SWR2 BUCH DER WOCHE
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- Friedrich Armbruster
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1 ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 BUCH DER WOCHE Herausgegeben von Erdmut Wizisla: Bertolt Brecht / Helene Weigel:"ich lerne: gläser + tassen spülen". Briefe Suhrkamp Verlag, Berlin Seiten 24,95 Euro Rezension von Stefan Berkholz Bertolt Brecht und Helene Weigel wirken wie ein sehr modernes, ein sehr emanzipiertes Paar. Sie waren verheiratet gewiss, von 1929 bis zum Tode Brechts im
2 August 1956, also mehr als 25 Jahre lang. Es war eine große Liebe, sie hatten zwei gemeinsame Kinder und ein Familienleben über die Zeit des Exils hinaus. Aber sie ließen sich Freiheiten, auch künstlerische Freiheiten, auch sexuelle Freiheiten. Was sie verband, war die Politik. Und natürlich die gleiche Leidenschaft fürs Theater. In den Briefen von Bertolt Brecht und Helene Weigel steht der Austausch über die Arbeit im Vordergrund. Herausgeber Erdmut Wizisla verdeutlicht. Es ist kein dramatischer Liebesbriefwechsel oder so was, das hat man aber vielleicht auch bei Brecht und Weigel nicht erwartet. Es sind schön zu lesende, sehr direkte Briefe von Theaterleuten, die agieren, die sich etwas zu sagen haben, deren Sätze immer gesprochen sein könnten. Da ist kein Schmus, da ist keine Herzergießung, aber es ist trotzdem eine direkte Beziehung, da passiert was. Von einem Briefwechsel im eigentlichen Sinne kann man allerdings nicht sprechen. Das macht der Herausgeber auch nicht. "Briefe 1923 bis 1956", so lautet der Titel. Es gibt leider kaum einmal direkte Antworten, die Überlieferung ist voller Lücken. Dennoch erschließen sich für den Kenner durch diese Zeugnisse viele neue Einsichten. Die Beiden verband das Theater. Das ist ein Regisseur, der einer Schauspielerin schreibt. Das ist ein künstlerischer Leiter, der mit seiner Intendantin im Briefwechsel steht, eine Intendantin, die ihrem künstlerischen Leiter und dem wichtigsten Regisseur und Autor ihres Hauses Mitteilungen macht. (...) Das Theater ist der rote Faden, auch da, wo es nicht da ist. Wenn Helene Weigel nicht spielen kann, gibt es doch immer wieder Sätze, die genau das thematisieren: "Auch das werden wir noch machen!" Er spricht über irgendeine Rolle und sagt dann: "Liebe Helli, auch das werden wir noch machen und besser! Mit Dir, in Berlin."
3 Die weitaus meisten (und bisher zum großen Teil unveröffentlichten) Briefe von Helene Weigel stammen aus der Nachkriegszeit, aus den 1950er Jahren, als die beiden besessenen Theaterleute ihr "Berliner Ensemble" gegen alle Widerstände im Ostteil der Stadt gründeten und aufbauten. Die Briefe der Weigel sind so etwas wie Protokollnotizen, mit denen die Intendantin Weigel den Theaterbetrieb organisieren wollte. Sie pocht zum Beispiel auf "allerstrengste Finanzdisziplin", mokiert sich über Unzuverlässigkeit im Betrieb, äußert sich über Fähigkeiten von Schauspielern, schlägt eine "Razzia durch sämtliche Schränke unserer Dramaturgie" vor, weil mal wieder wichtige und seltene Bücher verschwunden waren. Briefe von Brecht gibt es aus dieser Zeit so gut wie gar nicht, nur ab und an sind ein paar Reaktionen vom Sekretariat auf den Briefen der Weigel notiert. Ich sehe diese Briefe aus der Zeit des "Berliner Ensembles" als Versuch etwas zu strukturieren, was Beiden tageweise, wochenweise tatsächlich über den Kopf zu wachsen drohte. Die Weigel wollte einfach nicht abends nach Weißensee zurück kommen und eine Besprechungsliste von zehn Punkten haben: der möchte Urlaub, der scheint mir anzufangen zu saufen, da müssen wir dem 'ne andere Rolle geben, Dinge, die in den Briefen angesprochen werden. Sie hat es diktiert, dann war es ein kleiner Fünfzeiler, den hat Brecht gekriegt, dann hat er reagiert, und damit war die Geschichte erledigt. So sind diese Briefe von Helene Weigel vor allem etwas für
4 Theaterwissenschaftler, die hier Details über Rollenbesetzungen, Kalkulation, Spielplangestaltung finden. Aber auch von Brecht sind in dieser Ausgabe rund fünfzig Briefe enthalten, die bisher unbekannt waren, vor allem aus seiner Zeit in den USA vom Anfang der 1940er Jahre. Darin klagt Brecht über das "veritable Inferno" in New York, das er "besonders scheußlich" empfindet; darin buhlt Brecht vergeblich um eine Zusammenarbeit mit Orson Welles; darin mokiert er sich über die seiner Meinung nach ungenügenden Schauspielkünste von Elisabeth Bergner oder das mangelhafte Englisch von Albert Bassermann, das wie "eine Art Türkisch mit sächsischem Akzent" klinge. Es sind launige und inhaltsreiche Notizen aus einer schwierigen Zeit im Exil. Für mich war überraschend, wie direkt Brecht dann doch in bestimmte Theaterkreise und kulturpolitische Kreise in New York eingebunden ist. Da fallen Namen, die man bisher noch nie gehört hat. Manche leider nur am Rand. Also er bittet darum, dass ihm jemand die Adresse von Hermann Broch gibt, den er treffen möchte. Bisher ist nichts bekannt über eine Beziehung von Brecht und Broch. Man wusste gar nicht, dass die einander überhaupt wahrgenommen haben. Das etwas sperrige Zitat, das dem Buch zum Titel gegeben wurde, "ich lerne: gläser + tassen zu spülen" stammt aus einem Brief Bertolt Brechts vom Februar 1946, in dem der Dramatiker sehr persönlich und offen seine isolierte und kritische Situation in New York beschreibt. Helene Weigel lebt zu dieser Zeit in Santa Monica. Montag, 11. II. 46 Liebe Helli, ich lerne: Gläser + Tassen spülen, Boden fegen, Abfall wegschaffen, Rühreier und Suppen machen, alles als Autodidakt. Ich fühle mich Dir sehr
5 gewogen, wenn ich Gläser spüle, daß Du das nun so lange gemacht hast, unter anderm. Und dann schreibt Brecht über den beklagenswerten Zustand seiner Geliebten, der Schauspielerin Ruth Berlau - und dies auch nur deshalb, "weil Du fragtest am Telefon", erklärt Brecht seiner Frau. Die Behandlung Ruths wird länger dauern, jetzt kann sie keine Besucher empfangen, ist fiebrig wegen Flüssigkeitsmangel, da sie nicht ißt und nicht trinkt. Ich war nur einmal bei ihr, da war sie ganz, wie man im Traum ist, sprunghaft, ungeheuerlich erregt mit enorm schnell und oft wechselndem Ausdruck. Und in den Gesten äußerst theatralisch. Alles ist in sich logisch, aber ohne realen Boden. Es finden sich in den überlieferten Briefen also doch auch private Zeilen, auch existentielle Krisen sind angedeutet, vor allem wegen der Liebschaften Brechts. Anfang 1932 war beispielsweise eine solche Krise. Brecht hatte die Schauspielerin Margarete Steffin kennen gelernt, Helene Weigel erwog die Scheidung. Brecht versucht sich seiner Frau in einem Brief aus Berlin verständlich zu machen. 1. Januar Liebe Helli, ich schreibe, statt zu sprechen, weil das leichter ist, gegen das Sprechen habe ich eine solche Abneigung, das ist immer ein Kämpfen. Für gewöhnlich ist es bei uns so: aus kleinen psychischen Verstimmungen, die viele Ursachen haben können und meist unaufklärbar sind, teils Mißverständnisse zur Ursache haben,
6 teils nur die Müdigkeit oder Gereiztheit, die durch die Arbeit, also von außerhalb kommt, entsteht dann eine große undurchdringliche Verstimmung. (...) Ich weiß von mir, daß ich Dir immer nah stehe (...), auch über Verstimmungen hinweg, auch während derselben. Die Briefausgabe ist wie gewohnt bei Suhrkamp sehr sorgfältig gemacht, mit kurzen biographischen Einordnungen vor jedem Kapitel, mit knappen Anmerkungen am Ende jedes Briefes, mit einem Personen- und Werkregister. Nun liegt also auch diese prominente Künstlerehe so umfangreich dokumentiert vor wie derzeit möglich, die Briefe sind eine reizvolle Ergänzung für die Gemeinde. Und voller Demut vernehmen wir am Ende noch die Stimme Bert Brechts, der vor allem Verständnis von den Nachgeborenen erhoffte. Es sind die letzten Zeilen seines Gedichtes von 1938, An die Nachgeborenen. Brecht spricht sie drei Jahre vor seinem Tod, wenige Monate nach dem Volksaufstand in der DDR vom Juni Wir, die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit Konnten selber nicht freundlich sein. Ihr aber, wenn es so weit sein wird Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist Gedenkt unsrer Mit Nachsicht.
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