LISSABON. Perfekte Tage in der weißen Stadt

Transkript

1 LISSABON Perfekte Tage in der weißen Stadt

2 Musik für die Seele Fado bedeutet»schicksal«. Diese elegant melancholische Musik eine Singstimme, eine spanische Gitarre und die 12-saitige portugiesische Gitar re erzählt von den Rät seln und Leidenschaften des Lebens, von Liebe, Eifersucht, Verrat und Tod. Die stilistische Band breite reicht von kokett und sen timental bis düster und tiefgründig. 18

3 Die Herkunft des Fado ist unklar. Manche meinen, er habe arabische Wurzeln, andere brasilianische, wieder andere schreiben ihm Einflüsse der provenzalischen Troubadoure zu. Sicher ist, dass er in den 1850ern aufkam, sich verbreitete, seine Blüte in den 1940ern hatte, in den 1970ern aus der Mode kam und in den 1990ern wiederentdeckt wurde. Die Portugiesen sind keine Mittelmeer-Südländer, ebenso wenig sind ihr Temperament und ihre Emotionen»südländisch«. Im Wesen phlegmatisch, gehen sie ohne Aufhebens ihren Weg und umgeben sich mit diesem rätselhaften, spezifisch portugiesischen Gefühl: Saudade. Das Wort lässt sich nicht übersetzen. Es umfasst Weltschmerz und Wehmut nach etwas Verlorenem, Unerreichbarem. Saudade empfinden Seeleute, die lange unterwegs sind, Auswanderer, die sich zur Rückkehr entschließen, Zuhausegebliebene, die um die Fortgegangenen trauern. Eine stetige, rückwärts gerichtete Sehnsucht nach der goldenen Zeit des portugiesischen Erfolgs. Saudade hält die eng verknüpften portugiesischen Gemeinschaften in den Großstädten der Welt zusammen und bringt Wanderarbeiter nach langem Überseeaufenthalt zurück. Saudade liegt in der leidenschaftlichen Liebe der Portugiesen zu ihrer Heimat und vor allem in ihrer Musik, dem Fado. Authentische Erfahrung Heimstatt des Fado ist neben Lissabon die nordportugiesische Universitätsstadt Coimbra, wo er etwas heiterer klingt. Will man in Lissabon authentischen Fado hören, hält man am besten in der Alfama oder im Bairro Alto Ausschau nach kleinen Lokalen größere mit Bühne sind meist touristisch. Eine der beliebtesten Adressen ist der Clube de Fado bei der Kathedrale (Rua de São João da Praça 86 94, Tel , Auf nahmen der Fado-Berühmtheiten erklingen im exzellenten kleinen Museum Casa do Fado e da Guitarra Portuguesa (Largo do Chafariz de Dentro 1, Tel , eine gesungene Führung wird Samstag und Sonntag um 16 Uhr geboten). DIE KÖNIGINNEN DER SZENE Bedeutendste Fado-Sängerin war Amália Rodrigues in Armut geboren, begegnete sie dem Fado in den düsteren, rauchigen Tavernen Lissabons. Ihre ausdrucksvolle Stimme erregte international Aufmerksamkeit. Als sie 1999 starb, trauerte die ganze Nation. Man setzte sie im Panteão Nacional (p95) bei und machte das Haus der beliebtesten Fadista Portugals zum Museum: Casa-Museu Amália Rodrigues (Rua de São Bento 193, Tel ; Di So 10 13, Uhr, Eintritt 5 Euro). In ihre Fußstapfen trat Mariza (geb. 1973), eine stilvolle Sängerin mit außergewöhnlicher Stimme. Sie zeigt, dass Fado kein verstaubter Musikstil ist, sondern sich wie Blues oder Flamenco größter Lebendigkeit erfreut. Fado ergeht sich nicht nur in Saudade und Melancholie, sondern lebt auch aus anderen Launen. Bei spektakulären Live-Auftritten singen Mariza und andere Fadistas der neuen Generation Lieder neuen und altbekannten Texten, deren Klang sie oft mit zusätzlichen Instrumenten anreichern. 19

4 Azulejos Überall Fliesen Viele Kulturen schmücken ihre Wände mit Schnitzarbeiten, Fresken, Tapeten oder schlichtweg mit Farbe. In Portugal nimmt man dazu Azulejos (Keramikfliesen), die Sie besonders in Lissabon bestaunen können in Kirchen, Palästen, an Ladenfassaden oder Wohnhäusern. Das Wort azulejo selbst stammt vermutlich vom arabischen Wort azzulaij (polierter Stein) oder ist von arabisch lazuward (blauer Stein, Lapislazuli) abgeleitet. Ein Hinweis auf die maurische Vergangenheit des Landes, denn Mauren waren es, die im 14. Jahrhundert diese Fliesen auf der Iberischen Halbinsel einführten. Mudéjar-Künstler (christliche Mauren), die in Sevilla arbeiteten, verkauften ihre Ware ans benachbarte Portugal. Einige dieser Arbeiten können Sie im Palácio Nacional de Sintra bewundern. 200 Jahre später brachte italienische Kunstfertigkeit die Majolika-Technik hervor, die es Künstlern erlaubte, ohne Verlaufen der Farben beim Brennen direkt auf die Fliesen zu malen ein willkommener Impuls für das portugiesische Kunsthandwerk. Zuerst wurden die Fliesen hauptsächlich für Kirchen und Klöster verwendet, um auf ihnen Bibelszenen und Heilige darzustellen, sehr schön zu sehen in São Roque. Im 17. Jahrhundert ging man dazu über, aus unzähligen Einzelfliesen riesige 20

5 btipp Einkaufen: Hier gibt es die schönsten Azulejos: Ratton (Rua Academia das Ciências 2c, São Bento; Tel , Moderne Fliesen von portugiesischen und internationalen Künstlern. Sant Anna (Rua do Alecrim 95; Tel ; Handgefertigte Kopien von Fliesen aus dem 17. und 18. Jahrhundert: Solar (Rua Dom Pedro V 68 70, Bairro Alto; Tel , pt). Spezial geschäft für Antikfliesen. Anschauen: Kunstvolle Fliesenarbeiten finden Sie hier: Igreja de São Roque (p115), Metrolinie Linha Vermelha, Museu de Lisboa (p69), Museu Nacional do Azulejo (p81), Palácio dos Marquêses de Fronteira (p117), Palácio Nacional de Queluz (p178), Palácio Nacional de Sintra (p174), Igreja de São Vicente de Fora (p91). Bilder zu entwerfen, wie man sie heute noch in São Vicente de Fora oder dem Palácio dos Marquêses de Fronteira be sichtigen kann. Nach dem Erdbeben von 1755 (p16) erlebte Lissabon einen Bauboom. Fliesen wurden in der 1767 vom Marquês de Pombal gegründeten Real Fábrica do Rato in Massen produziert und auf den Markt gebracht. Diese Fliesen jetzt neoklassischer im Stil fanden Verwendung, um Fassaden wie Innenwände zu dekorieren und gegen die Witterung zu schützen. In Lissabon gibt es noch eine Menge davon zu sehen. Schon im 19. Jahrhundert sah man die allgegenwärtigen Azulejos an Fabriken, Wohnblocks, Geschäften und Bahnhofsgebäuden. Und diese Tradition hält an. Einige der eindrucksvollsten modernen Arbeiten führender zeit genössischer Künstler sind heute in den Metrostationen zu bewundern. Rechts: Kunstvoll werden mit Fliesen ganze Szenerien dargestellt Links: Detail einer mit Fliesen verkleideten Wand in Belém 21

6 Die Steine Lissabons Der Charme Lissabons liegt zum großen Teil in seinem Erschei nungsbild seiner Lage an einem großen Fluss, seinen Hügeln und dem Kontrast zwischen engen Gassen und großzügigen Freiflächen. Wenn Sie von einem der zahlreichen miradouros (Aussichtspunkte) auf die Stadt hinunterschauen, erstreckt sich vor Ihnen ein Gewirr aus Kir chen, Palästen, öffentlichen Gebäuden und Wohnhäusern. Die portugiesische Hauptstadt erobert jedes Herz, und das liegt vor allem an ihrer Authentizität: Es fehlt jene Einheitlichkeit, die so vielen Metropolen heute eigen ist. 22