Beitrag: Wut bei Karstadt Das Versagen des angeblichen Retters

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1 Manuskript Beitrag: Wut bei Karstadt Das Versagen des angeblichen Retters Sendung vom 11. Juni 2013 von Christian Esser Anmoderation: Wie jetzt? Nicolas Berggruen, der sogenannte Karstadt-Retter, will nicht gewusst haben, wie krank der Konzern wirklich war? 2010 hatte er ihn für einen symbolischen Euro übernommen. Und versprach den gebeutelten Mitarbeitern Investitionen, Besserung. Ja: Heilung. Doch die Bilanz der guten Berggruen-Taten: Zweitausend Arbeitsplätze sind weg. Und der Flächentarifvertrag. Umsätze sinken. Der Geschäftsführer muss gehen. Und so ist sie wieder da, die große Angst bei Karstadt. Christian Esser über den vorgeblichen Wohltäter, der zum Feindbild seiner Mitarbeiter geworden ist. Text: Vergangenen Freitag. Ein lauer Sommerabend in Berlin. Jahrestreffen der Freunde des Museums Berggruen. Und sie kommen gern. Ex-Kanzler Schröder, Damen der Gesellschaft und andere einflussreiche Prominente mit guten Beziehungen: Der amerikanischer Botschafter Philip D. Murphy oder auch Friedrich Christian Flick, der millionenschwere Kunstsammler. Doch an diesem Abend wird die feine Gesellschaft gestört. Gleich gegenüber protestieren Karstadt-Mitarbeiter Stellen wurden gestrichen. Die Karstadt-Leitung setzte den Tarifvertrag aus. O-Ton Joachim Dürbaum, Karstadt-Mitarbeiter: Von einem Investor, einem Herrn Berggruen erwarten wir, dass er investiert in das Unternehmen und sozusagen die Arbeitsplätze sichert und nicht im Gegenteil Arbeitsplätze abbaut und den Leuten Angst macht, dass sie halt in Zukunft keinen Arbeitsplatz mehr haben. O-Ton Inka Wolff: Herr Berggruen hat diese Firma für einen Euro gekauft und jetzt, wo tarifliche Erhöhungen für die Kollegen und Kolleginnen wieder wirken würden, jetzt flüchtet er sich in den OT - also ohne Tarif. Und er muss keine Erhöhungen zahlen, das ist unter aller Würde.

2 O-Ton Manuela Virgils, Karstadt-Mitarbeiterin: Es wird halt knallhart gespart und Programme werden halt durchgezogen und die Menschen in den Filialen fühlen sich halt alleine gelassen. Insgesamt mehr als 650 Millionen Euro haben die Beschäftigen von Karstadt in ihr Unternehmen investiert. Die Karstadt-Beschäftigten sind die wahren Investoren für dieses Unternehmen. So und jetzt ist es gut. Jetzt ist der Eigentümer dran. Und dann kommt er wirklich: Karstadt-Eigentümer Nicolas Berggruen. Er stellt sich den Demonstranten und versucht zu beruhigen. Der Eigentümer ist da. Am Ende des Tages seid Ihr am wichtigsten und es ist für Euch am wichtigsten, dass wir alle zusammenarbeiten und nicht gegeneinander. O-Ton Karstadt-Mitarbeiter: Darum brauchen wir auch Ihre Investitionen. Hier, bitte heute Abend, bitte verstehen Sie, dass diese Veranstaltung hat zu tun mit Kultur, nicht mit mir, nicht mit Karstadt. So gibt er sich immer eher Schöngeist als Geschäftsmann, als Menschenfreund. In Wahrheit ist er aber ein knallharter Finanzinvestor. Hamburg. Auch hier gingen vergangene Woche 450 Karstadt- Mitarbeiter auf die Straße. Viele demonstrierten direkt vor der Filiale in Hamburg-Wandsbek. Doch das will die Geschäftsführung, Berggruens Leute, gerichtlich verbieten. Vor dem Gerichtsaal treffen wir den Betriebsratsvorsitzenden Jürgen Gehring. Er ist seit 1978 im Unternehmen. Seit Berggruen am Ruder ist, gehe es Gewerkschaften und Betriebsräten schlechter als je zuvor. O-Ton Jürgen Gehring, Betriebsratsvorsitzender Hamburg- Wandsbek: Die Kolleginnen und Kollegen in der Filiale sind wirklich tierisch sauer, weil ja durch den Vorwurf, es hätte ein

3 Hausfriedensbruch gegeben, der Geschäftsführer der Filiale seine eigenen Beschäftigten kriminalisiert. Das ist also schon eine neue Qualität. Das hat es in der Vergangenheit so nicht gegeben. Wir wollen von Geschäftsführer und Karstadt-Aufsichtsrat Christoph Kellenter wissen, warum er Arbeitnehmerrechte einschränken will. Warum ziehen Sie denn gegen Ihre eigenen Mitarbeiter vor Gericht? O-Ton Christoph Kellenter, Karstadt-Aufsichtsrat: Wenden Sie sich bitte an unsere Pressestelle. Warum haben Sie Fotos von Streikenden gemacht? Hat Karstadt keine anderen Probleme als gegen Streikende vorzugehen. Herr Kellenter bleiben Sie doch mal kurz stehen bitte. Warum haben Sie Fotos von Mitarbeitern gemacht, können Sie uns das kurz sagen? Karstadt teilt uns später mit, dass man jede Form des legalen Streiks respektiere. In Wansbek sei aber der Eingang so blockiert gewesen, dass Kunden behindert wurden. Das Gericht sah es anders, gab den Streikenden Recht. Die wirtschaftliche Krise bei Karstadt hält an. Am Wochenende wurde bekannt, dass der von Berggruen eingesetzte Karstadt- Chef Andrew Jennings geht. Unter Jennings Führung sind die Umsätze eingebrochen. Berggruens Strategie ist gescheitert. Der Milliardär wehrt sich via BILD-Zeitung. Zitat: Ich habe nicht gewusst, wie krank Karstadt wirklich war. Das glauben Jürgen Gehring und seine Kollegen nicht. Arno Peukes sitzt für die Gewerkschaft ver.di im Aufsichtsrat, Thies Nowacki war dort sieben Jahre als Arbeitsnehmervertreter. Bei der Investorensuche hat Herr Berggruen sehr viele Experten reingeschickt, um Bücher zu prüfen. Und er hatte Einblick in alles. Also die Aussage verwundert mehr, als wütend machen, also verwundert schon sehr und ist relativ, also ich kann schon sagen, dass ist schon bald naiv, wenn er so eine Aussage tätigt. Karstadt braucht dringend Geld für die Sanierung der Filialen. Doch Berggruen zahlt nicht. Obwohl die Mitarbeiter seit Jahren

4 auf Lohn verzichtet haben. O-Ton Arno Peukes, Aufsichtsrat Karstadt: 650 Millionen haben die Kolleginnen und Kollegen investiert und Herr Berggruen noch nicht. Und deswegen sage ich, es gilt für mich ein Maßstab, an dem was er gesagt hat. Er hat gesagt, wenn die Zeiten schwierig sind, investiert er und nicht die Beschäftigten. Und daran werden wir ihn erinnern und daran werden wir ihn auch messen. Naiv gibt sich Berggruen gerne. Auch wenn es um sein Firmengeflecht geht. Vor zwei Jahren deckte Frontal21 auf, dass Karstadt letztlich zu einer Berggruen-Stiftung in der Karibik gehört. Ich hab die Strukturen nicht aufgebaut. Das sind unsere Anwälte oder so, die machen das. Das heißt, Sie kennen sich als Eigentümer von Karstadt nicht mit den Eigentümer-Strukturen aus? Das überrascht mich ehrlich gesagt jetzt. Ich bin da nicht involviert. In der Regel hat das nur einen einzigen Grund - und das heißt Steuervermeidung. Nein. Mit der Karstadt-Übernahme kaufte Berggruen die Namensrechte. Dafür kassiert seine Berggruen-Holding jedes Jahr Millionen. Trotzdem sagt er der BILD-Zeitung, Zitat: Ich selbst verdiene daran keinen Cent. Er hat selber gesagt, das läuft in eine Berggruen-Holding. Da wird das mit Sicherheit auch abgeführt und die Berggruen- Holding gehört ihm. Also da geh ich davon ganz klar aus, dass Geld landet bei ihm. Anders kann ich mir das eigentlich nicht vorstellen. Paris, vor zwei Wochen. Die Welt des Nicoals Berggruen. Er trifft sich mit hochrangigen Gästen. Thema: Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit.

5 Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble sind auch da. Berggruen zeigt sich tief besorgt über arbeitslose Jugendliche. Karstadt-Betriebsräte können das nicht ernst nehmen. O-Ton Jürgen Gehring, Betriebsratsvorsitzender Hamburg- Wandsbek: Wenn man sich im Großen und Ganzen um die Jugendarbeitslosigkeit in Europa kümmert und gleichzeitig zulässt, dass in dem eigenen Unternehmen so gut wie kein Auszubildender übernommen wird, dann finde ich, dann hätte er in seinem eigenen Unternehmen ein großes Handlungsfeld, in dem er sich betätigen könnte. Und ich finde darauf könnte er sich erst mal konzentrieren. Also erst mal das Kleine regeln und dann die große Welt retten. Ich weiß noch nicht, ob er in unserer Welt lebt, jedenfalls nicht in der Welt, wo die Karstadt-Beschäftigten leben. Das Gefühl hat man schon, dass er gar nicht nachvollziehen kann, was ein Beschäftigter seines Unternehmens tagtäglich tun muss, um Geld nach Hause zu bringen, um seine Familie zu ernähren. Also das Gefühl habe ich definitiv nicht. Dennoch da drüben eine gute Veranstaltung. Bergguen zieht es wieder zu seinesgleichen und die Wirklichkeit bleibt draußen. Abmoderation: Übermorgen trifft sich der Karstadt-Aufsichtsrat. Der wird auch über den anstehenden Chefwechsel beraten. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.