Die Größe zählt. Breiter ist schneller

Transkript

1 BASISWISSEN: REIFEN

2 Rundkurs Wie grob, wie breit, wie leicht muss er sein? TREKKINGBIKE sagt, was Sie über Reifen wissen sollten. Und erklärt, warum grobe Profile glatter sein können als Slicks und breite Reifen schneller laufen als schmale. 61

3 Schräglage: Mit dem richtigen Reifen geht mehr. Wer genau hinsieht, kann mitzählen: Die linke Reifenkarkasse hat weniger und grobere Fäden als die rechte. Feiner ist feiner aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Ausgedrückt wird die Fadendichte in tpi, und das heißt Fäden pro Zoll JÖRG SPANIOL text Schnürsenkel reißen immer dann, wenn man es besonders eilig hat, die Bahn ist ausnahmsweise pünktlich, wenn man ausnahmsweise zu spät ist und das Rad hat einen Platten", wenn die anderen schon vor der Tür warten. Ende der Tour, schon am Start. Eine verpatzte Tour ist oft der unwillkommene Anlass, einen Reifen aus der Nähe zu betrachten. Und wenn dann noch ein Schnitt drin ist, durch den der Schlauch schaut, wird es ernst: es gilt, aus scheinbar unzähligen Modellen das richtige auszuwählen. Die Größe zählt DANIEL SIMON fotos Kriterium Nummer eins ist natürlich die Größe. Der Reifen muss zur Felge passen. Mit der Angabe es ist ein 28er" ist es dabei nicht getan. Dieses Maß in der Einheit Zoll" soll nämlich den Außendurchmesser bezeichnen, sagt aber wenig über die Felgengröße. Ergebnis: bei einem dicken 28er" passt manchmal eine andere Felge als bei einem dünnen 28er" Rennradreifen. Deshalb haben sich die Hersteller auf neue Größenbezeichnungen geeinigt, die so genannten ETRTO"-Maße. Auf der Flanke Ihres Pannenreifens steht "? Dann muss auf dem nächsten auf jeden Fall wieder 622 stehen. Der erste Wert bezeichnet die Reifenbreite in Millimetern, und da gibt es etwas Spielraum (siehe Tabelle). Die Auswahl reicht bei den meisten Felgen vom Rennradreifen bis zu einem mit Mountainbike-Dimensionen. Doch die 622", die muss immer draufstehen. Sie bezeichnet den Durchmesser der Felge an der Stelle, wo der Wulst des Reifens sitzt (siehe Skizze). Dieses Maß macht auch eindeutig klar, warum 26er" von Triathlon und Mountainbike nicht zueinander passen: beim einen steht 571" auf dem Reifen, beim anderen 559". Breiter ist schneller War der alte Reifen zu unkomfortabel? Dicke Reifen sind der Tipp. Oberhalb von 45 Millimetern Breite sind manche so komfortabel wie eine Federung. Und wenn der Untergrund glatt ist, pumpt man sie auf Maximaldruck und hat einen Reifen, der leichter läuft als mancher Rennreifen. Sagen die Hersteller, und die haben es gemessen! 62 TREKKINGBIKE 1/2004

4 Warum das? Angenommen, ein Rennreifen und ein dicker Trekkingreifen sind aus den gleichen Materialien aufgebaut, sind gleich stark aufgepumpt und werden vom gleichen Fahrer gefahren. Dann drücken sich beide so weit zusammen, dass sie die gleiche Aufstandsfläche" haben, um das Fahrergewicht zu tragen. Das ist die Kontaktfläche zwischen Rad und Straße, vielleicht 20 Quadratzentimeter groß egal, ob beim dicken oder beim dünnen Reifen. Würde man sich diese Fläche von unten ansehen, fiele die unterschiedliche Form auf: rundoval beim dicken Reifen, lang und schmal beim Rennreifen. Bis Luftdruck von innen aushalten und ist beim Rollen ständig in Bewegung. Je dünner und damit geschmeidiger sie ist, desto weniger wiegt und desto leichter rollt der Reifen. Vor allem auf teuren Reifen steht eine tpi"- Angabe für die Karkasse. Das heißt threads per inch" (Fäden pro Zoll), und mehr davon sind teurer. Wettkampfreifen für Rennräder und Mountainbikes haben oft um die 120 tpi, doch das ist für Trekkingbikes nicht unbedingt gut. Markus Hachmaier vom Reifenhersteller Schwalbe: Wir verwenden meistens 50 oder 67 tpi-karkassen, weil sie robuster gegen Scheuern und Schnitte sind". INTERVIEW Carsten Zahn, Produktmanager bei Schwalbe Jeder Versuch, den Reifen pannensicher zu machen, erhöht den Rollwiderstand. Vor allem im Einsatzgebiet Innenstadt geht Pannenschutz vor Leichtlauf. Der Reifenhersteller Schwalbe verwendet bei seinem Cityreifen Marathon Plus die sichtbare, blaue Elastomer-Zwischenlage, deren Dicke Scherben und Nägel vom Schlauch fernhalten soll. Andere Tricks sind schnittfeste Materialien wie Kevlar oder sogar Maschendraht die Fläche so lang ist, muss der schmale Reifen relativ weit einsinken und das kostet Kraft, weil sich dabei der Reifen stark verformt. Trotzdem fahren Rennradler aus gutem Grund schmale Reifen (23 Millimeter sind üblich): sie haben einen geringeren Luftwiderstand und sind viel leichter als ihre dicken Brüder. Das macht für diesen Zweck den Rollwiderstandsvorteil wett. Und Komfort ist im Rennen ohnehin kaum ein Thema. Viele Fäden machen schnell Was im Reifen walkt und ihn schwer oder leicht laufen lässt, ist vor allem die Karkasse. Die Karkasse eines Reifens ist die Mischung aus Fäden und Gummi, die sich von Felgenrand zu Felgenrand zieht. Sie muss den Ein Reifen ist eine vielschichtige Angelegenheit. Beim abgebildeten City Contact von Continental sind das: mehrere Lagen Karkassengewebe, die gelbe Schnittschutz-Einlage, eine zusätzliche Gewebelage und die Lauffläche mit dem Profil. Auf der linken Seite sind der Reflexstreifen und die Lauffläche für das Dynamo-Reibrad gut sichtbar. Billigreifen sind meist deutlich simpler konstruiert Viele Stollen machen langsam Viele Radler bekämen einen Schrecken, könnten sie die Reifen von Jan Ullrich oder Lance Armstrong aus der Nähe sehen. Die haben nämlich kein Profil, und trotzdem fahren die Cracks auf ihnen um die Kurve, als hätten sie scharf geschliffene Schlittschuhkufen am Rad. Neben der Karkasse bestimmt auch das Profil den Rollwiderstand, und da ist für Rennfahrer weniger besser. Liegt nicht gerade nasses Laub, Schnee oder Sand auf dem Radweg, kämen auch Trekkingbiker prima ohne Profil aus. Auch bei Nässe: Erst jenseits von 200 Stundenkilometern gäbe es beim Rad Aquaplaning"-Effekte. Je stärker die Stollen ausgeprägt sind, desto schlechter läuft der Reifen. Abseits befestigter Wie können Radler ihrem Reifen Gutes tun? Karsten Zahn: Mit Luft. Die meisten pumpen die Reifen viel zu schwach auf. Wer einfach mit dem Daumen prüft, hat schon bei zwei bar das Gefühl, der Reifen sei prall. Vier sollten bei einem Trekkingreifen aber drin sein. Dann rollt er nicht nur besser, sondern hält auch länger. Was ist das beste Profil auf der Straße? Auf einer gut gepflegten Straße: gar keines, egal, ob sie nass oder trocken ist. Die Gummimischung ist viel wichtiger. Erst bei einer verschmutzten Straße oder Schnee spielt das Profil eine Rolle. Und auf Schotter- oder Kieswegen? Die sind immer kritisch. Nach unserer Erfahrung ist hier ein breiter Reifen besser, weil er sich mit vielen Steinen verzahnt. Das Profil ist weniger wichtig. DAS MODERNE FAHRRADMAGAZIN

5 Das Reifen-ABC ETRTO: European Tire an Rim Technical Organization". Eine Körperschaft, die sich über die genauen Abmessungen der Felgen und Reifen kümmert, damit die immer zueinander passen. Diese Buchstaben finden sich als Reifenaufdruck bei manchen Größenangaben. Noch hat sich diese (präzisere) Bezeichnung gegenüber den Zoll"-Angaben nicht durchgesetzt. Karkasse: Das gummierte Gewebe, das den Schlauch umschließt. Auf sie ist die Lauffläche, der Protektor" aufvulkanisiert. Protektor: Andere Bezeichnung für die Lauffläche, die profilierte Gummimischung, auf der das Fahrrad rollt. psi: pounds per square inch", Pfund pro Quadratzoll. Eine Angabe zum Reifen- Luftdruck. Zum Glück steht auf Pumpen und Reifen meist auch die hergebrachte Angabe in bar". Nicht umrechnen, sondern einfach beachten. Silica: Kieselsäure, die dem Reifengummi beigemischt wird, um die Rolleigenschaften zu verbessern. Wird Kieselsäure anstelle des üblichen Rußes verwendet, ist der Reifen zudem beliebig färbbar. Straßen kann der Unterschied sogar noch größer sein als auf Asphalt, weil jeder Stollen ein paar Kubikzentimeter Erde zur Seite schieben muss, wenn er darüber rollt. Doch Leichtlauf ist dort nicht alles. Ein Slick bewegt die Erde viel weniger doch er greift auf losem Grund auch kaum. Auf der Straße kann zuviel Profil hingegen glatt sein: während Grobstoller im Gelände kräftig zubeißen, können ihre Stollen in schnellen Asphaltkurven einfach wegklappen mit schmerzhaften Folgen... Irgendwo zwischen dem Slick der Rennradler und den Grobstollern der Downhill-Mountainbiker liegt deshalb das Optimum für Trekkingbiker. Und weil Trekkingbiker überall fahren und es den einen Reifen für alle Zwecke nicht gibt, unterscheidet unsere Typologie (siehe Kasten: Typenkunde) vier Kategorien: City, Reise, Fitness und Cross. Kieselsäure macht beweglich Wenn Tempo das Ziel ist, spielen nicht nur Breite, Karkasse und Profil eine Rolle. Seit ein paar Jahren tricksen die Hersteller bei ihren Topreifen sogar mit der Gummimischung: Silica-Compound", also eine Gummimischung mit Kieselsäure, ist derzeit die Top- Technik, wenn es um gutes Rollen geht. Michelin fand bei Versuchen zu Autoreifen heraus, dass Kieselsäure zu besonders geschmeidigem Abrollen führt und setzte das Material bald auch am Bike ein. Auch Continental und Schwalbe rühren bei manchen Reifen Kieselsäure statt des schwarz färbenden Rußes in den Gummibottich. Mit einem weiteren Vorteil: Mit Silica können wir den Reifen ohne technische Einbußen in jeder Farbe herstellen" verrät Michelin- Sprecher Andreas Teichgräber. Doch Trekkingbiker sind Schwarz-Fahrer: Bunte Typenkunde: So verändert Vorteil beim Trekkingbike: die fast endlose Reifenauswahl. Ein Reifen Fitness- ein Crossrad. Genauso wichtig wie das Profil ist das zum Ein Slick: Profilloser Reifen tpi: Threads per inch", Fäden pro Zoll. Die Maßeinheit für die Feinheit einer Karkasse. Rennreifen haben eine hohe tpi"-zahl. Wulstkern: Bei den meisten Trekkingreifen mehrere gebündelte Stahldrähte, um die der Rand der Karkasse vulkanisiert wird. Faltreifen haben einen Wulstkern aus Aramidfäden. Sie lassen sich kleiner verstauen und sind mindestens 50 Gramm leichter. Dick und dicht: Schwalbe Marathon Plus City: dick & dauerhaft PROFILTYP Semislick bis mittelgrobes Profil je nach üblichem Wegezustand DIMENSION mindestens 35 Millimeter breit GEWICHT selten unter 800 Gramm Ein Stadtrad muss möglichst wartungsarm sein. Dazu gehört ein robuster Reifen mit (in schneearmen Gegenden) nicht zu grobem Profil. Gewicht und Rollwiderstand sind weniger wichtig, deshalb darf auch die Seitenwand kräftig ausfallen. Der dickste Reifen, der noch durch Schutzblech und Rahmen passt, ist oft richtig. Reflexstreifen und Dynamo-Lauffläche erhöhen die Schulterstollen: Continental Travel Contact Reise: gesundes Mittelmaß PROFILTYP Leicht profiliert bis Schulterstollen DIMENSION bei gefederten Bikes ab 35 Millimeter, sonst möglichst dick GEWICHT ab etwa 550 Gramm Keine Reise ist wie die andere, aber bei allen geht es darum, größere Strecken zurückzulegen. Deshalb sollte der Reifen leichter rollen als ein Citymodell eine feinere Karkasse und dünnere Seitenwände sind günstig. Wer überwiegend auf Straßen rollt, kann mit einem Schulterstollen-Profil gut bedient sein: nur am Rand sitzt hierbei wirklich grobes Profil. Dicke Reifen sind auch hier ein

6 Reifen verkaufen wir praktisch ausschließlich im Rennradbereich". Stoff macht dicht Zurück auf Start. Zurück zur zwingenden Beschäftigung mit dem Reifenthema, weil das aktuelle Modell gerade platt ist. Passiert das oft? Dann kann das auch am Reifen liegen. Gegen Stich und Schnitt schützt zusätzliches Material unter der Lauffläche. Praktisch ausgestorben ist der Stahlgürtelreifen, der den Schlauch mit einem Drahtgeflecht zwischen Karkasse und Lauffläche unverwundbar machen sollte. Der hatte das gleiche Problem wie manche Versuche mit Aramid(Kevlar-)- bändern: irgendwann löste sich der Reifen auf, weil die Schutzlage sich nicht gut mit dem Rest des Reifens vertrug. Dass die geringere Geschmeidigkeit der Schutzlage nicht gut für den Rollwiderstand war, dürfte auch klar sein. Eine aktuelle Variante des gut geschützder Reifen ihr Rad ten Reifens kommt mit dem Smart Guard" von Schwalbe, einer Kunststofflage unter dem Profil sicher nicht ideal in den Disziplinen Leichtlauf" und Gewicht", aber Schutz ohne Reue ist nicht zu haben. Continental strebt mit seiner Technik eher nach Leichtlauf: Wir verarbeiten meistens einfach zusätzliche Lagen Gewebe" verrät Sprecher Wolf Vomwalde, das läuft gut und ist leicht". Das Extrem in dieser Disziplin sind die superleichten, aber völlig ungeschützten Reifen der Bahn- Rennfahrer. Wegen ihrer Geschmeidigkeit fahren manche Tour-de-France- Profis diesen Hauch von Reifen sogar auf der Straße aber die haben auch einen Materialwagen! wechsel, und schon wird aus dem Tourer ein Citybike, aus dem satzbereich passende, unsichtbare Innenleben Leichtes Rennmaterial: Michelin Cyclocross Cross: fein & bissig PROFILTYP Kleine Stollen oder Schulterstollen DIMENSION bis etwa 38 Millimeter GEWICHT ab 400 Gramm Wenig Profil, wenig Gewicht: Michelin Dynamic Fitness: leicht& geschmeidig PROFILTYP Slick DIMENSION bis 38 Millimeter GEWICHT ab 350 Gramm Wer in einer Gegend mit fiesen Straßen und feinen Feldwegen lebt, saust am besten dort - mit leichten Stollenreifen, denn die greifen auch dann noch, wenn die Erde feucht ist. Schönwetterfahrer nehmen einen Semislick, der leichter rollt. Und weil ein Crossbike schon ziemlich sportlich ist, sprechen Gewicht und Rollwiderstand für einen leichten Reifen mit feiner Karkasse (viele Leicht und elegant wie ein puristisches Fitnessbike sollte auch der Reifen sein: Nicht zu breit und praktisch profillos. Sind Radwege das übliche Terrain der Trainingsrunde, sind Pannenschutz und hohes Luftvolumen wichtiger als auf den meist besser gepflegten Straßen. Mit feiner Karkasse und oft auch Silica-Lauffläche kommen diese Reifen ziemlich dicht an das Material der Rennrad-Profis