SWR2 Musikstunde mit Antonie von Schönfeld

Transkript

1 1 SWR2 Musikstunde mit Antonie von Schönfeld An Irish Rhapsody It raineth every day (4) Sendung: Redaktion: Freitag 28. Mai 2010, Uhr Ulla Zierau M a n u s k r i p t Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Einen Mitschnitt dieser Sendung können Sie bestellen unter der Telefonnummer /

2 Musikstunde mit Antonie v. Schönfeld SWR 2 2 Freitag, 28. Mai Uhr An Irish Rhapsody It raineth every day - Der Regen ist absolut, großartig und erschreckend. Diesen Regen schlechtes Wetter zu nennen ist so unangemessen, wie es unangemessen ist, den brennenden Sonnenschein schönes Wetter zu nennen. Man kann diesen Regen schlechtes Wetter nennen, aber er ist es nicht. Er ist einfach Wetter. Und Wetter ist Unwetter. Nachdrücklich erinnert er daran, daß sein Element das Wasser ist, fallendes Wasser. (...) (Heinrich Böll, Irisches Tagebuch) Musik 1 Charles Villiers Stanford 1 49 <13> The rain it raineth every day Anthony Rolfe Johnson, Tenor Graham Johnson, Klavier CDA 66480, LC 7533 Da spürt man es förmlich tröpfeln: The rain it raineth every day von Charles Villiers Stanford, interpretiert von Anthony Rolfe Johnson, Tenor, und Graham Johnson am Klavier. Es stimmt, in Irland regnet tatsächlich fast jeden Tag, und dieser Regen ist wirklich großartig, wie Heinrich Böll ihn erlebt hat. Aber es regnet meist nur kurz, nur eine Wolke lang; - den kontinentalen, grauen Dauervorhang kennt man auf den Britischen Inseln kaum.

3 Kein Wunder also, dass hier auch die Kunst mit diesem Element umzugehen weiß... 3 Charles Villiers Stanford kann das mustergültig, es musikalisch regnen lassen und überhaupt Lieder komponieren, Texte in Musik setzen: Ob es sich dabei um Shakespeare handelt - wie gerade The Rain aus der Komödie Twelfth Night oder Was Ihr wollt - oder ob es um seine Arrangements von irischen Volksliedern geht: Zu den alten irischen Airs fließen Stanford durchsichtige, geradezu unschuldige Begleitungen aus der Feder und je nachdem wie es das Thema fordert mal melancholischer, schwermütig oder leichtfüßig, heiter. Diese irischen Airs - so wie sie Jahre vor ihm sein Landsmann Thomas Moore gesammelt hatte - diese Volkslieder nannte er "frankly modern", sie wären immer modern, sie müssten nur - je nach der vorherrschenden Mode - mal ein neues Kleid tragen: Musik 2 Charles Villiers Stanford 2 19 <14> My love s an arbutus Ian Bostridge, Tenor Julius Drake, Klavier EMI , LC 6646 My love s an arbutus - Meine Liebe ist ein Erdbeerbaum - Ian Bostridge sang ein irisches Volkslied in der Bearbeitung von Charles Villiers Stanford, am Klavier begleitete ihn Julius Drake. Es gibt eine Fülle von irischen und englischen Lieder aus der langen Phase der britischen Romantik - Volkslied-Bearbeitungen, Kunst-Lieder, Shakespeare- Vertonungen - die in auffallendem und manchmal angenehm überraschendem Gegensatz zu all den großen Orchesterwerken dieser Zeit stehen. Eine Fülle, die einige Schätze beinhaltet, - Vokal-Kleinode. - Sie drängen sich selten auf, diese Lieder, man findet sie nicht häufig gebündelt - und wenn, dann sind auch nicht alle Kleinode, - doch es lohnt die Suche. -Fündig wird man bei Aufnahmen wie den irischen Volksliedern mit Ann Murray oder dem English Songbook mit Ian Bostridge und häufig in Lied-Anthologien, bei denen Graham Johnson am Klavier sitzt und wieder einmal eine Lanze für den britischen Orpheus bricht, - und der darf jetzt auch einmal englisch sein: Musik 3 Ralpf Vaughan Williams 2 37<14> Orpheus wih his lute Anthony Rolfe Johnson, Tenor

4 Graham Johnson, Klavier CDA 66480, LC Die alte Stichelei, Britannien sei "a land without music" - ein Land ohne Musik - läßt sich so nicht aufrechthalten: Hier war es nicht der Kelte mit der Harfe, sondern Orpheus mit der Laute, der den Gegenbeweis antrat, mit einem Lied von Ralph Vaughan Williams. - Sie hörten noch einmal Anthony Rolfe Johnson, Tenor, und Graham Johnson Klavier. Wer nach Irland kommt, hört eigentlich überall Musik, und damit ist nicht das Kaufhaus-Gedudel gemeint, das längst weltweit zu hören ist, sondern Musik: In den Straßen von Dublin, im Sommer auf den Plätzen, am Hafen, in jeder Dorfkneipe wird Musik gemacht. Und fragt man nach irischer Musik, dann sprudeln auch gleich die Antworten: Clannad, die (alten) Dubliners, U2, The Chieftains, Riverdance... - Irish Folk und Rock, alles da, - wo aber bleibt die Klassik? Gibt es überhaupt so etwas wie spezifisch-irische klassische Musik? Wenig, kaum - und die Gründe dafür liegen wieder einmal in der Geschichte des Landes: In einem Artikel - herausgegeben vom Irischen Zentrum für zeitgenössische Musik - heißt es: "Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es (in Irland) in der Ernsten Musik praktisch keine eigene Tradition und jegliche Form klassischer Musik wurde als Bereich der Anglo-Irischen Oberschicht betrachtet." Demnach wäre die Tatsache einer nicht-existenten irischen Klassik also als das Ergebnis der jahrhundertlangen Überfremdung durch die Engländer. Auf der anderen Seite aber weist das kulturelle Erbe der verschiedenen Völker Großbritanniens durchaus Gemeinsamkeiten und Parallelen auf. Und es bliebe zu definieren, was ein "spezifisch-irischer" Komponist ist. Charles Villiers Stanford jedenfalls kommt in der Bewertung des Artikels nicht allzu gut weg: Da ist von der "Stanford-Tradition" die Rede, "irische Melodien in den unpassenden Kontext der typisch deutschen Harmonien des 19. Jahrhunderts zu setzen."

5 5 Musik 4 Charles Villiers Stanford 7 21 CD 2 <6> Allegro molto vivace aus: Sinfonie Nr. 3 f-moll op 28 (Irish) Ulster Orchestra Ltg. Vernon Handley CHAN , LC 7038 Sei gnädig zu meinem Land wie auch zu mir, der ich von meinem Land singe, Phoebus, der Du selbst singest mit wertvoller Leier. So lautet das Motto, das Charles Villiers Stanford seiner Sinfonie Nr. 3 in f-moll auf Lateinisch vorangestellt hat. Das Ulster Orchestra unter Vernon Handley spielte daraus das Scherzo. Diese Sinfonie von Stanford aus dem Jahr 1887 trägt den Beinamen "die Irische", und irisch klingt das lebhafte Jig-Thema wirklich, -doch ursprünglich bezog sich der Beiname auf den dritten, den langsamen Satz der Sinfonie, in dem Stanford eine alte irische Melodie verwendet: The Lament, Die Klage der Söhne von Usnacht. Hier kommt Brahms nun wirklich ins Spiel, denn dieses Thema bei Stanford ist fast identisch mit dem im langsamen Satz von Brahms vierter Sinfonie. Die Vierte von Brahms allerdings war bereits ein Jahr vor der Stanfords Irischer Sinfonie uraufgeführt worden, - ob Brahms sich ebenfalls von irischer Folklore hatte inspirieren lassen? Oder hatte Stanford Brahms gehört? - Musik 5 Charles Villiers Stanford 5 30 CD 2 <7> Andante con moto aus: Sinfonie Nr. 3 f-moll op 28 (Irish) Ulster Orchestra Ltg. Vernon Handley CHAN , LC 7038 Andante con moto - das Ulster Orchestra, geleitet von Vernon Handley, spielte den langsamen Satz aus der 3., der "Irischen" Sinfonie von Charles Villiers Stanford.

6 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bricht sich ein lang unterdrücktes irisches Nationalgefühl wieder Bahn, - das ist der Beginn der Irischen Renaissance: Die Iren wollen sich ihrer kulturellen Wurzeln wieder bewußt werden und gründen eine Vielzahl von Bewegungen und Bestrebungen. 6 Die Gaelic Athletic Association gehört dazu, die gälische Sportarten wie Hurling oder Gaelic Football wiederbeleben will. Die Gaelic League will die gälische Sprache fördern. Und das neue Abbey Theatre in Dublin gehört dazu, gegründet von Wiliam Butler Yeats und Lady Augusta Gregory: Es soll ein "Förderanstalt für das irische Drama und die (anglo-)irische Literatur" werden. Während so auf der einen Seite in Irland konkret - vor allem in Bezug auf die Literatur - eine nationale Bewegung einsetzt, die letztlich auch politische Konsequenzen haben wird - die Abnabelung von England -, zeigt sich gleichzeitig Irische Folklore als en vogue in der Spätromantik: Komponisten auf dem Kontinent greifen in ihren Werken gern irische Melodien und Sagen auf: Maurice Ravel schreibt 1903 eine Kantate über eine irische Legende: Alyssa, und Frank Martin komponiert in den 1920er Jahren ein Klaviertrio über irländische Volkslieder: Musik 6 Frank Martin 4 30 Allegro moderato aus: Trio über irländische Volkslieder Trio Fontenay SWR Allegro moderato - das Trio Fontenay spielte den ersten Satz aus dem Trio über irländische Volkslieder von Frank Martin. Während außerhalb der Insel irische Melodien Komponisten inspirierten brachten die vielen Bestrebungen der Irischen Renaissance der Literatur im Land auf neue Wege: Und tatsächlich: Eher als klassische Komponisten sind einem irische Schriftsteller im Bewußtsein: George Bernard Shaw und William Butler Yeats und Oscar Wilde, Sean O Casey, Samuel Beckett und James Joyce, und Seamus Heaney. Bis heute hat Irland fünf Literatur-Nobelpreis-Träger, mehr als jedes andere Land. Musik 7 Trad 3 30 <14> Londonderry Air Singer Pur

7 Oems Classic Nach Ansicht von William Butler Yeats hatte Irland nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern auch seine Identität verloren. Heute hat Irland wieder eine Identität, wobei der Weg dahin mit initiiert wurde durch die Irische Renaissance und der irischen Literatur hier ein wichtiger Stellenwert zukommt. Bis heute hat Irland fünf Literatur-Nobelpreis-Träger, mehr als jedes andere Land. Es war wie in früheren Zeiten: Auch die irischen Komponisten des späten 19. Jahrhunderts, die weiterkommen, an wichtigen musikalischen Schauplätzen auftreten wollten, verließen Irland und gingen nach London. Wie sagte George Bernard Shaw noch? "Mein Lebensziel konnte nicht in Dublin (...) erreicht werden: Ich mußte nach London gehen... England als solches ging mich nichts an." Charles Villiers Stanford studierte in Cambridge und wurde später Professor für Komposition am damals neuen Royal College of Music in London und in der Ära vor Elgar - einer der führenden britischen Komponisten. Sein Landsmann Hamilton Harty begann sich um die Jahrhundertwende in London als Pianist und Komponist zu etablieren, später leitete er das berühmte Hallé-Orchester in Manchester und wurde Ehrenmitglied des Royal College of Music. Musik 8 Hamilton Harty 5 26 <1> The Londonderry Air Ulster Orchestra Ltg. Bryden Thomson CHAN , LC 7038 Ausblick 20. Jahrhundert "Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß ich einmal bei einem großen Konzert `irischer Natur dabei sein werde, wo alles glatt und ordentlich verlaufen wird, das pünktlich zur angegebenen Zeit beginnt, bei dem die Türen während der Darbietungen geschlossen bleiben und das Publikum sich mit einigem Anstand zu benehmen weiß, nicht nach jedem Lied eine Zugabe fordert oder geräuschvoll den Saal verläßt bei Stücken, die ihm nicht behagen."

8 (Impressions of a Dublin Playgoer, Joseph Holloway, Wunderbare Gedichte fallen einem ein, bissige Musikkritiken, brillante Theaterstücke, gesellschaftskritische Essays und poetische Stadt-Landschaften: "Als er über die Grattan Bridge ging, blickte er flußabwärts zu den unteren Quays und bedauerte die armen, verkümmerten Häusern. Sie kamen ihm vor wie eine Bande von Vagabunden, zusammengekauert am Flußufer entlang, die alten Mäntel mit Staub und Ruß bedeckt, betäubt von dem Panorama des Sonnenuntergangs und in Erwartung der ersten Nachtkühle, die sie aufstehen, sich schütteln und weiterziehen heißen würde." (Dubliners von James Joyce) Musik 9 Trad/ Hough Londonderry Air / Stephen Hough, Klavier CDA Fragen bleiben offen. Was ist irische Klassische Musik, was ist Folk Musik ist Teil des Alltags, Teil des Lebens, also ein letztes Mal die Dorfstraße entlang... Und man ist mitten drin in Musik... Musik 10 Traditional: Irish Traditionals Brianen Berryman, Flöte / Axel Wolf, Gitarre MDG 11272