Wetten in Sportvereinen Eine Risikoanalyse
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- Siegfried Böhmer
- vor 6 Jahren
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1 Wetten in Sportvereinen Eine Risikoanalyse Institut für Psychologie und Kognitionsforschung Spiel ohne Grenzen? Glücksspielsucht im Sport Fachtagung des Netzwerkes Suchtvorbeugung Bielefeld, 12. Oktober 2017
2 Überblick: Themenfelder x Erwachsene Leistungssport Breitensport Jugendliche
3 Sportwetten in Deutschland im Überblick TOTO - 13er Ergebniswette Totalisator TOTO - Auswahlwette (6 aus 45) Online-Wetten (u.a. Live-Wetten, Fantasy Sports, Wetten auf E-Sports) Terrestrische Wettbüros Totalisator Buchmacher Buchmacher Pferdewetten Totalisator / Buchmacher Nicht-kommerzielle Wetten Privater Kontext
4 Sportwetten und Spielanreize Sportbegeisterung Variable Einsatz- und Gewinnmöglichkeiten Emotionalität Verfügbarkeit Ereignisfrequenz Interaktivität Herausforderung Soziale Dynamik Kompetenzanteil Normalisierung
5 Die Faszination Glücksspiel (Sportwetten) Phase 1 Entscheidung für eine Glücksspielteilnahme Phase 2 Geldeinsatz Hoffen auf den Gewinn: Anspannung, Stimulation, Nervenkitzel Emotionsregulation (positive Verstärkung) Ablenkung von Belastungen (negative Verstärkung) Phase 3a Gewinnsituation Glücksgefühl, Euphorie, Allmachtsphantasien,... Phase 3b Verlustsituation Frustration, Ärger, Niedergeschlagenheit,... Phase 4 Weiterspielen Befindlichkeitsveränderung, Verschiebung der Motivation
6 Feldforschung
7 Profisportler: Affinität zum Glücksspiel (I) Ich habe gesoffen und Geld verzockt (Bild, ) [ ] Hamann blieb somit allein in England, begann aus Verzweiflung zu trinken und zu wetten. Nicht auf Fußball-Spiele, sondern auf eine besonders britische Sportart: Cricket. Ich interessierte mich immer mehr für Cricket. Gab es irgendwo auf der Welt ein Spiel, blieb ich wach und schaute es. Denn schlafen war etwas, das ich nicht konnte. Alkohol und Wetten ein teuflischer Mix. Hamann schaffte den Absprung nicht. Bei einem Spiel zwischen Australien und Südafrika verlor er umgerechnet unglaubliche Euro. [ ]
8 Profisportler: Affinität zum Glücksspiel (II) [ ] Eike Immel pokerte schon wie ein Süchtiger. Oft sah man, wie er aus seiner Brusttasche eine Handvoll Geldscheine herauszog. Oder sah ihn, wie er sich enttäuscht und völlig gerupft auf sein Bett warf. Nicht selten wurde um bis DM gespielt. Andere bumsten bis zum Morgengrauen und kamen wie nasse Lappen zum Training gekrochen [ ] (S. 53)
9 Profisportler: Affinität zum Glücksspiel (III) Es ist sein erster Triumph als Zocker. [ ] Er war damals 14. Ich hatte drei Mark in der Tasche, für 2,70 Mark habe ich einen Hamburger geholt, dahinten, die Straße runter, das Fischeck lag direkt auf der Ecke. Die 30 Pfennig Wechselgeld hab ich in den Automaten geschmissen, und dann, die erste Drehung, Sonne, Sonne, Sonne. 100 Sonderspiele. (S.12)
10 Profisportler: Affinität zum Glücksspiel (IV)
11 Profisportler: Affinität zum Glücksspiel (V)
12 Empirische Befunde aus Großbritannien Wardle & Gibbons (2014) Internetbasierte Befragung von N = 346 Profisportlern (Cricket, Fußball) Profisportler Allgemeinbevölkerung (Männer 44 Jahre) Spielverhalten 12-Monats-Prävalenz (%) Spielverhalten 1-Monats-Prävalenz (%) Riskantes Spielverhalten (%) 14 4 Problematisches Spielverhalten (%) 6 2
13 Weitere empirische Befunde aus Europa Grall-Bronnec et al. (2016, in press) Befragung von N = Profisportlern Verschiedene Teamsportarten: Eishockey, Rugby, Handball, Basketball, Fußball, Indoor-Fußball, Volleyball, Cricket Datenerhebung in folgenden Ländern: Spanien, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Schweden, Großbritannien Teilnahme-Prävalenz Glücksspiel (letzte 12 Monate): 56,6% Prävalenz problematischen Spielverhaltens ( current or past ): 8,2% Risikofaktoren problematischen Spielverhaltens: Wetten auf das eigene Team, Online-Wetten, regelmäßiges Glücksspiel, Dringlichkeit (als Teilaspekt von Impulsivität)
14 und schließlich Island Ólason et al. (2017) Befragung von N = 725 Fußballspielern 547 Grundgesamtheit: 105 registrierte Teams bzw Spieler (RR: 33%) 547 Männern und 178 Frauen (M = 23 Jahre) mindestens wöchentliche Teilnahme an Fußballwetten (letzte 12 Monate): 17,3% Prävalenz riskantes + problematischen Spielverhaltens (PGSI; letzte 12 Monate): 9,6%
15 Betroffene Profisportler: Skizzierung eines Profils Soziodemographie jung und männlich Lebensumstände Geld, Zeit, Langeweile, hoher Belastungsgrad/Leistungsdruck, Versagungsängste Persönlichkeit Wettbewerbsorientierung und Risikofreude Individuelle Ressourcen fehlende Kompetenzen im Umgang mit Geld Karriere ausbleibende Erfolgserlebnisse (z. B. Verletzungen, Karriereende, Leistungsabfall) Umfeld Glücksspiele = Normalität, vermeintliche Expertise
16 Zielgruppenorientierte Ausstiegshilfe (I)
17 Zielgruppenorientierte Ausstiegshilfe (II) Sportwetten-Suchtgefahr-Nummer-eins-fuer-Profis.html
18 Weitere Konsequenzen in England
19 Sportwetten in Sportvereinen Breitensport (I) Meyer, Meyer, Zielke & Hayer (2013) N = 294 Mitglieder aus 21 Sportvereinen (Fußball und Handball; 83% männlich) 12-Monats-Prävalenz Pferdewetten Toto 13er Wette Kasinospiele im Internet 5,8 6,5 8,5 Sportwetten in privaten Wettbüros Glücksspielautomaten Roulette/Black Jack/Poker in Spielbanken Onlinepoker Geldspielautomaten Sportwetten im Internet Oddset Sportwetten von Lotto 19,4 19,4 21,4 25,9 29,9 30,3 31,3 Rubbellotterien Lotto "6 aus 49" 38,8 41,2 Karten- und Würfelspiele in privaten Runden 47,3 Gesamt 78, Prozentangaben
20 Sportwetten in Sportvereinen Breitensport (II) Meyer, Meyer, Zielke & Hayer (2013) N = 294 Mitglieder aus 21 Sportvereinen (Fußball und Handball; 83% männlich) Sportvereine Allgemeinbevölkerung (PAGE-Studie) 12-Monats-Prävalenz Sportwetten (%) Prävalenz problematisches Spielverhalten (Lebenszeit) (%) Prävalenz pathologisches Spielverhalten (Lebenszeit) (%) 52,4 ( ) 6,0 5,3 ( ) 1,4 3,5 ( ) 1,0
21 Leistungssport und Jugendliche (I)
22 Leistungssport und Jugendliche (II) Generell: Bestimmte Glücksspiele (v. a. Geldspielautomaten, Sportwetten, Poker) üben für Jugendliche einen relativ hohen Spielanreiz aus Generell: In der Entwicklungsphase der Adoleszenz besteht eine erhöhte Gefahr, zumindest temporär glücksspielbezogene Probleme zu entwickeln Generell: Zukünftig dürften erste Berührungspunkte mit Glücksspielen (passiv sowie aktiv) vermehrt online erfolgen (inkl. Werbeexposition) Aber: Speziell zum Thema Leistungssport und Jugendliche liegen bislang keine wissenschaftlichen Befunde / Abhandlungen vor
23 Sportvereine als Risikosetting im Jugendalter International: Die Ausübung von Vereinssport gilt als Risikobedingung für die Entwicklung glücksspielbezogener Probleme in der Adoleszenz (Hayer, 2012) Nationale Befunde: Rehbein, Hayer, Baier & Mößle (2015) Repräsentative Befragung von Neuntklässlern in Niedersachsen Prädiktoren einer regelmäßigen Spielteilnahme Geschlecht (männlich) Migrationshintergrund Erhöhte Gewaltakzeptanz Mitgliedschaft in Sportvereinen Besuch von Kneipe/Disko/Kino/Veranstaltung Alkoholkonsum Konsum harter Drogen Opferschaft Cyberbullying Delinquenter Freundeskreis Prädiktoren eines riskanten Spielverhaltens Geschlecht (männlich) Migrationshintergrund Erhöhte Gewaltakzeptanz Mitgliedschaft in Sportvereinen Gewalttäterschaft Niedrige Schulform Mehrfachschwänzen Geringer Zusammenhalt in Wohngebieten
24 Jugendliche und Sportwetten Nationale Befunde Fiedler & Hayer (2016) Baumgärtner (2009) Regelmäßige Sportwetter sind männlich und weisen einen Migrationshintergrund auf Duven et al. (2011) Problemspieler neigen unter anderem zur Teilnahme an Internet-Sportwetten Hurrelmann et al. (2003) Ludwig et al. (2012) Müller et al. (2014) Rehbein et al. (2015) Sportwetten zählen zu den Spielformen mit dem höchsten Bindungsfaktor Jungen und Hauptschüler beteiligen sich überzufällig häufig an Sportwetten Wettannahmestellen bilden den bevorzugten Ort der Spielteilnahme (unter allen möglichen Spielorten) 1% aller Neuntklässler gibt regelmäßig Geld für Sportwetten aus
25 Sportwetten = Glücksspiel? Khazaal et al. (2012) Wetten auf die ersten 10 Fußballspiele der EM 2008 (N = 258) Experten (N = 55) Amateure (N = 63) Laien (N = 140) Korrekter Spielausgang 4,16 4,60 4,62 Korrekte Ergebnisvorhersage 0,80 0,94 0,77 Ausgewählte Partien Ergebnis Experten (N = 55) Amateure (N = 63) Laien (N = 140) Schweiz Tschechien 0:1 1,8% 6,3% 7,1% Portugal Türkei 2:0 25,5% 23,8% 12,9% Österreich Kroatien 0:1 14,5% 12,7% 12,9% Deutschland Polen 2:0 16,4% 27,0% 16,4% Rumänien Frankreich 0:0 1,8% 1,6% 3,6%
26 Kognitive Verzerrungen beim Sportwetten (I) Klassischer Trugschluss des Glücksspielers Fehlerbehaftete Verknüpfung von tatsächlich unabhängigen Zufallsereignissen Gefangensein Starke Bindung an eine einmal eingeschlagene Spielstrategie trotz vorherrschenden Misserfolgserlebnissen Abergläubisches Denken und Handeln Objektiv nicht haltbare kausale Beziehungen zwischen dem eigenen Handeln und dem Eintreten bestimmter Umweltereignisse
27 Kognitive Verzerrungen beim Sportwetten (II) Flexible Attributionsmuster Dispositionale Faktoren wie eine ausgeklügelte Spielstrategie werden für Erfolgserlebnisse verantwortlich gemacht; situationale Faktoren wie Fehlentscheidungen des Schiedsrichters für Verlusterlebnisse Kontrollillusion Glaube, das Spielergebnis durch eigene Kompetenzen beeinflussen oder vorhersagen zu können; wird u.a. gefördert durch die aktive Einbindung der Spielteilnehmer in den Spielablauf Fast-Gewinne Verlusterlebnisse werden wegdiskutiert oder uminterpretiert ( jetzt steht der Gewinn unmittelbar bevor )
28 Werbung (I)
29 Werbung (II)
30 Werbung (III) _arid, html
31 Werbung (IV)
32 Werbung (V) liga.html
33 Werbeausgaben
34 Ausblick (I): Wetten bei Computerspielen
35 Ausblick (II): Wettbörsen
36 Ausblick (III): Wetten auf virtuelle Sportereignisse
37 Zusammenfassende Thesen Mit bestimmten Formen des Sportwettens gehen verschiedene Gefahrenlagen einher (u.a. hohes Suchtpotential der Live-Wetten)! Die Überschätzung der eigenen Einflussnahme auf den Spielausgang stellt eine wesentliche Triebfeder des (exzessiven) Sportwettens dar! Zu den Risikogruppen zählen in erster Linie Jugendliche/junge Erwachsene, Mitglieder von Sportvereinen sowie Profisportler! Eine Wettbewerbssituation zwischen verschiedenen Sportwettanbietern führt zwangsläufig zu Erhöhungen der jeweiligen Produktattraktivität (Stichwort Werbung) und macht Suchtprävention nicht leichter! Zukünftig wird sich der Anteil an Personen mit sportwettbezogenen Problemen unter den hilfesuchenden Glücksspielern erhöhen!
38 Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Institut für Psychologie und Kognitionsforschung Grazerstr Bremen Tel tobha@uni-bremen.de Web:
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