflegeversicherung Summe Prädiktiv Diagnostisch < EUR Nicht erlaubt erlaubt > EUR erlaubt erlaubt 5

6 Prädiktive und diagnostische Gentests Diagnostisch Es ist aufgrund klinischer Symptome der Verdacht auf eine genetisch bedingte Erkrankung vorhanden, die durch einen Gentest bestätigt wird. (z. B. Faktor V Leiden bei Z.n. Thrombose) Prädiktiv Gentest wird ohne aktuelle Erkrankung bei einem Gesunden durchgeführt, weil z. B. in der Familie ein Erbleiden vorliegt (z. B. Hämochromatose) 6

8 Gentests prädiktiver Charakter und Antiselektion 1960 Antragsteller mit Chorea Huntington in Familienanamnese Private Versicherung 50 % CH positiv 50 % CH negativ i.a. hoher Zuschlag 2014 Antragsteller mit Chorea Huntington in Familiennamnese Private Versicherung Antiselektion 85 % (?) CH positiv 15 % (?) CH negativ hoher Zuschlag noch ausreichend?? Achim Regenauer MR 8

10 Fall 1 Voranfrage: Zahnmedizinstudentin 1500,00 EUR BU Mutter leidet an einem myeloproliferativen Syndrom, VN hat eine Neigung zu blauen Flecken. Labor: CD3 und CD8 vermindert. Normalwerte für alle anderen Gerinnungsparameter. Es fand sich eine Homozygotie für den Plasminogen Aktivator-Inhibitor 4G/5G. Homozygote PAI4G/5G Mutation. Ergebnis: Ein Myeoloproliferatives Syndrom liegt nicht vor. Aber eine Gerinnungsanomalie. Vor Fernflügen sollte eine physikalische Thromboseprophylaxe erfolgen 10

11 Versicherungsmedizinische Würdigung Es liegt ein prädiktiver Gentest vor Normalannahme Das Risiko ist überschaubar im Hinblick auf die zu erwartende Verhaltensweise der Antragstellerin Der stehende Beruf könnte von Nachteil bei der Entwicklung einer Thrombose mit postthrombotischen Syndrom sein. 11

12 Fall 2 33 jähriger Maler wünscht Lebens- (75 000,00 EUR) und Berufsunfähigkeitsversicherung von 1800,00 EUR/Monat Vor geplanter Tonsillektomie verlängerte PTT festgestellt Vor drei Jahren war es bei einer Zahnextraktion zu einer Blutungskomplikation gekommen Faktor VIII Aktivität von 40%, Faktor VII assoziiertes Antigen (von Willebrandfaktor) 29%. PTT 45 sec Unter Minirin Infusion präoperativ zeigte sich eine Normalisierung aller Blutungsparameter 12

13 Versicherungsmedizinische Würdigung Es handelt sich um einen diagnostischen Gentest Die Summengrenzen sind unbedeutend Leben und Berufsunfähigkeitsschutz wurde mit einem geringen RZ versichert Die Blutungskomplikation ist bei mildem Faktor VII Mangel gering, präoperativ kann der Antragsteller vorbereitet werden. 13

14 Fall 3 45 jährige Buchhalterin möchte BU Schutz 1500 EUR/monatlich AB: HPA 1 Genotyp 1a/1b, Kollagenrezeptorgenotyp 807TT Verminderter Spiegel von Protein S Bei der Schwester wurde ein Polymorphismus des thrombozytären Kollagenrezeptors festgestellt. Großmutter Apoplex, Tante mit Infarkt. Interpretation: HPA 1 Allel des thrombozytären Fibrinrezeptors ist mit zweifach erhöhtem Risiko art. Verschlussereignissen verbunden. Genotyp 807 TT bedingt eine erhöhte Dichte des Rezeptors an der Plättchenoberfläche (2,5 fach erhöhtes Risiko für Gefäßverschluss) 14

15 Versicherungsmedizinische Würdigung Der Antragstellerin wurde ein Fragebogen zu früher stattgefundenen Blutungs- oder Gerinnungsstörungen zugesandt. Danach bestand bisher keine Symptomatik Es handelt sich demnach um einen prädiktiven Gentest Die Summengrenzen sind unbedeutend Eine BU Protektion muss nach Gen DG zu normalen Bedingungen angeboten werden Die Unterlagen wurden nach Antrag aus dem EDV System genommen und unzugänglich verwahrt 15

16 Fall 4 30 jährige Masseurin möchte BU Schutz 1000 EUR/Monat Zunehmende Varikosis. Kein Hinweis auf für TVT AB: Bekanntes heterozygotes Faktor V Leiden Duplexsonographie: unauffälliges Beinvenensystem Kein Hinweis auf postthrombotisches Syndrom Fragestellung: Zu welchen Bedingungen ( AK Venen, AK Geerinnungsstörung, RZ?) kann VN versichert werden Durch die Nacherklärung des Kunden konnte nicht geklärt werden, warum eine Gerinnungsstörungsdiagnostik durchgeführt wurde. Die Kundin wurde zu normalen Bedingungen versichert, da ein unauffälliges Venensystem beschrieben wurde und die Gerinnungsdiagnostik unter prädiktiven Gesichtspunkten durchgeführt wurde. 16

17 Fall 5 29 jähriger Student beantragt eine BU von 1000 EUR/Monat Autoimmunhämolytische Anämie vom Wärmetyp angegeben BB unauffällig (allerdings erhöhte Transferrinsättigung mit 67%) Deshalb wurde eine HFE Gendiagnostik auf Hämochromatose durchgeführt Heterozygote Mutation für C282Y und H63D (Diese Befundkonstellation ist mit einer Hämochromatose vereinbar) 17

18 Versicherungsmedizinische Würdigung Der Antragsteller hat keine klinische Symptomatik (BB o.b.) Es handelt sich um einen prädiktiven Gentest in Rahmen eines Zufallbefundes Die gefundenen Polymorphismen sind mit leichtgradigen Eiseneinlagerungen und damit Hämochromatose verbunden Zur Zeit keine Therapie (Aderlässe) notwendig BU Annahme zu normalen Bedingungen Auf RZ wegen autoimmunhämolytischer Anämie bei normalen Bilirubinwerten und unauffälligem BB ohne Symptome wurde verzichtet 18

20 Fall 1 28 jähriger Medizinstudent BU Absicherung 1000 EUR mit anamnestisch unklaren Gefühlsstörungen der Beine Hereditäre Neuropathie (HNPP)- Deletion auf Chr.17p1 1.2-p Erbgang: autosomal dominant Anamnestisch Taubheitsgefühl und Beugedefizit nach Arm auflehnen. TH.: Vermeiden von Druckereignissen und Zwangshaltung. Orthopädisches Schuhwerk Prognose: gelegentlich generalisierte Polyneuropathie bis hin zur Rollator-Versorgung bei eingeschränkter Gehstrecke 20

21 Versicherungsmedizinische Würdigung Ablehnung einer BU Das Risiko ist nicht versicherbar im Hinblick auf die zu erwartende Prognose Ein stehender Beruf z. B. als Chirurg wird aller Voraus sicht nach nicht möglich sein. Die Ablehnung erfolgte aufgrund der neurologischen Symptomatik nicht aufgrund des vorgelegten Gen tests. In der Regel wird bei allen unklaren neurologischen Symptomen kein BU Schutz geboten 21

22 Fall 2 27 jährige Sekretärin, BU Absicherung 750,00 EUR/ monatlich Intermittierendes Herzrasen seit 1 Jahr (Familie: Großvater mit 54 Jahren im Schlaf verstorben) Antragsangaben: Rhythmusstörungen als Zufallsbefund (s. Anlage) Gentest: in den untersuchten Anteilen GPD1L, SCN5Awurden keine Mutationen nachgewiesen Interpretation: Nur bei 25% aller Brugada Pat. wird eine ursächliche Mutation gefunden. 22

23 Fall 2 Brugada Syndrom ist für 20-30% die häufigste Ursache des plötzlichen Herztodes bei strukturell unauffälligem Herzen. Autosomal dominant Häufigkeit weltweit 1:2000 (90% Männer) EKG: persistierende ST-Hebung in re-präcordialen Abl. Risiko für Herztod beträgt 2-16%/Jahr 23

24 Fall 2 Diagnose: asymptomatisches Brugada Syndrom (ohne Mutationsnachweis) Ruhe EKG: SR, FQ 78, Indiff.-typ, regelrechte Erregungsausbreitung, ST Hebung mit neg. T in V1 Elektrophysiologische Untersuchung mit pos. Ajmalintest Keine Synkopen, AP oder Schwindelattacken Ein Intracardialer Defibrillator ist nicht indiziert 24

25 Versicherungsmedizinische Würdigung Bei der Antragstellerin gab es in der Familie einen plötzlichen Herztod Die Antragstellerin litt unter gelegentlichen Tachykardieanfällen. Ansonsten bestand bisher keine typische Brugada Symptomatik (Synkopen, Schwindel) Im EKG keine eindeutigen Zeichen, aber pos. Ajmalintest Es handelt sich um einen diagnostischen negativen Gentest (schließt ein Brugada nicht aus) Obwohl der Gentest für die VN gut ausfiel, wurde der Antrag abgelehnt 25

26 Fall 3 22 jähriger Student, BU 1000 EUR, Voranfrage Humangenetische Beratung (2013): Familienanamnese o.b., Phänotypisch schmale, lange Finger, Überstreckbarkeit der Finger. Genuntersuchung angeraten Kardiologischer Befund (2011): Marfan (form fruste), minimale Klappenbeteiliung. Keine sehr hohe Dauerbelastung empfohlen Marfan: Häufigkeit 1: 7500 mit Skelett, Augen- und Herzbeteiligung. Mut im FNB1 Gen. 26

27 Versicherungsmedizinische Würdigung Es bleibt unklar, ob der VN unter einem Marfan Syndrom leidet ( atypische Form) Obwohl der VN zur Zeit kardial gesund ist, wird der Versicherer keine BU anbieten können ( Verlauf ungewiss). Diese Entscheidung ist unabhängig von der genetischen Untersuchung, sondern beruht auf der unklaren Sachlage (Diagnoseverdacht) 27

28 Fall 4 35 jähriger Geschäftsführer Risiko für 10 Jahre Antragsangaben: 1. Pneumothorax (operiert) 2. Hyperplastische Polyposis coli (kein Anhalt für Malignität) 3. ARPKD (autosomal rez. Polyzystische Nierenerkrankung) Anamnestisch ED der Nierenzysten im Kindesalter 28

29 Fall 4 Sonographie der Nieren Normgroße Nieren bds. ohne Aufstau. Rechts kl. Zyste, links o. Zyste MRT der Nieren Vereinzelt kl. Nierenzysten bds., ansonsten regelrechte Darstellung, kein Hinweis auf polyzystische Nierendegeneration Nierenretentionswerte Sämtliche Retentionswerte im Normbereich 24-std Blutdruckmessung: Mittelwert 125/61mmHg, Absenkung o.b. Molekulargenetische Analyse des PKHD 1 Gens Mutation c.7237c>/ (p.arg2413cys) liegt bei H. X auf dem paternalen Allel vor während d.9737c>t (.Pro3246Leu) maternal vorhanden ist 29

30 Fall 4 Humangenetische Interpretation: In der Lit. finden sich Fälle, bei denen durch Mutation im PKHD1 Gen sowohl eine Restfunktion des Gens verbleibt, so dass die anlagetragenden Eltern nicht den Phänotyp einer polyzyst. Nierenerkrankung entwickeln. Ob die übrigen bei Herrn X vorliegenden Symptome diesen genetische Veränderungen zuzuordnen sind bleibt unklar (wenn würden wir die hyperplastischen Polypen hier noch einordnen). Der Pneumothorax wird nicht zugeordnet, da es sich um eine Ziliopathie handelt. 30

31 Versicherungsmedizinische Würdigung Der Antragsteller ist beschwerdefrei. Es bestand bisher auch keine Symptomatik Es handelt sich um einen prädiktiven Gentest Die Summengrenzen sind zu beachten Die Risikoeinschätzung kann nach Gen DG den Gentest berücksichtigen Der VN wurde aufgrund der med. Angaben für eine Lebens-versicherung von 10 Jahren mit einem RZ versichert. 31

32 Fall 5 30 jährige Ärztin, BU Absicherung 2500,00 EUR/monatlich Antragsangaben: Hyperandrogenämie (s. Anlage) Mit dem MLPA-Assay wurde eine heterozygote Deletion des CYP21PA1-Pseudogens nachgewiesen Interpretation: Das CYP21PA1-Pseudogen besitzt als Pseudogen keine 21-Hydroxylase-Aktivität. Eine Deletion kann nach in vitro Untersuchungen die Expressionsrate des akt. 21-Hydroxylasegens beeinflussen. In vivo ist der hemmende Einfluss aber gering. Laboruntersuchung bei VN: moderate DHEA Erhöhung bei normalen Androstendion Zum Auschluss eines late onset AGS wurde eine molekulargenetische Untersuchung initiiert. 32

33 Versicherungsmedizinische Würdigung Die Antragstellerin hat einen erhöhten DHEA Laborwerte und gibt im Antrag Hyperandrogenämie an Es handelt sich um einen diagnostischen Gentest Es ist keine Therapie notwendig BU Annahme zu normalen Bedingungen in Konkurrenz zu einem Mitbewerber Die Unterlagen mit der genetischen Information wurden nach Antrag aus dem EDV System genommen und getrennt verwahrt 33

34 Leistungsfall 20 jähriger Student, 153 cm, 42 kg BU 1000 EUR/Mon. Vertragsbeginn 9/2009, Darmop 2012 Antragsangaben: alles verneint Begehrt Leistung wegen durchgeführter Proktocolectomie 1/2007: molekulargenetische Untersuchung bei familiärer adenomatöser Polyposis. Deletion von Exon 14 des APC 8/2009 ÖGD: multifokal tubulovillöse Adenom mit Neoplasien. Mütterlicherseits vorbelastet. 34

35 Versicherungsmedizinische Würdigung Der Antragsteller hat eine erblich bedingte Erkrankung mit hohem Malignitätsrisiko Er hatte vor Antragstellung einen prädiktiven Gentest vorgenommen Fast zeitgleich wurde in einer Gastrokopie multiple Polypen beschrieben. Der in diesem Rahmen durchgeführte Gentest ist für die Bewertung des Risikos nicht relevant Risikorelevant sind die Polypen (vor Antragstellung) Der VN hat diese Angaben verschwiegen. VVA. Der Antrag wäre so nicht angenommen worden. 35

36 Take home message Gentests kommen in Underwriting häufig vor Schulungen und Diskussion zu dem Thema sind unabdingbar Unbedarfte Versicherer gehen ein hohes Risiko bei Beantwortung von Voranfragen ein, wenn sie die Problematik nicht erkennen Gelegentlich kann es schwierig sein, zu unterscheiden, in welcher Form ein Gentests vorliegt Das Verbot, Gentests im Underwriting zu verwenden wird zu höheren Prämien durch Antiselektion führen 36

37 Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit 37